WALHALLA

 

 

Die Pforte nach Åsgård

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Mystery-Roman von

Parzzival


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Erste Auflage 2015

© Mystery-Roman: Parzzival

© Coverbild: fotolia.com/Bergfee

Covergestaltung: Grafikdesign für Buchcover AH

© Fotos: Parzzival (Walhalla, Parzzival), B. I-F. (Stein),

© Bild: Stefan Erdle (Hel)

© Cover (CD): Parzzival

Lektorat: Verlag der Schatten

© Verlag der Schatten, 74594 Kressberg-Mariäkappel

ISBN: 978-39817123-5-3


Walhalla

 

 

 

Die Pforte nach Åsgård

 

 

 

 

 

 

 

Ein Mystery-Roman von

Parzzival

 


Es ist eine sternenklare Nacht, als zwei junge Paare aus Frust und Übermut eine Bier-Party vor der Regensburger Walhalla feiern.

Je weiter die Nacht voranschreitet, desto mysteriöser werden die Geschehnisse um sie herum.

Als sie sich durch das plötzlich immateriell gewordene Hauptportal begeben, erwartet sie dort jedoch nicht die weiße Säulenhalle des Innenraums, sondern die wahre Walhalla, deren Existenz für die Jugendlichen bisher jenseits jeder Vorstellung gelegen ist.

Dort müssen die Freunde stellvertretend für alle Menschen Prüfungen bestehen, die für das Kollektiv-Bewusstsein der Erdbevölkerung etwas Neues initiieren. Göttervater Wodan möchte nämlich eine durchaus wahrscheinliche, globale Ragnarök vermeiden. Das ist aber nur möglich, wenn es der menschlichen Spezies aus eigener Kraft gelingt, eine höhere Bewusstheit zu erreichen. Der Schlüssel dazu sind diese vier Jugendlichen.

 

Inhaltsverzeichnis

 

Prolog

Frankfurt am Main, Stadt des Geldadels

Berlin, Hauptstadt der BRD

Regensburg, nahe der Walhalla

Schondorf am Ammersee, Institut für Metaphysik und Symbolik

Die mysteriöse Stimme

Portal nach Åsgård

Fenris-Wolf und Midgård-Schlange

Die Halle der Helden

Am Mimir-Brunnen

Das Lava-Becken der Feuer-Riesen

Kampf gegen Thor

Das Erwachen

Epilog

Frankfurt am Main, Stadt des Geldadels

Berlin, Hauptstadt der BRD

Schondorf am Ammersee, Institut für Metaphysik und Symbolik

Biografie


»Walhalla – Die Pforte nach Åsgård« ist keine bloße Fiktion im Sinne eines Fantasy-Romans, sondern eine Rückschau auf alte Werte des Germanentums. Und gleichzeitig eine Zukunfts-Vision für die Entwicklung Mitteleuropas, in dem die Seele des erwachten Menschen irgendwann all die Bosheiten der Ära der Lügen beiseitegeräumt haben wird.

 

 

 

 

 

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Möchte Walhalla förderlich sein der

Erstarkung und Vermehrung deutschen

Sinnes! Möchten alle Deutschen, welchen

Stammes sie auch seien, immer fühlen,

dass sie ein gemeinsames Vaterland haben,

ein Vaterland, auf das sie stolz sein können;

und jeder trage bei, soviel er vermag,

zu dessen Verherrlichung.

 

Ludwig I, König von Bayern 1830 – 1842

 

 

 

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Einen Herzens-Dank sende ich an meinen geistigen Bruder Elmar Frank-Heyes,

dessen Wissen um keltisch-germanische Mystik

im Einklang mit seiner druidischen Erfahrung

diese Erzählung abrundete.

 

-Parzzival-

Prolog

 

Frankfurt am Main, Stadt des Geldadels

 

»Hey, Alter!«, rief der jugendliche Türke mit deutschem Pass einem pummeligen Kumpel undefinierbarer Herkunft entgegen. »Komm mit, ein paar Reifen aufmischen!«

Der Dickliche schluckte die letzten Reste der zweiten Bockwurst hinunter, ließ die mit Tomatenketchup beschmierte Pappschale achtlos auf die Straße vor der Imbissbude fallen, nickte heftig und rannte seinem Freund hinterher, so rasch es die vom Bier gesättigten Wülste seines Bauches erlaubten.

Zwei Straßen weiter begann ein etwas besserer Stadtteil. Weniger Müll lag dort herum. Keine Prostituierten gingen nachts auf Kundenfang. Und hier und da war sogar ein Mittelklassewagen auf der Straße geparkt.

»Hey!«, rief der Dicke schon nach zehn Minuten. »Der hier passt! Gehört so 'ner Arsch-Kack-Spießer-Familie. Hä, hä … Baby on board! So 'n Scheiß-Piss-Motherfuck-Daddy!« Der Dicke blieb breitbeinig auf dem Gehsteig stehen – das verbotene Butterfly-Messer griffbereit in der Hosentasche –, um jeden Passanten, der die Aktion stören könnte, zum raschen Weitergehen zu bewegen.

Bülent, dessen Eltern eine Auffang-Einrichtung für drogensüchtige Jugendliche leiteten und sich aufopfernd für ihre Mission einsetzten, holte ein Spitzmesser aus seiner Weste, das schon manchem Reifen das Leben aushauchen ließ, und stach zu. Zwei Mal auf jeden Reifen. Die schnell entweichende Luft zischte und der Wagen sackte nach unten.

Streng nach Murphys Gesetz ereignete sich aber, während sich die beiden Halbwüchsigen wieder zur Imbissbude trollten und sich über die deutschen Spießer lustig machten, mit denen man sowieso alles treiben könnte, in jener Familie just in diesem Augenblick etwas Schreckliches.

Das Baby, von dessen Anwesenheit der Aufkleber am PKW der Familie zeugte, bekam einen schweren Asthma-Anfall. Notfall-Spray war nicht mehr vorhanden.

Besorgt rannten die Eltern mit ihrem Kind hinaus, um es rasch zur Klinik zu fahren.

Als der Vater die Fahruntüchtigkeit des Autos erkannte, stützte er sich zunächst geschockt auf dem Kotflügel ab. Dann schoss Wut – ja maßloser Hass – auf die Reifenstecher in ihm empor, während die Mutter erst hilflos herumschrie, bevor sie mit dem Kind im Arm wieder ins Haus rannte, um einen Notarzt zu rufen.

Dieser aber kam zu spät. Er konnte nur noch den Erstickungstod des Kleinkindes feststellen.

Die ebenfalls herbeigerufene Polizei wirkte zwar betroffen, doch statt den Eltern Trost zu spenden und aktiv Hilfe zu leisten, indem sie eine sofortige Fahndung nach den Tätern einleiteten, meinte einer der Beamten nur: »Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir die Täter jemals ausfindig machen werden. Außerdem wäre ich an Ihrer Stelle längst aus dieser Gegend weggezogen. Es ist absolut unverantwortlich, mit einem Kleinkind in diesem Stadtteil zu wohnen.«

 

Berlin, Hauptstadt der BRD

 

Als Berlin noch Hauptstadt der DDR war, war es sowohl im Westen als auch im Osten der Stadt problemlos möglich als Frau des Nachts alleine durch die Straßen zu schlendern.

Heute sollte man dies besser lassen, wenn man nicht erfahren in der Kampfkunst oder bewaffnet ist.

Selbst Letzteres bietet nur eine trügerische Sicherheit.

Den Kräften der Verrohung und Bosheit geht es nämlich gar nicht mehr darum, jemanden zu berauben oder eine wehrlose Frau zu vergewaltigen, sondern nur noch darum, blind zu zerstören.

Tina – ein junges, hübsches Mädchen aus gutem Elternhause – war für das heutige Berlin leider zu naiv. Kein Wunder, war sie doch im ländlichen Niederbayern aufgewachsen, wo die Welt noch in Ordnung ist, wie man dort behauptet. Sicher nicht immer wahr, doch waren für bayrische Verhältnisse die Zustände in manchen Bezirken der Bundeshauptstadt ein ferner Albtraum. Zu fern, um in seiner schrecklichen Wirklichkeit registriert zu werden.

Als Tina mit ihren Eltern nach Berlin zog, lernte sie rasch viele Männer kennen, die ihr mehr oder weniger freizügig den Hof machten. Die Internationalität Berlins und das Gewirr an fremdländischen Eindrücken waren für das dörflich geprägte Mädchen wie die Offenbarung der großen, weiten Welt.

Durch die geschickten Anmach-Taktiken landete Tina schnell in den Betten allerlei sogenannter Freunde, die das Mädchen mit dem unschuldigen Blick nur allzu gerne verführten. Nach einer wilden Nacht ließen sie sie jedoch stets in eine emotionale Leere fallen. Liebe erfuhr Tina in diesen Kreisen nicht, obwohl sie sich so sehr danach sehnte. Gier und besitzergreifende Täuschung jedoch umso mehr.

Irgendwann wurde sie von einem Afrikaner tröstend in die Arme genommen. Er versprach ihr, sich um sie zu kümmern. Und er schenkte ihr ein Pulver, das sie schnupfen sollte, um wieder glücklich zu werden.

Der Rest ist rasch berichtet: Tina wurde drogensüchtig. Erst Kokain. Dann Crack. Und schließlich Opiate.

Als sie die Drogen nicht mehr über Prostitution finanzieren konnte, wurde sie kriminell und schloss sich einer Bande von jugendlichen Einbrechern und Dealern an.

Kurze Zeit später wurde sie in einer Szenekneipe bewusstlos auf der Toilette gefunden. Niemand rief den Notarzt oder die Polizei. Im Gegenteil. Ein paar Jungs vergnügten sich noch einmal mit ihrem schlaffen Körper. Dann warfen sie Tina in den Kofferraum eines Autos, fuhren sie ein paar Blöcke weiter, um Spuren zu verwischen, und legten sie wie Abfall zwischen einigen stinkenden Müllsäcken in einem Hinterhof ab, wo sie innerhalb weniger Minuten verschied.

 

Regensburg, nahe der Walhalla

 

In der Abschlussklasse eines Gymnasiums waren die letzten Abiturprüfungen abgelegt worden. Noch war unklar, wie sie ausgefallen waren. Doch Anna und Rainer sowie Freya und Hartmuth – zwei befreundete Paare, die viel zusammen unternahmen – wussten, dass sie nicht gerade Glanzvolles geleistet hatten.

Jetzt saßen sie im Restaurant eines Fastfoodgiganten und ließen ihrem diesbezüglichen Frust freien Lauf.

»Dein geplantes Medizinstudium kannst du an den Nagel hängen, wie's aussieht«, frotzelte Hartmuth in Rainers Richtung. »Na ja, die Idee, Psychiater zu werden, ist sowieso irgendwie bescheuert, finde ich. Da hat man ständig Verrückte um sich herum. Bist du nicht selbst verrückt genug?«

»Blödmann!«, meckerte Rainer, während die beiden Mädchen vor sich hin schmunzelten. »Iss mal brav deinen Burger und halt die Klappe, Hardy. Wie kann man andere als verrückt bezeichnen, wenn man selbst den verrücktesten Namen hat, den's gibt!«

»Nicht neidisch werden!«, mokierte sich Freya. »Das bedeutet eiserne Härte und Mut. Als ob er ein Kämpfer wäre, mein Hartmüthchen! Aber toll ist der Name trotzdem.«

Die blonde Anna lachte über das ganze Gesicht, als sie einwarf: »Und Freya bedeutet wohl, dass du Freiwild für alle Männer bist?«

Die Angesprochene fühlte sich sofort unangenehm an ihre Vergangenheit erinnert. »Nö, aber Fruchtbarkeit steckt drin«, konterte sie. »Ich glaube, das war eine Fruchtbarkeits-Göttin. Hatte es also bestimmt faustdick hinter den Ohren.«

»Wie du! Womit wir wieder bei den Verrückten wären«, beendete Rainer gekonnt den Themenkomplex.

Alle lachten herzhaft auf, bevor sie weiter ihre Burger mampften, als ob sie mit der Pampe den aktuellen Frust herunterwürgen könnten.

»Leute, ich halte es zu Hause nicht mehr aus«, ergriff Anna plötzlich ernst das Wort. »Meine Eltern sind ja jetzt auf Hartz IV. Der Alte ist nur noch besoffen und meckert an allem herum. Er hat Mama sogar schon eine gescheuert. Außerdem sieht er mich manchmal an, als ob er richtig heiß auf mich wäre.«

»Kann ich irgendwie nachvollziehen! Bist doch eine scharfe Maus!«, grinste Rainer belustigt und kassierte einen strengen Blick von seiner bildhübschen Freundin.

»Das ist nicht witzig!«, rief Anna empört. »Der Alte ist durchgeknallt!«

»Womit wir wieder bei den Irren wären!«, warf Hartmuth mit vollem Mund ein. »Musst doch ein Psychofritze werden, Rainer. Einen ersten Kunden hättest du schon. Deinen Schwiegerpapi! Aber … hm … mach besser einen auf Schönheits-Chirurg. Dann kannst mir mal meinen Speck entfernen. Der nervt!« Demonstrativ fasste Hartmuth sich an die mächtigen Wülste, die seinen Bauch umringten.

»Friss einfach nicht so viele Burger!«, fauchte Freya ihn belehrend an. Sie war spindeldürr, an der Grenze zur Magersucht, weil sie sehr unter den Problemen mit ihren Eltern litt. Ihre Erziehung war extrem streng. Weder Vater noch Mutter ließen ihr die nötigen Freiräume für ihre persönliche Entwicklung. Sie erdrückten sie stattdessen mit altmodischen Reglements und gluckenhafter Pseudo-Liebe. Kein Wunder, dass sie sich in vielen Betten austobte, ohne die ersehnte Liebe zu finden. Mit Hartmuth verband sie zum ersten Mal ein enges Band echter Freundschaft, auch wenn diese primär darin bestand, sich gegenseitig den Lebensfrust zu berichten.

Hartmuth, dessen zweiter Vorname Baldur lautete, reagierte auf Freyas Spitze überhaupt nicht, sondern mampfte seelenruhig seinen Burger weiter. Er wusste, dass sein Bauchspeck durch Frust-Essen entstanden war. Von den alten germanischen Heldensagen und griechischen Epen wie Ilias und Odyssee sehr angetan, litt der Jugendliche sehr darunter, dass es heute nahezu unmöglich war, ein Held zu sein, ja überhaupt den kämpferischen Pfad eines Helden einzuschlagen. Er wusste wohl, was seine Vornamen aussagten, sah sich aber absolut unfähig, aus den Nomen auch ein Omen werden zu lassen. Er hatte resigniert. Hatte sich mit dem Schicksal eines öden und absolut gleichförmig verlaufenden Lebens abgefunden, das bis zum Sarg wohl kaum ein echtes Abenteuer oder gar die Chance Heldenmut zu zeigen mit sich bringen würde. So stopfte er sich in den hungrigen Schlund, was immer er hineinstopfen konnte, um seinen Unmut überhaupt ertragen zu können.

»Hey Leute, ich weiß was! Freya mit ihrem antiquierten Namen hat mich drauf gebracht«, rief Rainer plötzlich in die Runde. »Jeder von uns hat doch Frust momentan. Den müssen wir also irgendwie loswerden. Da wir schon lange kein richtiges Besäufnis mehr gefeiert haben, wie wär's, wenn wir am Wochenende zur Walhalla rauffahren und so richtig einen draufmachen. Wir nehmen Bier mit, Schnaps und Schlafsäcke, und bleiben über Nacht dort oben. Die Nächte sind ja noch kalt, deshalb sind zu der Zeit bestimmt keine Besucher mehr dort. Also, warm anziehen! Wir können mein Auto nehmen. Was meint ihr?« Rainer war zwar derjenige, der aktuell am wenigsten mit Problemen belastet zu sein schien, doch dieser Schein trug. Er stand unter immensem Leistungsdruck. Seine Eltern würden ihm jede Zuneigung und Zuwendung entziehen, wenn er nicht erfolgreich Medizin studieren würde. Sein Vater war schließlich ein nicht gerade unbekannter Arzt. Im Auftrag der Pharma-Industrie organisierte er europaweite Impf-Kampagnen, um den armen Herstellern von Impfstoffen zu mehr Einnahmen zu verhelfen, indem er die impfmüde Bevölkerung vor der Bedrohung von seltsamerweise immer aggressiver werdenden Viren und Bakterien warnte. Ein wichtiger Job, wie er meinte. Und wie es von der Gesellschaft auch empfunden wurde. Von Rainer wurde daher erwartet, dass er in die großen Fußstapfen seines Vaters trat. Er war bereits Mitglied einer entsprechenden Verbindung, die nahezu automatisch in einen Rotary Club und weiter in eine spezielle Freimaurerloge mündete, wo sein gesellschaftlicher Aufstieg bereits vorprogrammiert war, wenn er denn die nötigen Einsichten und Voraussetzungen mitbrächte.

Rainers Vorschlag wurde Beifall klatschend angenommen. Bereits am kommenden Freitag, an dem schönes Wetter angekündigt war, wollte man gemeinsam bei Einbruch der Dunkelheit zur Walhalla fahren, um auf den vorderen Stufen, mit Ausblick auf die Donau, einen draufzumachen.

 

 


Schondorf am Ammersee, Institut für Metaphysik und Symbolik

 

Während sich in drei deutschen Großstädten diese mehr oder weniger dramatischen Szenen abspielten, wurde in der kleinen bayrischen Akademie für alternative Wissenschaften ein interessanter Vortrag gehalten.

Professor Grotenbrink – Vorsitzender des Studienkreises für germanische und keltische Mystik – referierte gerade vor einem interessierten Publikum: »… und deshalb, meine Damen und Herren, gehen wir heutzutage immer mehr zu der Annahme über, dass die alten Götter nicht nur als symbolhafte Wesensteile des Menschen oder gar als aus Massenhalluzinationen entstandene Wunschträume von Primitiven zu werten sind, sondern als sehr reale Wesen, beheimatet in anders schwingenden Seins-Bereichen abseits der Materie, statisch in ihrer Wesenhaftigkeit zwar, aber dennoch mit höchst verwunderlichen Eigenschaften und Fähigkeiten ausgestattet. Der moderne, rational verseuchte Mensch hat sich zwar mehr und mehr aus dem Schwingungs- und somit Einflussbereich dieser Gottheiten entfernt, doch haben die alten Götterwesen nichts von ihrer Kraft verloren. Sie sind jedoch nur noch selten dazu fähig, diese Kraft zum moralischen Wachstum des Menschen anzuwenden, da der moderne Mensch die Kontaktfähigkeit zu ihnen zumeist verloren hat. Seine inneren Sinne sind zu stumpf geworden, um noch entsprechende Resonanzen verspüren zu können. Nur in Ausnahmesituationen, bei Menschen, die ihr Bewusstsein den höheren Mächten des Kosmos zuwenden, könnten vielleicht noch echte Kontakte zustande kommen.

 

Die mysteriöse Stimme

 

Der Parkplatz unterhalb der Walhalla ist tatsächlich völlig leer, als Rainer mit seinem Kleinwagen dort hält.

Die Dämmerung beginnt, der Nacht zu weichen. Der Vollmond hebt sich dunkelgelb über den östlichen Horizont.

Rainer steigt aus, öffnet den Kofferraum, um zwei Kästen Bier, eine Picknick-Tasche mit belegten Broten drin, drei Schlafsäcke – will er doch mit Anna einen Doppelschlafsack nutzen –, ein paar Taschenlampen und zwei Wodka-Flaschen herauszuholen, die er, wie die Lampen, in die Tasche steckt.

»Brauchen wir Isomatten?«, fragt er die nun ebenfalls ausgestiegenen Freunde.

»Denke nicht«, antwortet Freya.

»Es bleibt wohl einigermaßen lau heute Nacht«, bekräftigt Hartmuth.

Dann langen die Mädchen nach der Picknick-Tasche, auf die noch der Doppelschlafsack gelegt wird, während ihre Freunde jeweils einen Kasten Bier auf die Schulter hieven, auf denen noch je ein Schlafsack liegt.

So bepackt laufen sie den leicht ansteigenden Weg hinauf zur Walhalla.

Wie erwartet, begegnet ihnen keine Menschenseele.

An den dem Parkplatz zugewandten Stufen des Säulentempels stellen die Freunde das Gepäck erst einmal ab, verschnaufen kurz, um dann an den seitlichen Marmortreppen des Säulengangs entlang die Sachen zum Eingang der Walhalla zu schleppen, wo sie sich auf den breiten Stufen zum Haupteingang ein passendes Plätzchen mit Blick auf die Donau suchen.

Dort werden die Bierkästen und die Tasche abgestellt, die Schlafsäcke als Sitzunterlage ausgebreitet, ein paar belegte Brote ausgepackt und die Taschenlampen verteilt. Rainer öffnet – begleitet vom üblichen Zischen – vier Flaschen Bier, drückt seinen Freunden je eine in die Hand und ruft laut: »Prost! Lasst uns diesen Abend mit viel Bier und Schnaps genießen, wie es einst unsere Vorfahren mit dem Met getan haben!«

»Die lebten auch in Freiheit!«, murmelt Hartmuth daraufhin niedergeschlagen.

»Und hatten keine Familienprobleme!«, fügt Freya hinzu, bevor Anna schnaubt: »Sie wurden von ihren Vätern auch nicht blöd angeglotzt!« Dann lassen die Freunde die Flaschen aneinander klingen und setzen zu einem ersten Schluck an.

Während die anderen es sich auf den Schlafsäcken bequem machen und auf die Donau hinunterblicken, deren Wasser im Mondlicht funkelt, holt Rainer eine der Schnapsflaschen heraus, öffnet sie und nimmt einen tiefen Zug, bevor er die flüssige Droge an die anderen weiterreicht.

Als Hartmuth einen großen Schluck Schnaps hinuntergewürgt hat, gibt er einen Rülpser von sich, der sogar seine Bauchrundungen zum Wackeln bringt.

»Hardy, Hardy, was würden die alten Recken der Walhalla von dir denken, wenn du vor dem Eingang der hehren Halle solche Töne von dir gibst?«, schmunzelt Rainer und setzt sich nun ebenfalls.

Da ist hinter ihnen, just am genannten Eingang, plötzlich ein seltsamer Ton zu hören.

»Ojä!«, klingt es leise zwischen den Säulen hervor, als ob eine geisterhafte Stimme: »Oh je!«, gehaucht hätte.

Erschrocken erstarren die Freunde im ersten Moment. Dann springen sie auf und rennen die breite Treppe hinauf. Doch niemand ist im Licht der Scheinwerfer zu sehen.

Hartmuth blickt auf die Schnapsflasche, die er noch in der Hand hält, und grinst: »Na sowas, ich habe doch erst einen Schluck davon getrunken.«

»War bestimmt nur der Wind«, winkt Anna ab und zuckt mit den Schultern, was alle zu beruhigen scheint, ungeachtet der Tatsache, dass es eigentlich windstill ist.

Dann schlendern sie die Stufen wieder hinunter, setzen sich auf ihre Schlafsäcke und starren still auf die Donau hinab, die von ihren schon leicht vom Alkohol getrübten Wahrnehmungen wie eine silbrig schimmernde und glitzernde Schlange erscheint.

»Glaubt ihr eigentlich an Geister?«, fragt Freya plötzlich in die Runde. »Ich meine, wegen des ominösen Stöhnens vorhin.«

»Lass dir von einem angehenden Seelenklempner sagen, dass es so etwas nicht gibt«, antwortet Rainer sogleich. »Das sind alles nur Wunschbilder im Bewusstsein, um den Menschen etwas bei Laune zu halten. Ebenso wie Elfen, Engel, Dämonen, Götter und all das Zeug aus dem Märchenland. Ich habe vor zwei Monaten darüber ein Referat in Ethik gehalten, falls du dich erinnerst.«

Anna nimmt einen großen Schluck aus der Bierflasche, bevor sie ganz ernst flüstert: »Das Wort Geist ist schon seltsam irgendwie. Es bedeutet ja Gespenst, aber auch von unserem Verstand sagt man, er sei Geist. Dann redet die Religion noch vom Heiligen …«

Ein kräftiger Rülpser unterbricht sie in diesem Moment. »Uff, sorry, Prost!«, kommentiert Hartmuth seinen unbeabsichtigten Einwurf.

»Und das war der Geist aus der Flasche. Sagen wir Kartoffelgeist dazu. Auf Russisch auch Väterchen Wodka genannt!«, vollendet Anna gereizt ihre begonnene Ausführung.

Alle kichern leise.

»Aber das Geräusch vorhin bei den Säulen …«, haucht Freya wieder.

»Haben wir doch geklärt!«, behauptet Anna. »Das war der Wind, der Wind, das himmlische Kind!«

Freya lauscht diesem Märchenzitat nachdenklich, bevor sie antwortet: »Du hast es für dich so geklärt. Es war die ganze Zeit aber völlig windstill.«

Lange sagt darauf keiner ein Wort. Alle blicken auf die Donau hinab und nippen zwischendurch an ihren Bierflaschen. Als sich eine dunkle Wolke vor den Mond schiebt, erstirbt das Glitzern auf der Donau. Nur die Lichter der Zivilisation sind noch zu sehen.

»Hoffentlich gibt's kein Gewitter. Die Wolke ist schon sehr dunkel«, bricht Hartmuth mürrisch die Stille.

»Nein!«, behauptet Rainer mit akademisch klugem Gesichtsausdruck. »Da fehlt, wie man hier so sagt, der typische Gewitter-Schlauch hochgestiegener Wolken! Außerdem ist heute keine Gewitterneigung. Das spürt man doch!«

Als ob Wodan höchstpersönlich diese Worte mit Verachtung strafen wollte, blitzt es in diesem Moment heftig und Donner grollt laut über sie hinweg.

Entsetzt springt Hartmuth auf. »Habt ihr das gesehen? Der Blitz hat ausgesehen wie ein Speer, der genau hierher zeigt!«

Freya, die ebenfalls aufgesprungen ist, flüstert totenblass: »Leute, hier stimmt was nicht. Eine komische Stimme. Und Blitze, die es nicht geben darf. Kommt, hauen wir ab!«

Ängstlich blickt auch Anna um sich, klammert sich an Rainers Arm, schweigt aber zu den Vorgängen.

»Spinnt ihr, Leute?« Rainer schüttelt seelenruhig den Kopf, während er einen noch akademischeren Gesichtsausdruck aufsetzt. »Seid ihr schon so besoffen, dass ihr vor einem harmlosen Hochgewitter Angst bekommt? So was gibt's! Da braucht's keine Wolkentürme, da reichen Entladungen in der Stratosphäre oder noch höher. Und, Freya, es war nur ein einziges Geräusch – woher auch immer –, keine Stimme! Oder glaubt ihr, dass Hardys altgermanischer Zweitnamensgeber Baldur höchstpersönlich mit seiner Götterschar hier einen Spuk verursacht? Ha, ha! Also kommt ihr beiden, setzt euch wieder hin!« Er wartet, bis sie wieder sitzen, packt dann seine Bierflasche und hebt sie ihnen entgegen. »Prost!«

Als er sie ansetzt, vernehmen sie klar und deutlich eine dunkle Stimme: »Und wenn es doch so wäre? Was sagt dann deine Weisheit?«

Nun ist es Rainer, der erschrocken aufspringt. Er grapscht nach seiner Taschenlampe, schaltet sie an und blickt sich um. Vier Augenpaare folgen verunsichert dem hellen Kegel der Lampe. Nichts ist zu sehen, weshalb Rainer sich wieder auf den Schlafsack setzt, seinen Arm um Anna legt und sich brüstet mit den Worten: »Einen zukünftigen Psychiater kann man mit ein paar Bauchredner-Tricks nicht ins Bockshorn jagen. Also, kann jemand bauchreden? Oder wo steht das Tonband?«

Niemand antwortet. Stattdessen greift Hartmuth nach der Schnapsflasche, nimmt einen großen Schluck und reicht sie wortlos weiter. Nachdem jeder einen kräftigen Zug genommen hat, ist die Flasche leer. Und die Furcht legt sich, begünstigt durch den massiven Einsatz von Schnaps, langsam wieder.

Mit glasig werdenden Augen starren die Freunde auf die Donau hinab, ohne weiter ein Wort über die neuerliche Stimme zu verlieren. Nur die Mädchen blicken gelegentlich hinter sich, wie um sich zu vergewissern, ob nicht doch ein germanisches Götterwesen herumschleicht.

Kurze Zeit später beginnen die vier, träge dahinzudämmern. Der zu schnell getrunkene Schnaps zeigt seine Wirkung.

Nach längerem Schweigen und weiterem Nuckeln an den Bierflaschen steht Rainer auf und wankt ein paar Stufen die Haupttreppe hinunter, um hinter einem Vorsprung seine Blase zu entleeren, die nahezu geleerte Bierflasche dabei in einer Hand haltend. Als er die Stufen wieder hochsteigt, bleibt er etwa fünf Meter vor der Gruppe wie angewurzelt stehen und blickt mit ungläubig aufgerissenen Augen nach oben. Die Bierflasche entgleitet seiner Hand. Klirrend zerbricht sie auf der Marmorstufe.