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MIRJAM SCHAMBECK

Nach Gott fragen
zwischen Dunkel und Licht

Franziskanische Akzente

Für ein gottverbundenes und engagiertes Leben Herausgegeben von Mirjam Schambeck sf und Helmut Schlegel ofm

Band 1

Die Suche der Menschen nach Sinn und Glück ernst nehmen und Impulse geben für ein geistliches, schöpfungsfreundliches und sozial engagiertes Leben – das ist das Anliegen der Reihe „Franziskanische Akzente“.

In ihr zeigen Autorinnen und Autoren, wie Leben heute gelingen kann. Auf der Basis des Evangeliums und mit Blick auf die Fragen der Gegenwart legen sie Wert auf die typisch franziskanischen Akzente :

Achtung der Menschenwürde,

Bewahrung der Schöpfung,

Reform der Kirche und

gerechte Strukturen in der Gesellschaft.

In lebensnaher und zeitgerechter Sprache geben sie auf Fragen von heute ehrliche Antworten und sprechen darin Gläubige wie Andersdenkende, Skeptiker wie Fragende an.

MIRJAM SCHAMBECK

Nach Gott fragen
zwischen Dunkel
und Licht

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Herzlicher Dank geht an Clemens Wagner für die fachkundige und äußerst versierte Unterstützung bei den Korrekturarbeiten sowie an die Deutsche Franziskanerprovinz mit Sitz in München.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

© 2014 Echter Verlag GmbH, Würzburg

Inhalt

Vorwort

1. Wege des (Nicht-)Fragens nach Gott

Auf den Menschen geworfen – atheistische Gottesfrage

Die Suche nach Transzendenz interessiert nicht – der Indifferentismus

Auf der Suche nach dem Ultimaten – mäandernde Religiositäten

Die Sehnsucht nach mehr

2. Wege franziskanischen Gottsuchens

Nicht am Menschen vorbei

Die Ausrichtung nach oben

Alles geben

Gott inszenieren – mit allen Sinnen Gott ausdrücken

Schritt für Schritt den Weg entdecken

Gott im konkreten Tun erkennen

Gottes Ja als Beginn der Geschichte des Menschen mit Gott

Zur Freiheit berufen

Mehr als alles – die Zeit der Suche und des Gefundenwerdens

Der triumphalistische Gott passt nicht mehr

Auf der Suche : Wer bist du, Gott ?

Die Sehnsucht, die zu den eigentlichen Fragen führt

Im Unerwarteten von Gott gefunden werden – die Begegnung mit dem Aussätzigen

Sich vom geschundenen Gott angesprochen wissen – die Begegnung in San Damiano

Gott in der Niedrigkeit finden

Gott wohnt nicht im Prunk – die Armutsbewegungen

Den niedrigen Gott bei den Armen entdecken

Sich für eine Gesellschaft des Teilens engagieren

Von Gott zu unfassbarem Reichtum erhoben – Armut als Sich-Verschenken

Armut nicht um der Kargheit willen

Der Weg des Gekreuzigt-Auferweckten – Maßstab des Christseins

Der in den Leib gezeichnete Gott

Gott in der Einfachheit von Brot und Wein – die Eucharistie

Der menschgewordene Gott – Inkarnation

Gott ganz und gar – der universale Gott

Die Liebe als Grund und Ausdruck der Universalität Gottes

Schale der Liebe

Deus meus et omnia – Mein Gott und alle Dinge

Gott ist überall zu finden oder Von der Entgrenzung Gottes

In die letzten Winkel der Welt aufbrechen

Die Welt ist unser Kloster

Gott in der Tiefe des Herzens – aus der Contemplatio leben

Die Einkehr im Herzen

Contemplatio – die Beziehung zum liebenden Gott

In der Zurückgezogenheit oder mitten unter den Menschen leben ?

Die franziskanische Freiheit

Von der Gestalt des Gebetes

Sich vom Evangelium prägen lassen

Gott in der Kirche

Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts

Die Armen im Schatten der Kirche

Die Ortskirche ist aufmerksamer als die Kirche Roms

Die Kirche wieder herstellen – Reform von innen

Vom Wohl und Wehe der Institutionalisierung

Gott in der Schöpfung

Die Schöpfung als unantastbares Geheimnis

Geschwisterliches Beziehungsverhältnis

Die Ehrfurcht vor der Schöpfung

Der Sonnengesang als Ausdruck für das Verschenken Gottes an die Welt

Der verborgene Gott

Depressionen – Zweifel über den Weg : nach außen erfolgreich – im Inneren leer

Gott hat sich entzogen

Gott – das überfließende Du

3. Franziskanische Gottsuche für heute gelesen

Voraussetzungslos Gott begegnen

Gottsuche von den Rändern her

Der Vorrang der Praxis

Entgrenzung bei gleichzeitiger Konzentration auf den konkreten Menschen

Anmerkungen

Zum Weiterlesen

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort

Franz von Assisi (1181/82–1226) ist vieles : Umweltapostel, Tierfreund, Radikaler, Heiliger eines Jahrtausends. Vermutlich begeistert er deshalb so zahlreiche und so unterschiedliche Menschen bis heute. Seine unverstellte Art, mit den Mächtigen seiner Zeit zu sprechen, sie auf Missstände hinzuweisen und Gerechtigkeit einzufordern, lässt aufhorchen. Wie er mit den Tieren kommuniziert, in der Schöpfung mehr sieht als nur ein Territorium, das vom Menschen ausgebeutet werden darf, das bewegt gerade heute angesichts der Herausforderungen, die sich durch den Klimawandel stellen. Wer Franziskus aber nur darauf festlegt, ein Freund der Umwelt zu sein, greift zu kurz. Ihn selbst und das, was er wollte, kann man nur verstehen, wenn man etwas näher herantritt und den Grund in den Blick nimmt, der ihn bewegte ; denn arm zu leben wie die Ärmsten selbst, Sonne, Mond und Sterne als Geschwister anzusprechen und selbst den Tod als Schwester und Bruder anzunehmen, entspringt nicht einer nostalgischen Träumerei oder naiven Weltsicht. Franziskus ist zum Mahner von Gerechtigkeit und Visionär einer menschenfreundlichen Welt geworden, weil er sich auf Gott einließ und sich nicht darauf beschränkte, ihn nur in vorgeformten, damals üblichen Denkschablonen zu suchen. Franziskus ist einer, der sich von Gott ansprechen ließ und einen Gott erfahren hat, der den Menschen – jeden einzelnen – sucht und nicht müde wird, ihm gerade dort zu begegnen, wo er nicht erwartet wird. Insofern ist es richtig, wenn Biographen aller Zeiten von Franziskus als dem Abenteurer Gottes sprechen ; denn sich für Gott aufzutun, hat etwas mit Risikobereitschaft und mit Mut zu tun.

Vor diesem Hintergrund rückt dieser erste Band der Reihe „Franziskanische Akzente“ die Gottesfrage bei Franziskus in den Mittelpunkt. Gott ist für Franziskus der, an dem sich alles entscheidet : das Leben, der Sinn, was den Menschen ausmacht und die Welt. Das allein schon mutet ungewöhnlich an. Das Wort „Gott“ ist eher fremd geworden. Dennoch ist es nicht aus dem Horizont unserer Wirklichkeit verschwunden. Menschen ringen mit Gott – nach wie vor. Sie suchen ihn, fragen nach ihm, wollen ihn ergründen, ihn ahnen in der Tiefe ihres Herzens, in den Wunden des Lebens und dem Staunenswerten der Schöpfung. Menschen erleben ihn einmal als Verborgenen, einmal als Nahen, als einen, der sie erfüllt, und als den, der fern gerückt ist.

Die Wege zu Gott sind so vielfältig wie die Menschen selbst. Von daher existieren ganz unterschiedliche Weisen, ihn zu vernehmen oder aber auch, sich von ihm zu verabschieden. Ein erstes Kapitel beleuchtet diese Wege des (Nicht-)Fragens nach Gott und bringt sie in einem zweiten Kapitel ins Gespräch mit dem, was Franziskus von Gott erahnt und verstanden hat. Das mag angesichts des zeitlichen Abstands von rund 800 Jahren erstaunen. Was kann uns ein mittelalterlicher Mensch, der in ganz anderen gesellschaftlichen Systemen lebte und sich in uns fremden Denkmustern äußerte, heute sagen ? Es ist wahr : Mit Franz von Assisi ins Gespräch zu kommen, ist nicht einfach ungebrochen möglich, sozusagen über den Sprung des zeitlichen Abstands hinweg. Dazu bedarf es mehr als nur der „Übersetzung“. Die Wege, auf denen Gott sich Franziskus zeigte, können nicht einfach „nachgegangen“ werden. Sie sind vielmehr Marker, die ins Nachdenken bringen wollen, welche Wege sich heute auftun, um Gott zu begegnen, wo Gott heute gesucht werden will und Menschen heute von Gott gefunden werden. Denn so beredt Zeug/-innen vergangener Zeiten von Gott sprechen mögen, so leer bleiben deren Zeugnisse, wenn sie nicht je neu vom Menschen ausgelotet, durchbuchstabiert, in der eigenen Lebensgeschichte lebendig werden.

Dieses Buch versteht sich als ein Versuch, diese alten Texte der franziskanischen Tradition und die in ihnen eingewobenen Gotteserfahrungen zum Sprechen zu bringen, Akzente franziskanischer Spiritualität zu markieren, das eigene Leben mit seinen Fragen in sie hineinzuhalten, um dadurch manches bislang Ungesehene zu entdecken oder vielleicht sogar Hoffnungen gelten zu lassen, die noch gar nicht existierten.

1. Wege des (Nicht-)Fragens nach Gott

Nach Gott zu fragen ist auf ganz unterschiedliche Weise möglich. Das Verstummen vor ihm gibt es genauso, wie Gott in der Tiefe zu vernehmen. Menschen sehnen sich nach diesem Gott – und doch bleibt über allem die Frage aufgerichtet, ob Gott überhaupt existiert, ob es lohnt, über das hinauszudenken, was auf der Hand liegt, bzw. ob nicht die in säkularen Gesellschaften immer selbstverständlicher werdende Erfahrung ausreicht, dass ohne Gott das Leben auch ganz gut gelingen kann. Die im Folgenden aufgezeigten unterschiedlichen Weisen, die Gottesfrage zu stellen, gelten für die meisten Menschen wohl kaum in „Reinform“. Eher sind es Facetten dieses und jenes Weges, die die eigene Gottsuche kennzeichnen, bzw. ist es je nach Lebensphase mal dieser und mal jener Aspekt, der in den Vordergrund tritt, wenn die Gottesfrage ansteht. Von daher mag es hilfreich sein, sich unterschiedliche Wege des (Nicht-)Fragens nach Gott zu vergegenwärtigen, um den eigenen Weg deutlicher in den Blick zu bekommen und die eigenen Fragen bewusster zu stellen.

Auf den Menschen geworfen – atheistische Gottesfrage

Gott zu bestreiten ist so alt wie nach Gott Ausschau zu halten. Im Grunde gehört beides zusammen. Es ist nicht möglich, nach Gott zu tasten, sich nach ihm zu sehnen, ohne die Erfahrung zu kennen, ihn radikal in Frage gestellt zu wissen. Die unterschiedlichen Religionskritiken der Vergangenheit und der Gegenwart bezeugen das auf ihre Weise.

Ein besonders nachdenklich stimmender Einwurf stammt von Albert Camus (1913–1960). Er stellt mit seinen unterschiedlichen literarischen Figuren die schicksalshafte Ahnung in den Raum, dass da vielleicht doch nichts ist als nur das Leben, die Natur, eventuell noch der Zufall und die selbstlose Solidarität mit den Leidenden. In klaren Strichen entfaltet Camus in seinem Roman „Die Pest“ einen Atheismus, der nicht einfach von der Hand zu weisen ist. Dieser Atheismus arbeitet sich ab an diesem Gott, der erklärungsbedürftig geworden ist angesichts des Leids der Menschen, gerade der Unschuldigen und derer, die dem Leben, ob sie es wollen oder nicht, ausgeliefert sind. Angesichts aller vergeblichen Versuche, das Leid der Menschen zu beseitigen, es zu erklären oder ihm gar Sinn abzugewinnen, muss der Mensch – so Camus – schließlich die Wahl vollziehen und zu der Einsicht kommen, dass es da nichts gibt, wo Menschen früherer Tage Gott vermuteten.

Auf ungekannte Schärfe formuliert Camus damit, wie nahe sich Gottesbejahung und Gottesbestreitung sind. Zwischen beiden liegt nur ein hauchdünner Spalt, auch wenn die Deutungen in ganz unterschiedliche Welten weisen. Für Camus heißt das, dass sich alles an der Freiheit des Menschen entscheidet. Sie ist das Vermögen, mit dem der Mensch darüber befindet, ob er von der Existenz Gottes ausgeht und die Welt in diesem Horizont denkt oder aber sich mit der aus dem Abgrund kriechenden Ahnung abzufinden hat, dass da nichts ist, nichts und niemand, wo man Gott erhoffte. Wählt der Mensch diesen letzten Weg, dann bleibt eine Welt, in der der Mensch auf sich selbst geworfen ist, in der nur das Vorfindliche zählt, in der es keine Antwort auf die grundlegenden Fragen gibt. Zu leben bedeutet dann, diese Absurdität auszuhalten. Bei Camus heißt das nicht, dass alles ins Bodenlose oder Unmoralische abgleiten würde. Der Einsatz für die anderen, und insbesondere die Schwachen, wird sogar heroisch, weil er trotz des Wissens geboten ist, dass es keinen tragenden Grund für die Sehnsucht des Menschen nach einem Ankommen bei Gott gibt.

Mindestens seit dem Existentialismus ist damit die Gottesfrage radikalisiert, weil sie vor die endgültige Möglichkeit gestellt ist, dass es nur noch den Menschen gibt, wo Gott erhofft wurde. Damit aber wird der Mensch, der qua se ein Fragender ist, einer der Ausschau hält, der sucht und umherschweift, zur tragischen Existenz. Als einer, in den die Sehnsucht nach einem Größeren eingezeichnet ist, muss er sich damit abfinden, dass da nichts ist, außer dem Menschen selbst.