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Vorwort

Während das Interesse an der schönen »Sisi«, der bewunderten Kaiserin Elisabeth von Österreich, auch noch hundert Jahre nach ihrem Tod ungebrochen zu sein scheint, sind hingegen die drei deutschen Kaiserinnen, die etwa zur gleichen Zeit wie die Habsburgerin gelebt haben, nahezu in Vergessenheit geraten. Vergebens sucht man nach neueren Publikationen über die Gemahlinnen von Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. (Meist tauchen sie nur als Randfiguren in Veröffentlichungen über das Leben ihrer berühmten Männer auf.) Dabei hatten auch die Hohenzollern, was ihre Frauen betraf, weitaus mehr aufzuweisen als nur die früh verstorbene und verklärte Königin Luise von Preußen, Mutter Wilhelms I., des ersten Kaisers des 1871 gegründeten Deutschen Reiches.

Zwar waren alle drei Monarchinnen keine außergewöhnlichen Schönheiten wie »Sisi« und Luise, jene Ikonen allgemeiner Verehrung, und wirklicher Beliebtheit bei ihrem Volk erfreute sich lediglich Auguste Viktoria (1858  1921), die letzte deutsche Kaiserin.

Doch gerade die beiden anderen, Kaiserin Augusta (1811  1890) ebenso wie Kaiserin Victoria (1840  1901), letztere die älteste Tochter der Queen Victoria von England, waren ausgesprochen interessante und hochgebildete Frauen, die sich zudem in hohem Maße der Politik verschrieben hatten und ernsthaft bemüht waren, die reaktionären Verkrustungen Preußens und des Deutschen Reiches durch liberale Impulse aufzubrechen.

Daß es ihnen nicht gelungen ist, nicht gelingen konnte, lag nicht allein daran, daß sie in Otto von Bismarck einen übermächtigen Kontrahenten hatten. Die lange Regierungszeit Wilhelms I. und der frühe Tod Friedrichs III., des »99-Tage-Kaisers«, spielten ebenso eine Rolle wie interne familiäre Konflikte. So hofften beide Kaiserinnen letzten Endes vergeblich auf ein liberales Deutschland, ein Deutschland, das allerdings Auguste Viktoria, Ehefrau Wilhelms II., ohnehin nicht haben wollte, deutschnational und konservativ, wie sie empfand.

Hinter jeder Kaiserin verbirgt sich ein mehr oder minder tragisches Schicksal. Augusta, eine hochbegabte Prinzessin, die am liberalen und kunstsinnigen Weimarer Musenhof unter der Obhut Goethes aufgewachsen war, kam mit knapp 18 Jahren in das militärisch-nüchterne Berlin, wo sie mit Wilhelm von Preußen, dem späteren Kaiser, einen Mann heiratete, dessen Herz nach wie vor an einer anderen hing. Augusta, in dieser unglücklichen Ehe gefangen, war zwar bemüht, ihr eigenes Leben zu führen, gleichwohl aber sah sie sich in der Pflicht, ihrem ihr intellektuell unterlegenen Ehemann den ihrer Meinung nach richtigen politischen Weg zu weisen. Dieser Aufgabe widmete sie sich mit unglaublicher Energie, auch wenn sie einsehen mußte, daß ihr Kampf für ein freiheitlicheres Deutschland vergeblich war, spätestens, seitdem Wilhelm I. 1862 Bismarck zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt hatte. Hoffnungen hatte Augusta zunächst in ihren einzigen Sohn gesetzt, den Kronprinzen Friedrich Wilhelm, und in dessen junge Frau Victoria. Sie vertraten die gleichen gemäßigt liberalen Ansichten, bis schließlich Differenzen zwischen den beiden Frauen dazu führten, daß sich ihre Wege sowohl politisch als auch menschlich trennten.

Die selbstbewußte, ehrgeizige Victoria unterschied sich in vielem von ihrer Schwiegermutter und war zudem nicht bereit, sich trotz ihres jugendlichen Alters weiter von dieser »erziehen« zu lassen, wie Augusta es gewünscht hätte. Mit hochgesteckten Plänen war die Princess Royal 1858 nach Preußen gekommen: gemeinsam mit ihrem überaus geliebten Mann wollte sie dazu beitragen, daß Preußen in eine konstitutionelle Monarchie nach britischem Vorbild verwandelt werden sollte, um schließlich die Führung in einem friedlich geeinten Deutschland zu übernehmen. Die Chancen schienen damals, zur Zeit der »Neuen Ära«, äußerst günstig zu stehen. Doch dann mußte »Vicky« schon nach wenigen Jahren miterleben, wie all ihre Pläne und Hoffnungen nach und nach zunichte gemacht wurden.

Als sie dann endlich den Thron bestieg (1888), war ihr Gemahl, Kaiser Friedrich III., bereits vom Tode gezeichnet, und als er starb, geriet auch sie in Deutschland schon bald in Vergessenheit. Victorias wohl größte Enttäuschung aber war, daß ihr ältester Sohn Wilhelm, aus dem sie einen liberalen Friedrich den Großen hatte machen wollen, das genaue Gegenteil von dem wurde, was sie sich erträumt hatte, auch wenn sie selbst daran nicht so ganz unschuldig war. Unglücklicherweise hatte sie zudem geglaubt, ihre Schwiegertochter Auguste Viktoria würde politisch die gleichen Ziele wie sie verfolgen, ein fataler Irrtum.

Dona, wie die junge Holsteinerin im Familienkreis genannt wurde, war keineswegs gewillt, die liberalen Überzeugungen ihrer Schwiegermutter zu übernehmen, geschweige denn, sie an den Ehemann weiterzugeben – im Gegenteil. Ohnehin alles gutheißend, was ihr kaiserlicher Gemahl dachte und tat, bestärkte sie ihn nur in seiner Hybris, seiner Haßliebe zu England und seinem Irrglauben, ein »Instrument des Himmels« zu sein. Und doch war Auguste Viktoria, wenngleich bei weitem nicht so klug wie ihre Vorgängerinnen, die volkstümlichste der drei Kaiserinnen, eine geliebte »Landesmutter«, die so ganz dem damaligen Idealbild der deutschen Frau zu entsprechen schien: die liebevolle Gattin und Mutter, die ihren Ehemann nach eigenem Gutdünken schalten und walten ließ und sich ganz auf Kinder, Kirche und Karitas beschränkte. Ihr Leben verlief weitgehend störungsfrei, bis schließlich nach dreißig Jahren auf dem Thron mit dem Kaiserreich auch ihre Welt zusammenbrach. Es fiel Dona sehr schwer, sich in ihr Schicksal zu fügen, zumal sie schon von Krankheit gezeichnet war, doch für ihren geliebten Mann nahm sie die Einsamkeit des holländischen Exils in Kauf, die Trennung von der Heimat, ihren Kindern und Enkeln.

Keine der drei Frauen hatte zwar am Ende ihres Lebens das erreicht, was sie sich einmal erträumt hatte. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, sollten die Schicksale der deutschen Kaiserinnen die Beachtung finden, die ihnen so lange vorenthalten worden ist – Beachtung sowohl in der Wissenschaft als auch bei all denjenigen, deren Interesse an der deutschen Geschichte sich nicht ausschließlich auf das politische Geschehen konzentriert. Dieses Buch möchte einen ersten Anstoß dazu geben.

KAISERIN AUGUSTA

Gemahlin Kaiser Wilhelms I.

Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach

* 30. September 1811 in Weimar

 11. Juni 1829 mit Wilhelm von Preußen,

König 1861, Dt. Kaiser 1871  1888

 7. Januar 1890 in Berlin

»Feuerkopf«, so pflegte Kaiser Wilhelm I. »in vertraulichen, aus Verdruß, Respekt und Wohlwollen gemischten Stimmungen die Gemahlin zu bezeichnen und diesen Ausdruck mit einer Handbewegung zu begleiten, die etwa sagen wollte: ›Ich kann nichts ändern.‹ Ich fand diese Bezeichnung außerordentlich treffend; die Königin war, solange nicht physische Gefahren drohten, eine mutige Frau, getragen von einem hohen Pflichtgefühl, aber auf Grund ihres königlichen Empfindens abgeneigt, andere Autoritäten als die ihrige währen zu lassen.«

Otto von Bismarck
in: Gedanken und Erinnerungen

Kindheit und Jugend am Weimarer Musenhof

»Eine Prinzessin darf niemals müde sein«

Ob es wohl ein Glücksstern war, jener hell leuchtende Komet, der am 30. September 1811 am mitternächtlichen Himmel strahlte? So hoffte man zumindest in Weimar. An jenem Montag nämlich hatte die zweite Tochter des erbprinzlichen Paares von Sachsen-Weimar das Licht der Welt erblickt, ein gesundes kleines Mädchen, das sechs Tage später auf die Namen Marie Luise Augusta Katharina getauft wurde.

Augustas Mutter war die russische Großfürstin Maria Pawlowna (1786  1859), eine Enkelin Katharinas der Großen und nach dem schmeichelnden Urteil Goethes »eine der besten und bedeutendsten Frauen ihrer Zeit«. Von Augustas Vater wußte hingegen niemand etwas Vergleichbares zu sagen. Nachdem Maria Pawlowna 1804 mit Carl Friedrich den Bund fürs Leben geschlossen hatte, dem Sohn des brillanten Großherzogs Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, muß ihr schon bald klargeworden sein, daß sie keinen kongenialen Partner gefunden hatte. Carl Friedrich galt zwar zu Recht als lieber Mensch, war aber offenbar etwas steif, langweilig und nach dem Urteil seiner Zeitgenossen zu schließen eher dumm. Die Schuhe seines vitalen Vaters waren ihm von Anfang an zu groß, denn der Horizont des Erbprinzen war eher bescheiden: Bis zu seinem Tod im Jahr 1853 blieb seine Lektüre im wesentlichen auf Märchen beschränkt. Und doch erfreute er sich, nachdem er 1828 die Herrschaft über das Herzogtum angetreten hatte, als gutmütiger und leutseliger Landesvater bei seinem Volk großer Beliebtheit.

Dazu freilich hatte auch Maria Pawlowna ihren Teil beigetragen. Seitdem sie am 9. November 1804 nach Weimar gekommen war, hatte sich der kleine Hof durch St. Petersburger Pracht, Pomp und Geld nachhaltig verändert. Man hatte also nicht nur unter dem politischen Aspekt eine wichtige Brücke nach Rußland geschlagen, auch in finanzieller Hinsicht erwies sich die Verbindung als warmer Regen, denn nun flossen dem vergleichsweise armen Land beachtliche Mittel zu, die Hof und Staat zugute kamen und die angespannte Finanzlage spürbar erleichterten. Doch die Weimarer hätten die junge Russin ohnehin liebgewonnen. Die damals 18jährige Tochter des Zaren Paul I. (1754  1801) hatte sich gleich von Anfang an klug in die neuen und eher bescheidenen Verhältnisse eingefügt und zugleich ihre Umgebung mit Freundlichkeit und jugendlichem Charme verzaubert. Sicherlich entscheidend für ihre Beliebtheit aber war Maria Pawlownas unermüdliche Fürsorge für Kranke und Bedürftige, was ihr in späteren Jahren den Ehrennamen »Engel der Armen« einbrachte.

Augusta, ihre drei Jahre ältere Schwester Marie und der jüngere Bruder, Erbprinz Karl Alexander (* 1818), wuchsen so auf, wie Fürstenkinder damals zumeist aufzuwachsen pflegten. Vater Carl Friedrich hielt sich, was die Kindererziehung betraf, eindeutig im Hintergrund. Doch auch die vielbeschäftigte Maria Pawlowna kümmerte sich um das Wohl des erbprinzlichen Nachwuchses eher im Sinne einer »Richtlinienkompetenz«, deren Umsetzung wiederum in den Händen der Kinderfrau lag, einer mütterlichen Dame namens Amalie Batsch, an der vornehmlich Augusta zeit ihres Lebens mit zärtlicher Liebe gehangen hat – einer Liebe, die, wie sich aus ihren zahlreichen Briefen unschwer erkennen läßt, weitaus inniger war als die zu ihrer eigenen Mutter, mit der sie eine eher förmliche Korrespondenz zu führen pflegte. Und doch hat Augusta ihrem »geliebten Bätschchen«, wie sie ihre Erzieherin bis zu deren Tod im Jahr 1847 bezeichnete, die aufopferungsvolle Arbeit nicht immer ganz leicht gemacht.

Die zweitgeborene Prinzessin war offensichtlich alles andere als ein umgängliches kleines Mädchen, auch wenn dieser Sachverhalt von den Zeitgenossen etwas verharmlosend umschrieben wurde. Frau Batsch charakterisierte ihren etwas schwierigen Schützling als ein »heftiges, energisches, starkes Kind«, und Charlotte von Schiller, Witwe Friedrich von Schillers († 1805), die häufig am Weimarer Hof verkehrte, fiel auf, daß sich die drei Jahre ältere Schwester Marie reichlich viel von der kleineren gefallen lassen müsse. Einen starken Willen hatte Augusta ohne Frage von klein auf, und der »Feuerkopf«, den ihr späterer königlicher Gemahl Wilhelm I. bisweilen reichlich entnervt in ihr zu erblicken glaubte, machte ihrer Umgebung schon von Anfang an erheblich zu schaffen.

Doch auch ein starker Wille hatte sich aristokratischen Zwängen zu beugen. Wie ihre Geschwister, so wurde auch Augusta zu strenger Pflichterfüllung erzogen, einem Leben, in dem kaum Platz war für irgendwelche Launen oder auffallende Schwächen. »Eine Prinzessin darf niemals müde sein«, entgegnete Maria Pawlowna einmal reichlich ungehalten, als ihre jüngere Tochter wieder einmal über das umfangreiche Programm stöhnte, das sie Tag für Tag zu absolvieren hatte. Denn trotz des so oft gerühmten liberalen Weimarer Geistes, von dem später noch die Rede sein wird, wurde am Hof streng auf Repräsentation und Etikette geachtet. Beides ist Augusta im Laufe der Jahre gewissermaßen in Fleisch und Blut übergegangen und hat ihr später erheblich geholfen, zahllose Festlichkeiten, öffentliche Auftritte und Defiliercours in hoheitsvoller Haltung tadellos zu überstehen, auch wenn sie das Förmliche dabei wohl allzu sehr betont hat und daher immer etwas steif und unnahbar auf ihre Umgebung wirkte. Das freilich lag vielleicht auch in der Art und Weise, wie ihr das Zeremoniell des »Zirkelhaltens« beigebracht worden war: Wieder und wieder mußte das junge Mädchen vor einer Anzahl aufgereihter leerer Stühle entlanggehen, huldvoll lächeln und »jedem Stuhl« etwas Freundliches und Verbindliches sagen – eine Prozedur, die uns heutzutage entsetzen mag, in Hofkreisen damals aber durchaus üblich war. Schließlich erwartete man von einer Prinzessin, daß sie bei einem feierlichen Empfang Hunderte der sie gespannt erwartenden Gäste einzeln mit liebenswürdiger Sicherheit und formvollendeter Gestik ansprach. Sprachliche Gewandtheit galt dabei als ebenso selbstverständlich wie sicheres Auftreten und eine tadellose Haltung. Augusta hat zu diesem Zweck in späterer Zeit stets einen Holzstab zwischen den Schultern getragen, der sie daran hinderte, eine schlechte Haltung einzunehmen (allerdings auch etliche unglückliche Stürze verursachte).

Auch ansonsten ließ der Stundenplan der jungen Weimarer Prinzessin wenig Zeit zur Muße, denn um die späteren Repräsentationspflichten einmal vollendet erfüllen zu können, war eine entsprechende Bildung unumgänglich. So hatte man eine Zeichenlehrerin und einen Musiklehrer berufen; Französisch, Russisch, Geschichte und Geographie standen ebenso auf dem Stundenplan wie Klavierunterricht und Tanzstunden. Zuletzt durfte die religiöse Unterweisung nicht zu kurz kommen. Augusta wurde in protestantischem Glauben erzogen, im Sinne des von Johann Gottfried Herder (1744  1803) vertretenen Humanitätsideals. Herder sah in der Menschheit die Gesamtheit aller Völker – also das Ergebnis einer vom Schöpfer gewollten wundersamen unendlichen Verschiedenheit. Diese Schöpfung sollte sich nach Herder zu einem kraftvollen Menschentum entwickeln, dem Träger reiner, geläuterter Menschlichkeit, keine Gleichmacherei, sondern eine wahre innere Menschenschöpfung aufgrund persönlicher und ethnischer Besonderheiten. Gewiß ist in dieser Erziehung auch die Grundlage für Augustas spätere Toleranz gegenüber den Katholiken zu suchen und insbesondere ihre lebenslange strikte Ablehnung von Krieg jedweder Art, eine Ablehnung, die auch von Herder vertreten wurde.

Es besteht kein Zweifel, daß die junge Weimarerin ihre umfassende Ausbildung mit Bravour gemeistert hat, gelehrig und frühreif, wie sie war, auch wenn sich der »Feuerkopf« bisweilen gegen den umfangreichen Lehrplan gewehrt haben mag. Doch wie hatte ihre Mutter seinerzeit gesagt? »Eine Prinzessin darf niemals müde sein!«

Würde man Augusta Glauben schenken, so durfte sie in ihrer Kindheit auch niemals so richtig satt werden. Später behauptete sie nämlich ernsthaft, die spärliche Kost (bei der offenbar Schwarzwurzeln eine herausragende Rolle spielten) habe ihrer Gesundheit auf Dauer geschadet und die geringe Widerstandsfähigkeit ihres Körpers mitverschuldet. Diese Unterstellung hätte Maria Pawlowna gewiß strikt zurückgewiesen, und das nicht zu Unrecht, auch wenn die fürstlichen Kinder tatsächlich nur knapp bemessene Kost erhielten. Das aber war damals an allen Höfen so üblich. Den englischen Thronerben wurde zum Abendessen lediglich trockenes, in Milch hineingeschnittenes Brot gereicht. Und genauso wollte es das damalige Erziehungsprinzip. Zeitgenössische Pädagogen wie Joachim Heinrich Campe (1746  1818) vertraten schließlich die Ansicht, Kinder sollten von frühster Jugend an an Mäßigung und Enthaltsamkeit gewöhnt werden. »Ich glaube«, schrieb ein uns leider unbekannter Autor, »ihnen eine der höchsten Glückseligkeiten zu schenken, wenn ich sie entbehren lerne. Meine Kinder haben schon vom dritten Jahre an sich die Versagung der Speisen, welche auf dem Tische standen, ohne Thränen gefallen lassen und sich mit der gemeinsten Kost, oft mit hartem Brot, begnügt …« Denn – so die Begründung, »so schnell die kräftig genährten Kinder blühen, so schnell welken sie auch«. Tatsächlich aber hoffte man, durch die asketische Ernährung des Nachwuchses das Erwachen der Sexualität so lange wie möglich herauszögern zu können: »Junge Leute, mit magerer Kost genährt, entwickeln … ihre Lüste später.«

Trotz der »Schwarzwurzel-Diät« darf man wohl annehmen, daß Augusta am Weimarer Hof eine im wesentlichen frohe Kindheit verlebt hat. Zumindest Charlotte von Schiller glaubte feststellen zu können, daß die beiden kleinen Prinzessinnen »glücklich wie die Engel« seien. Gewissermaßen zur Familie gehörte auch Johann Wolfgang von Goethe (1749  1832), großväterlicher Freund Augustas und Maries und als Dichter und Politiker schon seit Jahrzehnten einer der Hauptakteure am Weimarer »Musenhof«, der seit rund einem halben Jahrhundert auf Deutschlands Dichter und Denker eine magische Anziehungskraft ausübte.

Politik und Poesie

Weimar, wo Augustas Wiege stand, war nicht nur die Hauptstadt des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, sondern nach den Worten Goethes im Jahre 1825 eine »kleine Residenz, die, wie man scherzhafterweise sagt, zehntausend Poeten und einige Einwohner hat«. Hier hat der Altmeister der deutschen Dichtkunst freilich ein wenig übertrieben, und andere beschrieben das Städtchen auch wesentlich prosaischer. So hatte der englische Politiker John Russel (1792  1878) bei seinem Besuch im Jahre 1820 eher den Eindruck gehabt, in eine verschlafene Kleinstadt geraten zu sein als in ein deutsches Athen: »Vergebens würde man in Weimar das fröhliche Getummel oder die geräuschvollen sinnlichen Freuden einer Hauptstadt suchen.« Ein anderer Beobachter meinte, alles ginge so prosaisch zu und sähe so alltäglich aus, daß er den Eindruck habe, die Menschen, die in der Stadt wohnten, gehörten in der überwiegenden Mehrzahl »der Rasse von kleinstädtischen Spießbürgern an, welchen man weder die Verfeinerung einer Hofstadt noch sonderlichen Wohlstand anmerkt …«

Auch wenn wohl so mancher das Flair einer richtigen Metropole vermißt haben wird – das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach galt unumstritten als deutsche Kulturmacht, und das nicht nur, weil hier die Wartburg stand, in der im Mittelalter Minnesänger aufgetreten waren und Martin Luther später die Bibel übersetzt hatte.

Daß die kleine Residenz zum berühmten »Musenhof« und Weimar zum Parnaß der Künstler und Gelehrten wurde, hat die Stadt an der Ilm vornehmlich einer Frau zu verdanken: Augustas Urgroßmutter.

Von 1758  1775 war Weimar nämlich von einer Nichte Friedrichs des Großen regiert worden, der regen Herzogin Anna Amalia, die durch den frühen Tod ihres Mannes, Herzog Konstantin, im Alter von erst 19 Jahren Witwe und Regentin für ihren einjährigen Sohn Karl August geworden war. Ohne sie wäre Weimar wohl tatsächlich nur das ruhige kleine Städtchen geblieben und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht zu dem geworden, was es rund ein Jahrhundert lang geblieben ist: Mittelpunkt des deutschen Geisteslebens und Brennpunkt der Literatur in ihrer Glanzzeit.

Siebzehn Jahre lang hat Anna Amalia, Augustas Urgroßmutter, die Geschicke des kleinen Herzogtums mit großem Erfolg gelenkt. Eine ihrer wichtigsten Entscheidungen aber traf sie im Jahr 1772, als sie den Dichter Christoph Martin Wieland (1733  1813) einlud, Erzieher ihrer beiden Söhne zu werden. Insbesondere der Thronfolger Karl August war ein offenbar reichlich lebhafter und übermütiger Knabe, der mehr Spaß am Reiten und Jagen als an seinen Büchern fand. Die Hoffnungen der besorgten Herzogin bezüglich Wielands pädagogischer Fähigkeiten waren vielleicht ein wenig zu hochgesteckt gewesen, doch unter seinem Einfluß begann sich allmählich das weitgehend brachliegende Weimarer Geistesleben mehr und mehr zu entfalten, und der von Wieland gegründete »Deutsche Merkur« blieb lange Zeit die einflußreichste literarische Zeitschrift Deutschlands.

Nachdem ihr Sohn Karl August, unterdessen volljährig und merklich reifer geworden, 1775 selbst die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, machte Anna Amalia aus ihrem Haus einen Salon nach französischem Vorbild, in dem sie ein buntes Konglomerat aus Dichtern, Philosophen, Wissenschaftlern, aber auch Generälen, Geistlichen und Geschäftsleuten zu anregenden Gesprächen empfing. Die prominentesten Gäste aber waren neben Wieland die Dichter Herder, Goethe und Schiller, die es unterdessen ebenfalls in Deutschlands »literarische Hauptstadt« gezogen hatte. Die dominierende Rolle jedoch spielte eindeutig Goethe, der einer Einladung des jungen Herzogs nach Weimar gefolgt war.

»Ein Mann von Geist« – Karl August und Goethe

Am Ende der offiziellen Erziehung und noch vor seiner Hochzeit mit einer hessischen Prinzessin war Augustas Großvater Karl August im Dezember 1774 in zeitüblicher Weise zu einer großen Bildungsreise angetreten. Das wäre gewiß nicht weiter erwähnenswert, wäre nicht das auf Dauer bedeutendste Reiseerlebnis die Begegnung mit Goethe in Frankfurt gewesen. Der Dichter hatte auch auf den jungen Herzog seinen Eindruck nicht verfehlt. Als Karl August daher im Oktober des folgenden Jahres nach Karlsruhe reiste, um dort Luise von Hessen zu heiraten, machte er erneut in Frankfurt Station und ließ Goethe zu sich bitten. Man verstand sich so gut, daß dieser schließlich zu einem Besuch nach Weimar eingeladen wurde. Karl Augusts Angebot galt freilich weniger dem berühmten Autor des »Werther« als vielmehr dem jungen, staatspolitisch orientierten Juristen, von dessen Mitwirkung bei den künftigen Staatsgeschäften sich der noch unerfahrene Herzog eine Menge versprach. Sachsen-Weimar-Eisenach mit seinen 110 000 Einwohnern war ein armes Land. Der Landwirtschaft, dem wichtigsten Gewerbe, fehlte es durch die Drei-Felder-Wirtschaft an den notwendigen großen Erträgen, und selbst reiche Ernten waren wegen der Einfuhrzölle im Ausland kaum abzusetzen. Die Industrie aber war erst in Anfängen entwickelt. Karl August konnte jeden klugen Kopf daher gut gebrauchen. Zu seinem Glück stand Goethe damals sowohl beruflich als auch privat – soeben hatte er die Verlobung mit Lili Schönemann gelöst – an einem Scheideweg. Er zögerte daher nicht lange, kam am 7. November 1775 nach Weimar – und blieb.

Der mit hohen Erwartungen empfangene Gast wurde erwartungsgemäß schnell zum geistigen Mittelpunkt jenes Kreises »schöner Seelen« um Herzogin-Mutter Anna Amalia und ihres »Musenhofes«, der Weimars Ruf begründet und aufrechterhalten hat. Auch der noch etwas ungestüme junge Herzog entwickelte sich unter Goethes Ägide zu einem verantwortungsbewußten Landesherrn. Unter einflußreicher Hilfe des berühmten Dichters und nunmehrigen Staatsministers gelang es Karl August, das Kirchen- und Schulwesen zu erneuern, das Rechtswesen zu reformieren, Land- und Forstwirtschaft zu befördern und nicht zuletzt der Kunst und Wissenschaft durch die Gründung des Hoftheaters und den Ausbau der Jenaer Landesuniversität neue Impulse zu geben.

In den Jahren nach der Gründung des Deutschen Bundes (1815), als alle Zeichen auf einer Wiederherstellung der alten Ordnung und »Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands« hinwiesen, machte sich Karl August durch Unterstützung der Burschenschaften, Durchsetzung der Pressefreiheit, Erlaß einer Verfassung und betonte Wiederholung seines Nationalgefühls der Restauration verdächtig. Hingegen war er in liberalen Kreisen sowie im eigenen Land nach wie vor geliebt und verehrt, und wenn Fürst Metternich ihn verächtlich als »Altburschen« titulierte, so wird Karl August darin eher eine Auszeichnung gesehen haben.

Als die französische Schriftstellerin Madame de Staël (1766  1817) im Jahr 1803 Deutschland bereiste, konnte sie berichten: »Von den deutschen Fürstentümern macht keines die Vorzüge eines kleinen Landes, wenn sein Oberhaupt ein Mann von Geist ist, der, ohne daß dadurch der Gehorsam aufhörte, seinen Untertanen auch zu Gefallen suchen kann, besser fühlbar als Weimar … Die militärischen Talente des Herzogs stehen in allgemeinem Ansehen, und seine pikante, durchdachte Unterhaltung erinnert fortwährend daran, daß er von Friedrich dem Großen geschult worden ist. Sein Geist und der seiner Mutter haben die bedeutendsten Schriftsteller nach Weimar gezogen. Deutschland hatte hier zum ersten Male eine literarische Hauptstadt.« Ein großes Lob also aus dem Munde der weitgereisten Französin, das in ihrem Buch »Über Deutschland« zu lesen war – bevor das Werk auf Befehl Napoleons vernichtet werden mußte.

Das Privatleben des vitalen Herzogs war freilich keineswegs so makellos. Am 3. Oktober 1775, wir erinnern uns, hatte Karl August in Karlsruhe Luise von Hessen (1757  1830) geehelicht, eine introvertierte und recht schwermütige junge Frau, die stets im Schatten der alerten Herzogin-Mutter Anna Amalie stand und in der Gunst ihres Gatten später von der ebenso schönen wie intriganten herzoglichen Geliebten verdrängt worden war, der gefeierten ehemaligen Schauspielerin Karoline Jagemann (1777  1848).

Augusta sollte ihrer Großmutter in vielem ähnlich werden. »Es ist von jeher mein Los gewesen, verkannt zu sein«, schrieb Luise einmal etwas verbittert, »denn ich habe nicht die Gabe, dasjenige, was ich im Innersten meines Herzens fühle, darzubringen.« Diese Unfähigkeit, die wahren Gefühle nach außen hin zu zeigen, hat Augusta wohl ebenso von ihr geerbt wie eine im allgemeinen eher pessimistische Sicht der Dinge, die Neigung, alles schwerzunehmen, den ernsten Charakter und das unsinnliche Temperament. Daß auch Augustas Ehe alles andere als glücklich und erfüllt zu nennen war, hatte unter anderem gewiß auch seine Ursache in diesen Eigenschaften. Die Verbindung von Karl August und Luise mag emotional gesehen ein Mißerfolg gewesen sein, doch sie trug dem Hause Weimar interessante dynastische Verbindungen ein: Friederike Luise, eine von Luises Schwestern, war seit 1769 mit dem preußischen Kronprinzen und späteren König Friedrich Wilhelm II. (1744  1797) verheiratet, jenem Hohenzollern, der sich als einziger offizielle Mätressen geleistet hat und durch seine zahlreichen skandalösen Liebesaffären zweifelhafte Berühmtheit erlangte. Gleichwohl gingen aus der Ehe mit der hessischen Prinzessin sieben Kinder hervor, darunter auch Augustas künftiger Schwiegervater Friedrich Wilhelm III. von Preußen.

Eine weitere Schwester Luises, Wilhelmine von Hessen, hatte den russischen Thronfolger Paul geheiratet und sich seitdem Natalia Alexejewna genannt. Auch diese Ehe wurde ausgesprochen unglücklich, zumal Natalia offenbar nichts dabei fand, ihren jungen Ehemann schon bald nach der Hochzeit mit seinem besten Freund zu betrügen. Als Natalia alias Wilhelmine am 19. April 1776 überraschend starb, wollte das Gerücht nicht verstummen, ihre Schwiegermutter Katharina die Große habe ihre Hände im Spiel gehabt. Doch wie dem auch sei – Paul vermählte sich noch im gleichen Jahr in zweiter Ehe mit Prinzessin Dorothea Auguste von Württemberg (russisch: Maria Feodorowna), der Mutter der künftigen Zaren Alexander I. und Nikolaus I. – und Maria Pawlownas, der Mutter Augustas.

Goethe als »Märchenerzähler«

Augustas Stammbaum hat also etliche bedeutende Persönlichkeiten aufzuweisen, und von allen wird sie das eine oder andere geerbt haben, von Großmutter Luise den ernsten Charakter, von Großvater Karl August vielleicht die wache Intelligenz. Daß Goethe, der am Weimarer »Musenhof« ein und aus ging, gewissermaßen zur Familie gehörte und Augusta und ihrer Schwester ein großväterlicher Freund gewesen ist, ist sicherlich nicht ohne Bedeutung, doch darf seine Auswirkung auf das literarisch-künstlerische Verständnis Augustas nicht überschätzt werden. Und dennoch profitierten die Mädchen zweifelsohne von Goethe, etwa wenn er ihnen im sogenannten »Prinzessinnengarten« in Jena oder im Park vom Weimarschen Belvedere Märchen aus fernen Ländern erzählte, chinesische und arabische Schriftzeichen aufschrieb und ihnen »allerlei Merkwürdiges aus dem Orient« zu berichten wußte. Am 7. September 1820 beobachtete man gemeinsam eine Sonnenfinsternis, und es war für Goethe ein Vergnügen, den staunenden Prinzessinnen das seltene Naturereignis zu erklären. Überhaupt gab er sich sehr viel Mühe, wenn es galt, die beiden Mädchen zu beschäftigen. Dann und wann bedichtete er sie auch. Zu ihrem neunten Geburtstag widmete er Augusta ein Gedicht, das mit den Zeilen beginnt: »Alle Pappeln hoch in Lüften, jeder Strauch in seinen Düften, alle sehn sich nach Dir um …«

Von dieser Atmosphäre ist Augusta geprägt, wenn auch nicht inspiriert worden. Zwar war sie nicht amusisch wie ihr Vater – bis in ihr Alter malte und musizierte sie –, doch was ihr Verhältnis zu Literatur, Musik und der bildenden Kunst betraf, so war ihre Begabung keineswegs überdurchschnittlich. Den greisen Goethe aber focht das nicht an. Er freute sich über Augustas Lebhaftigkeit und ihre vielseitigen Interessen, hielt die Zwölfjährige für ein »ganz liebenswürdiges und originelles Geschöpf« und rühmte »ihren hellen Verstand, die hohe Bildung, das reiche Wissen«. »Sie kann schon mitsprechen in der Welt«, versicherte er. Und mitsprechen, das hat Augusta ihr Leben lang getan.

Ein »flatterhafter« blonder Preuße

Aus dem frühreifen Kind wurde mit den Jahren ein vielseitig interessiertes, ausdauerndes und pflichtbewußtes junges Mädchen, das gelernt hatte, den »Feuerkopf« unter Kontrolle zu halten, gleichwohl aber, wie allgemein hervorgehoben wurde, ein natürliches und unbefangenes Wesen besaß. Eine »anmutige Schönheit« indes, wie einige Schmeichler in ihr zu sehen glaubten, war die dunkelhaarige Augusta sicherlich nicht. Was die äußeren Vorzüge betraf, so war ihre drei Jahre ältere Schwester Marie weitaus reichlicher damit gesegnet. Und doch konnte sich Mutter Maria Pawlowna gute Chancen für ihre jüngere Tochter auf dem fürstlichen Heiratsmarkt ausrechnen.

Im Winter des Jahres 1826 kam hoher Besuch nach Weimar: die Prinzen Wilhelm und Karl von Preußen, letzterer mit der erklärten Absicht, bei den großherzoglichen Eltern (Anm.: seit 1815 war Karl August Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach) um die Hand der bildhübschen Marie anzuhalten. Während sich Carl Friedrich wieder einmal in Schweigen hüllte, gab Maria Pawlowna unmißverständlich zu verstehen, daß sie über diese geplante Verbindung mit dem Hohenzollernhaus alles andere als erfreut war: Karl von Preußen, der drittgeborene Sohn König Friedrich Wilhelms III., schien ihr für ihre ältere Tochter keine sonderlich gute »Partie« zu sein. Vielleicht ahnte sie aber auch schon, daß die Charaktereigenschaften des jungen Prinzen nicht gerade dazu angetan waren, seine spätere Ehefrau glücklich zu machen. Schon bald nämlich zeigte sich, daß Karl eine schillernde Persönlichkeit war, die vornehmlich durch anstößige Liebesgeschichten und Beziehungen zu zwielichtigen Geschäftsleuten von sich reden machte, was seinen königlichen Bruder Friedrich Wilhelm IV. später einmal zu der Bemerkung veranlassen sollte, als Privatmann wäre Karl mit einiger Sicherheit hinter Gefängnismauern gelandet.

Und doch überwand Maria Pawlowna ihr diffuses Unbehagen; sie und Carl Friedrich willigten letzten Endes in die Verlobung ein, die bereits am Weihnachtsfest des Jahres 1826 gefeiert wurde. Die Hochzeit fand im Mai des folgenden Jahres statt.

Augusta hatte während des längeren Aufenthaltes der beiden Hohenzollern-Prinzen am Weimarer Hof ausgiebig Gelegenheit gehabt, Karls älteren, knapp 30jährigen Bruder Wilhelm kennenzulernen, und an dem stattlichen blonden und blauäugigen Preußen offenbar sogleich großen Gefallen gefunden, auch wenn Maria Pawlowna den potentiellen Heiratskandidaten mit sicherem Blick als einen »etwas flatterhaft erscheinenden jungen Mann« taxierte und entsprechend mißbilligte. Doch auch Wilhelm hatte keine allzu großen Ambitionen. Zwar fand er die 15jährige Prinzessin »deliziös komisch« und »sehr formiert für ihr Alter, mit lebhaftem Blick und lebendigem Wesen«, wie er seiner Schwester Charlotte in einem Brief mitteilte, den Gedanken an eine eventuelle Heirat aber wies er weit von sich.

Sein Vater hingegen, der Preußenkönig Friedrich Wilhelm III., wäre mit einer doppelten preußisch-weimarischen Verbindung nur allzu einverstanden gewesen, was er seinem Sohn auch unmißverständlich zu verstehen gab. Die Ehe des Kronprinzen war nämlich bislang kinderlos geblieben, und sein Zweitgeborener hatte mit knapp 30 Jahren das heiratsfähige Alter schließlich schon lange erreicht. Nicht umsonst hatte ihn der umsichtige Vater gemeinsam mit Karl nach Weimar geschickt! Wilhelm fühlte sich reichlich unbehaglich, wußte er doch, was der König von ihm verlangte. Und als ein zum Gehorsam erzogener Sohn konnte und wollte er ihn auch nicht enttäuschen.

»Wenn Auguste mich also dennoch interessierte«, schrieb er im November 1826 an seine Schwester Charlotte1 [1 Charlotte war mit Zar Nikolaus I. von Rußland verheiratet], mit der ihn ein enges Vertrauensverhältnis verband und der er auch in den folgenden Jahrzehnten noch sein Herz ausschütten sollte, »so ist nur ihre ausgezeichnete Persönlichkeit, d. h. die innere, denn im Äußeren kann sie sich mit ihrer Schwester nicht messen, daran Schuld. Ob dies je von Einfluß auf meine Zukunft sein wird, steht bei Gott! Daß es Papas Wunsch ist, daß ich an eine Verbindung denke, schrieb er mir noch nach Weimar …«

Doch Wilhelm ließ sich nicht drängen. Auch wenn Augusta heimlich von ihm träumen mochte – sein Herz gehörte nach wie vor einer anderen, seiner Cousine Elisa Radziwill, in die er sich als 19jähriger unsterblich verliebt hatte.

Im Schatten von Elisa Radziwill

Elisa war damals erst 13 Jahre alt gewesen und hatte Wilhelm bereits beim ersten Wiedersehen bezaubert: »Schlank von mittlerer Größe mit feiner Taille, besaß sie wundervolle große blaue Augen von einem schwärmerischen Ausdruck, als blickten sie immer in die Höhe oder in die Ferne, aschblondes Haar und eine leichtgebogene Nase unter der edlen Stirn.« So wurde Elisa von Zeitgenossen geschildert, eine Märchenprinzessin für Wilhelm, die zweifelsohne auch seine Gemahlin geworden wäre, hätte sie nicht einen ganz entscheidenden Makel gehabt. Da ihre Familie keinem regierenden Herrscherhaus angehörte, war sie den Hohenzollern nicht ebenbürtig.

Elisas Mutter, Wilhelms Tante Luise von Preußen, hatte 1796 den Fürsten Anton Radziwill geheiratet, zum Entsetzen des protestantischen preußischen Hofes einen Polen und Katholiken! Was für die beiden eine Liebesheirat war, war für den preußischen Hof nichts anderes als eine Mesalliance, und folglich kamen auch die Nachkommen als »Partie« für das Haus Hohenzollern nicht in Frage. Entsprechende Gutachten waren vorsorglich bereits im Jahr 1819 erstellt worden. Wilhelm, nach fachmännischem Urteil seiner Schwester Charlotte in Elisa »bis über beide Ohren verliebt«, wollte sie sogar in morganatischer Ehe heiraten und auf sein Thronrecht verzichten – bis sich schließlich sein königlicher Vater veranlaßt sah, ein endgültiges Machtwort zu sprechen: Im Juni 1826 kam das offizielle »Aus« für die Romanze zwischen Wilhelm und Elisa. Der Sohn, wenngleich zu Tode betrübt, wagte nicht, gegen das väterliche Verdikt aufzubegehren. Als Soldat war er das Gehorchen gewöhnt, und dem König von Preußen gehorchte man allemal: »In tiefer Demut und Unterwürfigkeit«, schrieb er an seinen Vater, »werde ich ein Schicksal tragen, das der Himmel mir auferlegt.« Doch er litt unendlich: »Das, was ich verlor, wie ich liebte, so wie man nur zum ersten Male liebt, das kehrt nie, nie zurück, dafür gibt es keinen Ersatz«, bekannte er seiner Schwester. So empfand Wilhelm auch noch ein halbes Jahr später – was ihn freilich nicht davon abhielt, sich mit der schönen Emilie von Brockhausen zu trösten, der Hofdame seiner Schwägerin, Kronprinzessin Elisabeth. An Augusta hingegen verschwendete er in der ersten Hälfte des Jahres 1827 wohl kaum einen Gedanken. Elisa heiratete schließlich Fürst Friedrich von Schwarzenburg, doch die Ehe scheiterte. Acht Jahre später, im September 1834, starb Elisa in Berlin an Tuberkulose. Wilhelm, der an ihrem Begräbnis teilnahm, konnte sie nicht vergessen. Ihr Bild zierte für den Rest des Lebens seinen Schreibtisch.

Augustas Rivalin

»… daß ich sie Ihnen nach meinem besten Bestreben ersetzen kann!«

Unterdessen hatte man sich auch in Weimar mit dem Gedanken an einen zweiten preußischen Schwiegersohn ein wenig vertraut gemacht und Wilhelm erneut an den Hof eingeladen, freilich ohne daß sich er und Augusta näherkamen. Statt dessen mußte die junge Prinzessin schon bald betrübt erfahren, daß es der »flatterhafte junge Mann« bevorzugte, sich anderweitig umzublicken. Im Sommer 1827 ging Wilhelm an verschiedenen europäischen Höfen auf Brautschau in der festen Überzeugung, daß auch noch andere Mütter schöne und heiratswillige Töchter hatten. Doch er wurde nicht fündig, und dem Vergleich mit der elfenhaften Elisa hielt ohnehin keine stand. Letzten Endes blieb also nur noch Augusta »übrig«, die auch sein Vater favorisierte und die schließlich, wie Wilhelm an seine Schwester Charlotte schrieb, »die erste war, die mir nach jener Katastrophe einen Eindruck machte«. Richtig entscheiden konnte er sich freilich immer noch nicht, und so mußte Friedrich Wilhelm III. ein erneutes Machtwort sprechen und dem unentschlossenen Sohn die Entscheidung abnehmen. Wilhelm, wohl froh darüber, daß er sich der Qual der Wahl hatte entziehen können, teilte seinem königlichen Vater mit, daß er den »Befehl« unverzüglich und nicht unwillig ausführen werde: »Die Worte des Dankes gegen Sie, teuerster Vater, kann ich nicht unterdrücken, da Sie durch Ihren Ausspruch meinem Leben eine bestimmte Richtung gegeben haben.« Die getroffene Wahl, so der zukünftige Bräutigam, sei gewiß Gottes Wille – eine Formulierung, die eher nach Resignation als nach freudiger Erwartung klingt. Augusta aber konnte aufatmen, nun, da sich Wilhelm nach langem Zögern doch noch für sie entschieden zu haben schien. Daß dies in Wirklichkeit so nicht der Fall war, ahnte sie nicht.

Am 29. August 1828 – soeben war Augusta konfirmiert und damit auch »heiratsfähig« geworden – formulierte Wilhelm seinen schriftlichen Antrag an die Weimarer Prinzessin: »Zwar mit Bangigkeit, aber doch auch mit der festen Zuversicht auf Gott, daß er mir in diesem Augenblick nahe sei, nähere ich mich Ihnen vertrauensvoll. Gehen meine innersten Hoffnungen durch Ihren Beschluß in Erfüllung, ist das Glück meines Lebens gesichert. Mein Schicksal ist dann entschieden, denn ich weiß, daß ich Ihnen mein ganzes Leben weihen darf und Ihnen mit Gottes Beistand, soviel es in meinen Kräften steht, ein Glück zu bereiten trachten darf, welches mein höchstes und schönstes Ziel sein und bleiben wird …«

Die knapp 17jährige Augusta wird diese – zwar etwas umständlichen und steifen – Formulierungen mit großer Freude gelesen haben. Glücklich gab sie ihr Jawort, denn sie glaubte Wilhelm wirklich zu lieben – ein Gefühl, das sie zum ersten Mal in ihrem Leben empfand und das sie in schwärmerische Begeisterung versetzte, waren ihre Illusionen doch noch nicht durch bittere Erfahrungen getrübt worden. Erneut wurde Wilhelm nach Weimar eingeladen, doch trotz des zuvor erfolgten Heiratsantrags kam er auch diesmal wieder mit sichtlich gemischten Gefühlen dort an. Erst unlängst hatte er im Vertrauen zu seiner Schwägerin Marie gesagt, Passion empfände er für Augusta keine, aber er wolle sie glücklich machen. Anderen gestand er sogar: »Die Prinzessin ist schön und klug, aber sie läßt mich kalt.« Und seiner Schwester Charlotte hatte er noch im Juli geschrieben: »Man kann nur einmal im Leben wirklich lieben.«

Und doch muß das Wiedersehen mit Augusta einen gewissen Stimmungsumschwung bei ihm bewirkt haben, nun, da er feststellen konnte, daß seine junge Braut sichtlich in ihn verliebt war. Das schmeichelte ihm natürlich und bewirkte wohl auch eine gewisse Zuneigung seinerseits. Auf jeden Fall versicherte er in einem Brief an Charlotte am 18. Oktober, »daß zu Achtung und Schätzung, die ich für sie immer empfand, Liebe sich gesellt hat, die sie mir unendlich wert macht, um so mehr, seitdem ich sehe, daß sie meine Gefühle erwidert«. Wie diese Gefühle auch immer ausgesehen haben mögen, die junge Augusta war ohne jeden Zweifel in Wilhelm verliebt, auch wenn sie sich durchaus bewußt war, daß über ihrem Glück ein dunkler Schatten lag. Und doch war sie zuversichtlich, daß die Erinnerung an die schöne Rivalin mit der Zeit verblassen würde. »Ich weiß, wen ich Ihnen ersetzen soll«, gestand sie Wilhelm am Tag ihrer Verlobung, dem 25. Oktober 1828, »Gott gebe, daß ich sie Ihnen nach meinem besten Bestreben ersetzen kann!«

Während der nun folgenden, knapp achtmonatigen Verlobungszeit schrieben sich die beiden Dutzende von Briefen. Augusta erlebte ein Wechselbad der Gefühle. Denn während man ihrer Korrespondenz die Vorfreude auf die Zukunft deutlich anmerkt, klingen Wilhelms Worte doch deutlich nüchterner. Offenbar war seine »Liebe« nur vorübergehender Natur gewesen. Bereits im Dezember schrieb er von »dunklen Wolken«, die möglicherweise über der gemeinsamen Zukunft schwebten, auch wenn er scheinbar beruhigend hinzufügte: »Aber Sie kennen ja schon hinreichend Ihren finsteren Wilhelm, um zu wissen, daß solche Worte nicht gesagt werden, um finster zu stimmen, sondern gerade im Gegenteil, um dadurch heiter und ohne Illusionen der Zukunft entgegenzugehen.« Und wenige Tage später warnte er erneut vor überzogenen Hoffnungen: »Ein Schmeichler bin ich nicht, das wissen Sie hoffentlich, liebe Augusta, hinreichend.«

Doch Augusta war noch zu jung und unerfahren, um diese Worte als Warnzeichen deuten zu können. Sie ging der Zukunft tatsächlich heiter entgegen – und voller Illusionen, die künftige Ehe zur beiderseitigen vollsten Zufriedenheit meistern zu können. Gleichwohl graute ihr vor dem immer näher heranrückenden Abschied aus Weimar und vor all dem, was im fernen Berlin auf sie wartete. Am 6. Juni 1829 war es soweit. Prinz Wilhelm war in Weimar eingetroffen, um seine junge Braut einen Tag später in ihre neue Heimat zu geleiten.

Es wurde ein tränenreicher Abschied, zudem auch noch bei strömendem Regen. Trotzdem standen Tausende ihrer Landsleute am Wegesrand, um die rosenbekränzte Kutsche mit ihrer Prinzessin in die Ferne fahren zu sehen. Unter ihnen befand sich auch Augustas großväterlicher Freund Goethe, der der Davonfahrenden hinterherrief: »Möge es ihr wohlergehen in dem ungeheuer weiten und bewegten Element!« Abschiedsworte, die eher besorgt als hoffnungsvoll stimmten.

Drei Tage später kam man müde und erschöpft in Berlin an, doch Augusta hatte nicht viel Zeit, sich von den Strapazen der Reise zu erholen und sich mit ihrer neuen Umgebung ein wenig vertraut zu machen. Bereits am folgenden Tag, dem 11. Juni, fand in der Charlottenburger Schloßkapelle die Vermählung statt: Wilhelm in großer Generalsuniform, Augusta trug dem Protokoll gemäß die diamantene Prinzessinnenkrone, die jedoch aus dem 18. Jahrhundert stammte und der damaligen Haarmode angepaßt war – entsprechend unvorteilhaft sah die junge Braut damit aus. Und auch wenn sie sich nach außen hin heiter und vergnügt geben mußte, so war ihr die Anspannung doch deutlich anzumerken. Daß der Bräutigam ganz offensichtlich nicht bester Stimmung war, kam noch hinzu. Sein Jawort, so hieß es, sei am Altar kaum zu hören gewesen. Aber auch Wilhelm kannte seine Pflichten.

Der Rest der Hochzeitsfeierlichkeiten verlief protokollgemäß und routiniert. Daß Augusta die anstrengende zweistündige Beglückwünschungscour mit Bravour überstehen würde, war aufgrund ihrer mustergültigen Erziehung zu erwarten gewesen. Die Hochzeitsgäste waren »enchantiert«, und doch war allgemein zu spüren: das Herz ihres Mannes hatte Augusta nicht gewonnen, und auch das der Hofgesellschaft nicht.

Das diffuse Unbehagen muß auch die junge Prinzessin ergriffen haben. Schon kurz nach der Hochzeit schrieb sie nach Hause: »Meine Erinnerungen an die ersten Tage bringen mir nur das drückendste Gefühl von Verdutztheit, Angst und Heimweh.« Tatsächlich war Augusta mit ihrer Heirat in eine gänzlich neue Welt eingetreten, mit der sie nie so ganz zusammenfinden sollte. Philipp von Eulenburg, späterer Intimus von Kaiser Wilhelm II., hat das in seinen Erinnerungen einmal treffend formuliert: »Sie heiratete in eine äußerlich größere, innerlich kleinere Welt.« Vom liberalen Musenhof in Weimar war Augusta in das militärisch-nüchterne Berlin gekommen.

Jahre im »Fegefeuer«

Militär statt Muse

Natürlich hatte Augusta gewisse Vorstellungen davon gehabt, was sie in ihrer neuen Heimat erwarten würde. Als fleißige Schülerin wußte sie aus dem Geschichtsunterricht, daß der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm (1640  1688) im Jahr 1640 fünf getrennte, in Konfession, Verwaltung, Wirtschaft und Ständerechten verschiedene Territorien geerbt hatte. Damals waren die Hohenzollern noch weitgehend bedeutungslos gewesen, und auch der Große Kurfürst, der diesen Ehrennamen nach der Schlacht bei Fehrbellin im Jahre 1675 errungen hatte, nachdem Preußen über die Schweden gesiegt hatte, war nichts weiter als ein politischer Zwerg, ein Spielball im europäischen Machtgefüge gewesen. Und doch war es kein anderer als er, der seinem Land den Stempel des Militarismus aufgedrückt hatte, wovon sich Preußen nie wieder erholen sollte.

Mit sicherem Blick hatten der Große Kurfürst, der »Soldatenkönig« Friedrich Wilhelm I. und schließlich Friedrich der Große wechselnde Koalitionen genutzt, um den Streubesitz zu einem einheitlichen Ganzen zu formen – zu Preußen. Seitdem aber spielte das stehende Heer die Hauptrolle in diesem Land, das in kaum 150 Jahren von einem armen und nahezu bedeutungslosen künstlichen Gebilde zu einer Großmacht avanciert war. »Die sichersten Mittel, einem Volk, einem Land, einem Reich andauerndes Glück zu sichern, sind ein Heer ausgewählter Krieger und eine gute Haushaltung.« So das Credo des Soldatenkönigs, der zwar streng auf Sparsamkeit achtete, aber von jährlich 7 Millionen Talern preußischer Staatseinnahmen allein 5 Millionen für die Armee ausgab, nachdem er sein Heer von 38 000 auf 85 000 Mann vergrößert hatte. Die Offiziere kamen aus dem Adel. Der König zwang die Adelsfamilien geradezu, ihre Söhne als Beamte oder Offiziere zur Verfügung zu stellen. Wer »des Königs blauen Rock« trug, war öffentlich geehrt, zumal der König selbst immer in Uniform erschien. Und das war auch noch zu Augustas Zeiten so: Preußens Könige waren in erster Linie Soldaten, und nach wie vor prägten Uniformen das Bild der Stadt Berlin. Die Hofhaltung war entsprechend mager, und für die Muse war am sparsamen Berliner Hof weder viel Zeit noch Geld da. Dichter und Denker hätten in dieser Atmosphäre wohl ohnehin schleunigst das Weite gesucht.

Berlin im Biedermeier

Bei Augustas Ankunft in Berlin litt die Hauptstadt Preußens zudem noch immer unter schwer drückenden Folgen des Krieges mit Frankreich. Die preußische Niederlage in den Schlachten von Jena und Auerstedt (1806) und der folgende staatliche Zusammenbruch hatten das Ende des friderizianischen Preußens bedeutet. Zwar hatte Napoleons Krieg auch im Weimarer Land tiefe Wunden geschlagen, doch waren sie in dem kleinen Staatswesen verhältnismäßig rasch wieder geheilt. In Preußen nicht. König Friedrich Wilhelm III