Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

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Basilisken-Presse

Natur & Text in Brandenburg GmbH

Friedensallee 21, 15834 Rangsdorf

Tel.: 033708-20431, Fax: 033708-20433

ISBN 9783941365315

2. Auflage 2011
© Basilisken-Presse 2010

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

Konträre Denkrichtungen ökologischer Politik

In der Debatte über Nachhaltigkeit, Klimaschutz und ökologische Politik droht ein Schisma. Als Schisma wird in der Kirchengeschichte eine fundamentale Spaltung zwischen Glaubensrichtungen bezeichnet, die ehedem unter einem Dach vereint waren, nunmehr aber in wichtigen Grundsatzfragen nicht mehr miteinander auskommen und sich trennen oder gar bekämpfen. In der Nachhaltigkeitsdiskussion, hier verstanden als Auseinandersetzung darüber, wie unsere natürlichen Lebensgrundlagen am besten erhalten und voll funktionsfähig an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden können, stehen sich die Vertreter zweier Denkrichtungen zunehmend argwöhnisch gegenüber: die Effizienzrevolutionäre und Technikoptimisten hier; die Protagonisten der Suffizienz und des Kulturwandels dort.

Die Effizienzanhänger setzen ganz und gar auf die segensreiche Wirkung von Ökotechnik, grünem Wachstum und einem Lebensstil, der sich ressourcenintelligent gibt. Ihr Credo ist die Entfesselung der Produktivkräfte durch Ökoinnovationen. Das schöpferische Vermögen des Kapitalismus soll auf die richtigen Ziele programmiert werden: Erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Elektromobilität und nachhaltige Chemie sind derzeit die Renner im „Green New Deal“, der Genuss ohne Reue verspricht und allerorten Marktchancen erblühen sieht. Von Wachstumsgrenzen, Verzicht und Schrumpfungserfordernissen will man hier nichts mehr hören. Mit so etwas verschrecke man die Menschen nur und werde im politischen Alltag angreifbar. Besser eine positive Botschaft als moralische Appelle, die sowieso nichts bewirkten und wohl auch gar nicht nötig seien, so die gängige Rede im wachsenden Freundeskreis der Effizienzrevolution. Sicher würde man die gute Stimmung hier mit einem alten Spontispruch verderben: „Technologie ist die Antwort! Aber was war noch mal die Frage?“

Dem neuen Technikoptimismus wollen diejenigen nicht ohne weiteres folgen, die die ökologische Krise der modernen Gesellschaft für wesentlich fundamentaler halten als die Effizienzrevolutionäre es tun. Nicht dass sie etwas gegen erneuerbare Energien oder ressourceneffiziente Produkte hätten, sie glauben ganz einfach nicht, dass in einer auf permanentes Wachstum und permanente Produktivitätssteigerung programmierten Ökonomie die notwendigen Entlastungseffekte für die Natur erreicht werden können. Die Empirie haben sie dabei durchaus auf ihrer Seite: Zwar gibt es effizientere Autos, aber immer mehr und größere Autos, effizientere Elektrogeräte, aber immer mehr elektrische Anwendungen, effizientere Heizungen, aber immer mehr zu beheizende Wohnfläche. Kurz: Das, was an Umweltentlastung durch bessere Effizienz gewonnen wird, wird durch Wachstumseffekte wieder aufgezehrt. Das durch bessere Technik eingesparte Geld wird unverzüglich wieder in neue Konsumoptionen und neue Investitionen gesteckt. Die Ökonomen nennen das den Rebound-Effekt. Es ist wie beim Wettrennen von Hase und Igel. Immer ist der Igel schon da – und der heißt Wachstum. Der klimaschädliche Ressourcen- und Energieverbrauch bleibt also trotz technischen Fortschritts unverändert hoch oder steigt sogar an.

Diejenigen, die nicht alles auf technische Innovation und wirtschaftliche Expansion setzen wollen, weil sie einen solchen Weg für aussichtslos und letztlich inhuman halten, plädieren für einen Kulturwandel in Richtung Suffizienz, Genügsamkeit und Maßhalten, für einen Weg des rechten Maßes. Ihr Credo lautet Entrümpelung statt Konsum, Entschlackung statt Wachstum, Entschleunigung statt Innovationswettlauf. Manche von ihnen sprechen gar vom „Ekel vor dem Zuviel“. Weil sie ahnen, dass sie mit einer solchen Haltung schnell in die Ecke der Verzichtsapostel und Miesmacher gestellt werden können, sind die Anhänger einer Suffizienzkultur sicher froh darüber, dass ihnen die Wohlfahrtsforschung und die Glücksforschung seit geraumer Zeit starke Argumente liefern und ihnen so zur Seite springen.

Da, wo der Zusammenhang zwischen Bruttoinlandsprodukt und gesellschaftlicher Wohlfahrt beziehungsweise individuellem Glück systematisch untersucht wurde, zeigt sich etwas, das einem eigentlich schon der gesunde Menschenverstand sagt: Jenseits eines bestimmten Einkommens, das die Grundbedürfnisse befriedigt und gar nicht sonderlich hoch liegt, gibt es keinen Zusammenhang mehr zwischen Geld und Glück. Kurz: Unserer Zufriedenheit, die sich bekanntermaßen in besonderer Weise aus Gesundheit, Lieben und geliebt werden, Genussfähigkeit, Freundschaft, Gemeinschaft, sinnvoller Tätigkeit und Muße speist, tut das stete Streben nach „Immer Mehr“ gar nicht gut. Im Gegenteil: Je mehr Aufwand man betreiben muss, um das Erreichte zusammenzuhalten und Neues hinzuzugewinnen, desto mehr fehlt die Zeit für Dinge, die einem wirklich wichtig sind. Wachsender Güterwohlstand wird nicht selten durch schrumpfenden Zeitwohlstand entwertet. So wird der Konsum kompensatorisch, der vergebliche Versuch, eine Lücke zu schließen, die so gar nicht zu schließen ist. Auch die Tatsache, dass das „Burnout-Syndrom“ als Erschöpfungstendenz auf dem Weg zur Volkskrankheit ist, wird von vielen als Indiz für eine notwendige Entschleunigung begriffen.

Zunehmend in den Blick der Wohlfahrts- und Glücksforschung gerät, dass Einkommen nicht nur eine absolute Kategorie ist, sondern auch eine relative. Viele Menschen messen ihren Wohlstand nicht nur daran, was sie selbst haben und sich leisten können, sondern auch daran, was sie im Verhältnis zum Mitmenschen haben. In Gesellschaften mit hohen Einkommensdisparitäten, so zeigen diverse Studien, ist das Potenzial für gesellschaftliche und individuelle Unzufriedenheit deshalb deutlich größer als in eher egalitären Gesellschaften, in denen der Unterschied zwischen „Unten“ und „Oben“ nicht sehr groß ist. In Gesellschaften mit sehr großen Einkommensunterschieden ist der Wachstumsdruck denn auch deutlich höher, weil die Orientierung und das „mimetische Begehren“ sich stets auf die „da oben“ richten.

Vielleicht ließe sich vereinfacht sagen, dass die saturierten Industriegesellschaften im Durchschnitt erstaunlich wenig Zufriedenheit und Glück aus jeder zusätzlichen Einheit Sozialprodukt herausholen. Ökonomisch gesprochen: Jenseits eines bestimmten materiellen Niveaus gibt es offenbar einen abnehmenden Grenznutzen von zusätzlichem Einkommen, der möglicherweise sogar negativ werden kann.

Ist es also für „Grüne“ eine vernünftige Strategie, die Wachstums- und Lebensstilfrage zu umschiffen und alles auf den „Green New Deal“ zu setzen, nur um sich nicht angreifbar zu machen? Oder gilt nicht doch die alte Erkenntnis, dass man mit den Grundorientierungen, die in die ökologische Krise hinein geführt haben, also ständiges Wirtschaftswachstum, permanente Produktivitätssteigerung, unentwegte Beschleunigung des technischen Fortschritts und gesellschaftliche Befriedung durch „Mehr Konsum für alle“, nicht aus ihr herausfinden kann – selbst dann nicht, wenn diese Grundorientierungen „grün“ umdeklariert werden?

Nähern wir uns der Antwort auf diese Fragen zunächst dadurch an, dass wir die Größenordnung der Veränderungsnotwendigkeiten taxieren. Zieht man die Ergebnisse der Forschung über Klimawandel, biologische Vielfalt, Böden, Meere, erneuerbare und nicht-erneuerbare Ressourcen sowie Umweltverschmutzung heran, dann kann festgehalten werden, dass die Menschheit schon heute weit über ihre Verhältnisse lebt, vor allem der Teil, der der globalen Konsumentenklasse zugeordnet werden kann. Als markantestes Beispiel hierfür lässt sich das Kohlendioxid (CO2) nennen, das insbesondere bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas entsteht. Sein Ausstoß muss bis spätestens 2050 weltweit um zwei Drittel und in den Industrieländern um neun Zehntel gesenkt werden, damit der Temperaturanstieg so begrenzt werden kann, dass wir uns vielleicht noch an ihn anpassen können.

Fröre man (als kleines Gedankenexperiment) das Weltsozialprodukt und die Weltbevölkerung auf heutigem Niveau ein, müsste man also bei den CO2