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Christoph Links (Hg.)
Einmischung erwünscht

Christoph Links (Hg.)

Einmischung
erwünscht

25 Jahre Ch. Links Verlag





Ch. Links Verlag, Berlin

Wir danken René Böll für die Einwilligung zur Verwendung des Titels »Einmischung erwünscht«, unter dem von seinem Vater Heinrich Böll 1973 ein Band mit »Schriften zur Zeit« im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen ist.

Bis auf zwei Fotos stammen alle Abbildungen
aus dem Archiv des Verlages.
Foto S. 157: AFROTAK-TV-cyberNomads
Foto S. 249: Bodo Hoeppner

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, Februar 2015 (entspricht der 1. Druck-Auflage von September 2014)
© Christoph Links Verlag GmbH
Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel. (030) 44 02 32-0
www.christoph-links-verlag.de; mail@christoph-links-verlag.de
Redaktion: Edda Fensch
Layout und Satz: Nadja Caspar, Ch. Links Verlag
Korrektorat: Hartmut Schönfuß

ISBN 978-3-86284-291-9

Inhalt

Vorwort

Einmischung erwünscht – Das aktuell-politische Sachbuch

Liane v. Billerbeck / Frank Nordhausen: Scientology. Wie der Sektenkonzern die Welt erobern will

John Goetz / Conny Neumann / Oliver Schröm: Allein gegen Kohl, Kiep & Co. Die Geschichte einer unerwünschten Ermittlung

Andrea Röpke / Andreas Speit (Hg.): Blut und Ehre. Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland

»Weiße Flecken« der Geschichte – Historische Dokumentationen

Hermann Weber: »Weiße Flecken« in der Geschichte. Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung

Hermann Frank Meyer: Blutiges Edelweiß. Die 1. Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg

Kai Schlüter (Hg.): Günter Grass im Visier – Die Stasi-Akte. Eine Dokumentation mit Kommentaren von Günter Grass und Zeitzeugen

Spurensuche vor Ort – Bildbände, Reiseführer, Pocketausgaben

Heinz Knobloch / Michael Richter / Götz Thomas Wenzel: Geisterbahnhöfe. Westlinien unter Ostberlin

Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland / Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Bonn – Orte der Demokratie. Der historische Reiseführer

Martin Kaule: Prora. Geschichte und Gegenwart des »KdF-Seebads Rügen«

Literarische Publizistik – Große Reportagen, eindrucksvolle Porträts

Christoph Dieckmann: My Generation. Cocker, Dylan, Lindenberg und die verlorene Zeit

Alexander Osang: Im nächsten Leben. Reportagen und Porträts

Roland Garve / Frank Nordhausen: Kirahé – Der weiße Fremde. Unterwegs zu den letzten Naturvölkern

Musikalische Begleitung – Versuche der Programmerweiterung

Arno Frank Eser: Konstantin Wecker. Der Himmel brennt

Heinz Rudolf Kunze: Vorschuß statt Lorbeeren. Lieder und Texte 2000 – 2002

Analysen und Dokumente – Studien zur DDR-Gesellschaft

Eckhard Jesse (Hg.): Eine Revolution und ihre Folgen. 14 Bürgerrechtler ziehen Bilanz

Maria Nooke, Lydia Dollmann (Hg.): Fluchtziel Freiheit. Berichte von DDR-Flüchtlingen über die Situation nach dem Mauerbau

Rat für mündige Leser – Die Reihe »Lebenswelten«

Bettina von Kleist: Wenn der Wecker nicht mehr klingelt. Partner im Ruhestand

Millay Hyatt: Ungestillte Sehnsucht. Wenn der Kinderwunsch uns umtreibt

Deutschlands vergessene Kolonialgeschichte – Zwei besondere Reihen

Marianne Bechhaus-Gerst / Mechthild Leutner (Hg.): Frauen in den deutschen Kolonien

Holger Stoecker / Thomas Schnalke / Andreas Winkelmann (Hg.): Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen

Mit Links in die Welt – Länderporträts

Norbert Mappes-Niediek: Österreich für Deutsche. Einblicke in ein fremdes Land

Ruth Kinet: Israel. Ein Länderporträt

Rasso Knoller: Nordeuropa. Porträt einer Region

Sonderausgaben – Bücher in besonderer Ausstattung

Michael Succow / Lebrecht Jeschke / Hans Dieter Knapp (Hg.): Naturschutz in Deutschland. Rückblicke – Einblicke – Ausblicke

Stefan Wolle: Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1949 –1989

Anhang

Verlagschronik 2009 bis 2014

Bibliografie 2009 bis 2014

Vorwort

Wozu braucht man eigentlich noch Verlage? Im Zeitalter digitaler Bücher und ständig neuer Self-Publishing-Plattformen kann jeder Autor doch seinen Text problemlos allein in die Welt schicken. Es stört kein Lektor, der mit irgendwelchen »Verbesserungsvorschlägen« nervt, keine Herstellungsabteilung drängt zum eiligen Korrekturlesen des Umbruchs, kein Vertriebsmitarbeiter will eine Vorstellung auf der Vertreterkonferenz, die Pressechefin lässt einen in Ruhe und drängt nicht zur Teilnahme an kontroversen Rundfunkdebatten, die Kollegin aus dem Veranstaltungsressort scheucht einen nicht zu Lesungen in die Provinz. Es zählen allein der eigene Text und die Resonanz im weltweiten Netz – wenn der Leser denn überhaupt auf das Buch stößt.

Bei 90 000 Neuerscheinungen pro Jahr auf dem deutschen Markt – wovon weniger als 10 Prozent rezensiert werden – und knapp zwei Millionen lieferbaren Titeln im Angebot kann es allerdings überaus sinnvoll sein, das eigene Buchvorhaben mit einem Verlag in Angriff zu nehmen, der seinen Büchern durch Veranstaltungen, Rezensionen, Präsenz im Buchhandel und auf Nebenmärkten eine öffentliche Wahrnehmung ermöglicht. Bei strittigen Themen ist zudem eine juristische Absicherung garantiert. Gerade wenn man als Autor mit seinem Werk Wirkung erzielen, sich in öffentliche Debatten einbringen und in gesellschaftliche Vorgänge einmischen will, sind die Verlage mit ihren Netzwerken bewährte Partner und Multiplikatoren. Eine denkbare Adresse wäre dann zum Beispiel der Christoph Links Verlag.

Wie der vorliegende Band anhand von 25 exemplarischen Beispielen zeigt, ist es uns ein Anliegen, Büchern zur bestmöglichen Wirkung zu verhelfen, sie in geeigneter Form an möglichst viele Leser zu vermitteln. Dass jedes Buch dabei seine eigene, mitunter recht abenteuerliche Geschichte hat, wird auf den folgenden Seiten deutlich. Erzählt wird die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte ausgewählter Titel aus dem inzwischen recht breit gefächerten Verlagsprogramm, verbunden mit einem Textausschnitt des jeweiligen Buches. In der anschließenden Chronik der letzten fünf Jahre kann man nachlesen, wo unsere Autoren überall im Einsatz waren, um für ihre Werke zu streiten. Ergänzend zu den beiden vorigen Jubiläumsbüchern »Über unsere Bücher lässt sich streiten« (1999) und »Mit Links überleben« (2009) gibt es auch wieder eine Bibliographie der zuletzt erschienenen Titel, in die erstmals auch alle elektronischen Ausgaben mit aufgenommen wurden.

Wenn in den nächsten Jahren Autoren und Verlage das eingegangene Bündnis so erfolgreich fortsetzen werden, versprechen wir neuerliche Jubiläumsbände mit spannenden Geschichten.

Christoph Links
August 2014

Einmischung erwünscht – Das aktuell-politische Sachbuch

Liane v. Billerbeck, Frank Nordhausen

Scientology

Wie der Sektenkonzern die Welt erobern will

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Erstauflage August 2008, Nachauflagen im Dezember 2008, Taschenbuchausgabe bei S. Fischer, September 2011

Anliegen unseres Verlages ist es vom ersten Tag an gewesen, mit Büchern in aktuell-politische Debatten einzugreifen und zu wichtigen sozialen Vorgängen vertiefende Hintergrundinformationen zu liefern. Das wurde bereits im Startprogramm 1990 deutlich, als wir uns mit »Privilegien, Amtsmissbrauch und Schiebergeschäften« in der untergehenden DDR und dem aufkommenden »Rechtsextremismus im vereinten Deutschland« beschäftigten, gefolgt von einem kritischen Report zu den Praktiken der Treuhandanstalt bei der Privatisierung ostdeutscher Betriebe (Martin Flug: »Treuhand-Poker. Die Mechanismen des Ausverkaufs«, März 1992). Dieser Band brachte uns auch den ersten Prozess ein, da sich ein ehemaliger Treuhand-Manager durch ein Pressezitat im Buch ehrkränkend dargestellt fühlte. Das Ganze konnte mit einem Vergleich beigelegt werden.

Das richtige juristische Feuerwerk begann dann mit dem Band von Liane v. Billerbeck und Frank Nordhausen über den Sekten-Konzern Scientology. Ich durfte in den nächsten Monaten die Landgerichte von Hamburg, Köln, Bonn, München und Berlin kennenlernen. Es gab drei Siege, einen Vergleich und eine Niederlage. Wir waren zum Glück vorsichtig gewesen, hatten stets nur kleinere Auflagen gedruckt und zur jeweils anstehenden Nachauflage erforderliche Änderungen oder Anonymisierungen vorgenommen. Als alle Schlachten geschlagen waren, konnte der Band unbeanstandet in mehreren Lizenzausgaben erscheinen.

Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Osteuropa versuchten nicht nur Nationalisten und Ultrareligiöse das ideologische Vakuum zu besetzen, sondern auch obskure Psycho-Sekten und Anhänger von Scheinreligionen, denen es eigentlich darum ging, den Menschen mit erfolgversprechenden Seminaren das Geld aus der Tasche zu ziehen. Dabei war man keineswegs zimperlich und versuchte Kritiker möglichst mundtot zu machen. Anfänglich geschah dies vor allem auf dem Klagewege. Da aber die Medien intensiv darüber berichteten und uns auch in den Auseinandersetzungen couragiert unterstützten, änderten viele Sekten ihre Strategie. Als 2008 von Billerbeck und Nordhausen ein zweites Buch über Scientology erschien, in dem es vor allem um die Welteroberungspläne der geheimnisvollen Organisation mit ihrem Werbeträger Tom Cruise ging, blieb es juristisch ruhig. Das mag auch damit zusammenhängen, dass wir nach den Erfahrungen der ersten Veröffentlichung nunmehr jeden Fakt mit einem detaillierten Quellenbeleg versehen hatten und das Buch mehr als 1000 Fußnoten aufwies. Die deutsche Scientology-Sprecherin Sabine Weber hatte zunächst im Vorfeld versucht, uns von der Publikation abzubringen, und besuchte mich dazu sogar im Verlag, doch als dies nicht verfing, gingen Mitglieder der Organisation nach der Veröffentlichung dazu über, Lesungen von uns zu stören und dort die Diskussion an sich zu reißen. Doch dies griff nicht mehr, die öffentliche Meinung hatte sich inzwischen deutlich gegen den Sekten-Konzern gewendet, der 15 Jahre zuvor noch unter dem Schutz der Religionsfreiheit gesegelt war.

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Vor 200 Gästen stellen Liane v. Billerbeck und Frank Nordhausen ihr »Scientology«-Buch im Rathaus in Berlin-Charlottenburg vor.

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Eine Vertreterin der Sekte versucht sich in einer Gegendarstellung – vom Publikum ironisch bis wütend kommentiert.

Wie intensiv das neue Buch »Scientology« gelesen – leider aber nicht ebenso verkauft – wurde, konnten wir daran erkennen, dass es zu den ersten Titeln unseres Verlages gehörte, die von der Plattform Rapidshare zum Download angeboten wurden. Im Zuge der von der Musikindustrie angestoßenen Prozesslawine gegen Rapidshare, die bis zum Bundesgerichtshof reichte, ist es dann auch uns gelungen, die illegale Datei des Buches von der Plattform entfernen zu lassen. Das Buch ist bei uns weiterhin lieferbar.

Vorwort zur 2., durchgesehenen Auflage, Dezember 2008

Im Januar 2007 eröffnete Scientology seine neue Deutschlandzentrale in Berlin mit großem Rummel. Wenig später drehte der Scientology-»Botschafter« und Hollywoodstar Tom Cruise in Berlin seinen Film über den Hitlerattentäter Graf Stauffenberg und bekam einen »Bambi« für Mut verliehen. Seither wird in Deutschland wieder über den Psychokonzern diskutiert. Zu Recht. Denn Scientology ist eine Art »Supersekte«, eine gefährliche antidemokratische Organisation, die Menschen terrorisiert, die nach wirtschaftlichem Einfluss und politischer Macht strebt – gerade auch in Deutschland. Scientology bildet eine totalitäre Insel im demokratischen Staat. Deshalb wird sie auch rechtmäßig vom Verfassungsschutz beobachtet, wie das Oberverwaltungsgericht Münster in seinem Urteil im Februar 2008 feststellte.

Doch während in Deutschland Dutzende Aussteigerberichte und wissenschaftliche Studien zu Scientology publiziert wurden und das Wissen über den Psychokonzern bei der »Arbeitsgruppe Scientology« des Hamburger Senats, bei Geheimdiensten, Sektenexperten und Wissenschaftlern ständig wuchs, ging die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit stark zurück. Viele Menschen haben heute keine oder höchstens vage Vorstellungen davon, was Scientology ist und worum es dabei geht. Das ist zum Teil eine Folge schlechterer staatlicher Aufklärung, aber auch von Ereignissen wie den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington, die alles andere in den Hintergrund drängten. Es ist nicht zuletzt auch das Ergebnis geschickter Propaganda und Desinformation der Scientology-Organisation.

Vor 15 Jahren erschien unser investigativer Report »Der Sekten-Konzern«, in dem wir vor allem schilderten, wie die mächtige Psychoholding die deutsche Wirtschaft zu infiltrieren versucht. Im Nachfolgeband »Psycho-Sekten« von 1997 haben wir die Entwicklung weiterverfolgt und erstmals auch die politische Agenda der Organisation dargestellt. Es war die Zeit, als Scientology gerade ein Thema der großen Politik in Deutschland wurde, weil die US-amerikanische Regierung den kritischen Umgang mit der Sekte hierzulande mehrfach scharf rügte. Als Folge der lebhaften Debatte richtete der Deutsche Bundestag eine Enquetekommission zu »Sekten und sogenannten Psychogruppen« ein, die ihre Ergebnisse 1998 vorlegte. Zehn Jahre später müssen wir feststellen, dass fast keine Empfehlung der Enquetekommission politisch umgesetzt worden ist. Einen effektiven Verbraucherschutz auf dem Psychomarkt gibt es bis heute nicht.

Deshalb haben wir gemeinsam mit dem Verleger Christoph Links überlegt, die früheren Bücher zu überarbeiten und als Neuauflage herauszubringen. Aber es stellte sich schnell heraus, dass es mit einer Bearbeitung nicht getan war. Das hat vor allem mit der neuen Informationslage zu tun. Als wir 1993 den »Sekten-Konzern« verfassten, waren nur wenige verlässliche Quellen verfügbar. Interne Originalbefehle oder Strategiepapiere kursierten unter Kritikern lediglich in geringer Zahl und waren ebenso schwer zu beschaffen wie gerichtsfeste Aussagen von Aussteigern. Noch hatte fast kein ehemaliger Top-Scientologe den Mut, sich öffentlich zu äußern. Und jeder, der über Scientology schrieb, musste damit rechnen, gnadenlos verleumdet und verklagt zu werden. Das betraf auch uns. Im Verlag erschienen Agitationsteams der Sekte, wir wurden beschattet und ausgeforscht, es gab Diffamierungen und anonyme Morddrohungen. (…)

Inzwischen hat sich vieles grundlegend geändert. Gab es zu Beginn der 1990er Jahre zu wenige handfeste Erkenntnisse über Scientology, so trifft heute das Gegenteil zu. Die Explosion der Informationen hat vor allem mit dem Internet zu tun. Auf Dutzenden Homepages von Scientology-Kritikern und -Aussteigern sind seit Mitte der 90er Jahre unzählbar viele Dokumente über den Psychomulti, seine Führungsoffiziere, seine Methoden, seine Geschichte, seine geheimen Operationen und Strategien publiziert worden. Uns wurde schnell bewusst, dass ein völlig anderes Konzept nötig war, um all die neuen Erkenntnisse einarbeiten zu können.

Für dieses Buch sind Dutzende von Gesprächen mit Scientologen, ehemaligen Scientologen, Scientology-Kritikern und Zeitzeugen geführt worden, es wurden zahlreiche Film- und Tonaufnahmen gesichtet, Tausende Scientology-Dokumente, Gerichtsurteile, parlamentarische Untersuchungsberichte, wissenschaftliche und biographische Literatur sowie eidesstattliche Versicherungen ehemaliger Scientologen gelesen und berücksichtigt. (Die Vielzahl der Quellenbelege im Anhang macht das deutlich.) Das Resultat ist ein völlig neues Werk, zugleich die Summe einer fast 20-jährigen Beschäftigung mit dem Thema, weshalb einige Vorarbeiten aus den früheren Büchern integriert wurden. Es ist der Versuch einer Gesamtdarstellung des Machtsystems Scientology mit journalistischen Mitteln: Wie entstand diese Organisation, was will sie, wie funktioniert sie und wer zieht die Fäden?

Wir bezeichnen Scientology in diesem Buch als Sekte. Es gibt Experten, die eine solche Benennung ablehnen, weil es sich bei Scientology nicht um die Abspaltung einer Religion oder eine religiöse Organisation handelt, sondern die Religion nur als Tarnung benutzt wird. Uns erscheint der Begriff dennoch passend. Denn »Sekte« umfasst im populären Sprachgebrauch nicht nur religiöse, sondern auch andere extreme Gruppen mit Merkmalen wie einem charismatischen Führer, schwarz-weißer Weltsicht, eigener Sprache sowie Gedanken-, Milieu-, Verhaltens- und Informationskontrolle. Man spricht etwa von Wirtschafts- oder Politsekten. In diesem Sinne werden Gruppen wie bestimmte Multi-Level-Marketing- oder Struktur-Vertriebe, die rechtsextreme LaRouche-Organisation, der frühere Kommunistische Bund Westdeutschland (KBW) oder die terroristische Al-Qaida-Organisation von Osama Bin Laden als Sekten oder destruktive Kulte bezeichnet. Scientology passt in dieses Raster. Ein besseres Wort als »Sekte« hält die deutsche Sprache dafür nicht bereit.

Scientology behauptet, eine Welt »ohne Geisteskrankheiten, Kriminalität und Krieg« schaffen zu wollen, denn die Sekte will »den Planeten reinigen«. In den internen Strategiepapieren steht, was das bedeuten soll – nicht mehr und nicht weniger als die Eroberung der Welt und die Herrschaft der scientologischen »Auditoren« über jedes einzelne Land der Erde. Der Scientology-Gründer L. Ron Hubbard träumte davon, sich eine Welt »williger Sklaven« zu schaffen. Gewiss ist der Sekten-Konzern weit entfernt von diesem Ziel, aber das sollte niemanden verleiten, ihn zu unterschätzen. Denn die Verbindungen des Milliarden-Dollar-Unternehmens reichen heute bis ins Weiße Haus in Washington und in den Europarat nach Straßburg, Scientology führt einen »Krieg gegen Europa« und will Deutschland beherrschen. Wie Scientology dabei vorgeht und was sie strategisch plant, um Machtpositionen zu erlangen, das dokumentieren wir im vorliegenden Band.

John Goetz, Conny Neumann, Oliver Schröm

Allein gegen Kohl, Kiep & Co.

Die Geschichte einer unerwünschten Ermittlung

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Erstauflage September 2000, 2. und 3. Auflage Oktober 2000

Das Buch über den spektakulärsten Politikskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte hat uns wochenlang in Atem gehalten. Die drei Autoren hatten auf verschlungenen Wegen brisante Unterlagen über die abenteuerlichen Ermittlungen der Augsburger Fahnder besorgt, die belegten, dass über den Kleinunternehmer Karlheinz Schreiber Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe an Spitzenpolitiker von CDU und CSU geflossen waren und dafür ein verzweigtes Netz von ausländischen Briefkastenfirmen existierte. Und nicht nur das. Sie zeigten auch, wie die Ermittlungen politisch gezielt behindert worden waren. Die oft nur für wenige Stunden leihweise zur Verfügung stehenden Akten wurden bei uns im Verlag kopiert, bis das Gerät heiß lief, und dann an verschiedenen Stellen deponiert, um Autoren und Verlag zu schützen. Ähnliches geschah danach mit den Textdateien für das Buch. Seite für Seite gingen wir das Manuskript mit unserem Anwalt Dr. Christian Schertz durch, der uns auf alle Fallstricke aufmerksam machte und so einen späteren juristischen Angriff verhinderte.

Als das Buch schließlich im September 2000 gemeinsam mit dem langjährigen Vizepräsidenten des Bundestages und Vorsitzenden des Bundestagsuntersuchungsausschusses zur Spendenaffäre Burkhard Hirsch in der Bundespressekonferenz präsentiert wurde, schlug es ein wie eine Bombe. Binnen vier Wochen mussten wir zwei Mal nachdrucken. Der Bundestagsuntersuchungsausschuss zu dem Fall arbeitete damit, die Enthüllungen über die Münchner Einflussnahmen auf die Ermittlungen trugen entscheidend zur Einberufung eines bayerischen Untersuchungsausschusses bei, der seinen Fragenkatalog anhand unseres Buches erstellte.

Uns erreichte beinahe täglich Post im Verlag, in der den Autoren weitere Hinweise auf ähnliche Amigo-Strukturen übermittelt wurden. Andere drückten einfach ihre Begeisterung aus: »Das Buch ist der spannendste Politthriller der letzten Jahre. Einmal angefangen zu lesen, legt man es nicht mehr aus der Hand«, stand auf einer Karte aus Berlin. Eine Leserin aus Kassel meinte: »Das Buch sollte zur Pflichtlektüre werden!« Viele zeigten sich erschrocken über den korrupten Sumpf, der hier »in unserem sauberen Vaterland« zutage trete.

Der Thrillercharakter des Politreports veranlasste dann auch die Filmproduktionsgesellschaft »teamworx«, einen Fernsehfilm dazu in Angriff zu nehmen. Nach langwierigen Verhandlungen konnte im März 2002 ein umfangreicher Options- und Verfilmungsvertrag unterzeichnet werden, doch zur Verfilmung kam es dann nicht. Obwohl das Drehbuch zwei Mal umgeschrieben wurde, war es der federführenden ARD-Sendeanstalt am Ende immer noch nicht »sexy« genug. Es fehlten die Bettszenen für einen erfolgreichen Film im Hauptabendprogramm, wie es hieß. Vielleicht sollte aber auch nur das Thema verschleppt werden, bis es an Aktualität und Brisanz verloren hatte, wer weiß?

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Die Autoren John Goetz, Conny Neumann und Oliver Schröm (v. l.) präsentierten am 20. 9. 2000 den Medienvertretern ihre Erkenntnisse zum CDU-Spendenskandal.

Prolog

Es war ein nasskalter Wintermorgen, als Winfried Maier aus der zweimotorigen Propellermaschine der Augsburg Airways stieg. Berlin empfing ihn mit dunklen Wolken und zwei Grad minus. Ein unangenehmer Wind schlug ihm entgegen. Maier fröstelte.

Der Staatsanwalt war an diesem 24. Februar 2000 auf dem Weg zum Parteispendenuntersuchungsausschuss des Bundestages. Maier sollte dort als Sachverständiger aussagen. Für den 40-jährigen Ankläger eine ungewohnte Rolle. Zur Abwechslung würde er selbst im Zeugenstand stehen und sich gegebenenfalls einem Kreuzverhör stellen. Es ging um seinen bislang spektakulärsten Fall, das Verfahren gegen Karlheinz Schreiber und andere.

Anfangs ermittelte die Augsburger Staatsanwaltschaft gegen den Kleinunternehmer aus dem oberbayerischen Kaufering wegen Steuerhinterziehung. Bald jedoch war den Ermittlern klar geworden, daß es sich hier um kein herkömmliches Steuerstrafverfahren handelte, sondern dass es um Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe an führende Politiker von CDU und CSU ging. Maier hatte sich davon nicht abschrecken lassen und hartnäckig weiter ermittelt. Und schließlich war er auf das Schwarzgeld-System der CDU gestoßen.

Heute nun wollte sich der dafür extra eingesetzte Bundestagsuntersuchungsausschuss damit beschäftigen. Welche Fragen würden ihm dazu gestellt werden? Worauf wüsste er noch keine Antwort? Noch immer war beispielsweise unklar, welche Rolle Helmut Kohl bei dem Ganzen gespielt hatte. Steckte er selbst womöglich hinter dem ganzen Skandal?

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Die Pressekonferenz im Pressehaus am Schiffbauerdamm nahmen mehr als 40 Redaktionen und Sender wahr.

Der Untersuchungsausschuss tagte in der Katholischen Akademie St. Thomas von Aquin. Als Maier dort ankam, wimmelte es bereits von Journalisten. Im Foyer herrschte ein wildes Durcheinander. Fernsehkameras wurden aufgebaut, Mikrophone und Scheinwerfer in Stellung gebracht, und ständig stolperte man über irgendwelche Kabel, die die Aufnahmegeräte mit den Übertragungswagen draußen vor der Tür verbanden.

Unbemerkt bahnte sich Maier seinen Weg durch die Journalisten. Er genoss die letzten Minuten in der Anonymität. Noch wusste niemand, wie er aussah. Seine Erscheinung erweckte auch nicht sofort Aufmerksamkeit. Mit seiner Größe von 1,65 Meter und dem jugendlichen Gesicht hatte man ihn oft genug zehn Jahre jünger geschätzt. Er entsprach jedenfalls keineswegs dem landläufigen Bild, das man sich von einem energischen Staatsanwalt machte, dem es gelungen war, die größte Parteiengeldschieberei der deutschen Nachkriegsgeschichte aufzudecken.

Wie würde der Untersuchungsausschuss mit der Verfahrensakte zum Fall Schreiber umgehen, die im Vorfeld angefordert worden war? Tausende von Seiten hatte man in Augsburg kopiert und nach Berlin geschickt. Aber das wichtigste Dokument war nicht dabei: die Handakte.

Ihm war untersagt worden, diese ebenfalls zum Untersuchungsausschuss zu schicken. Aus gutem Grund. Sie enthielt politischen Sprengstoff. Auf 1600 Seiten war darin dokumentiert, wie man die Staatsanwälte bei ihren Ermittlungen ständig behindert hatte. Einmal wurden Haftbefehle ein paar Tage lang zurückgehalten, sodass ein Beschuldigter untertauchen konnte, ein anderes Mal durften bestimmte Büros nicht durchsucht und wichtige Zeugen nicht vernommen werden. Als Maier sich wehrte, wurde ihm schließlich nahegelegt, die Staatsanwaltschaft zu verlassen und sich für ein Richteramt zu bewerben.

Im Untersuchungsausschuss wollte Maier der Wahrheit Gehör verschaffen. Das parlamentarische Gremium sollte zumindest eine Ahnung davon bekommen, was sich all die Jahre hinter den Kulissen abgespielt hatte, mit welchen politischen Hindernissen er bei seinen Ermittlungen zu kämpfen hatte. Danach war es die Aufgabe der Politiker, denen er gleich gegenübersitzen würde, endlich die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen und künftig auch in Deutschland die Unabhängigkeit der Staatsanwälte per Gesetz zu garantieren.

Als Maier den Sitzungssaal betrat, drängelten sich dort die Medienvertreter und Fotografen um die besten Plätze. Er ging gleich zu dem Tisch mit dem Namensschild »Dr. Maier StA Augsburg«. Die Journalisten registrierten nun, dass dieser Mann wohl jener Ermittler sein musste, der mit seinen Enthüllungen die CDU bedrohlich nahe an den politischen Abgrund gebracht hatte. Sofort war Maier umringt von Fernsehkameras und Fotografen. Er stellte seine schwarze Aktentasche auf den Tisch, zog eine grüne Mappe mit ein paar Unterlagen heraus. Als er den Kopf hob, schaute er direkt in die Blitzlichter der Fotografen und in die Scheinwerfer der Fernsehkameras. Er lächelte verlegen. Nun sollte es endlich losgehen.

Andrea Röpke, Andreas Speit (Hg.)

Blut und Ehre

Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland

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Erstauflage Juni 2013, drei Sonderausgaben für die Bundeszentrale und die Landeszentralen für politische Bildung im Sommer und Herbst 2013

Seit unser Verlag besteht, setzen wir uns mit rechtsradikalen Aktivitäten auseinander, speziell mit der Situation in den neuen Bundesländern. Bereits in unserem ersten Programm gab es im Herbst 1990 den Titel »Rechtsextremismus im vereinten Deutschland – Randerscheinung oder Gefahr für die Demokratie«, eine Koproduktion mit dem Bremer Steintor-Verlag. Damals ging es vor allem um das Vordringen der Republikaner in den Osten und das Aufkommen rechtsextremer Jugendgruppen von Dresden bis Rostock. Der Band erlebte drei Auflagen, und es gab Veranstaltungen dazu überall im Land – von Bremen und Berlin über Lage an der Lippe bis Weimar. Alle Lesungen verliefen störungsfrei, gegen das Buch zog niemand juristisch zu Felde, es gab nicht einmal protestierende Leserbriefe.

Ein paar Jahre später war das schon anders. Als wir 1995 unter dem Titel »Rechts um – zum Abitur« über den erschreckenden geistigen Wandel an deutschen Oberschulen berichteten und den Band auf der Interschul-Messe in Hannover vorstellten, wurden wir dort angepöbelt. Bei der Lesung in Jena gab es dann Störaktionen rechter Jugendlicher. Heute wissen wir, dass der Nationalsozialistische Untergrund damals in Jena schon aktiv war.

2001, beim Insider-Report von Andrea Röpke und Oliver Schröm »Stille Hilfe für braune Kameraden« über das geheime Netzwerk der Alt- und Neonazis, wurde es dann erstmals auch juristisch ernst. Uns erreichte die Unterlassungsklage eines Altnazis, der eine Äußerung gegenüber unserer Autorin nachträglich widerrufen wollte. Da es hierbei um eine Nebensächlichkeit ging, die zum Anlass genommen wurde, um unser Buch verbieten zu lassen, haben wir zur anstehenden Nachauflage die entsprechende Stelle einfach umformuliert und so einen Prozess vermieden.

Derart gewarnt, sind die beiden Folgebücher über »Braune Kameradschaften« (2004) und »Neonazis in Nadelstreifen« (2008) vorsorglich vorab von Anwälten geprüft worden. Das war nicht ganz billig, aber eine lohnende Investition, wenn damit auch keine absolute Sicherheit gegeben war, wie wir drei Jahre später beim Band über Frauen in der Neonazi-Szene der beiden Autoren Andrea Röpke und Andreas Speit erleben muss ten. Gegen ihren Titel »Mädelsache« gab es gleich drei juristische Angriffe, wovon wir zwei abwehren konnten. Doch im dritten Fall bekamen wir eine Einstweilige Verfügung mit dem Auslieferungsverbot für das Buch per Gericht zugestellt. Es ging um Aktivitäten der inzwischen verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend und deren Ferienlager, wo die Kinder im NS-Stil ideologisch getrimmt wurden. Eine Mutter wollte in diesem Zusammenhang nicht namentlich genannt werden, obwohl sie an den Vorgängen aktiv beteiligt war. Nach vier Wochen erreichte unser Anwalt, dass das Verbot des Buches wieder aufgehoben wurde, einer zweiten und dritten Auflage stand nichts mehr im Wege. Hilfreich war hier unsere Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, die uns neben einer überschaubaren Selbstbeteiligung in solchen Fällen vor extremen Kosten bewahrt.

Beim jüngsten Band von Andrea Röpke und Andreas Speit »Blut und Ehre« über die Geschichte der rechten Gewalt in Deutschland bis hin zum NSU-Prozess blieben juristische Auseinandersetzungen aus, dafür wurde es umso lauter bei mancher Veranstaltung. Grund dafür ist die neue Strategie der Wortergreifung durch Rechtsextreme. Haben früher kleine militante Gruppen die Informationsabende über aktuelle Entwicklungen in der Neonazi-Szene mit Megaphonen oder Sprechchören gestört, um die öffentliche Behandlung ihrer Aktivitäten zu verhindern, so schicken sie inzwischen ihre geschulten Agitatoren in solche Runden, um diese zu eigenen Propagandazwecken umzufunktionieren, indem sie die Saalmikrophone okkupieren und kritische Diskussionsteilnehmer nicht zu Wort kommen lassen. Dagegen muss man mit den Veranstaltern entsprechende Vorkehrungen treffen. Diese verfügen über das Hausrecht und können Störungen durch Saalverweise beenden, was sich wenn nötig auch mit Hilfe der Polizei durchsetzen lässt. Wir kooperieren in solchen Fällen bereits vorab mit den örtlichen Behörden, die dann entscheiden, wie angemessen vorzugehen ist. Das kann sichtbare Polizeipräsenz vor dem Veranstaltungsort sein, um mögliche Störer von vornherein abzuschrecken, es kann aber auch ein unauffälliger Zivilist mit Knopf im Ohr im Publikum sitzen, der im Fall des Falles einschreitet oder seine Kollegen herbeiruft, die in einem Nebengebäude in Bereitschaft sind, wie wir es etwa auf der Leipziger Buchmesse praktizierten. Engagierten Autoren in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen, bedarf mitunter eben anderer Vorbereitungen als die Lesung aus einem neuen Lyrik-Band.

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Über »Neonazis in Nadelstreifen« diskutierten am 20. 4. 2008 Alfred Eichhorn (Inforadio), Mathias Brodkorb (endstation-rechts.de), Andrea Röpke, Erwin Sellering (Minister für Soziales in Mecklenburg-Vorpommern) und Andreas Speit (v. l.).

Der Terror von rechts in der Geschichte der Bundesrepublik 1945 bis 1990 (Auszug)

»Dieser Vorgang ist objektiv betrachtet eine Niederlage für die Sicherheitsbehörden.« Am 21. November 2011 räumte Heinz Fromm, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), das Scheitern der Behörden gegen den Rechtsterror ein. Wenige Tage zuvor, am 8. November 2011, hatte sich Beate Zschäpe mit einem Anwalt in Jena der Polizei gestellt. In der nichtöffentlichen Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages musste der damalige Geheimdienstchef eingestehen, dass die Sicherheitsbehörden Gefahren und Entwicklungstendenzen von rechtsextremem Terror nicht ausreichend wahrgenommen hatten. Es durfte nicht sein, was nicht sein sollte: mordende Gruppen von Rechtsextremen, tragende Netzwerke für den Untergrund. Dieses Credo stimmten verschiedene Leiter der unterschiedlichsten Sicherheitsbehören und Verfassungsschutzämter über Jahrzehnte immer wieder an. »Wir haben keine Erkenntnisse, dass es aktuell rechtsterroristische Strukturen in Deutschland gibt«, hatte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, 2004 im Interview mit der Nachrichtenagentur AP verkündet. Hansjörg Geiger führte als BfV-Präsident 1995 in einem Interview mit der Illustrierten Focus aus: »Die Rechtsextremisten haben keine Sympathisantenszene, in der braune Terroristen schwimmen können wie die Fische im Wasser.« Die Studie »Rechtsextremismus Nr. 21 – Gefahr eines bewaffneten Kampfes deutscher Rechtsextremisten – Entwicklung von 1997 bis Mitte 2004« des BfV spiegelt diese nachhaltige Fehleinschätzung wider. Auf der vorletzten Seite des Dokuments steht: »Derzeit sind in Deutschland keine rechtsterroristischen Organisationen und Strukturen erkennbar«, und das Amt hebt hervor: »Ungeachtet der Tatsache, dass es den ›Bombenbastlern von Jena‹ jahrelang gelungen war, sich ihrer Verhaftung zu entziehen, gibt es keine wirkungsvolle Unterstützerszene, um einen nachhaltigen Kampf aus dem Untergrund heraus führen zu können.« Mit den Bombenbauern aus Jena ist das spätere NSU-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gemeint.

Ende 2012, nach vielen Sitzungen des Untersuchungsausschusses zu den NSU-Morden im Bundestag, sagte dessen Vorsitzender Sebastian Edathy: »Die Gefährlichkeit eines zunehmend gewaltbereiter gewordenen Rechtsextremismus wurde lange Zeit massiv unterschätzt.« Der SPD-Politiker wurde noch deutlicher: »Man konnte und wollte sich ganz offenkundig nicht vorstellen, dass es in Deutschland organisierten Rechtsterrorismus geben könnte, obwohl es dafür in der Vergangenheit durchaus Anhaltspunkte gab« – eine Vergangenheit, die früh nach 1945 beginnt.

Ein Sammelbecken radikaler nationalistischer Kräfte war seit ihrer Gründung 1949 die Sozialistische Reichspartei (SRP). Pate stand ein Mann, der die erstarkende Neonazi-Szene zeitlebens mitprägen sollte: Otto Ernst Remer, ehemals als Kommandeur des Wachbataillons »Großdeutschland« an der Niederschlagung des Aufstandes gegen Adolf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt. Kein Einzelfall, die Partei erhielt großen Zulauf von alten Nationalsozialisten. Eine Schlagzeile in der Parteizeitung der SRP, Deutsche Opposition, vom April 1952 lautete: »Remers Programm: Kampf bis zum Umfallen gegen das Bonner Regime«. Auf einer Pressekonferenz im Mai 1950 verherrlichte der Parteivorsitzende Fritz Dorls die Zeit von 1933 bis 1945 gar als »Höhepunkt einer revolutionären Entwicklung des Abendlandes« und die Konzentrationslager und Gaskammern als »revolutionäre Methodik dieser Epoche«. Die Süddeutsche Zeitung berichtete kurze Zeit später, dass in München sogenannte »Rollkommandos« der SRP gegründet worden seien, die den Schutz bei Veranstaltungen übernehmen und deren Mitglieder Uniformen mit Armbinden und Parteiabzeichen tragen würden. Im Herbst 1952 erfolgte das Verbot der SRP, das im Oktober 1953 vom Bundesverfassungsgericht wegen der Wesensverwandtschaft der Partei zur NSDAP bestätigt wurde. Dorls plante, die Partei im Untergrund weiterzuführen, floh dann aber nach Ägypten, wo er für den deutschen Verfassungsschutz tätig war. Nach seiner Rückkehr Mitte der 1950er Jahre wurde er als einer der ersten Rädelsführer einer verfassungsfeindlichen Organisation 1957 zu einer Haftstrafe verurteilt.

Im Dezember 1952, keine zwei Monate nach dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei, schloss sich im Gasthaus »Schützenhof« im niedersächsischen Wilhelmshaven deren ehemalige Reichsjugend mit Teilen der Deutschen Unitarischen Jugend und der Vaterländischen Jugend zur Wiking-Jugend (WJ) zusammen. Walter Matthaei bestimmten die Anhänger zum ersten Bundesführer, schon dabei waren die späteren Chefs Raoul und Wolfgang Nahrath. Es sei die Zeit gewesen, »in der der mutige Einzelkämpfer sich im Durcheinander des Zusammenbruchs behauptete«, hieß es im Wikinger 1971 rückblickend. »1945 brach nicht nur das Reich zusammen, sondern mit ihm die größte einheitliche, von einem ungeheuren Idealismus getragene Jugendbewegung aller Zeiten (…)«, schrieb ein Kamerad aus der Gründergeneration der WJ. Seit der Gründung, nur sieben Jahre nach dem Verbot der Hitlerjugend, gelang es militanten rechten Kräften, 42 Jahre lang die Neonazis von morgen im Verborgenen zu drillen, ihren soldatischen Gehorsam und rassistischen Größenwahn zu schärfen. Tausende von Jungen und Mädchen, vor allem aus NS-treuen »Sippen« in Westdeutschland, gingen durch deren harte Schule mit Frühsport, Gewaltmärschen, Lagerfeuerromantik, Mut- und Messerproben sowie politischen Schulungen. Nach eigenen Angaben will die Wiking-Jugend 15 000 Kinder und Jugendliche geschult und gedrillt haben. Führende Kader wie der NPD-Bundesvize und -Landtagsfraktionschef im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, marschierten in deren Reihen mit. Der NPD-Landesvorsitzende und Landtagsabgeordnete Stefan Köster aus Mecklenburg-Vorpommern trommelte bei ihnen. Andere WJ-Mitglieder wurden später als Terrorakteure bekannt. Die Organisation propagierte die »Zurückdrängung des Fremdrassigen«, die »Verhinderung der Vermehrung von Minderwertigen« zum Schutz »deutscher Volkssubstanz« und forderte gar einen gelben Stern zur Kennzeichnung von jüdischen Mitbürgern. Schießen stand ebenso wie »Erbgesundheitspflege« auf den Plänen für die Jugendfahrten. Ein Technischer Dienst (TD) im Inner Circle der WJ-Organisation agierte bis 1994. Aus deren Reihen heraus gab es immer wieder gewaltsame Übergriffe. Waffen wurden gehortet. WJ-Gründer Matthaei zog Mitte der 1950er Jahre nach Spanien, er war wegen seiner Homosexualität in Ungnade gefallen. Militärischen Zielen blieb der Altnazi treu: Auf seiner Finca El Tiemblo in der Provinz Ávila soll die terroristische Spanische Jugendbrigade an Maschinenpistolen und Gewehren aller Kaliber ausgebildet worden sein.

In den 1950er Jahren mehrten sich die Anzeichen dafür, dass das »nationale Lager« sich regenerierte und an Mobilisierungskraft gewann. Das Verbot der SRP hatte den politischen Spielraum der nationalen Opposition zunächst eingeschränkt, erklärt Gideon Botsch, Politikwissenschaftler der Universität Potsdam. Aus deren Perspektive stand zu befürchten, dass es im Schatten von Wirtschaftswunder, Kaltem Krieg und einer als »Umerziehung« empfundenen Demokratisierung zu einem Kontinuitätsbruch kommen würde, der schließlich das Ende der völkischen und nationalistischen Tendenzen insgesamt mit sich bringen könnte. So kam den gegründeten Jugendverbänden des nationalen Lagers die wichtigste Funktion zu. Über sie konnte sich die »Bewegung« nach den Verbrechen des Nazi-Regimes überhaupt neu entwickeln, sie wurden zur »kommenden Kraft« stilisiert. Begeisterungsfähigkeit, rebellische Grundhaltung und die Möglichkeit zur Beeinflussung junger Leute, so Botsch, bildeten einen weiteren Grund für die intensive Jugendarbeit nationalistischer Strategen. In den 1960er Jahren kristallisierten sich die Wiking-Jugend und der konkurrierende Bund Heimattreuer Jugend (BHJ) heraus. Sie erlangten überregionale Bedeutung. Beide Gruppen ordneten sich politisch nah der 1964 gegründeten Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) an, einige Nachwuchskader übernahmen Doppelfunktionen.

Am 2. Januar 1971 verübte eine »Odalgruppe«, die das gemeinsame Symbol von Wiking-Jugend und Bund Heimattreuer Jugend, die Odalrune, nutzte, einen Sprengstoffanschlag auf ein Redaktionsbüro der DKP-Zeitung Unsere Zeit in Hamburg. 1976 griffen etwa 60 Teilnehmer eines WJ-Sommerlagers Journalisten des WDR-Magazins Monitor an und zertrümmerten Kamera und Auto des Drehteams. Den späteren Chef des Bundesordnungsdienstes der NPD, Manfred Börm, verurteilte das Landgericht Koblenz im Februar 1979 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe. Er hatte einen Pfahl in den PKW des WDR-Teams gerammt. Es sollte nicht seine letzte Straftat gewesen sein.

Bereits kurz vor dem Ende der DDR entstand im Sommer 1989 in Dresden im sogenannten Gau Sachsen die WJ-nahe Sachsenjugend. Monatelange Auseinandersetzungen waren vorausgegangen. Neonazi-Skinheads drangen in das Dresdener Café der offenen Arbeit »Pep« ein und provozierten dort. Bei einem Sommerfest kam es zu einer größeren Schlägerei zwischen ostdeutschen Punkern und Rechten. Letztere erhielten Hausverbot. Einige völkisch-nationalistische Jugendliche gründeten die uniformierte Sachsenjugend mit Braunhemd, schwarzem Halstuch oder Schlips, schwarzen Hosen und Schnürstiefeln. Nach der Wende schlossen sie sich der WJ an. Erst 1994 verbot das damals noch in Bonn ansässige Bundesministerium des Innern die mit etwa 500 Mitgliedern gesamtdeutsch organisierte Wiking-Jugend. In der Pressemitteilung vom 10. November 1994 hieß es dazu: »Die WJ will das Grundgesetz notfalls auch mit Gewalt abschaffen und erneut einen nationalsozialistischen Staat in Deutschland errichten.«

»Weiße Flecken« der Geschichte – Historische Dokumentationen

Hermann Weber

»Weiße Flecken« in der Geschichte

Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung

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Erstauflage Januar 1991 als aktualisierte Lizenzausgabe des isp-Verlages Frankfurt am Main

Zu den Besonderheiten des deutschen Vereinigungsprozesses gehört es, dass von seinem Tempo alle Beteiligten überrascht wurden. Auf der Leipziger Buchmesse 1990, die einen Tag vor der ersten freien Volkskammerwahl endete, wurden noch reichlich Lizenzverträge zwischen Ost und West abgeschlossen, da beide Seiten von einem längeren Übergangsprozess beider deutscher Staaten ausgingen. Selbst der am 18. März 1990 gewählte neue CDU-Regierungschef Lothar de Maizière erklärte noch einen Monat später bei seinem Amtsantritt, dass er darauf hinwirken wolle, dass zu den Olympischen Sommerspielen 1992 wieder eine gesamtdeutsche Mannschaft nach Barcelona fahre. Ihm schwebten mindestens zwei Jahre Anpassungszeit vor. Doch bereits ein halbes Jahr später gab es die DDR nicht mehr. Sie hörte am 3. Oktober 1990, dem ersten Tag der Frankfurter Buchmesse, auf zu existieren. Dort trafen wir uns mit den Kollegen des isp-Verlages wieder, mit denen wir in Leipzig eine Lizenzausgabe für das DDR-Gebiet vereinbart hatten, das es nun nicht mehr gab. Sie erlaubten uns aber – anders als manch anderer Verleger aus der alten Bundesrepublik –, den Titel noch herauszubringen und auch im gesamtdeutschen Gebiet zu vertreiben. Eigentlich wollten wir den Band schon in Frankfurt präsentieren, doch technische Schwierigkeiten hatten die Produktion zuvor behindert. Die übermittelten weichen 5¼-Zoll-Disketten waren beschädigt bei uns angekommen, unsere ersten Verlagsräume verfügten noch über keinen Telefonanschluss, die Korrespondenz erfolgte mühsam mittels Express-Briefsendungen.

Schließlich ging der Band dann im Herbst aber doch in Druck, und zwar in einer kleinen Berliner Druckerei auf einem Hinterhof in der Greifswalder Straße, die mit Unterstützung der Frankfurter Buchmesse für mehrere neu gegründete unabhängige Verlage eingerichtet worden war. Lediglich der Umschlag musste extern gedruckt werden, was in der Tribüne-Druckerei des gerade in Abwicklung befindlichen DDR-Gewerkschaftsbundes FDGB erfolgte.

Mit diesem Band, der acht Jahre bei uns lieferbar war, begann eine Serie historischer Dokumentationen, die in unterschiedlichen Ausstattungsformen bis heute fortgeführt wird. Ein Jahr später folgte der Band über den Massenmord an polnischen Offizieren in »Katyn« und die Darstellung der Judenverfolgung in der Sowjetunion unter dem Titel »Hammer, Sichel, Davidstern«, die wir als Lizenz aus den USA für den gesamten deutschsprachigen Raum erworben hatten. In unserem Jubiläumsprogramm vom Herbst 2014 findet sich in der Tradition derartiger Bücher die Geschichte des ehemaligen Preußischen Landtages, in dem nach 1949 Teile der DDR-Regierung untergebracht waren und heute das Berliner Abgeordnetenhaus tagt.

Vorwort von Hermann Weber zur Ausgabe des LinksDruck-Verlages

Die Erstauflage der vorliegenden Arbeit kam im Frühjahr 1989 in der Bundesrepublik Deutschland heraus. Obwohl das Thema in erster Linie für die DDR von Bedeutung war, schien es damals unmöglich, diesen Band in absehbarer Zeit in der DDR selbst zu veröffentlichen. Um so erfreuter bin ich, dass nun die – im Januar 1990 in Frankfurt am Main erschienene – erweiterte zweite Auflage so rasch dem Leser der DDR vorliegt, und ich bin Christoph Links dankbar, dass er die Untersuchung so schnell in sein Verlagsprogramm aufnahm.

In der Sowjetunion haben die Historiker schon seit Jahren, und insbesondere seit 1988, die stalinistische Schreckensherrschaft aufgearbeitet. Damit wurden frühere Tabus überwunden und »weiße Flecken« in der Geschichte aufgedeckt. Dagegen erklärte noch im Sommer 1988 der damalige »Chefideologe« der SED, Kurt Hager, für die SED und für die Historiker der DDR bestehe »kein Grund, eine Suche nach ›weißen Flecken‹ zu unternehmen« (Neues Deutschland vom 10. Juni 1988). Solche Lügen provozierten geradezu eine Antwort, doch diese konnte nur im Westen gegeben werden. Zwar heißt es heute, auch DDR-Historiker seien »vom Schicksal deutscher Kommunisten nicht unberührt« geblieben, hätten sich bemüht, »Lebenswegen nachzuspüren, Namen in Erinnerung zu bringen«. Doch dies geschah eben nicht öffentlich – und Wissenschaft ist immer öffentlich. Und so schreibt nunmehr selbst Neues Deutschland in diesem Zusammenhang, dass »der Vorwurf Webers und anderer ins Schwarze trifft, dass gerade jene, die sich als Testamentsvollstrecker des Kampfes deutscher Kommunisten verstanden und sich daher auch diesem düsteren Kapitel in der Geschichte ihrer Bewegung mit aller Konsequenz hätten stellen müssen, es nicht taten» (Neues Deutschland vom 24. / 25. März 1990).

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Hermann Weber 2003.