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Franz Dobler

Nachmittag eines Reporters

Short Stories Album

FUEGO

– Über dieses Buch –

NACHMITTAG EINES REPORTERS erschien 1998 in Michael Farins Münchner Verlag edition belleville und hatte zwei Auflagen.

 

In Der Spiegel 28/1998 hieß es dazu: »Seine Geschichten strahlen eine betörende Melancholie aus, sie klingen wie der wehmütige Blues aus einem Amerika, das es schon lange nicht mehr gibt, und sie sind ungeheuer komisch ... im Nachmittag eines Reporters erweist sich Franz Dobler als Meister der genau dosierten Ironie und eines fröhlichen Sarkasmus: In den Geschichten spiegeln sich Deutschland und seine Bewohner in so schönen erdigen Farben, als betrachte der Erzähler sie durch ein gut gefülltes Whiskeyglas.«

 

Und in der Süddeutschen Zeitung vom 27.10.1998: »Man hat den Eindruck, Dobler entgeht keine Lüge, kein Vorurteil, keine Falschmeldung. Er flaniert durch die Politik, die Medien, den Kulturbetrieb, das eigene Gemäuer und präsentiert vergnügt seine Funde. Gelegentlich sucht er im Heuhaufen nach einigen Gerechten, wobei er durchaus romantisch werden kann. Sein Maß ist die Sprache, die, wie es einmal heißt, Geliebte. Wo sie Fakten verdreht, vertuscht oder leugnet, teilt er aus, nicht etwa puristisch, sondern freisinnig. Die Mittel seiner Wahl sind in der Hauptsache: ein artistischer Balanceakt zwischen ironischem Imitieren von B-Productions- und eigener Alltags-U-Sprache, knallige Wortwechsel, fixe Assoziationen, das sich selbst oder in Gegenüberstellung enttarnende Zitat, abgefälschte Wiederholungen, echte running gags, lebende Bilder (›das Gespräch war ein guter Bekannter von uns‹ oder ›der Artikel kam angeschlichen‹), Bonmots à la ›Spencergirl‹, Kalauer (›un paparazzo pappa la pappa, in Padua wird der Satz nicht zu hören sein‹), Musik in den Sätzen. Manchmal strengt sich Dobler arg an, alles unter einen Hut zu bringen, dann prahlt er, wie gut er die Instrumente beherrscht. Es ist eine Freude, Franz Dobler zu lesen.«

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little italy hemd

Ich brauche keinen Kummer nicht

davon hatt ich schon genug

Nils Koppruch (Fink)

 

In einer unscheinbaren Straße im New Yorker Stadtteil Little Italy betreibt ein Mann sein Geschäft in einem Haus, das nicht so aussieht, als wäre jemals ein Hunderter drin gewesen. Der Zustand des Verkaufsraums bringt einen eher auf den Gedanken, dass die Leute vom Abteilungsleiter des Großen Vaters grade eine Visite gemacht haben – und sie müssen sehr, sehr ärgerlich gewesen sein.

Das sind die faulen Tricks von Joe Savani, der in angeblich mühsamer Handarbeit etwas fertigt, das fast so exklusiv ist, wie der Gattin des Präsidenten auf der Damentoilette ein Taschentuch reichen zu dürfen. Savani macht keine Werbung, er legt keinen Wert auf Berühmtheit, und viele seiner Kunden werden wie Abschaum behandelt, heißt es, besonders wenn sie aus einem gewissen Land in Europa kommen. Ich kann das bestätigen.

Es hatte mich eine Menge Zeit und Mühe gekostet, bis ich endlich an den Mann rangekommen war, der sich auskannte. Endlich waren wir soweit – der Zettel mit der Adresse von Savani fiel in meine Hand.

»Aber kauf dir dein blödes Scheißhemd mal lieber bei Karstadt«, hatte er herablassend gesagt.

»Da kannst du Gift drauf nehmen«, sagte ich.

»Wärst nicht der Erste, der was in die Rübe bekommt, bevor du wieder draußen bist aus Little Italy. Sein Vater und ein Onkel, die sind beide von den Nazis gekillt worden.«

»Was soll’n das mit mir zu tun haben.«

»Das frag ihn.«

Er benahm sich, als würde ihn der Italiener anrufen, wenn es was zu regeln gab, aber ich wusste, dass er selber das Geschäft noch nie betreten und noch nie Kontakt mit Savani gehabt hatte. Er war ein kleines Licht. Dass er diese Adresse hatte, war das Kriegsabenteuer seines Lebens.

Ich bedankte mich kühl für die Information, bestellte noch mal dasselbe für ihn mit einer Geste, die ihn beleidigt hätte, wenn er sie mitbekommen hätte, legte ausreichend Scheine auf die Theke und kassierte für Alles von der Bardame, die ihren Bauchnabel mit einer Perle geschmückt hatte.

Die Bardame war fast so gelungen wie die beiden Geschöpfe, von denen man bei Savani nach seinen Wünschen gefragt wird. Die eine packte mein Hemd ein, und die andere steckte meine Kreditkarte in den Schlitz. Für sie war ich so was wie ein zappelnder Fisch, der einem Probleme bereitet auf den glitschigen Planken und den man mit den Stiefeln zu dem totgeschlagenen Haufen rüber schiebt.

Eine Schiebetür ging auf, und da stand er, Mr. Joe Savani. Er sah aus, als würde er aus jedem Stoff Gold machen können. Er sah mich zwar nicht an wie den Mann, der Vater und Onkel ermordet hatte, aber als würde er mich verdächtigen, ich hätte dabei zugesehen.

»Ich würde es zu schätzen wissen«, sagte er, »wenn Sie diese Adresse vergessen haben, sobald Sie wieder durch diese Tür gegangen sind.«

»Oh, kein Problem, Mister Savani, es ist mir übrigens, wenn ich so sagen darf, eine große Ehre ...«

»Ehre!? Kein Problem!? Jede gottverdammte Arschgeige aus ihrem verfluchten Drecksland bitte ich, diese Adresse zu vergessen! Und einen Monat später steht wieder einer hier! Ich will in meinem Laden keine Germans haben!«

»Ich versteh Sie, aber ...«

Schon war die Schiebetür mit einem leisen Klick wieder geschlossen. Ich stand da wie bespuckt und schaute die beiden Damen hilfesuchend an. Ich fragte mich, warum man mir das Hemd verkauft hatte. Ich suchte nach ein paar richtigen Worten, aber es war sinnlos. Voller Ekel warfen sie meine Sachen auf den Tisch.

»Verschwinde endlich. Die Menschen in Little Italy werden nervös, wenn es dunkel wird.«

»Ja, du Arsch, verpiss dich endlich, geh nach Hause und fick deine Mutter weiter!«

»Ich würd’s tun, wenn sie so aussehn würde wie du«, sagte ich, während ich rückwärts zur Tür ging.

Diese Art mit Leuten umzuspringen war mir nicht neu, und ich hatte sogar was übrig dafür und deshalb nur kurz einen bitteren Nachgeschmack deswegen. Schon im Flugzeug war die Freude über das Hemd stärker – diesen Makel, dass ich deswegen gedemütigt worden war, hatte es dennoch.

Mit der Zeit wurde mir dann klar, dass diese Kombination aus Freude und Ärger untrennbar mit dem Stoff verknüpft war. Das ist wie eine schöne Frau zu haben – es stehen immer zu viele Typen herum, die dir am liebsten ein Loch reinmachen würden, um in ihres zu kommen. Und so was Ähnliches passierte dann ein halbes Jahr später, nachts an der bayerischen Grenze kurz vor Würzburg.

Das Radio sagte: »Die Deutsche Wehrmacht hat nicht mehr Dreck am Stecken als die Videogruppe eines Mädcheninternats.«

Im nächsten Moment tauchten über dem Stern meines Mercedes Benz die Lichter der Grenzstation auf. Ich hatte die Meldungen zwar mitbekommen, aber es hatte sich irgendwie nicht richtig in meinem Kopf festgesetzt, dass sie die Grenze jetzt wieder kontrollierten. Als ich auf die Bremse trat, war es fast zu spät, und als die beiden Jungs angerannt kamen, waren sie sauer. Ich hatte ihnen einen Schreck eingejagt.

Ich ließ das Fenster ganz runter und entschuldigte mich, noch bevor sie aus der Buchstabensuppe in ihrem Gehirn was Passendes rausfischen konnten. Sie sagten nichts, sie waren gekränkt, und ihr rasendes Herz setzte ihnen zu.

Mit einer einfachen Handbewegung wurde nach meinen Papieren verlangt. Der andere fing an, den Wagen zu mustern, und wie immer in solchen Situationen, hatte ich sofort das Gefühl, was in der Nase zu haben oder eine Zigarette zu benötigen – es schien mir besser, jetzt nicht ins Jackett zu greifen. Dann ging der mit meinen Papieren ins Haus, und sein Kamerad befahl mir, die Innenbeleuchtung zu aktivieren.

»Da haben wir aber ein schickes Hemd an.«

»Joe Savani, New York«, sagte ich.

Um nicht hochnäsig zu erscheinen, fügte ich hinzu: »Hemden und Schuhe, das sind doch die einzigen Sachen, wovon diese Spaghettis wirklich Ahnung haben, finden Sie nicht?«

»Oh, tatsächlich, ein Hemd von Savani?«

»Sie haben davon gehört?«

»Meine Frau. Was im Fernsehen.«

»Sollte man tiefer hängen, fühlt sich keine Spur anders an als ’n Hemd von Karstadt.«

Dann kam sein Kamerad zurück, und er sagte zu ihm: »Sieh dir mal dieses Hemd an! Joe Savani, New York. Für dein Monatsgehalt kriegst du wahrscheinlich nicht mal die Knöpfe.«

»Das stimmt nicht«, sagte ich und tat entrüstet, als würden wir alle im selben Boot sitzen.

Der Andere murmelte verächtlich was von Abwischen, und während er bemüht war, eine Verbindung zwischen mir und dem Passfoto herzustellen, spürte ich, dass die Sache langsam am Abgleiten war. Sie kamen nicht klar, mit dem Hemd, dem Auto, mit den Sachen auf der Rückbank, und dass ich ein wenig zu stark mitgenommen aussah. Der, der die Typen hasste, die was für Hemden übrig hatten, würde uns reinreiten.

»Was ich etwas seltsam finde ist, dass wir einen deutschen Pass haben, aber nicht so besonders deutsch aussehen«, sagte er. »Wir haben Wohnsitz in Bayern, wissen aber nicht, dass die bayerische Grenze jetzt wieder kontrolliert wird.«

»Versteh ich selber nicht.«

»Was verstehst du denn?«

Ich zuckte mit den Schultern. Bei der Sorte durfte man auf keinen Fall klugscheißen. Schwierig – sie legten sich alles immer so hin, dass es ihnen passte.

»Wohin wollen wir eigentlich?«

»Nach Hause.«

»Oh, nach Hause. Wo ist das, ist das da, wo wir Sozialhilfe kassieren?«

Ich machte ein beleidigtes Gesicht und sagte, er würde wirklich ganz falsch liegen, aber, nicht schlimm, ich wüsste schon Bescheid vom Leben, und er würde schließlich nur seinen Job machen.

»Öffnen Sie mal den Kofferraum.«

Ich atmete tief durch. Es gab keine Macht, die es hätte stoppen können, nicht um diese Uhrzeit. Es war traurig, aber es war nicht zu ändern ... Die meisten von diesen Typen hatten ein Problem, das schon die Wehrmacht gehabt hatte – wenn sie’s mal nicht mit armen Schweinen zu tun bekamen, dann lief sofort alles schief und es zeigte sich, dass sie schlecht ausgebildet waren, viel zu langsam, ohne Sinn für unerwartete Situationen, immer nur verkrampft auf ihrem mühsam einstudierten kleinen Einmaleins.

Während sie sorgfältig beobachteten, was mein Schlüssel am Kofferraum so anstellte, lenkte ich sie auch noch mit einer Frage ab.

Nein – es war nicht fair.

»Wisst ihr eigentlich, was Magnum heißt, aber nicht gut schmeckt?«, fragte ich leise und schläfrig ...

Sie hatten nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken – und dann mussten wir, jeder auf seine Art, schnell verschwinden.

»Das schöne Hemd!«, kreischte meine Süße beim Empfang, »zieh das sofort aus, tu das sofort in die Waschmaschine!«

Aber den Teufel tat ich. Ich legte mich ins Bett, ohne es auszuziehen. Und als ich danach schon am Wegdämmern war, hörte ich sie ehrfürchtig flüstern: »Das einzige Hemd, das sogar mit Flecken elegant aussieht, unglaublich.«

Und im Halbschlaf erinnerte ich mich wieder an das Schild im Schaufenster von Savani, auf dem stand: Der Mensch hat den Speer nicht erfunden, weil er Hunger hatte, und das Hemd nicht, weil ihm kalt war.

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wie man ein star wird

Alle großen Stars sind klein.

Andy Warhol

 

Ich bin lange genug in der Unterhaltungsbranche tätig, um zu wissen, dass es manche Tage ganz schön in sich haben. Die einen von diesen Tage erwischen dich kalt. Gegen sie bist du machtlos. Die anderen siehst du wochenlang auf dich zukommen. Gegen sie bist du genauso machtlos. Aber du überlegst jede Sekunde, wie du es anstellst, dass sie dich nicht kriegen ... du liegst als fest verschnürtes Bündel auf der einsamen Straße. Dann siehst du einen Punkt am Horizont. Dann wird aus dem Punkt ein summender Lastwagen, der dich an deine Kindheit erinnert. Dann ist es ein Lastwagen mit Doppelreifen. Und dann sind die Doppelreifen so breit wie deine Beine lang, und der letzte Spaß in deinem Leben ist der Name auf dem Schild in der Frontscheibe: es ist dein eigener.

Du könntest gut verzichten auf die einen wie die anderen Tage und auf die große Sache, die sie dir mitbringen: sie nennen es Lebenserfahrung; aber du würdest sogar fast lieber an einem Seil hochpinkeln.

 

Als der Lastwagentag endlich da war, hatte ich eine schlaflose Nacht hinter mir, in der ich mir die Zukunft vorgestellt hatte. Um kurz nach sieben saß ich mit einem zehnjährigen Mädchen am Küchentisch. Es war Winter, aber sie hatte wie meistens gute Laune, vielleicht weil es draußen dunkelgrau war und wir drinnen Licht hatten, oder weil wir unsere Küche zwar nicht heizen konnten und es doch wärmer hatten als draußen. Schwer zu sagen, zehn ist ein schwieriges Alter. Ich selbst war lange genug in der Unterhaltungsbranche tätig, um zu wissen, dass diese Kulisse von einem echten Talent geschaffen worden war. Ich konzentrierte mich ganz auf das Pausebrot und sah deshalb die Frage nicht kommen.

»Wie findest du eigentlich die Backstreet Boys?«

Es war nicht so, dass ich aufgehört hätte, auf das Messer am Pausebrot aufzupassen – diese Frage und ich, wir waren schon gute Bekannte, und wie immer gab ich die ehrliche Antwort: es geht so. Dem Tag entsprechend klang es diesmal eher, als würde es doch nicht so gehen, und sie regte sich etwas auf, ich hätte gelogen, ich würde sie blöd finden!

Ich hatte keine Lust, mich an diesem Tag auch noch mit fünf Jungs aus Florida anzulegen, die von fast allen Wänden ihres Zimmers lachten. Überhaupt war ich auch sonst nicht der Typ, der versucht, an einem Seil hochzupinkeln. Und ich war ein guter Vater – wie ein Angler, der seinen Fisch abhakt und ins Meer zurückwirft, sagte ich, dass mir ein paar Lieder sogar wirklich nicht schlecht gefielen. Dabei achtete ich auf das Messer am Pausebrot und sah deshalb die Antwort nicht kommen.

»Du lügst, du findest sie blöd, du findest sie blöd, weil sie Stars sind, weil du dich ärgerst, weil du selber kein Star bist!«

Ich dachte mir, dass es nichts schaden konnte, sich jetzt an eine Weisheit von Ho Chi Minh zu erinnern: sei ruhig und besonnen zu kritischer Stunde. Und auf diese Weise erklärte ich, warum ich nicht scharf darauf war, so ein Star zu sein. Diese Boys lebten doch wie Gefangene. Sie konnten nicht einen Schritt außer Haus oder Hotel tun, ohne sofort von Fans und Fotografen umzingelt zu sein. Es stimmte, dass sie sich alles kaufen konnten – aber in keinem Kaufhaus der Welt hatten sie genug Zeit, auch nur ungestört die Hose auszuziehen.

Dass es deswegen Kaufhäuser für Prominente gab, verschwieg ich natürlich. Als normaler Mensch in so ein Kaufhaus reinzukommen, ist übrigens kaum anders als an einem Seil hochzupinkeln.

Um die Hölle perfekt zu machen, schilderte ich, dass diese Künstler nicht mal ihren Haarschnitt selbst bestimmen durften! Ihre Manager hatten von a bis b und zurück das Kommando. Und außerdem hatten sie fast jede verdammte Minute eine Höllenangst vor Entführung und Attentat.

»Wie wird man ein Star?«, wollte sie wissen.

Das Pausebrot war endlich fertig und trotz der Probleme mit so viel Sorgfalt und Liebe zubereitet, dass ich mich fragte, ob sich die anderen da draußen auch so ins Zeug legten, um den Standort Deutschland nicht verschimmeln zu lassen.

Ich rammte das Messer in den Tisch und sagte kühl: »Am schnellsten wird man ein Star, wenn man einen Star tötet.«

Aber sie war eben in einem schwierigen Alter und wusste es besser: »Du musst was ganz Tolles machen, damit es ganz viele Menschen toll finden.«

So falsch war das natürlich nicht. Aber ich war doch lange genug in der Unterhaltungsbranche tätig, um zu wissen, dass man kein Spiel gewinnt, nur weil man die Regeln kennt.

Draußen im Flur jammerte sie, sie bräuchte einen wärmeren Anorak. Ich schlug vor, es vielleicht mit einem wärmeren Pullover darunter zu versuchen.

Sie grinste: »Wir sind mal wieder knapp bei Kasse, stimmt’s?«