STRATEGIE UND KONFLIKTFORSCHUNG

Afghanistan seit 2001

Eine Beurteilung der Einsätze von Spezialkräften und konventionellen Truppen unter der Maßgabe der USA

Daniel Holz

www.vdf.ethz.ch

verlag@vdf.ethz.ch

Inhaltsverzeichnis

1

Einleitung – Einführung in das Thema

2

Zielsetzung und Forschungsfragen

3

Methodische Vorgehensweise

3.1

Dokumentenanalyse

3.2

Eingrenzung des Themas in der Anfangszeit auf OEF und folgend ISAF

4

Hauptteil – Afghanistan als erneuter „Spielball der Mächtigen“

4.1

Rahmenbedingungen

4.2

Historischer Überblick über Invasoren der Vergangenheit, im Schwerpunkt Großbritannien (GB) und die UdSSR als Vertreter der Neuzeit

4.2.1

Entwicklung des Staates Afghanistan bis zur Einflussnahme durch Großbritannien

4.2.2

Großbritanniens Interesse an Afghanistan

4.2.3

Politisch-militärisches Engagement der Sowjetunion von 1979–1989

4.2.4

„Paschtunistan“ – Fiktion mit realen Auswirkungen

4.3

Definition der Begriffe Asymmetrie, Terrorismus und Taliban

4.3.1

Asymmetrie kennzeichnet die Konflikte in Afghanistan seit jeher

4.3.2

Terrorismus in der Ausprägung des internationalen islamistischen Terrorismus

4.3.3

Taliban als Phänomen und Gruppierung in Afghanistan

4.4

Interessen der angrenzenden Nachbarstaaten und terroristischer Gruppierungen

4.5

Rolle Pakistans: Ein Schlüssel im Konflikt

4.6

Die Sicherheitssituation in Afghanistan seit 2001

4.7

Strategien

4.7.1

Welche politischen Ziele verfolgen die USA am Hindukusch anhand ihrer Strategiepapiere?

4.8

Die US-dominierte Militärstrategie auf taktisch/operativem Level zur Bekämpfung des Terrors mit militärischen Mitteln in Afghanistan

4.9

Einsätze von Spezialkräften der USA und der Koalitionstruppen

4.9.1

Entsendung von Spezialkräften in der Anfangsphase der Operation Enduring Freedom

4.10

Taktiken

4.10.1

Einsatz von konventionellen Kräften der USA und der Koalitionstruppen einschließlich der aufzubauenden afghanischen Sicherheitskräfte

4.10.2

Taktiken und Vorgehensweisen seitens der USA und ihrer Verbündeten in OEF und ISAF

4.10.3

Effektivität von Spezialkräften im Kampf gegen den Terror

4.11

Taktiken der Anti-Afghan-Forces im Laufe der Jahre 2001–2011

4.11.1

Methoden und Mittel der Al Kaida und Taliban in ihrem Kampf gegen die „Ungläubigen“

4.11.2

Taktiken, Techniken und Verfahrensweisen der Insurgenten

4.12

Selbstmordattentate als ein Beispiel des Wandels der Widerstandsmethoden

4.13

Kritik am Vorgehen der Koalitionstruppen im Rahmen von OEF und ISAF

4.14

Stimmt die US-Strategie? Kritik am Vorgehen der USA und ihrer NATO-Partner

5

Zusammenfassung

6

Ausblick

7

Literatur/Bibliografie

8

Abbildungsverzeichnis

9

Glossar/Abkürzungsverzeichnis

10

Anlagen

1 Einleitung – Einführung in das Thema

„… Wir waren dreizehntausend Mann,

von Kabul unser Zug begann,

Soldaten, Führer, Weib und Kind,

Erstarrt, erschlagen, verraten sind.

Zersprengt ist unser ganzes Heer,

Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,

Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,

Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt. …“1

Theodor Fontane (1859)

Abb. 1 Darstellung des Kampfes der Briten bei ihrer Flucht aus Afghanistan, 18422

Diese dramatischen Worte in Theodor Fontanes Ballade „Das Trauerspiel von Afghanistan“ von 1859 beleuchtet einen Konflikt, der geschichtlich tiefgründiger ist, als es nach dem seit 2001 verwandten US-Idiom „War on Terror“ zu vermuten wäre. Der Faktor Zeit spielt in diesem Konflikt eine ganz besondere Rolle, die sich auch gut in einem afghanischen Sprichwort in abgewandelter Form als Metapher wiederfindet: „Der Westen hat die Uhren, wir (die Afghanen: Anm. des Autors) haben die Zeit.“

Die Brisanz im aktuellen Afghanistankonflikt (seit 2001) liegt darin, dass er für die daran beteiligten westlichen Demokratien schon viel zu lange dauert und zudem immer mehr Ressourcen und vor allem Truppen bindet, so zuletzt die internationale Truppenverstärkung anlässlich der Präsidentenwahl und die US-Truppenverstärkungen nach Maßgabe der „neuen“ US-amerikanischen Afghanistanstrategie in 2009. Fast täglich gibt es in der weltweiten Presse Berichte und Reportagen über Afghanistan und den schleppenden Wiederaufbau sowie die sich teilweise verschlechternde Sicherheitslage am Hindukusch zu lesen.

Sehr lange werden sich die westlichen Demokratien daher diesen Konflikt, in dem sie sehr stark personell wie materiell gebunden sind, im doppelten Wortsinne nicht mehr leisten wollen. Das öffentlich publizierte, vermeintlich sichere Abzugsdatum 2014 ist letztendlich ein Ausdruck dieses Zwangsoptimismus den Erfolg der „Mission“ betreffend.

Das Tragische an diesem Konflikt besteht darin, dass vieles nicht wirklich neu ist und sich in ähnlicher Weise partiell in der Vergangenheit schon einmal abgespielt hat. Auch heute ist Afghanistan in den Fokus des Interesses großer Mächte gerückt, ähnlich wie im 18. Jahrhundert beim The Great Game, dem „Großen Spiel“3 zwischen Russland und dem britischen Weltreich. Die folgende Karikatur aus der Presse der damaligen Zeit zeigt auf den Punkt bringend die Situation, in der sich Afghanistan im ausgehenden 19. Jahrhundert befand:4

Abb. 2 Ein zwischen „Freunden“ (der Bär steht für Russland, der Löwe für Großbritannien) eingekeilter afghanischer Emir, der sich vor lauter „ Zuwendung“ derselbigen gar nicht mehr retten kann.

Dabei behauptete sich Afghanistan durchaus konsequent gegen die Vereinnahmungsversuche durch das russische Zarenreich und Großbritannien.

Großbritannien unternahm dabei den Versuch, in letztlich drei Anläufen, die Region des heutigen Afghanistans zu unterwerfen.

Die drei anglo-afghanischen Kriege (1839–1842, 1878–1881 und 1919) können durchaus als Ausdruck des afghanisch respektive paschtunischen Widerstandswillens gegen eine „moderne“ Militärmacht gewertet werden,5 die hartnäckig versuchte, die Region unter ihre Kontrolle zu bringen.

Schon damals, im ersten anglo-afghanischen Krieg, kamen die Invasoren nicht mit den Spezifika (hier besonders der Geografie und dem Widerstandswillen der einzelnen Stämme) dieser Region zurecht, was nach zwei weiteren anglo-afghanischen Kriegen letztlich in einer blutigen Niederlage der Briten gipfelte. Afghanistan ist seit dieser Zeit immer wieder zum Spielball zwischen den Großmächten geworden, wurde Pufferzone zwischen dem Zarenreich und Britisch-Indien, was 1893 zu der zwar international anerkannten Einrichtung der Durand6-Linie als Grenze zwischen Britisch-Indien und Afghanistan führte, diese „Grenze“ aber in Wirklichkeit nie von den in diesem Gebiet siedelnden Stämmen als solche anerkannt oder gar durch eine afghanische Zentralmacht überwacht wurde.7

Abb. 3 Colonel Durand8 und die Durand-Linie9

Schlussendlich war Afghanistan bis 1947 durchaus immer noch starkem britischem Einfluss ausgesetzt, und erst nach dem Abzug der Briten aus dem nun unabhängigen Indien und der Neugründung des Staates Pakistan im Jahr 1947 kam Afghanistan zunehmend unter den alleinigen Einfluss der Sowjetunion, was in deren in drei Phasen ablaufender Invasion und dem Versuch der Besetzung des Landes von 1979–1989 gipfelte. Diese historischen Ereignisse müssen beleuchtet werden, um die Lage, wie sie heute ist, besser verstehen zu können. Erschwerend kommt aber in heutiger Zeit das Phänomen des transnationalen und internationalen Terrorismus hinzu, der sich unter der Herrschaft der Taliban in der Region besonders ungestört ausbreiten konnte und sicheres „Gastrecht“ besaß. Diese „neue Dimension des internationalen Terrorismus“, wie sie Stefan Aubrey10 beschreibt, ist eng verwoben mit radikal-islamistischen Bewegungen, die in den Anschlägen vom 9. September 2001 in New York einen ersten Höhepunkt erreichten, der u.a. zu dem bis heute anhaltenden intensiven US-Engagement in Afghanistan und angrenzenden Staaten (z.B. Pakistan, auf der Arabischen Halbinsel und in den sie umgebenden Gewässern, den ehemaligen Sowjetrepubliken Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan) in der ganzen Region führte.

Bei der Kriegsführung in Afghanistan kommt heute noch hinzu, dass längst nicht alles militärisch durchgeführt werden kann, was auch militärisch sinnvoll erscheinen mag.

Die Vermeidung sog. Kollateralschäden steht heute politisch ganz oben auf der Agenda, an der kein Militär mehr bei seinen Planungen vorbeikommt.

Diese Überlegungen und Regularien sind gedanklich aber auch nicht neu, denn schon 1625 führte Hugo Grotius in seinem fundamentalen Werk vom Recht des Krieges und des Friedens11 aus, was wem unter welchen Umständen erlaubt sei und was, obwohl erlaubt, doch nicht statthaft sei. List und Lüge, Täuschung und Verrat sind auch heute noch (unausgesprochen) fester Bestandteil der Auseinandersetzung aller Konfliktparteien am Hindukusch. Hier könnte in Ansätzen den Erfahrungen Sun Zus12 entsprochen werden, aber seitens der ISAF-Truppen wie auch der US-Truppen unter Operation Enduring Freedom (OEF) dürfen diese nur sehr domestiziert angewandt werden.

1 Fontane, Theodor: Das Trauerspiel von Afghanistan, 1859, unter: www.internetloge.de/arst/afghan/htm; vgl. auch: Bucherer-Dietschi, Paul: Afghanistan, 4. Auflage, Liestal 1986, S. 4.

2 Abbildung: Angriff der Afghanen zwischen Kabul und Jalalabad. Gemälde eines unbekannten Künstlers, 1842, unter: http://www.nicole-vosseler.de/index.php?start=242&page=3&upage=1.

3 Hopkirk, Peter: The Great Game: On Secret Service in High Asia, Oxford 1990, S. 7 f. 1831 erwähnte Arthur Conolly, Angehöriger der 6th Bengal Cavalry, in einem Brief an einen Freund den Begriff des Great Game. Darin beschreibt er seine Aufklärungsaktivitäten in Zentralasien.

4 Quelle: http://onesteppeatime.wordpress.com/2011/10/24/silk-road-or-great-game. Anmerkung: Die Abbildung entstammt dem britischen Satiremagazin Punch, welches 1841 in London gegründet wurde und den Begriff des Cartoons – einer Bezeichnung für komische oder satirische Zeichnungen – prägte.

5 Afsar, Shahid: The Taliban, an organizational Analysis, in: Military Review, May-June 2008, S. 59.

6 Colonel Algernon Durand, britischer Abgesandter in Gilgit, 1889–1894, und military secretary of the viceroy of India, 1894–1899. Nach ihm ist die Linie zwischen Britisch-Indien und dem heutigen Afghanistan benannt.

7 Durand, als Repräsentant Großbritanniens, und Abdur Rahman, Emir von Afghanistan, unterzeichneten eine Vereinbarung, die die Grenze zwischen dem Königreich Afghanistan und Britisch-Indien festlegte. Siehe dazu auch: Skeen, Andrew: Passing it on, 1932, kommentierte Neuauflage von Lester W. Grau und Robert H. Baer, 2010.

8 Unter: http://www.tertullian.org/rpearse/scanned/durand.htm.

9 Die sog. Durand-Linie ist mehr oder weniger Staatsgrenze zwischen Afghanistan und Britisch-Indien seit 1893. International zwar anerkannt bis heute, bildet sie doch vor Ort aufgrund der Geografie und der Inakzeptanz bei den ansässigen Ethnien, besonders den Paschtunen, keine wirkliche Grenze im westlichen Staatssinne.

10 Aubrey, Stefan: The new Dimension of international Terrorism, in: Schriftenreihe Strategie und Konfliktforschung, Hrsg.: König, Schössler, Stahel, Zürich o.J.

11 Grotius, Hugo: de jure belli ac pacis, drei Bücher vom Recht des Krieges und des Friedens, Paris 1625, in: Die Klassiker des Völkerrechts, Hrsg.: Walter Schätzel, Tübingen 1950, S. 419 ff.

12 Sun Zu: Die Kunst des Krieges, Frankfurt/Main 1990. Eine seiner Kernthesen besagt – verkürzt wiedergegeben –, dass im Kriege alles erlaubt sei, jede List, jede Lüge oder Täuschung, um den Gegner zu besiegen.

2 Zielsetzung und Forschungsfragen

In der vorliegenden Arbeit soll die militärische Situation in Afghanistan seit 2001 mit Fokus auf den Kampf gegen aufständische Gruppierungen und den Interessen der USA analysiert werden. Ein Kernpunkt in diesem Zusammenhang ist der bewaffnete Widerstand, der sich aus der Talibanbewegung, Resten von Al Kaida und den mit beiden assoziierten unterschiedlich organisierten ausländischen Kämpfern zusammensetzt; hinzu kommt sequenziell die Problematik mit den lokalen Machthabern, sog. Local Power Brokern (LPB).13 Darunter fallen u.a. regionale Machthaber und oder Drogenbarone, wobei diese nur am Rande Erwähnung finden werden, stehen sie doch nicht im Fokus der Betrachtung. Es geht schwerpunktmäßig um die militärischen Aktivitäten im Land, nicht um die Analyse des politischen State-Building-Prozesses,14 auch wenn er am Rande immer wieder Erwähnung finden wird, da er die Situation und damit die militärischen Optionen und Entscheidungen beeinflusst bei der Betrachtung der politischen Strategie oder der Vorgehensweise auf taktischer-operativer Ebene mittels verschiedener Strategien, wie u.a. der Counter Insurgency Strategy (COIN)15 der Amerikaner. Ergänzend hierzu wird in groben Zügen die militärische Vorgehensweise der Amerikaner und NATO-Staaten im Rahmen der verschiedenen Operationen OEF und ISAF,16 mit unterschiedlichem Mandat vor Ort versehen, dargelegt.

Eine Auffälligkeit rückt dabei zunehmend in das öffentliche Interesse, nämlich die Diskrepanz zwischen dem angekündigten „kleinen“ Fußabdruck, den die USA am Boden hinterlassen wollten, und den nun mittlerweile bis zum Abzug der NATO-Truppen 2014 recht massiven Personaleinsatz für Bodentruppen. Trotz des zunehmend zivileren Ansatzes (Transitionsprozess) setzen die USA weiterhin massiv auf militärische Überlegenheit und unter Umständen sogar auf eine halbverdeckte Ausweitung des Konfliktes auf pakistanischem Territorium.

Auch die in diesem Zusammenhang stehenden effektbasierten Operationen17 (Effect Based Operations = EBO) müssen diesbezüglich neu darauf hin gewichtet werden, ob solch ein Ansatz überhaupt auf der taktischen Ebene durchführbar ist. Im Zentrum der Überlegungen dieser EBO-Strategie steht die Idee, dass jedes noch so kleine taktische Ziel sich in das große Ganze einzuordnen hat und sich dem strategischen Gesamtziel unterordnen muss. Dies soll bedeuten, dass jede militärische Handlung sich nach dem gewünschten und genau definierten politischen Endzustand auf der politischstrategischen Ebene auszurichten hat. Die eingesetzten Mittel und erzielten Effekte auf taktisch-operativer Ebene müssen durch die Befehlshaber vor Ort ständig auf ihre Auswirkungen und ihre Effektivität hinsichtlich der politisch-strategischen Zielerreichung überprüft werden. Im Kern geht es um die Zweckrationalität der eingesetzten Mittel.18

Daher lautet die zentrale Forschungsfrage dieser Arbeit:

Inwiefern ist der Einsatz von Spezialkräften19 der USA und Verbündeter hinsichtlich einer gesamtstrategischen Zielsetzung effektiv?

Als besonderer Aspekt soll sich der Frage gewidmet werden, ob der Einsatz von Spezialkräften in dem Umfang, wie er in Afghanistan geschah, besonders effektiv war und ist, oder ob nicht doch der Einsatz einer größeren Anzahl konventioneller Truppen langfristig den größeren Erfolg beschieden hätte. Hierbei spielt der Aspekt der Nachhaltigkeit für das Erreichte eine wesentliche Rolle.

Eine weitere wichtige, aber nur unterstützende Forschungsfrage lautet:

Welche strategischen Ziele verfolgen die USA am Hindukusch, und das nicht erst seit dem 11.9.2001?

Hilfreich hierbei ist es, kritisch zu hinterfragen, ob der amerikanische Ansatz im angeblichen „New Kind of War“ wirklich so neu war, wie er der Weltöffentlichkeit suggeriert wurde; so z.B. durch Präsident Bush in einer Radioansprache am 29. September 2001, in der er formulierte: „… a different Kind of War20 In diesem Zusammenhang darf nicht außer Acht gelassen werden, was offiziell kommunizierte US-Ziele sind und was die VN-Resolution 1386 vom 20.12.2001 vorgibt. Auch hier lassen sich gewisse Intentionen seitens der USA ablesen, deren Interesse an der Gesamtregion ein strategisches Ziel schon vor dem 11. September 2001 war, ist und bleibt.

Wichtig für die Rahmenbedingungen als hinführende Forschungsfrage soll auch die Trennung der Mandate von OEF und ISAF hinsichtlich der Effizienz vor Ort einer kurzen kritischen Betrachtung unterzogen werden. Daraus abgeleitet muss sich die Frage gestellt werden, ob es zielführend ist, in einem Raum zwei militärische Operationen „streng juristisch getrennt“ voneinander laufen zu lassen oder nicht. Denn wenn sie „streng getrennt“ voneinander ablaufen, dann dürfte zumindest theoretisch das eine Mandat (OEF) dem anderen Mandat (ISAF) weder mit Aufklärungsinformationen noch mit Truppen aushelfen.

Ergänzende Fragen, die sich um die Forschungsfragen gruppieren, sollen im Laufe der Arbeit beantwortet werden. Eine ist, ob im Verlauf des Konfliktes seit 2001 seitens der USA und ihrer Verbündeten die richtige Strategie mit ausreichend Mitteln und Kräften für die gesteckten US-Ziele (strategisches Interesse an der Region) genutzt wurde. Daraus leiten sich weitere Fragen ab, die zur Beantwortung der Kernfrage eine nicht unerhebliche Rolle spielen:

Hier bietet es sich an, den Unterschied bzw. die Gemeinsamkeiten der Invasoren unter dem militärischen Aspekt auf die beiden folgenden Hypothesen zu untersuchen:

  1. Hätten die USA – von Anfang an – mehr Bodentruppen eingesetzt, wäre die Lage nicht so eskaliert, wie es heute der Fall ist.

  2. Hätte die internationale Gemeinschaft schneller afghanische Sicherheitskräfte aufgebaut, dann könnte sie jetzt das Land schneller verlassen.

Konkret soll untersucht werden, ob der erste US-Ansatz, mit wenig Personal, insbesondere in Form von Spezialkräften, einen Gegner wie den der Talibanbewegung und Al Kaida in einem Land mit der Geografie Afghanistans primär nur rein militärisch besiegen zu wollen, ohne das Land flächendeckend besetzen zu können oder zu wollen, nicht doch nach über einem Jahrzehnt als gescheitert angesehen werden muss – zumal der Aspekt des zivilen Wiederaufbaus und des „Nation Building“ anfangs eher stiefmütterlich seitens der USA behandelt wurde. Die möglichen militärstrategischen Ziele und wirtschaftlichen Interessen der USA in dieser Region spielen dabei, eine Bewertung vorwegnehmend, die wichtigste Rolle. Dabei darf unterstellt werden, dass die „Koalition der Willigen“ anfangs ein ideales Mittel war, mehr Verbündete in das Geschehen mit hineinzuziehen und somit von einem US-Alleingang abzulenken.

Damit konnten die USA zwei Ziele parallel erreichen: Zuerst schnell Verbündete zu gewinnen und vor Ort einzusetzen, da die spätere Aktivierung der NATO deutlich mehr Zeit in Anspruch nahm; zweitens stellten die USA nicht mehr alleine ein Angriffsziel für den Gegner dar.

Durch die fragile Konstruktion und die auf Freiwilligkeit basierende Hilfe gingen die USA in ihren Planungen sehr schnell dazu über, immer mehr die NATO für ihre Ideen zu aktivieren, was letztendlich in der Übernahme der Verantwortung bei ISAF durch die NATO im Jahr 2003 gipfelte. Dieser „Genehmigungsprozess“ brauchte eben nur viel Zeit und ist vermutlich politisch auch risikoreicher als bei individuell zusammengestellten Verbündeten.

Von Anfang an waren die Vereinten Nationen in den Prozess, besonders in den der „Staatswerdung“ Afghanistans, mit einbezogen. In dem Abschlusskommuniqué der sog. Petersberger Afghanistan-Konferenz,21 die bereits am 5. Dezember 2001 tagte, wird im Annex I explizit die Aufgabe einer internationalen Schutztruppe gefordert, die erst nur im Raum Kabul und Umgebung, später bei Bedarf auch im ganzen Land eingesetzt werden könnte.22

In diesem Zusammenhang sind die sog. Bush-Doktrin23 und in deren Ergänzung die Rumsfeld-Doktrin zu sehen, die eine „neue“ Form der Kriegsführung versprachen. Diese Doktrinen fungierten quasi als Blaupause und suggerierten eine Lösung des Afghanistankonfliktes, aber auch anderer, zukünftiger Konflikte. Zusammenfassend und verkürzt dargestellt sollte dabei lediglich mit wenig Personal am Boden und Hightech-Waffen, schwerpunktmäßig aus der Luft eingesetzt, vorgegangen werden, um die Situation am Boden im Sinne Amerikas zu entscheiden. Die analytische Schwäche seitens der USA in Bezug auf die Lage in Afghanistan liegt aber schon hierin begründet. Das Versäumnis, nicht von Anfang an Pakistan als einen vor Ort interessenmäßig involvierten Hauptakteur im Konflikt zu betrachten und den Staat in der ersten Zeit somit sträflich vernachlässigt zu haben, rächte sich auf der Zeitachse gesehen.

Seit Ende des Jahres 2008 bereiten sich die USA darauf vor, ihre Truppen in Afghanistan deutlich zu verstärken und so die Lehren, die sie im Irak gezogen haben (Truppenverstärkung = mehr Truppen am Boden = punktuell mehr Sicherheit), auch in Afghanistan anzuwenden. Ob diese Taktik und Strategie von mehr „Boots on the Ground“, die eine Abkehr von ihrer zuerst angewandten Strategie des „leichten Fußabdrucks“ darstellen, erfolgreich sein werden, bleibt kritisch zu hinterfragen.

13 LPB = Local Power Broker; ist eine Person, die in einer Region über Macht, Geld, Einfluss und meistens auch bewaffnete Organe verfügt.

14 Zum Thema Nation-Building in Afghanistan vergleiche man die sehr gute Analyse von Martina Meienberg, die sich mit diesem Prozess und all seinen Facetten analytisch auseinandergesetzt hat. Meienberg, Martina: Nation-Building in Afghanistan, Wiesbaden 2012.

15 COIN = Counter Insurgency.

16 OEF = Operation Enduring Freedom; ISAF = International Security Assistance Force.

17 Batschelet, Allen W.: Effects-Based Operations – a new operational Model?, unter: http://www.iwar.org.uk/military/resources/effect-based-ops/ebo.pdf, S. 2 f.

18 United States Air Force: Targeting-Air Force Doctrine Document 2-1.9. von 2006, unter: http://www.fas.org./irp/doddir/usaf/afdd2-1.9.pdf.

19 Die hier verwandte Definition von Spezialkräften beinhaltet folgende Festlegung: Aufgrund ihrer besonderen Auswahl, Ausrüstung und ihres Trainingsstands sind diese Kräfte störungsresistenter als herkömmliche Truppen. Daher sind sie für komplexere Aufgaben besser und flexibler geeignet als andere Einheiten. Vgl. hierzu auch: if – Zeitschrift für Innere Führung 2/2012, S. 15.

20 Radioansprache des US-Präsidenten George W. Bush am 29. September 2001, unter: http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/09/20010929.html.

21 Die Petersberger oder Afghanistan-Konferenz war und ist eine Konferenz mit integriertem Anteil einer „außerordentlichen Ratsversammlung“ der Afghanen, dem paschtunischen Konstrukt zur friedlichen Konfliktlösung. Die Konferenz findet unregelmäßig in Bonn auf dem Petersberg statt (daher der Name), auf der dann richtungweisende Entscheidungen für Afghanistan getroffen werden. Anmerkung: Die Staatswerdung Afghanistans findet „offiziell“ unter der Schirmherrschaft der Bundesrepublik Deutschland statt.

22 Dokument zu finden unter: http://www.ag-afghanistan.de/files/petersberg.htm.

23 Die Bush-Doktrin beinhaltet die Empfehlungen und Zielvorgaben der US Grand Strategy aus dem Jahre 2002.

3 Methodische Vorgehensweise

Aktueller Forschungsstand:

Über den aktuellen Konflikt in Afghanistan wird zwar viel geschrieben, in einigen Beiträgen wird er auch als Krieg bezeichnet, der strategische Hintergrund aber, der nur aus einer Analyse im Gesamtzusammenhang des US-amerikanischen Interesses heraus zu verstehen ist, kommt deutlich zu kurz.

Will man sich dem Thema Afghanistan nähern, so kann man heutzutage nicht außer Acht lassen, dass dieses Land letztmalig von Alexander dem Großen wirklich erobert wurde und alle anderen Invasoren über kurz oder lang mehr oder weniger gescheitert sind.

Auch dem Einsatz der verschiedensten Waffensysteme und dem neuen Denkansatz für selbige seitens des US-Militärs wird nicht immer zur Gänze Rechnung getragen.

Gelegentlich wird, zumindest gemäß dem Autorenkollektiv Vick, Grissom u.a., in verschiedenen Publikationen, die eine gewisse Affinität zur US-Administration haben, nur ein Teilaspekt des Krieges und seiner Mittel beleuchtet.24

Ein Schwerpunktthema waren und sind der Luftkrieg im Zusammenhang mit COIN und die Diskussion über die Sinnhaftigkeit dieses Mittels in diesem Zusammenhang (siehe Air Power in a COIN Era).

Als nicht zielführend für die vorliegende Arbeit erweist sich die Herangehensweise an die Forschungsfrage mittels einer Kosten-Nutzen-Analyse oder einer reinen Netzwerkanalyse, der statistischen Auflistung und Auswertung von Anschlägen, Bombenangriffen, Operationen und Kosten der eingesetzten Truppen etc. Diese Methodik würde im vorliegenden Falle zu kurz greifen. Die Daten sind oft nicht belastbar, da es nicht möglich ist, Quantität und Qualität ausreichend zu validieren.

Die vorliegende Arbeit stellt eine Hypothesen generierende Fallanalyse der US-amerikanischen Gesamtstrategie dar sowie der militärischen Mittel, die bislang zum Einsatz kamen. Die qualitative Inhaltsanalyse wird mittels Zusammenfassung und Explikation als Auswertetechnik für die offiziellen Strategiepapiere und Militärdoktrinen durchgeführt.

Es geht auch nicht darum, Interdependenzen zwischen einzelnen Akteuren in den USA aufzuzeigen, sondern um eine Auswertung des politisch geforderten Handelns und der militärischen Umsetzung vor Ort in Afghanistan (immer aus Sicht der USA).

Am Rande finden normative Theorien aus verschiedenen Disziplinen Eingang in die Untersuchung, wie z.B. aus dem Bereich der politischen Philosophie oder der Rechtswissenschaft, immer unter dem besonderen Aspekt des Völkerrechts.

Um die Situation heute besser zu verstehen, kommt es darauf an, die militärstrategischen Erfahrungen der Vergangenheit (Erfahrungen der Briten in den Kolonialkriegen des 19. Jahrhunderts und der Sowjets in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts) mit dem jetzigen Vorgehen der USA abzugleichen. Hierbei ist die Zielsetzung des Einsatzes von Militär, aufgegliedert nach Raum, Zeit und Kräften und der daraus resultierenden quantitativen wie qualitativen Umsetzung durch das US-Militär seit 2001, unter dem Gesichtspunkt der Aufstandsbekämpfung zu hinterfragen und mögliche Parallelen sind aufzuzeigen.

Eine Feststellung gilt es zu beachten, die großen Einfluss auf den Ablauf von Operationen vor Ort hat. Unter militärstrategischer US-Führung agieren mehr oder weniger auch die anderen an der Terror- und Aufstandsbekämpfung beteiligten Nationen. Von Beginn an waren OEF und in der Folge auch ISAF amerikanisch dominiert und zur Umsetzung von US-Doktrinen indirekt gezwungen. So kann kritisch angemerkt werden, dass die Anfangsoperation im Rahmen eines Antiterroreinsatzes OEF eine amerikanische Operation ist, bei der durch die Beistellung kleinerer Kontingente von u.a. Spezialkräften anderer Nationen der Eindruck der Multilateralität geweckt werden sollte. Dass diese kleineren Kontingente befreundeter Nationen schon im Vorfeld viel mit den US-Kräften zusammengearbeitet hatten, erleichterte es diesen, die Nicht-US-Kräfte in die Gesamtoperation schneller zu integrieren, da viele Verfahren durchaus bekannt waren.

Beim weiteren methodischen Vorgehen muss davon ausgegangen werden, dass die USA ein unter rationalen Gesichtspunkten entscheidender Staat sind. Hierzu bieten sich bei der Untersuchung ihres Tuns durchaus die Rational-Choice-Methode und die qualitative Inhaltsanalyse an. Damit können die Absichten hinter bestimmten Handlungen erkannt werden. Durch die Analyse der US-Strategiepapiere und -Dokumente mit den nachvollziehbaren Kräften und dem Mittelansatz kann die Zielsetzung nachgewiesen werden, genauso wie das Scheitern ihrer Strategie und der von ihnen gesetzten Ziele. Aber diese Fragen sollen in der vorliegenden Arbeit nicht im Mittelpunkt stehen, allenfalls angeschnitten werden.

Die erkannte Absicht entspricht den eingesetzten Kräften und Mitteln (Denken + Wollen [Absicht] und Handeln + Tun [Kräfte]).

Auf eine Auswahl an Daten von Forschungseinrichtungen der NATO, der USA oder von Non Governmental Organisations (NGOs) wird zurückgegriffen werden, sofern diese öffentlich zugänglich sind.

Die Nachbarstaaten, verschiedene Ethnien, Daten zu herkömmlichen Kräften (amerikanischen wie Nicht-US-Kräften), US-Haushaltsdaten oder Special-Operation-Force-Operationen sind mit einzubeziehen, sofern diese Daten zugänglich und validierbar sind. Eine allumfassende Datensammlung und Auswertung aller möglicherweise zugänglichen Quellen sind nicht zielführend für die vorliegende Arbeit. Eine Beschränkung und Auswahl relevanter Daten lassen sich bei der Fülle der publizierten Informationen nicht umgehen.

Es gilt, die Feststellung herauszuarbeiten, die schon bei Clausewitz Eingang in seine kriegstheoretischen Überlegungen fand, dass die Teile (z.B. Geografie, Bewaffnung etc.) eines Konfliktes auf das große Ganze Einfluss haben, aber nur dann, wenn man sich den Gesamtplan vor Augen hält.25 Genau um diesen möglichen „Gesamtplan“ der USA geht es in der vorliegenden Arbeit. Unter anderem haben die USA ihre Gedanken diesbezüglich in ihren Papieren, wie der Grand Strategy von 2002, niedergeschrieben.

Darin definieren sie ihre anzustrebenden Ziele und mit welchen Mitteln und auf welche Art und Weise sie ihre nationalen Interessen durchzusetzen gedenken. Denn jedwede Bedrohung der nationalen Interessen gilt es seitens der USA abzuwehren.26

Und diese Abwehr inkludiert für die USA ganz selbstverständlich auch das äußerste Mittel, den Einsatz ihrer Streitkräfte, getreu dem verkürzt dargestellten clausewitzschen Lehrsatz von der Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln (durch Krieg: Anm. des Autors). Gerade dieses Junktim beschreibt gut die Abhängigkeit des Mittels Krieg (hier im Sinne von der Anwendung militärischer Gewalt) von der Politik, dem sich der Einsatz, sein Zweck und all seine Mittel unterzuordnen haben.

Denn wollte man der These folgen, der Krieg in Afghanistan könne nicht mehr mit militärischen Mitteln gewonnen werden und eine politische Lösung müsse gesucht werden, würde dies im Umkehrschluss bedeuten, dass sich der Konflikt losgelöst von politischer Einflussnahme abgespielt hätte und das Militär frei von politischen Absichten vor Ort agieren würde: eine Unterstellung, die nachweislich nicht haltbar ist, folgt man den strategischen Überlegungen der USA in ihren Strategiepapieren oder auch den Aussagen z.B. Zbigniew Brzezinskis als militärischer Sicherheitsberater, der er schon seit Jimmy Carters Zeiten ist, der eine starke US-Präsenz in Zentralasien schon lange vor den Ereignissen des 11. September 2001 forderte.

Dennoch kann postuliert werden, dass eine politische Sinn- und Zweckhaftigkeit des Afghanistaneinsatzes internationaler Truppen unter US-Führung zunehmend unschärfer wird.

Um eine bestimmte Absicht hinter einer Handlung zu erkennen, kann das Instrument der Rationalanalyse zum Tragen kommen. Voraussetzung ist, dass man beim Handelnden von einer bestimmten Ratio hinter seinem Verhalten ausgeht,27 so wie es den USA unterstellt werden kann.

Ein gesetztes Ziel soll möglichst mit effizienten und kostengünstigen Mitteln erreicht werden. Rationales Handeln kann als Ziel-Mittel-Rationalisierung seitens der handelnden USA verstanden werden, denn zwischen den zu erreichenden Zielen und den eingesetzten Mitteln muss eine zweckrationale Interdependenz vorherrschen, um die gesteckten Ziele mit größtmöglicher Effizienz zu erreichen. Dennoch können die Theorie und die aus ihr abgeleitete Strategie an den realen Gegebenheiten und Erfordernissen scheitern, da die tatsächlichen Umstände eines Krieges respektive militärischen Konfliktes nicht zur Gänze vorhersehbar und rational analysierbar sind.

3.1

Dokumentenanalysen

In die Untersuchung fließen öffentlich zugängliche Dokumente und Analysen genauso ein wie Primär- und Sekundärliteratur.

Es werden insbesondere diejenigen militärischen Quellen ausgewertet, soweit sie öffentlich zugänglich sind, die als Grundlagendokumente und Veröffentlichungen anzusehen sind. Sie dienen somit als „geistige“ Grundlage der Auswertung. Auch hier wird aufgrund der Fülle an Material eine kritische Auswahl getroffen werden müssen. Informationen von Sicherheitsbehörden können aufgrund ihres sensitiven Charakters nicht explizit ausgewiesen werden, fließen aber in die Bewertung und Schlussfolgerungen mit ein.

Aus den vorliegenden Dokumenten müssen mittels der qualitativen Inhaltsanalyse Rückschlüsse auf die Gesamtstrategie der USA, immer unter dem Blickwinkel ihrer strategischen Interessen, abgeleitet werden. Die Forschungsfragen sind die Richtschnur, nach der die untersuchten Dokumente analysiert werden sollen. Dabei hilft die enge Kontextanalyse, die bei der Zusammenfassung der US-Textdokumente Anwendung findet und zur Beantwortung der Forschungsfragen beiträgt.

Überprüft man die Dokumente, geben sie je nach Abstraktionsgrad Auskunft darüber, ob sie mehr die Ziele oder mehr die Mittel in den Fokus stellen. Naturgemäß beinhalten die Strategiepapiere mehr Zielvorgaben, während sich die Doktrin- oder nachgeordnete Phasendokumente mehr mit den Mitteln, die eingesetzt werden sollen, auseinandersetzen. Ohne sich zu sehr auf die semantische Analyse des sprachlichen Aufbaus der US-Dokumente zu konzentrieren, ist es doch notwendig, die Bedrohungswahrnehmung seitens der USA mit ihren strategischen Zielsetzungen in Verbindung zu setzen.

Eines der nachgeordneten Schlüsseldokumente, stellvertretend für eine ganze Reihe solcher Dokumente, soll ein sich mit den Mitteln der Kriegsführung auseinandersetzendes und in dem Konflikt eine der Schlüsselressourcen behandelndes Dokument sein: die US-Air Force Doctrine Document 2-1.9 (AFDD).28 Dieses Dokument befasst sich mit einer der Kernfähigkeiten der USA, nämlich der Luftkriegsführung, die für den Afghanistaneinsatz einen ganz speziellen hohen Stellenwert einnimmt. Bei der qualitativen Inhaltsanalyse fällt z.B. auf, dass das Dokument keine Ziele formuliert, sondern lediglich über die Art und Weise einer Zielplanung und der Luftkriegsführung im Allgemeinen Auskunft gibt. Dazu zählen vier Kategorien, die bei jedem Einsatz dieser Hochwertressource zum Tragen kommen: erstens die Art des Zieles (was ist es); zweitens: Mit welchem Luftkriegsmittel kann es am besten bekämpft werden; drittens: Welchen Effekt erreiche ich damit am Boden (Effect Based Operations = EBO) und in der Folge auf der Zeitachse gesehen; und schließlich viertens: Welche Auflagen, Restriktionen und Beschränkungen gibt es bezüglich der Bekämpfung.

Ein Großteil der genutzten und öffentlich zur Verfügung stehenden Dokumente und Schriften ist frei im Internet abrufbar. Aufgrund mehrfachen Zugriffs auf die Dokumente soll hier nur der Gesamtzeitraum erwähnt werden. Die Zugriffe erfolgten für alle e-net-Quellen im Zeitraum von Juli 2011 bis Juli 2012. Einige der e-net-Quellen sind auch als Buchveröffentlichung erschienen, in der vorliegenden Arbeit wurde aber nur die e-net-Version verwandt.

3.2

Eingrenzung des Themas in der Anfangszeit auf OEF und folgend ISAF

Bei der vorliegenden Untersuchung soll, wie schon erwähnt, nicht der ganzheitliche Ansatz eines „Nation building“-Prozesses dargestellt werden, sondern es sollen ganz gezielt schwerpunktmäßig die strategischen Ziele der USA beleuchtet werden, die Einfluss auf das Vorgehen mit militärischen Mitteln in Afghanistan hatten. Breiten Raum nehmen dabei naturgemäß die Operationen unter dem Kürzel „Operation Enduring Freedom“ (OEF) ein, die betrachtet, analysiert und bewertet werden müssen. Ihre Interdependenzen zur International Security and Assistance Force (ISAF) und deren Operationen (beide Operationen laufen seit 2002 parallel) gewinnen während der Arbeit immer mehr an Bedeutung, je mehr sich auf der Zeitachse gesehen die Operationsführung weg von OEF und hin zu ISAF bewegt hat.

Das zu Anfang mehr oder minder geplante Vorgehen in Afghanistan seitens der USA spiegelt sich in OEF wider, die Einsetzung von ISAF war lediglich eine konsequente Folge und Ergänzung der Vorgehensweise des US-Militärs aus der Erkenntnis heraus, sich voll und ganz mit endlichen Ressourcen auf die Terror- und Aufstandsbekämpfung konzentrieren zu wollen. Befriedung und Wiederaufbau wollten die USA gerne anderen überlassen, ohne aber das Heft aus der Hand zu geben. Diese Feststellung soll im Laufe der Arbeit untermauert werden und wird zum Schluss nochmals aufgegriffen.

Trotz des Versuches einer, vor allem in Deutschland, sog. vernetzten Sicherheitsstrategie29 kann und soll die zivile Seite (Wiederaufbau und Entwicklung in Afghanistan) hier nur insoweit und in dem Umfang begrenzt Eingang in die Untersuchung finden, wie sie die Spezial-Operationen berührt oder sogar ausgelöst hat (COIN-Ansatz),30 wobei eine gewisse Unschärfe in der Analyse aufgrund fehlender, nicht frei zugänglicher und damit wissenschaftlich nicht validierbarer, verlässlicher Daten vorhanden ist.

24 Vick, Alan J., Grissom, Adam, Rosenau, William, Grill, Beth und Müller, Karl P.: Air Power in the new Counterinsurgency Era – the Strategic Importance of USAF Advisory and Assistance Missions, unter: http://www.rand.org/pups/monographs/2006/RAND_MG509.pdf.

25 Clausewitz, Carl: Vom Kriege, 1980, S. 56.

26 Dueck, Colin: Ideas and Alternatives in American Grand Strategy 2000–2004, in: Riemer, Andrea K.: Geopolitik und Strategie am Beginn des 21. Jahrhunderts – Theoretische Überlegungen, Frankfurt/Main 2006, S. 182.

27 Taurus, Olaf, Meyers, Reinhard, Bellers, Jürgen (Hrsg.): Politikwissenschaft III: Internationale Politik, Hamburg 1994, S. 242 ff.

28 Air Force Doctrine Document (AFDD) von 2006.

29 Begriff, der durch den deutschen Bundesminister der Verteidigung a.D. Dr. Jung eingeführt und geprägt wurde, nicht zu verwechseln mit dem US-Idiom COIN.

30 COIN = Counter Insurgency.