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Norbert Opfermann

Spurensuche

Eisenbahnen gestern und heute





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Vorwort

Schon von Kindheit an haben mich Eisenbahnen fasziniert. Zunächst waren es nur die Märklin-Eisenbahnen, später die letzten Dampfrösser und schnellen Züge bei der Bundesbahn – und jetzt immer mehr Museumseisenbahnen und landschaftlich schöne Eisenbahnstrecken. In diesem Buch stelle ich Bahnstrecken und Museen in Deutschland, Südtirol und in der Schweiz vor.

Als Fachjournalist habe ich über viele Straßenbahn- und Eisenbahnbetriebe sowie über deren Verkehrsgeschichte geschrieben. Viele Strecken habe ich schon bereist. Darunter so legendäre wie die Berninabahn oder den Glacier-Express. Zahnradbahnen führen uns in der Schweiz in die schwindelerregenden Höhen der hochalpinen Bergwelt mit Eis und Schnee und gewähren uns atemberaubende Blicke auf die letzten Alpengletscher, die als Folge der globalen Klimaerwärmung rasant abtauen.

Die Tourismusmanager haben längst den Wert von stillgelegten Bahntrassen für den gestressten Stadtmenschen entdeckt, der heute gerne eine Auszeit in der Natur nimmt. Das Wandern wird wieder entdeckt, nicht nur von der älteren, fitten Generation. Ausgediente Eisenbahntrassen werden als Wander- und Radwege neu entdeckt; oder das Wandern an der Bahn ermöglicht Aus- und Zusteigen nach Belieben.

Viele engagierte Eisenbahnfreunde haben alte Loks vor der Verschrottung gerettet und führen sogar auf stillgelegten Trassen einen Museumsverkehr durch. Liebevoll haben sie alte Fahrzeuge restauriert, stellen diese in Museen aus und dokumentieren die Technik sowie die Verkehrsgeschichte. Ihr Engagement verdient Anerkennung, die ihnen mit diesem Buch zuteilwerden soll. Ich würde mich freuen, wenn die hier beschriebenen Bahnen und Museen bald neue Besucher und Fahrgäste begrüßen können.

Jetzt wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Schmökern und Entdecken der faszinierenden Welt der Eisenbahn.

 

Norbert Opfermann

 

 

 

 

Einklang

 

„Es ist unmöglich, eine Dampfmaschine zu betrachten, ohne Staunen und Bewunderung für die Erfindungsgabe des Menschen zu empfinden. Aber dieses Gefühl steigert sich zur Ehrfurcht, wenn man einer Lokomotive ansichtig wird – solch ungeheure Gewalten in so kleinem Raum eingeschlossen! Ich kann mich nie der Vorstellung erwehren, dass sie eigene Impulse hat – dass sie nicht nur ein bewegliches Ding, sondern auch ein lebendiges Wesen ist.“

 

Frederick Marryatt (1792–1848, englischer Marineoffizier und Schriftsteller, Zeitgenosse von Charles Dickens)

 

Die Selfkantbahn

Die letzte Schmalspurbahn in Nordrhein-Westfalen

 

 

 

Tief im Westen, kurz vor der niederländischen Grenze, fährt die letzte Schmalspurbahn Nordrhein-Westfalens: die Selfkantbahn. Alles ist hier so wie früher, die Dampflokomotive vor dem Zug, die Wagen dritter Klasse mit Holzbänken, die Schaffner in ihren Uniformen: Schmalspurromantik pur.

 

 Auch junge Leute engagieren sich im Verein.

 

Pfingsten 2014 machten wir uns auf zu einer Fotosafari zum Kleinbahnmuseum in Gangelt-Schierwaldenrath im Kreis Heinsberg. Beim „Pfingstdampf“ fahren hier besonders viele Züge. Unterwegs gerieten wir in einen Platzregen mit heftigem Blitzgewitter. Tags darauf entwurzelte Sturm „Ela“ in Düsseldorf sowie am Niederrhein zahlreiche Bäume und legte den Schienenverkehr mehrere Tage lang lahm.

Doch am Pfingstsonntag war das noch nicht zu erahnen. Auch im Bahnhof Schierwaldenrath hatte es einen Wolkenbruch gegeben. Die Pfützen trockneten schnell. So empfing uns strahlender Sonnenschein; und in strahlende Augen blickten wir, als wir dort ankamen. Für Kinder und Erwachsene ist der Ausflug in die Eisenbahnnostalgie gleichermaßen ein besonderes Erlebnis. Hier ist einfach alles perfekt: die liebevoll restaurierten Lokomotiven und Wagen sowie das Beiwerk auf dem Bahnsteig mit Gepäckkarren und Reisekoffern. Da fühlt man sich an die vergangene Zeit der Schmalspurbahn erinnert. Die Eisenbahngeschichte wird von der „Interessengemeinschaft Schienenverkehr“ (IHS) lebendig gehalten. Auch viele junge Leute engagieren sich im Verein. Im Bahnbetriebswerk von Schierwaldenrath wird die Lokomotive auf die Fahrt vorbereitet. Da müssen die Asche entleert, neue Kohle geladen und Wasser nachgefüllt werden. Dann noch die Wagen ankoppeln und es kann losgehen.

 

 Volldampf voraus!

 

Heute fährt die Museumsbahn nur noch auf einem 5,5 Kilometer langen Teilstück zwischen Schierwaldenrath und Gillrath. Im Jahr 1900 umfasste das Netz der Geilenkirchener Kreisbahn zwischen Alsdorf und Tüddern noch 38 Kilometer. Die Kleinbahn beförderte mehr als 50 Jahre lang Arbeiter, Kohle, Kartoffeln, Getreide, Zuckerrüben und andere Güter zwischen dem Aachener Kohlerevier und dem ländlichen Selfkantkreis.

Zwischen 1949 und 1973 legte man immer mehr Teilstücke still. Die Konkurrenz auf der Straße konnte Fracht einfach flexibler transportieren. Ende 1960 wurde zunächst der Güterverkehr eingestellt, 1971 folgte der Personenverkehr. Bereits 1969 fanden sich engagierte Eisenbahnfreunde zusammen, um einen Museumsbetrieb auf dem verbliebenen Streckenabschnitt einzurichten. Seitdem konnte der Verein mehr als 70 Kleinbahnfahrzeuge vor der Verschrottung bewahren. Der Fahrbetrieb, die Fahrzeughalle mit Lokschuppen und Werkstatt, die historischen Fahrzeuge und die Schmalspurstrecke – sie bilden zusammen das Kleinbahnmuseum Selfkantbahn.

Die Schwalm-Nette-Bahn

 

 

Auf den Spuren des Eisernen Rhein

 

 

Die Schwalm-Nette-Bahn ist eine Regionalbahn (RB 39) zwischen Mönchen-gladbach und Dalheim. Der Ort liegt unmittelbar an der niederländischen Grenze. Die rund 21 Kilometer lange Strecke wird von der Rurtalbahn im Auftrag der Deutschen Bahn AG betrieben. Die Rurtalbahn fährt hier mit blau-weißen Regio-Sprintern, wie man sie auch von der RB 21 zwischen Heimbach (Eifel) und Linnich her kennt. Zwischen Rheydt und Dalheim rollt die Bahn auf der historischen Trasse des „Eisernen Rheins“.

 

 Regio-Sprinter im Bahnhof Dalheim. Man beachte das Flügelsignal.

 

 

Die Strecke mit dem einzigartigen Namen „Eiserner Rhein“ verband einst die Häfen von Duisburg und Antwerpen. Sie führte vom niederländischen Roermond abzweigend bei Dalheim auf deutsches Gebiet. Von dort ging es weiter durch Wegberg, Rheindahlen, Mönchengladbach-Rheydt, Viersen und Krefeld nach Duisburg. 1992 fuhren hier die letzten Züge. Seitdem rosten die Schienen auf der niederländischen Seite vor sich hin (Foto). Doch die Strecke könnte bald aus dem Dornröschenschlaf erwachen, denn die Trasse soll reaktiviert werden.

Nach der Trennung Belgiens von den Niederlanden im Jahre 1830 erhielten die Belgier das Recht zugesichert – als Ausgleich für den Verlust Sittards – durch die Provinz Limburg eine Landverbindung nach Preußen zu bauen. Zunächst dachte man noch an einen Kanalbau. Aber dann entschied man sich für das neue Transportmittel Eisenbahn. 1873 wurde der Vertrag über den Eisernen Rhein geschlossen; und 1879 konnten die ersten Züge rollen. Das 1871 gegründete Deutsche Reich konnte damit die niederländischen Rheinzölle auf dem Landweg umgehen.

 

Letzter Halt für Auswanderer

Viele Auswanderer in die Vereinigten Staaten verließen mit der Eisenbahn über Dalheim Deutschland. 1911 erweiterte die Bahnverwaltung den Grenzbahnhof Dalheim. Für Auswanderer wurde eine große Halle aus Holz gebaut, die bis zu 100 Personen aufnehmen konnte. Dort übernachteten die Auswanderer aus Ostdeutschland, Polen und Russland, bevor sie von Dalheim nach Antwerpen weiterfuhren. 1979 brannte das Empfangsgebäude nieder.

Zwischen Dalheim und Roermond führt die Strecke durch den niederländischen Nationalpark „De Meinweg“ (Foto rechts). Seitdem wehren sich nicht nur Naturschützer gegen die Wiederaufnahme des Bahnverkehrs auf der historischen Trasse, sondern auch viele Anwohner dies- und jenseits der Grenze sind gegen lauten Güterverkehr.

Die Niederlande und Belgien hatten sich zuletzt auf die historische Strecke geeinigt, die aber auf deutscher Seite politisch als nicht durchsetzbar gilt. Alternativ kam ein Streckenneubau entlang der Autobahnen A 52 über Elmpt und Viersen ins Gespräch oder entlang der A 40 nach Venlo. Favorisiert wird derzeit die Streckenführung entlang der A 52. Für die Niederlande hätte die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung favorisierte Variante den Vorteil, dass man nicht extra den westlich der Staatsgrenze gelegenen Nationalpark De Meinweg mit Millionenaufwand untertunneln müsste.

 

Vom Bahnhof Dalheim ist es nur ein Sprung bis zur Grenze. Man folgt der Sankt-Ludwig-Straße weiter Richtung Westen. Über einen Wildrost passieren wir die Grenze und stoßen linker Hand wieder auf das Gleis des Eisernen Rheins. Kurz darauf erreichen wir die ehemalige Grenzstation Vlodrop, die mal 16 Gleise hatte. Davon zu sehen ist nichts mehr, auch nicht von den Bahnhofsgebäuden. Das Restaurant im Hotel St. Ludwig und ein Café laden zur Einkehr ein. Von dort aus kann man auf verschiedenen Wegen zu einer Wanderung durch den Nationalpark De Meinweg starten. Über einen Bohlenweg geht es entlang des Rode Beek (Rothenbach), der hier den Grenzfluss bildet, zurück auf die deutsche Seite. Die Dalheimer Mühle bietet die Möglichkeit zur Rast.

 

 

Die Rheinische Eisenbahn

 

Von Düsseldorf zum Urmenschen

 

Von Düsseldorf gelangt man mit der Regiobahn (S 28) schnell ins Neandertal, wo Steinbrucharbeiter 1856 das Teilskelett eines Neandertalers in einer Höhle fanden. Der Urmensch erhielt den Namen „Neandertaler“ nach dem Fundort und machte damit das Neandertal weltweit bekannt. Im „Neanderthal-Museum“ wird das Wissen um den Neandertaler multimedial dargestellt.

 

 Ein Dieseltriebwagen vom Typ Talent an der Endhaltestelle Mettmann-Stadtwald.

 

 

Das Tal hieß ursprünglich das Gesteins, das Hundsklipp oder einfach nur das Klipp. Das ursprünglich enge Felsental, durch das die Düssel fließt, die Namensgeberin der Landeshauptstadt Düsseldorf ist, wurde seinerzeit sogar mit der Via-Mala-Schlucht in der Schweiz verglichen. Der Kalksteinabbau hat die ursprüngliche enge Schlucht abgetragen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte die Umbenennung in „Neanderthal“, nach dem evangelischen Kirchengeistlichen Joachim Neander. Oft suchte er in seiner Freizeit das damals noch schluchtartige Tal auf. Hier hielt er Gottesdienste ab und komponierte viele seiner heute noch bekannten Kirchenlieder und Choräle (zum Beispiel „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“).

 

 

Seit 1879 fährt die Eisenbahn zum Neandertal. Im Zuge der Rechtschreibreform von 1901 entfiel das „h“ offiziell aus dem Namen – das Museum mit seiner paläontologischen Thematik verwendet jedoch in Anlehnung an die wissenschaftliche Schreibweise „homo neanderthalensis“ (das Foto zeigt die Rekonstruktion eines Neandertalers im Museum) weiterhin die alte Schreibung. Auch der Bahnhof hat diese Schreibweise beibehalten. Die Website der Stadt Mettmann begründet das so: „Weder die Bundesbahn noch die Regio-Bahn wagten es, diesen Haltepunkt wegen seines engen Bezuges und seiner unmittelbaren Nähe zum Museum umzubenennen.“

 

Die Strecke nach Mettmann war einst Teil der rund 75 Kilometer langen Bahnstrecke von Düsseldorf-Derendorf nach Dortmund-Süd über Wuppertal-Nord, Schwelm-Nord, Gevelsberg, Hagen, Herdecke und Hörde. Die Rheinische Eisenbahn-Gesellschaft, die diese Linie erbaut hat, wollte damals der Bergisch-Märkischen Eisenbahn-Gesellschaft (BME) Konkurrenz zu machen. Diese hatte 1838 die erste Eisenbahn in Westdeutschland von Düsseldorf nach Elberfeld gebaut.

Heute fährt von Düsseldorf nach Mettmann-Stadtwald (ehemaliger Bahnhof Mettmann) die Regiobahn (S 28), die 2014 ihr fünfzehnjähriges Bestehen feiern konnte. Die Regiobahn bedient die S-Bahn-Strecke von Mettmann über Erkrath, Düsseldorf, Neuss nach Kaarst. Dabei durchquert die Regiobahn auf Ihrer Fahrt von Mettmann nach Kaarst sowohl das Bergische Land als auch die Niederrheinische Tiefebene.

Insgesamt hat die Strecke der S 28 eine Länge von 34 Kilometern, wobei davon nur rund 18 Kilometer zum Eigentum der Regiobahn GmbH zählen. Der Rest gehört zum Schienennetz der Deutschen Bahn. Die Bauarbeiten für eine Verlängerung der S-Bahn über Mettmann hinaus bis Wuppertal sind nach jahrelangen Verzögerungen seit Januar 2014 im Gange. Insgesamt 14,1 Kilometer umfasst die Verlängerung. Neu gebaut werden lediglich 1,8 Kilometer. So gibt es zwischen Mettmann und dem Bahnhof Dornap-Hahnenfurth bereits eine eingleisige Bahnlinie, die zurzeit nur von Güterzügen befahren wird. Sie soll zweigleisig werden. In Wülfrath-Dornap wird ein neuer Haltepunkt entstehen. Dort schwenkt die Regiobahn auf die Strecke der S 9 ein und folgt ihr über Wuppertal-Vohwinkel zum Wuppertaler Hauptbahnhof. Der Fahrbetrieb soll im Dezember 2016 aufgenommen werden.

 

Auf dem ehemaligen Wuppertaler Teil der Rheinischen Strecke von Vohwinkel bis Wichlinghausen, der sogenannten Nordbahntrasse, ist ein Rad- und Fußweg angelegt worden. Hinter Schwelm-Loh bis Hagen wird die Strecke von der S-Bahn S 8 befahren, die über eine Verbindungsstrecke vom Bahnhof Schwelm zur ehemaligen Bergisch-Märkischen Eisenbahn nach Wuppertal-Oberbarmen geleitet wird.