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edition lichtland

© edition Lichtland

edition Lichtland
Stadtplatz 4, 94078 Freyung
Deutschland

Umschlaggestaltung: Edith Döringer
Hintergrundbild: Eky Studio/Shutterstock.com
Satz: Melanie Lehner

1. Auflage 2014
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

eISBN: 978-3-942509-76-3
ISBN der gebundenen Ausgabe: 978-3-942509-37-4
www.lichtland.eu

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Für meine Muz, weil sie mich immer unterstützt, mir die Welt der Bücher schmackhaft gemacht und mich auch als Kaktus lieb hat.

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Vorwort

… folgt ein Gefühl, das traurig und süchtig zugleich macht
Der Geruch von dir war meine Heimat
Deine wahren Lügen, deine andere Ansicht
Dein Blickwinkel, scharfes Blau, das mich anblitzt
Dein Muttermal auf dem linken Schulterblatt
Das, was du zu mir sagtest, was ich erduldet hab
Das, was ich zu dir sagte, was du verziehen hast
Die schlafende Welt der Nacht war unser Spielplatz

aus Laura von Prinz Pi

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Der Wecker piepste und holte mich unsanft aus der Traumwelt zurück. Verschlafen blinzelte ich hoch ins Licht. 5:30?! So früh stand ich immer auf, brauchte heute aber mindestens noch zwanzig Minuten, um wach zu werden. Da erst fiel mir ein, dass ich gestern vergessen hatte, den Wecker auszustellen, obwohl ich ihn die nächsten sechs Wochen nicht mehr brauchen würde. Sommerferien! Das Wort der Freiheit, wenn der letzte Schultag anfängt, und der Sehnsucht, wenn es grad mal Weihnachten ist. Die schönste Zeit des Jahres und der einzige Grund, aus dem es sich lohnt, in die Irrenanstalt zu gehen, die sie uns als Bildungsstätte Schule verkaufen wollen. Lächelnd schaltete ich den Wecker aus und drehte mich noch mal um. Der Sommer würde noch ein paar Stunden auf mich warten müssen. Ich dachte daran, wie meine Mädels und ich uns gestern verabschiedet hatten, und daran, dass meine beste Freundin und ich heute den Sommer mit einem schönen Picknick und einer ordentlichen Wasserschlacht beginnen würden. Mit einem Lächeln auf den Lippen und diesem Gedanken im Kopf schlief ich erneut ein.

Fünf Stunden später stand ich endlich auf und stolperte ins Bad, wobei ich vermied, meiner Katze, die wie jeden Morgen aufgeweckt um meine Füße tänzelte, auf die Pfoten zu treten. Ich versuchte mich einigermaßen ordentlich hinzubekommen und mich so aussehen zulassen, als ob mir der geilste Sommer überhaupt bevorstand. Beim Blick in den Spiegel fiel mir automatisch die kleine Kritzelei an der oberen Spiegelseite ins Auge: „Denk nicht mal dran, dich zu kritisieren, du bist schön, so wie du bist, Maya!“ Meine beste Freundin Alice hatte die Worte geschrieben, als sie das letzte Mal bei mir übernachtet hatte, und bei jedem erneuten Lesen hoben sie meine Laune an. Aber die wunderschöne Alice hatte da leicht reden, schließlich zählte sie trotz ihres düsteren Styles zu den schönsten Mädchen der Schule. Grade durch unseren Style unterschieden wir uns, aber auch unabhängig davon sahen wir uns nicht sonderlich ähnlich. Während ich kurze, straßenköterblonde und glatte Haare hatte, hatte sie feuerrote wilde Locken, die sich weigerten, von einem Kamm oder Gummi gebändigt zu werden, und ihr weit über die Schultern hinabgingen. Ihre auffällige Haarpracht hob sich wundervoll von ihren durchgehend schwarzen Outfits ab. Ihre Augen waren von einem so feurigen Braun, dass sich schon manch einer darin verloren hat. Meine jedoch hatten sich für ein verwaschendes Dunkelgrün entschieden. Sie hatte wunderschön geschwungene Lippen, ich dagegen einen furchtbar kleinen und schmalen Mund. Alles in allem fand ich Alice tausendmal hübscher als mich, versuchte aber, mir ihren Rat zu Herzen zu nehmen und mich nicht zu kritisieren.

Nachdem ich geduscht hatte, meine Haare halbwegs so lagen, wie sie sollten, und ich meine Lieblingshose und das schöne neue lila Oberteil angezogen hatte, gefiel ich mir auch tatsächlich schon viel besser. Freudig vor mich hin summend ging ich ins Esszimmer, knuddelte unterwegs noch meine Katze Amicelli und freute mich wie irre auf den Tag, denn Alice würde mich nachher mit ihrem Roller abholen und wir würden einen schönen Ausflug ins Blaue machen. Der perfekte Ferienbeginn. Während ich mein Nutellabrot strich und ein paar Orangen suchte, die ich zu Saft verarbeiten konnte, dachte ich schmunzelnd daran, wie es mit mir und Alice damals begonnen hatte …

Es begann alles am ersten Tag im zweiten Halbjahr der 6. Klasse. Ich war aufgeregt, da ich nicht wusste, wie die neuen Kids auf eine Streberin reagieren würden. In meinen vorherigen Schulen hatte man mich entweder als Mauerblümchen übersehen oder als Freak mit Missachtung und Getuschel gestraft. Meine Sorge war allerdings völlig unbegründet, wie sich herausstellte. Denn im Bus ignorierten mich erst mal alle. Genauer gesagt bemerkten die wenigsten, dass da jemand Neues eingestiegen war, denn ich versuchte so unauffällig wie nur irgendwie möglich zu sein. Ich zog es vor, mich mit meinem Handy und meinen Lieblingsliedern auf irgendeine Sitzbank zu verdrücken. Dadurch übersah ich das rothaarige Mädchen drei Reihen hinter mir. Alice. Sie war eine der wenigen, die gleich am ersten Morgen gesehen hatten, dass da jemand Neues mitfuhr. Doch erst mal war ihr das egal. Erst zwei Tage später, als mich der Busfahrer nach meinem Namen fragte und ich ihm „Maya“ als Antwort gab, weckte ich damit das Interesse des Mädchens, welches mich mittags auch gleich darauf ansprach. Ich erklärte ihr und den anderen neugierigen Zuhörern, die sich um uns gesammelt hatten, die Herkunft meines Namens, den meine von Südamerika begeisterte Mutter ausgesucht hatte. Und als ich Alice zum ersten Mal in die Augen sah, wusste ich, dass ich meine beste Freundin vor mir hatte …

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, dass meine Eltern in die Küche gekommen waren und sich ihre morgendlichen Kaffee zubereiteten. Über ihr nach fast sechzehn Jahren immer noch so verliebtes Verhalten freute ich mich immer wieder, denn nichts auf der Welt machte mich glücklicher, als der wahren Liebe zuzusehen. Auch wenn ich in dieser Hinsicht noch relativ wenig Erfahrung hatte, im Gegensatz zu meinen Freundinnen. Doch das störte mich nicht, denn ich wollte auf meine ganz große Liebe warten und nicht auf irgendeinen Vollidioten. Außerdem würde sich in diesem Sommer sowieso alles ändern, denn David, mein bester Freund und Alice’ Nachbar, hatte sie und mich zu einer Gartenfeier eingeladen. Und an dem Abend würde ich ihm sagen, was ich für ihn empfand. Denn das war schon seit längerer Zeit so viel mehr als nur normale Freundschaft. Ich kannte zwar so einige Jungs, die nett waren, aber keiner war so wie David. Vor allem konnte ich mit niemandem so wunderbar diskutieren wie mit ihm und kein anderer akzeptierte mich so wie er. Und nachdem ich ihn nun seit Wochen heimlich anschmachtete, wollte ich ihm auf besagter Gartenparty endlich sagen, was Sache war. So war jedenfalls mein Plan und schon allein bei dem Gedanken flogen die Schmetterlinge, die seit einem halben Jahr in meinem Bauch wohnten, Saltos und meine Welt erschien mir rosarot.

„Guten Morgen Maya, na, gut geschlafen? Was hast du heut so vor? Ach ja richtig, Alice kommt ja nachher und ihr fahrt an die Donau“, quasselte meine Mama munter drauflos. Sie war ein so unglaublich lebensfroher Mensch, dass sie vor Energie immer regelrecht zu strotzen schien. Trotz ihrer quirligen Art war sie für mich immer wie ein Fels in der Brandung. Egal was ich anstellte und egal wie bescheuert ich mich benahm – sie war immer für mich da. „Jep, Alice holt mich in ner knappen Stunde ab, und mal schauen, wo wir hinfahren. Vielleicht kommt Marlon noch mit.“ Ich hoffte innerlich, dass dem nicht so sein würde, denn eigentlich hatte ich mir einen schönen Mädelstag erhofft. Doch höchstwahrscheinlich würde daraus nichts werden, denn nachdem Marlon und Alice nach ihrem Beziehungsaus wieder zusammengekommen waren, traf man sie nur noch selten allein an. Meine Eltern hatten sich schon wieder abgewendet, um sich im neusten Otto-Katalog die Sommermode anzusehen. Seufzend räumte ich ab und ging in mein Zimmer, um meine Tasche zu packen. Mein Zimmer war ziemlich farbenfroh eingerichtet, aber am besten gefiel mir meine Erinnerungswand. Die Idee hatte ich aus irgendeinem Buch und sofort in die Tat umgesetzt. Wenn mir jemand eine Postkarte schickte oder irgendwas bastelte, hängte ich es an die Wand. In dem halben Jahr, das es die Wand nun schon gab, ist sie zu einem bunten Mosaik geworden, doch in der Mitte thronte die Riesenfotocollage, die mir Alice nachträglich zum Zweijährigen geschenkt hatte. Sie war mein ganzer Stolz, da sie die schönsten, chaotischsten und bedeutendsten Momente unsere Freundschaft festhielt. Ich musste daran denken, wie sie mir die Collage überreicht hatte und wie ich vor Freude tatsächlich angefangen hatte zu heulen. Alice war so anders als ich, so cool und voller Leben, dass ich es nach zwei Jahren immer noch nicht hatte glauben können, dass dieses Mädchen ausgerechnet MICH als beste Freundin ausgewählt hatte. Doch mit dem Überreichen dieser Collage waren die Zweifel vollends verschwunden. Ja, das damals war ein definitiv guter Tag gewesen und heute würde eine wundervolle Erinnerung hinzukommen, da war ich mir sicher.

Überraschend pünktlich hörte ich kurz nach 12 Uhr Alice’ Roller in unsere Straße rattern und schnappte mir meine Tasche, während ich mich von meinen Ellis verabschiedete. „Ciao ihr beiden, bis morgen und genießt den Sommertag!“, rief ich, während ich schon längst aus der Tür spazierte, so begierig darauf, endlich mit dem perfekten Sommer zu beginnen. Ich freute mich schon seit Wochen auf den heutigen Tag, da ich nach unserem Ausflug bei Alice übernachten würde, und unsere Übernachtungen hatten es echt in sich. Ihre Eltern waren heut nicht da, ihre beiden Geschwister waren okay und alles in allem freute ich mich wahnsinnig auf die Lachanfälle, die Endlosunterhaltungen und die Filme. „Hey Maya. Na, bereit?“, empfing sie mich mit demselben strahlenden Lächeln, das sie immer aufsetzte, wenn sie sich über irgendetwas riesig freute. Genau so strahlend fiel ich ihr um den Hals und drückte ihr erst mal zwei Bussis auf die Wangen. Doch nach der anfänglichen Freude musterte ich wie immer voller Zweifel ihren fahrenden Untersatz, den sie mir allen Ernstes als Roller verkaufen wollte. Für mich war diese Maschine immer noch tödlich, doch hatte ich genauso wenig Lust, mit meinem Fahrrad neben ihr herzufahren, also nahm ich seufzend ihren Beifahrerhelm entgegen, den sie mir nun mit selbstsicherem Gesichtsausdruck hinhielt. Sie wusste, was mir grade durch den Kopf ging, hatte es aber aufgegeben, mir ins Gewissen zu reden, und nahm es jedes Mal wieder mit demselben spöttischen Blick in Kauf, dass ich in Gedanken abwog, ob es nicht sicherer wäre, zu radeln. „Wehe, du rast so wie letztes Mal! Ich wär vor Schreck fast vom Sitz gefallen!“, grummelte ich, während ich mich hinter sie setzte und mich an ihr festklammerte. Anstatt einer Antwort bekam ich nur schallendes, unbeschwertes Gelächter zurück, von dem sie wusste, dass ich automatisch einstimmen würde. Und so war es tatsächlich. Als wir beide synchron lachen mussten, wegen eigentlich nichts und wieder nichts, lösten sich meine Zweifel in Luft auf und die Vorfreude kam zurück. „Na dann mal los, du Rennfahrerin. Ich nehm an, wir treffen Marlon auch noch irgendwo?“, fragte ich in lockerem Ton, doch eigentlich kannte ich die Antwort bereits. Sie drehte sich um, mit diesem verdammten Hundeblick, den sie drauf hatte wie sonst niemand und bei dem ich immer und immer wieder schwach wurde. Dieser Blick sagte mehr als tausend Worte. Doch trotz meiner Mädelstag-Erwartung konnte ich ihr noch nicht mal böse sein. Sie war verliebt und so überglücklich, dass sie von innen zu leuchten schien. Wie hätte ich meiner besten Freundin dieses Glück verderben können? Also seufzte ich abermals, und sie nahm dieses ergebene Seufzen als Startsignal und startete das Ungetüm. Ich würde wohl nie verstehen, warum es ihr so viel Spaß machte, mit dem Ding durch die Gegend zu fahren. Als wir auf einer geraden Landstraße fuhren, löste ich meinen Klammergriff um Alice’ Hüften und richtete mich auf. Und während ich ihr Lachen spürte – sie freute sich immer enorm, wenn ich mich beim Rollerfahren entspannen konnte, das sah sie als Beweis ihrer Fahrkünste –, dachte ich daran, wie aus einer anfänglichen Busbekanntschaft schließlich beste Freundinnen geworden waren …

Jene schicksalhafte Nacht, die unsere Freundschaft besiegelte, werde ich wohl nie vergessen. Es war Halloween. Halloween hatte in meinem Leben nie einen besonderen Stellenwert eingenommen, aber mit Alice hatte sich schließlich auch alles andere darin geändert. Als eher dunkler Kleidungstyp mit einer Vorliebe für Horrorfilme und düstere Musik war die Nacht wohl das reinste Paradies für sie. Schließlich durfte sie sich vollends in ihrer Schwärze ausleben, ohne dass es jemandem komisch vorgekommen wäre. Auf jeden Fall war es die Nacht, die alles veränderte. Denn eigentlich wollten Alice und ich an Halloween gemeinsam Süßigkeiten jagen gehen. Ich hatte mich Ewigkeiten drauf gefreut, ganze vierundzwanzig Stunden mit dieser coolen Freundin verbringen zu dürfen, doch es kam alles ganz anders. Denn nachdem mich meine Eltern bei ihr abgesetzt hatten, eröffnete sie mir, dass wir zuhause bleiben würden und nur Filme ansehen würden. Ich dachte mir nichts dabei, schließlich war auch das sehr schön. Doch nach dem zweiten Horrorfilm (Gott, wie ich diese Filme verabscheue!) holte sich Alice plötzlich ein Bier aus der Küche. Ich schwieg, lehnte dankend ab. Aus einem wurden schnell vier, und so kam es, dass ich an jenem Halloween zum ersten Mal meiner besten Freundin die Haare hielt, als diese kotzend über dem Klo hing. Später bedankte und entschuldigte sie sich wortreich dafür. Und ab dieser Nacht waren wir beste Freundinnen – wohl aus dem einfachen Grund, dass so was zusammenschweißt. All die Jahre suchte ich eine beste Freundin, die mich verstand und mich so akzeptierte, wie ich war. Mit der ich tausend lustige Sachen unternehmen konnte und mit der ich lachen würde bis zum Umfallen. Eine Freundin, die meine Tränen nicht nur sah, sondern auch wegwischte und alles dafür tat, dass es nie wieder so weit kam. All die Jahre hatte ich so eine Freundschaft gesucht und nun schien es so, als ob ich sie gefunden hätte. Als ob dieser kleine „Kotzabend“ der Beginn einer unsterblichen Freundschaft gewesen wäre. Denn nichts und niemand würde uns je trennen können – da war ich mir sicher.

Damals hatte ich ja keine Ahnung, dass das Schicksal den letzten Satz viel zu wörtlich nehmen würde

Wir fuhren tatsächlich zur Donau und natürlich wartete Marlon schon auf uns. Ich bildete mir ein, dass Alice, sobald sie ihn sah, sogar noch ein bisschen schneller fuhr, so als könnte sie es gar nicht erwarten, endlich ihren Liebsten wiederzusehen. Selbst auf die Entfernung von zweihundert Metern konnte man das wahnsinnige Lächeln auf Marlons Gesicht erkenne. Ich kannte kein einziges Liebespaar, das sich gegenseitig so sehr vergötterte und die Blicke gar nicht mehr voneinander lassen konnte, wie die beiden es taten. Seufzend erkannte ich, dass es ein sehr ruhiger Tag werden würde, mit Livegeschmuse hoch zehn. Ich hasste nichts so sehr wie Livegeschmuse. Gott sei Dank hatte ich das vorhergesehen und mir ein schönes Buch mitgenommen. Damit würde es wohl gehen. Kaum stand der Roller, zog sich Alice den Helm vom Kopf, sprang ab und stürmte in Marlons wartende Arme, um sich einem Kuss hinzugeben, der hollywoodreif gewesen wäre, wenn im Hintergrund noch Musik gespielt hätte. Kopfschüttelnd schaltete ich das Monster aus und zerrte mir ebenfalls den Helm vom Kopf, nur um danach festzustellen, dass die beiden Turteltäubchen schon weiter zur vorbereiteten Picknickdecke gegangen waren und sich dabei so eng umschlungen hielten, dass kein Blatt mehr dazwischen gepasst hätte. Doch es störte mich immer noch nicht, denn schließlich hatte ich noch die ganze Nacht, um mit Alice zu reden. Und wir mussten reden, das war so klar wie der Himmel über uns. Schließlich mussten wir uns einen Schlachtplan überlegen, wegen der Sommerparty bei David. Beim Gedanken an den großen, schwarzhaarigen David mit den schönsten Augen und der tiefsten Stimme der Welt, ging es mir sofort besser und ich gönnte es den beiden richtig, dass sie ihre Liebe schon hatten. Noch glücklicher wurde ich, als ich sah, dass Marlon seinen weltberühmten Schokokuchen gemacht hatte und mir ein extragroßes Stück schon abgeschnitten und auf nen Plastikteller gelegt hatte. „Hey ihr zwei, ich will ja nur ungern stören, aber ich wollt erst mal Hallo sagen und mich für den Kuchen bedanken, bevor ihr euch die Klamotten vom Leib reißt!“, murrte ich etwas zu scharf. Die beiden sahen auf und ich bildete mir ein, dass sich ein Hauch von Ärger auf Alice’ Gesicht legte. Doch freundlich wie immer, wenn Marlon in der Nähe war, lächelte sie mich an, während Marlon aufstand, um mich in eine Begrüßungsumarmung zu zerren, die selbst mich vom Boden hob. Kichernd und kreischend wie ein kleines Mädchen bat ich ihn schließlich, mich runterzulassen, und auch Alice meinte, dass er ihre beste Freundin bitte am Leben lassen sollte, da sie mich noch brauchte. Ich grinste. Natürlich wollte sie Marlon wiederhaben, schließlich hatte sie sich nicht umsonst in ihr kurzes und sehr weit ausgeschnittenes Top gezwängt. Bereitwillig ließ ich die beiden vorerst allein, murmelte etwas von „bis später“, nahm mir meine Decke und den Kuchen und legte mich etwas abseits zur Sonne ausgerichtet hin, um schon jetzt mit dem Braunwerden zu beginnen. Nachdem der Kuchen mit ein paar schnellen Bissen verzehrt war, kramte ich mein Handy aus der Tasche, steckte mir die Kopfhörer in die Ohren und ließ mich von den aktuellen Charts berieseln, während ich langsam wegdämmerte.

Wie so oft in letzter Zeit träumte ich von David. In manchen Träumen redetet wir einfach nur, doch in anderen dauerte es keine fünf Minuten und wir rissen und die Kleidung vom Leib. Doch in diesem Traum wirkte er anders als sonst. Nicht verführerisch, nicht süß und auch nicht nett oder sexy, nein, er wirkte furchtbar besorgt und dann unendlich traurig. Es schien, als ob er mir irgendetwas mitteilen wollte, doch ich konnte ihn nicht verstehen. Es war, als ob ich in einem Käfig aus Glas sitzen würde. Ich sah seine vom Schmerz verzerrten Gesichtszüge und wie er immer und immer wieder versuchte zu mir zu gelangen, doch nicht mal seine Worte erreichten mich. Der Traum schockierte mich und dieser Eindruck wurde noch dadurch bestärkt, dass ich plötzlich hohe und doch tonlose Schreie hörte. Mir stellten sich sämtliche Nackenhaare auf. Wie sehr musste man einen Menschen foltern, bevor er solche Laute von sich gab? Welche Schmerzen musste dieser Mensch erleiden?! Ich schaute mich panisch um, suchte den Gequälten und bemerkte das Gesicht eines fremden Mädchens, direkt gegenüber. Ich schauderte. Ihre Augen waren leer, leblos und wirkten, als ob jede Freude aus ihrem Leben gewichen wäre. Als mein Blick auf ihren vor Schmerz geöffnet Mund fiel, hörte das Schreien augenblicklich auf. Ich erstarrte vollends. Dieser Mund … ich kannte ihn. Kannte die Bewegung, wenn er sich zu einem Lächeln verzog, kannte das Gefühl der ständig rauen Lippen … es war meiner. Ich war die gequälte Fremde. Doch warum? David sah mich mitleidig an und öffnete abermals den Mund, um mir zu erklären, was hier vor sich ging. „Maya? Maya wach auf, komm schon!“, rief er laut, doch die Stimme erschien mir nicht richtig. „Wir sollten sie in den Fluss werfen, dann wacht sie auf“, rief eine andere Stimme munter, bei deren Klang mein Spiegelbild gequält das Gesicht verzog. Und bevor ich mich darüber wundern konnte, spürte ich die eisigen Pfeilspitzen von zu kaltem Wasser und schlug prustend die Augen auf. „Man, tickt ihr noch ganz richtig? Ich könnte ertrinken wegen euch Vollidioten!“, schrie ich aufgebracht, musste aber sofort lachen, weil nun auch Marlon und Alice in die Donau sprangen und eine wilde Wasserschlacht begann.

Später lagen wir, müde aber entspannt, in der Sonne und hörten Musik. In dem Moment war ich einfach nur endlos glücklich. Da zerriss der schrille SMS-Ton meines Handys die Ruhe und Alice sprang auf, um als Erste die SMS zu lesen. In letzter Zeit war sie einfach viel zu neugierig. „Ist von deinen Ellis“, teilte sie mir mit, „sie sagen, dass wir so aussehen, als ob wir ne Stärkung gebrauchen könnten.“ Fragend sah sie mich an, doch ich konnte ihr auch nicht weiterhelfen. Marlon war es, der das Auto meines Vaters entdeckte, das nicht weit von uns parkte. Ich war wohl zu sehr mit der Musik und die beiden andern zu sehr mit Knutschen beschäftigt gewesen, als dass wir meine Eltern bemerkt hätten, die nun mit Grill und Korb angelaufen kamen. „Hallo ihr Wasserratten“, rief mein Dad munter von Weitem, „kleine Stärkung gefällig?“ Begeistert sprangen wir auf, um ihnen beim Auspacken zu helfen, und mir fiel vor Überraschung die Kinnlade runter. Sie hatten echt an alles gedacht: Fleisch, Würstchen, Salate, Kartoffeln, Marshmallows und natürlich Getränke. Und als Nachtisch Mamas berühmter Grützekuchen, den Marlon sofort umschwärmte. Bereitwillig beantwortete Mama alle seine Fragen, während Dad den Grill anheizte und Alice versuchte, eine ebene Grasfläche in der Nähe des Autos zu trampeln, auf der wir essen konnten. Sie sah aus wie Rumpelstilzchen, so wie sie rumhüpfte und sich sichtlich anstrengte. Es sah so lustig aus, dass ich in schallendes Gelächter ausbrach, bevor ich mich zu ihr gesellte und wir beide unter Gekicher das Gras bearbeiteten.