Vorwort

Dies ist ein interaktives Buch, nicht etwa weil es einen Touchscreen hätte, sondern weil es auf die Argumente anderer eingeht. Es fußt auf meinem Essay „Abschied vom Wachstumszwang. Konturen einer Politik der Mäßigung“, der in erster Auflage im November 2010 erschienen ist und an Resonanz weit über meine eigenen Erwartungen hinausging. Die dort entwickelten Thesen habe ich seither auf Dutzenden von Veranstaltungen vorgetragen; sie wurden diskutiert, kritisiert und rezensiert, weshalb ich glaube, dass es für den Fortgang der wachstumspolitischen Debatte von Nutzen sein könnte, all die Argumentationsfiguren, die mir begegnet sind, aufzunehmen und ihnen nun meinerseits argumentativ zu begegnen.

Die Wachstumsfrage ist hochkontrovers. Auf der einen Seite stehen diejenigen, denen permanentes Wirtschaftswachstum als unverzichtbare Voraussetzung für das Gelingen unseres Gemeinwesens gilt und die die Gefahr sehen, dass ein Wegbleiben desselben ökonomische Krisen und soziale Verwerfungen ungeahnten Ausmaßes mit sich bringen könnte. Man darf annehmen, dass sie einstweilen in der Mehrheit sind. Auf der anderen Seite des Spektrums werden vor allem die Grenzen des Wachstums hervorgehoben: die ökologischen Grenzen, die sozialen Grenzen, die kulturellen Grenzen. Eine Gesellschaftsform, so die Gegenthese, deren Funktionieren nur beim Erreichen ständigen Wirtschaftswachstums sichergestellt sei, könne nicht zukunftsfähig, nicht nachhaltig sein.

In dieser Situation glauben manche, man könne die Kontroverse leicht überwinden: Wenn die These „Wachstum“ laute und die Gegenthese „Nachhaltigkeit“, dann könne die Synthese ja eigentlich nur „Nachhaltiges Wachstum“ oder „Grünes Wachstum“ heißen. So etwas wird natürlich überall gern gehört, in Politik und Wirtschaft, an Börsen und in Zeitungsredaktionen. Nun ist es ja unzweifelhaft richtig, dass der ökologische Strukturwandel enorme wirtschaftliche Chancen bietet, die unbedingt genutzt werden sollten, gerade im Hochtechnologieland Deutschland. In den Entwicklungsländern wäre es sogar fatal, wenn das demographisch und ökonomisch getriebene Wachstum nicht mit den besten verfügbaren Technologien bewerkstelligt würde. Würden sie sich so energie- und ressourcenintensiv entwickeln wie wir es im Zuge unserer Industrialisierung getan haben, wäre das der sichere Weg in den Kollaps.

Im hier vorgelegten Text soll gezeigt werden, dass es vielleicht doch etwas zu bequem ist, Nachhaltigkeit und Dauerwachstum vorschnell zu versöhnen. Bei aller Liebe zu technischen Innovationen, ohne die es nicht geht, so meine These, müssen wir grundsätzlicher an die Frage nach dem Zusammenhang von nachhaltiger Entwicklung und wirtschaftlichem Wachstum herangehen als letzteres nur „begrünen“ zu wollen. Es geht eben auch um soziale, kulturelle und politische Innovationen, die Wachstumsdruck von Gesellschaft und Wirtschaft nehmen, weil ansonsten alle technischen Effizienzgewinne, die die Umwelt entlasten könnten, vom Wirtschaftswachstum wieder aufgefressen werden.

Vor vordergründiger Harmonie soll also hier gewarnt werden. Das heißt aber keineswegs, dass wir in Sachen Wachstum nicht vor einer großen gesellschaftlichen und transnationalen Verständigungsaufgabe stünden. Allein konfrontativ wird man der Wachstumsfrage eben auch nicht gerecht. Konsense in dieser Angelegenheit erscheinen im Moment zwar wie Zukunftsmusik. Aber auch in der Energiedebatte, die über drei Jahrzehnte extrem aufgeladen war, ist unsere Gesellschaft nun – zumindest auf dem Papier – auf einen Gemeinschaftspfad eingeschwenkt, der wohl noch Streit im Detail bereit hält, nicht aber im Grundsätzlichen. Warum sollte das nicht auch in der Wachstumsdebatte gelingen?

In zahlreichen Diskussionen zwischen Berlin und Brüssel, Bremen und Bremerhaven, Dessau und Wuppertal haben mich viele Menschen inspiriert. Wichtige Impulse erhielt ich von Liesbeth Bakker, Thea Dückert, Sven Giegold, Friederike Habermann, Renate Heitmann, Silke Helfrich, Hans Koschnick, Kora Kristof, Otto Lamotte, Matthias Machnig, Zarah Mohammadzadeh, Michael Müller, Niko Paech, Tilman Santarius, Uwe Schneidewind und Claude Turmes. Ihnen und vielen anderen gilt mein Dank. Ich glaube in der Tat, dass man letztlich nur im Gedankenaustausch weiterkommt, so wichtig die Studierstube und die Abgeschiedenheit des Schreibenden auch sind.

Ganz besonderen Dank schulde ich denen, die diesen oder den Vorläufertext kritisch gegengelesen und vor Erscheinen mit mir diskutiert haben, insbesondere Elmar Altvater, Christoph Bals, Lukas Beckmann, Hans-Christoph Binswanger, Judith C. Enders, Hans Nutzinger, Reinhard Ueberhorst, Otto Ulrich sowie die Mitglieder meiner Familie. Vor allem meinen Kindern hoffe ich durch das Stellen höchst strittiger Fragen („Würden Schuluniformen nicht vielleicht doch gegen ruinösen Markenwettbewerb auf dem Schulhof helfen? Würde das generelle Verbot von Unterhaltungselektronik in der Schule nicht gut sein für die Konzentration aufs Wesentliche?“) nicht zur Last gefallen zu sein. Ihrer und meiner Diskussionsfreude hat das Ganze jedenfalls gutgetan.

Ganz ungeachtet der wunderbaren Unterstützung, die mir zuteil wurde, bin ich für den Inhalt des Textes inklusive möglicher Fehler natürlich ganz und gar allein verantwortlich.

Reinhard Loske, im März 2012

Zur Notwendigkeit schärferer Argumente –
Eine Vorbemerkung

In den letzten Jahren sind in deutscher Sprache verschiedene Bücher erschienen, die sich kritisch mit der Philosophie permanenten Wirtschaftswachstums auseinandersetzen, meist aus ökologischer Perspektive verfasst, nicht selten aber auch aus kulturwissenschaftlicher Sicht. Beispielhaft genannt seien hier „Vorwärts zur Mäßigung“ von Hans Christoph Binswanger (2009), „Exit. Wohlstand ohne Wachstum“ von Meinhard Miegel (2010), „Postwachstumsgesellschaft“ von Irmi Seidl und Angelika Zahrnt (2010), „Abschied vom Wachstumszwang“ aus meiner Feder (Erstauflage 2010), „Wohlstand ohne Wachstum“ von Tim Jackson (englisch 2009, deutsch 2011), „Immer mehr ist nicht genug“ von Petra Pinzler (2011), „Mentale Infrastrukturen. Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam“ von Harald Welzer (2011) sowie „Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“ von Niko Paech (2012).

Zugleich lässt sich ein deutlich erhöhtes Interesse der Medien am Wachstumsdiskurs feststellen. Manche sprechen angesichts der vielen Geschichten über die Protagonisten und Praktiken der Postwachstumsidee bereits von einer „Konjunktur“ des Themas. Ältere Zeitgenossen wiederum sehen – im Rückblick auf den „Club of Rome“-Bericht über die „Grenzen des Wachstums“ von 1972 – die „Renaissance“ einer zwischenzeitlich verschütteten Debatte. Jedenfalls kann über publizistische Aufmerksamkeit nicht geklagt werden, oft mit durchaus wohlwollender Grundhaltung gegenüber den Argumenten der Wachstumsskeptiker.

Im Internet sind die Themen Postwachstumsgesellschaft, De-Growth oder Decroissance heute hochpräsent. Es wird gebloggt und diskutiert, was das Zeug hält.1 Dabei reicht das Spektrum der Internetseiten von der globalisierungskritischen Bewegung2 bis hin zum eher wertkonservativ orientierten „Denkwerk Zukunft“.3 Immer öfter finden sich auch Seiten, die nicht bei der Kritik stehen bleiben, sondern soziale Innovationen als lebbare Alternativen zum vorherrschenden Wachstumsparadigma und seiner einseitigen Technikorientierung präsentieren.4

Dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft als Hüterin der wissenschaftlichen Ratio an der Universität Jena seit kurzem ein „Kolleg Postwachstumsgesellschaften“5 finanziert, war noch vor wenigen Jahren so schwer vorstellbar wie es heute die Unterstützung von wachstumskritischen Initiativen durch Großunternehmen ist. Doch auch hier kommt es zu ersten „Lockerungsübungen“, etwa wenn der frühere Vorstandssprecher eines großen Handelskonzerns wachstums-kritische Seminare für Führungskräfte aus der Wirtschaft anbietet.6 Bis sich aktive Konzernlenker so etwas trauen, wird aber wohl noch einige Zeit ins Land gehen.

In den Kirchen nimmt die kritische Wachstums- und Lebensstildebatte schon seit geraumer Zeit einen ebenso selbstverständlichen Platz ein wie in der Umweltbewegung, auch wenn sie nur selten systematisch betrieben wird, sondern eher aus einer Intuition heraus, einem Empfinden von Verantwortung für die Mit- und Nachwelt, einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und das „rechte Maß“. Mit viel Wohlwollen lassen sich gar jüngere Entwicklungen in der Gewerkschaftsbewegung als vorsichtige Öffnung gegenüber eher immateriellen Werthaltungen deuten. Wenn etwa die Industriegewerkschaft Metall ihren Gewerkschaftstag 2011 unter das Motto „Gemeinsam für ein gutes Leben“ stellt, dann klingt darin eine lange nicht gehörte Saite an, die sich in der Mischung aus Solidarität und Qualität deutlich vom Sound ihrer Tarifpolitik abhebt.

Selbst in der Politik,7 neben Wirtschaftsverbänden und Wirtschaftsforschung nach wie vor die Hauptbastion gegen wachstumsskeptisches Denken, zeigen sich erste Haarrisse. Dass der ehemalige Bundespräsident Köhler 2009 die Maßlosigkeit in Teilen unserer Gesellschaft als nicht zukunftsfähig kritisierte oder der amtierende Bundesfinanzminister Schäuble 2011 Wachstumsbegrenzung in den Industrieländern immerhin für erwägenswert hielt, mag man noch als Sonntagsreden abtun, die sich realpolitisch kaum niederschlagen. Dass der Deutsche Bundestag 2011 aber eine eigene Enquete-Kommission zum Thema „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“8 eingerichtet hat, die sich immerhin mit der Frage beschäftigen soll, ob Deutschland nicht auch mit geringeren Wachstumsraten funktionieren könne, lässt sich durchaus als Indiz für eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber Zweifeln am Sinn immerwährenden Wachstums deuten. Was dabei herauskommt, wird man sehen.

Lässt sich also die Behauptung aufstellen, das Thema Wachstumskritik sei auf dem Weg von der Peripherie ins Zentrum, von der Exotik zum neuen Mainstream? Das wäre wohl nicht zutreffend. Im Gegenteil droht sich im Schatten der Finanz- und Eurokrise eine neue Wachstumsgläubigkeit zu etablieren, die keine Zweifel mehr kennt und das „Herauswachsen aus der Krise“ für alternativlos hält. Politisch gerungen wird im Moment denn auch vor allem um die besten Mittel zur Erreichung von Wachstum, gerne auch „grünem Wachstum“, auch darum, wie die Verteilung des Mehrprodukts möglichst gerecht und konjunkturfördernd gestaltet werden kann, kaum aber um das Wachstumsziel selbst.

Unter denjenigen, die sich kritisch mit der Wachstumsfrage auseinandersetzen, sollte ob dieser Tendenz aber keine Verzagtheit ausbrechen. Das Klagen darüber, dass Wirtschaftsfragen Umweltfragen wieder einmal von der Tagesordnung drängen, ist so alt wie die moderne Ökologiebewegung selbst. Joachim Radkau hat das (und vieles mehr) in seiner beeindruckenden „Ära der Ökologie“ (2011) präzise beschrieben. Das Lamentieren bringt nicht viel. Und es trifft ja auch nicht durchweg zu, denn das Nebeneinander von anhaltenden Fehlentwicklungen und nachhaltigen Verbesserungen gehört gerade zu den Wesensmerkmalen unserer Zeit, die es wohl noch eine Weile auszuhalten gilt. Ohne einen Schuss Gelassenheit und Ironie geht das nicht, wie Fred Luks in seinem Buch „Endlich im Endlichen“ (2010) so treffend beschrieben hat.

Was heute nottut, ist eine weitere Schärfung der eigenen Argumente, ein besseres Erklären der Alternativen zum Wachstumszwang und vor allem das Werben dafür. Nichts dient der nachhaltigen Entwicklung zuhause und in der Welt mehr als das glaubhafte Aufzeigen von Wegen, wie wir mit deutlich weniger Ressourcenverbrauch den Zielen Lebensqualität, gesellschaftlicher Zusammenhalt und ökonomische Vitalität näher kommen können. Es mag sein, dass sich die Entwicklungen evolutionär vollziehen, dass aus guten Beispielen der neue Mainstream wird, aus Inseln der Nachhaltigkeit ganze Kontinente entstehen und sich die Welt dann insgesamt ändert. Es kann aber auch sein, dass erst krisenhafte Zuspitzungen den Boden für einen neuen Weg bereiten. Wir wissen es nicht.

Für beide Fälle aber, den erhofften Pfad der friedlichen und vernunftgemäßen Transformation und den zu befürchtenden Pfad der zwangsweisen Anpassung an krisenhafte Umstände, brauchen wir eben jene sozialen Innovationen, die uns befähigen, mit weniger auszukommen. Ob wir als Einzelne oder als Gesellschaft aus einem solchen „Weniger“ an Ressourcenverbrauch ein „Mehr“ an Zufriedenheit ziehen oder uns das Leben dann ärmer vorkommt, auch das kann niemand wissen, kein Prophet, kein Wissenschaftler, kein Politiker. Es ist der einzelne Mensch, auf den es letztlich ankommt, seine Weltsicht, seine Haltung, seine Zuversicht.

Vielleicht wird es so sein, dass wir in der Retrospektive die Jahre 2008 und folgende mit ihrer Kumulation von Krisen als die Zeit verstehen werden, in der die „Grenzen des Wachstums“ global von einer theoretischen Debatte zu einer praktischen Erfahrung zu werden begannen. Ob Klimawandel oder explodierende Energie- und Rohstoffpreise, ob Hungerkatastrophen oder Verschuldungskrisen, es spricht viel dafür, dass der innere Zusammenhang dieser Krisenphänomene in der Nichtbeachtung von ökologischen und sozialen Grenzen liegt.

Der Anforderung, die eigenen Argumente zu schärfen, kann man am ehesten dadurch gerecht werden, dass man sich mit den Gegenargumenten auseinandersetzt, mit den insgeheim vielleicht sogar geteilten, aber auch mit denen, die einem fremd oder gar absurd vorkommen. Dieser Übung will ich mich hier nach besten Kräften unterziehen. Seit mein Essay „Abschied vom Wachstumszwang. Konturen einer Politik der Mäßigung“ im November 2010 erschienen ist, hat es hierzu landauf, landab mehrere Dutzend Lesungen, Vorträge, Gesprächsrunden, Podiumsdiskussionen, Interviews und Rezensionen gegeben. Dass mir und meinen Thesen dabei viel Zuspruch zuteil geworden ist, hat mich gefreut und ermutigt,9 ist aber hier nicht das Thema. Es soll um die Argumente gehen, die mir entgegengehalten wurden, die wohlmeinenden wie die ablehnenden.

1. Auf den Verzichtsbegriff verzichten?

Häufig hört man die These, dass die Auseinandersetzung mit den Protagonisten der herkömmlichen Wachstums-ideologie – wenn überhaupt – nur zu gewinnen sei, wenn auf das böse „V-Wort“ verzichtet werde. Statt über Verzicht und Einschränkung zu reden, solle besser die befreiende Wirkung gepriesen werden, die das Abwerfen von Wohlstandsballast bei denjenigen auslöst, die sich trauen und ihre Aufmerksamkeit auf das Wesentliche richten. Es sei doch gar kein Verlust, auf Fleisch aus Massentierhaltung, auf Atomstrom, Energieverschwendung, Autobahnstaus, Billigflüge oder Plastiktüten zu verzichten und statt dessen bessere Alternativen wie vegetarische Lebensmittel, gelegentlich Biofleisch, Solarstrom, effiziente Häuser und Geräte, Bahn, Naherholung und Baumwolltasche zu wählen, vielmehr ein Gewinn: an Lebensqualität, gutem Gefühl, gutem Gewissen, guter Umweltbilanz und Zeitwohlstand. Kurzum: Man dürfe die Menschen mit moralisch aufgeladener Verzichtsrhetorik nicht unnötig verschrecken, sondern müsse die Vorzüge eines nachhaltigen Lebensstils nur hinreichend bunt und freudvoll darlegen.10 So könne der Umstieg von verschwenderischen Lebensweisen auf postmaterielle Werthaltungen inklusive effizienter Ressourcennutzung viel besser gelingen.

Noch einen Schritt weiter gehen diejenigen, die die Ideen-welt von Verzicht und Begrenzung nicht nur kritisch sehen, sondern dezidiert den Begriff der gewollten Verschwendung (nicht Vergeudung!) dagegensetzen – und zwar interessanterweise aus einer sozial-ökologisch inspirierten Perspektive. So plädiert Renate Heitmann, Kulturwissenschaftlerin und Chefin der Bremer Shakespeare Company, in einem Essay dafür, besser davon zu reden, „warum und wofür wir uns verschwenden sollten“. Die Natur selbst sei doch verschwenderisch, wofür jede blühende Sommerwiese mit ihrer betörenden Pracht ein Beweis sei. Ein nachhaltiger Kulturwandel lasse sich deshalb nicht als bloßes Reduktionsszenario entwickeln, sondern brauche die stimulierende Kraft von Verschwendung, Entgrenzung und Transformation. Ihr Appell an Politiker, Publikum, Mitbürger und Kollegen lautet deshalb: „Genug ist nicht genug, verschwendet Eure Fantasie für neue Ideen. Eine bessere Welt ist nicht so einfach zu haben – schon gar nicht ohne künstlerische und ästhetische Positionen.“11

Ganz ähnlich fragt Michael Jäger nach der kulturellen Dimension der Wachstumskritik: „Das Kulturelle wird meist übersehen. Wenn uns Verzicht gepredigt wird, pflegen sich ärgerlichste Assoziationen einzustellen. Ist das nicht, als hätten wir einen Krieg verloren?“ Und er kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: „Mehr selbst zu sein (statt zu konsumieren, RL), ist natürlich Gewinn, nicht Verzicht. Und damit ist die gängige Debatte auf den Kopf gestellt. Das zu begreifen wäre der Kulturwandel.“12

Auch hier also: Skepsis gegenüber Verzichtsrhetorik. Sicher würde es Heitmann und Jäger besser gefallen haben, wenn meine Thesen nicht den Titel „Abschied vom Wachstumszwang. Konturen einer Politik der Mäßigung“ getragen hätten, sondern „Befreiung vom Wachstumszwang. Konturen einer Politik der kulturellen Vielfalt“. Doch wäre das richtig?

In meinem Text selbst habe ich das Thema Verzicht gar nicht groß behandelt, sehr wohl aber formuliert: „Mag sein, dass uns die notwendige Transformation, wenn wir (oder unsere Nachfahren) sie denn einst bewältigt haben sollten, in der Rückschau gar nicht so mühsam und verlustreich erscheint. Sie jetzt als Spaziergang zu beschreiben, ist einfach falsch.“ Einige Rezensenten haben gerade diesen Gedanken und die darin zum Ausdruck kommende Betonung der „Anstrengung“ als notwendig bezeichnet. So schreibt Harald Welzer: „Es ist wohltuend, dass dieses Projekt nicht als eines skizziert (wird), das mühelos und ohne das Verlassen der Komfortzone möglich ist, in der wir uns so ängstlich wie behaglich eingerichtet haben.“13 Und bei Rupert Neudeck heißt es hierzu kurz und knapp: „Volkstümlich gesagt, es muss gespart werden.“14

Was ist also dran an der Haltung, eine zu starke Betonung von Mäßigungs-, Spar- oder Verzichtsaspekten verschrecke die Bevölkerung nur unnötig und verstelle den Blick auf die eigentlich viel wichtigere Frage, wie denn die notwendige Kreativität zu entfesseln sei, um den Wandel in Richtung Nachhaltigkeit zu bewerkstelligen?

Vielleicht sollte zunächst einmal unterschieden werden zwischen inhaltlichen und kommunikativen Fragen. Inhaltlich, und das ist ja die Kernthese der Nachhaltigkeitsdebatte, müssen wir in den Industriestaaten unseren Nutzungsdruck auf die Naturgüter über kurz oder lang um einen Faktor 10 reduzieren. Das sind gewaltige Größenordnungen, die da in den nächsten drei bis vier Dekaden erreicht werden müssen, wollen wir den Kollaps verhindern. Dass das ohne Sparen und Verzicht auf Gewohntes gelingen könnte, ist bei aller Liebe zum technischen Fortschritt eher Wunschdenken als Realismus.

Kommunikativ lässt sich der Kritik aber durchaus eine Menge abgewinnen. Falsch ist es meines Erachtens, Tatsachen zu verschweigen, weil man „die Menschen“ damit nur unnötig verschrecke und sich selbst der Gefahr aussetze, als „Verzichtsapostel“ gebrandmarkt zu werden. Solch hasenfüßige Vorsicht ist gar nicht nötig. „Die Menschen“, wer immer das genau sein mag, können mit Einsehbarem meist besser umgehen, als viele in der Politik und den Medien ihnen das zutrauen (wenn es denn gerecht zugeht, aber dazu später). Richtig an der Kritik ist aber, dass es Sinn macht, die notwendigen Veränderungen nicht primär als Zumutung, sondern als Chance zu beschreiben, als Herausforderung, an der man wachsen kann, als etwas, das – vor allem, wenn man es gemeinschaftlich tut – Spaß machen kann und alles andere als öde ist, kurz: als etwas, das die individuelle und soziale Kreativität fördert und (heraus)fordert.

Insofern ist hier ein Punkt getroffen, der viel Wahres hat. Ohne Zuversicht und Lösungswillen geht es nicht. Das unterscheidet die „neue Wachstumsdebatte“, in deren Zentrum soziale Innovationen stehen, ja auch von der „alten Wachstumsdebatte“ der siebziger Jahre, in der allzu oft kulturpessimistische Töne überwogen.15

Vielleicht sei aber der Hinweis erlaubt, dass eine stets um positives Image bemühte Darstellung von nachhaltigen Lebensstilen, in der alles nur wunderbar und prickelnd ist, in der es weder Schmerz noch Anstrengung gibt, auch etwas ungemein Steriles und (Öko-)Spießiges hat. Ich selbst mag all diese Ratgeber, in denen 111 oder mehr fröhliche Alltagstipps zur Rettung der Welt gegeben werden, kaum noch lesen.

2. Besser nur von Fortschritt reden?

Dass das Fortschrittsparadigma ganz tief in unsere westliche Kultur eingeschrieben ist, lässt sich kaum bestreiten. Das betrifft den technischen wie den wirtschaftlichen Fortschritt, den sozialen wie den kulturellen. Auch wenn der Stern des Fortschritts, des Versprechens auf eine immer bessere Zukunft, wegen seiner dunklen Seiten im Westen nicht mehr ganz so hell erstrahlt wie ehedem, so leitet er die meisten von uns doch noch immer, auf jeden Fall aber die Politik. Und betrachtet man die Welt als Ganzes, schaut auch nach Süden und nach Osten, so lässt sich sogar sagen, dass wir – trotz aller Krisen und Probleme – im Moment ein regelrechtes Hoch an Fortschrittshoffnungen erleben. Alle wollen wachsen, entweder um aufzuholen, nachzuholen, sich zu erholen oder zu behaupten. Ein Ökonomiestudent brachte es auf einer der Diskussionsveranstaltungen zu meinem Buch sinngemäß wie folgt auf den Punkt: „Wenn Wachstum Fortschritt bedeutet, dann bedeutet kein Wachstum Stillstand oder gar Rückschritt.“