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Christoph Burger



Der Zornkönig

Christoph Burger



Der Zornkönig




Wie Sie Ihren Ärger positiv nutzen





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Für Hedda

VORWORT

Krach mit den Kollegen, Ärger mit dem Chef, Streit mit der Partnerin, dem Partner oder den Kindern, der ganz private Wutanfall: Kennen Sie das? Oder vermeiden Sie lieber jede Auseinandersetzung und treffen dennoch manchen Streithahn und Wutbolzen? Dieser Ratgeber zeigt, dass Ärger und Konflikte mehr als akzeptabel sind. Sie sind unverzichtbar für Veränderungen. Dabei ist gleichgültig, was Sie erreichen wollen. Sie können von Ihrer energiereichen Emotion immer profitieren. Erfahren Sie, wie Sie Ihren Groll positiv nutzen: Als Treibstoff für Ihre Karriere, als Jungbrunnen für Ihre Partnerschaft, als Erziehungshilfe für Ihre zornköniglichen Kinder. Entdecken Sie den Esprit des Zornkönigs!

Sie verdanken das Buch den Leuten von mvg, der Programmleiterin Heike Neumann und der Lektorin Katharina Tschopp, die dem Zornkönig einiges zutrauten. Oliver Gorus und Jörg Achim Zoll von der Agentur Gorus, die das Material schon kannten, bevor der Zornkönig dazustieß, halfen ausgesprochen kompetent, fachlich souverän und menschlich angenehm, geduldig und mit hohem Anspruch, die ersten Ansätze in die Form eines vermarktbaren Konzeptes zu gießen, und stellten gemeinsam mit Ulrike Tomassek den Kontakt zum mvg-Verlag her. Ihnen allen, ohne die dieses Buch nicht in dieser Form zustande gekommen wäre, möchte ich herzlich danken. Geschrieben habe ich es selbst, weshalb die Genannten keine Verantwortung trifft, sondern Sie sich bitte bei berechtigter Empörung an mich wenden (bei Gefallen auch, ich werde es weitergeben). Herzlichen Dank an Hedda, Linnea, Jorrit für ihre Liebe, an Marlies und Bernhard für die liebe Unterstützung, an Mascha und Ursula für ihre Begleitung, den Butzweilerern und Verdenern für prägende Zeiten und nicht zuletzt allen einen herzlichen Dank, die mich die letzten 40 Jahre ordentlich geärgert haben. Ohne sie wäre dieses Buch nicht entstanden.

EINLEITUNG: WELTENLENKER ODER MICKRIGE MAJESTÄT? WIE WICHTIG ÄRGER IST

Kardinal Colombo übersah die neuesten Listen. Blitzschnell überschlug er die Kosten der letzten Tobsuchtsanfälle des Herrschers, ein kleines Vermögen. Der noch junge Kardinal, von hagerer Gestalt, wie stets in einer schwarzen Kutte steckend und mit einem spitzen Bart unterm Kinn als einziger Zierde, war zu Recht erster Berater des Königs von Zorn. Sein scharfer Verstand und seine kalte Konsequenz waren weithin gefürchtet. Colombo strich seinen Bart zu einem schwarzen Dreieck. Er musste hinter das Geheimnis des Zorns kommen. Schwierig gerade für ihn, das wusste er, aber er musste. Zorn und Grimm waren kostspielige Schlüssel zur Macht. Jedoch: Wie unterschiedlich wirkten sie! Das Haus Protzburg, wo die Furcht regierte und der Herrscher tobte, musste einiges davon verstehen. Im Reich des Königs von Zorn …

Wie es im Haus Zorn um den Ärger bestellt ist, werden Sie in diesem Buch genauer erfahren. Insbesondere wird vom künftigen Zornkönig zu berichten sein, der es in Sachen Ärgernutzung zu wahrer Meisterschaft brachte und letztlich des Kardinals Fragen beantwortete. Schon jetzt war Colombo bewusst: Ärgeranlässe gibt es genug.


Ärger ist alltäglich

So war es damals, so ist es heute. Wir kommen manchmal gar nicht aus dem Haus, ohne uns zu erregen. Verschlafen aus dem Fenster blickend, werden wir gewahr, dass der Lärm draußen von der Müllabfuhr kommt, die gerade die Tonne der Nachbarn leert und unseren übervollen Eimer nicht, weil wir ihn wieder mal im Schuppen vergessen haben. Das Kind schafft es auch heute kaum aus dem Bett und trödelt im Bad. Von gestern stehen noch Bierflaschen auf dem Tisch und den Blumen sieht man deutlich an, dass sie unser Partner nicht gegossen hat.

Sie können sich über andere ärgern oder über sich selbst. Manchmal auch über Automaten, das jedoch nur, wenn sie Menschen dahinter erspähen, die ihn aufstellten. Sollten Sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein, kennen Sie diese Automaten gut, die nicht funktionieren. Wenn Sie die Bahn schon zuvor für kundenfeindlich hielten oder den Hersteller als schlampig eingeschätzt haben, werden Sie mit Ihrem Urteil sofort fertig, da kommt eins zum anderen. So oder so pflegen wir unsere Schubladen und Ärger ist immer mit einer Bewertung verbunden. Neutralen und objektiven Ärger gibt es nicht. Wenn Sie das nicht glauben, stellen Sie sich einfach einen meditierenden Yogi vor, dem alles Irdische reichlich egal ist. Solch einem Yogi kann keiner dumm kommen, er bewertet nicht und ihn belästigt nichts. Umgekehrt schaffen Sie es auch. Gleich, welches Glück Ihnen begegnen will: Sie bestehen auf Ihrer miesen Laune. Mit Karl Kraus gesagt: »Er lässt sich seinen Ärger beim Essen durch keinen Appetit verderben …«

image-106301302e53c8e Königliches Dekret Nr. 001: Ärger ist an Bewertungen gebunden, überdenkt Eure Urteile und Ihr werdet des Ärgers Herr.

Noch sind Sie nicht an der Arbeit, da gibt es schon weiteren Verdruss. Der Zug ist zu spät. Dann kommt er endlich, Sie stehen drin und fragen sich vielleicht, ob es einen tieferen Sinn dafür gibt, dass die Bahn den Pendlerzügen zu wenig Wagen anhängt. Wer zu spät einsteigt, den bestraft die Bahn durch Sitzplatzentzug.

Oder sind Sie mit dem Auto unterwegs? Hier gibt es für jede Vorliebe passende Ärgeranlässe. Den Durchschnittsfahrer nerven die Drängler, die ihm wild gestikulierend und mit der Lichthupe blinkend auf der hinteren Stoßstange hängen. Wer gern zügig unterwegs ist, den peinigen umgekehrt jene Trödler, die unvermittelt ausscheren und dann mit 120 auf der linken Spur parken. Weiteren Anlass zum Groll geben uns die von der Polizei als »Mittelspurschleicher« bezeichneten Fahrer. Statt auf der rechten Spur zu kriechen, schleichen Sie in der Mitte voran, wofür sie fantasievolle Begründungen anbieten und dennoch heftige Strafen zahlen müssen, wenn sie erwischt werden. Eine andere besondere Spezies sind die »Reinschneider«. Sie quetschen sich nach dem Überholen direkt vor Ihnen dorthin, wo keine Lücke ist.

Auf der Landstraße begegnet man vorsichtigen Typen, die Tempo 70 für das Äußerste halten. Sobald sie von ferne ein gelbes Ortseingangsschild erblicken, reduzieren sie ihr Tempo drastisch, damit sie der Gefahr begegnen, in den Ort hineinzurasen. Hierin unterscheiden sie sich von denen, die ich als »falsche Siebziger« bezeichne. Sie bewegen sich ebenfalls mit höchstens 70 über die Landstraße, brettern aber dann mit demselben Tempo durch die Ortschaft. Seit ich diese Unterscheidung treffe, ärgere ich mich nicht mehr über diese Fahrstile, sondern beobachte gespannt, zu welcher Kategorie sich der Wagenlenker vor mir bekennt – Humor ist eine Möglichkeit, den Fährnissen des Alltags zu begegnen.

Ihr Computer mit seinen Tücken und Macken, seinen Viren und immer wieder verblüffend eigenwilligen Aktivitäten bietet selbstverständlich eine reichhaltige Ärgerquelle. Ebenso Ihr

image-1063015f5cbb345 Königliches Dekret Nr. 002: Bildet Kategorien für Untertanen, die Gebote missachten. So erlangt Ihr ein köstlich Hobby.

allzu lässiger Kollege, Ihre qualitätsbewusste und sauberkeitsfanatische Nachbarin und alle anderen, denen Sie den Tag über begegnen. Der Mensch ist immer noch des Menschen liebstes Ärgernis. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Bewertung. Ihre Einteilung in Lieblinge und Brechbrocken unterliegt Ihrer persönlichen Einschätzung. Ob Ihre Botschaft beim anderen ankommt, hängt wiederum an dessen Blickwinkel. Mit den Worten Friedrich von Schlegels ausgedrückt: »Es ist unmöglich, jemandem ein Ärgernis zu geben, wenn er es nicht nehmen will.«

image-1063015444c8c37 Königliches Dekret Nr. 003: Wer Ärger sucht, findet ihn.

Sollten Sie einmal komplett zufrieden in einem bequemen Sessel sitzen, es Ihnen dabei zu langweilig werden und Sie den Kitzel des Grolls vermissen: Rufen Sie einfach eine Service-Hotline an. Bei der Telekom schaute ich neulich auf die Uhr. Nachdem ich der Computer-Stimme zu Anfang einige Fragen zu meinem Anliegen beantwortete – die sie übrigens sogar sofort verstand –, hörte ich ein Warte-Gedudel und sonst nichts mehr. Nach zehn Minuten verlor ich die Geduld und legte auf. Noch ein Versuch: Diesmal sagte ich der Computer-Dame, dass ich die Störungsstelle sprechen wolle. Schon nach drei Minuten wurde ich für die Annahme belohnt, dass Störungen der Telekom wichtiger sind als anderes, und ein leibhaftiger Mensch präsentierte sich am anderen Ende der Leitung. Ich erklärte der Mitarbeiterin, dass ich eben zehn Minuten in der Warteschleife zugebracht hatte und das jetzt mal als Störung definiere, und was ich wollte. Natürlich konnte sie mich nicht weiterverbinden, war ja eigentlich klar.

Gerade geht durch die Medien, dass die Telekom Mitarbeiter ausgliedern will: in Service-Gesellschaften!? Allgemein scheint es heute so, dass, je weniger Menschen sich um einen kümmern, die Unternehmen desto häufiger das neudeutsche Wort »Service« vor sich hertragen.


Ärger ist wichtig

Im Reich des Königs von Zorn konnte man sich zu jeder Zeit über alles aufregen. Colombo hörte über sich seinen König wüten. Das Gebrüll war so laut, dass es mühelos durch die massive Schlossdecke drang. Colombo hörte einen Moment versonnen zu. Ja, das hiesige Königsgeblüt hatte die Bedeutung des Zorns für die Weltgeschicke erkannt. Im Goldstaat dagegen …

Wie wichtig Ärger und Zorn sind, scheint heute immer deutlicher bewusst zu werden. Schon von jeher haben sich gewichtige Denker gerne mit dem »Phänomen Wut« befasst. Der Reigen beginnt spätestens mit dem alten Griechen Aristoteles. Jüngstes Beispiel ist das im Herbst 2006 erschienene Werk »Zeit und Zorn« von Peter Sloterdijk. Der bekannte Philosoph und Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe entfaltet dort auf 350 Seiten seine These, dass der Zorn in entscheidender Weise das gesamte Weltgeschehen prägt. Bereits im ersten Satz der europäischen Überlieferung, die mit der Ilias beginnt, findet sich das Wort »Zorn«, und die Geschichte reicht bis zu den heutigen zornstrotzenden Islamisten, die uns mit ihren Selbstmordanschlägen das Fürchten lehren. Einig im Interesse und dem grundsätzlichen Denkansatz dazu hätten sich Sloterdijk und der Kardinal Colombo wohl bestens verstanden.

Entscheidend und wenigstens nicht tödlich ist folgende Geschichte. Im Sommer 1958 gab auf einem Fußballplatz in München ein kräftiger Junge einem kleineren eine Ohrfeige – und entschied damit das Schicksal des deutschen Fußballs. Der Kleine spielte ziemlich gut. Eigentlich hatte er vorgehabt, sein Talent beim damals führenden Verein, dem TSV 1860 München, zu entwickeln. Aber von einem Fußballer dieses Klubs hatte er eben mitten auf dem Spielfeld eine Ohrfeige bekommen. Also zog Franz Beckenbauer zum FC Bayern München und überzeugte gleich noch drei Freunde, ebenfalls talentierte Spieler, mit ihm zu gehen.

Auch diese Geschichte dreht sich letztlich darum, wie Ärger wirkt. Der Auslöser für die Ohrfeige war, dass der spätere Kaiser Franz seinen Gegenspieler zu oft mit fußballerischen Mitteln genarrt hatte, was diesen ordentlich wurmte. Zudem schoss der kleine Beckenbauer auch noch ein Tor und krönte seine Leistung mit den Worten »Na, da schaust, du Depp«. Da wurde aus dem Ärger seines Gegners eine Ohrfeige, was den Zorn an den späteren Fußball-Kaiser weiterreichte, der ihn, schon ganz kaiserlich, nicht passiv hinnahm, sondern seinem Unmut Taten folgen ließ.1 Eine umwälzende Wirkung entfaltet der Ärger also besonders da, wo er zum Handeln motiviert.

image-10630173 Königliches Dekret Nr. 004: Begreift, dass Ärger Entscheidungen begründet und so alles bestimmt. Darauf könnt Ihr ein mächtig Reich errichten.

Der Beginn der mächtigsten Organisation der Welt, einer Vereinigung mit einer Milliarde Mitglieder weltweit, der katholischen Kirche, war das Leben Jesu, das seine Zeitgenossen vor allem nachhaltig verärgerte. Als Jesus den Pharisäern kluge und häufig unbotmäßige Antworten gab, als er ihre Gesetze brach, indem er den Sabbat nicht heiligte und vor Wut rasend im Tempel Tische umwarf, riss er die herrschende theologische Klasse aus ihrer Gleichmütigkeit. Jesus reizte sie dermaßen, dass sie ihn schließlich ans Kreuz nagelten. Hätte er sie nicht so in Rage gebracht, wäre er deutlich weniger beachtet worden.

Heftig verärgert haben alle Menschen, die das Weltbild ihrer Zeit erschütterten. Darwin kränkte mit seiner Theorie, dass der Mensch vom Affen abstamme, die Gesellschaft zutiefst. Nicht anders Sigmund Freud mit seiner These, das Unbewusste bestimme uns weitgehend. Auch Karl Marx, der selbst von sich sagte, er sei kein Marxist, fand eine Menge Anhänger – und noch mehr Feinde. Aus vielen Ländern Europas wurde er ausgewiesen. Seine vermutliche ursprüngliche Motivation findet man auf zahlreichen Seiten in seinen Texten, auf denen er keine politischen oder wirtschaftlichen Theorien entfaltet, sondern schlicht die schrecklichen Verhältnisse schildert, in denen die Arbeiter im frühindustriellen Zeitalter lebten. Wie seine Zeitgenossen sich über Marx’ Schriften erregten, erhitzte er selbst sich also über dieses kärgliche Dasein. Er empörte sich, schrieb Artikel, mit denen er seine Mitmenschen verärgerte, die wiederum ihn anprangerten, was seine Anhängerzahl steigerte. Einmal mehr drehte sich die Geschichte um persönlichen und gesellschaftlich erregten Groll.

Gleichgültigkeit ist das Gegenteil von Ärger. Wer die Gleichmut der Gesellschaft nicht stört, der wird auch nicht verfolgt oder angefeindet, selbst wenn es ein schlauer Kopf ist. Über Jesu erste dreißig Lebensjahre weiß man so gut wie nichts. Erst als die Juden sich über ihren Glaubensbruder echauffierten, wurde er bekannt. In der Bibel heißt es: »und selig ist, der sich nicht an mir ärgert« (Matthäus 11,6). Die einen regten sich über ihn auf, die anderen folgten ihm nach. Je mehr sich aufregten, desto mehr folgten ihm. Oder, mit anderen Worten ausgedrückt: Wer Anstöße geben will, sollte anstößig sein. Das entsetzte Publikum steigert dann die Popularität und die Anhänger finden leichter zu einem.

image-10630192 Königliches Dekret Nr. 005: Verärgert andere und Euer Ruf verbreitet sich in der Welt.

Prüfen wir die Annahme Kardinal Colombos, dass sich alles am Ärger entscheidet, anhand der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik. Im Jahre 1995 stand Rudolf Scharping der SPD vor. Scharping, vom Kabarettisten Matthias Deutschmann als Versuch der Sozialdemokraten bezeichnet, sich mit einer einzigen Schlaftablette umzubringen, hatte die Partei bereits in den Halbschlaf versetzt. Da hielt Oskar Lafontaine auf dem Parteitag eine flammende, mitunter wutentbrannte Rede. Die Emotion sprang über. Am nächsten Tag kandidierte Lafontaine in einer Kampfabstimmung überraschend als neuer Vorsitzender und wurde mit überwältigender Mehrheit gewählt. 1998 wählten die Deutschen mehrheitlich SPD, Gerhard Schröder wurde Kanzler und Lafontaine Super-Minister. Das ging nicht lange gut, Lafontaine schied nach nur 186 Tagen frustriert aus der Regierung aus, trat zugleich als SPD-Vorsitzender zurück und gab sein Bundestagsmandat ab. Als er in die Politik zurückkehrte, gründete er seine eigene Partei und trat damit 2006 gegen Schröders SPD an. Nach der Wahl entschied der persönliche Ärger der Streithähne über die künftige Regierung. SPD, Grüne und Linke hätten sie rechnerisch stellen können, aber die Vorgeschichte warf einen zu mächtigen Schatten. Lafontaine und Schröder waren sich spinnefeind, das Bündnis hatte keine Chance. Es gab die große Koalition und Schröder verabschiedete sich aus der Politik. Merke: Der persönliche Ärger entscheidet unter anderem Fragen der Weltpolitik.

Auch durch die internationale Politik von heute würde sich Kardinal Colombo bestätigt fühlen. So soll sich Putin weiß geärgert haben, weil sein Widersacher, der russische Milliardär Chodorkowskij, ohne Krawatte im Kreml erschien. In einem politisch motivierten Prozess wurde Chordorkowskij zu acht Jahren Haft verurteilt. Nicht folgenlos: Er schickt sich an, zum Märtyrer zu werden, und bereitet von der chinesischen Grenze aus die Machtübernahme im Kreml vor.2 Da die Russen Märtyrer bewundern, dürfte er gute Chancen haben.

image-10630203 Königliches Dekret Nr. 006: Nehmt den kleinen Ärger großer Herrscher so wichtig wie Kriege – beide entscheiden gleichermaßen die Politik.

»Ich kann mich an nichts erinnern – außer an die Sachen, die mich zum Lachen, Weinen oder auf die Palme gebracht haben. Das ist alles, was dir bleibt.«3 – so sagte die Großmutter des amerikanischen Bestsellerautors John Irving, die ihn sein Leben lang prägte. Bedenken Sie also, wie sensibel andere auf Kleinigkeiten reagieren können, die ihnen wichtig sind, und seien es fehlende Krawatten. Setzen Sie sich außerdem sehr sorgsam und gründlich damit auseinander, wenn Ihnen jemand über seinen Ärger berichtet. »Maria bewegte es in ihrem Herzen« steht in der Bibel. Das heißt: Weisen Sie Kritik nicht zurück und verteidigen Sie sich nicht. Das ist die beste Methode, mit Vorwürfen umzugehen. Den Verdruss, den Sie anderen bescheren, können Sie nicht hoch genug einschätzen. Widmen wir uns nun der Frage, wie unsere heutige Gesellschaft mit Ärger – und anderen unangenehmen Emotionen und Situationen – umgeht.


Ärger, das Teufelszeug

… schien der Groll dagegen abgeschafft, während die königlichen Geschäfte ausgezeichnet liefen. In Panien war es wieder anders: Seit dem Thronwechsel wurde der Ärger dort verteufelt. Der neue Herrscher hasste es, wenn andere energischer wirkten als er selbst, und liebte ruhige Geschäfte. Von oben hörte Colombo indessen, wie ein Fenster zu Bruch ging. Gleich darauf flog ein Porzellanengel an seinem Arbeitsgemach vorbei und zersprang im Garten. Der Kardinal beschloss, es auch einmal zu probieren, und schleuderte einen Wandteller hinterher. Nein, er war einfach kein Mann der Gefühle. Vielleicht sollte er nach Panien auswandern?

Vergleicht man unsere Gesellschaft mit den erwähnten Reichen der Zornkönig-Geschichte, lässt sich zweifelsfrei feststellen, wohin wir heute tendieren. Wir lieben es ebenfalls, unsere Geschäfte reibungslos abwickeln zu können wie die Goldstaatler, und im Grunde ist uns der Ärger ähnlich verhasst wie denen im Königreich Panien.

So stellt Günther Beyer, Geschäftsführer des Instituts für Creatives Lernen in Lindlar, fest, dass wir heute nur noch ausnahmsweise offen und ehrlich streiten. Stattdessen gilt: »Konflikte werden verdrängt, ignoriert oder von oben unterdrückt.«4 Dazu passend empfehlen gängige Ratgeber: Streichen Sie den Satz »Ich bin überlastet«. Sagen Sie »Ich werde gefordert«. Auch wer »stinksauer« ist, soll sich lediglich »verstimmt« zeigen. Wo man früher »enttäuscht« war und damit das Ende der Täuschung sowie den Beginn klarer Sicht erleben konnte, darf man sich heute nur noch »wundern«.5

image-10630218 Königliches Dekret Nr. 007: Glaubt nicht jenen Regierungslehren, die Gefühle herabwürdigen, denn sie bringen nur Lug und Trug.

Wir halten unsere Welt zunehmend keimfrei und sie gerät immer seichter. Wir picken uns heraus, was angenehm ist, und schaffen Unbequemes ab. Auf der einen Seite die Stars: Glück, Zufriedenheit, Erfolg. Aber Ärger? Nein, das ist ja ein negatives Gefühl. Not charming. Esprit hat er schon, aber er ist kein Verkaufshit. Die Verpackung ist nicht gut genug designt, sagt das Marketing. Die Vertriebsleute wurden beauftragt, die Sache mal zu begutachten. Die haben gesehen: Ein Wutanfall beim Kunden ist nicht gut, der Kunde ärgert sich und kauft nicht mehr. Daraufhin haben sie kurz nachgedacht und die Analogie gezogen. Dann kann Ärger im Unternehmen auch nicht gut sein. Sie haben sich mit der internen Revision zusammengesetzt und den Ärger abgeschafft. Können wir ausschließlich das Angenehme wählen? Oder hängen positive und negative Emotionen und Erlebnisse zusammen?

Der Psychotherapeut und Autor Michael Mary enthüllt in seinem sehr lesenswerten Buch »Die Glückslüge« den Kern der Methoden moderner Glücksmacher, jener Autoren, die sich ganz dem Positiven widmen. Ihr Ausgangspunkt sei gewöhnlich ein höchst geheimer Trick, den sie auf besondere Weise erfahren haben wollen und nun aus reiner Menschenliebe zum Verkauf freigeben. Sie versprechen, dass Glück, Reichtum und Erfolg für jeden dauerhaft möglich seien. Wozu also warten? Schnell ein Motivationsseminar buchen oder ein Glücksbuch lesen und fertig. Neuerdings können Sie sogar Ihre Wünsche beim Universum aufgeben, das klappt auch. Dank eines besonderen Kniffes sind die »Glücksmacher« in eigener Sache stets erfolgreich. Wahre Motivation setze nämlich einen festen Glauben an sich selbst voraus, sagen sie – und eben an die Methode! Wenn es dann nicht zur Zufriedenheit läuft, haben Sie halt nicht fest genug daran geglaubt. Wenn es dagegen gut geht, haben Sie daran geglaubt.

Praktisch für die Heilsverkünder; egal, wie es ausgeht, die Methode ist immer richtig. Das erinnert an einen Sketch von Anke Engelke. Sie erzählt darin im Hippielook, sie verhüte nach einer alten indianischen Methode. »Dazu muss man getrockneten Sauerampfer unters Kopfkissen legen. Und zwei Tage vor dem Sex alle zwei Stunden einen Liter Branntweinessig trinken. Und eine Knoblauchzehe essen.« Pause. »Und natürlich ein Kondom benutzen, sonst ist es doch zu unsicher.« Die Lacher sind sich darin einig, dass es letztlich auf das Kondom ankommt und damit auf eine Methode, die unabhängig vom Glauben funktioniert.

image-10630233 Königliches Dekret Nr. 008: Geht nicht jenen Wunderheilern auf den Leim, die Euch Heil verkünden ohne Mühe; denn Ihr solltet wissen, wie viele Taler Ihr zahlen müsst, damit Ihr allzeit recht kalkuliert.

Sicherlich ist der Glaube an den Erfolg hilfreich, aber nicht alle gehören zu den Glücksgläubigen und Optimisten. Einen interessanten Beitrag zur Frage, ob alle Erfolgreichen Optimisten sein müssen, bieten Forschungen zum sogenannten »Defensiven Pessimismus«6. Dieses Konzept untersucht Menschen, die vor Herausforderungen stehend alle möglichen Unwägbarkeiten im Kopf hin und her wälzen und dafür Handlungsmöglichkeiten ersinnen. Sie sind nicht nur erfolgreich, sondern benötigen dieses Grübeln sogar. Hindert man sie daran, schneiden sie schlechter ab. Vielleicht ist gar der Basketballer Dirk Nowitzki so ein Typ. Er sagt: »Pychologen wollen dir natürlich vermitteln: Wenn du aufs Feld gehst, bist du der Größte und Allerbeste. Aber meine Einstellung war immer, dass alle anderen besser sind als ich.«7 Ein absoluter Siegertyp bekennt sich ganz entgegen dem üblichen »Tschaka-Motivationsgebrüll« zur Bescheidenheit, interessant. Optimismus und Siegermentalität müssen nicht sein, man kann auch anders erfolgreich werden.

Insgesamt gesehen, scheint der Wille zur Veränderung wichtig, aber die konkrete Taktik persönlich wählbar. Kardinal Colombo testet in der einleitenden Geschichte, welcher Typ er ist, und stellt fest: Es sind nicht alle gleich. Eben deshalb füllt dieses Buch eine Lücke: den Weg zum Erfolg für alle, die sich den Ärger nicht abgewöhnen wollen oder können. Wenn Sie dazugehören, sollten Sie sich nicht verbiegen und ein Dauerlächeln aufzwingen – damit überzeugen Sie weder sich selbst noch andere.

image-10630242 Königliches Dekret Nr. 009: Arbeitet viel und hart und Ihr werdet viel erreichen. Das gilt für Königreiche und für Könige gleichermaßen. Wählt die für Euch passende Weise und Ihr werdet erfolgreich sein.

Ärger ist eng verbunden mit Misserfolgen. Wir wollen aber keinen Misserfolg, sondern Erfolg. Erfolg? Ja, den hätten wir gerne in der XXL-Portion und auf Lebenszeit. Aber Misserfolg? Einer, der es wissen muss, nämlich Thomas Alva Edison, Weltmeister der Patente, sagt: »Erfolg ist ein Gesetz der Serien, und Misserfolge sind Zwischenergebnisse. Wer weitermacht, kann gar nicht verhindern, dass er irgendwann auch Erfolg hat.« Ganz entgegen dem heute verbreiteten Motto – »Suche den Erfolg, meide den Misserfolg« – gehören beide für Edison untrennbar zusammen. Ähnlich sieht es Steffi Graf, die wohl erfolgreichste Tennisspielerin des letzten Jahrhunderts: »Mit Glück hat Erfolg auch wenig zu tun. Auf Dauer wird jeder, der eine gute Leistung bringt, auch Erfolg haben.«8 Der Weg zum Erfolg ist also mit Misserfolgen gepflastert, nicht mit Erfolgen.

image-10630245 Königliches Dekret Nr. 010: Würdigt den Misserfolg, denn er führt zum Erfolg.

Wir glauben häufig an Glück ohne Krise, an Erfolg ohne Mühe und an Motivation, Leistung und Kreativität ohne Ärger. Wir sollten den Misserfolg würdigen, das Unglück als Zwischenstation ansehen und den Ärger wohlwollend erforschen. Momentan behandeln wir ihn als Krankheit, so als ob wir etwas Ekliges im Garten zwischen den Blumenrabatten entdeckten, schwarz und klebrig und stinkend. Wir sollten einfach merken, dass es sich um eine Erdölquelle handelt, und sie sinnvoll nutzen. Zorn ist, laut Immanuel Kant, »für sich allein betrachtet jederzeit unklug«. Deshalb kommt es darauf an, ihn einzuordnen, schlau damit umzugehen. Wenn Sie eine Datei löschen wollen, tun Sie das gewöhnlich auch nicht, indem Sie den Computer wegwerfen.


Die Kunst, Ärger positiv zu nutzen

Nein, auf keinen Fall, nicht nach Panien. Sein König brauchte ihn, den Gedankenreichen. Zorn war mit Schaden verbunden, aber die Herrschaftsgrundlage. Colombo strich sich den Bart, dann ballte er die Faust. Plötzlich glitt ein Lächeln über das scharfe Antlitz des Kardinals, wenn es auch sofort wieder den entschlossenen Zügen wich. Colombo sah ein Fest vor sich, das die befreundeten Herrscher versammelte und um Rat fragte. Hier sollte es nebenbei gelingen, eine Frau für den König zu finden, nachdem die erste kinderlos gestorben war. Passend wäre eine Protzburg, aber sollte er sie einladen? Nein, der Ausgang wäre zu ungewiss. Das letzte Fest im Reich Protzburg hatte der jetzige Despot genutzt, um alle Königstreuen zu meucheln und fortan selbst zu regieren. Colombo horchte einen Moment. Über ihm schien es nun ruhig. Er war sicher, dass sein Vorschlag Anklang finden würde, und ging nach oben.

Interessant und nachahmenswert, wie der Erste Berater des Königs von Zorn hier mit dem negativen Gefühl der Unzufriedenheit umgeht. Statt die Fakten ein wenig zu verbiegen und abzuschleifen, sodass die Wirklichkeit bequemer wird, statt sich zu bescheiden und das Geheimnis des Zorns eben nicht zu lüften, hält er an den Tatsachen fest – Ärger als Herrschaftsgrundlage, aber auch als Kosten- und Katastrophenfaktor. Er hat keine Lösung parat, aber er vertraut darauf, sie unter Mithilfe anderer zu finden.

Die Tatsachen sind: Ärger ist häufig, Ärger ist wichtig und er steckt voller Energie. Schon diese Fakten machen den Versuch sinnvoll, die Kraft des Grolls zu nutzen. Dazu kommt die Vermutung, dass uns die Natur wohl kaum mit einer so starken Anlage ausgestattet hätte, wenn sie sinnlos wäre. Wie Sie sehen werden, trifft Kardinal Colombos Vermutung zu: Ärger lässt sich nutzen. Sie können ihn sogar als Schlüssel Ihres Lebens betrachten. Um diesen Lebens-Turbo anwerfen zu können, klären wir im nächsten Kapitel, was Ärger genau ist, und »hoppeln« einmal kurz durch die neuere Geschichte der Gehirnforschung – ich verspreche Ihnen, dass es interessant wird; vor allem ist dieser kleine Ausflug nötig.