Über Gerhard Henschel

Gerhard Henschel, geboren 1962, lebt als freier Schriftsteller bei Berlin. Zuletzt erschienen seine Bücher Menetekel. 3000 Jahre Untergang des Abendlandes (2010), Zungenbrecher und Beim Zwiebeln des Häuters (2012). Sein Briefroman Die Liebenden (2002) begeisterte die Kritik ebenso wie die Abenteuer seines Erzählers Martin Schlosser: Kindheitsroman (2004), Jugendroman (2009), Liebesroman (2010) und Abenteuerroman (2012). Bildungsroman ist der fünfte Teil seiner Chronik, die er entlang des Lebens von Martin Schlosser erzählt. Henschel ist außerdem Autor zahlreicher Sachbücher. Er wurde 2012 mit dem Hannelore-Greve-Literaturpreis ausgezeichnet und 2013 mit dem Nicolas-Born-Preis.

Für Berit

»Briefe verbrennen. Nie thät ichs. Alles untergehende Leben kommt wieder; diese Geschöpfe dieses Herzens und Kopfes nie.

Durchstreicht die Namen, verwechselt die Handschrift; aber lasset die Seele leben, die gerade in Briefen am innigsten lebt.«

Jean Paul

 

»Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;

aber die Liebe ist die größte unter ihnen.«

1. Korinther 13,13

Die Liebenden

Ingeborg Lüttjes an ihren Vater Gepke Lüttjes

Moorwarfen, den 2121940

Lieber Vati!

Wir haben heute wieder einen Brief von Dir bekommen. Mutti hat Montag morgens einen Brief abgeschickt, und aus Deinem wissen wir, daß Du ihn noch gar nicht hast.

Letztes Mal, als Post kam, schriebst Du ja, daß Du nun solch eine Uniform hast wie Herr Müller. Damit möchte ich Dich wohl mal sehen. Dann bist Du sicher sehr schick.

Mutti wundert sich immer, daß Du Dir nicht schon längst eine neue Zahnbürste gekauft hast, weil Du schreibst, wir möchten Dir Deine herschicken.

Gestern haben wir uns ordentlich im Schnee amüsiert. Therese und ich haben eine ganz tiefe Kuhle ausgebuddelt und wohl bald fünfzig Riesenschneeglocken draufgelegt, das heißt auf den Rand. Das wird sicher eine prachtvolle Wohnung, aber die ist nicht für die Tauzeit geeignet.

Heute morgen waren es noch weniger als null Grad, und jetzt sind es drei Grad Wärme.

Nun weiß ich so bei kleinem nichts mehr.

Viele Grüße von    

Inge     

Lübbo Lüttjes an seinen Sohn Gepke Lüttjes

Wilhelmshaven, 15.1.41.

Lieber Gepke.

Zuerst will ich Dir mitteilen, daß es unserer lieben Mutter eigentlich nicht so gut geht wie vordem, die Nächte sind am schlimmsten, sie kann zu wenig Ruhe finden. Wir werden wohl wieder einen Arzt zu Rate nehmen müssen, um hierfür ein Mittel zu bekommen, denn die angewandten homöopathischen Mittel wirken nicht.

Von Emma und Kindern hört man ja wenig, hoffentlich sind sie gut gestellt.

Friedrich schrieb uns, daß sie wieder Stellungswechsel gehabt hätten, dadurch verzögert sich sein Urlaub wieder einmal, eigentlich hat er in dieser Weise Pech, denklich wird er nun aber bald kommen.

Wenn Du in Kürze zu Deinen Lieben in Moorwarfen kommst, grüße bitte Alle.

Herzl. Grüße

Dein Vater.

 

Nachtrag 17.1.41.

Den umseitigen Brief schrieb ich vorgestern Abend, und gerade wie ich den letzten Strich gemacht hatte, kam Alarm. Wie sie in der Stadt gehaust haben, hast Du wohl schon erfahren, es ist mehr wie schrecklich.

Da auch das Postamt in der Königsstraße zusammengeschossen ist, hatten wir keine Bestellung. Ich bin den Brief nicht losgeworden, habe ihn wieder geöffnet und teile Dir den Verlauf der Nacht von gestern auf heute mit. Sie hatten es wohl auf Neuengroden abgesehen.

Mit einem fürchterlichen Kanonendonner ging es los und dauerte 3½–4 Std. Zuerst kamen die Brandbomben in großer Zahl rund um unser Haus herum, allein auf dem Schulplatz brannten wohl 8 Stück und an der Straße längs sehr viele in ganz kleinen Abständen, wir haben auch eine durchs Dach gekriegt, aber glücklicher Weise gleich gelöscht, dann kamen die Sprengbomben hinterher, und so ging es in kurzen Abständen.

Wir waren richtig mitten in einem Feuermeer.

Sprengbomben fielen in nächster Nähe 6 Stück, keine Häuser getroffen, aber durchweg alles beschädigt.

Bei unserm früheren Haus ist eine an der Grenze zu Fokken’s Haus gekommen, schwere Brocken Erde sind auf Metze’s Haus gekommen, auch die beiden großen Spiegelscheiben sind eingedrückt. Die kleineren Brocken liegen bei Keßler’s Haus.

Wir wollten erst heute verschwinden, aber in Hooksiel ist das Haus für unsere Mutter zu kalt, so müssen wir eben aushalten, denn daß die Angriffe wiederholt werden, da muß man schon mit rechnen. Wir gehen heute Abend wohl nicht zu Bett, dann ist es die dritte Nacht. Schlafen kann man doch nicht, denn für unsere liebe Mutter ist es zu viel.

Ingeborg Lüttjes an ihren Vater Gepke Lüttjes

Moorwarfen, den 15.2.41 abends

Lieber Vati!

Nun möchte auch ich Dir einen Brief schreiben. Bist Du dort gut angelangt? Heute habe ich eine Karte (Drucksache) bekommen. Darauf steht, daß es am Mittwoch abends losgeht. Dann fahren wir die Nacht durch und kommen am Vormittag in Bad Wildungen an. Da komme ich in ein Lager. Ich sage Dir, das wird fabelhaft.

Lieber Vati, ich hätte so gerne noch ein Paar Gummistiefel (Größe 40) gehabt, aber auch wenn Du dort nachher welche bekommen kannst, wie erreichen mich die?

Dies ist wohl der letzte Brief vor meiner Abreise. Bald mehr!

Nun sei recht herzlich gegrüßt    

 von Deiner Inge       

Gepke Lüttjes an seine Frau Emma Lüttjes

8.3.41. Sonnabend abend.

Meine liebe Emma!

Bevor wir uns nun auf eine, wie angedeutet wird, lange, lange Bahnfahrt begeben, ist heute abend für uns noch einmal Gelegenheit, Briefe zu schreiben. Morgen ist letzter Posttag.

Habt Ihr heute abend das »Engellandlied« gehört? Wieder fast 100000 t an einem Tage versenkt, unglaublich! Ich denke, daß man heute abend mal wieder die alte vertraute Weise hörte, ist mehr als ein Zufall: Es geht eben los!

Und hast Du heute nachmittag im Radio auch die herrlichen Lönslieder gehört? Wir genehmigten uns dabei im Eßraum eine Tasse Kaffee; mein neuer Nachfolger im Adj. Amt, Oblt. Liesen, ein Oberstudiendirektor aus Halberstadt, war genau so begeistert wie ich. Von 89 Uhr abends hören wir gerne den »Wauwau«. Oft sind es aber ja alte, abgedroschene Kamellen, ab und zu nur wirklich neue Sachen.

In weiser Voraussicht habe ich mir in den letzten Tagen einen Reisekoffer aus Holz machen lassen, der genau so viel birgt wie meine beiden Tragekoffer. Ich konnte hier Sperrholz bekommen, und nun hat mir unser Batls.=Tischler eine ganz tadellose Kiste gezimmert, gestrichen ist sie auch; Kostenpunkt kaum 5 RM.

Morgen früh habe ich auf einem Appell zum ersten Male Gelegenheit, meine neue Kompanie geschlossen zu begrüßen; anschließend ist »großes Platzkonzert« auf dem hiesigen Marktplatz. Die Komp. hat eine gute Streichkapelle mit Flöten, Klarinette, Saxophon, Akkordeon, Schlagzeug u. 2 Geigen; 5 sind Berufsmusiker; das gibt eine schneidige Musik; dazu singt ein Soldatenchor von mindestens 200 Sängern; die Sache wäre absolut rundfunkreif. Am Montag wird gepackt, und dann, m.l.E., beginnt unsere Reise. Nach allem, was angedeutet wird, werden wir ca. 810 Tg. unterwegs sein. Post ist unterwegs nicht loszuwerden, streng verboten! Ich werde also schätzungsweise erst wieder nach 1214 Tagen von mir hören lassen können.

Vor unserer Abreise wechsle ich mein Quartier nicht mehr. Ich bin im Stabsquartier also nur noch geduldeter (aber gern geduldeter) Gast. Mein Nachfolger hat, wie mir mein Chef, der Major, heute verriet, bei der Übernahmemeldung heute besonders hervorgehoben, daß er zwar schon einmal einen Adj. vertreten habe, aber noch nicht einen solch geordneten und abgeschlossenen Aktenbetrieb gesehen habe. Da muß ich allerdings gestehen, daß dieses Lob zum guten Teil auf meinen Vorgänger, den jetzt ausgeschiedenen Hptm. Müller, entfällt, der in diesen Dingen akkurat war und mir seinerzeit im August ein fein geordnetes Material übergab.

Nun stehe ich also in einem ganz anderen Verantwortungskreis, ungleich wichtiger und schöner. Die Komp. gilt, im ganzen betrachtet, als die schneidigste des Batls. Das verpflichtet mich natürlich ganz besonders.

Und nun, m.l.E., »Ade zur guten Nacht«. Bleibe Du mit meinen lb. Deerns nur gesund und munter; dann findet sich alles weitere. Aus dem besetzten Gebiet noch einmal einen herzl. Gruß u. Kuß.

Dein Gepke    

Emma Lüttjes an ihren Mann Gepke Lüttjes

Moorwarfen, 19. März 1941, abends.

Lieber Gepke!

Am Montag erhielten wir Deinen letzten Brief aus Frankreich und müssen uns nun ja bis zum Ende des Monats gedulden, ehe wir wieder von Dir hören. Uns geht es allen gut, nur bin ich von der Aufregung der letzten Woche noch ganz erledigt. Daß hier fast jede Nacht feindliche Einflüge sind, hast Du im Wehrmachtsbericht gehört. So war es auch gestern abend. Gegen 10 Uhr wurde Alarm gegeben, ich war noch auf. Na, ich ließ die Kinder schlafen, denn es schien mir nicht ganz bedrohlich zu sein. Die hatten es anscheinend auf W’haven abgesehen, es wurde auch nicht sehr oft geschossen, und ich hatte mich an den Ofen gesetzt. Plötzlich, kurz nach 11 Uhr, hörte ich diesen pfeifenden Ton, als wenn Bomben fielen, und zwar klang es unheimlich nahe. Es war aber keine Bombe, sondern ein Blindgänger unserer Flak, und nun denk Dir das Schreckliche: der hat Krauses Haus zerstört und Frau Krause und Eva sind durch die stürzenden Steinmassen und Splitter schwer in den Betten verletzt worden. Nachbar Dribusch bat mich, sofort Dr. Wolter zu benachrichtigen. Die Nachbarn haben dann die beiden bewußtlosen Schwerverletzten in Bödekers Küche geschafft, wo Dr. Wolter sie angesehen hat und sofort nach dem großen Krankenauto verlangt hat. Um 2 Uhr ist Eva dann schon gestorben im Sophienstift und Frau Krause heute mittag. Nun denk Dir bloß das Elend aus. Der arme Oskar! Die beiden andern Brüder sind heute früh sofort benachrichtigt worden. Aber alle meinen, für Oskar wäre es richtiger, wenn er es alles gar nicht direkt zu sehen kriegt, denn hier bleiben kann er ja doch nicht. Vielleicht nimmt ihn später ein Bruder von Frau Krause, der in Esens als Kaufmann ansässig ist, zu sich. Der Bürgermeister war auch hier und fragte mich, ob die Möbel wohl bei uns untergestellt werden könnten, denn das Haus mußte sofort geräumt werden. Die ganze Giebelwand ist nach vorne herübergekippt auf die Erde, die Pfannen sind zum größten Teil heruntergeflogen, ein trauriger Anblick. Küche und Stall sind ziemlich unversehrt. Die Soldaten aus der Unterklasse haben nun alle Sachen in die Bodenkammer gebracht. Du kannst Dir denken, wie dieses traurige Ereignis mich aufs tiefste bewegt. Bei jedem kommenden Fliegeralarm stehe ich aber nun immer sofort auf und wecke auch die Kinder, dann hat man wenigstens getan, was man kann. Hoffentlich haben wir nun erst mal ein paar ruhige Nächte!

Vater wird Ende der Woche wieder hier verleben. Unsere Deerns sind alle fein gestellt, ich will sehen, ob ich sie nicht mal schön knipsen kann.

Für heute Schluß, lieber Vati. Noch einen Gute-Nacht-Kuß!

Herzlichste Grüße    

von Deiner Emma    

Gepke Lüttjes an seine Frau Emma Lüttjes

19.3.41. (Mittwoch)

Meine liebe Emma!

Seit mehreren Tagen ziehen wir nun bereits in der Gegend umher, und bei kleinem scheint es, als ob man weiß, wohin wir denn nun eigentlich bestimmt sind. Seit gestern mittag sitzen wir in einem großen Waldlager. Ungefähr in einer Woche wird es weiter nordwärts gehen. Gegen Ende des Monats werden wir dann wohl endlich zu einem Arbeitseinsatz kommen.

Die ganze Bilanz der letzten 10 Tage ist die, daß wir eine lange und im ganzen interessante Bahnfahrt von ca. 2000 km hinter uns haben, zum zweiten: ein Land kennengelernt, das einem jeden aus Beschreibungen und Bildern zwar nur als »Kulturstätte« dargestellt wurde, das aber nur wenige aus eigener Überzeugung und Anschauung kannten. Und wenn man dann bedenkt, daß dieses sog. »Kulturvolk« mit dazu ausersehen war, dem deutschen Volke Lehrmeister zu sein, dann stellt sich unser deutscher Schicksalskampf ganz einfach dar als der Kampf sehr germanischer Werte gegen einen ganzen Sumpf von niedersten Instinkten, gegen Lüge, Verrat und Dreck. Was wir an Einzelbildern in den letzten Tagen, nur auf offener Straße, sahen, das ist nur da möglich, wo der Jude geherrscht hat. Im ganzen Lande eine ganz kleine, reiche Oberschicht, darunter die große Masse des Volkes mit einem Lebensstandard, der einfach erschüttert. Ein Dorf armseliger als das andere, lauter elende Butzen, zumeist nur einräumig, aus Holz und Flechtwerk, ohne gepflasterte Straßen, größere Orte haben vielleicht einen Kern, der etwas an eine Stadt in Deutschland erinnern könnte, im übrigen aber dieselben armseligen Butzen. Da sitzen wir in unsern einfachen Holzbaracken doch besser. Wenn nur das ewige Hin und Her nicht wäre!

Von heute ab soll wieder Post bei der Kompanie abgegeben werden. Meine Feldg. Nr. ist dieselbe geblieben wie in Frankreich L 46044, nur dazu: LG Postamt Posen.

Wir müssen hier feste heizen; letzte Nacht schneite es wieder, heute ist Tauwetter. Der richtige Frühling soll hier erst im Mai beginnen.

Hoffentlich seid Ihr wohlauf. Morgen werde ich wohl wieder schreiben. Inzwischen herzl. Grüße u. Küsse.

Dein Gepke    

Ingeborg Lüttjes an ihren Vater Gepke Lüttjes

Bad Wildungen, am 31.3.41

Mein lieber Vati!

Zu allererst nun einmal herzliche Geburtstagsgrüße von Deiner Tochter Inge. Dein kleines Geburtstagsgeschenk bekommst Du mit zum Osterfest. Ich möchte es jetzt noch nicht abschicken, weil ich Angst habe, daß es Dich nicht mehr dort erreicht, wo Du zuletzt warst. Vielleicht bist Du ja nun gar nicht mehr in Frankreich.

So, und nun nochmals einen recht lieben Geburtstagsgruß

von Deiner Inge    

Gepke Lüttjes an seine Frau Emma Lüttjes

24.4.41.

Meine liebe Emma!

Kurz vor meiner Abfahrt nach Warschau gestern morgen erhielt ich Deinen Brief v. 15.4. Während der langen Bahnfahrt hatte ich also Muße genug, Deinen lb. Brief eingehend zu studieren.

Gegen 2 Uhr war ich in Warschau, im ganzen hatte ich kaum 2½ Std. Zeit, ich mußte mich gewaltig beeilen, um erst einmal einen Fußpfleger zu finden, der sich dann auch in der Nähe des Hauptbahnhofs fand, vielmehr ein großes Friseurgeschäft mit vielen Angestellten; eine polnische Angestellte hat mir ganz gewissenhaft die Füße behobelt, wenn auch ohne Fräs=Apparat. Die Fahrt mit der Straßenbahn von meinem Ankunftsbahnhof bis dort führt durch das Juden=Ghetto. Wie es da aussieht und hergeht, davon macht man sich einfach keine Vorstellung. Da schieben und wälzen sich die Juden aller Kaliber durch die dreckigen Straßen, vorbei an den Trödlerläden; einer überschreit den andern; jeder hat etwas zum Feilschen in der Hand. Die Fahrt geht natürlich ohne Unterbrechung hindurch; es ist streng verboten (und auch wohl nicht ratsam), sich dort etwa aufzuhalten.

Und nun zu Deinem Brief, m.l.E. Daß Du nun gerade zu Ostern keine Post erhalten hast, ist ja schade; tröste Dich mit mir! Fein, daß Ihr einen solch netten Ostertag in J’deich verleben konntet. Inzwischen habe ich Uropa auch mal wieder geschrieben.

Mein Dagmarchen wird jetzt etwas diesig? Das ist ja interessant. Na, ich bin gespannt, wie sie sich demnächst (?!) mir gegenüber verhalten wird. Wenn ich doch nur das Päckchen erst hätte!

Am letzten Sonntag hat ein Mann meiner Komp. auf Damienty eine große Menge Aufnahmen gemacht. Das wird allein eine feine Serie. Was ich jetzt an Photos schon habe, füllt mehr als ein Album! Vielleicht können wir es bald kleben.

Für heute Schluß. Dir, m.l.E., und meinen lb. Deerns

herzl. Grüße u Küsse    

von Deinem Gepke     

Gepke Lüttjes an seine Frau Emma Lüttjes

11.5.41.

Meine liebe Emma!

Das Wetter scheint sich jetzt zu besinnen. Vorgestern kam noch eine dicke Schneejagd, gestern war es trocken, wenn auch noch recht frisch, und heute scheint es, als wolle es endlich einmal wärmer werden. Jedenfalls wagte ich heute morgen zum ersten Male, den Pullover auszulassen.

Für die Pfingstwoche hast Du Dir also Einquartierung aufgehalst. Hoffentlich triffst Du es damit gut. Hat Inge nun inzwischen geschrieben? Sehr gespannt bin ich auf das Ergebnis von Tante Doktors Untersuchung bei Dagmar.

Fast täglich bekomme ich von diesem und jenem Manne Photos; erst gestern zeigte mir jemand ganz entzückende Momentaufnahmen. Gestern abend besuchte mich Hptm. Vetter. Sein Fahrer Abraham, Dagmars »Onkel Auto«, ist inzwischen Unteroffizier geworden. Die neuesten Bilder von unseren Kindern haben ihm viel Spaß gemacht.

Gestern mittag war »hoher Besuch«. Unsere Arbeit ist ganz besonders anerkannt worden. Mehr kann ich darüber nicht sagen. Man weiß jedenfalls nun, wozu man hier ist.

Der schwere Angriff des Tommy neulich hat Euch ja wohl unberührt gelassen. Mein Hauptfeldwebel ist am Morgen nach der fraglichen Nacht aus Oldenburg gefahren, vom Urlaub wieder nach hier zurück, und erzählte allerlei. Hoffentlich bleibt Ihr mir weiterhin heil und gesund.

Dir, meine liebe Emma, und meinen lieben Deerns einen herzlichen Sonntagsgruß und Kuß von

Deinem Gepke    

Ingeborg Lüttjes an ihre Familie

Bad Wildungen, am 21.5.1941

Ihr Lieben alle!

Habe soeben den lieben Brief von Euch erhalten und mich riesig gefreut. Vorgestern bekam ich schon ein Päckchen von Oma und Opa Lüttjes aus Wilhelmshaven. Dazu konnte ich fast nichts sagen vor Erstaunen. Als ich es öffnete, kam mir eine Pracht von Apfelsinen, Nüssen, einem Beutel Bonbons und zwei Tafeln Schokolade entgegen. Eine Vollmilchtafel und eine mit Krem gefüllte. Dafür muß ich mich noch bedanken.

Nun hast Du ja also das Muttertagspäckchen erhalten, liebe Mutti. Denke aber ja nicht, daß ich mir die Apfelsinen vom Munde abgespart hätte. Nein, hier gibt es jeden Tag zwei Apfelsinen. Da habe ich sie in Hülle und Fülle.

Seid nun alle nebst Opa recht herzlich gegrüßt von Eurer

Inge    

Die Oberklasse der Volksschule Moorwarfen an Gepke Lüttjes

Moorwarfen, 1941 Juli 19.

Lieber Herr Lehrer Lüttjes!

Bei uns herrscht frohe Stimmung. Heute beginnen die großen Ferien. Das wird auch endlich Zeit. In Jever haben sie schon 3½ Wochen frei. Die Ferien dauern in diesem Jahr nur 4 Wochen. Dafür bekommen wir aber 3½ Wochen Herbstferien. Das gefällt uns sehr gut. Dann haben wir zweimal etwas davon.

Für Ihren Brief, den wir vor längerer Zeit erhielten, sagen wir Ihnen unsern besten Dank. Es hat uns sehr gefreut, daß Sie uns einmal etwas aus Polen berichteten. Was bekommen Sie alles zu sehen. Darum sind unsere Soldaten wirklich zu beneiden. Hoffentlich kommen Sie bald auf Urlaub und erzählen uns recht viel davon. Unsere Soldaten sind im Osten wohl bald fertig. Wir bewundern immer ihre gewaltigen Leistungen. Dem deutschen Soldaten ist nichts unmöglich. Wir sind immer gespannt auf Sondermeldungen. Nun kommt wohl bald die Meldung von der größten Einkreisungsschlacht der Geschichte. Wir leben in einer großen Zeit.

In diesem Sommer ist es sehr heiß gewesen. Das Thermometer kletterte oft schon vormittags auf 30° und mehr. Wir freuten uns, dann hatten wir hitzefrei. Geregnet hat es bei uns seit Ostern fast gar nicht. Darum ist manches nicht so gut gewachsen, wie es wohl sollte. Am 13. Juli haben wir das erste Gewitter gehabt und reichlich Regen. Nun ist der Staub fort. Der Roggen und die Gerste reifen schon sehr. Da können wir in den Ferien gut helfen. An manchen Obstbäumen sind viele Raupen.

Die neue Straße in Moorwarfen kommt gut weiter. Aller Sand ist angefahren. Bald kommt die Steinschicht drauf. Zum Winter ist die Straße wohl fertig. Dazu würden wir uns freuen. Dann können wir schneller nach Jever kommen.

Wir haben Heilpflanzen gesammelt: Huflattich, Gänsefingerkraut, Schafgarbe, Holunderblüten, Brombeerblätter, Himbeerblätter. An Altmaterial haben wir in den letzten drei Monaten 12 kg Knochen, 92 kg Lumpen, 131 kg Papier und 536 kg Eisen zusammengeholt.

Diesen Brief schrieben die Mädchen der Oberklasse. Es würde uns freuen, wenn wir gegen Ende der Ferien eine Antwort von Ihnen hätten mit recht viel Neuigkeiten. Oder noch besser: Sie kommen selbst.

Mit deutschem Gruß

 

Marianne Linde, Elfriede Harms, Magda Richter, Wilma Hinrichs, Erna Vogt, Mathilda Reents, Emma Kohlmann, Frieda Wulf, Lisa Schulte, Gerda Richter, Erna Pohl, Maria Meier, Gerhard Willms, Hans Wagner, Jürgen Jacobs, Hermann Kloth, Karl Altendeitering, Klaus Jansen, Erich Focken, Ommo Bakel, Fritz=Heinrich Tischler, Paul Badendiek.

 

Lieber Gepke!

Nun komme ich noch zum Schluß. Wir haben Dir schon lange antworten wollen, aber es ist nie etwas daraus geworden. So habe ich diesen letzten Schultag dazu benutzt. Da passiert sonst ja doch nicht mehr viel. Hoffentlich erfreut Dich der Brief. Die Kinder haben gerne geschrieben.

Nach den Ferien kommen die neuen Schützen dazu, dann habe ich 71 Schüler. Für mich allein ist das doch eine Schinderei. Ob es hilft, wenn wir mit allen Unterschriften um Deine Beurlaubung einkommen?

Dort im Osten ist der Iwan ja wohl bald erledigt. Also komm zurück. Oder gefällt es Dir dort bei den Polskis so gut?

Halte Dich munter!    

Die besten Grüße     

Anton Huisken      

Ingeborg Lüttjes an ihre Familie

Bad Wildungen, am 1.10.1941

Ihr Lieben alle!

Nun will ich Euch mal erzählen, was wir in Marburg alles gesehen und erlebt haben. Morgens um 4 Uhr sind wir aufgestanden. Nach dem Frühstück sind wir bei Sternenbeleuchtung zum Bahnhof marschiert. Der Zug fuhr sofort ab. Die Fahrt war ganz erlebnisreich. In Wabern mußten wir umsteigen. Vom Marburger Bahnhof aus marschierten wir gleich zur Elisabethkirche. Sie ist im gotischen Baustil gebaut. Danach kamen wir am Deutschhaus vorbei mit dem treppenförmigen Giebel. In Marburg gibt es unzählige Universitätskliniken. In den schmalen Gassen stehen die Häuser so eng, daß man sich durch die Fenster die Hand reichen kann. Wir kamen auch an ein paar Kunstgeschäften vorbei. Das schönste war eine Töpferei. Das Handwerk wird in Marburg sehr viel getrieben.

Als wir so die Straßen entlanggingen, sahen wir viele Frauen und Kinder in der Hessentracht. An der Turmuhr auf dem Marktplatz war ein großer Hahn, der um jede volle Stunde krähte.

Dann hatten wir nach dem weiten Weg auch Riesenhunger und mußten in eine Wirtschaft gehen. Dort gab es heißen Kaffee. Dazu aßen wir unser Brot.

Als nächstes sind wir wieder zur Elisabethkirche hinuntergegangen und haben sie besichtigt. Nun bekamen wir noch einen Augenblick Freizeit und durften uns Ansichtskarten und anderes kaufen.

Mittags sammelten wir uns und zogen gemeinsam zum Schloß hinauf. Dort besahen wir uns den Rittersaal, den zweitschönsten Deutschlands. Dann marschierten wir wieder zum Bahnhof und hauten ab.

Herzlichste Grüße und Küsse    

Eure Inge     

Ingeborg Lüttjes an ihre Mutter und Geschwister

Bad Wildungen, den 20.12.1941

Ji Söten all tosom!

Zu Weihnachten im Kriegsjahr 1941 wünsche ich Euch das Beste und sende Euch tausend Grüße und Küsse. Verlebt und feiert das Fest man recht schön. Ich glaube, daß sich die anderen Gören jetzt um die Weihnachtszeit ein bißchen mehr miteinander vertragen. Hat der Weihnachtsmann auch schon mal wieder tüchtig ans Fenster geklopft, daß die Lütten Angst bekommen haben? Ich glaube, geschlagen hat er keinen, denn sie haben doch wohl alle das Weihnachtsgedicht hersagen können, nicht wahr?

Hier wird es bestimmt schön werden. Jetzt herrscht schon recht weihnachtliche Stimmung. Überall wird gebastelt, dies getan, das getan, das geht man alles bloß so wie der Wind. Wenn Schnee liegt, klingelt alle Augenblicke ein Schlitten vorbei. Das Schlittenfahren geht hier fabelhaft, einfach die Hufelandstraße vom Parkhotel bis zur Villa Frieda hinunterfahren, aber mit Schwung! Ordentlich saftig den steilen Gang auf der Wiese hinunter, da ist alles dran!

Jetzt möchte ich Euch mal von unserem Kostümfest erzählen. Das war am 1. Adventssonntag und ist ganz außerordentlich prima verlaufen. Erst mußten die Diener die königliche Tafel für die Hochzeitsgäste und das Königspaar decken. Nun ließen sich König und Königin nieder und empfingen die einzeln hereinkommenden Feen, wobei jede auch das Neugeborene betrachten und ihm eine Rose schenken mußte. Ich war auch dabei! Jede hatte einen Hut in Form einer Tüte auf, mit Bemalung und zwei Meter langen blauen Bänden verziert. Außerdem trug jede über einem langen Kostümkleid noch einen Frisierumhang. Alle setzten sich, und das Mahl konnte beginnen. Als schließlich die Tafel aufgehoben worden war, stellten sich alle noch einmal dem König vor und sprachen ihre Wünsche. Ich war auch noch ausgerechnet die zwölfte Fee. Aber es hat gut geklappt, auch mit dem Eintritt der dreizehnten Fee. Nun folgte der Spindelstich. Man sah den ganzen Hofstaat schlafend, auch den Koch, der dem Küchenjungen grad eine knallen wollte. Phantastisch! Dann kam der Königssohn, der die Prinzessin erlöste. Als Letztes folgte das Hochzeitsmahl. Das war was!

Zum Schluß nochmals die herzlichsten Weihnachtsgrüße!

Eure Inge    

Ingeborg Lüttjes an ihre Mutter und Geschwister

Bad Wildungen, den 21.2.1942

Ihr Söten!

Euer lieber Brief kam heute mittags an. Vielen herzlichen Dank dafür. Thereses Geburtstagspäckchen soll schon da sein? Ich kann mir denken, wie sie dran rumschnüffelt. Zwei bis drei Meter hoch Schnee in Rußland! Puh! Muß das da scheußlich kalt sein!

Also, ich soll nach to Hus. Ischa mui! Opa danke ich herzlich für die vielen Briefmarken.

Nun muß ich Euch mal von unserer einjährigen Jubiläumsfeier erzählen. Morgens um 7 Uhr war erstes Wecken. Das Zimmer, worin das Mädel vom Dienst ist, sang ein selbstausgedachtes Lied vom einjährigen Bestehen. Wir brauchten, ganz nach Wunsch, erst um 9 Uhr aufzustehen, beim zweiten Wecken, aber dann mußte alles raus aus den Federn. Beim Kaffeetrinken morgens war schon große Aufregung. Wir saßen am geschmückten Tisch. Wir hatten auch schulfrei. Alles Gute auf einmal. Nach dem Kaffee tauschten wir Erinnerungen aus. Wie war es vor einem Jahr? Anschließend machten wir Fortsetzung mit unserem Tagebuchschreiben. (Das Tagebuch als Weihnachtsgeschenk vom Führer!) Danach mußte der Tischdienst runter, und kurz darauf mußten auch wir uns an die Tafel zum Festessen setzen. Es gab Kartoffelbrei mit Sauerkraut und Soße und Koteletts. Als Nachspeise Quarkspeise. Vorzüglich! Als Nächstes kam dann das große Rodeln (mit Schußfahrt in das zweite K.L.V.-Jahr!) auf der Schweizer-Wiese dran. Nun, als wir wieder zu Hause waren, kam das zweite Festessen dran. Es wurde zum Runterkommen gepfiffen. Wir stellten uns vor der Eßsaaltür zu zweien auf. Als die Ersten hineingingen, hörte man ein allgemeines »Ah« und »Oh« und sonstige Freudenäußerungen. Auf jedem Teller lagen drei Stundenlutscher, drei Nüsse, zwei Bonbons und ein mit Butter beschmiertes Hörnchen und ein Brötchen. Es schmeckte herrlich! Und was meint Ihr, was es dazu gab? Echten chinesischen Tee, den Frau Schneider uns spendiert hatte. Ist das nicht nett?

Nach einer halben Stunde pfiff es. Wir setzten uns auf die im Halbkreis aufgestellten Stühle. Jedes Zimmer sollte was vorführen. Es herrschte größter Tumult. Alles lag voll von Kostümen, die angezogen werden sollten. Wie es weiterging, schreibe ich Euch das nächste Mal. Oder ich erzähle es Euch in Moorwarfen!

Herzlichste Grüße und Küsse    

Eure Inge     

Ingeborg Lüttjes an ihren Vater Gepke Lüttjes

Moorwarfen, den 28.12.1942

Lieber Vati!

Mutti sagt, daß ich Dir nötig mal schreiben müßte. Wie geht es Dir denn? Hast Du noch Schmerzen? Sind die Splitter aus dem Knie schon raus? Uns geht es ganz gut. Zu Weihnachten habe ich bekommen: 1 Pucki-Buch (»Puckis erster Schritt ins Leben«), 1 Buch über »Bahnwärters Mieze«, 1 B.D.M.-Bluse, 1 Schürze, 1 Heft für Ausschneidearbeiten, 1 Kopftuch, 1 vergoldete Kette, 1 Kuchenteller (gehäuft voll), 1 Flasche Parfüm (Lavendel), 1 Taschenspiegel und ein Paar seidene Strümpfe. Ist das nicht famos?

Heute morgen waren im Kinderschlafzimmer die Fenster mit Eisblumen bedeckt. Aber geschneit hat es noch nicht. Das war mal wieder ein Weihnachten ohne Schnee.

Zum Schluß sendet Dir die herzlichsten Grüße

Deine daughter Inge

Ingeborg Lüttjes an ihren Vater Gepke Lüttjes

Moorwarfen, den 25.3.1943

Lieber Vati!

Schade, daß Du in Aussig keinen Badeanzug für mich gekriegt hast! Wie ist es denn mit den Strümpfen?

Der letzte Angriff war Montag. Wilhelmshaven sieht wüst aus. Hauptsächlich haben die Bauwerft, ein Teil der Schiffsbauhalle und der Bismarckplatz was abgekriegt. Weil das Blatt zu Ende ist, mache ich Schluß. Mit vielen Grüßen!

Deine Inge    

Richard Schlosser an seine Eltern

Königsberg, den 13.9.1943

Liebe Eltern!

Gestern trafen wir um 035 hier ein. In Marienburg hatten wir über 3 Std. Aufenthalt. Kurz vor sieben ging es mit dem Postzug weiter. Um 12 wurden wir mit 3 LKWs von der Verladerampe abgeholt und kamen in die Flakkaserne. Wir fühlen uns hier sauwohl. Heute empfangen wir für 3 Tage Verpflegung. Verhungern werde ich hier nicht. Viele Jungens sind vom Land und machen die Reise mit einem halben Schwein. In Elbing bekamen wir warme Suppe. In Marienburg gingen alle in die Stadt. Ich blieb da und ließ mich mit unserm Wagen herumrangieren. Nachher blieb er stehen, und ich sah mir eine Kriegslok an. Ganz interessant, aber eine furchtbare Hitze war da. Morgens konnten wir so lange schlafen, wie wir wollten. Nachmittags bekamen wir Stadturlaub.

Nun viele Grüße.

Richard

Richard Schlosser an seine Eltern

14.9.43 auf der Fahrt

Liebe Eltern!

Heute fuhren wir um 1314 von Königsberg ab. Eine Flakkapelle war zum Abschied bestellt worden. Mit LKWs ging es zum Hauptbahnhof. Jetzt sitzen wir im Zug und fressen. Wenn das der Churchill sehen könnte, würde er Frieden machen. 2 Tage werden wir noch fahren. Wir haben Unteroffiziere mit auf dem Transport.

Nun viele Grüße.

Richard

Richard Schlosser an seine Eltern

18.9.43

Liebe Eltern!

Gestern trafen wir hier ein. Wir wohnen in Baracken, die in 4 Teile geteilt sind. Jeder Teil hat eine Schlaf= und eine Wohnstube, einen Waschraum und ein W.C. Wir sind 8 Mann auf der Bude. Bett = und Waschzeug haben wir schon empfangen. Uniform noch nicht. Das Zeug, was wir anhaben, ist total verdreckt.

Wir können garnichts. Nicht marschieren, nicht singen, nicht stillsitzen, nicht fressen. Wir müssen erst zu Menschen gemacht werden. Die ersten 4 Wochen werden wir geschliffen.

Das Essen ist gut. Viele sind noch von den Sachen von zu Hause satt. Überschuß erbe ich. Hier bin ich bis jetzt noch immer satt geworden. Aber wenn wir Uniform haben und der Schliff anfängt, wird der Hunger größer werden.

Schickt mir bitte so schnell wie möglich Schuhputzzeug. Eine Bürste, 2 Lappen zum Einreiben und 2 alte Strümpfe zum Blankputzen. Nur so lang wie die Bürste. Ich streife sie dann auf die Bürste und putze damit blank.

Nun viele Grüße an alle von Euerm

Richard

 

Abs. Lwh. R. Schlosser

Luftwaffendienststelle 3011

Stadt des K.d.F.-Wagens

Richard Schlosser an seine Eltern

Stadt des K.d.F.-Wagens, 20.9.43

Liebe Eltern!

Hoffentlich habt Ihr meinen Brief inzwischen erhalten. Uniformen haben wir noch nicht. Jetzt haben die anderen ihre Heimatfressalien aufgegessen, und mit dem Brot und der Butter ist es anders geworden. Aber dafür gibt es reichlich Mittag. Heute abend gab es Milchnudeln. Dem Koch war da wohl aus Versehen der Zuckersack reingefallen. 14 Mann von unserm Tisch aßen 6 Terrinnen leer. Wir müssen von unserer Baracke immer ein Stück marschieren. Auf dem Rückweg mußten wir singen. »Mist war das! Seid ihr komischen Uhus noch nicht wach! Hinlegen! Auf, marsch, marsch! Nennt ihr das hinlegen?« So wurden wir ein Stündchen lang geschliffen. Aber das war noch nichts. Der richtige Druck fängt erst an, wenn wir Drillichzeug haben. Heute hatten wir die erste Unterrichtsstunde. Manche stellten sich aber kreuzdämlich an.

Sonst war es bis jetzt ganz gut.

Viele herzliche Grüße von Euerm

Richard

Richard Schlosser an seine Mutter Cäcilie Schlosser

den 25.9.1943

Liebes Muttchen!

Jetzt sind wir schon wieder woanders hingekommen. Damit hat sich auch meine Anschrift geändert: Lwh. Richard Schlosser L 10137 LGPA Hamburg 1 (LGPA = Luftgaupostamt).

Die Baracken, in denen wir liegen, sind ganz neu. Ohne Licht und ohne Wasser. Bis zum Freiluftlokus muß man 200 m rennen. Von oben regnet es durch, und von unten wird man angeblasen. Der Gestank ist unheimlich.

Die Betten sind sonst ganz gut, bloß manchmal brechen sie durch. Heute morgen lagen 2 Mann von uns auf der Erde. Ich liege im zweiten Stock. Gnade dem, der unter mir liegt, wenn ich mal nach unten durchbreche. Mit den Füßen reiche ich bis an die Decke, die schwarz besät ist mit Fliegen. Heute habe ich mindestens schon 300 Stück abgeschossen. Auf einen Schlag immer 15 bis 20. Zwölf Mann sind wir auf jeder Bude. Es ist etwas eng.

Was macht Walter? Hoffentlich wird er bald gesund. Und wie geht es dem kleinen Dietrich? Ich vermisse ihn schon. Wenn ich dann mal auf Urlaub komme, wird er mich sicher nicht mehr kennen. Aber wer weiß, wann wir zum ersten Mal Urlaub kriegen. Bis jetzt sind wir noch guter Laune. Das Essen ist hier sogar noch besser wie in der anderen Stellung.

Viele herzliche Grüße an alle.

Dein Richard

Richard Schlosser an seine Eltern

den 2.10.1943

Liebes Muttchen! Lieber Vater!

Jetzt haben wir endlich unsere Uniform. Bloß noch keine Schuhe. Ich habe von der Kammer dieser Batterie schon ein Paar leihweise erhalten. Meine braunen Halbschuhe müßt Ihr sofort zum Schuster bringen, wenn ich sie nach Hause schicke. Die Sohlen habe ich unterwegs verloren. Unterwäsche braucht Ihr nicht mehr zu schicken. Wir haben 3 Unterhosen und 2 Unterhemden bekommen, 2 Oberhemden, eine Ausgangsuniform, 2 Kragen, 1 Schlips, 1 Drillichhose, 1 Drillichjacke, 3 Paar Socken, 1 Paar Handschuhe, 1 Kopfschützer, einen Mantel, einen Brotbeutel mit Feldflasche, einen Tornister, 1 Kochgeschirr, eine Fettbüchse, 1 Koppel, 1 Pullover.

Über das Päckchen habe ich mich sehr gefreut. Besonders über die wunderschönen Birnen. Sind die Äpfel von dem einen Baum nicht bald reif? Schickt mir bitte welche, wenn sie auch sauer sind. Obst bekommt man hier überhaupt nicht. Das Wasser ist ungenießbar und ein Apfel erfrischt einen immer. Mittags ist es gewöhnlich sehr heiß. Morgens dagegen stehen wir immer um 6 Uhr auf und machen eine Stunde Infanteriedienst. Dann es ist noch saukalt. Darum bin ich froh, daß Ihr mir den dicken Pullover geschickt habt. Wir haben hier zwar auch einen bekommen, aber das ist schon Kriegsware. Handschuhe braucht Ihr nicht mehr schicken. Wir haben gefütterte Fingerhandschuhe bekommen.

Das Eßbesteck, das ich mitgenommen habe, werde ich hierbehalten. Denn das Besteck, das wir hier erhalten haben, fängt nach dem Essen gleich an zu rosten und hat einen ekligen Geschmack.

Wir haben Kuchenmarken empfangen, die ich hier mitschicke. Jeden Monat kriegen wir 300 Gramm, und wenn ich die immer nach Hause schicke, wird ja allmählich ein Kuchen daraus.

Jetzt ist bei uns endlich ein Ofen gesetzt worden. Im Schlafraum allerdings noch nicht.

Wenn ich mal Stadturlaub bekomme, werde ich mich photographieren lassen. Von unserer Stellung bis zur K.d.F-Wagen-Stadt muß man über eine Stunde laufen.

Wir haben jeden zweiten Tag Alarm. Als der Angriff auf Braunschweig war, haben wir auch geschossen. Wir persönlich noch nicht, aber wir haben uns das Feuerwerk angesehen. Es sah aber auch wahrhaftig wie ein Feuerwerk aus. Die Tommys warfen ganze Serien von bunten Lichtern ab. Wir standen hinter unserm Geschützwall und beobachteten, wie der halbe Horizont erleuchtet wurde. Die Flak bullerte in der Ferne, und nachher bullerten auch wir. Nicht viel, aber es hat doch ganz schön gekracht.

Ein Teil der alten Geschützbedienungen ist weggekommen, und jetzt sitzen wir an den Geschützen. Geschossen haben wir nach der Nacht noch nicht. Die Flugzeuge sind zu hören, aber wir dürfen nicht schießen. Das war wohl auch bloß mal ein Zufall, daß wir hier Feuererlaubnis bekommen hatten.

Sonst geht es mir gut bei der Verpflegung. Nach jedem Alarm gibt es noch einen kleinen Zusatz.

Wie geht es Walter und den anderen Geschwistern? Sie sollen mal etwas von sich hören lassen. Hier in der Einöde freue ich mich über jede Post. Ich kann nicht an alle einzeln schreiben, da ich nur über Mittag Zeit habe. Licht gibt es bei uns noch nicht, und daher geht es abends schlecht. Der Tisch ist auch zu klein, als daß alle daran schreiben könnten. Ich habe mir ein Brett auf die Knie gelegt und schreibe so.

Viele herzliche Grüße von Euerm

Richard

Richard Schlosser an seine Mutter Cäcilie Schlosser

den 29.10.43

Liebes Muttchen!

Vielen Dank für Deinen Brief vom 20. Oktober. Sind die Bilder angekommen?

Gestern waren wir im Volks-Wagen-Werk zum Baden. Das haben wir dann auch gründlich getan. Nach 7 Wochen wieder zu duschen, war eine Erquickung für uns. Danach habe ich mir das Werk etwas angesehen. Es hat enorme Ausmaße. Man braucht mindestens eine Woche, um da durchzukommen. Furchtbar interessant. Ich möchte mir das gerne einmal von vorn bis hinten und von oben bis unten ansehen. Schade, daß wir nur so wenig Zeit hatten.

Heute hatten wir Revierreinigen. Ein General soll noch im Laufe des Tages erscheinen. 6 Eimer Wasser gossen wir in die Bude. Jetzt ist der Boden aber auch sauber.

In unsere Stellung kommt allmählich Ordnung. Für den Winter wird wohl alles so stehen bleiben.

Montag hatten wir das letzte Mal Alarm. Das kommt wahrscheinlich von dem Mistwetter, das in letzter Zeit hier ist. Nebel, Nebel und noch einmal Nebel. Langsam wird es auch kalt.

Nun viele Grüße.

Richard

Richard Schlosser an seinen Vater Theodor Schlosser

den 2.11.43

Lieber Vater!

Vorgestern kam das Päckchen. Ich habe mich sehr gefreut. Die Äpfel schmeckten wunderschön.

Sonnabend zogen wir wieder um. Wir nehmen an, daß es das letzte Mal war. Jetzt haben wir aber eine gute Bude geschnappt. Wir haben auch ein Radio. Es ist ein kleiner Volksempfänger. Wir sind gar keine Musik mehr gewöhnt. Abends sitzen wir am Tisch, hören Musik, schreiben Briefe oder machen Schularbeiten.

Heute hatten wir wieder 2 Stunden Latein. Wir haben Unterricht mit Luftwaffenhelfern, die schon über acht Monate dabei sind. Die haben in der ganzen Zeit keine Schule gehabt. Mit ihnen muß natürlich viel wiederholt werden. Uns wird das auch nichts schaden. Mathematik haben wir bei einem Lehrer aus Hamburg. Ihm wurde auch alles zerschmissen. Der Unterricht ist ganz interessant bei ihm.

Wie das mit meinem Urlaub wird, weiß ich noch nicht. Ich glaube ja noch nicht daran, daß ich an meinem Geburtstag zu Hause bin. Wenn ich aber komme, so nur für 48 Stunden.

Sonntag war die H.J. bei uns. In Zukunft dürfen wir noch H.J.-Dienst machen. Vormittags Militär, nachmittags Schule und zwischendurch in der Freizeit H.J. Die könnten wahrhaftig da bleiben, von wo sie gekommen sind. Wenn sie wirklich mit Dienst anfangen, verscheißern wir sie so, daß sie sich nicht mehr sehen lassen.

Nun viele Grüße.

Dein Richard

Gepke Lüttjes an seine Frau Emma Lüttjes

10.11.43.

Meine liebe Emma!

Nach Deinem Brief vom 31.10. kam inzwischen auch der noch ausstehende vom 25.10. an, und heute kam nun merkwürdigerweise der vom 5.11. gleichzeitig mit dem vom 2.11. an. Du schreibst ja allerhand Neues und Interessantes. Karstadt hat es nun also auch erwischt. Ein Glück, daß alle unsere Lüttjes=Familien unversehrt geblieben sind.

Wenn dieser Brief ankommt, seid Ihr höchstwahrscheinlich schon beim Schweineschlachten: Da gibt’s dann reichlich zusätzliche Arbeit. Hoffentlich geht alles glatt von statten.

Daß Dich »Kabale u. Liebe« begeistert hat, kann ich verstehen. Ich entsinne mich einer großartigen Aufführung vor 6 oder 7 Jahren in Jever, in der auch der Ferdinand ausgezeichnet dargestellt wurde.

Inges Zensuren im Deutschen sind ja wirklich sehr erfreulich. Hoffentlich klemmt sie sich nun auch in den anderen Fächern dahinter. Und Therese? Begreift sie das Rechnen? Na, zu Weihnachten muß ich mal wieder mit den beiden »repetieren«. Ich könnte an sich wohl auch mehr als 5 Tage bekommen als Vorschuß auf den nächsten Jahresurlaub, aber eben nicht zu Weihnachten. Da ist jede andere Beurlaubung verboten.

Mein Schießtag war nicht gerade vom Wetter begünstigt, morgens war es regnerisch und trübe, dann wurde es etwas besser. Ich habe eine ganze Reihe Leute, die kaum die Figur erkennen, da kann man eben nicht in jedem Falle gute Ergebnisse verlangen. Ich selbst habe natürlich vorgelegt, wie es sich geziemt für einen Kompaniechef!!

Habt Ihr die Führerrede gehört? Sie hat wohl allenthalben die Menschen wieder so recht aufgemöbelt. Ich hörte gestern mittag die Wiederholung. Man bekommt doch erst mal wieder einen guten Schwung, nicht wahr?

Für heute Dir, m.l.E., und all meinen Lieben herzlichste Grüße.

Dein Gepke    

Richard Schlosser an seine Eltern

den 19.11.43

Liebe Eltern!

Endlich, gestern war es so weit. Wir haben geschossen. Um halb ½ 8 fing der Alarm an. Um 8 Uhr fingen wir an zu schießen. Nach 3 Schuß fiel unser Geschütz aus, da etwas gebrochen war. Dann wurden wir aufgeteilt an die anderen Kanonen. Dort machte ich einen Munikanonier. Dabei stand ich ungefähr 3 m vom Geschütz weg. Die Dinger machen einen furchtbaren Krach. Mir war es so, als wenn mein Trommelfell platzte. Das linke Ohr summt mir jetzt noch. Da nützt auch die Watte nichts. Beim Schuß schließt man am besten die Augen. Denn wenn man vom Mündungsfeuer geblendet wird, sieht man für 3 Minuten nichts. So ging es mir auch.

Mit einigen kurzen Unterbrechungen schossen wir dauernd. Das Rohr konnte man nicht anfassen. Bis ½ 11 dauerte der Alarm.

Das machte mal Spaß. Denn ohne Schießen wird das hier stur.

Meine Uhr ist dabei glücklich auch kaputt gegangen. Der Knopf zum Aufziehen ist herausgefallen.

Nach dem Alarm fanden wir in unserer Bude eine wüste Unordnung vor. Ein Schrank lag quer vor der Tür. Die Koffer lagen mit Inhalt auf der Erde. Der Kalk war von der Decke gefallen. Jedenfalls ein unheimliches Durcheinander. Nachdem wir dann etwas aufgeräumt hatten, legten wir uns in die Kojen und haben uns mindestens bis 12 noch erzählt.

Viele Grüße von Euerm

Richard

Richard Schlosser an seine Mutter Cäcilie Schlosser

den 26.11.43

Liebe Mutter!

Montag hatten wir wieder geschossen. Das war in der Nacht, als der Angriff auf Berlin war. Diesmal schossen wir 79 Schuß. Allmählich gewöhnt man sich an die Bullerei. Nach 4 Schuß wurde die Hülse nicht mehr ausgeworfen. Das Rohr mußte jedesmal heruntergedreht und die Hülse mit dem Rohrwischer herausgestoßen werden. Etwa 1000 Schuß haben wir hier in den beiden Batterien verschossen.

Hinterher mußten wir Muni auffüllen. Dabei hätte mir einer bald ein Auge ausgeschlagen. Er stieß mir mit seiner Granate im Dunklen genau gegen die linke Augenbraue. Na, das ging noch einmal gut.

In der nächsten Nacht flogen die Tommys wieder über uns hinweg. Mindestens ½ Std. brummte es. Wir hatten Schießverbot bis zum ersten Bombenabwurf. Daher kamen wir leider nicht zum Schuß.

Müde bin ich immer. Fast jede Nacht 2 bis 3 Stunden Alarm. Morgen müssen wir um ½ 7 raus.

Am Mittwoch wurden wir geimpft. Mir tut jetzt noch das ganze Kreuz weh.

Heute waren wir wieder zum Baden. Es ist bloß immer so ein blödsinnig langer Weg. Als wir zurückkamen, gab es gerade Alarm. Das Werk wird dann immer eingenebelt. Dazu wird eine Säure verwendet. Auf dem Weg mußten wir an solch einer Anlage vorbei. Die Säure wird als feiner Regen versprüht und verwandelt sich dann zu Nebel. Als wir vorbeikamen, wehte der Wind uns den ganzen Mist ins Gesicht. Das brannte furchtbar. Ich nahm zum Glück gleich meinen nassen Waschlappen und wischte das Zeug ab. Daher ist nicht mehr viel zu sehen. Manche sehen aus wie die Aussätzigen.

Wir haben eine Mathe- und eine Deutscharbeit geschrieben. Die Mathearbeit werde ich ganz gut haben. Bis jetzt weiß ich noch keinen Fehler. Deutsch: Aus dem Leben in der Batterie. Ich beschrieb den Fliegeralarm am Montag.

Für die Karte und die Briefe vielen Dank. Anbei Stanniolpapier, das die Engländer am Montag abwarfen.

Nun viele herzliche Grüße an alle von Deinem

Richard

Richard Schlosser an seinen Vater Theodor Schlosser

den 27.2.44

Lieber Vater!

Gestern bin ich in Celle zur Nachmusterung gewesen. Kriegsverwendungsfähig.

Celle ist eine ganz hübsche Stadt. Am Nachmittag habe ich sie mir angesehen. Mit Marienwerder ist sie jedenfalls gar nicht zu vergleichen.

Und nun die größte Neuigkeit. Wir haben zwei Abschüsse. Die Spritzen sehen mit den Ringen gleich ganz anders aus. Diese Abschüsse sind vom 21. Januar. Am 30. Januar hatten wir auch 4 eingereicht. Hoffentlich werden uns davon auch ein paar zuerkannt.

Sonst ist es hier noch genauso stur wie vorher. An das Militärleben werde ich mich nie gewöhnen. Heute nacht beim Alarm war ich noch ganz verschlafen und dachte beim Aufstehen nicht an das dreistöckige Bett. Ich bin dann auch mit entsprechender Geschwindigkeit nach unten gerasselt.

Zum Glück habe ich mir nichts getan, außer ein paar grünen und blauen Flecken.

Was machen die Hühner und Kaninchen?

Viele Grüße.

Dein Richard

Urkunde

 

Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;

aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

1. Kor. 13,13

 

Ingeborg Magdalena Elisabeth Lüttjes

 

geboren am 11.8.1929 in Jever, getauft am 1.9.1929 in Jever

ist am 19. März 1944 in der Evang. Stadtkirche zu Jever konfirmiert worden.

Dr. Schöler, P.    

Richard Schlosser an seine Eltern

den 2.5.44

Liebe Eltern!

Jetzt sind wir endlich wieder feuerbereit. Schade, daß wir Sonnabend noch nicht schießen konnten, als der Angriff auf Berlin war. Die Verbände kamen wieder scharenweise hier herüber. In der Nähe kamen 3 Maschinen herunter. Ich habe einige Aufnahmen gemacht. Nun bin ich sehr neugierig, wie es das erste Mal mit unseren neuen Spritzen klappen wird.

Vorgestern bekam ich einen Brief von Hugo Bünting. Sein Bruder Karl ist am 1.4. bei Pleskau gefallen. Siegfried Möller ist auch gefallen. So geht einer nach dem anderen dahin. Hugo ist jetzt Matrose und augenblicklich beim O.K.M.

Ich habe mir eine Kaulquappenzucht in zwei Marmeladengläsern angelegt. Die Viecher bekommen jeden Tag frisches Wasser und gedeihen vorzüglich. Meine Kaulquappen sind sogar schon größer und feister als die im Teich. Man kann sie sehr leicht fangen, denn an einer stillen Stelle im Teich wimmelt es geradezu davon. Wenn man einmal mit dem Glas da hindurch fährt, ist es ganz schwarz von diesen Dingern da drin. Sie haben auch noch einen Vorteil. Der U.v.D. beschäftigt sich beim Stubendurchgang nicht so sehr mit uns, sondern sieht sich interessiert die Kaulquappen an.

Sonntag waren wir in der K.d.F.-Scheune zu einer Wehrmachtsvorstellung. Ein Orchester spielte Opern- und Jazzmusik. Ein ziemlich blödes Weib sang und verstellte sich dabei sehr. Die erntete aber nicht den Erfolg, den sie sich wohl davon versprochen hatte. Heiser war sie außerdem. Das Orchester spielte sonst ganz gut. Die Künstler hatten natürlich furchtbare Mähnen.

Sonntag war auch ein SS-Führer da und veranstaltete eine Werbeaktion. Er meinte unter anderem: »Euch, die ihr doch die geistig Höherstehenden seid und jetzt in allen H.J.-Einheiten, in denen ich bisher geworben habe, fehlt, braucht die SS als Führer genau so wie alle anderen Wehrmachtsteile. Wir sind natürlich auch für den Volksoffizier, aber wir können unser Führerkorps nicht allein darauf aufbauen. Warum vergeßt gerade ihr immer die Waffen-SS bei eurer Wahl.« Er bat uns händeringend, zur Waffen-SS zu kommen. Zum Schluß der Erfolg: Von 80 Mann bekam er einen einzigen. Als er uns dann entließ, konnten wir uns vor Lachen nicht mehr halten. Schadenfreude herrschte überall über diesen Mißerfolg.

Nun seid herzlichst gegrüßt von

Euerm Richard

Richard Schlosser an seine Eltern

den 22.6.44

Liebe Eltern!

Vorgestern war hier wieder allerhand los. Morgens um ½ 9 kam Vollalarm. Nach einiger Zeit erschienen die ersten Verbände mit Kurs Berlin. Aber plötzlich machten sie alle kehrt, und schon flog von einem Flugzeug das Angriffszeichen herunter. Wir dachten schon, wir hätten einen abgeschossen. Das Zeichen zog eine lange Rauchfahne hinter sich her und brachte einen Ton hervor, der etwa dem Geräusch eines abstürzenden Flugzeugs glich. Dann ließ der erste Verband seinen Segen fallen. Etwas unheimlich wurde uns allen dabei, aber es wurde trotzdem weiter geschossen. Dieser Verband hatte seine Bomben vorzeitig gelöst, da es ihm durch das Flakfeuer zu brenzlich wurde. Die folgenden 5 Verbände haben dafür aber Präzisionsarbeit geleistet. Auf den Bahnhof ist eine ganze Masse raufgegangen. Na, und wo die anderen hingegangen sind, das könnt Ihr Euch ja denken. Ein paar Bomben hatten sie auch uns zugedacht, aber zum Glück vorbeispekuliert. Uns ist nicht das geringste passiert. Ich glaube, die kommen bald wieder, um ihr Werk zu vollenden. Das ist ein nervenkitzelndes Gefühl, wenn man die Maschinen über sich sieht und zusehen muß, wie sich eine Bombenwolke vom Verband löst. Und nachher hat das gepesert! Das war nur eine einzige, riesenhafte Qualmwolke in der Gegend des Bombenwurfes. Na, das haben wir glücklich überstanden.

Gestern kam wieder Vollalarm. Durch die Erfahrung belehrt, fing die Nebeltruppe an zu räuchern, da war alles dran. Man konnte nachher keine hundert Meter mehr sehen. Wir haben auch wieder geschossen.

Der erste von uns bekam vorgestern die Einberufung zum R.A.D. Dann werden wir ja sicherlich im August auch drankommen.

Nun seid alle herzlichst gegrüßt von

Euerm Richard