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MARK BATTERSON

KREISZIEHER
KÜHN BETEN –
UND WUNDER ERLEBEN

Aus dem amerikanischen Englisch von Doris C. Leisering

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SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

INHALT

Über den Autor

  1   Die Legende vom Kreiszieher

  2   Kreiszieher

  3   Das Wunder von Jericho

  4   Sturm beten

Teil 1: Der erste Kreis: groß träumen

  5   Wolkig, mit hoher Wachtelwahrscheinlichkeit

  6   Man kann nie nicht immer manchmal wissen …

  7   Die Lösung für zehntausend Probleme

Teil 2: Der zweite Kreis: intensiv beten

  8   Beharrlichkeitsquotient

  9   Die Gunst dessen, der im Dornbusch erschien

10  Das Vieh auf tausend Bergen

11  Keine Antwort

Teil 3: Der dritte Kreis: langfristig denken

12  Lang und langweilig

13  Das Berühmteste von allen

14  Die Geschwindigkeit eines Gebets

15  Lebensziele

Teil 4: Nicht aufhören!

16  Doppeltes Wunder

17  Konservierte Gebete

18  Nur einer …

Epilog: Der Kreidekreis

Dank

Anmerkungen

ÜBER DEN AUTOR

Autor

MARK BATTERSON (Jg. 1969) ist Hauptpastor der »National Community Church« in Washington, DC, eine innovative Gemeinde, die sich z. B. in Kinos oder Cafés versammelt. Er ist außerdem Autor mit einigen »New York Times«-Bestseller-Erfolgen. Mit seiner Frau Lora und seinen drei Kindern lebt er auf dem Capitol Hill.

1

DIE LEGENDE VOM KREISZIEHER

Die Kinder tanzten im strömenden Regen, als hätten sie noch nie Regen gesehen. Und so war es auch. Die Eltern legten den Kopf in den Nacken, öffneten den Mund und fingen die Regentropfen auf, als wären sie durstlöschende Getränke. Und das waren sie auch. Wenn es seit über einem Jahr nicht mehr geregnet hat, sind Regentropfen wie Diamanten, die vom Himmel fallen.

Dieser Tag würde für immer als der Tag in Erinnerung bleiben. Als der Tag, an dem Donnerschläge dem Allmächtigen Beifall spendeten. Als der Tag, an dem ein Sprung in eine Pfütze einem Lob Gottes gleichkam. Als der Tag, an dem die Legende vom Kreiszieher geboren wurde.

Es war im 1. Jahrhundert v.Chr., und eine verheerende Dürre drohte, eine ganze Generation zu vernichten – die Generation vor Jesus. Der letzte der jüdischen Propheten war vor fast vierhundert Jahren gestorben. An Wunder erinnerte man sich so vage, dass man sich nicht sicher war, ob es sie überhaupt gegeben hatte. Und Gott war nirgendwo zu hören. Doch einen Mann gab es – einen exzentrischen Weisen, der vor den Stadtmauern Jerusalems lebte –, der dennoch zu beten wagte. Sein Name war Honi1. Selbst wenn die Menschen Gott nicht mehr hören konnten, glaubte er daran, dass Gott sie noch hörte.

Wenn es Regen in Fülle gibt, verschwendet man kaum einen Gedanken an das kühle Nass. Während einer Dürre denkt man jedoch an kaum etwas anderes. Und Honi war ihre einzige Hoffnung. Bekannt für seine Fähigkeit, Regen herbeizubeten, war es an diesem Tag, dem Tag, dass Honi seinen Spitznamen bekam.

Mit einem mannshohen Stab in der Hand begann Honi, wie ein Zirkel seine Kreise zu ziehen. Seine Bewegungen waren rhythmisch und methodisch. Neunzig Grad. Einhundertachtzig Grad. Zweihundertsiebzig Grad. Dreihundertsechzig Grad. Die Augen der Menge waren auf ihn gerichtet, doch sein Blick hob sich nicht einmal vom Boden. Nach Sekunden, die wie Stunden erschienen, blieb Honi in dem Kreis stehen, den er gezogen hatte. Dann fiel er auf die Knie und hob die Hände zum Himmel. Mit der Autorität des Propheten Elia, der Feuer vom Himmel herabgerufen hatte, betete Honi um Regen:

»Herr des Universums, ich schwöre vor deinem großen Namen, dass ich nicht aus diesem Kreis weichen werde, bis du deinen Kindern Barmherzigkeit erwiesen hast.«

Seine Worte ließen allen, die an jenem Tag in Hörweite standen, einen Schauer über den Rücken laufen. Es war nicht nur die Stärke seiner Stimme; es war die Autorität seines Tonfalls, in dem nicht der leiseste Zweifel lag. Dieses Gebet war nicht den Stimmbändern entsprungen. Wie Wasser aus einem artesischen Brunnen flossen die Worte aus der Tiefe seiner Seele. Sein Gebet war energisch und dennoch demütig, zuversichtlich und dennoch bescheiden, erwartungsvoll und dennoch nicht anmaßend.

Dann geschah es.

Als sein Gebet zum Himmel aufstieg, fielen Regentropfen zur Erde. Ein Raunen ging deutlich hörbar durch die Menge der Tausenden, die sich um Honi versammelt hatten. Jedes Gesicht wandte sich dem Himmel zu, als die ersten Regentropfen vom Himmel fielen, doch Honis Kopf blieb gebeugt. Die Menschen jubelten über jeden Tropfen, doch dem Beter waren diese wenigen Spritzer nicht genug. Noch immer im Kreis kniend, erhob Honi seine Stimme über den lauten Jubel:

»Nicht um solchen Regen habe ich gebetet, sondern um Regen, der die Zisternen, Gruben und Höhlen füllt.«

Das Nieseln schwoll zu einem solchen Wolkenbruch an, dass Augenzeugen behaupteten, kein Tropfen sei kleiner als ein Hühnerei gewesen. Es regnete so heftig und so stetig, dass die Menschen auf den Tempelberg flohen, um der Sturzflut zu entkommen. Honi jedoch blieb und betete in seinem Kreis. Noch einmal präzisierte er seine kühne Bitte:

»Nicht um solchen Regen habe ich gebetet, sondern um den Regen deiner Gunst, deines Segens und deiner Güte.«

Dann, wie ein angenehmer Schauer an einem sonnigen, heißen, schwülen Augustnachmittag, begann es, gleichmäßig und ruhig zu regnen. Jeder Regentropfen war ein greifbares Zeichen von Gottes Gnade. Und die Tropfen durchnässten nicht nur die Haut, sie durchdrangen auch den Geist mit Glauben. Vor dem Tag war es schwer gewesen zu glauben. Am Tag nach dem Tag war es unmöglich, nicht zu glauben.

Schließlich wurde aus der Erde Schlamm und dann wieder Erde. Nachdem sie ihren Durst gestillt hatte, zerstreute sich die Menge. Und der Regenmacher kehrte in seine ärmliche Hütte am Rand von Jerusalem zurück. Das Leben ging weiter, doch die Legende vom Kreiszieher war geboren.

Die Menschen, deren Leben Honi gerettet hatte, feierten ihn als Helden. Doch einige im Sanhedrin zogen den Kreiszieher in Zweifel. Eine Fraktion meinte, einen Kreis zu ziehen und Regen zu verlangen, entehre Gott. Vielleicht waren es die gleichen Mitglieder des Sanhedrin, die eine Generation später Jesus dafür kritisieren würden, dass er am Sabbat die gelähmte Hand eines Mannes geheilt hatte. Sie drohten Honi mit Exkommunikation, doch weil das Wunder unstrittig war, wurde Honi am Ende wegen seines kühnen Gebetes zum Vorbild.

Das Gebet, das eine ganze Generation rettete, galt hinfort als eines der bedeutendsten Gebete in der Geschichte Israels. Der Kreis, den er im Sand gezogen hatte, wurde ein heiliges Symbol. Und die Legende von Honi dem Kreiszieher bleibt für immer ein Beweis dafür, wie die Kraft eines einzigen Gebetes den Lauf der Geschichte verändern kann.

2

KREISZIEHER

Die Erde hat die Sonne mehr als zweitausendmal umkreist seit dem Tag, als Honi seinen Kreis in den Sand zeichnete, doch Gott sucht immer noch nach »Kreisziehern«. Die Wahrheit, die in jener alten Legende verborgen liegt, gilt heute ebenso wie damals: Mutige Gebete ehren Gott, und Gott ehrt mutige Gebete. Er fühlt sich durch unsere größten Träume oder kühnsten Gebete nicht beleidigt. Vielmehr beleidigt ihn alles, was geringer ist als das. Wenn unsere Gebete uns nicht unmöglich scheinen, sind sie eine Beleidigung für Gott, weil er für ihre Erhörung eigentlich nicht gebraucht wird. Aber bitten wir ihn, das Rote Meer zu teilen oder die Sonne stillstehen oder einen eisernen Axtkopf schwimmen zu lassen, dann zeigt er sein allmächtiges Handeln.

Nichts tut Gott lieber, als Versprechen einzuhalten, Gebete zu erhören, Wunder zu tun und Träume zu erfüllen. Das macht seine Persönlichkeit aus. So handelt er. Und je größer der Kreis, den wir ziehen, umso besser, denn letztlich wird Gott dadurch größere Ehre zuteil. Die großartigsten Momente des Lebens sind die, wenn sich menschliches Unvermögen und göttliche Allmacht treffen – und sie treffen sich, wenn wir die unmöglichen Situationen in unserem Leben einkreisen und Gott um sein Eingreifen bitten.

Eines kann ich Ihnen versprechen: Gott ist bereit und wartet schon. Und obwohl ich keine Ahnung habe, in welcher Situation Sie sich gerade befinden, bin ich zuversichtlich, dass Sie nur ein Gebet weit von einem wahr gewordenen Traum, einer erfüllten Verheißung oder einem Wunder entfernt sind. Wir sollten uns gleich am Anfang mit einer einfachen, aber lebensverändernden Wahrheit anfreunden: Gott ist für uns2. Wenn wir das nicht glauben, fallen unsere Gebete klein und ängstlich aus; wenn wir es glauben, werden unsere Gebete groß und mutig. Und so oder so werden unsere kleinen, ängstlichen oder aber großen, mutigen Gebete den Kurs unseres Lebens so grundlegend verändern, dass das eine einen völlig anderen Menschen aus uns macht als das andere. Gebete sind Prophezeiungen. Sie sind Voraussagen über unsere geistliche Zukunft. Wer wir werden, wird dadurch bestimmt, wie wir beten. Am Ende schreiben unsere Gebete das Drehbuch unseres Lebens.

Auf den folgenden Seiten werden Sie Kreisziehern unserer Zeit begegnen, die Sie dazu inspirieren werden, groß zu träumen, intensiv zu beten und langfristig zu denken. Der Golfprofi, der den Golfplatz umbetete, den er jetzt betreibt, kann uns zu größeren Träumen ermutigen. Der Beschäftigte im öffentlichen Dienst, der unter 1200 Bewerbern die eine Stelle bekam, die sein großer Traum war und für die er sich zwölf Jahre nacheinander beworben hatte, kann uns herausfordern, an der Verheißung festzuhalten, die Gott in unser Herz gelegt hat. Die Eltern, die zweiundzwanzig Jahre und zwei Wochen lang für ihren Sohn und die zukünftige Ehefrau ihres Sohnes beteten, können uns dazu inspirieren, nicht nur für uns selbst zu beten. Und die lange Zeit später eintreffende Antwort auf das Gebet eines Evangelisten für ein Kino im Washingtoner Stadtviertel Capitol Hill in den 1960er-Jahren kann uns dazu herausfordern, langfristig zu denken und intensiv zu beten.

Dieses Buch soll zeigen, wie wir von Gott gegebene Verheißungen für uns in Anspruch nehmen, von Gott inspirierte Träume verfolgen und von Gott geschaffene Chancen nutzen können. Es wird darum gehen, wie wir Kreise des Gebets um Familie, Arbeitsplatz, Probleme und Ziele ziehen können. Doch bevor ich erkläre, wie wir das tun können, ist es wichtig, die Bedeutung solcher Kreise zu verstehen. Ein Gebetskreis ist kein Zaubertrick, um zu bekommen, was man von Gott will. Gott ist kein Flaschengeist, und unser Wunsch ist ihm nicht Befehl. Vielmehr sollte sein Befehl unser Wunsch sein. Wenn nicht, werden wir keine Gebetskreise ziehen, sondern nur im Kreis laufen.

Ein Kreise ziehendes Gebet beginnt damit herauszufinden, was Gott will und vorherbestimmt hat. Solange sein souveräner Wille nicht unser geheiligter Wunsch ist, bleibt unser Gebetsleben von seiner Kraftquelle abgeschnitten. Natürlich können wir einige der Prinzipien anwenden, die in diesem Buch erklärt werden, und vielleicht helfen sie uns auch zu bekommen, was wir wollen – doch das ist nicht das Ziel. Das Ziel ist, Gott zu verherrlichen, indem wir Kreise um die Verheißungen, Wunder und Träume ziehen, die er für uns hat.

Mein erster Kreis

Über die Jahre habe ich Gebetskreise um Verheißungen der Bibel gezogen und um Verheißungen, die der Heilige Geist mir ins Herz gelegt hat. Ich habe Gebetskreise um unmögliche Situationen und unmögliche Menschen gezogen. Ich habe Gebetskreise um alles Mögliche gezogen – von Lebenszielen bis zu Grundstücken. Doch lassen Sie mich am Anfang beginnen und vom ersten Gebetskreis meines Lebens erzählen. Als 22-jähriger Theologiestudent versuchte ich, in einer wohlhabenden Gegend von Chicago eine Gemeinde zu gründen, doch wir konnten uns einfach nicht etablieren. Sechs Monate später, mit einer fehlgeschlagenen Gemeindegründung im Lebenslauf, zogen meine Frau Lora und ich von Chicago nach Washington, D.C. Dort bot sich die Gelegenheit zu einer weiteren Gemeindegründung, und meine erste Reaktion war, Nein zu sagen. Doch Gott gab mir den Mut, mich meinen Ängsten zu stellen, meinen Stolz herunterzuschlucken und es noch einmal zu versuchen.

Im ersten Jahr war nichts einfach. Unser gesamtes Gemeindeeinkommen betrug 2000 Dollar pro Monat, von denen 1600 in die Miete für den Speisesaal/Versammlungsraum einer Schule gingen, in dem wir die Sonntagsgottesdienste abhielten. An einem guten Sonntag kamen fünfundzwanzig Personen. Damals lernte ich, in der Lobpreiszeit die Augen zu schließen, weil der Anblick sonst zu deprimierend war. Ich hatte zwar eine theologische Ausbildung, aber keine Ahnung davon, wie man eine Gemeinde leitet. Das ist problematisch, wenn man der Leiter ist. Ich fühlte mich unqualifiziert und überfordert, doch das ist genau der Punkt, an dem Gott uns dort hat, wo er uns haben will. In dieser Situation lernen wir radikale Abhängigkeit – und radikale Abhängigkeit ist der Stoff, aus dem Gott seine größten Wunder macht.

Eines Tages, als ich von der Gemeinde träumte, die Gott in Capitol Hill wachsen lassen wollte, fühlte ich mich vom Heiligen Geist gedrängt, einen Gebetsspaziergang zu machen. Ich lief oft beim Beten im Gästezimmer unseres Hauses umher, das gleichzeitig als Gemeindebüro diente. Dieses Mal war es allerdings etwas anders. Ich las damals das Buch Josua, und eine der Verheißungen sprang mir ins Auge – und direkt in mein Herz:

»Ich sage dir zu, was ich schon Mose versprochen habe: ›Wohin ihr auch geht, werdet ihr Land betreten, das ich euch geschenkt habe.‹«3

Als ich diese Verheißung an Josua las, spürte ich Gottes Drängen, das Land einzunehmen, in das er uns gerufen hatte, und im Gebet rund um Capitol Hill zu marschieren. Ich hatte – ähnlich wie Honi – das feste Vertrauen, dass Gott diese Verheißung, so wie sie von Mose auf Josua übertragen worden war, auch auf mich übertragen würde, wenn ich denn den Glauben aufbrächte, sie »einzukreisen«.4 Also zog ich an einem heißen, schwülen Augustmorgen den ersten Gebetskreis meines Lebens. Bis heute ist es mein längster Gebetsspaziergang und mein größter Gebetskreis.

Ich startete an der Tür unseres Reihenhauses in Capitol Hill, ging auf der F Street nach Osten und bog auf der 8th Street nach Süden ab. Ich überquerte die Straße, die den nordöstlichen und südöstlichen Quadranten der Stadt teilt, und bog an der südöstlichen Ecke der M Street nach Westen ab. Dann schloss ich den Kreis (der wohl eher ein Rechteck war), indem ich auf der South Capitol Street nach Norden ging. Vor dem Kapitol blieb ich einige Minuten stehen. Ich bog bei der Union Station nach rechts ab und vollendete mit der Strecke zurück nach Hause den knapp acht Kilometer umfassenden Kreis.

Es ist schwierig zu beschreiben, was ich fühlte, als ich fertig war. Meine Füße waren schwer, aber meine Seele war leicht und jubelte. Ich verspürte die gleiche heilige Zuversicht, die wohl die Israeliten verspürt hatten, als sie den Jordan auf trockenem Boden durchquert und zum ersten Mal das verheißene Land betreten hatten. Ich konnte kaum erwarten zu sehen, wie Gott sich zu diesem Gebet stellen würde. Das Ziehen dieses Gebetskreises hatte fast drei Stunden in Anspruch genommen, weil mein »Gebetsschritt« langsamer ist als mein normaler Schritt, doch Gott hat über die letzten fünfzehn Jahre hinweg dieses dreistündige Gebet kontinuierlich erhört.

Seit dem Tag, als ich den Gebetskreis um Capitol Hill zog, ist die National Community Church zu einer Gemeinde mit sieben Standorten im Großraum Washington, D.C., angewachsen. Wir stehen kurz davor, unseren ersten internationalen Campus in Berlin zu eröffnen. Und Gott hat uns das Vorrecht gegeben, in den letzten eineinhalb Jahrzehnten das Leben von Zehntausenden Menschen zu prägen.

Alles ist möglich

Wenn ich zurückschaue, bin ich dankbar für die Wunder, die Gott getan hat. Mir ist dabei bewusst, dass jedes von ihnen eine Vorgeschichte hat. Wenn wir Wunder zu ihrem Anfang zurückverfolgen, finden wir in der Regel einen Gebetskreis. Wunder sind das Nebenprodukt von Gebeten von uns oder für uns. Allein das sollte ausreichen, um uns zum Beten zu motivieren!

Gott hat beschlossen, dass manche seiner Machterweise nur als Antwort auf Gebete zutage treten. Einfach ausgedrückt: Gott tut es nicht, es sei denn, wir beten darum. Wir haben nicht, weil wir nicht bitten – oder vielleicht sollte ich sagen, wir haben nicht, weil wir keine Kreise ziehen. Die größte Tragödie im Leben sind die Gebete, die unbeantwortet bleiben, weil sie nie ausgesprochen wurden.

Die gute Nachricht ist: Wenn wir beten, ist alles möglich. Wir dürfen in heiliger Erwartung leben, weil wir nie wissen, wie oder wann oder wo Gott antworten wird. Aber ich kann versprechen: Er wird antworten. Und seine Antworten sind nicht durch unsere Bitten begrenzt. Wir beten aus unserer Unwissenheit heraus, doch Gott antwortet aus seiner Allwissenheit. Wir beten aus unserer Ohnmacht heraus, doch Gott antwortet aus seiner Allmacht. Gott hat die Fähigkeit, Gebete zu erhören, die wir hätten beten sollen, für die uns aber das Wissen oder die Fähigkeit fehlte.

Während meines Gebetsspaziergangs um Capitol Hill zog ich Kreise um Dinge, von denen ich nicht einmal wusste, wie ich darum bitten sollte. Ohne es zu wissen, zog ich Gebetskreise um Menschen, die eines Tages in unserem Café in Capitol Hill zum Glauben an Jesus Christus kommen würden, für das damals noch nicht einmal die Idee existierte. Ohne es zu wissen, ging ich an einem Grundstück an der Virginia Avenue vorbei, das wir dreizehn Jahre später mit einer Geldspende kaufen würden, um die wir ebenfalls noch nicht gebetet hatten. Ohne es zu wissen, ging ich unter der riesigen Anzeigetafel eines Kinos auf der Hauptstraße von Capitol Hill, der Barracks Row, hinweg, das wir fünfzehn Jahre später renovieren und als unseren siebenten Standort eröffnen würden. Diese Gebetserhörungen sind ein Zeugnis von Gottes Macht und eine Erinnerung daran, dass Gott, wenn wir Gebetskreise ziehen, irgendwie, irgendwo, irgendwann auf diese Gebete antworten wird. Gott antwortet nun schon seit fünfzehn Jahren auf mein Gebet von damals, und er wird es auch weiterhin tun. Wie bei Honi haben auch unsere Gebete das Potenzial, den Lauf der Geschichte zu verändern. Es ist an der Zeit, dass wir anfangen, Kreise zu ziehen.

3

DAS WUNDER VON JERICHO

Jedes Buch hat eine Vorgeschichte. Es gibt einen Moment, in dem in den Gedanken des Autors eine Idee entsteht, die dazu bestimmt ist, zu einem Buch zu werden. Und weil ich denke, dass die Vorgeschichte Ihnen helfen wird, die eigentliche Geschichte besser zu verstehen, möchte ich von der Entstehung dieses Buchs erzählen.

Während meines letzten Collegejahres entwickelte ich mich zu einer Leseratte. Ich verwendete alles Geld und alle Zeit, die ich erübrigen konnte, auf Bücher. Seitdem habe ich Tausende von Büchern aus allen möglichen Themengebieten gelesen, von Spiritualität bis Neurologie, von Biografien bis zu Büchern über Astronomie. Meine Bücherregale sind nicht nur bis auf den letzten Zentimeter gefüllt; auch auf ihnen habe ich Bücher gestapelt, so hoch ich greifen kann. Auf meinem Fußboden bilden sich Büchertürme, so schräg wie (und viel wackeliger als) der Schiefe Turm von Pisa. Schon seit Jahren habe ich keinen Platz mehr in meinen Bücherregalen, was bedeutet, dass nicht jedes Buch im Regal landet. Ein Regal habe ich allerdings, auf dem nur ein paar Dutzend meiner absoluten Lieblingsbücher stehen. Eines davon ist das Buch der Legenden.

Das Buch der Legenden ist eine Sammlung von Geschichten aus dem Talmud und dem Midrasch und enthält die Lehren von jüdischen Rabbinern, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Da es mehr als ein Jahrtausend an gesammelter Weisheit enthält, ist das Buch der Legenden wie eine archäologische Ausgrabungsstätte für mich. Ich hatte mich 202 Seiten tief gegraben, als ich auf einen verborgenen Schatz stieß. Es war die Legende von Honi dem Kreiszieher. Sie veränderte mein Gebetsleben von Grund auf.

Ich habe schon immer an die Macht des Gebets geglaubt. Genau genommen ist Gebet das geistliche Erbe, das mir meine Großeltern hinterlassen haben. Ich hatte einen Großvater, der abends an seinem Bett niederkniete, das Hörgerät herausnahm und für seine Familie betete. Ohne sein Hörgerät konnte er sich selbst nicht hören – aber alle anderen im Haus taten es. Nur wenige Dinge hinterlassen einen so tiefen Eindruck bei einem Menschen, wie wenn er hört, dass jemand ernsthaft für ihn im Gebet eintritt. Mein Großvater starb zwar, als ich sechs Jahre alt war, aber seine Gebete starben nicht. Unsere Gebete sterben nie. Es gab Augenblicke in meinem Leben, in denen der Geist Gottes meinem Geist zuflüsterte: Mark, jetzt werden die Gebete deines Großvaters in deinem Leben erhört. Diese Augenblicke gehören zu den demütigsten Momenten meines Lebens. Und nachdem ich die Legende von Honi dem Kreiszieher entdeckt hatte, merkte ich, dass mein Großvater bereits Gebetskreise um mich gezogen hatte, bevor ich geboren war.

Die Legende von Honi dem Kreiszieher war wie eine Offenbarung über die Kraft des Gebetes. Sie gab mir ganz neue Worte und Bilder, eine ganz neue Herangehensweise. Sie inspirierte mich nicht nur dazu, mutiger zu beten, sondern auch beharrlicher. Ich begann, jeden und alles im Gebet zu umkreisen. Besonders inspirierte mich dabei der Marsch um Jericho, als Gott eine 400 Jahre alte Verheißung erfüllte, indem er dem Volk Israel den ersten Sieg im verheißenen Land schenkte. Die Geschichte erwähnt zwar nicht ausdrücklich, dass die Israeliten beteten, während sie die Stadt umkreisten, doch ich habe keinen Zweifel daran, dass es so war. Ist es nicht das, was man instinktiv tut, wenn man vor einer Herausforderung steht, die die eigenen Möglichkeiten weit übersteigt? Das Bild, wie die Israeliten sieben Tage lang um Jericho ziehen, ist ein bewegendes Beispiel dafür, was es bedeutet, Gebetskreise zu ziehen. Außerdem ist es der Hintergrund für dieses Buch.

Der Marsch von Jericho

Der erste Blick auf Jericho war (Ehr-)Furcht einflößend. Auf ihrer vierzigjährigen Wüstenwanderung hatten die Israeliten nichts gesehen, das der Skyline von Jericho auch nur annähernd gleichgekommen war. Je näher sie vorrückten, desto kleiner fühlten sie sich. Endlich verstanden sie, warum die Generation vor ihnen sich klein wie Heuschrecken gefühlt hatte und aus lauter Angst nicht ins verheißene Land eingezogen war.5

Eine 1,80 Meter dicke untere Mauer und 15 Meter hohe obere Mauer umgaben diese uralte Metropole. Die Mauern aus Lehmziegeln waren so dick und hoch, dass die fünf Hektar große Stadt so uneinnehmbar wie eine Festung wirkte. Es schien, als hätte Gott etwas Unmögliches versprochen, und sein Schlachtplan klang aberwitzig: »Eure ganze Armee soll sechs Tage lang je einmal die Stadt umkreisen. Am siebenten Tag sollt ihr siebenmal um die Stadt ziehen«.6

Jeder Soldat der Armee muss sich doch nach dem Grund gefragt haben. Warum nicht einen Rammbock einsetzen? Warum nicht über die Mauern klettern? Warum nicht die Wasserversorgung unterbrechen oder brennende Pfeile über die Mauern schießen? Stattdessen befahl Gott der israelitischen Armee, schweigend die Stadt zu umkreisen. Und er versprach ihnen, dass die Mauer fallen würde, wenn sie die Stadt innerhalb von sieben Tagen dreizehnmal umrundet hätten.

Nach dem ersten Mal fühlten sich die Soldaten sicher ein bisschen albern. Aber mit jeder Umrundung wurden ihre Schritte größer und entschiedener. Mit jedem Kreis baute sich mehr heilige Zuversicht in ihrer Seele auf. Als der siebente Tag kam, war ihr »Glaubenstank« zum Bersten gefüllt. Sie standen noch vor Morgengrauen auf und begannen gegen sechs Uhr morgens, die Stadt zu umrunden.

Bei 5 km/h dauerte jede zweieinhalb Kilometer lange Umrundung der Stadt eine halbe Stunde. Gegen neun Uhr begannen sie also ihre letzte Runde. Gottes Gebot entsprechend, hatten sie dabei sechs Tage lang kein einziges Wort gesprochen. Sie hatten einfach schweigend die Verheißung umkreist. Jetzt stießen die Priester in die Hörner, und gleichzeitig schrien alle laut los. Sechshunderttausend Israeliten erhoben ein heiliges Gebrüll – heutzutage hätte es einen Ausschlag auf der Richterskala verursacht –, und die Mauern stürzten ein.

Nachdem die Israeliten Jericho sieben Tage lang umkreist hatten, löste Gott ein 400 Jahre altes Versprechen ein. Er bewies wieder einmal, dass seine Verheißungen kein Verfallsdatum haben. Und Jericho steht und fällt als ein Beweis für eine einfache Wahrheit: Wenn wir eine Verheißung kontinuierlich umrunden, wird Gott sie am Ende erfüllen.

Was ist unser Jericho?

Dieses Wunder hat uns viel zu sagen. Es zeigt nicht nur, wie Gott dieses spezielle Wunder tat, sondern enthält auch ein Muster, dem wir folgen können. Es fordert uns heraus, zuversichtlich die Verheißungen zu umrunden, die Gott uns gegeben hat. Und damit stellt sich die Frage: Was ist unser persönliches Jericho?

Für die Israeliten symbolisierte Jericho die Erfüllung eines Traumes, der mit Abraham begonnen hatte. Es war der erste Schritt zur Einnahme des verheißenen Landes. Es war das Wunder, auf das sie ihr Leben lang gehofft und gewartet hatten.

Was ist unser Jericho? Welches Versprechen umbeten wir? Um welches Wunder marschieren wir herum? Um welchen Traum ziehen wir unsere Kreise?

Gebetskreise zu ziehen beginnt damit, unser eigenes Jericho zu identifizieren. Wir müssen die Versprechen definieren, von denen Gott will, dass wir sie in Anspruch nehmen; die Wunder, für die wir Glauben haben sollen; die Träume, denen wir nachjagen sollen. Dann müssen wir beten, bis Gott uns gibt, was er will und für uns bestimmt hat. Das ist das Ziel. Und nun zum Problem: Die meisten von uns bekommen das, was sie wollen, einfach deshalb nicht, weil sie nicht wissen, was sie wollen. Wir haben nie auch nur eines von Gottes Versprechen eingekreist. Wir haben nie eine Liste von Zielen aufgestellt. Wir haben nie definiert, was Erfolg für uns bedeutet. Und unsere Träume sind so nebulös wie dicke Wolken.

Statt Kreise zu ziehen, ziehen wir immer nur Nieten.

Jericho umkreisen

Mehr als tausend Jahre nach dem Wunder von Jericho geschah genau am gleichen Ort ein weiteres Wunder. Jesus ist auf dem Weg aus der Stadt, als zwei blinde Männer ihn anrufen: »Herr, Sohn Davids, hab Erbarmen mit uns!« Die Jünger sehen es als menschliche Störung. Jesus sieht es als göttlichen Termin. Also bleibt er stehen und antwortet mit einer pointierten Gegenfrage: »Was soll ich für euch tun?«7

Im Ernst? Ist diese Frage überhaupt nötig? Ist nicht ganz offensichtlich, was sie wollen? Sie sind blind. Doch Jesus zwang sie, genau zu definieren, was sie von ihm wollten. Jesus brachte sie dazu, ihren Wunsch in Worte zu fassen. Er ließ sie ihren Wunsch quasi buchstabieren, aber nicht weil er nicht wusste, was sie wollten; vielmehr wollte er dafür sorgen, dass sie wussten, was sie wollten. Und hier beginnt das Ziehen von Gebetskreisen: Wir müssen wissen, was wir umkreisen.

Was, wenn Jesus uns genau die gleiche Frage stellen würde: Was soll ich für dich tun? Wären wir in der Lage, die Verheißungen, Wunder und Träume zu benennen, die Gott uns ins Herz gelegt hat? Ich fürchte, vielen von uns würden in diesem Fall die Worte fehlen. Wir haben keine Ahnung, was wir von Gott wollen. Und die große Ironie daran ist, dass wir, wenn wir diese Frage nicht beantworten können, geistlich ebenso blind sind, wie jene Männer es körperlich waren.

Gott ist für uns, doch gleichzeitig wissen die meisten von uns nicht, was Gott für uns tun soll. Und darum sind unsere Gebete nicht nur für uns langweilig, sondern auch wenig reizvoll für Gott. Wenn Glaube bedeutet, sich dessen gewiss zu sein, worauf wir hoffen, ist doch Ungewissheit bezüglich unserer Hoffnungen das Gegenteil von Glauben, oder? Ein reifer Glaube führt zu konkreten Gebeten, und konkrete Gebete führen zu einem erfüllten Leben.

Wer dieses Buch liest, ohne diese Frage zu beantworten, hat etwas Wesentliches nicht begriffen. Wie die beiden blinden Männer vor Jericho brauchen wir eine Begegnung mit dem Sohn Gottes. Wir brauchen eine Antwort auf die Frage, die er immer noch stellt: »Was soll ich für dich tun?«

Natürlich ändert sich die Antwort auf diese Frage im Lauf der Zeit. In den verschiedenen Phasen unseres Lebens und in den verschiedenen Situationen brauchen wir unterschiedliche Wunder, haben wir unterschiedliche Träume, nehmen wir unterschiedliche Verheißungen in Anspruch. Doch irgendwo müssen wir anfangen. Warum nicht hier und jetzt?

Lesen wir nicht nur einfach in der Bibel. Fangen wir an, die Verheißungen einzukreisen.

Wünschen wir uns nicht nur einfach etwas. Schreiben wir eine Liste mit Lebenszielen, die Gott verherrlichen.

Beten wir nicht einfach nur. Führen wir ein Gebetstagebuch.

Definieren wir unseren Traum.

Nehmen wir die Verheißung in Anspruch.

Buchstabieren wir unser Wunder.

Wie sich Jericho schreibt

»Jericho« bedeutet für alle etwas anderes. Wenn wir Krebs haben, ist es die Heilung. Wenn unser Kind weit von Gott entfernt lebt, ist es Errettung. Wenn unsere Ehe kurz vor dem Aus steht, ist es Versöhnung. Wenn wir etwas benötigen, das jenseits unserer Möglichkeiten liegt, ist es Versorgung. Doch ganz gleich, was Ihr Jericho ist, Sie müssen sich darüber klar werden, was es in Ihren Umständen konkret bedeutet. Manchmal ist Jericho eine Postleitzahl, zu der Gott uns ruft, oder ein Geldbetrag, der unsere Schulden begleichen wird. Und manchmal schreibt sich Jericho auch wie der Name einer Person. Für mich hat »Jericho« drei unterschiedliche Bedeutungen: Parker, Summer und Josiah – die Namen meiner Kinder.

Als mein Freund Wayne und seine Frau Diane ihr erstes Kind erwarteten, begannen sie, für ihr Baby zu beten. Sie waren davon überzeugt, dass ihre wichtigste Pflicht als Eltern im Beten bestand – warum also warten, bis das Kind geboren war? Jeden Abend legte Wayne seine Hände auf Dianes Bauch und betete die Verheißungen aus der Bibel, die sie für ihr Baby in Anspruch nehmen wollten. In den ersten Monaten der Schwangerschaft fiel ihnen ein Buch in die Hände, in dem es hieß, es sei nie zu früh, für den zukünftigen Ehepartner der eigenen Kinder zu beten. Zuerst schien es ihnen seltsam, für einen Ehepartner zu beten, bevor sie überhaupt das Geschlecht ihres Babys wussten, aber sie taten es trotzdem täglich, bis ihr Kind auf die Welt kam.

Wayne und Diane hatten beschlossen, dass sie das Geschlecht ihres Babys nicht vor der Geburt erfahren wollten, aber sie beteten darum, dass Gott ihnen zeigte, welchen Namen sie ihrem Kind geben sollten. Im Oktober 1983 gab Gott ihnen einen Mädchennamen: Jessica. Dann, im Dezember, kam ein Jungenname hinzu, und sie fingen an, für »Timothy« zu beten. Sie wussten nicht genau, warum Gott ihnen zwei verschiedene Namen gegeben hatte, aber sie zogen Gebetskreise um Jessica und Timothy, bis das Baby geboren wurde.

Am 5. Mai 1984 kam dann »Timothy« auf die Welt. Wayne und Diane zogen weiterhin Gebetskreise um ihren Sohn, doch sie beteten auch für das Mädchen, das er eines Tages heiraten würde. Zweiundzwanzig Jahre und zwei Wochen Gebet erreichten ihren Höhepunkt am 19. Mai 2006 – dem Tag, als Timothys Braut zum Altar schritt. Ihr Name? Jessica.

Und hier der Rest der Geschichte:

Waynes und Dianes zukünftige Schwiegertochter wurde am 19. Oktober 1983 geboren, im gleichen Monat, als Gott ihnen den Namen »Jessica« gegeben hatte. Aus 1600 Kilometern Entfernung beteten Wayne und Diane also namentlich für ihre Schwiegertochter! Damals dachten sie natürlich noch, Jessica sei ihre Tochter, aber Gott in seiner Souveränität hat immer noch eine Überraschung für uns parat. Für Wayne und Diane hat »Jericho« zwei verschiedene Schreibweisen – Timothy und Jessica –, aber den gleichen Nachnamen.

Falls es Sie interessiert – Timothy durfte zuvor zwei Freundinnen haben, die nicht Jessica hießen! Wayne und Diane erzählten Timothy bis zu seiner Verlobung nicht einmal, dass Gott ihnen den Namen seiner zukünftigen Ehefrau schon vor seiner Geburt mitgeteilt hatte.

Ich habe die große Freude, Timothys und Jessicas Pastor sein zu dürfen. In erster Linie sind es also natürlich die beiden, die von den Gebeten ihrer Eltern profitieren, aber ich habe auch etwas davon. Als Kleingruppenleiter in der National Community Church sind sie ein großer Segen für unsere Gemeinde, und er geht auf einen Gebetskreis zurück.

Unkonkrete Gebete

Vor einigen Jahren las ich einen Satz, der mein Beten veränderte. Der Autor, Pastor einer der größten Gemeinden in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, schrieb: »Gott erhört keine unkonkreten Gebete.« Als ich diese Aussage las, wurde mir augenblicklich bewusst, wie unkonkret meine Gebete waren. Manche von ihnen waren sogar so unkonkret, dass ich nicht einmal sagen konnte, ob Gott sie erhört hatte oder nicht.

In dieser Phase meines Glaubenslebens, als Gott mich herausforderte, viel konkreter zu beten, legte ich vor Pfingsten eine zehntägige Fastenzeit ein. So wie die 120 Christen, die zehn Tage lang in einem Zimmer eines Hauses versammelt waren und beteten, hatte ich den Eindruck, dass Gott von mir wollte, dass ich in den zehn Tagen direkt vor Pfingsten faste und bete. Mein Gedankengang dazu war ziemlich einfach: Wenn wir tun, was die Menschen in der Bibel taten, kann es doch sein, dass wir erleben, was sie erlebten. Natürlich kann man ein Wunder wie das von Pfingsten nicht »produzieren«, aber wenn man zehn Tage lang betet, könnte es doch passieren, dass ein ähnliches Wunder wie an Pfingsten geschieht.

Während jener zehntägigen Fastenzeit predigte ich in unserer Gemeinde über Wunder, und wir hatten gerade eines erlebt. Wir hatten wunderbarerweise ein Stück des »verheißenen Landes« kaufen können, das wir seit über fünf Jahren im Gebet umkreisten. Nun verteilten wir Steine vom Baugrund an die Mitglieder, als greifbares Zeichen des Wunders, das Gott für die gesamte National Community Church getan hatte. Dann forderten wir die Gemeinde auf, die Frage, die Jesus den beiden blinden Männern vor Jericho gestellt hatte, für sich persönlich zu buchstabieren: »Was soll ich für dich tun?« Anschließend schrieben wir unsere geheiligten Wünsche auf diese Steine.8 Ich schrieb sieben Wunder auf und begann, sie im Gebet zu umkreisen.

Ich will ganz ehrlich sein: Nicht alle der sieben Wunder, um die ich gebeten habe, sind bislang eingetreten. In einem Fall geschah sogar das genaue Gegenteil. Ich hatte Gott gebeten, uns das Kino an der Union Station zu geben, wo unsere Gemeinde sich mehr als zehn Jahre versammelt hatte, doch statt es uns zu geben, nahm Gott es uns weg. Das Kino wurde unerwartet geschlossen, und wir hatten weniger als eine Woche Zeit, um auszuziehen. Das war damals eine extrem enttäuschende und verwirrende Erfahrung, aber ich muss gestehen, dass dieses »Anti-Wunder« der Auslöser für größere und ganz andere Wunder war, die danach geschahen. Was wie die falsche Antwort aussah, stellte sich als die beste Antwort heraus. Es wird also nicht jedes Gebet so beantwortet, wie wir es geplant haben, doch bin ich davon überzeugt, dass die Wunder, die geschehen sind, nicht geschehen wären, wenn ich nicht einen Gebetskreis um sie gezogen hätte.

Je mehr wir Gott zutrauen, umso konkreter fallen unsere Gebete aus. Und je konkreter unsere Gebete sind, umso mehr wird Gott dadurch verherrlicht. Wie bei Honi, der um eine bestimmte Art Regen betete, geben differenzierte Gebete Gott die Gelegenheit, uns immer mehr zu zeigen, wie souverän er eigentlich ist. Wenn unsere Gebete nicht konkret sind, berauben wir Gott damit der Herrlichkeit, die er verdient, weil wir im Nachhinein gar nicht sicher sagen können, ob er unsere Gebete tatsächlich erhört hat oder nicht. Wir wissen nie, ob die Antworten das Ergebnis eines bestimmten Gebetes waren oder allgemeine Zufälle, die sowieso eingetreten wären.

Jener Stein, auf den ich die sieben Wunder geschrieben habe, liegt auf einem Regal in meinem Büro. Gelegentlich nehme ich ihn in die Hand, während ich bete. Das hat nichts Magisches an sich – es ist nur eine greifbare »Gebetsversicherung«: Er sorgt dafür, dass ich nicht vergesse, wofür ich bete. Er hilft mir außerdem, Gott die Ehre zu geben, wenn die Wunder geschehen. Wenn wir unsere Gebete konkret durchbuchstabieren, dann ist das letztendlich das Ergebnis: Gottes Ehre.

Die Leiter des Erfolgs

Wir sind schnell so sehr damit beschäftigt, die Leiter des Erfolgs zu erklimmen, dass wir gar nicht bemerken, dass diese Leiter nicht an der Mauer von Jericho lehnt. Wir verlieren unsere uns von Gott aufgetragenen Ziele aus den Augen. Unsere ewigen Prioritäten kommen unter die Räder unserer zeitlichen Pflichten. Und wir tauschen unseren von Gott gegebenen Traum gegen weltliche Träume ein. Statt also Jericho zu umkreisen, wandern wir am Ende vierzig Jahre durch die Wüste.

Vor einigen Jahren hatte ich einmal das seltene Vergnügen, einen Tag ganz ohne Pläne und Verpflichtungen vor mir zu haben. Gerade hatte ich meine Familie nach einem wundervollen Frühlingsurlaub in Südkalifornien am Flughafen von Los Angeles abgesetzt. Ich blieb noch da, weil ich bei einer Leiterschaftskonferenz einen Vortrag halten sollte, aber davor hatte ich einen ganzen Tag ohne Termine. Also setzte ich mich in ein Starbucks-Café an der 3rd-Street-Promenade in Santa Monica und verbrachte den Tag damit, Jericho zu umkreisen. Diese Atempause, zusammen mit einem bisschen kalifornischen Sonnenschein, schuf Raum für eine Erleuchtung. Während ich meinen White Chocolate Mocha schlürfte, dämmerte es mir, dass ich noch nie für mich definiert hatte, was Erfolg ist. Ich hatte einige Bücher geschrieben und reiste als Referent umher, aber weder das eine noch das andere war so erfüllend, wie ich gedacht hatte. In meine Begeisterung mischte sich oft eine tiefe Traurigkeit, wenn ich mich auf dem Weg dorthin, wo ich jeweils den nächsten Vortrag halten sollte, durch die Sicherheitskontrollen auf dem Flughafen quälte. Mein Leben erinnerte mich an jenen Witz über den Verkehrspiloten, der in der Durchsage an die Passagiere verkündet: »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte ist, wir haben uns total verflogen. Die gute ist, wir liegen super in der Zeit.« So kam mir mein Leben vor, aber es war nicht witzig.

Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der nicht erfolgreich sein will, aber nur wenige Menschen haben für sich durchbuchstabiert, was Erfolg eigentlich bedeutet. Wir übernehmen das, was uns in unserer Familie oder Kultur vermittelt wurde. Aber wenn wir Erfolg nie für uns selbst definieren, können wir nicht wissen, ob wir ihn erzielt haben. Dann kann es sein, dass wir unsere Ziele verwirklichen, nur um zu erkennen, dass wir diese Ziele gar nicht hätten haben sollen. Wir umrunden die falsche Stadt. Wir steigen die falsche Leiter hinauf.

Unterschiedliche Schreibweisen

Während Passanten beim Schaufensterbummel die Promenade hinauf- und hinunterschlenderten, kritzelte ich meine persönliche Definition von Erfolg auf eine Serviette – wobei sie letztlich von Gott kam. Er definierte für mich neu, was Erfolg ist, und ließ es mich auf dieser Papierserviette aufschreiben. Wie Untereinträge im Wörterbuch, die verschiedene Aspekte eines Wortes beleuchten, notierte ich drei unterschiedliche Schreibweisen. Die erste Definition mag recht allgemein gefasst klingen, aber sie ist in jeder Situation konkret anwendbar:

1. Tu das Beste, was du kannst, mit dem, was du an dem Punkt hast, an dem du gerade stehst.

Erfolg ist nicht von den Umständen abhängig. Wir konzentrieren uns normalerweise auf das, was wir tun oder wohin wir gehen, doch Gottes Hauptinteresse ist, wer wir dabei werden. Wir sprechen davon, Gottes Willen zu »tun«, aber der Wille Gottes hat viel mehr mit »sein« als mit »tun« zu tun. Es geht nicht darum, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein; es geht darum, der richtige Mensch zu sein, selbst wenn man sich in den falschen Umständen befindet. Erfolg hat nichts damit zu tun, wie begabt man ist oder welche Ressourcen einem zur Verfügung stehen; vielmehr hat er alles damit zu tun, Gott in jeder Situation zu verherrlichen, indem man das Beste aus ihr macht. Erfolg kommt aus verantwortungsvollem Handeln, und verantwortungsvolles Handeln kommt durch Erfolg.

Die zweite Definition, die ich aufschrieb, hat mit meiner eigenen Berufung zu tun. Ganz gleich, ob ich schreibe oder predige oder meine Kinder erziehe, ist dies die Leidenschaft in meinem Leben, die mich beflügelt:

2. Hilf Menschen, ihr gottgegebenes Potenzial voll auszuschöpfen.

Unser Potenzial ist Gottes Geschenk an uns; was wir damit machen, ist unser Geschenk zurück an Gott. Menschen zu helfen, ihr gottgegebenes Potenzial voll auszuschöpfen, ist der Grund, warum Gott mich auf diesen Planeten gestellt hat. Das holt mich früh aus dem Bett und hält mich spät am Abend wach. Nichts ist für mich beglückender, als zu sehen, wie Menschen in ihre gottgegebene Begabung hineinwachsen. Die dritte Definition offenbart meinen tiefsten Herzenswunsch: