Vorwort

Das vorliegende Buch ist das Ergebnis einer langjährigen Beschäftigung mit dem Thema, wie man Kinder beim Spracherwerb unterstützen kann, so dass Störungen oder Verzögerungen in diesem Prozess vermieden oder zumindest gemindert werden können. In der Auseinandersetzung mit Forschungen zum Spracherwerb wurden Ideen entwickelt, wie Sprachförderung im Alltag jüngerer Kinder gestaltet werden kann. Viele der Beispiele entstanden in der Zusammenarbeit mit Erzieherinnen und im Kontakt mit den Kindern. Sie zeigten durch ihre Neugier und ihre Lust am Ausprobieren, was möglich ist.

Ich konnte beim Schreiben dieses Buches auf die vielfältigen Anregungen aus der Praxis der Arbeit in Kindertagesstätten und auf Diskussionen in Seminaren mit meinen Studentinnen und Studenten zurückgreifen. Dafür möchte ich mich bei allen Studierenden und vor allem bei den Kindern und Erzieherinnen/Erziehern der Einrichtungen bedanken, in denen ich Gast sein durfte.

Insbesondere gilt mein Dank Gudrun Kellermann, Annika Butz, Bianca Weißenfels, Claudia Klaeske, Heidi Ahlfeld, Sylvia Smolen, Kristin Clemens, Franca Feldmann sowie Julia und Maria Krause für ihre unterstützenden Arbeiten. Danken möchte ich aber auch meinen Freunden, Mitarbeitern und vor allem meiner Familie für ihre Unterstützung und den Rückhalt.

Yvonne Adler

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Frühe sprachliche Förderung – Warum?

Immer wieder wird beklagt, dass sprachliche Auffälligkeiten zunehmen und die mangelnden sprachlichen Kompetenzen der Kinder zu Schulbeginn zu Schwierigkeiten im Lernen führen. Resultierend aus den Ergebnissen der PISA-Studien wird eine möglichst frühzeitig einsetzende Förderung der Kinder verlangt (Deutsches PISA-Konsortium, 2001). Einen Schwerpunkt dabei stellt die Entwicklung sprachlicher Kompetenzen dar. Kindertagesstätten bieten eine sehr gute Möglichkeit, diese Kompetenzen zu fördern, da eine umfangreiche Kommunikation mit den Kindern und der Kinder untereinander stattfindet.

Bei den meisten Kindern verläuft der Spracherwerb ohne Komplikationen und sie sind mit etwa vier Jahren in der Lage, ihre Muttersprache weitgehend fehlerfrei zu gebrauchen. Alarmierend erscheint aber, dass 15 % bis 25 % (Böger, 2003; Penner, 2004; Röpke, 2004; Trott, 2003) der Kinder im Vorschulalter sprachlich auffällig sind.

Es wird deutlich, dass für eine präventive sprachliche Förderung der Kinder von Beginn an gesorgt werden muss, denn Sprachstörungen bedingen häufig sekundäre Beeinträchtigungen. Es konnte festgestellt werden, dass frühkindliche Erfahrungen wesentlich für den Aufbau eines stabilen neuronalen Systems sind und sich dementsprechend auf den Spracherwerb und die gesamte Persönlichkeitsentwicklung auswirken (Franceschini, 2008, Hille, 2008, López, 2010). Die Erkenntnisse aus der Gehirnforschung legen in Verbindung mit den zum Spracherwerb gewonnenen Einsichten nahe, frühzeitig günstige Erwerbsbedingungen zu schaffen. Dies kann zwar nicht in jedem Fall Beeinträchtigungen verhindern, aber es schafft gute Voraussetzungen, die das Ausmaß der Folgen einschränken und den Zeitraum spezifischer Interventionsnotwendigkeiten verringern können. So erscheint es sinnvoll, die auf die Entwicklung der Kinder einwirkenden Faktoren in einem günstigen Verhältnis zueinander zu stärken. Entwicklungsbedingungen, die sich nachteilig auswirken, können dadurch eine Kompensation erfahren. Kinder, deren Ausgangsvoraussetzungen durch persönliche oder soziale Beeinträchtigungen geprägt sind, erhalten so die Möglichkeit, bessere Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Durch die frühzeitige und durchgängige Förderung der Kompetenzen der Kinder in der frühen Kindheit können Entwicklungsrisiken vermindert und Chancen vergrößert werden.

Ausgehend davon, dass zwar jedes Kind im Prinzip die Grundvoraussetzungen für den Spracherwerb in sich trägt, dass aber entsprechende Bedingungen für die Kinder vorhanden sein müssen (u.a. eine sprachfördernde Umgebung), um die natürlichen Spracherwerbsmechanismen auch zu aktivieren (Pinker, 1998; Wygotski, 1993; Lenneberg, 1991; Bruner, 1987), lässt sich schlussfolgern, dass die Optimierung der Bedingungen den Spracherwerb initiieren und forcieren kann. Dies ist insbesondere für Kinder mit ungünstigen Ausgangslagen (Entwicklungsbeeinträchtigungen, schwieriges kommunikatives und/oder soziales Umfeld, Migration) wichtig, um ausgleichend zu wirken und gegebenenfalls eine gezielte Förderung rechtzeitig in die Wege zu leiten.

Um dies gewährleisten zu können, ist es notwendig, dass sich Erzieherinnen und andere Betreuungspersonen mit dem Erwerb der Sprache durch die Kinder intensiver auseinandersetzen. Nur so wird es ihnen besser gelingen, die Kinder dabei effektiv zu unterstützen. Gerade im Alter zwischen dem 2. und dem 4. Lebensjahr durchlaufen die Kinder eine sehr dynamische Phase des Spracherwerbs. Dies erfordert entsprechende sprachliche Angebote an die Kinder, die bereits vor der Zeit, in denen die Kinder produktiv tätig werden, stattfinden müssen. Diese Angebote müssen so gestaltet sein, dass die Kinder angeregt werden, die sprachlichen Strukturen zu erkennen und Sprache zu gebrauchen. Die Kommunikation mit den Kindern findet interessenorientiert und handlungsbegleitend statt. Darüber hinaus werden von den Erwachsenen genau solche Formen verwendet, die im Bereich des vom Kind Erfassbaren bzw. ein klein wenig darüber, in der Zone der nächsten Entwicklung liegen. Die Kenntnis von kognitiven und sprachlichen Entwicklungsprozessen ist grundlegend für eine entwicklungsgerechte Gestaltung der Anforderungen an das Kind.

Basis der Förderung ist die Befähigung von Bezugspersonen zu einer beobachtungsbasierten und alltagsintegrierten Förderung sprachlicher Fähigkeiten von Kindern vom Krippen- bis zum Schulalter, die sich an den individuellen sprachlichen Fähigkeiten und Entwicklungsverläufen orientiert.

Die PISA-Studie zeigt, dass sprachliche Fähigkeiten eine zentrale Rolle beim späteren Schulerfolg spielen (Deutsches PISA-Konsortium, 2001). Schulisches Lernen erfolgt vermittelt durch Sprache, sodass Einschränkungen zu Beginn größere Schwierigkeiten in der weiteren Lernentwicklung nach sich ziehen können, nicht zuletzt auch wegen der demotivierenden Funktion von anfänglichen Misserfolgen.

Wenn unseren Kindern von Anfang an gute Bedingungen für ihre sprachliche Entfaltung geschaffen werden, wird ihnen ihr Weg in Schule und Gesellschaft erleichtert, denn kommunikationsbeeinträchtigte Menschen müssen Einschränkungen bezüglich ihrer Berufswahl hinnehmen und sind im sozialen Umgang im Alltag benachteiligt. In verschiedenen Studien konnte nachgewiesen werden, dass eine vorschulische Sprachförderung positive Effekte bezüglich des Erfolgs zu Schulbeginn hat (z. B. Böger, 2003; Röpke, 2004; Trott, 2003).

Eine wesentliche Voraussetzung für den Spracherwerb stellen Interaktion und Kommunikation mit Bezugspersonen dar. Kommunikative Handlungen mit Gleichaltrigen haben eine ergänzende und vertiefende Funktion. In diesen Situationen werden Bedeutungen übermittelt (Bruner, 1987; Zollinger, 1996), es werden kommunikative Formate gestaltet und die Sprache wird in ihrer Funktion und Bedeutung vom Kind erlebt. Grammatische Strukturen werden im Handeln erworben und ermöglichen die adäquate Übermittlung von Intentionen an den Kommunikations- und Interaktionspartner. Das komplexe Geschehen des Spracherwerbs kann nicht losgelöst von der Gesamtentwicklung des Kindes, insbesondere der Entwicklung der Wahrnehmung und des Denkens, betrachtet werden. Da der Spracherwerb einen wesentlichen Teil der Entwicklung des Kindes bis zum Schuleintritt darstellt, muss eine Förderung der Sprache in das gesamte Entwicklungsgeschehen eingebettet werden. Es gilt, den Spracherwerb durch eine sprachfördernde Gestaltung des Umfeldes zu unterstützen. Dazu gehören kindgerechte Kommunikationsangebote (Bruner 1987) mit einer hohen spracherwerbsfördernden Qualität.

Förderprogramme, die derzeit in Kindereinrichtungen eingesetzt werden, orientieren sich zumeist an den Kindern, die unmittelbar vor dem Schuleintritt stehen, und an Migrantenkindern, um ihnen einen guten Start in der Schule zu ermöglichen. Dies ist ein wichtiges Ziel vorschulischer Förderung, reicht aber nicht aus, wenn es um eine Erhöhung der Sprachkompetenz der Kinder, um Chancengleichheit und Befähigung zu adäquater Kommunikation sowie um die Verhinderung von Beeinträchtigungen oder das frühzeitige Erkennen von Störungen in der Sprachentwicklung geht.

Sprache muss von Anfang an gefördert werden. In unterschiedlichen Studien konnte nachgewiesen werden, dass sprachliche Beeinträchtigungen im frühen Kindesalter sich bis ins Erwachsenenalter auswirken können (Aram et al. 1984, Tomblin et al., 1992; Grimm/Wilde, 1998; Stothard et al., 1998; Dannenbauer, 2001, 2002). Ebenso konnte nachgewiesen werden, dass frühzeitige Interventionen effektiver wirken und Therapiezeiten verkürzen (McLean/Cripe, 1997; Ritterfeld/Niebuhr, 2002). Frühe Interventionen und Fördermaßnahmen versprechen auch wegen der vermuteten „Zeitfenster“ für die Effektivität bestimmter Wahrnehmungs- und Verarbeitungsleistungen einen wesentlich besseren Erfolg und können unter Umständen Sekundärbeeinträchtigungen abwenden (Lenneberg, 1991; Locke, 1997; Goodyer, 2000; Weinert 2002). „Zur Kompensation verpasster Gelegenheiten sind häufig extensive Interventionen zu einem späteren Zeitpunkt erforderlich. Die frühen Entwicklungswege stellen entweder ein tragfähiges oder ein fragiles Fundament dar, auf dem die Entwicklung aufbaut“ (Shonhkoff & Phillips, 2000, 384), zitiert nach Soriano (2008, 15).

Will man den Spracherwerb der Kinder im Sinne des ökosystemischen Ansatzes unterstützen, so bedeutet dies, sich der Komplexität des Vorhabens bewusst zu sein. Gleichzeitig heißt es nicht mehr und nicht weniger, als dem Kind ein entsprechendes sprachliches bzw. kommunikatives Umfeld zu schaffen, welches ihm gute Bedingungen für den aktiven Erwerb der Sprache bietet. Letztendlich erfordert Sprachförderung eine Veränderung bezüglich des sprachlichen Verhaltens. Der Erwachsene muss basierend auf entsprechendem Wissen um Entwicklungsprozesse und über Aneignungsstrategien der Kinder sein Verhalten den Kommunikationsbedürfnissen in besonderer Weise anpassen. So müssen Kommunikationssituationen für das Kind gestaltet werden, in denen es motiviert ist, Gespräche zu führen und in denen es bestimmte sprachliche Strukturformen anwenden kann und muss. Die sprachlichen Äußerungen der Erwachsenen müssen so gestaltet werden, dass die Struktur der Sprache für das Kind wahrnehmbar gestaltet wird (Motsch, 2004). Die Intensität und Qualität des Sprachangebotes muss an kindlichen Verarbeitungsstrategien und -kapazitäten sowie an den sprachlichen Fähigkeiten der Kinder anknüpfen und ihnen so eine Weiterentwicklung ermöglichen. Gelingt den Bezugspersonen eine solche Verhaltensänderung, so können sprachfördernde Potenzen in alltägliche Handlungen besser realisiert werden.

Als wesentlich für den Erfolg früher sprachlicher Förderung erscheint es, dass kindgemäße Formate und Methoden gefunden werden, um ihnen den Zugang zur Sprache individuell zu ermöglichen bzw. zu erleichtern und ihre eigenen Ressourcen zu wecken, denn Spracherwerb ist ein aktiver und dynamischer Prozess, der von jedem Kind auf individuelle Weise bewältigt wird. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass neben der Eigendynamik, die die Kinder entwickeln, das Agieren und Kommunizieren mit anderen Kindern ebenfalls ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung ist. Gerade in den spielerischen Situationen im Kindergarten lernen die Kinder sehr viel von anderen, seien es nun gleichaltrige, jüngere oder ältere Kinder, was durchaus als Katalysator angesehen werden kann. Diese lebensnahen Möglichkeiten bieten sich in Kindertagesstätten viel mehr als in den heute oft recht kleinen Familien.

Schlussfolgernd aus den Untersuchungen von Ward (1999), der die Wirkung der Elternsprache auf die sprachliche Entwicklung der Kinder nachweisen konnte, kann davon ausgegangen werden, dass eine entsprechende, bewusste und qualitativ an den Erwerbsmechanismen orientierte Gestaltung des sprachlichen Inputs durch die Erzieher eine positive Wirkung auf die Qualität des Spracherwerbs der Kinder ausübt (Girolametto et al., 1996; Bishop, 2000).

Eine optimierte Gestaltung des Inputs setzt ein entsprechendes Bewusstsein bei den Erzieherinnen voraus und erfordert eine aktive Anpassung des sprachlichen Verhaltens. Dies bedingt eine intensive Auseinandersetzung mit entsprechenden Erkenntnissen und Methoden. In Studien konnte nachgewiesen werden, dass eine entsprechende Gestaltung der sprachlichen Interaktion mit den Kindern durch die Eltern und Erzieher zu messbaren sprachlichen Fortschritten der Kinder führen kann (Ahlfeld, 2008; Buschmann et al., 2010). Voraussetzungen, um dies in einer hohen Qualität leisten zu können, sind Kenntnisse und vor allem methodisches Wissen der Erzieherinnen in Kindertagesstätten, die es erlauben, die sprachlichen Interaktionen kommunikations- und entwicklungsfördernd zu gestalten.

Dies beinhaltet eine Sicht auf den Spracherwerb, die alle Entwicklungsbedingungen der kindlichen Persönlichkeit in ihrem Umfeld einschließt.

Erzieherinnen stehen mehr und mehr in der Verantwortung, ihr Wissen entsprechend neuerer Erkenntnisse zu vernetzen und kreativ auf die sich ändernden Situationen anzuwenden. Gerade im Bereich der sprachlichen Förderung kann Alltagswissen nicht genügen, um effektive Prozesse zu gestalten und die Kinder bei der Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu unterstützen. Deshalb ist es notwendig, Erzieherinnen so weiterzubilden, dass sie sowohl über wissenschaftlich fundiertes Wissen verfügen als auch über Methoden zu dessen Umsetzung in der Praxis. Eine an den Bedürfnissen der Kinder ausgerichtete Weiterbildung für Erzieherinnen muss Wissensvermittlung, Verhaltenstraining (sprachförderndes Verhalten), Methodentraining, Entwicklung von Beobachtungskompetenz sowie die Beratung und Supervision beinhalten.

Das vorliegende Buch kann erste Schritte auf diesem Weg leisten, indem es Wissen und Methodenkenntnisse vermittelt, die Erzieherinnen und Eltern Unterstützung geben können, bei einer bewussten Gestaltung sprachlicher Interaktionen. Wenn erreicht wird, dass Bezugspersonen wacher gegenüber sprachlichen Entwicklungsprozessen von Kindern sind, so ist dies ein sehr guter Ausgangspunkt für die Förderung der Kinder.

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Ziele und Inhalte früher Sprachförderung

2.1 Frühe Sprachförderung

Wenn von früher Förderung gesprochen wird, so richten sich diese Angebote häufig an Familien mit behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindern. In das System der Frühförderung werden alle so genannten Risikokinder einbezogen. Diese Risiken können auf biologischer, mentaler, psychischer, emotionaler als auch sozialer Ebene auftreten.

Frühe Hilfen richten sich in der Regel an Kinder der Altersgruppe von 0 Jahren bis zum Schuleintritt. Sie umfassen sowohl Unterstützungsleistungen für das Kind selbst als auch für sein soziales Umfeld, dabei sowohl die Familie als auch die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen betreffend. Frühe Hilfen sind offen für alle Formen der Entwicklungsbeeinträchtigung“ (Orthmann/Bless, 2009, 16).

Häufig setzt Förderung bei bereits aufgetretenen und diagnostizierten Entwicklungsverzögerungen oder -störungen ein. Diese Art von Förderung sind im Sinne Baumgartners (2006) Maßnahmen, die sich systematisch „…, d.h. gezielt, planvoll und strukturiert auf ein definiertes Ziel“ (273) richten. „Sprachförderung verwendet lehrbare und trainierbare Maßnahmen“ (Baumgartner, 2006, 273). Sie setzen eine entsprechende Diagnose voraus und werden von Fachleuten in speziellen Einrichtungen durchgeführt. Diese Art der Intervention richtet sich nicht nur auf den rehabilitativen Bereich, sondern mehr und mehr auch auf die Prävention von Störungen.

„Die präventive Ausrichtung der Frühförderung, die sowohl vom Gesetzgeber als auch vom pädagogischen Verständnis her gewünscht und öffentlich finanziert wird, richtet sich an Kinder, bei denen negative einflussnehmende Faktoren auf die spätere kindliche Entwicklung erkennbar sind, sodass ein Entwicklungsrisiko besteht“ (Kauschke, Siegmüller, 2005, 287).

Neben dieser institutionalisierten Frühförderung sollte es aber eine Förderung geben, die alle Kinder betrifft und sie in ihrer Entwicklung unterstützt. Reich (2008) unterscheidet zwischen einer Sprachförderung im weiten Sinne als einer Förderung für alle und einer Sprachförderung im engen Sinne, die auf den Ausgleich von weniger entwickelten Fähigkeiten gerichtet ist. Es ist zu fordern, dass alle Kinder sowohl eine optimale Förderung ihrer Fähigkeiten erhalten als auch eine spezifische Förderung, wenn die Gefahr einer Entwicklungsbeeinträchtigung besteht. Beide Arten der Förderung sollten sich ergänzen. Eine Unterstützung der Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten (allgemeine sprachliche Förderung) weitet gleichzeitig den Blick auf die Sprache und ermöglicht das frühere Erkennen von Entwicklungsauffälligkeiten. Besondere Begabungen, aber auch Verzögerungen können rechtzeitig bemerkt und entsprechende spezifische Fördermaßnahmen gezielt initiiert werden.

Der allgemeinen Förderung der sprachlichen Entwicklung kommt in den Konzeptionen zur Bildung und Erziehung in Kindertagesstätten aller Bundesländer ein hoher Stellenwert zu. Allgemeine sprachliche Förderung bedeutet dabei nicht, dass ohne genaue Kenntnisse der Spracherwerbsprozesse und nur oberflächlich und unspezifisch mit den Kindern gearbeitet wird. Im Gegenteil, eine allgemeine Sprachförderung beinhaltet die gezielte Förderung aller sprachlichen Kompetenzen der Kinder entsprechend ihres Entwicklungsstandes. Der Spracherwerb vollzieht sich im Rahmen der Interaktionen des Kindes mit seiner Umwelt. In seiner engen Vernetzung mit der Gesamtheit der Reifungs- und Entwicklungsbedingungen und -vorgänge des Kindes geschieht er eingebettet in diese. Dem Kind kommt dabei eine hohe Eigenaktivität und Dynamik zu.

Frühe Sprachförderung soll hier als eine Unterstützung dieses Prozesses verstanden werden.

Frühe Sprachförderung unterstützt die Kinder beim Erwerb der Erst- oder auch Zweitsprache in ihrem Alltag. Dabei spielen solche Institutionen wie Kindertagesstätten eine besondere Bedeutung.

Alltagsintegrierte Sprachförderung soll eine auf den individuellen Fähigkeiten der Kinder basierte und handlungsorientierte Gruppenförderung sein. Sprachförderung ist dabei durchgängiges Prinzip der Gestaltung des Alltags in der Kindertagesstätte und soll nicht nur punktuell oder zu bestimmten Fördereinheiten erfolgen. So kann die Sprache der Kinder von Anfang an umfangreich gefördert werden und Auffälligkeiten werden rechtzeitig erkannt. Desgleichen kann zielgerichtet schulvorbereitend gewirkt werden. Basis einer solchen Förderung ist die Befähigung von Bezugspersonen zu einer beobachtungsbasierten und alltagsintegrierten Förderung sprachlicher Fähigkeiten von Kindern vom Krippen- bis zum Schulalter, die sich an den individuellen sprachlichen Fähigkeiten und Entwicklungsverläufen orientiert. Auf der Grundlage der Sensibilisierung von Eltern und Erzieherinnen mit Hilfe von Kenntnissen über Spracherwerbsmechanismen und -verläufe, unterstützt durch Instrumentarien zur Beobachtung der sprachlichen Fähigkeiten, sollen diese befähigt werden, alltägliche Situationen effektiver sprachfördernd zu nutzen. Insbesondere Erzieherinnen, aber auch den Eltern sollten entsprechende Sprachlehrstrategien bewusst gemacht bzw. vermittelt werden (Adler, 2006).

Sprachförderung soll systemisch aufgebaut sein. Sie orientiert sich an Meilensteinen des Spracherwerbs, an Erwerbsmechanismen und -strategien und nutzt kommunikative Kontexte des kindlichen Alltags mit Hilfe sprachfördernden Verhaltens (Anwendung von Sprachlehrstrategien und Modellierungstechniken) so aus, dass den Kindern der Erwerb der Sprache durch eine Anpassung des Inputs (Sprachangebotes) und der Situation an ihre Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten erleichtert wird.

Systemische Förderung meint ein Eingebettetsein in eine umfassende Förderung der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder innerhalb ihres Lebensumfeldes. Einzelne Entwicklungsbereiche werden dabei nicht isoliert betrachtet, sondern im Sinne eines ökologischen Ansatzes wird ihre gegenseitige Bedingtheit gesehen. Es soll ein ausgewogenes Verhältnis zwischen ihnen gestaltet werden.

Sprache muss von Anfang an gefördert werden. Die Förderung sollte dabei nicht in Form eines „Förderbades“ (Penner, 2004), sondern zielgerichtet, an den Erwerbsreihenfolgen und -mechanismen orientiert, erfolgen. Meilensteine des Spracherwerbs (siehe Kapitel 3) als wichtige Indikatoren für dessen ungestörten Verlauf geben die Schwerpunkte für die Förderung vor. Je nach Entwicklungsalter der Kinder und in Zusammenhang mit allgemeinen Voraussetzungen des Spracherwerbs ergeben sich unterschiedliche Schwerpunkte der Förderung, die in den Alltag der Kinder integriert werden sollten. Sprachförderung muss deshalb Prinzip der Arbeit im Kindergartenalltag werden und darf sich nicht auf 10 Minuten täglich reduzieren.

Das Hauptinstrument der Förderung stellt die Sprache dar, die das Kind in seinem Umfeld in unterschiedlichen Funktionen und Formen erlebt. Der Gebrauch der Sprache durch das Kind und durch die Bezugspersonen hat gleichzeitig Wissen vermittelnde Funktion und dient als Modell zur Analyse und zum Erkennen sprachlicher Phänomene und von Regeln. Die Art und Weise, wie Bezugspersonen mit der Sprache und eventuellen Fehlern der Kinder umgehen, hat einen Einfluss auf den Spracherwerb durch die Kinder. Aufgabe der Erzieherinnen und der Eltern ist es, ihre Sprache so zu gestalten, dass die Kinder die Regeln erkennen und verarbeiten können. Darüber hinaus müssen sie Gelegenheiten erhalten, sich aktiv mit der Sprache auseinanderzusetzen. Auf falsche Hypothesen, die die Kinder beim Regelerwerb bilden, müssen die Bezugspersonen so reagieren, dass die richtige Form für die Kinder erkennbar wird und dennoch die Kommunikation aufrecht erhalten bleibt. Durch eine direkte Korrektur ist dies häufig nicht zu gewährleisten und führt eher zu Frustrationen auf der Seite des Kindes und zu sprachlicher Zurückhaltung. Erwachsene haben die Aufgabe, den Kindern die zu erwerbenden Strukturen in fassbarer Form zu präsentieren. Ein häufiges Verwenden und die Anregung des Kindes, dies ebenfalls zu tun, wirkt dabei unterstützend. Auf noch unkorrekte Äußerungen der Kinder muss jeweils kommunikativ mit einer Präsentation der richtigen Form im Sinne der Modellierung (siehe Kapitel zur Förderung) reagiert werden. Sprachförderung ist demnach eine bewusste Gestaltung und gegebenenfalls Veränderung des eigenen sprachlichen oder besser kommunikativen Verhaltens, und dies vom ersten Lebenstag an.

Auch wenn die Zeit unmittelbar vor dem Schuleintritt eine sehr wichtige Phase ist, in der verstärkt Wert auf die Förderung insbesondere sprachlicher Fähigkeiten gelegt werden sollte, so reicht „Vorschulförderung“ allein nicht aus. Die für den Lernerfolg der Schule notwendigen Voraussetzungen und Fähigkeiten erwirbt das Kind nicht erst im letzten Jahr, bevor es in die Schule kommt. Es ist wichtig, den Kindern zum richtigen Zeitpunkt, also an der Entwicklungslogik orientiert, Anregungen und Unterstützung für ihre Entwicklung zu geben. Nur so wird erreicht, dass Fähigkeiten und Kenntnisse alters- oder besser entwicklungsgerecht erworben werden und sich gut entfalten können. Gleichzeitig werden bei der Beachtung von Erwerbssequenzen Verzögerungen deutlich, denen dann rechtzeitig durch weitere unterstützende Maßnahmen begegnet werden kann.

Alltagsintegrierte Förderung soll eine Unterstützung der Entwicklung aller Kinder durch geeignete Anregungen und Methoden sein. Bei auftretenden Schwierigkeiten und Verzögerungen muss diese durch eine intensivere, meist von Fachleuten gewährleistete Förderung ergänzt werden.

2.2 Ziele früher sprachlicher Förderung

Entsprechend des Verständnisses von alltagsintegrierter Sprachförderung als einer Förderung sprachlicher Kompetenzen im weiten Sinne ist es ein grundlegendes Ziel dieser, das Kind beim Erwerb seiner Muttersprache zu unterstützen und zu begleiten. Dies gilt sowohl für Kinder, die in ihrer sprachlichen Entwicklung noch nicht so weit vorangeschritten sind, als auch für solche, die ihren Altersgefährten weit voraus sind. Es geht nicht darum, spezifische Therapien oder Förderungen anzuwenden. Mit Hilfe sprachfördernden Verhaltens sollen die folgenden grundlegenden Ziele erreicht werden:

Ziele früher sprachlicher Förderung

Es geht darum, eine Ausgewogenheit in der Entwicklung der Kinder zu erreichen und keine „Inselkenntnisse und -fähigkeiten“ zu entwickeln, wie dies durch das Training isolierter Fähigkeiten geschieht. Die Aufgabe alltagsintegrierter Sprachförderung soll die Unterstützung des Spracherwerbs des Kindes sein, es soll ihn durch geeignete Verhaltensweisen und das Schaffen günstiger Bedingungen in Gang setzen oder halten und mit Blick auf die kommenden Entwicklungsschritte weiterentwickeln. So können Verzögerungen bzw. Schwierigkeiten rechtzeitig erkannt und gegebenenfalls abgewendet werden. Alltagsintegrierte Sprachförderung soll eine Entwicklungsförderung für alle sein, möglichen Schwierigkeiten vorbeugen sowie bestehende Beeinträchtigungen nach Möglichkeit und in Zusammenarbeit mit einer spezifischen Förderung durch Fachpersonal minimieren.

Aufgaben, die sich aus dieser Zielstellung ergeben sind:

  1. Sensibilisierung von Erzieherinnen und Eltern
    • Bewusstmachen von Sprachlehrstrategien
    • Vermitteln von Kenntnissen über den Spracherwerb
    • Bereitstellen von Hilfen
  2. Wecken der Entwicklungsressourcen der Kinder
    • Schaffen günstiger Bedingungen für den Erwerb der Sprache
    • Sprache in „echten“ Kommunikationssituationen für Kinder erleb- und wahrnehmbar machen
    • Förderung der sprachlichen Fähigkeiten von Kleinkindern, Kindergartenkindern und Vorschulkindern
  3. Prävention und Früherkennung von Sprachentwicklungsauffälligkeiten
    • Früherkennung von Auffälligkeiten bzw. starken Verzögerungen in der Sprachentwicklung, die die Ausbildung einer Sprachentwicklungsstörung implizieren könnten und Einleitung entsprechender Maßnahmen zur Betreuung durch entsprechende institutionelle Frühfördereinrichtungen bzw. Therapien
    • Prävention von Entwicklungsverzögerungen mit Hilfe sprachfördernder Maßnahmen auf der Grundlage strukturierter Beobachtungen
    • Schaffen günstigerer Bedingungen für benachteiligte Kinder und für Kinder mit Migrationshintergrund
  4. Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten, die für den späteren Lernerfolg relevant sind
    • Entwicklung sprachlicher Kompetenzen bezüglich des Verstehens und der Produktion, die einen souveränen Umgang mit der Sprache erlauben
    • Schaffen von Möglichkeiten zur Gewinnung von Erkenntnissen über die Schriftsprache (Literacy-Erziehung)
    • Anregung zur Auseinandersetzung mit der Sprache (Metasprachliche Fähigkeiten).

Diese Aufgaben beziehen sich auf spezifisch sprachliche Aspekte. Bezüglich der Entwicklung schulrelevanter Fähigkeiten sind diese nur ein Teil der zu erwerbenden Fähigkeiten und Kenntnisse, wenn auch ein sehr wesentlicher.

Auf der Ausführungsebene der Sprache kommt es darauf an, die Kinder zu befähigen, sich sprachlich gewandt ausdrücken zu können. Sie sollen die Formen des Erzählens, des Berichtens und des Gesprächs beherrschen. Zum Schuleintritt beherrschen die Kinder ihre Muttersprache bezüglich der Aussprache, eines altersentsprechenden Wortschatzes, der richtigen Anwendung der Grammatik und dem Verstehen von Sprache (mehrteilige Anweisungen, kleinere Texte usw.).

Die Kinder sollten darüber hinaus ausreichend Vorerfahrungen mit der Schriftsprache haben. Ihnen sollte die Bedeutung der schriftlichen Kommunikation im täglichen Leben deutlich geworden sein. Sie sind mit Symbolen und Zeichen vertraut und können Schrift als solche identifizieren. Die Kinder erkennen erste schriftsprachliche Konventionen (siehe Kapitel zu Literacy-Erziehung).

Metasprachliche Fähigkeiten beinhalten alle Fähigkeiten der Auseinandersetzung mit der Form und der Funktion der Sprache. Dies betrifft einerseits die Ausführungsfunktionen, wie die Aussprache, die Wortwahl, die grammatische Struktur, die Ausdrucksgestaltung sowie die stimmliche Gestaltung. Andererseits beinhaltet es die Auseinandersetzung mit der Sprache an sich. Das Erkennen lautlicher Strukturen der Sprache (Phonologische Bewusstheit), das Erkennen der Aufbauprinzipien der Wörter und die bewusste Auseinandersetzung mit grammatischen Strukturen.

Bis zum sechsten Lebensjahr entwickeln sich die Kinder zu kompetenten Sprachbenutzern, die in der Lage sind, ihre Muttersprache zielbringend und effektiv anzuwenden.

2.3 Prinzipien früher sprachlicher Förderung

Sprachförderung beginnt genau betrachtet bereits in dem Augenblick, wenn das Kind hören kann, also eigentlich schon im Mutterleib. Ist das Kind geboren, so wird es in die Gemeinschaft der Familie einbezogen und damit in die Kommunikation. Will man Kinder beim Spracherwerb unterstützen, so kann man orientiert am natürlichen Kommunikationsverhalten individuell auf jedes Kind und seine Bedürfnisse eingehen und damit seine Eigenaktivität beim Spracherwerb anregen.

Die Sprachförderung folgt neben den allgemeinen didaktischen Prinzipien der Arbeit mit sehr jungen Kindern den folgenden spezifischen Prinzipien (Adler 2007).

Prinzipien der Förderung:

Sprachliche Förderung beginnt vom ersten Lebenstag des Kindes an. Bereits kurz nach der Geburt besitzen die Kinder Fähigkeiten, die sie in die Lage versetzen, Sprache aufzunehmen und zu verarbeiten. Ein wesentliches Bedürfnis des Kindes ist es, Kontakt zu seiner Umwelt aufzunehmen, mit ihr zu kommunizieren. Der Spracherwerb ist ein eigenaktiver Vorgang, der aber der Anregungen aus der Umwelt, der Interaktion und Kommunikation bedarf. Bruner (1987) sagt sinngemäß, dass das Kind einen sich bereitwillig auf seine Bedürfnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten einstellenden Erwachsenen benötigt, um in Interaktionen mit ihm die Sprache zu erwerben.

Die Schwerpunkte sprachlicher Förderung sind dabei je nach Entwicklungsalter des Kindes unterschiedlich. Geht es anfangs darum, die Wahrnehmung des Kindes auf sprachliche Prozesse zu lenken und mithilfe der Prosodie und Rhythmisierung der Sprache die kategoriale Sprachwahrnehmung zu unterstützen, so werden schon bald in Lalldialogen artikulatorische Fähigkeiten geschult und weiterentwickelt. Natürliche Sprachlehrstrategien, die sich in der linguistischen Struktur (Papoušek, 1995) der mütterlichen (oder auch väterlichen) Sprache, in der Prosodie, in Wiederholungen, also in einer Anpassung des Sprachangebots an die Verarbeitungsmöglichkeiten des Kindes zeigen, helfen ihm Schritt für Schritt seine Muttersprache zu erwerben. Diese Strategien werden in ähnlicher Form, der kognitiven Entwicklung der Kinder angepasst, auch in der Sprachförderung angewandt. Für einige Kinder ist die Intensivierung solcher Kommunikationsformen notwendig, da sie mehr „Input“ benötigen als andere.

Um Begriffe in ihrem vollen Umfang zu erfassen, müssen Kinder sie im wahrsten Sinne des Wortes begreifen, sie in vielfältigen Verknüpfungen erleben. Sie müssen erkennen, dass das Wort eine abstrakte Form ist, mit dessen Hilfe ich mich über einen Gegenstand unterhalten kann. Ein wichtiger Punkt in der frühen Förderung ist deshalb die Aufmerksamkeitsfokussierung und die Triangulierung (Zollinger, 1996). Die Kinder lernen in der Interaktion und Kommunikation, sich auf einen Partner zu konzentrieren und später die Aufmerksamkeit gemeinsam mit dem Partner auf einen Gegenstand zu richten. Insbesondere abstrakte Begriffe und grammatische Strukturen kann das Kind dabei hauptsächlich in Handlungen erwerben. Dies tut es nicht etwa, um die Grammatik zu erwerben oder einen möglichst großen Wortschatz zu haben. Davon wissen kleine Kinder noch zu wenig. Für die Kinder ist dieses Wissen und Können notwendig, um ihre Bedürfnisse besser befriedigen zu können, um ihre Kommunikation zu optimieren. Sie bilden dabei entsprechende Hypothesen über das Funktionieren der Sprache und werden mit immer größer werdender Selbstständigkeit und entsprechend entwickelten kognitiven Strukturen immer souveräner mit Sprache umgehen lernen. Um dies aber zu erreichen, benötigen Sie Partner, die ihnen helfen, in die Sprache einzudringen, mit denen sie sich ausprobieren und messen können.

Die persönliche Ansprache der Kinder durch die Erwachsenen regt die Kinder zur Sprachbenutzung an. Sie erhalten ein kompetentes Sprachmodell. In den Gesprächen mit den Erwachsenen bekommen sie vielfältige Rückmeldungen über ihre eigene Sprache. Sehr wichtig für die Kinder ist es, dass in der Kommunikation mit dem vertrauten Erwachsenen weniger Missverständnisse und Frustrationen auftreten als mit Fremden oder gleichaltrigen Kindern, weil dieser dem Kind stets eine Absicht unterstellt und bemüht ist, das Kind in der Situation zu verstehen, was ihm durch seine Vertrautheit mit ihm und dem Willen besser möglich ist. Es hat sich gezeigt, dass Kinder sehr positiv auf verbale und nonverbale Aktionen der Erzieherinnen oder Eltern (Adler, 2010; Buschmann et al., 2010) mit eigenen Sprachproduktionen reagieren.

Diese sprachlichen Anregungen sollten die bereits erworbenen Fähigkeiten der Kinder beachten. Unterforderungen und evtl. daraus resultierende Stagnationen in der Entwicklung kann durch Anforderungen, die sich etwas über dem bisher erreichten Niveau der Kinder bewegen (Zone der nächsten Entwicklung), begegnet werden. Innerhalb gewohnter Handlungen und an den Interessen der Kinder orientiert kann sich die Effektivität sprachlicher Anregungen erhöhen. Interessegeleitetes Handeln verbessert die Aufmerksamkeit ebenso wie es die Konzentrationsspanne verlängern kann. Mit Hilfe der erhöhten emotionalen Beteiligung und der verbesserten Aufmerksamkeit kann die Verarbeitungswahrscheinlichkeit sprachlicher Strukturen sowie der Behaltenseffekt beim Erwerb von Wörtern und Regeln erhöht werden (Nutzung spezieller Fähigkeiten, Interessen und Vorlieben der Kinder – vgl. auch Motsch, 2004). Künstliche Lern- und Übungssituationen ohne Handlungsbezug können dies nicht leisten.

Die Nutzung und Aktivierung der sprachlichen Interaktionen im Alltag der Kinder bieten viele Potenzen. Beim Sprechen untereinander sind sie gezwungen, sich exakter auszudrücken, als im Gespräch mit Erwachsenen, da jüngere Kinder den Perspektivwechsel noch nicht bewältigen können und somit Missverständnisse nicht selbstständig durch Antizipation einer Absicht und der dazugehörigen sprachlichen Form beseitigen können. Kinder untereinander begegnen sich auf relativ gleichem Niveau. Sie sind dementsprechend häufig nicht in der Lage, auf die Fehler des anderen so zu reagieren, dass sie ihn trotz unvollständiger Sprache verstehen. Andererseits sind ihre Denkstrukturen ähnlich, so dass sie wiederum manche Gedankengänge und Absichten des anderen aus der Situation heraus verstehen lernen. Für eine gelingende Kommunikation der Kinder untereinander ist deren sozialer Entwicklungsstand entscheidend. Frustrationen können auftreten, die dazu führen, dass die Kinder sowohl sprachliche als auch emotionale Bewältigungsstrategien entwickeln. Im gemeinsamen Handeln richten die Kinder ihre Aufmerksamkeit auch auf die Sprache der anderen. Sie wollen eine Verständigung und Interaktion mit den anderen und dabei wollen sie ihnen auch möglichst ähnlich, ebenbürtig oder gleich sein. Im Vergleich mit den anderen richten sie bereits mit drei Jahren ihr Augenmerk auf sprachliches Können. Die emotionale Nähe der Kinder untereinander verstärkt den Modellcharakter von deren Sprache. Es kommt zu Nachahmungen und Angleichungen an die Sprache der anderen Kinder, so dass durchaus Synergie-Effekte in der Kindergruppe entstehen können.

Mit der frühen sprachlichen Förderung soll die sprachliche Umgebung des Kindes so gestaltet werden, dass alle Kinder ihr Entwicklungspotential möglichst optimal ausschöpfen können und Benachteiligungen minimiert oder gar ausgeschaltet werden können.

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Der Spracherwerb des Kindes

3.1 Grundlagen des Spracherwerbs

Was bewegt Kinder, eine Sprache (oder auch eine zweite) zu erwerben? Es wird kein Kind geben, welches es sich bewusst zum Ziel setzt, die Sprache seiner Umgebung zu lernen. Vielmehr erwerben die Kinder ihre Sprache, indem sie mit ihr umgehen lernen und sie als ein effektives Mittel zur Kontaktaufnahme erkennen. Sie erleben,

Sie erleben,

Dies und noch weitaus mehr sind Triebfedern der Entwicklung der Sprache bei den Kindern.

Aus der Beobachtung heraus scheint ihr Erwerb mühelos und fast wie nebenbei zu geschehen. Doch wenn wir uns den Prozess genauer ansehen, so verläuft er über mehrere Jahre. Dabei kann man bei jedem Kind in etwa die gleichen Phasen und Mechanismen des Erwerbs erleben. Der Großteil der Kinder meistert den Spracherwerb rasch und mit großem Erfolg. Das Kind erwirbt scheinbar seine Sprache, so wie es auch laufen lernt oder allein zu essen und vieles andere mehr. Die meisten Menschen nehmen die Auseinandersetzung der Kinder mit ihrer Muttersprache nur flüchtig oder anhand einiger weniger lustiger Episoden war. Die Fehler oder besser Abweichungen vom Gebrauch der Sprache durch die Erwachsenen, die die Kinder zu Beginn noch produzieren, scheinen rasch zu verschwinden und meist nehmen die Erwachsenen an, es sei einfach ihr Vorbild, was die Kinder letztendlich zu ihrer eigenen und vor allem korrekten Sprache bringt. Aber der Spracherwerb ist ein sehr komplexer Prozess, der sich nicht einfach in drei Sätzen definieren lässt. Dennoch soll im Folgenden dargestellt werden, wie er eingebettet in das Entwicklungsgeschehen des Kindes gesehen werden kann.

Betrachtet man den Erwerb der Sprache durch das Kind, so muss deshalb stets die Gesamtheit seiner Entwicklung und deren Bedingungen betrachtet werden. Vielfältige Zusammenhänge mit anderen Entwicklungsbereichen und den äußeren Bedingungen sind zu beachten.

Zunächst hat der Erwerb der Sprache eine biologische Basis. Das Kind ist von Beginn an anatomisch, physiologisch so ausgestattet, dass es zum Gebrauch der Sprache fähig wird. Dabei kann es zum Teil auf sehr frühe Fähigkeiten zurückgreifen, andere müssen sich erst noch entwickeln. Spracherwerb ist auf das Engste mit der körperlichen, geistigen und sozialemotionalen Entwicklung verknüpft. Vom ersten Lebenstag an sprechen Erwachsene mit Babys, obwohl sie wissen, dass diese noch nicht antworten können, und es nicht klar ist, ob, wie und was genau die Kinder verstehen. Miteinander zu kommunizieren ist uns ein Grundbedürfnis. Ebenfalls von der ersten Minute des Lebens an senden Babys Signale, um ihre Bedürfnisse einem anderen Menschen, meist der Mutter, mitzuteilen. Die Bezugspersonen verstehen diese Zeichen und reagieren darauf – zumeist mit Sprache. Die Erwachsenen sprechen dabei in einer ganz besonderen Weise mit Kleinstkindern. Sie erhöhen ihre Stimmlage, sprechen sehr melodiös und in kurzen deutlichen Sätzen. Dabei wiederholen sie das Gesagte häufig. Mit diesem Verhalten reagieren sie auf die Wahrnehmungsfähigkeiten und die Wahrnehmungsbedürfnisse des Kindes. Gleichzeitig werden hierbei erste kommunikative Routinen erprobt und erworben. Das Kind erfährt, dass auf seine Zeichen reagiert wird, und reagiert desgleichen auf den Partner. Die Aufmerksamkeit des Kindes für Sprache wird ausgenutzt und stetig vertieft, denn Kompetenzen des Säuglings bezüglich der Sprache und ihrer Wahrnehmung zeigen sich sehr früh in der Entwicklung. Das Kind wendet sich bei Geräuschen bevorzugt denen der Sprache zu. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um Sprache differenziert wahrzunehmen und sich ihren Strukturen zuwenden zu können.

Eine wichtige Fähigkeit der Neugeboren ist es, dass sie Intonationsstrukturen (Melodie der Sprache) wahrnehmen können. Dieser Fähigkeit ist es zu verdanken, dass sie die Muttersprache von anderen Sprachen bereits kurz nach der Geburt unterscheiden können (Dittmann 2006). Gleichzeitig ist dies eine grundlegende Voraussetzung, um die eigene Muttersprache genauer wahrnehmen und analysieren zu lernen. Werden zunächst größere Einheiten und vor allem emotionale Inhalte wahrgenommen, so werden diese Fähigkeiten später genutzt, um Sätze oder auch bereits erste Wörter als Einheiten zu erkennen. Häufig wiederkehrende Strukturen (Wörter) werden erkannt und erhalten eine Signalwirkung.

Mit der Absenkung des Kehlkopfes im 4. bis 6. Lebensmonat wird es den Kindern möglich, ihre Stimme gezielter zu gebrauchen. Diese neu gewonnenen Fähigkeiten zur Lautproduktion werden von ihnen übend genutzt. Mit unterschiedlichen „Krählauten“ probieren die Kinder das Zusammenspiel ihrer Artikulationsorgane. Ihnen wird mehr und mehr bewusst, dass diese Geräusche durch ganz bestimmte Bewegungen ihrer Artikulationsorgane zustande kommen. Die unterschiedlichen Wahrnehmungen werden miteinander in Einklang gebracht. Ein kompliziertes Zusammenspiel von Ausatmung, Bewegungen des Unterkiefers und feinster Einstellungen durch die Zungenmuskulatur nimmt seinen Anfang. Verbunden wird dies mit der Wahrnehmung von Geräuschen. Das Kind bringt die propriozeptiven und kinästhetischen Wahrnehmungen im Mundbereich, die Steuerung der Ausatmung und die dabei wahrgenommenen Geräusche in Einklang. Es integriert diese Wahrnehmungen und stellt Verbindungen zwischen dem Gehörten und bestimmten Körperwahrnehmungen im Mundbereich dar. So lernen Kinder Schritt für Schritt, wie und dass sie willentlich Laute hervorbringen können. Sich mehr und mehr verfestigende Verbindungen für Bewegungsabläufe, die bestimmte Geräusche bzw. Laute hervorbringen, etablieren sich. Bewegungsmuster werden nach und nach abgespeichert. Es bildet sich eine starke Kontrolle dieser Lautproduktionen über das Gehör heraus, so dass Bewegungsvorstellungen auf der Grundlage von gehörten Lautverbindungen entstehen, die wiederum grundlegend für die Fähigkeit, zur Aussprache von Wörtern sind. So entwickeln Kinder immer mehr die Fähigkeit, zunächst Laute und Lautkombinationen aus dem Sprachangebot der Umgebung wiederzugeben, bis sie schließlich in der Lage sind, die Wörter hörend zu erfassen und dann auf der Grundlage der erworbenen Fähigkeiten ebenfalls auszusprechen. Welche Schwierigkeiten dabei auftreten, darauf wird später noch eingegangen werden.

Der Erwerb der Aussprache und spezieller Laute wird durch die frühe Fähigkeit zur kategorialen Wahrnehmung (bereits mit einem Monat) unterstützt. So können Säuglinge schon sehr zeitig so geringe Unterschiede wie zwischen /p/ und /b/ wahrnehmen (Dittmann, 2006). Sie nehmen dabei zunächst Kontraste wahr. Im Alter von 6–8 Monaten werden von den Kindern noch eine Vielzahl von Unterschieden wahrgenommen und sie können gleichzeitig sehr verschiedenartige Laute produzieren. Kinder auf der ganzen Welt lallen bis zu diesem Zeitpunkt in etwa gleich. Doch sie beginnen bereits mit einer Spezialisierung auf die von ihnen wahrgenommene Sprache. Sie lernen ihre Lauthervorbringung bewusster zu gestalten. Dabei nimmt die Kontrolle über das Gehör eine hervorragende Rolle ein. Kinder, die diese Rückkopplungsfähigkeiten nicht ausreichend gut entwickeln, haben Schwierigkeiten bei der exakten Bildung der Laute. Bei eingeschränkten Fähigkeiten des Gehörs kann es dazu führen, dass Laute nicht richtig wahrgenommen und gebildet werden oder dass das Kind sogar aufhört zu lallen. Durch die dann fehlende akustische Rückkopplung kommt es nicht zur Differenzierung der Lalllaute wie bei den hörenden Kindern.

Ab etwa dem 6.–8. Lebensmonat werden mehr und mehr Laute und Lautverbindungen beim Lallen produziert, die sich der Sprache der Umgebung angleichen. Es wird davon ausgegangen, dass auch die Intonationsstrukturen (Sprachmelodie) der Muttersprache sich in den Lallmonologen der Kinder wieder finden.

Das Kind schränkt seine produktiven Fähigkeiten aber auch seine Wahrnehmungsfähigkeiten auf die eigene Sprache ein. Dieser Spezialisierungsprozess hilft ihm im weiteren Spracherwerbsprozess, sich auf die wesentlichen Komponenten der eigenen Sprache zu konzentrieren.

Dies geht einher mit einer Ausdifferenzierung des Gehirns (Papoušek 1995, 24/25) und einer neuronalen Reifung. Das Hirngewicht nimmt im ersten Lebensjahr stark zu. Diese Prozesse erlauben dem Kind, in Interaktionen mit seiner Umwelt Wahrnehmungen unterschiedlichster Art immer besser miteinander in Beziehung zu setzen, zu verknüpfen und Lernprozesse zu aktivieren, die wiederum zu wichtigen „Verschaltungen“ im Gehirn führen.

Die stetigen „Dialoge“ mit den Bezugspersonen gestatten dem Kind eine immer bessere Wahrnehmung der Funktion und der Form der Sprache. Bereits 2–4 Tage alte Säuglinge können die Stimme der Mutter erkennen. Dies beweist nicht nur, dass sich bereits pränatal Fähigkeiten der Hörwahrnehmung entwickelt haben (denn die Stimme des Vaters wird nicht gleichermaßen schnell erkannt), sondern verschafft den Kindern auch die notwendige Vertrautheit, mit der sie erste Beziehungen aufbauen können. Verbunden mit der Bevorzugung menschlicher Stimmen und der Sprache sind gute Voraussetzungen geschaffen, das Kind auf Sprache aufmerksam zu machen. Es entstehen so genannte dyadische Wechselbeziehungen (Papoušek, 1995) zu den Bezugspersonen, die es dem Kind mehr und mehr ermöglichen, seine Aufmerksamkeit dem Gesprächspartner und dem „Gespräch“ zuzuwenden. Diese Aufmerksamkeitsfokussierung ist eine Grundbedingung für gelingende Kommunikation und letztendlich auch für den Erwerb der sprachlichen Strukturen.

Spracherwerb ist aufs Engste in die sozial-emotionale Entwicklung des Kindes eingebettet. Emotionale Zuwendung kann als Verstärker von Entwicklungsprozessen dienen. Mit Hilfe der Sprache (allerdings nicht nur durch sie allein) werden nicht nur emotionale Botschaften vermittelt, sondern sie gestattet auch einen Einblick in psychische Befindlichkeiten des sich Äußernden.