Torsten Heim

Thomas Weinkauf

Frank Schneider

Toto & Harry. Bin ich jetzt schuld?

Die größten Irrtümer und Missverständnisse mit der Polizei

Vorwort

Jedem Festgenommenen müssen seine Rechte vorgelesen werden. Ein Verdächtiger hat genau einen Anruf frei.

Ich darf auf meinem eigenen Balkon grillen, wie ich will.

Barfuß darf ich nicht Auto fahren. TÜV und AU darf ich bis zu zwei Monaten straffrei überziehen. Kennzeichenabdeckungen gegen Verschmutzung sind zulässig.

Das Bierglas muss nicht genau bis zum Eichstrich voll sein.

Bin ich jetzt schuld? Zum Beweis müssen die Autos stehenbleiben. Ein jeder Unfall muss durch die Polizei aufgenommen werden.

Wenn die Hure schlecht war, bekomme ich mein Geld zurück.

Ich bin zu blau zum Autofahren, aber mit dem Fahrrad fahren ist erlaubt.

Ich hatte das Messer nur in der Tasche, das ist doch nicht strafbar.

Ein Polizist darf nie eine Frau und eine Polizistin nie einen Mann durchsuchen.

Ohne Durchsuchungsbefehl kommt in meine Wohnung keiner rein.

Ohne Durchsuchungsbefehl kommt auch in meine Wohnung keiner rein.

Das ist doch nur für meinen Eigenbedarf.

Ich habe unter 0,5 Promille, also kann mir nichts passieren.

Die eheliche Pflicht zum Sex mit meinem Partner gibt es nicht.

Ist doch meine Sache, ob ich mein Auto abschließe.

Vom Sperrmüll darf man alles mitnehmen oder einfach etwas dazustellen.

Auf deutschen Straßen darf ich so langsam fahren, wie ich möchte, und Rechtsüberholen ist immer verboten.

Mundraub ist nicht strafbar!

Münzen sind auch Geld, die müssen angenommen werden.

Eltern haften für ihre Kinder.

Wer auf Autobahnen die linke Spur befährt und die Lichthupe betätigt, um zu überholen, begeht eine Nötigung. Bei einer dreispurigen Autobahn ist der rechte Fahrstreifen nur für Laster gedacht.

Nur Polizisten dürfen jemanden festnehmen.

Was ich finde, darf ich auch behalten.

Wenn ein anderer vor meiner Garage parkt, wird er sofort von der Polizei abgeschleppt!

Mein Hund tut nichts, deshalb muss ich ihn auch nicht anleinen.

Mein Beifahrer darf eine Parklücke für mich frei halten. Parklücken wegschnappen ist verboten.

Kinder müssen mit dem Fahrrad immer auf dem Radweg fahren. Radfahrer neben der Fahrbahn haben keine Vorfahrt. An Zebrastreifen haben auch fahrende Radfahrer Vorfahrt.

Auf Parkplätzen und in Parkhäusern gilt die Regel «rechts vor links».

Taxifahrer können Kurzstrecken ablehnen, und der Fahrgast muss immer das erste Taxi in der Warteschlange nehmen.

Bei einem Parkrempler muss ich nicht auf den Fahrzeughalter warten, da reicht ein Zettel an der Windschutzscheibe.

Ich hab mir den Überfall bloß ausgedacht, ist doch nicht schlimm.

Die Polizei darf mich nur einsperren, wenn ich eine Straftat begangen habe.

Ich habe den Nachbarn Bescheid gesagt, da darf’s doch mal ein bisschen lauter werden.

Spannen wird streng bestraft!

Nachwort

Dank

Vorwort

Bin ich schuld?» – «Was habe ich nur falsch gemacht?» – «Warum sprechen Sie denn ausgerechnet mich an?» – «Dürfen Sie das überhaupt?»

So lauten die ständig wiederkehrenden Fragen, die Bürger mit schöner Regelmäßigkeit an uns Polizisten richten. Besonders dann, wenn wir gerade mit der Aufnahme eines Verkehrsunfalls beschäftigt sind, einen Menschen auf der Straße kontrollieren wollen oder einfach nur dem Hinweis eines Zeugen nachgehen müssen.

Unsere Antworten fallen natürlich meist verschieden aus, aber im Kern geht es so gut wie immer um das gleiche Thema: Viele Menschen meinen, sie hätten aus dem Fernsehen, vom Nachbarn oder aus dem Internet erfahren, was Polizisten in ihrem Job eigentlich tun dürfen, müssen und sollen – und natürlich ganz besonders, was Polizisten alles nicht dürfen. Das Problem dabei ist Folgendes: Im berühmten Volksmund halten sich nicht nur viele Irrtümer und Missverständnisse über die Arbeit der Polizei, sondern auch solche über die Rechte und Pflichten der Beamten ebenso wie über die Rechte und Pflichten der Bürger.

Beispielsweise klären wir Polizisten eben nicht die Frage der Schuld bei einem Unfall, sondern können nach Abwägung aller Angaben und Spuren lediglich feststellen, welcher Autofahrer der Hauptverursacher eines Verkehrsunfalls ist. Wir gehen also der Frage nach dem Verursacher und nicht nach dem Schuldigen auf den Grund. Das Urteil spricht im Streitfall später ein Richter. Wobei wir fairerweise zugeben müssen, dass der Verursacher in den meisten Fällen auch die Hauptschuld am Unfall trägt. Trotzdem gibt es immer wieder die berühmt-berüchtigten Ausnahmen, wie Sie in diesem Buch gleich noch erfahren werden.

Selbst für uns ist es manchmal schwer, im verworrenen Dickicht des Paragraphendschungels den Überblick zu behalten. In Deutschland ist nun mal fast alles durch Gesetze und Verordnungen geregelt, und es gibt kaum jemanden, der sämtliche Gesetze kennt, zumal diese sich durch aktuelle Gerichtsurteile und die Rechtsprechung laufend verändern. Daher ist es nicht verwunderlich, dass wir im Streifendienst regelmäßig mit sogenannten Rechtsirrtümern konfrontiert werden. Manchmal müssen wir sogar selbst nochmal nachlesen, welche Vorschrift denn jetzt tatsächlich gilt.

Aus all den vielen Erfahrungen ist schließlich die Idee entstanden, dieses Buch zu schreiben. Anhand der geschilderten Situationen möchten wir Ihnen aufzeigen, dass die allgemeine Volksmeinung nicht immer richtig sein muss und dass wir und unsere Kollegen mit unseren Entscheidungen im täglichen Dienst ganz gewiss niemanden ärgern wollen, sondern nach Recht und Gesetz handeln. Dazu gehört, dass wir in Ausnahmefällen bestimmte Dinge tun dürfen, mit denen der Bürger nicht gerechnet hat. Letztlich gilt dann doch die alte Binsenweisheit: Ausnahmen bestätigen die Regel. So ist es auch in vielerlei Hinsicht in unserem Polizeidienst.

In diesem Buch wollen wir Ihnen natürlich keine Rechtsberatung erteilen, das dürften wir als Polizisten ohnehin nicht. Wir möchten Ihnen vielmehr unsere persönlichen Erfahrungen weitergeben und schildern, mit welchen Irrtümern und Missverständnissen wir in unserem Alltag fast täglich konfrontiert werden. All das macht uns das Leben manchmal unnötig schwer, weil der Bürger denkt, wir wären im Unrecht.

Dieser Irrglaube sorgt dann auch nicht selten für Frust gegenüber der Polizei im Allgemeinen und den eingesetzten Beamten im Speziellen. Und wenn wir beide eines ganz bestimmt nicht wollen, dann ist es ein unzufriedener oder verärgerter Bürger. Deshalb hoffen wir, dass der eine oder andere von Ihnen durch die hier geschilderten Fallbeispiele seine Meinung ändert und beim nächsten Mal versteht, dass wir oder unsere Kollegen so handeln müssen. Die Rechtslage ist nun mal oft anders, als man landläufig meint. Wir wollen Ihnen Freund und Helfer sein, auch wenn das für einen Straftäter wie blanker Hohn klingen mag. Aber der hat es nun mal nicht besser verdient 

Wenn Sie nicht gerade ein studierter Jurist oder ein Kollege sind, werden Sie vermutlich erstaunt feststellen, dass auch Sie schon mal auf den einen oder anderen rechtlichen Irrtum oder so manches Missverständnis hereingefallen sind. Wir würden uns wünschen, dass Ihnen bei der Lektüre unseres Buches mehr als einmal der Satz «Das hätte ich aber so nicht gewusst» durch den Kopf geht. Bitte erzählen Sie beim nächsten Kneipenbummel, Kegelabend oder auf der kommenden Geburtstagsfeier die jeweilige Geschichte einfach weiter. Dann haben wir nämlich alle etwas davon, und wir Polizisten müssen beim nächsten Einsatz nicht mehr in ungläubige oder gar entsetzte Gesichter schauen.

Dieses Buch soll nicht zuletzt auf unterhaltsame und lustige Art und Weise den Polizeialltag transparenter machen. Es ersetzt ganz sicher keine qualifizierte, individuelle Beratung durch einen Anwalt. Schließlich sind Gesetze auch immer ein Stück weit Auslegungssache, und wir können nicht jeden denkbaren Einzelfall oder jede Ausnahmesituation darstellen – das wollen wir im Übrigen auch gar nicht. Denn wie bereits angedeutet, ändern sich die Gesetze sowie die Rechtsprechung laufend. Im schlimmsten Fall könnte die Gültigkeit der aufgezeigten Beispiele also bereits einen Tag nach Erscheinen unseres Buches schon wieder Geschichte sein. Aber das wollen wir mal nicht hoffen.

Und nun viel Spaß beim Lesen.

 

Herzlichst

Toto & Harry

Jedem Festgenommenen müssen seine Rechte vorgelesen werden.

Ein Verdächtiger hat genau einen Anruf frei.

Zu viel Fernsehkonsum, insbesondere das häufige Anschauen von amerikanischen Thrillern oder Krimis, führt immer wieder zu Missverständnissen im Umgang mit der Polizei. Nicht jeder weiß, dass die deutschen Polizisten oftmals ganz anders arbeiten als ihre amerikanischen Kollegen und hier bei uns völlig andere Rechtsnormen gelten als in den USA. Dort ist der Sheriff auf dem Land mit einer Macht ausgestattet, die hier bei uns noch nicht einmal der Polizeipräsident hat.

Ein Paradebeispiel für ein solches Missverständnis war sicherlich unsere Begegnung mit Sören. Wir lernten den jungen Mann vor nicht allzu langer Zeit am Südausgang des Hauptbahnhofs kennen. An dem Tag gingen wir mal wieder Fußstreife und hatten unseren Bulli vorher in einer Seitenstraße geparkt. Als Polizist auch mal zu Fuß unterwegs zu sein ist sehr wichtig: Zum einen sieht man manches besser im Vorbeigehen und kann auch mal stehenbleiben, um sich Personen oder eine herrenlose Tasche genauer zu betrachten. Zum anderen ist es auch deshalb wichtig, weil man mit den Menschen schnell ins Gespräch kommt und so auf verdächtige Personen oder Beobachtungen hingewiesen wird.

Wir bogen also hinter dem Hauptbahnhof um die Ecke, da sahen wir eine Gruppe Männer auf den Blumenkübeln sitzen. Unter ihnen war auch, wie wir später erfuhren, der besagte Sören. Er hielt sich dort mit einigen Zechkumpanen auf, wo sie gemeinsam das ein oder andere Bier, vermutlich öfter auch ein paar Bier zu viel, tranken. Dabei philosophierten sie, mal lauter, mal leiser, über den Sinn und auch Unsinn des Lebens – anstatt sich Gedanken um das eigene Leben zu machen und zu überlegen, was sie vielleicht besser machen könnten.

Weil die Gruppe lautstark herumkrakeelte und alle Beteiligten angetrunken waren, entschlossen wir uns, die ungepflegten Männer zu kontrollieren. Einerseits schreckt das die Betroffenen ab, später Mist zu bauen – die Polizei hat ja gerade erst den Namen überprüft. Andererseits wissen wir, falls doch etwas passiert, wer unsere Pappenheimer sind, und können schnell zuschlagen. Nach und nach ließen wir uns die Ausweise zeigen und fragten per Funk auf der Wache die Namen ab, um herauszufinden, ob gegen einen der Männer etwas vorlag. Das heißt im Nichtbeamtendeutsch: ob einer von ihnen gesucht wurde.

Als wir schließlich zu besagtem Sören kamen und seine Daten an die Zentrale durchgaben, meldete uns der Kollege am Funk nach kurzer Zeit zurück: «Da habt ihr aber einen schönen Treffer gelandet. Gegen den betreffenden Herrn liegt laut System ein Untersuchungshaftbefehl der Staatsanwaltschaft Bochum vor. Wegen wiederholten Diebstahls.»

Als wir dies dem Siebenundzwanzigjährigen eröffneten, antwortete er prompt: «Soso! Dann lest mir jetzt erst mal meine Rechte vor!» Dabei streckte er uns beiden Arme waagerecht und zusammengeführt entgegen. Offensichtlich als Vorbereitung für eine mögliche Fesselung.

«Was sollen wir dir vorlesen?», fragte Toto verdutzt.

«Na, was schon, meine Rechte natürlich! Bevor ihr mich mitnehmt, seid ihr ja wohl dazu verpflichtet. Das kenne ich aus dem Fernsehen. Ein Witz, dass ihr das nicht wisst. Also, ich höre!»

Da dämmerte es uns. Sören meinte offenbar die sogenannte Miranda-Warnung, diesen typischen Satz, in welchem dem Festgenommenen seine verfassungsgemäßen Rechte genannt werden. «Sie haben das Recht zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht, mit einem Rechtsanwalt zu sprechen und diesen zu jeder Befragung hinzuzuziehen. Sollten Sie sich keinen Rechtsanwalt leisten können, wird Ihnen ein Rechtsanwalt auf Staatskosten gestellt.»

Diese Worte hätte der angetrunkene Sören wohl gerne gehört. Aber wir konnten lediglich wiederholen, dass gegen ihn ein Haftbefehl wegen wiederholten Diebstahls vorlag.

Nicht sauer, sondern eher beleidigt, forderte der Unbelehrbare immer wieder seine Rechte ein. «Das müsst ihr mir vorlesen, sonst dürft ihr mich gar nicht mitnehmen. Da handelt ihr euch eine Menge Ärger ein, Jungs. Ihr werdet noch an meine Worte denken.»

Nachdem wir ihm Handfesseln angelegt hatten, für den Fall, dass seine Aufregung doch noch zu einem Fluchtversuch führen würde, gingen wir zum Polizeiwagen.

«Das glaubt mir keiner, die lesen mir einfach meine Rechte nicht vor. Ihr fliegt raus aus der Polizei, dafür werde ich sorgen», wetterte der angetrunkene Mann ein ums andere Mal.

«Keine Angst, so schnell wird man uns nicht los. Wenn du in der Zelle sitzt, kannst du dich ja mal mit dem Polizeigesetz und anderen Vorschriften beschäftigen, dann weißt du beim nächsten Mal besser Bescheid», beruhigte ich ihn.

Seine dreiste Antwort ließ uns schmunzeln. «Diese Ausflüchte helfen euch auch nicht mehr, ihr habt es verbockt. Ich habe Handschellen an und immer noch nicht meine Rechte vorgelesen bekommen, das war’s für euch.»

Als wir den Streifenwagen erreichten, drückten wir ihn auf den Rücksitz und fuhren mit ihm zur Wache. Toto saß hinten neben Sören.

«Auch wenn wir alles falsch machen, ist es klasse, dass du widerstandslos mitkommst. Finde ich echt prima, bist ein feiner Kerl», sagte er zu dem Mann.

«Musst mir jetzt keinen Honig ums Maul schmieren, die Nummer ist für euch gelaufen. Mein Anwalt freut sich schon auf euch, der macht euch lang, da vergeht euch Hören und Sehen», drohte er zum wiederholten Male.

Auf der Wache fanden die Missverständnisse zwischen Polizei und Sören ihre Fortsetzung. Unser Dieb hatte noch nicht auf dem Stuhl des kleinen Büros Platz genommen, da rief er schon: «Ich kenne meine Rechte! Ich möchte jetzt sofort telefonieren. Einen Anruf habe ich frei, und ich kann anrufen, wen ich will! Also bitte, wo ist das Telefon?»

Ich musste laut lachen, Toto dagegen schüttelte nur den Kopf und war langsam leicht genervt.

Statt eines Telefons bekam Sören deshalb nun einen Schnellkurs zum Thema «Rechte von beschuldigten und festgenommenen Personen». Nach zwei Minuten endete Toto mit den Worten: «Siehst du jetzt endlich ein, dass das alles ein wenig anders ist, als du denkst?»

Danach wurde Sören zwar etwas ruhiger und kleinlauter, aber wirklich einsichtig zeigte er sich nicht, denn er wollte seinen Anwalt immer noch anrufen.

«Lass dich nächstes Mal in Amerika festnehmen, dann klappt das vielleicht auch mit deinen Vorstellungen», schlug ich ihm vor. «Aber eines solltest du wissen: Die Sheriffs dort sind nicht so zimperlich und nett wie wir, da kannst du ja mal versuchen, deine Rechte einzufordern, und so rummeckern wie hier. Die Männer mit dem Stern auf der Brust erzählen dir dann wahrscheinlich was ganz anderes.»

Danach verzichtete Sören mürrisch auf seinen Anruf, wirkte aber irgendwie immer noch beleidigt.

Nachdem wir im Büro den Papierkram erledigt hatten, brachten wir den Mann mit unserem Bulli zur Justizvollzugsanstalt Krümmede. Die Fahrt dauerte nur fünf Minuten, denn der Knast liegt direkt neben dem Bochumer Ruhrstadion. Als wir langsam auf die Pforte zufuhren, sagte Sören zum Abschied: «Das krieg ich raus, ob die Jungs in den Filmen oder ihr recht habt. Wehe, ihr liegt daneben, dann wird’s echt bitter für euch. Auch wenn ihr mir langsam sympathisch werdet. Aber ich muss ja jetzt wohl los.»

Wir stiegen aus und übergaben den Verhafteten zusammen mit den Papieren dem zuständigen Justizwachmann. Von ihm bekamen wir unsere Handschellen zurück, und Sören verschwand mit dem Wachmann hinter dem Stahltor. Bis heute haben wir von ihm oder seinem Anwalt nichts mehr gehört. Demnach lagen wir offensichtlich doch nicht ganz so daneben, wie er uns weismachen wollte.

Jedenfalls sollte am Ende von Thrillern und Krimis, gerade bei den Streifen aus Hollywood, immer ein deutlicher Warnhinweis über den Bildschirm flimmern: «Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren freundlichen Polizisten an der nächsten Ecke.»

 

Fazit:

 

Die sogenannte Miranda-Warnung gibt es in Deutschland nicht. Natürlich müssen Polizisten einen Tatverdächtigen hierzulande auch über seine Rechte belehren, bevor sie ihn das erste Mal vernehmen. Zum Beispiel darüber, dass er als Beschuldigter schweigen darf und keine Verwandten belasten muss. Außer dem müssen wir ihm sagen, welcher Tatvorwurf besteht, und ihn darauf hinweisen, dass es ihm freisteht, sich zu der Sache zu äußern, und dass er einen Strafverteidiger hinzuziehen darf. Diese rechtlichen Belehrungen sind allerdings nicht wie im Hollywood-Streifen an eine bestimmte Form oder sogar einen bestimmten Wortlaut gebunden.

Es gibt hier in Deutschland auch keinen Anspruch darauf, nach einer Festnahme genau einmal und dann auch noch mit einer beliebigen Person zu telefonieren. Ansonsten könnte ein Tatverdächtiger ja theoretisch in der Weltgeschichte herumtelefonieren oder sogar Komplizen anrufen, um diese zu warnen. Die könnten dann das belastende Material oder Diebesgut in aller Ruhe verschwinden lassen.

Ein Festgenommener hat jedoch das Recht, jederzeit einen Rechtsanwalt zu Rate zu ziehen. Wenn dringende Gründe vorliegen, können dem Festgenommenen auch mehrere Telefonate eingeräumt werden. Das ist in der Strafprozessordnung so geregelt. Und er hat ein Anrecht darauf, eine Kopie des Haftbefehls ausgehändigt zu bekommen.

Ich darf auf meinem eigenen Balkon grillen, wie ich will.

Wenn unsere Leitstelle über Funk ihre unzähligen Einsätze an die Besatzungen der einzelnen Streifenwagen vergibt, kann man fast immer schon am Klang der Stimme und der Sprechweise des Kollegen erkennen, ob es sich um einen dringenden, kuriosen oder alltäglichen Fall handelt. Grundsätzlich ist das gut, weil wir so im Voraus wissen, was uns gleich erwartet. Allerdings löst es in dem einen oder anderen Fall auch schon mal ein gewisses Unbehagen bei den angesprochenen Kollegen aus, und das ist dann natürlich weniger angenehm.

Diesmal erreichte uns ein wirklich dringender Einsatz, was wir ohne Zweifel an der hektischen Stimme des Kollegen am Funk bemerkten. Aufgrund der Dringlichkeit und der dadurch entstehenden inneren Aufregung versuchen die meisten Kollegen, den Einsatz möglichst schnell weiterzuleiten. Dabei erheben sie – oft völlig unbewusst – die Stimme und reihen die Wörter schneller als üblich aneinander. Außerdem sprechen sie mehrere Einsatzfahrzeuge gleichzeitig an und nennen den Einsatzgrund im selben Atemzug. In weniger dringenden Fällen warten sie vorher die Bestätigung ab, dass die Angesprochenen just in diesem Moment den Funk mithören.

«Irma elf-zweiunddreißig, elf-dreiunddreißig und elf-fünfunddreißig! Hauptstraße fünfzig. Brand in einem Mehrfamilienhaus! Achtung, es befinden sich wohl noch Menschen im Gebäude. Die Feuerwehr rollt schon mit zwei Löschzügen an. Sonder- und Wegerechte sind für alle freigegeben!»

So schallte es eines sonnigen Samstagnachmittags aus dem Lautsprecher unseres Bullis. Der Kollege in der Leitstelle hatte den Satz «Sonder- und Wegerechte sind für alle …» noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da schaltete Toto auch schon mit der linken Hand Blaulicht und Horn ein, während er mit der rechten zum Funkgerät griff.

«Irma elf-fünfunddreißig hat verstanden», gab er sofort als Bestätigung an die Leitstelle durch.

Im Laufe der Jahre setzt ein gewisser Automatismus in solchen Situationen ein, und ich ertappte mich dabei, wie ich sofort das Gaspedal bis zum Anschlag durchtrat. Der Streifenwagen beschleunigte rasch. Ich würde mich selbst als einen eher defensiven, ja fast vorsichtigen Fahrer bezeichnen, aber bei Einsatzfahrten, bei denen es um Sekunden geht, die über Leben und Tod entscheiden, müssen wir ein größeres Risiko eingehen. Denn trotz aller Fahrkünste und Sicherheitstrainings sind solche Fahrten unter Adrenalin immer etwas Besonderes und teilweise sogar ganz schön gefährlich.

Wir stellen immer wieder fest, dass nicht nur wir in solchen Momenten an die Grenzen unserer Konzentrationsfähigkeit gehen, sondern dass auch die anderen Fahrzeugführer beim Einsatz von Blaulicht und Martinshorn teilweise überfordert sind und völlig irrational und abrupt reagieren. Plötzlich wirkt die dicke weiße Haltelinie an einer auf Rot stehenden Ampel auf manche Autofahrer wie eine undurchsichtige und zugleich undurchdringliche Mauer, die sie auf keinen Fall überwinden dürfen. Erst recht nicht, wenn die Polizei hinter ihnen ankommt.

In solchen Fällen stehen wir mit Martinshorn und Blaulicht hinter dem auf der Straße angewachsenen Auto und kommen trotzdem einfach nicht vorbei. Schließlich steht die Ampel auf Rot! Da hilft meistens nur der Außenlautsprecher des Streifenwagens und ein eindringliches «Fahren Sie bitte langsam bei Rot über die Linie in die Kreuzung und machen Sie so Platz für unser Einsatzfahrzeug!», sonst verharren solche Autofahrer bis in alle Ewigkeit unbeweglich wie ein Kaninchen vor der Schlange.

Glücklicherweise hatten wir es bei dem samstäglichen Feuer-Einsatz nicht allzu weit bis zu dem brennenden Haus. Als wir in die Hauptstraße einbogen, kam auch schon der rote Einsatzleitwagen der Feuerwehr von der anderen Seite angeschossen. Der Rest des Löschzuges, Tanklöschwagen, Drehleiter und Rüstwagen, folgte wie an einer Perlenschnur aufgereiht dahinter. Sofort war ich ein bisschen erleichtert, denn diese Profis wissen besser als wir, was bei Feuer als Erstes zu tun ist.

Mein Blick richtete sich auf das besagte Objekt. Im dritten Stock des weißen Mehrfamilienhauses quoll dichter schwarzer Rauch von einem Balkon. Als wir stoppten, kam sofort ein Mann auf uns zugelaufen, und Toto sprang aus dem Wagen.

«Ich habe angerufen. Ich bin hier zu Fuß vorbeigekommen und habe den Brand erst gerochen und dann gesehen», rief er aufgeregt und völlig außer Atem.

Toto bedankte sich knapp und forderte den Zeugen auf, einen Moment zu warten. «Ich brauche noch Ihre Personalien und eine Aussage, falls Sie etwas beobachtet haben», erklärte er. «Aber jetzt müssen wir erst mal sehen, was es hier noch zu retten gibt.»

Zusammen liefen wir zum Hauseingang. Die fünf roten Fahrzeuge des Löschzuges hielten gerade allesamt vor der Häuserzeile und blockierten die komplette Straße.

Toto rief in den glücklicherweise noch nicht verqualmten Hausflur: «Hallo, ist da jemand? Es brennt, bitte kommen Sie raus.»

Unterdessen sprangen die Feuerwehrleute aus ihren Wagen, und zwei Trupps mit Atemschutzmasken stürmten sofort ins Haus. Die Jungs machen in solch gefährlichen und im wahrsten Sinne des Wortes brenzligen Situationen echt einen guten Job, dachte ich bei mir.

Schon waren mehrere Männer damit beschäftigt, die Schläuche auf der Straße auszurollen, zwei weitere bauten eine Leitung zum nächsten Hydranten auf, ein anderer fuhr unterdessen die lange Drehleiter aus.

Anerkennend beobachtete Toto, wie professionell die Kollegen von der Feuerwehr arbeiteten. «Guck mal, da sagt keiner eine Backe voll, aber jeder weiß genau, was er zu tun hat. Und dabei riskieren sie auch noch ihre eigene Gesundheit für andere Menschen.»

Unwillkürlich musste ich an den 11. September 2001 und den tragischen Einsatz der «Firefighter» im World Trade Center denken. Wie viele Wehrmänner waren damals in das Hochhaus gerannt, um Menschenleben zu retten, und hatten dabei ihr eigenes verloren.

Doch die Situation ließ nicht viel Raum für Gedanken, denn wir mussten uns auf unsere polizeilichen Aufgaben konzentrieren. Vor dem Haus hatte sich wie so oft in Windeseile eine größere Menschentraube von Schaulustigen gebildet. Einige hielten ihre Handys in Richtung des Hauses und fotografierten die Szenerie.

«Komisch», sagte Toto. «Eben war noch keiner da, aber auf einmal braucht man nicht mehr zu helfen. Jetzt gibt es nur noch was zu glotzen. Das macht Spaß.»

Ich schaute die Straße runter und wunderte mich mal wieder darüber, dass Brände und das laute «Tatütata» auf manche Menschen eine fast magische Anziehungskraft ausüben. Es ist wie mit den Motten und dem Licht, die Viecher kommen auch nicht davon los.

Toto war bereits damit beschäftigt, die «Zuschauer» und «Fotografen» nicht zu nah an das Gebäude herankommen zu lassen. Schließlich wussten wir nicht, ob vielleicht brennende Trümmer herabstürzen würden oder ob die Feuerwehr ein Sprungkissen zur Rettung eventuell eingeschlossener Bewohner aufblasen müsste. Währenddessen regelte ich den Verkehr auf der Hauptstraße. Mein Blick fiel wieder auf den qualmenden Balkon, und ich konnte schemenhaft einen Feuerwehrmann mit Atemschutzmaske mitten im Rauch erkennen, der einen Handfeuerlöscher in den Händen hielt und diesen gerade einsetzte. Im nächsten Moment schoss weißes Pulver hoch und vernebelte den Blick noch mehr.

Verwundert beobachtete ich, dass die Männer aufhörten, weiter Schläuche auszurollen, und auch den Hydranten wieder abdrehten. Dann senkte sich langsam die Drehleiter in Richtung Straße.

Ich blickte zu Toto hinüber und fragte: «Alles nicht so schlimm?»

Er nickte und deutete zu dem Balkon hinauf. «Grillen mit der Feuerwehr, glaube ich.»

Eine gewisse Erleichterung machte sich in mir breit. Wurden bei Bränden doch viel zu oft in den Trümmern später noch Tote gefunden, die erstickt und anschließend verbrannt waren. In diesem Fall sah es dagegen erfreulicherweise so aus, als wenn nichts passiert wäre.

Unser Dienstgruppenleiter traf gerade am Einsatzort ein und unterhielt sich mit dem Zugführer der Feuerwehr. Der hatte sein Funkgerät in den Händen und wirkte völlig entspannt. Als ich wieder nach oben blickte, war schon gar kein Rauch mehr zu erkennen, und auch der Feuerwehrmann mit Schutzmaske war verschwunden. Er trat kurz darauf gemeinsam mit seinen Kollegen aus der Haustür. Alle hatten ihre Atemschutzmasken ausgezogen, und man sah noch die roten Ränder der Gummidichtungen in ihren Gesichtern. Dann ging der Feuerwehrmann zu seinem Zugführer. Seiner Gestik zufolge beschrieb er offensichtlich die Lage auf besagtem Balkon.

Wie sich kurz darauf auch für uns herausstellte, war ein unsachgemäß angefeuerter Grill die Ursache für die starke Rauchentwicklung auf dem Balkon gewesen. Das hatte auf dem Gehweg den Eindruck eines Zimmerbrandes entstehen lassen. Der Grillmeister hatte die Kohlen mit einem Brandbeschleuniger anfeuern wollen, und plötzlich war erst eine Stichflamme und danach nur noch beißender Rauch aufgestiegen. Dem hungrigen Mann blieb da nur die Flucht.

Kurz darauf vernahmen wir im Hausflur den Grillexperten im bekleckerten Unterhemd.

«Ich bin dann nur noch schnell rein, hab die Tür zugeknallt und meine versengten Augenbrauen abgetastet. Danach wollte ich abwarten, bis sich der Rauch verzieht. Aber es wurde bloß schlimmer. Da hat auch noch die Tüte mit der Kohle Feuer gefangen, und dann hat auf einmal alles wie blöd geraucht. Ich hab ja nicht geahnt, dass einer von der Straße die Feuerwehr ruft. Tut mir echt leid. So etwas ist mir noch nie passiert, wirklich nicht.»

Natürlich waren wir alle froh darüber, dass es nicht wirklich zu einem Zimmerbrand gekommen und die Sache so glimpflich ausgegangen war. Trotzdem stand der Grillmeister wie ein Häufchen Elend mit gesenktem Haupt vor dem Haus und sah zu, wie die Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr und die Rettungswagen nach und nach abfuhren. Auch die Menschentraube auf der gegenüberliegenden Straßenseite löste sich rasch auf, das bisschen Grillfeuer war den Gaffern dann doch nicht spektakulär genug. Außerdem war niemand verletzt worden, und das war den üblichen Schaulustigen dann offenbar doch zu langweilig.

Als wieder Ruhe eingekehrt war, gingen wir mit dem unvorsichtigen Pechvogel auf seinen Balkon und ließen uns die Ursache für den Großeinsatz nochmal zeigen. Die Tüte mit der Kohle war mit einer dicken Schicht Pulver aus dem Handfeuerlöscher bedeckt. Der Rahmen der Balkontür war leicht angesengt und schwarz verrußt.

«Das müssen Sie Ihrer Versicherung melden», sagte Toto. «Wir müssen auch leider eine Anzeige gegen Sie schreiben, wegen der Rauchbelästigung. Eigentlich auch schon fast wegen fahrlässiger Brandstiftung. Sie haben mit Ihrer Aktion alle Hausbewohner gefährdet. Machen Sie solche Sachen künftig lieber im Park oder an der Ruhr. Da kann auch nicht so viel kaputtgehen.»

 

Fazit:

 

Laut Landesimmissionsschutzrecht – dieses gibt es nicht in allen Bundesländern, aber in Nordrhein-Westfalen – ist eine erhebliche Belästigung durch konzentrierten Rauch, der von einem Grill in die Schlaf- und Wohnräume eines Nachbarn zieht, verboten. Grundsätzlich muss man nur «geringfügige» Belästigungen durch Grillrauch hinnehmen. Sie sollten daher mit Ihren Nachbarn Absprachen treffen oder sie am besten gleich zum Mitgrillen und Feiern einladen.

Es gibt jedoch sehr unterschiedliche Grundsatzurteile: Das Landgericht Essen beispielsweise entschied, dass das Grillen auf dem Balkon durch eine Regelung in der Hausordnung verboten werden kann. Das Amtsgericht Bonn urteilte dagegen, dass Mieter in der warmen Jahreszeit einmal im Monat auf dem Balkon grillen dürfen, aber ihre Nachbarn achtundvierzig Stunden vorher darüber informieren müssen. Das Landgericht Stuttgart ist wiederum der Meinung, dass drei Mal im Jahr für zwei Stunden gegrillt werden darf.

Allerdings sollten Sie stets darauf achten, dass die Rauchentwicklung ein «normales» Maß nicht übersteigt, damit Sie nicht plötzlich eine Kompanie Löschfahrzeuge vor dem Haus stehen haben. Ein Verstoß stellt übrigens eine Ordnungswidrigkeit dar und wird mit einer Anzeige sowie einem Bußgeld geahndet.

Wenn Sie ohne Rücksicht auf Verluste auch noch Spiritus auf die Flammen schütten und so einen Brand verursachen, droht Ihnen dagegen richtiger Ärger. In dem Fall kann nämlich die Bewertung seitens der Staatsanwaltschaft bis zu Brandstiftung gehen. Schneller, als Ihnen lieb ist, haben Sie dann eine Straftat begangen, obwohl Sie eigentlich nur ein bisschen zu ungeduldig beim Grillen waren. Und jeder sollte daran denken, wie viele Kinder schon schwerste Verbrennungen erlitten haben, weil ihre Eltern unvorsichtig grillten.