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Das Buch

Captain Chebros Fantas, als widerspenstiger Kritiker der Planeten-Vereinigung bekannt, ist nicht gerade der Liebling des intergalaktischen Militärs. Kurzerhand inszenieren seine Vorgesetzten eine Kneipenschlägerei und entziehen Cheb sein Kommando, um ihn anschließend unauffällig aus dem Weg zu räumen. Doch Cheb gelingt die Flucht.

Dabei kommt ihm die geheimnisvolle Irsil zu Hilfe, die eine Söldner-Crew zusammenstellen und ihm die Leitung übertragen möchte. Die Rekrutierung weiterer Teammitglieder wird zur Hetzjagd, denn das Militär ist nicht Chebs einziges Problem – auch seine Ex-Freundin hat es auf ihn abgesehen. Der Frachter Levity bietet der Gruppe von Verstoßenen und Heimatlosen vorläufig Unterschlupf, aber haben sie überhaupt eine Chance gegen die Übermacht von Sicherheitsbehörden und Geheimorganisationen? Und was will Irsil wirklich von Cheb? Im Kreuzfeuer aus Intrigen und Racheplänen zählt am Ende nur eine Frage: Wer hat denn hier nun die Hand am Abzug?

 

 

Die Serie

Galaxien verändern sich. Das Geschäft nicht. Die Superwaffe des Terraformings hat die Menschen zur vorherrschenden Spezies im bekannten Teil des Universums erhoben. Eine Macht, die sie sich nicht wieder nehmen lassen wollen. Die Levity ist ein Raumschiff wie jedes andere. Ihre Crew arbeitet gegen Bezahlung wie Millionen anderer Söldner. Nur eines unterscheidet sie. Ihre Mission.

 

 

Die Autorin

Die Schreibmaschine ihrer Eltern war vor Bettina Petrik nie sicher, seit die 1982 in Innsbruck geborene Redakteurin eines Kleinverlags Buchstaben in eine sinnvolle Reihenfolge bringen konnte. Die Liebhaberin klassischer Science-Fiction-Plots ist Stammgast bei der San Diego Comic-Con und verfasst seit vielen Jahren Artikel und Kolumnen für einschlägige Genre-Magazine.

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Nr. 1

 

 

Levity

 

 

von Bettina Petrik

 

 

 

 

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Originalveröffentlichung

 

 

© 2015 Verlag in Farbe und Bunt

 

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Veröffentlichung des Buches, oder Teilen daraus, sind vorbehalten.

Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Alle Rechte liegen beim Verlag.

 

 

Cover-Gestaltung: Stefanie Kurt

E-Book-Satz: Winfried Brand

verantwortlicher Redakteur: Bettina Petrik

Lektorat: Anna Holub

Korrektorat: Christian Künne

 

 

Herstellung und Verlag:

in Farbe und Bunt Verlags-UG (haftungsbeschränkt)

Kruppstraße 82 - 100

45145 Essen

 

www.ifub-verlag.de

 

 

ISBN Taschenbuch: 978-3-941864-70-2

ISBN E-Book: 978-3-941864-71-9

ISBN Audiobuch: 978-3-941864-72-6

WIDMUNG

 

 

Für Tim und Marion, die ersten Passagiere der Levity.

Für Mike, der mir gezeigt hat, dass nur der Himmel die Grenze ist.

Für Anna und Christian, meine Hawkeyes.

Für Inga, Nina, Oliver, Sabrina, Tina, Tomke und Veronika, die restliche Crew der Levity. Danke, dass ihr mit mir auf diese Reise geht.

1

 

Vieles brachte man einem auf der USE-Militärakademie bei, nur nicht, dass zum ersten eigenen Kommando kostenlos Depressionen mitgeliefert wurden.

Seit Cheb denken konnte, hatte er das All bereisen wollen. Seine Eltern hatten sich seine Ausbildung vom Mund abgespart. Ein Versicherungsvertreter und eine Hausfrau inmitten der Zivilisationswüste von Arizona gehörten nicht gerade zur High Society des Universums. Es war ein langer, steiniger Weg gewesen, aber sie hatten es mit vereinten Kräften geschafft. Cheb war einer der besten Schüler seines Jahrgangs gewesen, die schwindelerregend schnelle Karriere passierte wie von selbst. Und dann der Höhepunkt: sein erstes eigenes Schiff. Ließ man die Tatsache außer Acht, dass der veraltete Kahn nur von gutem Willen zusammengehalten wurde und einen Namen trug, der Cheb regelmäßig Übelkeitsanfälle bescherte, war es eine richtig stolze Nussschale.

Eigentlich war alles perfekt, genau so, wie er es sich gewünscht hatte.

Wieso bei allen Sternen fühlte er sich dann jeden Morgen wie ausgekotzt?

Er wusste es nicht, und seine eigene Freundin konnte es noch weniger nachvollziehen. Vielleicht passte ihr nur nicht, dass er so wenig wie möglich mit ihr über die Sache sprach. Dabei hatte er ihr von Anfang an klargemacht, dass er ihr nicht sein ganzes Seelenleben ausbreiten würde, nur weil sie miteinander ausgingen. Atrona reichte das offensichtlich nicht mehr. Sie musste ihm gar keine Szene machen, wenn er sie immer öfter versetzte, weil seine Aufgaben auf ihn warteten. Da reichten vernichtende Blicke, zufällig eingestreute spitze Bemerkungen, totenstille Abendessen. Im Bett ein Abstand zueinander im Ausmaß einer Hyperraum-Route, wenn sie sich überhaupt bequemte, sich neben ihn zu legen.

Er fragte sich, warum sie beide diesen Zustand überhaupt noch ertrugen. War es zur bequemen Notwendigkeit geworden? Atrona lebte gern an seiner Seite und stand wiederum für ihn auf Abruf bereit. Das bekam man zwar von einem professionellen Service auch geboten, doch dass man auf so etwas angewiesen war, ließ sich als Captain eines USE-Raumschiffs nicht für immer verheimlichen. Es weiter miteinander zu versuchen, war im Moment die beste Alternative.

Er sollte ihr nächstes Mal nur nicht Bescheid sagen, wenn er eine Bar außerhalb des New Yorker Offiziersbezirks besuchen wollte. So hatte er sich den Abend jedenfalls nicht vorgestellt.

»Das ist nicht dein Ernst.« Angewidert musterte Atrona das heruntergekommene Gebäude, auf dem Cheb sein Luftschiff gelandet hatte.

Wenn das nicht das zweifelhafteste Etablissement auf dem Planeten war, verdiente es zumindest einen Platz unter den Top Ten. Schon auf dem Dach musste man aufpassen, nicht über Schlaglöcher zu stolpern. Die Treppe zum Eingang hatte zu Zeiten der Dollar-Währung wohl zum letzten Mal ein Geländer gehabt, an dem man sich nicht die Pulsadern aufschlitzte. Den Namen der Lokalität konnte man mit viel Fantasie erraten, wenn man die drei noch funktionierenden Buchstaben der Leuchtreklame richtig kombinierte. Ansonsten reichte auch die flackernde Holo-Darstellung einer leicht bekleideten Dame mit voluminösen Brüsten als Indiz.

Immerhin war das Gebäude, mit Parolen von dutzenden Straßengangs besprüht, das einzige Intakte in diesem Block. Der Rest der Häuser stand leer oder nur noch auf verfallenen Grundmauern. Dem Geschrei und dem dumpfen Poltern von Schlägereien in der Ferne nach zu schließen, lebten in diesen Ruinen diejenigen, die sonst nirgends hin konnten.

Atrona zog sich vorsichtshalber ihren Ärmel über ihre Hand, bevor sie etwas anfasste, sichtlich dankbar, dass die Stadtteilbeleuchtung nur sporadisch funktionierte. So sah man wenigstens nicht, in was genau man hineintrat. Vor der Eingangstür wuselte etwas zu nahe über ihre Schuhspitze, das sein Nachtlager unter der Treppe aufgeschlagen hatte. Atrona trat es ungeduldig beiseite. »Ich wusste ja, dass du pervers bist, Cheb, aber das hier geht zu weit.«

»Du wolltest doch unbedingt mitkommen«, erwiderte er ungerührt. »Ich habe genug von dieser Scheinwelt in Manhattan. Die Horden von Senatsmitgliedern und Admirälen mit ihren teuren Anzügen und ihren dauergelangweilten Fressen, diese Partys, bei denen man jedes Wort dreimal überdenken muss … Nein danke. Ich will heute einfach nur in Ruhe mein Bier genießen, also park deinen hübschen Hintern und strapazier nicht meine Nerven.«

»Wie du meinst«, gab sie eisig zurück. »Beschwer dich ja nicht, wenn du eins auf dein vorlautes Mundwerk bekommst.« Warum störte es sie eigentlich nicht, dass er manchmal so ekelhaft zu ihr war? Nun, gewisse masochistische Züge hatte er früher schon an ihr bemerkt.

Cheb stemmte mit einem abschließenden Achselzucken die Eingangstür auf und sah sich kritisch im Schankraum um, der nicht viel größer als das Quartier eines USE-Kadetten war. »Genau, wie ich es mir vorgestellt habe. Es geht immer weiter bergab mit der Erde.«

»Schreib eine Kolumne für die Tagespresse darüber, Cheb, aber strapazier nicht meine Nerven.« Atrona zog ihren langen Ledermantel enger über ihrem Körper zusammen, um sich vor den Blicken der ausschließlich menschlichen, grölenden Männer zu schützen. »Ich wusste gar nicht, dass es seit neuestem Alien-Verbote hierzulande gibt.«

»Gibt es auch nicht. Oder hast du etwa ein Schild draußen gesehen?« Wie naiv dieses Mädchen doch manchmal war. »Verstehst du jetzt, was ich meine? Wie es hier zugeht? Und es wird mit jedem Tag schlimmer.«

»Ich rede nicht in der Öffentlichkeit mit dir über deine absurden politischen Ansichten.« Freiwillig hätte sich Atrona sicher nicht an einen Tresen gesetzt, auf dem Tänzerinnen die Zuschauer mit frivol kreisenden Hüften und den im Takt dazu schwingenden Brüsten zu unterhalten versuchten. Alle Tische waren jedoch besetzt. Sie achtete peinlich genau darauf, nur am Rand des mit undefinierbaren Flecken übersäten Hockers zu kauern, mit unbeholfen im Schoß verschränkten Armen. »Lassen wir das. Eigentlich wollte ich dich sehen, weil wir über etwas ganz anderes sprechen müssen.«

»Wieso habe ich das geahnt?« Resigniert vergrub Cheb das Gesicht in den Händen.

»Dich betrinken, weil du mit dem Leben nicht klarkommst, das du immer haben wolltest, kannst du an jedem anderen Abend tun. Es wäre liebenswürdig, wenn du zur Abwechslung mal für mich Zeit hast.« Atrona hielt Chebs Hand fest, als er sein Cape von seinen Schultern lösen wollte. »Das würde ich lassen. Wenn du schon zu faul zum Umziehen bist, halt wenigstens nicht jedem deine Uniform unter die Nase.«

»Wer von uns beiden ist denn so stolz auf die Planeten-Vereinigung?« Cheb schüttelte sie ab und enthüllte ungerührt sein Hemd, bemüht, nicht darauf zu achten, wie ringsum sofort Leute zu tuscheln begannen. Er war doch hierhergekommen, um sich selbst zu beweisen, dass er nicht der Einzige war, dem die Idee einer Diktatur immer weniger zusagte, oder?

Und auch, um wenigstens einen Abend lang nicht an die Kinderkrankheiten seines Schiffs zu denken. Das ließ sich am besten mit viel Alkohol bewerkstelligen. »Großes Bier und italienischer Rotwein«, rief er dem bulligen Barkeeper zu, als dieser sich endlich bequemte, ein halbes Auge in seine Richtung zu wenden.

»Ich hab dir noch gar nicht gesagt, was ich trinken will.« Atrona klang immer gereizter.

»Du willst immer Wein. Warum sollte es heute anders sein?« Länger konnte man das Unvermeidliche nicht hinausschieben. Cheb lehnte sich zurück und kippte fast hinten über, weil die Lehne nur noch an einer Schraube befestigt war. Der Tag hatte schon beschissen angefangen, und irgendwie wurde es einfach nicht besser. »Schieß los.«

»Ich möchte mich auf die Missile versetzen lassen.« Cheb hatte noch kaum den Mund geöffnet, mit einem ungeduldigen Augenrollen, als Atrona ihn unterbrach. »Ich weiß schon, du willst nicht, dass wir uns jeden Tag sehen. Ich kann es nicht mehr ertragen, dass du ständig so weit weg bist. Ich vermisse dich. Ich würde doch nicht die ganze Zeit an deinen Hacken kleben, nur weil ich in einem Büro auf deinem Schiff arbeite …«

»Es reicht schon, dass du das könntest.« Cheb machte sich ruckartig los. »Vergiss es, At’. Du wusstest immer, dass ich meine Freiheit brauche. Ich komme öfters heim als viele andere Kommandanten. Wenn dir das nicht reicht, sollten wir uns vielleicht nicht länger mit einer Beziehung herumplagen, die sowieso schon lange nicht mehr stimmt.«

»Das sind also unsere einzigen zwei Optionen, ja?«, fragte Atrona, hörbar vor den Kopf gestoßen. »So einfach machst du es dir wieder einmal.«

»Was wäre dir lieber? Stundenlange Diskussionen, die sowieso zu nichts führen? Nächtelange Streits? Das hatten wir zur Genüge. Ich habe im Moment wirklich größere Probleme. Das bringt doch so nichts, At’. Tut mir leid.« Cheb sah konzentriert in sein Glas, das war einfacher, als das verräterische Glitzern in Atronas Augen zu ertragen. So schonungslos hatte er eigentlich nicht vorgehen wollen. Sie hatte es herausgefordert. Besser schnell einen Strich unter diese Sache ziehen.

Sekundenlang hing ihre nach ihm ausgestreckte Hand zitternd zwischen ihnen, sie holte ein paarmal hörbar Luft. Ein wirklicher Rettungsversuch kam nicht. Davon hatte es schon zu viele gegeben. »Du bist ein Arschloch, Chebros.«

Nur das leichte Beben von Atronas Glas verriet, dass sie nicht ganz so beherrscht war, wie sie sich gab. Sie leerte es, warf dem Barkeeper ein paar Münzen hin und marschierte zur Tür.

Seufzend sah Cheb ihr nach. Nach dem ganzen Ärger vorher hätte er froh über eine so harmlose Szene sein sollen. Dass er Atrona gerade zum letzten Mal sah, war trotzdem eine seltsame Erkenntnis.

Kein verwuschelter Blondschopf mehr auf seiner Schulter, wenn er mitten in der Nacht von einem Einsatz zurück nach Brooklyn kam, in sein Bett fiel und sich fühlte, als ob er nie wieder zurück wollte. Kein stummes Streicheln an seinem Arm, wenn er aus einem Albtraum von einer Gefangenenexekution aufwachte. Kein tröstender Blick aus den hübschesten blauen Augen, welche USE-Verwaltungsbüros zu bieten hatten, wenn er angewidert die nächsten Missionsdaten durchging und das Tablet in die nächste Ecke pfefferte.

Niemand, der ihn diskret festhielt, wenn er bei einem Ball kurz davorstand, dem Gastgeber für seine kriegsverherrlichenden Tischreden eine reinzuhauen.

Vorbei, und mit einem Mal war er sich gar nicht mehr so sicher, ob er das wirklich gewollt hatte.

Atrona konnte eine Nervensäge sein, aber sie hatte nie wirklich viel von ihm gehabt. Vielleicht konnte er doch ein paar Nachmittage mehr opfern. Dazu einen Strauß Grünzeug zur Versöhnung, das half immer … »Hey, At’, warte mal!«

Er kam nicht mehr dazu, sie einzuholen – lief er denn tatsächlich gerade einer Frau hinterher?

Ein paar Gäste stellten sich ihm in den Weg und verhinderten den peinlichen Versöhnungsversuch. Jeder der Männer hatte eine halbleere Flasche dabei. Damit fühlte man sich wohl sicherer, wenn man sich mit einem USE-Offizier anlegen wollte. Viele von ihnen schienen zuletzt beim Friseur gewesen zu sein, bevor der aktuelle Diktator eingesetzt worden war. Duschen waren seitdem in den Arbeitervierteln wohl auch abgeschafft worden.

Auf der Erde wurde immer weniger für die ärmeren Bevölkerungsschichten getan, obwohl diesen schon vor Jahrhunderten erzählt worden war, mit der Vereinigung würde alles besser werden. Da freute man sich natürlich, wenn man einen Vertreter selbiger Regierung fand, an dem man diesen Frust auslassen konnte.

»Sieh ihn dir an, unseren Captain«, lallte einer der Störenfriede, auf Chebs Rangabzeichen deutend. »Der will wohl mal die große weite Welt sehen.«

»Vielleicht ist es in den Edelbordellen zu voll geworden«, mutmaßte der Kerl neben ihm. »Oder schenken die in den USE-Palästen keinen Fusel mehr an Offiziere aus? Schickt sich das nicht?«

»Darf der überhaupt schon was trinken? Der hat doch noch keine drei Haare am Sack«, rief ein Dritter, was mit allgemeinem schallendem Gelächter quittiert wurde.

Cheb spürte, dass sich das in Rekordzeit geleerte Bier bemerkbar machte. Allein der plötzliche Wunsch, seine wachsende Aggression an diesen Leuten auszulassen, passte nicht zu ihm. Er hatte im letzten Jahr genug Gewalt gesehen. Doch eine Gruppe Feiglinge, die sich nur zusammen trauten, den Mund aufzumachen, war so gut wie jeder andere, um monatelangen Frust abzureagieren.

Außerdem sollte er sich überlegen, sich einen Bart stehen zu lassen, wenn er mit Mitte dreißig immer noch nicht für voll genommen wurde.

»Ich verstehe Ihren Zorn besser als Sie glauben.« Sein Blick wanderte suchend zur Tür, doch Atrona war bereits verschwunden. Er würde sie anrufen müssen. Oder auch nicht. Vermutlich nicht.

»Wenn Sie keinen Ärger mit den Behörden wollen, sollten Sie sich trotzdem ganz schnell wieder setzen. Das ist es nicht wert.«

»Habt ihr das gehört, Jungs? Der tapfere kleine Captain ruft seine großen Brüder.« Immer lauter wurden die Männer, immer mehr Besucher wurden auf die Szene aufmerksam.

Nicht gut. Chebs Hand wanderte unwillkürlich zu der Laserkanone unter seinem Uniformhemd. So sehr es ihm widerstrebte, auf Zivilisten zu schießen, er musste damit rechnen, dass mindestens die Hälfte der Leute hier ebenfalls bewaffnet war. Atrona hatte wieder mal Recht gehabt: Was für eine bescheuerte Idee, hierherzukommen.

»Das können die Mützenträger gut, sich immer schön hinter dem System verstecken.« Einer der Männer trat auf ihn zu, seine hoch erhobene Flasche eine klare Drohung. »Leute wie dich wollen wir hier nicht.«

»Das ist Pech, denn ich hatte vor, heute noch ein paar Gläser zu trinken. Und damit wir uns wieder alle lieb haben …« Unter den ungläubigen Blicken seiner Gegenüber zog Cheb sein Uniformoberteil aus und ließ es einfach fallen. »Können wir uns jetzt wieder jeder unseren eigenen Angelegenheiten widmen?«

Als Antwort sah er besagte Flasche viel zu schnell auf sich zukommen, duckte sich hastig und verpasste seinem Angreifer einen harten Schlag in die Magengrube. Nicht ganz so schnell, wie es hätte passieren können. Was immer für ein Bier der Besitzer dieser Spelunke braute, es musste in mehr als einer Galaxie verboten sein. »Ich sagte, setzen. Kommt schon, Jungs. Noch habt ihr euch nichts zuschulden kommen lassen. Belassen wir es dabei, sonst kann ich nichts mehr für euch tun.«

Das machte die Männer nur noch wütender. Der Nächste kam von hinten auf Cheb zu.

Hart riss er den Kopf nach hinten und traf den Angreifer so fest an der Schläfe dass dieser halb bewusstlos zurücktorkelte. Langsam begann das hier Spaß zu machen. »Noch jemand, der Ärger will?«

»Zwanzig auf den Mützenträger!« Einer der Gäste winkte mit ein paar Geldscheinen.

»Dreißig dagegen!«

»Vierzig!«

»Fünfzig auf den Kleinen«, mischte sich der Barkeeper ein. »Wie der seine Alte abserviert hat, das war klasse!«

Cheb hielt inne, kaum noch hinhörend, weil Atronas verletzter Gesichtsausdruck vorhin plötzlich der Einzige zu sein schien, an den er sich überhaupt erinnern konnte.

War sie mit ihm denn nie glücklich gewesen? Nicht einmal am Anfang? Wann hatte sie das letzte Mal gelächelt? Er konnte es nicht sagen, dabei war es doch dieses Lächeln gewesen, in das er sich verliebt hatte, das ihr herbes Gesicht in das Strahlen einer Abendsonne verwandelte …

Explodierender Schmerz in seiner Seite unterbrach diese Überlegungen. Die Männer waren nicht zu betrunken zum Zutreten. Noch im Fallen rollte er sich zur Seite und trat seinerseits nach den Knien des Kerls, der ihn überwältigt hatte, aber der sprang rechtzeitig zurück.

Der Mann bekam Schützenhilfe von Rüpel Nummer Vier. Merklich geschwächt vom Alkohol begann dieser, auf Cheb einzuschlagen. Ein Glückstreffer landete genau auf der Stelle zwischen Ober- und Unterkiefer, wo bei Cheb ein paar Schrauben und Platten von einem Shuttle-Unfall saßen. Dunkle Flecken tanzen vor seinen Augen. Fluchend riss er seinen Ellbogen nach oben und traf den Angreifer an derselben Stelle. Das laute Knacken, das folgte, kam ihm schmerzhaft bekannt vor. Einer weniger.

Leicht schwankend kam er auf die Beine und versuchte vergeblich, sich wieder richtig zu orientieren. Wie stark war dieses verdammte Bier gewesen? »Will noch jemand?«

»Immer unterhaltsam, mit anzusehen, wie schnell ein Mann seine Beherrschung verliert.« Eine amüsierte Stimme erhob sich in den hinteren Reihen der Zuseher. Weder der völlig nüchterne Tonfall, noch die gewählten Worte wollten in diese Umgebung passen.

Da sich der erste Raufbold erholt hatte und wieder auf ihn zukam, würde er dem später nachgehen müssen. Er lehnte sich gegen den Tresen, mit verschränkten Armen, und wartete. Den verdatterten Blick seines Angreifers erwiderte er ausdruckslos, hob nur eine Augenbraue und nickte mit dem Kinn auf seinen ungedeckten Körper hinab.

Wutschnaubend lief sein Gegner los, mit gesenktem Kopf wie ein Stier.

Kaum dass er nahe genug herangekommen war, trat Cheb zur Seite, packte den Arm des Schlägers und riss ihn nach unten, sodass er mit der Stirn auf dem massiven Metall der Theke aufschlug. »Das reicht.«

Die harmlose Rangelei verwandelte sich in Sekundenbruchteilen in eine Krisensituation, als er das Geräusch einer Laserkanone hörte. Viel zu nahe zischte ein Schuss an ihm vorbei und schlug ein Loch in die ohnehin schon stark mitgenommene Bar. Fluchend wollte er ebenfalls nach seiner Waffe greifen, als ein brutaler Hieb gegen sein Handgelenk ihn stoppte.

Der Mann, den er festgenagelt hatte, nutzte die Chance, um sich loszumachen und Cheb zu Boden zu stoßen. Seine Freunde kamen ihm johlend zur Hilfe.

Ganz langsam dämmerte Cheb, dass er in Schwierigkeiten war.

 

Irgendwann musste er wohl bewusstlos geworden sein, jedenfalls hatte er keine Ahnung, wie er in einer USE-Ausnüchterungszelle gelandet war. Die lokale Sicherheitsbehörde war anscheinend gekommen und man hatte ihn erkannt, sonst hätte man ihn nicht hierhergebracht. Ein Blick aus dem Fenster verriet Cheb, dass dieses »Hier« ein ziviles Militärgebäude in Manhattan war. Der rege Flugverkehr rund um den Vereinigungs-Palast ging gerade in die Rush Hour, die üblichen Zusammenstöße und Verfolgungsjagden inbegriffen. Grelles Sonnenlicht stach in seinen Augen und verstärkte das Pochen hinter seiner Stirn. Ansonsten tat jedoch nichts mehr nennenswert weh, trotz der eingesteckten Prügel.

Nicht gut. Das hieß, er war viel zu lange außer Gefecht gewesen.

Als er es endlich schaffte, von seiner Pritsche aufzustehen, fiel er fast sofort wieder hin. Solche Kopfschmerzen hatte er von Bier noch nie gehabt. Hatte er noch etwas anderes getrunken? Die Erinnerung an letzte Nacht war sehr lückenhaft. Wo hatte er eigentlich sein Hemd gelassen?

»Alles andere hätte man vielleicht vergessen können, Fantas«, erklang eine leider nur zu bekannte Stimme vor der Gittertür. »Wissen Sie, ich mag Sie. Sie sind einer unserer jüngsten und zugleich fähigsten Kommandanten. Wieso mussten Sie Ihre verfluchte Uniform ausziehen?«

»Sie mögen mich? Da muss ich was verpasst haben.« Cheb hatte keine Lust auf das Schauspiel und drehte sich nur mäßig interessiert zu seinem Vorgesetzten um.

Dieser Danvy hatte ihn immer schon kategorisch abgelehnt, er war nur überstimmt worden, als es darum gegangen war, neue Schiffe an neue Captains zu verteilen. Und jetzt war ausgerechnet er hier. So schnell konnte sich die Geschichte von Chebs Ausrutscher eigentlich nicht herumgesprochen haben.

Nun, Cheb ahnte seit Längerem, dass er unter Beobachtung stand. Er hätte sich vielleicht mit gewissen Äußerungen über die Vereinigung im Aufenthaltsraum seines eigenen Schiffs zurückhalten sollen. Oder auch in öffentlichen Pubs. Hatte er sich gestern tatsächlich so vergessen? Irgendwie sah er immer noch alles sehr verschwommen in seinem Geist. »Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte.«

»Wenn Sie Ihr Blutbild lesen, dürfte Sie die Erleuchtung treffen.« Danvy musterte ihn von oben bis unten, sichtlich unzufrieden mit Chebs Erscheinungsbild. »So wie Sie aussehen, haben die Drogen allerdings nur noch unterstützt, dass Sie scheinbar kein Bier mehr vertragen, seit Sie andere Leute befehligen dürfen.«

»Ich nehme keine Drogen«, fuhr Cheb unbeherrscht auf. »Das wissen Sie genau!«

»Ich sagte, sie waren in Ihrem Blut, nicht, dass Sie sie genommen haben. Sie haben nur dem Wirt nicht gefallen.«

»Dann war es nicht mein Fehler.« Entgegen besseren Wissens keimte Hoffnung in Cheb auf, dass er diese unschöne Episode unter den Tisch fallen lassen konnte. »Es war nicht meine Schuld, was da passiert ist. Ich war der Vereinigung und der USE immer loyal …«

»Umso unverzeihlicher, dass Sie sich derart unangemessen benommen haben. Sie lassen mir gar keine andere Wahl, als Sie zu suspendieren«, verkündete der Admiral nach einem betont bedrückten Seufzen. »Wenn Sie gleich hier rauskommen, werfen Sie einen Blick in die Tagespresse. Es könnte sein, dass Sie sich zum letzten Mal in den Nachrichten sehen.«

Also waren auch noch die Medien dabei gewesen. Langsam verstand Cheb die Tragweite des Geschehenen. Und gleichzeitig, dass er Recht gehabt hatte: Er war wirklich überwacht worden. Danvy wollte ihn noch dringender loswerden als erwartet. »Journalisten treiben sich normalerweise nicht in Armenvierteln herum.« Was wollte er hören, dass Danvy irgendjemandem einen Tipp gegeben hatte?

»War das eine Anmerkung oder eine Anschuldigung?« Danvy schien die aufflammende Wut in Chebs Augen zu gefallen. »Sehen Sie sich an, Fantas. Aus Ihnen hätte so viel werden können. Leute wie Sie, die sich schon in den Anfängen selbst ins Aus stellen, kann die USE nicht brauchen. Verfassen Sie eine Entschuldigung für rufschädigende Bemerkungen in der Öffentlichkeit und reichen Sie Ihr Versetzungsgesuch ein. Ich bin sicher, irgendeiner Raumstation im Grenzquadranten tut es gut, wenn Sie dort den Papierkram erledigen. Das wäre alles.« Er konnte seinen zufriedenen Gesichtsausdruck nicht verstecken, als er sich abwandte. Er versuchte es nicht einmal.

Sein Mund brachte Cheb wieder einmal in Schwierigkeiten, bevor er ihn zurückhalten konnte. Wozu noch kuschen? Seine Karriere war dank eines verdammten Glases Bier für immer vorbei. Bevor er freiwillig den Schwanz einzog und eine Arbeit machte, die er abgrundtief hasste, ging er lieber. So brauchte er auch zu niemandem mehr höflich sein. Da gab es etwas, was er diesem pummeligen Aktenwichser immer schon sagen wollte. »Was ist, Johnny Blue? Sind Sie sauer, weil ich Ihre Frau gefickt habe?«

Danvy hielt abrupt an, mit geballten Fäusten. Da war sie endlich, die Bestätigung dessen, was ein ganzes Jahr lang im Raum gestanden war. Genauer gesagt seit dem Abend, an dem man Cheb sein Kommando verliehen hatte.

Cheb wünschte sich fast, Danvy würde diese verdammte Tür öffnen und auf ihn losgehen. Diesmal würden seine Sinne völlig klar sein, und er würde mit Freuden zuschlagen.

Dafür besaß Danvy natürlich zu viel Disziplin und hatte bereits zu viel Genugtuung erhalten. »Ich werde Ihre Versetzungspapiere mit Genuss unterschreiben. Sie werden nie wieder ein Raumschiff kommandieren. Etwas Schöneres kann ich mir gar nicht wünschen. Schon in wenigen Tagen wird das Universum Sie vergessen haben, Chebros Fantas.«

2

 

Auf der Erde gab es nicht viele Orte, an denen man allein sein konnte, seit der ganze Planet praktisch zu einer einzigen Stadt geworden war, mit kaum unbesiedelten Landstrichen und ständig überbevölkertem Himmel. Wenn man jemanden finden und dabei unbemerkt bleiben wollte, machte das die Sache kompliziert. Deswegen war Irsil ihrem Zielobjekt sehr dankbar, als es sich am dritten Abend der Jagd auf einen Wolkenkratzer zurückzog. Sie stellte ihr Shuttle in einem öffentlichen Hangar in unmittelbarer Nähe ab und verschaffte sich durch das Gebäude Zugang nach oben. Zufrieden, dass endlich alles problemlos verlief, verließ sie den Lift, ihre Hand an ihrer Laserkanone.

Überrumpelt blieb sie stehen.

Der Kerl, den sie seit Tagen suchte, stand am äußersten Rand des leeren Ziegeldachs, mit gesenktem Kopf und hängenden Armen. Er machte offensichtlich gerade seinen Frieden mit seinem Glauben.

Irsil knirschte mit den Zähnen. Musste dieser schwächliche Mensch ausgerechnet jetzt einknicken? Sie war zu weit weg, um einzuschätzen, ob er es wirklich tun würde und vor allem wann, also blieb ihr nichts übrig, als sich ihm rasch zu nähern. Wie so oft verfluchte sie, dass sie kürzlich zwei Tentakel verloren hatte und ihre zusätzlichen Sinne abgeschwächt waren. Da der sehr stürmische Wind auch noch in die falsche Richtung blies, konnte sie sich nur darauf verlassen, was sie sah.

Anscheinend war sie ganz umsonst bemüht darum gewesen, unsichtbar zu bleiben. Der Mann schien völlig abwesend, wie er da stand, bemerkte weder den kalten Luftzug hier oben, noch, dass tiefschwarze Wolken über ihm hingen oder dass der brüchige Stahl unter seinen wippenden Füßen jederzeit nachgeben konnte.

Er sah auch nicht die vorbeifliegenden Luftschiffe, die Piloten, die meist nur milde interessiert, seltener mitleidig oder besorgt starrten. Niemand hielt an. Warum sollte man sich auch Gedanken um jemanden machen, der entschieden hatte, nicht mehr leben zu wollen?

Irsil kam in Hörweite, blieb aber vorläufig stumm. So wackelig, wie er an dieser Kante stand, war es eine verdammt schlechte Idee, ihn zu erschrecken. Stattdessen musterte sie seine Erscheinung genauer, immer mehr in ihrer Ahnung bestätigt.

Der berühmte Jung-Captain, der strahlende Stern am Vereinigungs-Himmel, hatte seine Entlassung kein Stück weit verkraftet. Zweifelhaft, dass er die Kleidung gewechselt hatte seit diesem einen Abend, von dem so viele hämische Berichte durchs galaktische Netzwerk gegangen waren. So wie sein Hemd – maßgeschneidert wie bei allen hochrangigen Offizieren – an seinem Körper schlotterte, hatte er wohl schon vor seinem Ausrutscher in dieser Arbeiterbar keine besonders gute Phase gehabt.

Irsil schnaubte unhörbar. Sie fragte sich ernsthaft, was ihr Auftraggeber ausgerechnet von diesem Typen wollte. Nun war sie schon hier, da konnte sie ihn genauso gut in seinen feigen Hintern treten.

Inzwischen konnte sie mit ihren verbliebenen Tentakeln aufnehmen, was dieser Chebros außer dem Gestank von tagelangem Alkoholgenuss und anschließendem Rückwärtsessen noch verbreitete. Mit Wasser war der Mann wohl länger nicht in Berührung gekommen. Angstschweiß war da keiner, auch Tränen konnte sie trotz der Extremsituation keine riechen. Also war der Kerl entweder geistesgestört oder gefühlstot. Das hier wurde immer besser.

Mit einiger Mühe blendete sie ihre optische Wahrnehmung aus, um sich auf das zu konzentrieren, was sie in ihrem Zielobjekt erkennen konnte.