Wege aus der Wachstumsgesellschaft
Harald Welzer | Klaus Wiegandt
Fischer e-books
Covergestaltung und Coverabbildung: bürosüd°, München
Originalausgabe
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2013
Grafiken: Peter Palm, Berlin
ISBN 978-3-10-402390-8
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ISBN 978-3-10-402390-8
Die folgenden Abschnitte sind überarbeitete Übernahmen aus meinem Essay »Mentale Infrastrukturen«, der 2011 als Broschüre der Heinrich-Böll-Stiftung erschienen ist.
Man betrachte nur mal niederländische Malerei aus dem 15. und 16. Jahrhundert, um erstaunt festzustellen, dass die dargestellten Personen, etwa in den Brueghel’schen Jahreszeitenbildern, zeitlich desynchronisiert sind: immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden, schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche, die einfach schlafen.
Der ökonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des »homo oeconomicus« zu verwechseln, jenem Reaktionsbündel, das auf Reize reagiert, wenn sie ihm einen Vorteil versprechen. Es ist erstaunlich, wie lange sich dieses Menschenbild in der Vorstellungswelt der Ökonomen gehalten hat, obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte. Darin kann man einen weiteren Indikator für die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen, dass der Vitalisierungsschub, der seit einigen Jahren durch die behavioral economics angestoßen wird, nachhaltig sein wird.
Die DDR hatte seit 1971 ein Umweltministerium, aber es ist bis heute ziemlich unklar geblieben, was dort eigentlich gemacht wurde.
http://www.mut-zur-nachhaltigkeit.de
http://www.maweb.org
http://www.mips-online.info
Die von der IG Metall vor 40 Jahren gestartete Initiative »Qualität des Lebens« mit einer Reihe produktiver Anregungen zu diesem Thema fand in der Wirtschaft damals keinen Anklang.
http://www.beautesse.at/Duft/Damenduefte/pureDKNY-Verbena.html
http://www.neweconomics.org
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VGR/Inlandsprodukt/Inlandsprodukt.html
Problematisch ist zum Beispiel die Umrechnung einiger Ressourcenverbräuche in »globale Hektar« an benötigtem Land, die normierte Maßeinheit des ökologischen Fußabdrucks; http://www.footprintnetwork.org/de/index.php/GFN/page/methodology/
http://www.footprintnetwork.org/de/index.php/GFN/page/ecological_debtors_and_creditors/
http://www.footprintnetwork.org/en/index.php/GFN/page/footprint_for_nations/
http://www.denkwerkzukunft.de/downloads/Wohlstand.pdf
Globale Studien gehen derzeit davon aus, dass ab einem Pro-Kopf-Einkommen von 15000 US-Dollar keine Korrelation mehr zwischen einem weiter steigenden Einkommen und der Lebenszufriedenheit besteht.
Der wissenschaftlichen Redlichkeit halber muss gesagt werden, dass der Verfasser dieses Textes jenen Vorschlag einer Veränderung der Betrachtungsweise seit über einem Jahrzehnt immer wieder unterbreitet – bislang ohne die geringste Wirkung in den Medien, der Politik oder gar in der amtlichen Statistik.
So haben Änderungen des Saldos von Kosten und Nutzen dauerhafter Konsumgüter in mehreren Jahren erheblichen Anteil an den negativen oder positiven Änderungen des Wohlfahrtsindex. Nur in vier Jahren wirkt die Veränderung allerdings in die Richtung der Gesamtänderung des Index.
http://www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/aktuelles/greenjobs.htm
http://www.tni.org/sites/www.tni.org/files/download/green-economy.pdf
Unstrittig ist, dass die Nutzung digitaler Medien zugenommen hat. Der Verdrängungshypothese (digitale Kommunikation verdrängt andere Kommunikation) widersprechen allerdings Autoren mit dem Hinweis auf Multitasking-Nutzungen (Schulmeister 2008: 50ff.). Die KIM-Studie (2006) und die nachfolgende Jim-Studie (2007) zeigen, dass »Freunde treffen« mit Abstand die häufigste Freizeit-Aktivität von Kindern und Jugendlichen ist (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 1998–2007, zitiert nach Schulmeister 2008), http://www.zhw.uni-hamburg.de/pdfs/Schulmeister_Netzgeneration.pdf.
Räumliche und zeitliche Mobilitätserfordernisse reduzieren ehrenamtliches Engagement (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2010: 9, 11).
Zum Konzept »Bildung für nachhaltige Entwicklung« vgl. das UN-Portal der Weltdekade der Vereinten Nationen 2005–2014, die die Vermittlung nachhaltigen Denkens und Handelns für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zum Gegenstand hat: http://www.bne-portal.de/coremedia/generator/unesco/de/01__Startseite/Startseite.html.
Vgl. hierzu auch die Internetplattform des Hochschulnetzwerks »Bildung durch Verantwortung«, das sich der Förderung von Service-Learning im Hochschulbereich verschrieben hat; http://www.netzwerk-bdv.de/content/home/index.html
http://www.postwachstumsoekonomie.org/html/paech_grundzuge_einer_postwach.html
Ein Überblick über Corporate Volunteering gibt Christian Herzig (2006: 51–69). Eine Fülle von Beispielen liefert André Habisch (2003).
http://www.pt.rwth-aachen.de/index.php?option=com_content&view=article&id=149&Itemid=49
Zentrales Versorgungsaggregat in Fritz Langs »Metropolis« (1927).
Ein ähnlicher Begründungszusammenhang findet sich bei Schor (2010).
Harald Welzer und Klaus Wiegandt
Es ist inzwischen mehr als vier Jahrzehnte her, dass die vielzitierte, aber selten gelesene Studie »Limits to Growth« von Dennis Meadows und einer Reihe weiterer Autorinnen und Autoren erschienen ist. In einer Zeit hoher Wachstumsraten und Gewinn- und Lohnsteigerungen in den westlichen Gesellschaften wagte dieses Buch die so banale wie schockierende Mitteilung, dass ein endlicher Planet nicht unendlich Material für die Produktion von Gütern und Senken für die anfallenden Emissionen bereithalten kann. Das Buch schlug sofort hohe Wellen, obwohl es, von heute aus betrachtet, alles andere als alarmistisch war. Vielmehr legte es auf dem damals neuesten Stand der Computer- und Szenariotechnik mögliche künftige Entwicklungen vor, und zwar in einem Horizont von 100 Jahren.
Dabei richtete sich der Blick der Autoren vor allem auf die exponentiellen Steigerungsverläufe beim Ressourcenverbrauch, bei der Bevölkerungsentwicklung und den anfallenden Müllmengen. Dieser Blick birgt das eigentlich Alarmierende: Dass die Ausbeutung wie die Vermüllung des Planeten keinen linearen Verlauf, sondern einen exponentiellen nehmen würden, ließ die Frage nach dem Zeitraum für ein mögliches Umsteuern wichtig werden. Bei linearen Verläufen kann man relativ gelassen beobachten, wann es zu einem kritischen Maß kommt, und rechtzeitig gegensteuern; bei exponentiellen hat man es mit möglichen Kipp-Punkten zu tun, jenseits deren ein Umsteuern nicht oder kaum mehr möglich ist. Die Vorwarnzeit ist kürzer; Maßnahmen zur Gegensteuerung müssen schon dann ergriffen werden, wenn dem Augenschein nach alles noch ganz in Ordnung zu sein scheint.
So harmlos und rational das Buch 1972 argumentierte, so hysterisch und irrational fielen die Reaktionen aus – und zwar von allen politischen Seiten. Während die Konservativen hier Systemveränderer am Werke sahen, die der kapitalistischen Welt die permanente Wohlstandsvermehrung ausreden wollten, sahen die Linken in Dennis Meadows und seinen Mitstreitern Büttel des Kapitals, die die Arbeiter um ihren Anteil an den Segnungen des Wirtschaftswachstums bringen wollten.
Beide Sichtweisen muten von heute aus betrachtet bizarr an, ging es doch schlicht darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass auf der Erde physikalische Gesetze gelten. Aber die »Limits to Growth« hatten den empfindlichsten Nerv moderner Gesellschaften getroffen: Wachstum, also das pulsierende Herz eines Typs Ökonomie, der zur Lösung von Problemen jeglicher Art nichts anderes zu bieten hat als Expansion. Wachstum wurde historisch entfacht durch die Nutzung fossiler Energien und die damit verbundenen Produktivitätsfortschritte und Wohlstandssteigerungen zuvor unvorstellbarer Dimension und verbreitete sich in den letzten 200 Jahren in Form einer Art säkularer Theologie über die Welt, deren Glauben verspricht, dass es für jeden von allem immer mehr geben würde. Und zwar bis in alle Ewigkeit.
Tatsächlich hat es Nobelpreisträger für Ökonomie gegeben, die allen Ernstes behaupteten, dass die Vorräte für mindestens weitere 7 Milliarden Jahre reichen würden (Julian Simon) oder gleich der Auffassung waren, die Menschheit könne ganz ohne natürliche Ressourcen auskommen (Robert Solow). Wenn schon die Wissenschaft solchen Phantasien frönen konnte, ohne dass man den Herren wegen offenkundigem Wahnsinn die Lehrstühle entzogen hätte, verwundert es kaum, dass auch der weit überwiegende Teil der Unternehmer, Manager, Politiker und anderen Menschen nachgerade für Ketzerei hielt, was »Die Grenzen des Wachstums« mitzuteilen wagten. Letztlich war das Buch der Versuch, Aufklärung gegen Glauben zu setzen, und das zieht immer irrationale Reaktionen nach sich.
Heute, bald ein halbes Jahrhundert später, hat sich daran nur so viel verändert, dass die Welt durch die seither beständig gestiegenen Verbräuche von Material und Energie und die die Traglast der Senken überfordernden Emissionen jeder Art sich exakt so entwickelt hat, wie die pessimistischste Lesart der Studie befürchtet hatte. Als bedürfte es noch weiterer Beweise für die Überlegenheit des Glaubens über den Verstand, propagieren aber auch heute noch nahezu alle Angehörige der politischen und ökonomischen Eliten das Wachstum. Inzwischen ist noch, was in der bipolaren Welt des Kalten Krieges noch gar nicht vorhersehbar war, die Globalisierung dazugekommen, also die rasend schnelle Verbreitung der wachstumswirtschaftlichen Praxis über den ganzen Planeten. Das hat das Erreichen der finalen Wachstumsgrenzen noch einmal näher gerückt.
Im Augenblick rast, man kann es kaum anders sagen, der Zug der globalen Wirtschaftsentwicklung auf eine massive Wand zu, und angesichts dessen verlangsamt er seine Geschwindigkeit nicht etwa, sondern nimmt immer noch weiter Fahrt auf. Der Crash wird desto brutaler ausfallen. Freilich scheint es schwierig zu bestimmen, wann er stattfindet. Man darf ihn sich auch nicht als abruptes Ereignis vorstellen, das von einem Tag auf den anderen alles auf den Kopf stellt und totales Chaos hinterlässt. Gesellschaftliche Erosions- und Zerfallsprozesse geschehen langsam, zerdehnt, kaum merklich. Man denke nur an den Ostblock, der sein Verfallsdatum lange überzogen hatte und den Leuten trotzdem monolithisch und fest erschien – bis er wie ein Haus zusammenfiel, das längst unrettbar von Termiten zerfressen war, aber noch ganz solide dazustehen schien.
Die materiellen, institutionellen und mentalen Infrastrukturen von Gesellschaften halten noch viel zusammen, wenn schon einiges bröckelt und nicht mehr funktioniert. Symptome für den Zerfallsprozess sind heute zahlreich – sie reichen von den Folgen des Klimawandels über den Landraub bis hin zur Dauerkrise an den Finanzmärkten. Und natürlich kennt auch der Zerfall Gewinner und Verlierer: Gruppen, die in der failed globalisation (Lars Clausen) immer schneller abgehängt und sich selbst überlassen werden, und Glücklichere, die sich rechtzeitig ihre Besitzstände sichern konnten und die Mittel haben, sie militärisch zu sichern und zu verteidigen. So betrachtet, findet der Zerfall, den »Die Grenzen des Wachstums« prognostiziert haben, heute schon statt, aber er trifft die Gesellschaften der Welt sehr unterschiedlich. Die Grenzen des Wachstums sind zwar physikalisch, nicht aber sozial für alle gleich.
Angesichts eines solchen Befundes, der sich sowohl durch die Armutsberichte als auch durch die Daten der Klimaforschung als auch durch die Prognosen der Internationalen Energie Agentur mühelos belegen lässt, ist es mehr als deprimierend, dass die hochdotierten Ökonomen an den internationalen Universitäten, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, 40 Jahre vor sich hin geschlafen haben und keinerlei intellektuelle und forscherische Anstrengungen in die Frage investiert haben, was denn eigentlich nach dem Wachstum kommen soll.
Deshalb stehen wir jetzt vor der misslichen Situation, zwar eine kleine Menge sehr guter Analysen für die Zukunftsuntauglichkeit von Wachstumswirtschaften zu haben, kaum aber elaborierte Hinweise darauf, wie denn eine Postwachstumsgesellschaft aussehen könnte. Und leider noch weniger, wie man sie erreichen würde. In diesem Buch, das auf ein Kolloquium im April 2011 an der Europäischen Akademie in Otzenhausen zurückgeht, versuchen die Autoren, einen Schritt weiter zu gehen: etwa indem die Gestaltungsmöglichkeiten der Politik diskutiert werden (Reinhard Loske) oder indem das Projekt einer »Transformative Literacy« vorgestellt (Uwe Schneidewind) oder das Potential der Konsumgesellschaft ventiliert wird, sich mittels ihrer Produkte selbst aufzuklären (Wolfgang Ullrich). Hinzu treten Analysen der Wachstumszwänge im Unternehmensbereich (Klaus Wiegandt), der Mentalität von Bewohnern von Wachstumsgesellschaften (Harald Welzer), der Umbauperspektiven in der Arbeitswelt (Hans Diefenbacher), aber auch die Skizze eines möglichen Transformationsprozesses (Bernd Sommer) und einer Postwachstumsgesellschaft (Niko Paech). Ein Text, der von einigen jungen Besucherinnen und Besuchern des Kolloquiums verfasst worden ist, entwirft eine konkrete Utopie eines ersten möglichen Schritts hin zu einer wachstumsbefriedeten, nachhaltigen Gesellschaft (Daniel Baumgärtner et al.).
Gewiss: Auch mit diesem Buch können wir kein schlüssiges oder gar umfassendes Konzept für den Übergang in die Postwachstumsgesellschaft liefern, aber wir können immerhin Wegmarken für tastende Schritte in diesen Übergang hinein vorstellen, denen zu folgen sich lohnt. Dieser Mühe haben sich die Autoren des Bandes in bemerkenswerter Konsequenz unterzogen, und dafür danken wir ihnen sehr herzlich. Wenn der vorliegende Band für die Leserinnen und Leser und natürlich auch für die Herausgeber einen Gewinn darstellt, dann deswegen, weil die versammelten Texte zeigen, dass es Wege aus der Wachstumsgesellschaft gibt. Es ist kein Schicksal, dass der Wachstumszug immer schneller fährt und mit immer größerem Furor die Überlebensgrundlagen der Menschheit zerstört; man kann das verändern. Freilich wird der Weg in eine Postwachstumsgesellschaft kein Spaziergang. Er wird Wohlstandsverluste mit sich bringen, mehr Eigenarbeit, weniger Mobilität, weniger Konsum, aber mehr Zeitwohlstand, Lebensqualität und Gesundheit. Und noch etwas anderes, was im Wachstumswahn gerade untergeht, das Wichtigste: Zukunft.
Bernd Sommer
Eine Suche nach »Wegen aus der Wachstumsgesellschaft« ist natürlich nur dann sinnvoll, wenn man davon ausgeht, dass es gute Gründe gibt, sich von der heutigen Wachstumsgesellschaft zu verabschieden. Mag dies angesichts des Klimawandels, des rapiden Verlusts biologischer Vielfalt und der zunehmenden Knappheit natürlicher Ressourcen vielen Menschen intuitiv auch einleuchten, so gehen eine Mehrheit in Politik und Ökonomie, aber auch zahlreiche Umweltbewegte, davon aus, dass sich wirtschaftliches Wachstum mittelfristig von den ökologischen Auswirkungen »entkoppeln« lässt. Daher treten sie für ein »grünes« oder »nachhaltiges Wachstum« ein. Aktueller und prominenter Beleg hierfür ist der UNO-Gipfel für Nachhaltige Entwicklung, der im Juni 2012 in Rio de Janeiro stattfand. In der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen bekräftigten Abschlusserklärung »The future we want« des sogenannten Rio+20-Gipfels spricht man sich in verschiedenen Formulierungsvarianten insgesamt 23-mal für ein »nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum« (im Original: sustained economic growth) aus (UN 2012).
Dieser Beitrag geht der Frage nach, ob ein anhaltendes Wirtschaftswachstum und eine nachhaltige Entwicklung vereinbar sind. Gemäß der berühmten Definition des Brundtland-Berichts wird hier unter »nachhaltiger Entwicklung« ein gesellschaftlicher Modus der Bedürfnisbefriedigung verstanden, der die Möglichkeiten künftiger Generationen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, nicht gefährdet (Hauff 1987: 46). Ist der Titel eines Beitrags in Frageform formuliert, so wird vom Autor erwartet, dass er diese Frage im Verlauf seiner Ausführungen mehr oder weniger eindeutig beantwortet. In dieser Hinsicht wird der folgende Text seine Leser enttäuschen. Der Grund hierfür ist, dass sich aus wissenschaftlicher Sicht – wenn man die Vielzahl diesbezüglicher Studien in ihrer Gesamtheit betrachtet – die Frage, ob ein stetiges Wirtschaftswachstum und eine nachhaltige Entwicklung generell vereinbar sind, nicht eindeutig beantworten lässt. Eindeutig ist aus Sicht der Wissenschaft aber, dass Wachstum in der heutigen Form nicht nachhaltig ist. Statt also eine definitive Antwort zu geben, sollen im Folgenden eine Reihe von Studien und Befunden präsentiert werden, die Hinweise zur Beantwortung der Frage nach einer Vereinbarkeit von Wachstum und Nachhaltigkeit geben bzw. die Annäherung an eine Antwort ermöglichen. Wie man sehen wird, ist es dabei manchmal auch notwendig, kleine gedankliche Umwege einzuschlagen.
Einer dieser Umwege ist das Konzept des industriellen Metabolismus (Ayres/Simonis 1994) bzw. des gesellschaftlichen Stoffwechsels (Fischer-Kowalski/Hüttler 2008; Sieferle et al. 2006). Nach dem Konzept des industriellen Metabolismus lassen sich, analog zum Stoffwechsel eines Organismus, die Interaktionen zwischen der Soziosphäre, also dem durch Menschen gestalteten Teil des Planeten, und dem Rest des Erdsystems durch Ressourcenverbrauch (Seite des Inputs) und durch Emissionen beschreiben (Seite des Outputs). Was das konkret heißt, lässt sich am Beispiel der energetischen Basis der industriellen Gegenwartsgesellschaft veranschaulichen: Einerseits sind die fossilen Brennstoffe – vor allem Öl, aber auch Gas und Kohle – auf der Erde begrenzt und gehen bei anhaltendem Verbrauch über kurz oder lang zu Ende (Inputgrenze). Andererseits ist – zumindest wenn ein »gefährlicher Klimawandel« vermieden werden soll – der Deponierraum für den Abfallstoff der fossilen Energieerzeugung, das Kohlendioxid (CO2), ebenfalls limitiert (Outputgrenze). Soll das 2-Grad-Ziel, das in der Klimapolitik als Obergrenze für die Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels gilt, mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln eingehalten werden, bleibt in der Atmosphäre noch Platz für etwa 750 Gigatonnen CO2 (Meinshausen et al. 2009). Bei einer Verbrennung fossiler Energieträger im Modus business as usual dürfte dieser in spätestens 25 Jahren erschöpft sein (ebd.). Genau daraus resultiert der Wunsch, das Wirtschaftswachstum vom Material- bzw. Ressourcenverbrauch auf der einen Seite und von Abfallprodukten und Emissionen auf der anderen Seite zu entkoppeln.
Bevor ich der Frage nachgehen werde, ob eine Entkoppelung dieser beiden Dimensionen von den wirtschaftlichen Aktivitäten möglich ist, soll kurz auf die bisherige Entwicklung des gesellschaftlichen Stoffwechsels im Laufe der Menschheitsgeschichte eingegangen werden. Nach Schätzungen von Fischer-Kowalski und Haberl (1997) hat im Zuge der zivilisatorischen Übergänge von der Jäger- und Sammler- zur Agrargesellschaft (die sogenannte neolithische Revolution) und von der Agrar- zur Industriegesellschaft (die sogenannte industrielle Revolution) der Energie- und Materialinput pro Kopf und Jahr stark zugenommen (siehe Abb. 1).
Energie- und Materialinput pro Kopf und Jahr in verschiedenen Zivilisationsformen (Quelle: WBGU 2011 nach Fischer-Kowalski/Haberl 1997)
Wurden in der Jäger- und Sammlergesellschaft jährlich 10–20 Gigajoule (GJ) Energie pro Kopf benötigt, wuchs der jährliche Bedarf in der Agrargesellschaft auf etwa 65 GJ und in der Industriegesellschaft auf etwa 250 GJ pro Kopf (Fischer-Kowalski/Haberl 1997). Und nicht nur das Ausmaß des Energiebedarfs unterscheidet sich in den verschiedenen Zivilisationsformen, sondern auch die Energiequellen. Während sowohl in der Jäger- und Sammlergesellschaft als auch in der Agrargesellschaft der Energiebedarf überwiegend durch Biomasse (also Nahrung, Futtermittel und Holz) gedeckt wurde, werden im Industriezeitalter verschiedene Energieträger genutzt, darunter vor allem fossile Brennstoffe, weiterhin Biomasse, aber auch Wasserkraft oder Kernenergie. Analog zum Energieverbrauch stieg auch die jährliche Materialnutzung jedes Menschen von ca. 1 auf 4 Tonnen Biomasse mit der neolithischen Revolution und auf 19,5 Tonnen verschiedenste Materialien im Zuge der Industrialisierung (ebd.).
Infolge der beschriebenen zivilisatorischen Veränderungen hat nicht nur der Energie- und Materialverbrauch pro Kopf zugenommen; auch die Anzahl der Menschen ist stark angestiegen: von wenigen Millionen vor ca. 10000 Jahren (Kates 1996) auf 7 Milliarden Menschen heute. Schließlich ist aber mit dem Erreichen der Industriegesellschaft auch diese Entwicklungsdynamik nicht gleich geblieben: Insbesondere seit den 1950er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist ein rasantes Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum und eine starke Zunahme der damit verbundenen menschlichen Aktivitäten zu beobachten. Erdsystemforscher und Umwelthistoriker haben diese noch immer anhaltende Phase auch als »Great Acceleration« (Steffen/Crutzen/McNeill 2007), als die Phase der »großen Beschleunigung« (Mauelshagen/Pfister 2010) bezeichnet. Kennzeichnend für die Phase der großen Beschleunigung ist neben der Beschleunigung des Bevölkerungswachstums die Etablierung und Ausbreitung von Massenproduktion und Massenkonsum und damit ein dynamisch steigendes Wirtschaftswachstum. In Abbildung 2 sind einige Indikatoren bzw. Proxydaten der »Großen Beschleunigung« dargestellt: Der rasante Anstieg des Papierverbrauchs, von McDonald’s Restaurants (der auch als Indikator für Massenkonsum von Rindfleisch gelten kann), des Tourismus, der motorisierten Fahrzeuge etc. Augenfällig bei den dargestellten Entwicklungen ist, dass die Dynamik z.T. früher einsetzt, aber die jeweiligen Kennzahlen erst ab den 1950er Jahren besonders stark ansteigen.
Indikatoren der »Großen Beschleunigung« (Quelle: Steffen et al. 2004)
Wie hat sich diese »große Beschleunigung« auf den gesellschaftlichen Stoffwechsel bzw. das metabolische Niveau ausgewirkt? Zunächst zu den Inputgrenzen des industriellen Metabolismus: In Abbildung 3 ist die Entwicklung der globalen Primärenergienachfrage seit 1800 dargestellt.
Entwicklung der globalen Primärenergienachfrage (Quelle: WBGU 2011: 57)
Es ist zu sehen, dass seit 1800 die weltweite Nachfrage nach Energie stetig zunimmt, ebenfalls beschleunigt seit den 1950er Jahren. Zudem ändert sich – wie bereits oben beschrieben – der Energiemix: Dominiert im 19. Jahrhundert noch die Gewinnung der Energie aus Biomasse, liegt der Anteil fossiler Energieträger am globalen Energiemix im Jahr 2010 bei ca. 85 Prozent. Für die Jahre ab 2010 ist die Entwicklung der Primärenergienachfrage auf Basis eines business as usual-Szenarios fortgeschrieben worden. Die Graphik zeigt auch, dass der Anteil der Kernenergie an der globalen Energieversorgung heute verschwindend klein ist. Würde man – beispielsweise aus Klimaschutzgründen – anstreben, die auf fossilen Brennträgern beruhende Energieerzeugung durch Nuklearenergie zu ersetzen, wäre dies nur durch einen massiven Ausbau der Atomenergie möglich. Das ist aufgrund der hohen Kosten sowie von Proliferations- und anderen Sicherheitsrisiken politisch nicht wahrscheinlich. Auch in Bezug auf den Materialinput hat die »große Beschleunigung« Auswirkungen. Abbildung 4 zeigt, dass sich in den vergangenen 100 Jahren die Entnahme von Ressourcen verachtfacht hat: Heute verbraucht die Menschheit insgesamt etwa 60 Milliarden Tonnen Materialien jährlich.
Direkte Stoffentnahme 1900–2005 (Quelle: Krausmann et al. 2009)
Relevant sind für die Frage nach der Vereinbarkeit von stetigem Wachstum und Nachhaltigkeit neben der absoluten Zunahme des Ressourcenverbrauchs auch die Veränderungen in der Relation der extrahierten Ressourcen: Wurde bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts überwiegend Biomasse genutzt – also Stoffe, die bei einer nachhaltigen Bewirtschaftung erneuerbar sind –, machen 2005 mehr als 80 Prozent der entnommenen Stoffe nicht erneuerbare Ressourcen, wie fossile Brennstoffe oder Erze und industrielle Mineralien, aus. Bei einigen dieser Stoffe – so beim Erdöl oder bestimmten Seltenen Erden – sind die Grenzen des gegenwärtigen sozialen Metabolismus bereits erkennbar.
Und in Bezug auf die Outputseite? Auch hier droht der industrielle Metabolismus planetarische Grenzen zu überschreiten oder hat sie z.T. schon überschritten. Abbildung 5 zeigt die »Planetarischen Grenzen« eines »safe operating space for humanity on earth« (Rockström et al. 2009). Während der vergangenen 10000 Jahre – also in dem Zeitraum, in welchem sich die menschlichen Zivilisationen maßgeblich entwickelt haben – sind bestimmte Parameter des Erdsystems (wie das Klima) weitgehend stabil geblieben. Verursacht durch menschliche Aktivitäten verändern sich in zehn kritischen Bereichen, die hier aufgelistet sind (wie Klimawandel, die Versauerung der Meere, der Abbau der Ozonschicht, Veränderungen des Nitrogen- und Phosphorzyklus), diese Parameter. Der innere Kreis markiert den »safe operating space for humanity on earth«, also die maximalen Grenzen, die einzuhalten sind, wenn man eine gefährliche Schädigung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit verhindern will. Die roten Felder stehen für den bereits heute erreichten Stand in dem jeweiligen Bereich. In drei Subbereichen (Rate des Biodiversitätsverlusts, Klimawandel und menschliche Beeinflussung des Nitrogenzyklusses) sind die Grenzen bereits überschritten.
Planetarische Grenzen (Quelle: nach Rockström et al. 2009)
Auf den Verlust an Biodiversität und den Klimawandel soll im Folgenden kurz eingegangen werden: Bei den gut untersuchten Tier- und Pflanzenarten gelten große Anteile der bekannten Arten als gefährdet oder bereits ausgestorben, so z.B. 22 Prozent der Säugetiere, 14 Prozent der Vögel, 31 Prozent der Amphibien, 28 Prozent der Nadelhölzer und 52 Prozent der Palmfarne (Vié et al. 2008). Waren frühere große Aussterbewellen der Erdgeschichte nichtanthropogenen Ursprungs – so wurde das Aussterben der Dinosaurier vor etwa 65 Millionen Jahren nach heutigem Wissensstand durch den Einschlag eines Meteoriten verursacht –, ist die aktuelle Aussterbewelle auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen. Welche Folgen dieses rasante Verschwinden von Arten für Ökosysteme zeitigt, die auch für Menschen von vitaler Bedeutung sind, ist unklar. Rockström et al. sehen das Zehnfache der natürlichen Rate des Aussterbens als planetarische Grenze, jenseits deren großskalige Systemveränderungen nicht ausgeschlossen werden können. Gegenwärtig ist im Vergleich zum erdgeschichtlichen Durchschnitt die Aussterberate der Tier- und Pflanzenarten hundert- bis tausendfach erhöht (MA 2005).
Beim Klimawandel liegt die planetarische Grenze nach Rockström et al. bei 350 ppm (350 Teilchen Kohlendioxid pro Millionen in der Atmosphäre). Diese Grenze geht auf Forschungen des NASA-Wissenschaftlers James Hansen zurück, der versuchte, den Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre zu bestimmen, bis zu dem sich sogenannte Kipp-Punkte im Klimasystem vermeiden lassen (Hansen et al. 2008). Unter klimatischen Kipp-Punkten (Englisch: »Tipping Points«) werden Feedbackschleifen und Rückkopplungseffekte des Klimasystems verstanden, die einen rapiden Klimawandel auslösen, der sich nicht mehr durch Mitigationsmaßnahmen bremsen lässt und die Anpassungskapazitäten von Gesellschaften zu überfordern droht. Zu diesen Kipp-Punkten zählt beispielsweise das Abschmelzen des arktischen Eisschildes, das ab einem bestimmten Temperaturniveau unaufhaltsam ist. Und wird bei einem graduellen Klimawandel – abhängig von der tatsächlichen Erwärmung – bis zum Ende des Jahrhunderts der Meeresspiegel weltweit zwischen 50 und 150 Zentimeter steigen (Rahmstorf 2007), würde ein vollständiges Abschmelzen des Eisschildes die Meere um 7 Meter steigen lassen (IPCC 2007). Weitere Kipp-Punkte im Klimasystem sind die Abschwächung des Nordatlantikstroms, der Kollaps des Amazonasregenwalds, ein Abbruch der Monsunzirkulation oder die Freisetzung von Methan in Zusammenhang mit dem Verlust von Permafrost. Gegenwärtig liegt die CO2-Konzentration in der Atmosphäre bei etwa 390 ppm (CDIAC 2012), also bereits deutlich über der von Rockström et al. definierten Grenze. Auch das Ziel der internationalen Klimapolitik, die Erderwärmung bei 2 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu bremsen, ist bei einer Fortsetzung des fossilen Wachstumspfads schon bald obsolet: Beim gegenwärtigen Energiemix würden die Emissionen, die aus einer weiteren Zunahme der Energienachfrage resultieren (Abb. 3), bis zum Ende des Jahrhunderts zu einer etwa 5 Grad Celsius wärmeren Welt führen (WBGU 2011: 57).
Um malthusianischen Argumenten – also der Annahme, dass die hier beschriebene Dynamik vor allem eine Folge der »Überbevölkerung« ist – entgegenzuwirken, soll an dieser Stelle das Konzept der IPAT-Identität eingeführt werden, das versucht, den menschlichen Gesamteinfluss auf die globale Umwelt zu erfassen. Der menschliche Einfluss auf die außermenschliche Natur (»I« für »Impact«) ergibt sich danach aus der Multiplikation der Bevölkerungsgröße »P« (für »Population«) mit dem Wohlstand »A« (für »Affluence«, gemessen als Bruttoinlandsprodukt BIP) und dem technischen Fortschritt »T« (gemessen durch die Zahl angemeldeter Patente). In Abbildung 6 ist der menschliche Gesamteinfluss auf die Umwelt durch das Volumen des Quaders visualisiert, das sich aus der Größe der Komponenten »P«, »A« und »T« ergibt.
Komponenten des menschlichen Einflusses auf die globale Umwelt: I = P x A x T (Quelle: Steffen et al. 2011)
Dabei ist wiederum zu sehen, dass bis in die 1950er Jahre des vergangenen Jahrhunderts der anthropogene Einfluss auf die natürliche Umwelt relativ gering war (dargestellt durch das bis 1950 vergleichsweise geringe Quadervolumen) und erst danach stark zunimmt (Stichwort: »Great Acceleration«). Darüber hinaus veranschaulicht die Graphik auch, dass in der Phase von 1900 bis 1950 alle drei Faktoren gleichermaßen zur Vergrößerung des menschlichen Umwelteinflusses beitrugen, danach jedoch der Beitrag des Bevölkerungswachstums im Verhältnis zur Bedeutung des Wirtschaftswachstums und der Technologieentwicklung abgenommen hat. Die Wirtschaft und die Zahl der technischen Innovationen haben proportional stärker zugenommen als die Erdbevölkerung. Kurz: Die Bevölkerungsgröße ist eine wichtige Determinante der anthropogenen Beeinträchtigung der natürlichen Umwelt, in Relation zum Wirtschaftswachstum und zur Technologieentwicklung hat sie jedoch seit den 1950er Jahren an Bedeutung verloren.
Zurück zum Thema der Entkoppelung. Als Fazit der bisherigen Ausführungen kann festgehalten werden, dass für den Übergang zu einem »grünen« oder nachhaltigen Wachstum eine Umkehrung der beschriebenen globalen Trends und die Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom zunehmenden Ressourcenverbrauch sowie steigenden Emissionen notwendig ist; langfristig sogar die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft von Roh- und Wertstoffen. Welche Anzeichen gibt es bislang, dass dies tatsächlich gelingen könnte? Zu beobachten ist eine Entwicklung, die in der Fachliteratur als »relative Entkoppelung« bezeichnet wird. Damit ist gemeint, dass der Ressourcenverbrauch und die Emissionen langsamer wachsen als die Wirtschaftsleistung, dass also die Ressourcenproduktivität pro Einheit BIP steigt und die Emissionenintensität wirtschaftlicher Aktivitäten sinkt. Am Beispiel des globalen Kohlendioxidausstoßes lässt sich diese Entwicklung aufzeigen: So sank der Ausstoß von Kohlendioxid pro globale BIP-Einheit zwischen 1991 und 2007 um 21 Prozent (Fischer/Sommer 2012: 8 nach Dauderstädt 2011). Der Bezug auf die globale Ebene ist bei dieser Betrachtung wichtig, da Untersuchungen, die sich ausschließlich auf OECD-Staaten beziehen, zumeist nur bedingt aussagekräftig sind. Denn dort ist die Entkoppelung nicht zuletzt das Resultat struktureller Verschiebungen, bei denen besonders emissionsintensive Industriezweige (wie die Stahlindustrie) in andere Teile der Welt, etwa China, verlagert worden sind. Relativ fand seit 1990 also auch in globaler Perspektive eine Entkoppelung des ökonomischen Wachstums vom CO2-Ausstoß statt. Nun ist aber im gleichen Zeitraum (also von 1991 bis 2007) das globale durchschnittliche BIP-pro-Kopf um 40 Prozent und die Weltbevölkerung um über 23 Prozent gewachsen. Das Resultat war ein Anstieg des globalen Kohlendioxidausstoßes um insgesamt 37 Prozent (ebd.). Mit anderen Worten, das Wachstum der Weltwirtschaft sowie der Anstieg der Weltbevölkerung haben die Reduzierung des CO2-Ausstoßes pro BIP-Einheit deutlich überkompensiert – und dies in einem Zeitraum, in dem Klimaschutzbemühungen verstärkt an Prominenz gewannen (z.B. durch das 1997 beschlossene Kioto-Protokoll, das völkerrechtlich verbindliche Zielwerte für den Kohlendioxidausstoß vorsieht). Analoge Daten existieren auch für den Ressourcenverbrauch. So wurden im Jahr 2002 global weltweit etwa 25 Prozent weniger Materialinput pro Einheit BIP verbraucht als 1980 (UNEP 2011). Absolut stieg aber auch hier – getrieben vom Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum – der Ressourcenverbrauch stark an (siehe Abb. 4).
Die relative Entkoppelung des Ressourcenverbrauchs und der Emissionen von der Wirtschaftsleistung ist vor allem ein Resultat von Effizienzsteigerungen bei der Produktion in den vergangenen Jahrzehnten. Dafür ist nicht allein die Umweltpolitik verantwortlich, sondern auch der marktwirtschaftliche Wettbewerb. Denn sowohl Materialien als auch Energie sind wichtige Kostenfaktoren, die insbesondere unter Verknappungsbedingungen an Bedeutung gewinnen. Es ist weitgehend unstrittig, dass noch immer enorme Potentiale zur Effizienzsteigerung bei der Energienutzung sowie beim Materialverbrauch bestehen, die zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele auch ausgeschöpft werden müssen (UNEP 2011; WBGU 2011). Weniger Aufmerksamkeit findet hingegen der Umstand, dass auch Entkoppelungspotentiale limitiert sind. Zum einen ist die Steigerung der Effizienz beim Energie- und Ressourcenverbrauch nicht ad infinitum fortschreibbar: Mit zunehmender Optimierung von Produktionsabläufen sinken auch die Potentiale zur Einsparung von Energie und Ressourcen, bis irgendwann – im Idealfall – keine weitere Reduktion des Ressourcen- und Energieverbrauchs möglich ist. Zum anderen werden Effizienzsteigerungen in der Regel von sogenannten Rebound-Effekten begleitet, die Einsparungen zunichtemachen. Grob lassen sich drei Varianten des Rebound-Effekts unterscheiden: (1) der direkte Rebound, (2) der indirekte Rebound und schließlich (3) der gesamtgesellschaftliche Rebound-Effekt.
Zu (1): Beim direkten Rebound lassen sich wiederum zwei Varianten unterscheiden. Zum einen die Variante, dass technische Geräte – beispielsweise ein Kühlschrank, Fernsehgerät oder Auto – zwar effizienter werden, aber vielfach auch größer und dadurch genauso viel oder gar mehr Energie und Ressourcen verbrauchen als ihre weniger effizienten Vorgängermodelle. Dies lässt sich beispielsweise an Kleinwagen wie dem Mini Cooper, dem Käfer oder dem Fiat 500 studieren: Ein Cinquecento der ersten Baureihe (1957 bis 1972) wog zwischen 440 und 552 kg und verbrauchte durchschnittlich etwa 5 l Benzin auf 100 km. Das Modell der zweiten Baureihe (1991 bis 1998) wog bereits 675 bis 773 kg und der Verbrauch lag bei 6 l/100 km. Der aktuelle Fiat 500 (seit 2007) schließlich wiegt etwa eine Tonne und verbraucht 5,4 l auf 100 km. Dies bedeutet, dass für die Herstellung eines Kleinwagens gleichen Typs heute ein Vielfaches an Material aufgewendet wird und der Verbrauch trotz enormer Fortschritte bei der Motorenentwicklung und massiver Steigerung der Effizienz nicht abgenommen hat, sondern gegenüber den Vorläufern sogar leicht erhöht ist. Bei der zweiten Variante des direkten Rebound-Effektes werden durch die Verwendung effizienterer Technologien Energie und damit auch Gelder eingespart, die die Verbraucher dann aber häufig für emissionsintensive Aktivitäten verwenden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Rückzahlung der Heizkosten, die das Resultat einer energetischen Haussanierung ist, für einen Billigflug nach Mallorca ausgegeben wird. Der Verhaltensökonom Richard Thaler (1999) hat in diesem Zusammenhang auch von »Mental Accounting« gesprochen. Damit ist gemeint, dass Konsumenten häufig mentale Konten führen, in denen sie den Konsum in verschiedenen Bereichen gedanklich miteinander verrechnen. Danach entsteht in der Wahrnehmung des Konsumenten beispielsweise durch den Verzehr ökologisch hergestellter Lebensmittel auf dem »mentalen Konto für verursachte Umweltbelastungen« ein Guthaben, das mit umweltbelastendem Konsum in einem anderen Bereich – wie eine Flugreise – »verrechnet« werden kann. Dabei werden regelmäßig die Effekte des umweltbewussten Verhaltens über- und die Effekte des eigenen umweltschädlichen Verhaltens unterschätzt. Zu (2): Unter dem indirekten Rebound-Effekt wird der Mechanismus verstanden, dass durch die Implementierung von Effizienzstrategien der Energie- und Ressourcenverbrauch zwar insgesamt sinkt, die energie- und ressourcenintensiven Aktivitäten aber dadurch günstiger werden und schließlich wieder zunehmen. In Zusammenhang mit internationalen Klimaschutzbemühungen hat der Ökonom Hans-Werner Sinn dieses Phänomen auch als »grünes Paradoxon« (Sinn 2008) beschrieben, bei dem eine verschärfte Klimaschutzpolitik in einem Teil der Welt dazu führt, dass Länder ohne entsprechende Regelungen vergünstigt größere Mengen Kohlenstoff verbrennen können. Der gesamtgesellschaftliche Rebound-Effekt (3) bezieht sich schließlich darauf, dass zwar durch Effizienzsteigerungen die Ressourcen und Emissionen wirtschaftlicher Aktivitäten abnehmen, sie durch direkten und indirekten Rebound-Effekt und die Zunahme der wirtschaftlichen Aktivitäten in der Summe aber ansteigen.
Es sind aber auch gesellschaftliche Entwicklungen zu erkennen, die eine Entkoppelung des Ressourcenverbrauchs sowie des Schadstoffausstoßes vom Wirtschaftswachstum perspektivisch weiter befördern könnten. Welche sind dies? Bereits in den 1970er Jahren konstatierte der US-amerikanische Sozialwissenschaftler Ronald Inglehart (1977) zunächst für die westlichen Gesellschaften eine Zunahme postmaterieller Werthaltungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Darunter versteht Inglehart ein zunehmendes Streben der Individuen nach Selbstverwirklichung, das sich im Ausleben geistiger, schöpferischer und ästhetischer Bedürfnisse ausdrückt, ferner das Bedürfnis nach Mitwirkung in Staat und Gesellschaft sowie die Wertschätzung von Meinungsfreiheit und Toleranz. Auch die Entstehung der Umwelt-, Friedens- und Bürgerrechtsbewegung sind nach der Theorie des Wertewandels Ausdruck dieses zunehmenden Postmaterialismus. Ist diese Entwicklung zunächst für die besonders wohlhabenden und sicheren Gesellschaften des Westens beschrieben und empirisch beobachtet worden, legen die Daten des World Values Survey nahe, dass sie sich – mit graduellen Abstufungen – in den vergangenen 30 Jahren auch in anderen Kulturräumen und letztendlich weltweit vollzogen hat (WBGU 2011: 71ff.). Theoretisch liegen in dieser Entwicklung Potentiale für eine Entkoppelung bzw. die Reduktion des Ressourcen- und Energieverbrauchs. Denn die Postmaterialisten stehen nicht nur einer an Umweltschutz und Nachhaltigkeit orientierten Politik offener gegenüber, sondern sie orientieren sich auch weniger – so zumindest die Theorie – an materiellem Statuskonsum. Aber auch der Postmaterialismus kommt nicht ohne materielle Grundlagen aus: Denn der Wandel der Werte vollzog sich nach Inglehart nicht in einem sozialen Vakuum, sondern korreliert mit einem steigenden Einkommens- und Bildungsniveau der Postmaterialisten, denen es aufgrund ihrer materiellen Ausstattung und größer werdender Zeitbudgets erst möglich ist, freie Zeit mit Partnern, Familie und Freunden zu verbringen, sich der Muße und dem Genuss von Kunst und Kultur hinzugeben und sich in diesen Zusammenhängen als Personen anerkannt und wertgeschätzt zu fühlen.
32011USA2012USA201220122012SUV2012CO-Ausstoß allgemein bekannt sind und die Fahrzeuge dafür öffentlich in der Kritik stehen.