1 Geschichtlicher Überblick

Nach den ersten prähistorischen und altägyptischen Empfehlungen zur Behandlung des Schädelhirntraumas sind erst in der Neuzeit seit dem 16. Jahrhundert wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Schädelhirntrauma publiziert worden (eine ausführliche historische Übersicht findet sich bei Rowbotham 1942, Tönnis 1948, Loew 1950, Muller 1976). Der französische Chirurg Ambroise Paré benutzte im 16. Jahrhundert den Begriff »Commotio«, um eine posttraumatische Funktionsstörung zu beschreiben. Im 17. Jahrhundert unterschieden Boirel und Petit Commotio von Contusio und Compressio cerebri in Abhängigkeit des Schweregrades der klinischen Befunde (Ommaya et al. 1964). Detaillierte Unterscheidungen der klinischen Manifestationen der Commotio, Contusio und Compressio wurden von Dupuytren publiziert. Er bezweifelte jedoch selbst, dass diese Verletzungszeichen tatsächlich unabhängig voneinander existierten (Muller 1976). Im 19. Jahrhundert definierten von Bruns (1854) und von Bergmann (1889) die Commotio als eine kurze und vollständig rückläufige Störung des Bewusstseins und der autonomen Funktionen, einhergehend mit Übelkeit, Schwindel und Kopfschmerzen. Morphologisch erkennbare Läsionen seien bei der Commotio nicht zu finden. Im 20. Jahrhundert führte Hugo Spatz (1937) dieses Phänomen der vorübergehenden Störungen ohne morphologische Läsionen auf reversible molekulare Reaktionen zurück (Denny-Brown und Russel 1941), die im Gehirn keine Spuren hinterlassen, »spurlose Vorgänge« (Unterharnscheidt 1963). Rowbotham (1942) benutzte den englischen Terminus »concussion« bedeutungsgleich mit dem Begriff Commotio, um eine unterschiedliche und vollständig rückläufige klinisch erfassbare Funktionsstörung nach Schädelhirntrauma zu beschreiben, begleitet von vollständigem oder teilweisem Bewusstseinsverlust, ohne dass auf der Ebene der Lichtmikroskopie Spuren intrazerebral gefunden werden könnten. Im Gegensatz hierzu wurde bei der Contusio immer eine morphologisch fassbare Läsion von Hirngewebe unterstellt, mit in der Regel länger anhaltenden neurologischen Störungen. Der Begriff »Compressio cerebri« wurde verwendet für Blutungen und andere raumfordernde Läsionen, wie zum Beispiel das posttraumatische Hirnödem.

1942 bemühte sich Cairns darum, anhand von klinischen Zeichen nach Schädelhirntrauma auf den Schweregrad der Verletzung zu schließen. Er war der Auffassung, dass die Dauer der posttraumatischen Amnesie der beste Maßstab wäre. Er fand eine Korrelation zwischen der Dauer der posttraumatischen Amnesie und der Dauer der Arbeitsunfähigkeit nach Schädelhirntrauma.

Nachdem mit weiteren klinischen Beobachtungen die Korrelation zwischen histopathologischen und klinischen Befunden weniger eng war, als nach dem frühen Konzept der Commotio und Contusio vermutet (Ommaya 1982), werden diese Begriffe seltener verwendet. Die immer besser werdende Bildgebung des Gehirns ermöglicht eine präzise Beschreibung der intrazerebralen Verletzungen nach Schädelhirntrauma. So können Verletzungen, die unter dem Zeichen der Commotio, also der Gehirnerschütterung auftreten, eine vollständige klinische Erholung innerhalb weniger Stunden aufweisen und trotzdem bildmorphologisch mit Kontusionen des Hirngewebes einhergehen. Die klinischen Zeichen der Hirnverletzung erwiesen sich von größter prognostischer Bedeutung. Tönnis und Loew empfahlen 1953 eine Einteilung des Schweregrades des Schädelhirntraumas anhand klinischer Beobachtungen in Grad I, II und III. Ein Schädelhirntrauma Grad I bedeutet nach dieser Einteilung, dass sich alle Störungen innerhalb von vier Tagen zurückbilden. Es zeigte sich bei Nachuntersuchungen, dass 99 % der Patienten, die eine Grad I-Verletzung hatten, wieder arbeitsfähig wurden. Die Grad I-Verletzung nach Tönnis und Loew entspricht der klinischen Bedeutung der Hirnerschütterung. Klinische Störungen, die sich nach dem vierten Tag vor Ablauf von drei Wochen zurückbildeten, wurden einer Grad II-Hirnverletzung zugeordnet. Störungen, die sich nicht innerhalb von drei Wochen nach Schädelhirntrauma zurückbildeten, wurden einer Grad III-Schädelhirnverletzung zugeordnet. Die Besonderheit dieser Einteilung nach Tönnis und Loew ist, dass der Schweregrad einer Hirnverletzung erst im Nachhinein festzustellen ist. Um jedoch im Verlauf Verschlechterungen feststellen zu können, bedurfte es einer detaillierteren Einteilung der neurologischen Ausfallserscheinungen nach einem Schädelhirntrauma. 1974 schlugen Jennett und Teasdale eine Komagradeinteilung vor, die einen neurologischen Befund in Punktzahlen ausdrückt.

Diese praktische Einteilung (»a practical scale«) erlaubte eine jederzeitige Klassifizierung eines neurologischen Befundes. Nach dieser ersten Komaklassifikation wurden weitere Komaskalen empfohlen. Ein internationaler Konsensus hierzu wurde von der WFNS (World Federation of Neurosurgical Societies) 1978 (Brihaye et al. 1978) publiziert. Die stürmische Entwicklung der Bildgebung, mit der auch kleinste Gewebsveränderungen dargestellt werden können, erlaubte weitere Einteilungen. So wurde die Schwere der Verletzung zunächst nach dem CT-Befund klassifiziert. Eine neuere Möglichkeit der Einteilung der Schädelhirnverletzungen ergibt sich aus den kernspintomographischen Befunden.

2 Epidemiologie der Schädelhirnverletzung

Epidemiologische Daten zu Schädelhirnverletzungen sind spärlich. Wie bei anderen epidemiologischen Daten ist ihre Qualität entscheidend davon abhängig, welche Definitionen verwendet werden. Uneinheitliche Verwendung von Diagnosen führt dazu, dass verschiedene Studien schwer vergleichbar sind. Insbesondere trifft dies zu auf zeitliche Trends während der letzten Jahrzehnte und auf den internationalen Vergleich mit der Rate von Verletzungen in anderen Ländern. Mortalitätsstatistiken sind dabei noch die verlässlichsten Quellen. Statistiken über Behandlungen sind wegen der Mehrfachzählungen nur sehr eingeschränkt verwertbar. Da viele Schädelhirnverletzungen nicht zum Tode führen, ist die Datenlage bzgl. der wahren Inzidenz von Schädelhirnverletzungen schlecht.

In Deutschland weist das Jahrbuch des Statistischen Bundesamtes 2004 insgesamt etwa 818.000 Verstorbene aus, davon etwa 33.000, also 4 %, durch Unfälle. Dabei ist Unfall keineswegs gleich Verkehrsunfall: Nur 6.000 der o. g. 33.000 Unfälle sind Verkehrsunfälle. Häufiger noch als tödliche Verkehrsunfälle sind häusliche Unfälle mit Todesfolge. Die Verteilung nach den für die Ursache von Verletzungen relevanten ICD-Ziffern zeigt Tabelle 2.1.

Tab. 2.1: Tödliche Unfälle in Deutschland 2004 (Quelle: Jahrbuch des Statistischen Bundesamtes)

V01–V99

Transportmittelunfälle

6.087

W00–W19

Stürze

7.913

W65–W74

Unfälle durch Ertrinken

401

X00–X84

Exposition Rauch, Feuer

446

X60–X84

Vorsätzliche Selbstbeschädigung

10.733

X85–Y09

Tätlicher Angriff

526

Nicht zuzuordnen

6.619

Eine detailliertere Aufstellung nach Schädelhirnverletzungen ist nur aus der Statistik der vollstationär Behandelten zu ersehen (Tab. 2.2). Bei der Bewertung der Zahlen ist zu bedenken, dass einige Patienten mehrfach genannt werden können, andere, die nur ambulant behandelt wurden, gar nicht.

Tab. 2.2: Vollstationäre Behandlungen mit Kopfverletzungen in Deutschland 2003 (Quelle: Jahrbuch des Statistischen Bundesamtes)

ICD-Ziffer

S00

Oberflächliche Verletzung des Kopfes

22.108

S01

Offene Wunde des Kopfes

14.592

S02

Fraktur des Schädels (auch Gesichtsschädel)

48.132

S04

Verletzung von Hirnnerven

220

S05

Verletzung Auge und Orbita

6.512

S06

Intrakranielle Verletzung

212.120

S09

Sonstige Verletzungen des Kopfes

2.457

S00–S09

Verletzungen des Kopfes

314.369

Trends in der Mortalität des Schädelhirntraumas: Die Rate an Schädelhirnverletzungen ist in den vergangenen Jahren stetig zurückgegangen. Während sie 1972 bei 27,2 pro 100.000 Einwohnern lag, so lag sie 2000 bei 9 pro 100.000. Der stetig abnehmende Trend war nur kurzzeitig zwischen 1989 und 1991 unterbrochen durch die deutsche Wiedervereinigung (Steudel et al. 2005). Dieser Trend hat sich seit der Publikation von Steudel (Auswertung bis 2000) in den folgenden 4 Jahren noch fortgesetzt: 7.567 Tote durch Schädelhirntrauma im Jahr 2000 und 7.008 Tote im Jahr 2004).

Zahlen zur Inzidenz von Schädelhirnverletzungen (also nicht nur derjenigen mit Todesfolge) sind, wie oben ausgeführt, mit größerer Unsicherheit behaftet. In Deutschland wird für 1998 eine Zahl von 337/100.000 angegeben. In einem Literaturüberblick über das internationale Schrifttum schwanken die Zahlen zwischen 430 für England und Wales über 200 für Norwegen bis zu 98 in den USA (Steudel et al.). Es versteht sich von selbst, dass die letztgenannte Zahl aus den USA, die die Krankenhausfälle zählt, die wahre Zahl unterschätzt, nachdem in den letzten Jahren die Indikation zu einer stationären Aufnahme in den USA stetig strenger gestellt wurde. Der größte Teil der Schädelhirnverletzungen sind leichtere Verletzungen. Etwa 75 % dürften eine Commotio erlitten haben.

Die Bereitschaft, solche Patienten stationär aufzunehmen, ist international sehr unterschiedlich. Allerdings darf die Bedeutung der Patienten mit leichterem SHT nicht unterschätzt werden. Die vegetativen, kognitiven und emotionalen Folgen dieser Verletzungen sind sowohl für das Wohlbefinden des Betroffenen, aber auch bezüglich der volkswirtschaftlich entstehenden Kosten erheblich.

In den USA kamen im Jahre 2002 mehr als 160.000 Menschen in Folge eines Unfalls zu Tode. Unfallverletzungen waren damit die fünfthäufigste Todesursache. Unfälle stellten 6,6 % aller Todesursachen dar, während dieser Anteil in Deutschland 2004 4 % betrug. Inwieweit dies bedeutet, dass Unfälle in den USA um mehr als die Hälfte häufiger sind als bei uns, oder ob die Unterschiede zumindest teilweise durch unterschiedliche Methodik bedingt ist, muss offen bleiben. Altersbezogen hatten in den USA die über 75-Jährigen die größte unfallbedingte Mortalität. 30 % der zum Tode führenden Verletzungen betrafen die Kopf- und Nackenregion.

Tabelle 2.3 und 2.4 zeigen die Todesursachen. Auffällig ist vor allem, dass Morde durch Schusswaffen in den USA recht häufig sind. Betrachtet man die Verteilung der Verletzung nach Körperregionen (Tab. 2.5), so wird die große Bedeutung der Schädelhirnverletzungen deutlich, die hier den ersten Platz einnehmen.

Tab. 2.3: Unfalltod in den USA im Jahr 2002 (nach Minino et al. 2006)

Gesamtzahl der Unfalltoten

100 %

(n = 161.269)

Unbeabsichtigt

66 %

Suizid

20 %

Mord

11 %

Unklar

3 %

Tab. 2.4: Die fünf häufigsten zum Tode führenden Unfallursachen (USA)

Verkehrsunfall

27 %

Waffe

19 %

Vergiftung

16 %

Sturz

11 %

Erstickung (Suffocation)

8 %

Andere

19 %

Tab. 2.5: Verletzte Körperregion bei tödlichen Unfällen in den USA 2002 (insgesamt 247.000 verletzte Regionen)

Kopf und Hals

30 %

davon Schädelhirnverletzung

27 %

Wirbelsäule

1,4 %

Rumpf

17 %

Andere und mehrere Regionen

51,6 %

Inzidenz, Prävalenz und Sterblichkeitsraten im internationalen Vergleich sind in der Tabelle 2.6 aufgeführt.

Tab. 2.6: Vergleich von sieben epidemiologischen Parametern zur Häufigkeit des Schädelhirntraumas in verschiedenen Ländern. Die Inzidenzraten sind krankenhausbasiert und damit abhängig von der Indikation zur Krankenhausbehandlung. In den USA werden relativ weniger Menschen nach SHT im Krankenhaus behandelt. Da die Mortalität an SHT in den USA aber eher höher als in Europa ist, kann man schließen, dass die dort gefundenen niedrigen Inzidenzraten die wahre Inzidenz unterschätzen (nach Tagliaferri 2006)

Europa

USA

Australien

Asien

Inzidenz (pro 100.000)

235

103

226

344

Prävalenz

?

1.893

?

709

Mortalitätsrate (in %)

15,4

18,1

?

38

Schwere

(% leicht, mittel, schwer)

79/12/9

80/10/10

76/12/11

78/9/13

Tote pro 100 Hospitalisierungen

2,7

6,2

2,4

11

Bei den meisten Schädelhirnverletzungen handelt es sich um leichte Verletzungen. In verschiedenen Serien schwankt der Anteil der leichten Verletzungen (»mild traumatic head injury«) zwischen 60 und 90 % (Übersicht bei Tagliaferri 2006). Es ist speziell dieser Teil der Verletzungen, deren Inzidenz in den verschiedenen Studien schwer zu erfassen ist und der daher im internationalen Vergleich stark schwankt. Unsicher sind die Zahlen erstens, weil die Zahlen auf Krankenhausstatistiken beruhen, aber nicht alle Patienten mit Commotio cerebri stationär behandelt werden und zweitens, weil bei Mehrfachverletzungen gerade die leichteren Schädelhirnverletzungen inkomplett verschlüsselt werden. Reliabler sind die Zahlen beim mittelschweren und schweren Schädelhirntrauma. Immerhin werden auch hier die Zahlen unterschätzt: In einer Studie aus Oklahoma in 2002 wurde nur bei 78 % der an SHT verstorbenen Patienten dies auch als Todesursache im Todeszertifikat (Leichenschauschein) vermerkt. Hauptproblem war dabei die Angabe von »Mehrfachverletzungen«, bei denen sich aber doch das Schädelhirntrauma als wesentliche Todesursache herausstellte (Rodriguez et al. 2002).

Zusammenfassend spielt das Schädelhirntrauma weltweit trotz verbesserter Prophylaxe im Straßenverkehr eine große medizinische und volkswirtschaftliche Rolle.

3 Klassifikation der Schädelhirnverletzung

Eine Klassifikation der Schädelhirnverletzung ist zweckmäßig für die Einordnung des Entstehungsmechanismus und die erforderliche unmittelbare oder langfristige Behandlung. Eine allgemein akzeptierte Klassifikation von universeller Bedeutung gibt es jedoch nicht. Einteilungen wurden bisher nach sehr unterschiedlichen Gesichtspunkten vorgeschlagen. Historisch bedeutsam war die Einteilung in Commotio, Contusio und Compressio nach der klinischen Verlaufsform. Die Einteilung nach Tönnis und Loew (1953) in Schweregrad der Hirnschädigung beruht auf der Einteilung nach der Dauer der posttraumatischen Ausfallserscheinungen und wird auch heute noch in vielen Kliniken verwendet. Eine Reihe anderer Gesichtspunkte dienten als Grundlage für Einteilungen: der Ort von morphologisch erkennbaren Gewebeschädigungen, die Art von Verletzungen, z. B. perforierende und nicht perforierende, offene und gedeckte Schädelhirnverletzungen sowie die Schwere der neurologischen Störungen, die Umstände der Verletzungen, z. B. Kriegsverletzung, zivile Verletzungen, Berufsunfälle, Schulunfälle, Verkehrsunfälle etc. Diese unterschiedlichen Aspekte sind jeweils von sehr spezifischer Relevanz. Im nachfolgenden Teil dieser Darstellung einer Klassifikation des Schädelhirntraumas werden die Einteilungen betrachtet, die für die Behandlung und Prognose bedeutsam sind:

  1. Morphologische posttraumatische Veränderungen
  2. Hirnfunktionsstörungen

3.1 Klassifikation anhand morphologischer Veränderungen nach Schädelhirnverletzung

Morphologisch erkennbare Verletzungsfolgen sind für eine Klassifizierung nach Schädelhirnverletzung verwendet worden (Frowein und Firsching 1990). Je nach betroffener Struktur können Verletzungen des Schädelknochens, der Dura und des Hirngewebes unterschieden werden. Kombinationen dieser Verletzungen sind eher die Regel als die Ausnahme. Zusätzliche Verletzungen zu der Verletzung des Gehirnschädels, der Dura und des Gehirns, z. B. Extremitäten oder Wirbelsäulenfrakturen, Mittelgesichtsverletzungen und andere werden zusammengefasst auch als Mehrfachverletzungen bzw. Polytrauma bezeichnet.

3.1.1 Schädelfrakturen

Schädelfrakturen resultieren aus der Energie, der Richtung und dem Ort der Gewalteinwirkung und der Knochenstärke. Bezüglich der Lokalisation können Frakturen der Schädelbasis von denen der Konvexität unterschieden werden. Zur Form werden Linear-, Impressions- und Berstungsfrakturen unterschieden. Für die Behandlung haben Frakturen nur Bedeutung, wenn sie zu einer Zerreißung der Dura (s. u.), zu einer Impression oder zu Begleitverletzungen, z.B. einem epiduralen Hämatom (s.u.) geführt haben. Eine Impression von Knochen wird von Neurochirurgen unterschiedlich beurteilt. Eine Impression von mehr als Kalottenbreite hat gleichzeitig eine Duraverletzung in mehr als der Hälfte der Fälle zur Folge (Frowein et al. 1977). Erreicht die Impression raumfordernden Charakter, so wird im Allgemeinen eine operative Anhebung empfohlen, um eine Wiederausdehnung des Hirngewebes zu ermöglichen. Geht die Fraktur über den hinteren Teil des Sinus sagittalis, des Sinus confluens oder des Sinus transversus hinaus, so kann die Anhebung einer Impressionsfraktur riskanter sein als ein konservatives Vorgehen (Fernandez et al. 1997). Die Gefahr einer posttraumatischen Epilepsie ist einem Bericht von Jennett et al. (1974) zufolge nach einem konservativen Vorgehen nicht höher als nach operativer Anhebung der Impression.

Für die Behandlung von größter Wichtigkeit ist der statistische Zusammenhang der Schädelfrakturen mit intrakraniellen Hämatomen: Wird eine Fraktur gefunden, so findet sich bei bewusstseinsgetrübten Patienten mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 % ein intrakranielles Hämatom. Im Vergleich dazu entwickelt sich bei einem bewusstseinsklaren Patienten ohne Schädelfraktur eine intrakranielle Blutung mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 1 von 6.000 Fällen (Mendelow et al. 1983). Liegt ein intrakranielles Hämatom vor, tritt dieses unabhängig von der Bewusstseinslage zu 10 % zusammen mit einer Fraktur auf. Handelt es sich um die Sonderform eines epiduralen Hämatoms, so ist dieses zu 90 % mit einer Fraktur des Schädels verbunden (Jennett und Teasdale 1981). Von großer klinischer Bedeutung ist eine Verletzung der Dura, die in der Folge einer Schädelfraktur häufig beobachtet wird.

3.1.2 Verletzungen der Dura

Eine geschlossene oder gedeckte Schädelhirnverletzung ist eine Verletzung, bei der die harte Hirnhaut intakt geblieben ist. Eine offene Schädelhirnverletzung ist eine Verletzung der Dura mater mit Kontakt des Liquorraumes zur Außenwelt. Am häufigsten kommt dies bei einer Stirnhöhlenverletzung mit Fraktur der hirnnahen Wand vor. Auch bei Felsenbeinfrakturen oder offenen Verletzungen der Konvexität kann es zu Liquorfisteln kommen. Alle Liquorfisteln bergen die Gefahr der Meningitis. Nasale Liquorfisteln bedürfen in der Regel der operativen Deckung, Liquorfisteln bei Felsenbeinfrakturen heilen in der Regel spontan ohne Operation (Frowein et al. 1977).

3.1.3 Intrakranielle extrazerebrale Hämatome

3.1.3.1 Epidurale Hämatome

Epidurale Hämatome sind Blutungen zwischen den Schädelknochen und der harten Hirnhaut. Sie treten fast immer akut innerhalb von 24 Stunden nach dem Unfall auf. Diese Verletzung stellt wegen ihres klassischen Verlaufes eine Besonderheit dar: Nach einer Schädelhirnverletzung ist der Patient zunächst bewusstseinsklar, hat jedoch Kopfschmerzen und meist eine Schädelfraktur. Innerhalb von einer bis mehreren Stunden kommt es zu zunehmender Eintrübung bis zur Bewusstlosigkeit. Unter dem Zeichen der Einklemmung können sich dann eine Anisokorie, Strecksynergismen und schließlich lichtstarre Pupillen entwickeln, bis es schließlich zum Hirntod kommt. Dieser klinische Verlauf mit freiem Intervall ist zwar nicht die Regel, lässt aber die Dynamik der Entstehung der epiduralen Hämatome erkennen. Aus frühen CT-Untersuchungen und Verlaufsuntersuchungen kann angenommen werden, dass die epiduralen Hämatome zum Zeitpunkt des Unfalls entstehen und dann über Stunden an Größe zunehmen, eine signifikante raumfordernde Größe allerdings erst nach einer Stunde erreicht wird (Frowein und Firsching 1990, Firsching et al. 1997).

Die lebensrettende Bedeutung einer rechtzeitigen Behandlung ergibt sich aus der kurzen Ischämietoleranz von Hirngewebe gegenüber einer akut auftretenden Druckwirkung. So entsteht bei allmählich zunehmender Größe des Hämatoms die Situation, dass gegebenenfalls nur noch eine Minutenfrist bleibt, in der eine sofortige operative Entlastung noch eine vollständige Erholung erlaubt. Es sollte daher, wenn möglich, nicht mehr als eine Stunde für Erste-Hilfe-Maßnahmen und Transport vergehen, bis eine neurochirurgische Versorgung verfügbar ist, wenn ein epidurales Hämatom vermutet wird. Der Nachweis oder Ausschluss eines epiduralen Hämatoms bei bewusstlosen Patienten nach Schädelhirntrauma hat Vorrang vor allen anderen Maßnahmen, wenn eine hinreichende Kreislauf- und Atmungsfunktion vorliegt.

3.1.3.2 Subdurale Hämatome

Subdurale Hämatome sind Blutansammlungen im Subduralraum unterhalb der harten Hirnhaut. Das Intervall zwischen Unfall und Auftreten des Hämatoms kann von weniger als einer Stunde bis zu mehreren Monaten reichen. Das charakteristische Merkmal der subduralen Hämatome ist ihre steigende Letalität, je früher sie nach dem Unfall auftreten. Treten sie innerhalb einer Stunde auf, so wurde über eine Letalität von 88 % berichtet, in der zweiten Stunde von 62 % und 58 % in der dritten Stunde (Frowein und Firsching 1990). Generell liegt die Letalität der subduralen Hämatome, die innerhalb von 24 Stunden nach dem Trauma diagnostiziert werden, bei 50 % (Cooper 1982, Frowein und Firsching 1990). Unter 44 Patienten mit subduralen Hämatomen, die innerhalb einer Stunde raumfordernde Größe erreicht hatten, fanden sich in jedem Fall begleitende Kontusionen. Die hohe Letalität bei den früh auftretenden subduralen Hämatomen erklärt sich weniger aus der Druckwirkung des subduralen Hämatoms als aus den begleitenden Hirnverletzungen, die zum Zeitpunkt des Unfalls erlitten wurden. Bei subakuten subduralen Hämatomen, die zwischen dem zweiten und zehnten Tag nach Trauma nachgewiesen werden, wurde über eine geringere Letalität von ca. 20 % berichtet (Frowein und Firsching 1990). Chronisch subdurale Hämatome, die später als 10 Tage nach dem Trauma nachweisbar waren, hatten histologisch eine nachweisbare Kapselbildung und eine Letalität von weniger als 5 % (Frowein und Firsching 1990, Brihaye 1986). Je nach der Geschwindigkeit seines Entstehens handelt es sich damit bei den subduralen Hämatomen um Verletzungen mit extrem unterschiedlicher Prognose.

3.1.4 Morphologisch erkennbare posttraumatische Hirnveränderungen

Das Verständnis der posttraumatischen Hirnveränderungen basiert seit über drei Jahrzehnten im Wesentlichen auf den Erfahrungen mit der Computertomographie, die Hirngewebe direkt darstellen kann. Früher war dies nur indirekt über die Darstellung von Verlagerung von Hirngefäßen oder Liquorräumen möglich. Nach diesen Untersuchungsbefunden können rein deskriptiv zwei Arten von Verletzungsfolgen unterschieden werden:

  1. fokale Hirnschädigungen
  2. nicht fokale, diffuse Hirnschädigungen

3.1.4.1 Fokale Hirnschädigungen

Hämorrhagische und/oder nicht hämorrhagische fokale Veränderungen, auch als Kontusionen bezeichnet, können grundsätzlich an jeder Stelle des Gehirns gefunden werden. Prädilektionsorte sind die Temporal- und Frontallappen (Frowein et al. 1991). Die Größe der Kontusionen, soweit im CT erkennbar, ist erstaunlicherweise nicht mit der Letalität korreliert, sehr wohl aber die genaue Lokalisation. Die Lokalisation ist inzwischen wesentlich besser im Kernspintomogramm darzustellen. Besonders ungünstig sind Läsionen des Hirnstammes. Kontusionsblutungen zeigen im Verlauf bei wiederholten CT-Untersuchungen zu 25 % eine Größenzunahme und können eine operationspflichtige Raumforderung erreichen. Läsionen, die nicht an Größe zunehmen, haben im Allgemeinen die gleiche Letalität wie Schädigungen, die an Größe zunehmen (Frowein et al. 1991). Eine verspätet auftretende Kontusionsblutung wird gelegentlich beobachtet, ist jedoch selten. Die Unterscheidung der Lokalisation der Kontusion in infra- und supratentoriell ist nicht nur für die Prognose, sondern auch für die Hirntoddiagnostik wegen der Reihenfolge der Hirnfunktionsausfälle bedeutsam. Multiple, petechial anmutende Blutungen, die großflächig über weite Strecken des Großhirns verteilt sein können, werden entweder als multifokale Kontusionen oder als diffuse Hirnschädigungen aufgefasst.

3.1.4.2 Nicht fokale, diffuse Hirnschädigungen

Die Bezeichnung diffuse Hirnschädigungen bzw. diffuse axonale Hirnschädigungen ist nicht einheitlich definiert. Die Vorstellung basiert auf neuropathologischen Befunden von Autopsien, bei denen relativ geringe Hirnstammschäden und ausgedehnte diffuse Schädigungen der weißen Substanz gefunden worden waren (Adams et al. 1977). Es wurde anhand dieser pathologischen Befunde angezweifelt, ob es primäre Hirnstammschäden überhaupt gibt (Mitchell und Adams 1973). Es wurde von neuropathologischer Seite jedoch gefordert, dass die Diagnose eines diffusen Hirnschadens nur nach neuropathologischer Untersuchung gerechtfertigt sei (Adams et al. 1982). Diese Forderung wird in der Praxis zur Zeit nirgends erfüllt, da die Diagnose diffuse Hirnschädigung gestellt wird, wenn im Computertomogramm bei einem bewusstlosen Verletzten keine raumfordernde Blutung erkennbar ist. Damit ist die klinische Diagnose »diffuser Hirnschaden« bzw. »diffuser axonaler Schaden« in der Praxis eine Spekulation, die nicht verifiziert werden kann, da in der Regel eine autoptische Untersuchung nur selten möglich ist und bei den autoptischen Untersuchungen die für die Diagnose erforderlichen Seriendünnschnittuntersuchungen des gesamten Gehirns allenfalls bei wissenschaftlichen Untersuchungen durchgeführt werden, da diese Untersuchungen sehr zeitaufwendig sind. Obwohl die klinische Diagnose »diffuser Hirnschaden« nicht auf einem positiven Nachweis beruht, sondern auf der Abwesenheit einer raumfordernden Blutung im Computertomogramm, dessen Unzulänglichkeit mit der Einführung der Kernspintomographie immer deutlicher wird, findet diese spekulative Diagnose eine weit verbreitete wissenschaftliche und klinische Beachtung.

Weitere nicht fokale, aber diffuse Veränderungen sind jedoch auch für die behandelnden Ärzte von praktischer Relevanz.

3.1.4.3 Hirnschwellung/Hirnödem

Kennzeichnend für die Hirnschwellung ist das rasche Auftreten nach einer Schädelhirnverletzung. Es kann unmittelbar nach einem Schädelhirntrauma zu einer akuten Hirnschwellung kommen, die sich bereits im ersten Computertomogramm an einer akuten, als Größenzunahme des Hirnvolumens erscheinenden Veränderung darstellt; die Ventrikel sind schlitzförmig, die Hirnfurchen ausgepresst und die Gyri abgeplattet.

Die basalen Zisternen stellen sich nicht dar. Die Hirnschwellung betrifft meist das ganze Gehirn, in Ausnahmefällen soll es auch zu Hirnschwellung einer Hemisphäre kommen (Kobrine et al. 1977). Die Ursache für dieses Phänomen bleibt seit mehr als 100 Jahren Spekulation. Es wird eine Störung der Regulation des intrakraniellen Blutvolumens mit Folge einer Steigerung des intrakraniellen Blutanteils vermutet (Kocher 1901, Trotter 1925). Eine medikamentöse Behandlung der Hirnschwellung ist nicht bekannt. Bei lebensbedrohlicher Druckerhöhung kann eine operative Dekompression hilfreich sein. Das Ödem ist eine interstitielle Wasseransammlung. Da das Gewebe wasserreicher ist, stellt es sich im Computertomogramm im Gegensatz zur Schwellung hypodens dar. Die Genese des Ödems ist nicht restlos geklärt. Ähnlich wie nach Gefäßverschlüssen tritt ein Ödem nach Schädelhirntrauma erst nach einem Intervall von 12 bis 24 Stunden so auf, dass es im Computertomogramm als hypodenser Bereich erkennbar wird (Clasen et al. 1980). Die Unterscheidung zwischen Schwellung und Ödem ist möglicherweise relevant, da es denkbar scheint, mit ausschwemmenden Medikamenten eher das Ödem als die Schwellung beeinflussen zu können.

3.2 Klassifikation nach Ausmaß der Hirnfunktionsstörung (inkl. Komaskalen)

Der Schweregrad einer Hirnfunktionsstörung ist wiederholt für die Einteilung der Folgen eines Schädelhirntraumas betrachtet worden. Cairns (1942) sowie Russel und Nathan (1946) schlugen bereits als besten Maßstab für die Bemessung der Schwere einer Hirnschädigung die Dauer der posttraumatischen Amnesie vor. Da diese jedoch schwierig genau zu erfassen ist, wurden andere, besser messbare Parameter gesucht.

Tönnis und Loew unterschieden 1953 aufgrund der Dauer der neurologischen und vegetativen Störungen nach einer Schädelhirnverletzung einen Schweregrad I bis III, je nachdem, ob die Funktionsstörungen sich innerhalb von 4 Tagen, zwischen 4 Tagen und 3 Wochen oder später oder gar nicht rückgebildet hatten. Diese Einteilungen stellten einen wesentlichen Fortschritt dar, da nicht nur der Ausfall der Funktionen, sondern die Dauer des Funktionsausfalls Maßstab für die Beurteilung der Schwere der Hirnschädigung war.

Die Einteilung nach Tönnis und Loew ist im deutschsprachigen Raum weiterhin weit verbreitet und von praktischer Bedeutung. Ein weiterer Vorschlag (Ommaya 1982) zur Einteilung einer Hirnschädigung in sechs Schweregrade unterschied verschiedene Schweregrade der Amnesie und Verwirrtheit (Grad I bis III) und Gradeinteilungen des Komas (Grad IV bis VI), wobei Grad VI dem Hirntod entsprach. Unter intensivmedizinischen Möglichkeiten erhielt die Bewusstseinslage dabei besondere Aufmerksamkeit. Die Definitionen für Bewusstseinsstörungen unterschieden sich allerdings deutlich je nach Auffassung und Gesichtspunkt. Eine Vielzahl von Begriffen wurde vorgeschlagen: Decerebration (Sutter et al. 1959), Decorticate states (Nyström 1960, Plum und Posner 1966), Apallisches Syndrom (Kretschmer 1940, Gerstenbrand 1967), Global agnosia (Ingvar und Brun 1972), Persistent vegetative state (Jennett und Plum 1972), Akinetischer Mutismus (Cairns et al. 1941), Deafferent state (Plum 1972). Eine vollständigere Begriffssammlung findet sich bei Tönnis und Frowein (1959), wobei eine einheitlichere Terminologie wünschenswert wäre.

Störung des Bewusstseins

Das Bewusstsein und verwandte Begriffe wie Erweckbarkeit, Wachheit, geistige Wahrnehmung und Erkenntnis werden unterschiedlich aufgefasst und definiert.

Es werden nicht nur unterschiedliche Inhalte auch der Umkehrung dieser Begriffe, der Bewusstlosigkeit, dem Koma und der Bewusstseinstrübung in unterschiedlichen Sprachen zugeordnet, es hat auch der international in der Medizinsprache gebräuchliche Begriff »Koma« einen Bedeutungswandel in der Medizin erfahren (Marshall et al. 1996). Eine internationale Definition des Begriffes »Coma« wurde 1976 und 1978 veröffentlicht (Frowein 1976, Brihaye et al. 1978) sowie in einem Wörterbuch zur Neurotraumatologie »Glossary of Neurotraumatology« (Anonymus 1979) dargestellt. Diese international formulierten Definitionen sind zwar willkürlich, spiegeln aber einen bis heute nicht in Frage gestellten internationalen neurochirurgischen Konsensus wider. Sie sind daher auch Grundlage der in diesem Buch gebrauchten Begriffe.

In der Medizin bezeichnet der griechische Begriff »Koma« (fester Schlaf, Schlafsucht) Bewusstlosigkeit. Das Bewusstsein bedeutet die geistige Wahrnehmung seiner selbst und seiner Umgebung. Das Fehlen des Bewusstseins oder das Vorhandensein lässt sich durch den untersuchenden Arzt nicht direkt erfassen, sondern kann nur über Äußerungen des Patienten beurteilt werden. Die Beurteilung eines noch vorhandenen Bewusstseins ist damit an die Fähigkeit des Patienten gebunden, sich äußern zu können.

Auch wenn der Patient sich nicht mehr äußern kann, ist trotzdem grundsätzlich ein Bewusstsein des Patienten noch möglich. Schaltete man die Fähigkeit, sich zu äußern, pharmakologisch durch ein Muskelrelaxans bei einem bewusstseinsklaren Patienten aus, so bliebe ihm das Bewusstsein zunächst zwar vollständig erhalten, er hätte jedoch keine Möglichkeit mehr, sich zu äußern und damit sein Bewusstsein unter Beweis zu stellen. Er würde klinisch fälschlicherweise für bewusstlos gehalten.

Eine Schädelhirnverletzung, die eine neurologische Funktionsstörung verursachte, die ähnlich einer Curareintoxikation ausschließlich den Verlust der Willkürmotorik bewirkte, hätte denselben Effekt. Das Bewusstsein könnte noch vorhanden sein, es wäre jedoch nicht mehr durch den Untersucher zu ergründen. Das Bewusstsein eines Patienten kann also nicht immer und in manchen klinischen Situationen überhaupt nicht ergründet werden. Die klinischen Zeichen, die den Zustand der Bewusstlosigkeit anzeigen, sind willkürlich gewählt, haben sich allerdings im klinischen Alltag bewährt und können einen guten Anhalt für die Bewusstseinslage geben. Diese klinischen Zeichen der Bewusstlosigkeit haben jedoch offensichtlich in den letzten Jahrzehnten mit dem zunehmenden Verständnis dieses Phänomens eine Entwicklung erfahren. Zunächst bezeichnete man mit Koma den Zustand des Patienten, der auf äußere Stimuli überhaupt nicht mehr reagierte und keine Spontanaktivitäten des Nervensystems zeigte (Gwinn et al. 1986).

Bereits in den frühen Jahren nach Einführung der Intensivmedizin wurden hingegen differenziertere Darstellungen der Bewusstseinsstörung und der Bewusstlosigkeit publiziert (Tönnis und Frowein 1959, Plum und Posner 1966). In der Frühphase der Intensivmedizin war Koma definiert als der Zustand, in der der Körper reaktionslos war. Mit zunehmender intensivmedizinischer Erfahrung wurde aber klar, dass selbst tief bewusstlose und sogar hirntote Patienten sich spontan bewegen können, so dass das Kriterium der Reaktionslosigkeit zur Beurteilung der Bewusstseinslage entfiel.

In Anlehnung an die internationalen Übereinkünfte von 1976 und 1978 (Frowein et al. 1976, Brihaye et al. 1978) wurde Koma dann als der Zustand der Unerweckbarkeit verstanden, in dem der Patient die Augen nicht öffnet und Aufforderungen nicht nachkommt (Marshall und Marshall 1996). Eine Klassifizierung der inzwischen als entscheidend erkannten Bewusstseinsstörungen in einem Punktesystem (Score) zwischen 3 und 14 Punkten wurde von Teasdale und Jennett (1974) vorgenommen. Grundlegend waren die Unterscheidungen in drei Kategorien: Augenöffnen, verbale Äußerungen und Motorik.

Diese Klassifikation wurde zwei Jahre später noch um eine zusätzliche Unterscheidung der motorischen Bewegungen in Beugemassenbewegung und wegziehende Bewegung auf Schmerzreiz erweitert, so dass die Punkteskala auf maximal 15 Punkte erweitert wurde bei einer Minimalpunktzahl von 3 (Teasdale und Jennett 1976). Diese nüchterne Zuordnung von Punkten ergab eine leichte numerische Erfassung eines komplexen neurologischen Befundes, die auch relativ konstant von unterschiedlichen Untersuchern festgestellt werden konnte. Der »Glasgow-Coma-Scale« (GCS) hat inzwischen seit drei Jahrzehnten eine weltweite Verbreitung gefunden. Die Skala wurde in Deutschland in die Protokollbögen in erheblich veränderter Form für Notärzte aufgenommen und hat sich in der Dokumentation im deutschen Rettungswesen etabliert. Mit zunehmender Erfahrung zeigen sich trotz dieser weit verbreiteten Akzeptanz grundsätzliche Schwierigkeiten.

Der Glasgow-Coma-Scale erhebt den Anspruch, bei der Behandlung eines komatösen Patienten eine klare Klassifizierung darzustellen. Der Begriff Koma wird jedoch nicht definiert und ist aus dem Glasgow-Coma-Scale nicht ersichtlich. Die Urheber der Koma-Skala sind der Auffassung, Koma liege bei 8 Punkten mit einer Wahrscheinlichkeit von 53 % vor (Jennett und Teasdale 1981). Bei einer Punktzahl von 3 bis 7 Punkten sei Koma zu unterstellen (Briggs et al. 1984). Der größte Teil des GCS bezieht sich allerdings nicht auf komatöse Zustände. Ein wichtiges Phänomen bewusstloser Patienten schränkt die Bedeutung weiter ein: Schon 1966 wurde berichtet, dass hirntote Patienten sich sehr wohl bewegen können, nicht nur auf Schmerzreize, sondern auch spontan (Bronisch 1969, Butenuth et al. 1970, Duven und Kollrak 1970, Frowein 1969, Mantz et al. 1966, Müller 1966, Rohrer 1969, Robert und Mumenthaler 1977, Ropper 1984, Schneider 1970).

Wenn ein hirntoter Patient, also nach Ausfall jedweder Hirnfunktion, sich noch bewegen kann, so kann die Bewegung selbst kein Gradmesser der Bewusstseinsstörung sein. Damit wären die stärksten motorischen Antworten der Arme, die ein Drittel im GCS ausmachen, für die Beurteilung der Bewusstlosigkeit nicht relevant. Ein hirntoter Patient, der sich noch bewegt, z.B. durch zurückziehende Bewegungen, bekäme noch 6 Punkte auf dem GCS. Da 8 Punkte nicht sicher Koma kennzeichnen, bleibt für die Beurteilung des Komas nur noch die Punktsummenzahl von 7 Punkten. Damit stellt der GCS keine Unterscheidung des neurologischen Befundes Koma mehr dar.

Der GCS ist damit inhaltlich weniger eine Einteilung des Komas, wie sein Name beansprucht, als eine Einteilung der Bewusstseinslagen, die außerhalb der Bewusstlosigkeit eingeordnet werden müssen. Die anfangs vermutete hohe Korrelation zwischen Glasgow-Coma-Score und Behandlungsergebnis hat sich in späteren Untersuchungen nicht mehr bestätigt (Moskopp et al. 1995, Balestreri et al. 2004). Der schlechteste Punktrang von 3 GCS-Punkten hatte eine bessere Prognose als GCS-Werte von 4 oder 5 Punkten. Der GCS geht grundsätzlich von einer Gleichwertigkeit der Einzelpunkte aus, so dass denselben Punktsummenzahlen völlig unterschiedliche Symptome zugrundeliegen können. So kann ein Summenscore von 10 Punkten zusammengesetzt sein aus einer hohen Querschnittslähmung bei guter Bewusstseinslage oder eine hochgradige Bewusstseinstrübung ohne Querschnittsymptomatik. In anderen klinischen Untersuchungen haben sich die Atemfunktion und die Pupillenfunktion als Parameter höchster prognostischer Bedeutung erwiesen. Beide werden im GCS nicht berücksichtigt (Frowein und Firsching 1990). Obwohl der GCS international sehr weit verbreitet ist, hat es auch andere Vorschläge gegeben, die Bewusstseinslage zu klassifizieren. Eine immer wieder bestätigte Korrelation zwischen Komagrad und Behandlungsergebnis konnte für den Brüsseler Komagrad nachgewiesen werden. Nach einer grundsätzlichen Unterscheidung in Bewusstseinsklarheit, Bewusstseinstrübung und Bewusstlosigkeit wurden vier Komagrade unterschieden, in denen die Pupillenreaktion, eine Hemiparese und Strecksynergismen unterschieden wurden. Alle diese Bemühungen einer Klassifikation der Bewusstseinslage gründen sich auf die Grundüberzeugung, dass die Bewusstseinslage wahrscheinlich der beste Einzelparameter für die Prognose ist (Miller 1986).

3.3 Klassifikation der Schwere der Hirnschädigung nach radiologischen Befunden

Obwohl eine klare Korrelation zwischen computertomographischen Befunden und Behandlungsergebnis wissenschaftlich nicht eindeutig bestätigt werden konnte, wurde eine Einteilung der Schädelhirnverletzung in diagnostische Kategorien nach erkennbaren Änderungen auf dem Computertomogramm in vier Schweregrade vorgeschlagen. Diese Einteilung bezog sich auf Veränderungen, die eher diffusen Charakters waren, jedoch auch Raumforderungen mit Mittellinienverlagerung und Verstreichen der perimesenzephalen Zisternen zeigten. Von dieser Klassifikation ausgeschlossen wurden raumfordernde intrakranielle Blutungen (Marshall et al. 1992). Diese Einteilung beruht auf der Vorstellung, dass es bei Schädelhirntrauma ohne raumfordernde intrakranielle Blutungen zu Scherverletzungen und diffusen weit verbreiteten Schädigungen käme, die im Computertomogramm nicht eindeutig darstellbar sind. Die Schäden werden daher an den indirekten Verletzungsfolgen, der Mittellinienverlagerungen und des Verstreichens der Zisternen beurteilt.

Eine Einteilung der Schädelhirnverletzungen nach kernspintomographischen Befunden in Grad I bis IV wurde erstmals 2001 vorgeschlagen (Firsching et al. 2001). Die einzelnen Verletzungen je nach Schweregrad sind in Tabelle 3.1 aufgeführt. Im Gegensatz zur computertomographischen Einteilung der Schädelhirnverletzung zeigt die kernspintomographische Einteilung eine statistisch signifikante Korrelation mit dem Behandlungsergebnis. Aus diesen Erfahrungen wird offensichtlich, dass sowohl die Morbidität als auch die Letalität nach Schädelhirnverletzungen zunächst einmal durch das Ausmaß und die genaue Lokalisation der Hirnschädigung im Bereich des Hirnstammes bestimmt wird.

Tab. 3.1: Einteilung der Schädelhirnverletzungen nach kernspintomographischen Befunden