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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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© 2014 Verlag Anton Pustet
5020 Salzburg, Bergstraße 12
Sämtliche Rechte vorbehalten.

Bildnachweis:
Titelfoto: Nadine Löbel, Autorinnenfoto S. 190: Christoph Kempter, www.lensflair.at

Daten und Fakten sind sorgfältig recherchiert,
für eventuelle Unschärfen bitte ich um Nachsicht.

Layout: Nadine Löbel
Satz: Tanja Kühnel
Lektorat: Martina Schneider

eISBN 978-3-7025-8007-0
ISBN 978-3-7025-0701-5

www.pustet.at

Wie kam es, dass Adam Hanff nicht auf seinem Posten war?

Er verließ sein Haus am Hauptplatz Nummer 10. Ein weißes Tuch hatte er zwar bereitgelegt, aber noch nicht aus dem Fenster gehängt, und deshalb versperrte er trotz der Eile das Tor besonders sorgfältig und atmete tief durch. Bis auf seine eigenen Schritte war es gespenstisch still. Seine Holzpantoffeln knallten dumpf auf den Lehmboden. Er hätte sich Lederschuhe anziehen sollen. In der Rathausgasse kam ihm ein junger Bursche mit einer Mistgabel entgegen. »Schnell, verschwinde, sonst passiert dir was«, presste er hervor. Er war wütend und verschwitzt und Adam Hanff sprang eilig zur Seite. Sie waren also schon in der Stadt! Und dann hörte und sah er sie.

Mit brennenden Fackeln stürmte eine Gruppe von Männern das Rathaus.

Es war gegen vier Uhr morgens am 1. Juli des Jahres 1626, als Freistadt von den Bauern erobert wurde und Clara Hanff das Licht der Welt erblickte.

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Michaela Swoboda

geboren 1962 in Krems an der Donau, ist Bibliothekarin an der Universitätsbibliothek der Johannes Kepler Universität Linz und tätig im Bereich der elektronischen Medien und Datenbanken, Webdesign und Bibliotheksautomation. Die Suche nach einem Ausgleich zu diesem technikorientierten Schwerpunkt führte zur intensiven Beschäftigung mit Literatur. Die Autorin lebt in der Nähe von Freistadt und räumt dieser Stadt und vor allem ihrer Geschichte einen besonderen Stellenwert ein.

Michaela Swoboda

Vischers
Vermessenheit

Ein historischer Roman

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Inhalt

Freistadt, 30. Juni 1626

Freistadt, 1. Juli 1626

Freistadt, 25. Jänner 1632

Stams in Tirol, Juni 1637

Freistadt, August 1638

Freistadt, Oktober 1640

Freistadt, 29. September 1641

Freistadt, 26. Jänner 1642

Stams in Tirol, 12. August 1643

Freistadt, Februar 1645

Freistadt, April 1645

Freistadt, Ende April 1645

Freistadt, Juni 1645

Freistadt, Juli 1645

Freistadt, 2. August 1645

Freistadt, 3. August 1645

Freistadt, Jänner 1646

Freistadt, Jänner 1648

Stams in Tirol, Februar 1648

Stams in Tirol, Mai 1650

Freistadt, Mai 1650

Freistadt, 20. Mai 1650

Freistadt, Jänner 1651

Freistadt, Februar 1654

Freistadt, Dezember 1655

Freistadt, Dezember 1658

Andrichsfurt, März 1663

Freistadt, Jänner 1664

Freistadt, Weihnachten 1665

Andrichsfurt, Juni 1666

Leonstein, September 1666

Freistadt, Jänner 1667

Leonstein, Mai 1667

Leonstein, Juli 1667

Freistadt, Weihnachten 1667

Freistadt, Jänner 1668

Freistadt, April 1668

Leonstein, Jänner 1669

Freistadt, 1670

Freistadt, 1672

Freistadt, Jänner 1673

Freistadt, Ende Jänner 1673

Anhang Historische Einbettung und historische Personen

Literatur und Quellen

Zitate

Herzlichen Dank …

Freistadt, 30. Juni 1626

Von Baierns Joch und Tyrannei

Und seiner großen Schinderei

Mach uns o lieber Herr Gott frei.

Weils gilt die Seel und auch das Gut.

So solls auch gelten Leib und Blut.

O Herr verleih uns Heldenmut!

Es muss sein!

Aufschrift auf den Fahnen der Bauern im Oberösterreichischen Bauernkrieg 1626.

Wie es kam, dass Adam Hanff an diesem wichtigen Tag nicht auf seinem Posten war?

Das fragte sich Hans Christoph von Hayden, als es ihm in der Nacht zum ersten Juli mit seiner wütenden Gefolgschaft gelang, nahe beim Scheiblingturm ein Loch in die Stadtmauer zu brechen, durch das er seine Männer nacheinander in die Stadt kriechen ließ.

Und diese Frage stellte sich auch der Freistädter Kaufmann Adam Hanff selbst, während er sich mühsam aufrappelte, nachdem er in der Dunkelheit über die letzten Treppen der engen Stiege seines Hauses am Hauptplatz gestürzt war. Wie war es Ursula nur gelungen, seine Pläne so dermaßen durcheinanderzubringen? Was war überhaupt seine Rolle an diesem Tag? Einerseits hatte er zugesagt, bei der Verteidigung der Stadt zu helfen, andererseits rechnete auch sein Schwager von Hayden mit seiner Unterstützung. Hastig hob er die Laterne auf, klaubte schnell die Zwirnspulen vom lehmigen Boden zurück in die Kiste, über die er gestolpert war, und schob sie mit dem Fuß an die Wand. Überall in der Einfahrt lagen Gerümpel und Waren wild durcheinander. In den vergangenen Wochen konnte seine Frau beim Einsortieren der Handelsgüter ins Lager nicht mehr mithelfen, es blieb alles an ihm hängen. Seine vier Gehilfen hatte er meist anderweitig eingesetzt, sie waren dabei, den Keller um einen Raum zu erweitern. An diese chaotische Baustelle unter seinem Haus mochte er jetzt gar nicht denken.

Überhaupt war alles viel komplizierter geworden während des letzten Monats. Die Bauern stellten wie überall in der Umgebung Forderungen und hielten schon seit Ende Mai Freistadt belagert, die Stadttore waren gut bewacht und blieben geschlossen, der Handel stagnierte, die Vorräte wurden knapp. Seine eigenen Geschäfte liefen denkbar schlecht. Er erwartete zwei Fuhren Roheisen aus Steyr, die weiterverhandelt werden sollten. Er musste versuchen, die Lieferanten vor der Stadt abzufangen, damit sie direkt an die Schmiede liefern konnten, eine Lieferung in die Stadt war derzeit nicht möglich. Noch vom Mai lagerte in seinem Hof eine Fuhre Leinen und Zwirn, die er nicht verkaufen hatte können. Die Händler scherten sich in diesen Wochen nicht um die bestehende Niederlagspflicht, die besagte, dass transportierte Waren auf jeden Fall in Freistadt angeboten werden mussten. Außerdem kümmerte sich keiner darum, den Straßenzwang zu überwachen, was zur Folge hatte, dass die Händler nicht mehr den vorgeschriebenen Weg durch Freistadt nahmen.

Adam Hanff verließ sein Haus am Hauptplatz Nummer 10. Ein weißes Tuch hatte er zwar bereitgelegt, aber noch nicht aus dem Fenster gehängt, und deshalb versperrte er trotz der Eile das Tor besonders sorgfältig und atmete tief durch. Die Nacht war sternenklar, eine angenehme Kühle hatte sich ausgebreitet und die Sommerhitze des Tages vergessen lassen. Dann besann er sich und lief eilig quer über den dunklen Hauptplatz Richtung Kirche.

Er verstand ja die Sorgen der Bauern, sie fühlten sich in ihren überlieferten Rechten beschnitten. Während die meisten Forderungen die als ungerecht empfundenen Abgaben und Steuern und die Freiheit der Religionsausübung betrafen, so vertraten manche Bauernführer auch revolutionäre Ideen.

Sie wollten die Staatlichkeit neu gestalten, die bayerischen Besatzer bekämpfen, die weltliche Obrigkeit der Geistlichen abschaffen und die Gerichtsbarkeit reformieren.

Dass nicht gute Werke, sondern hohe Geldspenden an die Kirche automatisch in den Himmel führen würden, an den Sinn dieses Ablasshandels wollte niemand mehr glauben. Durch die verstärkte Volksbildung nahm auch das kritische Potenzial zu.

Und dann hatte sich alles zugespitzt in den letzten Tagen. Der Bauernanführer Stephan Fadinger war im Zuge der Belagerung von Linz schwer verwundet worden, die Verhandlungen in Wien waren gescheitert, und die Wut der Bauern war unermesslich. Gestern hatten Adam Hanff und die anderen Ratsherren noch versucht, Hans Christoph von Hayden zu beruhigen und die Lage zu entspannen. Besonders Hanff war hier als Vermittler gefragt, wussten doch alle, dass von Hayden der Bruder seiner Frau Ursula war und wegen der engen familiären Bindung die Gesprächsbasis eine besondere und in dieser heiklen Situation erfolgversprechende war. Niemand wollte, dass die Sache außer Kontrolle geriet. Und dann hatte dieser sture bayerische Hauptmann, der kaiserliche Kommandant Albrecht Sokolowsky, der mit einhundertfünfzig Männern die Stadt verteidigte, das Feuer auf die Bauern eröffnet. Die Ratsherren hatten vergeblich versucht, ihn davon abzuhalten.

Eigentlich müssten Hans und die Bauern jetzt schon in der Stadt sein. Mit den protestantischen Stadtbürgern gab es ein geheimes Abkommen, wonach sie – sobald die ersten Bauern in der Stadt waren – weiße Tücher aus den Fenstern hängen ließen. Das sollte als Zeichen dienen, diese Häuser zu verschonen und nur jene der katholischen Bürger zu plündern und ihren Bewohnern Gewalt anzutun. Vereinzelt sah man bereits Tücher vor den Fenstern.

Bis auf seine eigenen Schritte war es gespenstisch still; Adam Hanffs Holzpantoffel knallten dumpf auf den Lehmboden, und immer, wenn er einen Trittstein passierte, hallte der dann hellere Klang ein wenig nach. Er hätte sich Lederschuhe anziehen sollen. Zwei Bettler, die unter dem Kirchenportal schliefen, fühlten sich gestört und beschwerten sich laut murrend. In der Rathausgasse kam ihm ein junger Bursche mit einer Mistgabel entgegen.

»Schnell, verschwinde, sonst passiert dir was«, presste er hervor. Dabei zog er mit seiner Stichwaffe einen wilden Kreis durch die Luft. Er sah wütend und verschwitzt aus, und Hanff sprang rasch zur Seite und versuchte, den Burschen nicht anzustarren. Das musste einer der Bauern sein. Sie waren also schon in der Stadt, auch ohne seine Hilfe.

Und dann hörte und sah er sie. Mit brennenden Fackeln stürmte eine Gruppe von Männern das Rathaus. Aus dem ersten Stock wurden durch das offene Fenster Akten, Dokumente und Urkunden herausgeworfen, vereinzelt auch Bücher. Er lief weiter und mochte gar nicht daran denken, dass diese Dokumente womöglich aus dem Stadtarchiv stammen könnten.

In einiger Entfernung hörte er einen Mann schreien – nur noch ein paar Schritte, das Haus Nummer 24 konnte er im Mondschein bereits sehen. Mit beiden Fäusten klopfte er, so fest er konnte, an die Haustür.

Ein paar Häuser weiter erteilte Hans Christoph von Hayden währenddessen leise und knapp die notwendigen Anweisungen. Er war einer der wenigen Adeligen, die die Aufständischen unterstützten, und daher von ihnen zum Anführer erkoren worden. Zudem konnte er sich nicht vorwerfen, seine Bauern in irgendeiner Art ausgebeutet zu haben, er gewährte ihnen als Grundherr Schutz und erhielt im Gegenzug Robot und Zins, ganz wie es sich gehörte, ja sogar für die Ausbildung ihrer Kinder sorgte er, ohne dass dies seine Pflicht gewesen wäre.

In den Wochen zuvor hatten sich immer mehr Bauern, Knechte, Mägde und Jugendliche im Norden der Stadt eingefunden, wo sie in der Vorstadt lagerten, die Häuser besetzten und die Vorräte der Bewohner plünderten. In den vorangegangenen Tagen hatten sie die Wasserleitung unterbrochen, das Wasser aus dem Wehrgraben und dem Frauenteich abgelassen, Schanzen aufgebaut und vom Friedhof bei der Frauenkirche das Schloss und das Böhmertor mit Geschützen beschossen. Und als der Kommandant des Kaisers auf sie schießen ließ, waren die zornigen Bauern nicht mehr zu halten gewesen.

Dem vierzehnjährigen unehelichen Sohn des Knechts des Fuchsenbauern war es dann gelungen, Kommandant Sokolowsky zu töten. Dieser hatte sich beobachtend ohne Deckung auf dem Böhmertor in aufrechter Position gezeigt. »Der trägt die Nase aber sehr hoch«, hatte einer der Bauern gerufen, und der kleine Paulus hatte sein Gewehr gehoben, gezielt und geschossen. Dass ihm damit ein Kopfschuss gelungen war, der den verhassten Kommandanten auf der Stelle tötete, hatte ihnen erst später Adam Hanff erzählt, der mit den Ratsbürgern um Beruhigung der Situation bemüht war.

Adam Hanff schlug erneut ungeduldig und kräftig auf die Holztür ein.

Er und ein Teil der Ratsbürger waren – wie die Bauern – Protestanten, und das erschwerte zusätzlich die Lage, die Bürger waren unentschlossen. Die meisten Ratsherren waren Handelskaufleute oder Handwerker, viele gleichzeitig aber auch Stadtbauern mit Ländereien und Höfen in der Vorstadt, die sie selbst bewirtschafteten oder verpachtet hatten. Und jetzt sollten sie gemeinsam mit der kaiserlichen Truppe die Stadt gegen die eigenen Bauern verteidigen und Seite an Seite mit den verhassten bayerischen Besatzern kämpfen, die die Soldaten der Stadtverteidigung stellten?

Ferdinand II. hatte das Land vor sechs Jahren als Gegenleistung für die Unterstützung der katholischen Liga im Krieg gegen das protestantische Böhmen an die Bayern unter Kurfürst Max I. verpfändet.

Doch damit nicht genug, Adam Hanff kannte außerdem viele der Bauern persönlich und ein paar der Mitstreiter hatte er sogar in seiner eigenen Papiermühle im Süden der Stadt beschäftigt. Die Gemeinschaft wurde dadurch jedenfalls auf eine harte Probe gestellt. Zudem waren die Stadtbewohner unruhig, weil die Lebensmittel wegen der Belagerung bereits knapp waren.

Immer noch war mehr als die Hälfte der Stadt protestantisch, obwohl es deutlichen Gegenwind gab. Werde katholisch oder wandere aus, hatte schon vor einem Jahr Kaiser Ferdinand II. befohlen, allerdings bisher mit mäßigem Erfolg. Der Bürgermeister war einer der Ersten gewesen, die wieder katholisch wurden. Aber war es nicht eigentlich umgekehrt, er wurde zuerst wieder katholisch und danach Bürgermeister? Jedenfalls wurden auch die Ratsbürger unter Druck gesetzt zu konvertieren. Ihnen allen erschien eine Rekatholisierung unausweichlich. Ob die Bauern mit ihrem Protest daran etwas zu ändern vermochten?

Der Widerstand der Wache war nicht, wie er hätte sein können und Hans Christoph von Hayden gab Anweisung, die Stadttore und das Posttürl auf der Ostseite von innen zu öffnen. Letzteres – so wurde ihm später mitgeteilt – war zu dem Zeitpunkt bereits offen. Er stampfte wütend mit dem Fuß auf und stöhnte, hieß das doch, dass sie sich die kräfteraubende Mühe, das Loch in die Ringmauer zu schlagen, hätten ersparen können.

Jetzt erst wurde aus der Türmerstube des Schlosses Alarm geschlagen.

Gerade als Adam Hanff nochmals die Fäuste hob, um an die Tür zu hämmern, wurde sie von einer kleingewachsenen, hageren Frau geöffnet, die ein erstauntes Gesicht machte.

»Es ist doch erst in zwei Wochen so weit, was ist passiert?«

Er hob die Schultern und drängte zur Eile. Der Türmer setzte beharrlich seinen Alarm fort und Adam Hanff wurde erneut bewusst, dass er seinen Beitrag nicht geleistet hatte, weder zugunsten der Bauern noch zum Vorteil der Stadt. Aber er wusste auch, dass ihm jetzt ein anderer wichtiger Einsatz bevorstand.

Gemeinsam mit der Hebamme lief er im mittlerweile entstandenen Tumult, abgesehen von einigen Rempeleien relativ unbehelligt, zwischen ängstlichen Stadtbewohnern mit Fackeln und allerlei Waffen, aufgeregten Ratsbürgern und unsicheren, aber dennoch eindeutig gewaltbereiten Bauern entlang der Häuserreihe zurück zu seinem Haus am Hauptplatz, wo ihnen im Stiegenhaus bereits das Stöhnen seiner Frau Ursula entgegenschlug.

Und es war gegen vier Uhr morgens am 1. Juli des Jahres 1626, als Freistadt von den Bauern erobert wurde und Clara Hanff das Licht der Welt erblickte.

Freistadt, 1. Juli 1626

»Erchtag den 30igsten Juni umb Vösperzeit hat in der Stadt der herr Haubtmann Sockoloussky uf allen possten uf die Paurschafft loß prennen lassen, uneracht Herr Pfleger und die Geistlichen inne davon abgehalten und vermanth Instandt zehalten, biß die Paurschafft angreifft, er sagt, die Paurschafft underfangt sich ain Gwalttettigkeit über die ander und hat erst wieder ain neue Schanz aufgeworffen, also in seinem Intent fortgefahren, wie er nun uf dem Behaimer thurn khomen und hinaus geschossen, ist auch ein Schuß gegen ime, und wie die Erfahrung lauth, von einem kleinen Buben beschehen, ins Gesicht oberhalb der Nassen, darvon er todts blieben.«

Die Geschichtsschreiber bezeichneten diesen Tag als den Dritten Oberösterreichischen Bauernkrieg.

Es war schon hell, als Adam Hanff der Hebamme einige Gulden in die Hand drückte, ihr dankte und für sie die Haustür aufsperrte. Das Bild, das sich ihnen bot, war angesichts der lautstarken Geschehnisse der vergangenen Nacht eigentlich recht unspektakulär.

Eine kleine Gruppe bewaffneter Knechte querte den Platz, sie gingen aufrecht und wirkten respekteinflößend und siegesbewusst. Einer von ihnen humpelte ein wenig hinterher und stützte sich auf eine provisorische Krücke, sang aber trotzdem lautstark vor sich hin. Ein anderer hielt sich den Arm, den er mit einer blutverkrusteten Schlinge an die Brust gebunden hatte. Seine Waffe, ein mit einem Holzstiel versehenes Sensenblatt, hatte er seinem Kollegen zum Tragen überlassen, dieser hatte außerdem zwei Gewehre geschultert.

Aus der Pfarrgasse wollten eben zwei kaiserliche Soldaten auf den Platz treten, sie änderten aber ihre Absicht, als sie die Bauern sahen, und zogen sich kleinlaut zurück.

Vor dem Nachbarhaus lagen ein paar Holzteller und ein großes Stück Speck auf dem Boden, daneben eine Spielkarte mit einem fein gezeichneten Motiv, die Adam Hanff aufhob und an sich nahm. Er wollte sie sich später genauer ansehen, die Darstellung darauf war trotz der genauen Zeichnung merkwürdig unperfekt und hatte auf den ersten Blick etwas Irritierendes. Etwas weiter nördlich lag eine herrenlose Hellebarde mitten auf dem Platz, daneben ein Umhang. Glasscherben von zerbrochenen Fensterscheiben glitzerten überall im Morgenlicht und auch zwei Hüte konnte er am Boden ausmachen.

Die Bewohner verhielten sich ruhig, die meisten Tore waren geschlossen, manche verbarrikadiert. Adam Hanff sah an vielen Fenstern ängstliche und neugierige Gesichter. Aus Richtung des Rathauses hörte er tumultartigen Lärm.

Die Sonne stand noch sehr tief, der große, rechteckige Hauptplatz lag vollständig im Schatten. Die Luft war frisch und Adam Hanff streckte sich, gähnte und schaute auf die große Turmuhr der Katharinenkirche, deren helles Ziffernblatt die ersten Sonnenstrahlen so stark reflektierte, dass er den Stand der Zeiger aus seinem Blickwinkel nicht erkennen konnte. Während er ein paar Schritte auf den beinahe unbelebten Platz hinaus in Richtung Norden ging, musste er lächeln, als er an Ursula und seine kleine Tochter dachte, die sie Clara nennen würden. Er war so froh, dass dieses Mal alles gut gegangen war, nachdem vor einem Jahr ihr erstes Kind tot auf die Welt gekommen war.

Die Kirche stand an der höchsten Stelle des Platzes und eben als er erkannte, dass es sechs Uhr war, begann auch schon die kleine Glocke zu schlagen. Aus dem an der nördlichen Schmalseite des Hauptplatzes direkt am Anfang der Böhmergasse gelegenen Haus Nummer 104 trat der Bäcker, sah ebenfalls zur Kirche hinüber und begann dann mit Adam Hanff aus einiger Distanz ein lautes Gespräch: »Der Türmer traut sich wohl heute nicht ins Horn zu blasen. Schaut ganz so aus, als ob er keine Aufmerksamkeit erregen will.«

Adam Hanff beeilte sich, die Strecke bis zum Bäcker schnell zurückzulegen und antwortete etwas leiser: »Er will wohl die Eroberer nicht wecken. Gib mir bitte einen Brotlaib und vier Semmeln.«

»Aha, feine Semmeln für den feinen Herrn Kaufmann! Ihr habt wohl heute Hochzeitstag«

»Viel besser, heute Nacht ist meine Tochter geboren.«

»Gratuliere, dann braucht deine Frau ja ein kräftiges Frühstück, da lege ich noch zwei Semmeln drauf, mit schönen Grüßen an Ursula.«

Er reichte ihm die Semmeln in einem Leinenbeutel und einen dunklen Laib Brot, der an der Oberseite in der Mitte mit einem runden Siegel versehen war, das ihn als Erzeugnis dieses Bäckers auswies.

Es schien wirklich so, als ob der Türmer sich versteckt hielte. Er stand im Dienst der Stadt und hatte zusätzlich zur stündlichen Glocke immer um sechs, um neun, um zwölf und um drei ins Horn zu blasen, was er heute jedoch unterließ. Die kleine Glocke war zwar am Hauptplatz recht gut zu hören, aber bereits eine Straße dahinter nicht mehr zu vernehmen. Vor hundert Jahren hatte es eine größere Glocke gegeben, die war aber beim großen Stadtbrand zerstört worden. Schon längst hätte der Rat eine neue in Auftrag geben können, und es war wohl dem Protestantismus zuzuschreiben, dass es über die Jahre unterblieb.

»Dann hast du ja gar nichts mitgekriegt von den Ereignissen? Ein paar Bauern haben die Siegesfeier schon hinter sich gebracht und liegen völlig betrunken in der Gaststube vom Weißbierbrauhaus. Aber der Haydn, dein Schwager, der ist mit seinen Leuten gerade im Rathaus, dort schlagen sie sich die Schädel ein.«

Noch immer wagten sich nur wenige aus den Häusern. Adam Hanff sah sich um, und nur hier und da bemerkte er jemanden, der schnell in ein Tor huschte. Den Weg zurück ging er in einem großen Bogen über die Westseite des Hauptplatzes, wo er seinen Freund und Ratsherrn, den Schneidermeister Jakob Tanzer, mit seiner Frau vor dessen Haus mit der Nummer 116 stehen sah. Von ihnen erfuhr Adam Hanff, dass in der Nacht die Brücke und das Gatter am Linzertor in Brand gesteckt worden waren.

Ursula hatte großen Appetit und genoss es, ein paar Tage neben ihrem Kind im Bett verbringen zu dürfen. Adam servierte ihr Semmeln mit einem großen Stück Butter zum Frühstück und natürlich die Neuigkeiten von draußen.

»Stell dir vor, der Bürgermeister ist tot. Die Bauern sind im Morgengrauen in sein Haus eingedrungen und haben ihn aus seinem Krankenbett geworfen. Dabei wurde er am Kopf verletzt und eine Stunde später war er tot.«

Ursula hob erschrocken die Hand vor den Mund: »Der arme Georg Bader, er war ja schon seit mehreren Wochen schwer krank und man sprach offen über seine Ablöse. Ich hätte ihm gewünscht, dass sein Leben nicht auf so brutale Weise endet. Er war wahrlich kein schlechter Bürgermeister.«

Ihr Mann nickte und fuhr mit einem schiefen Grinsen fort: »Übrigens, kaum zu glauben, wie viele Katholiken angesichts der Bedrohung durch die Bauern plötzlich wieder protestantisch geworden sind.«

Am Vormittag versuchte Adam, so gut es eben ging, zu arbeiten, seine Handelswaren zu sortieren, Bestellungen zusammenzustellen und im Hof ein wenig Ordnung zu schaffen. Seine Arbeiter hatten zwar pünktlich begonnen, aber sie waren aufgeregt, und das Reden brauchte fast gleich viel Zeit wie das Arbeiten im Keller. Er gab ihnen Geld, damit sie sich diesmal im Gasthaus verköstigen konnten. Für die kommenden Tage hatten sie vereinbart, dass die Frau eines seiner Arbeiter für alle hier im Haus kochen würde.

Zu Mittag erwärmte Adam nach Anweisung seiner Frau Sauerkraut und ein Stück gepökeltes Fleisch und berichtete ihr, was ihm im Lauf des Vormittags zugetragen worden war.

Was folgte, waren keine angenehmen Tage für die katholischen Bürger, für die Geistlichkeit und für die Schlossbewohner.

Dort, wo es den Bauern gelungen war, in die Häuser der Katholiken einzudringen, hatten sie hemmungslos alles geplündert und zerstört, was ihnen in die Hände geriet. Jeder, der so unvorsichtig gewesen war, sich ihnen in den Weg zu stellen, wurde niedergeschlagen und grün und blau geprügelt, und einige wurden so sehr traktiert, dass sie ihr Leben verloren.

Der Dechanthof war verwüstet worden, die Fenster zerschlagen, Kruzifixe zerhackt und das Bild der heiligen Katharina zerstört.

Die Stadttore waren seitdem Tag und Nacht weit offen, niemand sah eine Veranlassung, sie zu schließen, das Schlimmste, was passieren konnte, war bereits passiert. Der kaiserliche Kommandant war tot, ein neuer noch nicht bestimmt, ebenso der Bürgermeister und der Pfleger Kogler. Die Ratsherren berieten tagelang, konnten sich aber auf keine Vorgehensweise einigen. Und der Türmer vernachlässigte weiterhin seine Pflichten.

Am Nachmittag des nächsten Tages gelang es Adam Hanff endlich, seinen Schwager von Hayden zu treffen und ihm vom Familienzuwachs zu berichten. Dieser kam natürlich sogleich, um seine Schwester zu besuchen und die kleine Nichte zu bewundern. Sein Gewehr und einen mit Eisenstacheln besetzten Holzprügel legte er erst in der Stube ab. Er hatte sich im Kampf einen tiefen Kratzer am rechten Arm zugezogen und seine Kleidung war zerrissen. So erfuhren die Hanffs aus erster Hand, wie von Haydens Truppe mit ihren Gewehren und Mistgabeln zum Schloss gezogen war, wo die Männer sich gewaltsam Zutritt verschafft und das Schloss geplündert hatten.

Die Männer hatten den Pfleger des Grafen von Meggau, weiters einen Göttweiger Mönch, der zur Rekatholisierung eingesetzt war, und außerdem drei fremde reisende Kapuzinermönche, die wegen der Belagerung ihre Reise in Freistadt unterbrochen und im Schloss Zuflucht gesucht hatten, arg mit Füßen und Fäusten misshandelt. Für Kogler hatte das schlimme Folgen gehabt.

Das Posttürl auf der Ostseite war angeblich durch Verrat und eine List des Fleischers Berthold und seiner Tochter für die Eindringlinge geöffnet worden.

Nach dem Siegestaumel, der ein paar Tage anhielt, war wieder der Alltag eingekehrt, viele der Bauern hatten Freistadt verlassen. Diejenigen, die blieben, mussten sich verpflichten, keine Gewalt gegen Katholiken anzuwenden. Katholiken und Protestanten durften wieder ihre Gottesdienste abhalten. Die Verwüstungen im Inneren der Stadt wurden mühsam beseitigt, die starken Schäden an Stadtmauer, Stadttürmen und Stadtgraben blieben als Zeugnis für die furchtbaren Geschehnisse erhalten. Die Wasserversorgung wurde wieder hergestellt, Lebensmittelvorräte aufgefüllt und der Handel kam zögerlich in Gang. Die Stadttore wurden in der Nacht ordentlich verschlossen. Aber ein Hauch von Anarchie blieb zurück, so manche Semmel war plötzlich kleiner als erlaubt, so mancher Bettler war mutiger als vorher bei seiner Nahrungsbeschaffung und auch der Türmer hielt fest an dem allzu lockeren Verständnis seiner Pflichten.

Bis zu diesem folgenreichen Ereignis war in Freistadt alles in bester Ordnung gewesen. Verliehene Privilegien hatten es zu einem wichtigen und blühenden Handelszentrum zwischen dem Donauraum und Böhmen gemacht.

Die Route von Linz nach Böhmen war über den Haselgraben und Leonfelden kürzer als über Freistadt. Der einzig erlaubte Weg von Linz nach Budweis führte aber durch Freistadt, das war das Privileg des Straßenzwangs. Darüber gab es immer wieder Auseinandersetzungen mit Leonfelden, die Freistadt meist gewann.

Durch das Niederlags- und Stapelrecht mussten alle Waren auf dem Weg nach Böhmen drei Tage lang zu einem festgesetzten Preis den Freistädter Kaufleuten angeboten werden. Diese kauften und handelten die Waren weiter nach Norden und Süden. Die Privilegien waren Lebensgrundlage und Quelle des Reichtums.

Und es gab noch das Meilenrecht, wonach innerhalb einer sogenannten Bannmeile nur die Bürger der Stadt Handel und Gewerbe betreiben durften.

Am Ende dieses unglückseligen Jahres musste Adam Hanff, der als Rat für die Finanzen der Stadt zuständig war, in den Stadtbüchern Folgendes verzeichnen:

1626 Städtische Einnahmen: 4 547 Gulden

(Zum Vergleich 1623: 38 985 Gulden)

1626 Summe der Schulden der Stadt:

alt: 20 300 Gulden,

für das Jahr 1626: 18 292 Gulden,

daher gesamt: 38 592 Gulden

Freistadt, 25. Jänner 1632

»Das stättige Knallen und Erschüttern deß Erdreichs so zu der schröcklichen Verfinsterung der Lufft kommen, welche von wegen deß uberauß grossen Gestancks so man gespühret ganz dick und dunckel worden […] hat den Schrecken dermassen vermehret, dass sich die ganze Statt über alle massen entsetzet und ein jedweder deß Tods unfehlbarlich sich geröstet«

Clara war nicht zu halten, sie tanzte in der Stube herum und jubelte in Vorfreude auf die heutige Eröffnung des Paulimarktes, der zwei Wochen lang direkt vor ihrer Stube am Hauptplatz stattfinden würde. An den letzten vor einem Jahr konnte sie sich noch gut erinnern, ihr Vater hatte ihr einen Kuchen mit Honig und Nüssen geschenkt, der Geschmack der klebrig-süßen Nussfülle war ihr noch gut im Gedächtnis.

»Clara, so komm doch und lass dir den Zopf flechten.«

Ursula tätschelte ihren Sohn Balthasar, der in seinem Körbchen schlief, und wartete geduldig auf ihre jetzt fünfjährige Tochter.

Mit Balthasar, den sie im Tragetuch um den Körper gebunden hatte, und Clara an der Hand machte sich Ursula auf den Weg in den Keller, um Adam abzuholen.

Sie hatten sich warme Pelzumhänge für ihren Ausflug in die Jännerkälte angezogen. Die steile Steinstiege hinunter bewältigten sie langsam. Im Schein der Öllampe, die ihr Mann an der linken Wand aufgehängt hatte, bahnten sie sich einen Weg durch das Warenlager. An der linken Wand waren auf hölzernen Regalen in Schulterhöhe die Getreidesäcke gelagert, die letzte Woche aus Böhmen gekommen waren. Darunter und auf der rechten Seite stapelten sich einige Ballen feine Leinwand aus Haslach, Wachsleinwand aus Böhmen, Brotbeutel für Müller und Bäcker und auch grobe Leinwand zum Sortieren von Erzen.

Im hohen Gewölbe des Raumes waren im Schein der Lampe die vielen Steinmetzzeichen unterschiedlicher Provenienz gut zu erkennen. Die meisten behauenen Steine hatte ihnen ein Steinmetzmeister aus dem Thurytal geliefert, der seine Produkte mit einer »8« markiert hatte. Und die kleine Clara starrte gebannt an die Decke auf die viele Achter, die sich dort abzeichneten.

Adam Hanff hatte seiner Tochter schon die Grundlagen des Rechnens beigebracht und Clara freute sich auf die Schule. Sie hatte in den letzten Wochen ihre Eltern mit Erzählungen auf Trab gehalten, was sie alles lernen würde, wenn es erst einmal so weit war. Die Zahlen waren ihr nicht fremd und Ursula musste ihr jetzt zum wiederholten Mal erklären, dass diese Achter hier nichts mit Rechnen zu tun hatten.

Ihr Mann hatte nämlich beschlossen, Clara ab Herbst in die deutsche und auch in die Latein-Schule gehen zu lassen, obwohl ausschließlich Katholiken lehrten und die meisten Bürger nur ihre Söhne unterrichten ließen. Ursula war damit einverstanden, sie selbst hatte immer große Probleme gehabt, ihren Mann bei seinen Handelstransaktionen zu unterstützen.Weil Lesen und Schreiben nicht gerade ihre Stärken waren, hatte sie es doch – mehr schlecht als recht – selbst von Adam lernen müssen.

Clara sollte es leichter haben, vermutlich würde sie später im Geschäft des Vaters mithelfen. Obwohl sie selbst natürlich etwas ganz anderes wollte. Ja, die kleine Clara hatte zweifellos ein großes Talent im Zeichnen. Mit großem Geschick porträtierte sie ihre Eltern, zeichnete aus dem Gedächtnis den Bäcker, den Papiermüller, Bäume, Tiere und Alltagsszenen. Gerne nahm sie auch Vorlagen aus Büchern; die Spielkarte, die ihr Vater auf dem Hauptplatz nach dem Bauernkrieg gefunden hatte, war eines ihrer Lieblingsmotive. Es zeigte eine Frau in vornehmer Kleidung vor einem schlossähnlichen Gebäude, eingerahmt von blühenden Zweigen. Und manchmal – nur dann, wenn Clara in aller Ruhe genau hinsah – schien ihr, als ob auf der Karte noch eine zweite Frau abgebildet wäre.

Der Torbogen zum Verbindungsgang in den neuen Keller war mit einem behauenen Schlussstein versehen, auf dem Adam Hanff 1631 zu lesen war, und Clara las stolz die Inschrift vor, wobei sie die Ziffern einzeln nannte.

Adam war dabei, kleine Holzkisten mit Messern, Klingen, Nägeln und Draht in ein Regal zu sortieren. Er war gut gelaunt, heute hatte er vor, mit seiner Familie über den Paulimarkt zu bummeln, den einen oder anderen Geschäftsabschluss einzufädeln und potenzielle Lieferanten oder Kunden anzusprechen und kennenzulernen.

Auf dem Weg hinaus, beim Durchqueren des Eisenlagers in der Einfahrt, musste er der wissbegierigen Clara – wie immer – dies und jenes erklären: »Sensenbröckel? Das sind Stücke aus Eisen, die schon halb fertig bearbeitet sind. Sie kommen aus Steyr. Ich verpacke sie in Fässer, achthundert Stück passen in so ein Fass. Nächste Woche kommen dann Fuhrleute aus Schlesien – ja, auch der mit dem roten Bart – und die fahren dann damit über Breslau weiter in den Norden und Osten, sogar bis Russland. Ein Bröckel ist genau die richtige Menge Eisen für eine Sense. Die Stücke werden in den Schmieden erhitzt und Sensenblätter daraus geklopft. Und was man mit einer Sense macht, das weißt du schon, meine kleine Clara.«

Und als seine Tochter sich mit der Auskunft noch nicht zufrieden zeigte, ergänzte er: »Die hölzernen Stiele werden dann in den einzelnen Städten gemacht. Wenn wir sie hier schon fertig produzieren würden, dann könnten wir nicht achthundert Stück in einem Fass transportieren, sondern nur sehr viel weniger auf ein Fuhrwerk laden, und hätten weniger Gewinn.«

Jetzt erst nickte Clara zufrieden und sie traten gemeinsam auf den winterlichen Hauptplatz.

Die Zeiten hatten sich gewandelt, das Leben in Freistadt war in den letzten Jahren anders geworden. Der Bauernkrieg und natürlich der große europäische Religionskrieg hatten Spuren hinterlassen. Böhmen war Kronland der Habsburger geworden, und Freistadt hatte damit seine Bedeutung als Grenzstadt verloren und war zum kleinen Provinzstädtchen in der großen Donaumonarchie geworden.

Die schrecklichen Verwüstungen durch den Bauernkrieg, die Wirren und Unsicherheiten aufgrund oftmaliger Soldatendurchzüge hatten einen abrupten Rückgang des wirtschaftlichen Wohlstandes bewirkt, die Preise stiegen, und das Salzprivileg wurde eingeschränkt, da vor ein paar Jahren die beiden Großunternehmer Chiesa und Binago im Auftrag des Kaisers den gesamten Salztransport im Monopol übernommen hatten.

Auch die Selbstverwaltung der Stadt erfuhr einen Rückschlag, weil die Landesfürsten auf mehr Mitsprache bestanden. Protestantische Bürger im Rat wurden durch katholische ersetzt. Auch Adam Hanff war schon lange kein Ratsbürger mehr.

Die großen Schäden an der Stadtmauer waren aus Geldmangel noch immer nicht behoben, ja man plante sogar, die Löcher nur notdürftig mit Holzstämmen zu reparieren.

Noch im Jahr des Bauernkrieges war auf Anordnung des Kaisers die ganze Stadt wieder katholisch geworden. Auch die sozialen Wünsche der Bauern wurden nicht erfüllt, der Adel war natürlich weiterhin an der Macht, die Folge war – abgesehen von den vielen Toten und Verwundeten – eine Verarmung des Bauernstandes. Bereits eineinhalb Monate nach der Eroberung durch die Bauern war Freistadt von den kaiserlichen Truppen zurückerobert, die Bauern flohen durch das Linzertor und ihr Anführer Hans Christoph von Hayden war vorübergehend gefangen genommen worden.

Die Gegenreformation war nicht mehr aufzuhalten, ein Kapuzinerorden war gegründet worden und die Protestanten wurden immer dreister zum Verlassen des Landes aufgefordert. Auch protestantische Literatur wurde beschlagnahmt.