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INHALT

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ÜBER DEN AUTOR

Harry Rowohlt wurde am 27. März 1945 in Hamburg 13 geboren. Er lebt heute als Autor, Übersetzer (u.a. Flann O’Brien, Frank McCourt) und begnadeter Vortragskünstler in Hamburg Eppendorf. Bei Kein & Aber liegt zahlreiches von ihm Geschriebene, Übersetzte und Vorgetragene vor.

ÜBER DAS BUCH

Wie schon der erste Band beinhaltet der zweite Teil von Pooh’s Corner Kolumnen, Gespräche, Aufsätze und Berichte. Diesmal beschäftigen sich die Texte mit allen relevanten Themen aus den Jahren 1997-2009, wie etwa folgenden: Der Problembär ist los, der Papst bereist Polen, und Harry Rowohlt denkt über die Theodizee nach. Das beginnt mit einem Vorfall in seiner Stammkneipe und endet mit einer erfolglosen Bewerbung eines Harburgers bei Airbus. Auch Axel aus St. Pauli, der in der Pooh-losen Phase an Herrn Rowohlt schrieb: »Schreiben Sie verdammtnochmal endlich mal wieder einen Corner. Was soll denn die Scheiße? Sehr freundliche Grüße, Axel«, kann wieder ganz beruhigt sein.

»Der Leser kichert in sich hinein, aus Freude an der vertrackten Schönheit von Rowohlts Sprache und der einen oder anderen entzückenden Gemeinheit.«

FAZ

INHALTSVERZEICHNIS

POOH’S CORNER

1997

Eine Frage, die mich nicht loslässt

Opern Sie mir nicht in die Schuhe, Herr!

Fünf müßige Betrachtungen

Nieder mit Neuschreib!

Eine kleine Buchmesse

1998

Die Zweithymne

Ein virtueller Schundroman

Mit Vonnegut auf Tingeltour

1999

Ham-, Frei- und wieder Hamburg

2000

Rätselhaftes Dramolett

2005

Leitbache (rauschig)

2006

Krankheiten

Harburger Theodizee

Ach, Jochen

Ach, Robert

Auf die Schnauze

2007

»Gesicht zeigen!«

Freiheit für Mumia Abu-Jamal!

Was macht ein belletristischer Übersetzer?

Sauerkraut aus Rotkohl

Hadschi Halef Omar

Buchmesse (geschwänzt)

Wenn der Verleger zweimal klingelt

Antinichtraucherkampagne

2008

Fritz Senn

Ein Staatsempfang auf Schloss Bellevue

Clärchens Ballhaus, die Zweite

Wenn der Focus recherchiert

Dor’mund

Wenn ich nicht so ekelhaft bescheiden wäre

Fernsehfilm-Festival

Fortsetzung Filmfestival

Fortsetzung Filmfestival

2009

Winterhuder Gestaltungswille

Bielefelder Lieblingserlebnis

Ach, Francis

LOST IN TRANSLATION

Wie ich mich einmal von einer Diplomarbeit und einer Magisterarbeit umstellt sah

Wie ich mich einmal jeden Tag auf Roger Boylan freute

Über den Kampf gegen Wikinger und Layout, und weshalb manche Romane in der Übersetzung besser sind als im Original

GESPRÄCHE

»Als wäre Milne über ihn gekommen«

Zwei Stimmen für Marx und Engels

Die Scham ist weg

AUFSÄTZE UND BERICHTE

Reichlich Bratz

Wie Lüngi mich einmal zu sich auf den Olymp hob

Man sieht sich ja so selten

Mehr kann man aus seinem Typ nicht machen

Der Hund meines Lebens

Almuts Katze

Begegnung

Kulturgeschichten

Editorische Notiz

Register

Pooh’s Corner
1997

EINE FRAGE, DIE MICH NICHT LOSLÄSST

Nachdem ich neulich Christian Quadflieg erwähnt habe, lässt mich eine Frage nicht los: Warum heißt der Mann Christian?

Der Sohn von Heinrich George heißt Götz.

Der Sohn von Erwin Geschonnek heißt Matti.

Der Sohn von Eddie Constantine heißt Lemmy.

Warum heißt der Sohn von Will Quadflieg nicht Heinrich?

Sehen Sie, so eine feinsinnige frühwinterliche Überlegung hätten Sie gar nicht von mir erwartet. Hätten Sie aber erwarten müssen. Warum? Die Antwort steht wie immer im Großen Brockhaus, unter Z.

Zeit, Die Z., in Hamburg erscheinende, unabhängige Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Handel und Kultur; gegr. Februar 1946. Auflage 1956: 63000 Stück. Die Z. ist bekannt durch ein gutes Feuilleton.

Ich bringe meinen einen Anzug in die Reinigung, leere vorher alle Taschen aus, und es stellt sich heraus, dass ich gar nicht so selten ins Theater gehe, wie ich immer behaupte: sechs Billetts fürs Hansa Theater und nur eins für die Hafenrundfahrt. (Wann habe ich denn im Anzug eine Hafenrundfahrt unternommen? Rätselhaft.) Das Hansa Theater ist natürlich gar kein Theater, sondern ein Varieté, und vor Jahren war ich mit einem kalifornischen Verleger dort, und der wurde immer nervöser. Ein älteres polnisches Ehepaar spielte Akkordeon, und er wurde immer nervöser: »Wann fängt es denn endlich an?« Dann kam eine dressierte Pudelnummer aus der damaligen DDR, und er wurde immer nervöser: »Wann fängt es denn endlich an?« Dann kam eine blutjunge Hochreckartistin aus Bulgarien, von der man nicht viel sah, weil das Reck zu hoch angebracht war, er fasste neuen Mut und fragte: »Fängt es jetzt endlich an?«, und mir wurde plötzlich klar, dass er sich im Salambo wähnte, einem Hamburger Theater, welches auch kein Theater ist, sondern wo, wie man in Kalifornien offenbar bereits wusste, unter Beteiligung des Publikums auf der Bühne kopuliert wird oder wurde. Ich habe ihm dann anschließend in der Herbertstraße die Bekanntschaft eines Brooke-Shields-Lookalike vermittelt, was gar nicht so einfach war, weil in Hamburg gerade ein internationaler Bäckerkongress tagte, und die beiden schreiben sich heute noch.

Hinten auf die Billetts habe ich müßig brillante Formulierungen notiert, und bevor ich sie wegschmeiße, rücke ich sie noch rasch in die Spalten des guten Zeit-Feuilletons ein.

Das 3. Gebot des Koran: Du sollst Fatwa und Mutter ehren.

Tanz der Lustprinzipien: »Daffke, du führst schon wieder.«

Paul Lincke: Zille sein Milhaud.

OPERN SIE MIR NICHT IN DIE SCHUHE, HERR!

Ich treffe mich mit Susanne Fischer und Fanny Müller auf dem Flughafen, denn endlich geht es wieder nach Wien!, Wien!!, Wien!!!, wo wir im Rahmen der Wiener Wochen des schlechten Geschmack’s etwas vorlesen sollen, und zwar LAUT und mit Betonung.

Beim Einchecken wimmelt es von Vertretern des Geldproletariats, von »wandelnden Portemonnaies an der Leine von unappetitlichen Anlagebetrügern«, wie die unbestechliche Susanne Fischer später notieren wird. Wollen die auch alle dahin? Nein, die wollen auf den Opernball. (Von h.c. artmann gibt es ein Buch mit nützlichen Redewendungen, und unter dem Stichwort »Oper« steht dort: »Opern Sie mir nicht in die Schuhe, Herr!«) Im Flugzeug friert Fanny Müller, und zwar »an«, wie sie sagt, »den Beinen«. Sie kriegt eine Decke und dann noch eine Decke, und dann kann es losgehen.

In Wien werden wir von Jochen Herdieckerhoff, einem der beiden Veranstalter, abgeholt und müssen noch auf den geheimen Star und Überraschungsgast warten. Jochen Herdieckerhoff wird in Wien wegen seines Namens mit Recht heftig angefeindet. Als Leopold Vrchota oder Adolfine Karasek hätte er es hier leichter. Der Star und Überraschungsgast schwebt ein, es ist Pamela »Baywatch« Anderson nebst Bodyguard. »Det war ja wohl der hinterletzte Bonzenbomber«, schimpft Pamela Anderson in bemerkenswert akzentfreiem Berlinisch. »Wollen die ooch alle uff’n Opernball?« Ooch? Mir schwant etwas.

Heute Abend ist erst mal der Ball des schlechten Geschmack’s, Fanny und Sanny unterstehen mir als Jurorinnen, Schriftführerin ist die Wiener Society-Speerspitze Jeannine Schiller (in derselben Saison Wiens best- und schlechtestgekleidete Dame), und Präsident der Jury für die verhauenste Abendgarderobe bin ich. Stermann & Grissemann, die beiden Moderatoren des Abends, sagen: »Wer je Harry Rowohlt im schwarzen Anzug gesehen hat, versteht, warum wir weiße Anzüge tragen.« Fanny Müller findet, dass es an den Beinen zieht, und ich schleime mich an Jeannine Schiller mit dem Hinweis an, ich sei dreimal hintereinander in der Bunten »Leute von gestern« gewesen, was rein numerisch leicht übertrieben, in der Sache aber korrekt ist.

In meiner Laudatio sage ich: »Wir haben uns bemüht, keine Kostümierungen oder Verkleidungen zu bewerten, sondern eine innere Einstellung oder, wie ich vorhin, Rilke zitierend, einem Herrn vom ORF sagte, einen großen Glanz von innen. ›Wie bitte‹, fragte der Herr vom ORF, ›von hinten?‹ – ›Sie haben recht‹, sagte ich.« Der 1. Preis – ein 24-teiliges Hundertwasser-Puzzle und zwei Karten für den echten Opernball – geht an ein junges Paar, dessen männliche Hälfte aussieht wie Helmut Markwort in groß und jung und schlank. (Wer sich das vorzustellen versucht, bekommt ein geistiges Stielauge, aber das ist ja gerade der Reiz.)

Überraschend und insgeheim erscheint Pamela Anderson, der geheime Überraschungs-Stargast, und verrät, dass sie morgen mit ihrem neuen Freund auf den Opernball gehen werde; ihr neuer Freund sei »very handsome, very intelligent, and very, very rich«. Wieder schwant mir etwas, und ich frage den dicken Hermes, der, seitdem ich ihn in den Spalten der Zeit zum letzten Mal erwähnte, gesamtösterreichisches Kultwesen geworden ist, ob er für morgen Abend schon etwas vorhabe …

Am nächsten Tag wird Hermes für 2000 Mark in einen Frack eingenäht – zu waschen braucht er sich nicht; das geschah bereits vor mehreren Tagen – und hält die Veranstalter telefonisch aus dem Frack heraus auf dem Laufenden: »Ich befinde mich hier zur Hälfte in einem Frack; die Stimmung ist gut.«

Doch nun zu meinen vier schönsten Erlebnissen.

Erstes schönstes Erlebnis: »Wien entdecken mit Martin Puntigam. Die Stadtrundfahrt des Grauens.« Dies ist eine ganz normale Stadtrundfahrt in einem ganz normalen »V.I.P.-Bus der Gran-Turismo-Klasse«, und der Fremdenführer sagt ziemlich normale Sachen, allerdings konsequent am falschen Ort und zur falschen Zeit, und das ist von großem Reiz. Schluss- und Höhepunkt der Stadtrundfahrt ist Schönbrunn mit Streichelzoo. Dazu geht es auf den Gipfel der Städtischen Müllkippe, vorbei an der orangefarbenen Müllwagenflotte (»Rechter Hand sehen Sie die Orangerie«), und aussteigen und durch den Morast waten und die elf Ziegen streicheln, die dort oben wohnen (»Einfach grüß Gott sagen und zum Streicheln anfangen«). Weil wir aber wie eine ordentliche Reisegruppe Papierfähnchen mit der Aufschrift »Neue Freunde durch Briefmarkensammeln« in der Hand halten und weil auf dem Gipfel des Unratberges eine steife Brise weht, knattern unsere Fähnchen wie am Anfang des Filmklassikers Der Sommer des Samurai von Howard C. Blumenberg, und die elf Ziegen nehmen wie ein Mann Reißaus. Spätestens jetzt würde es Fanny Müller an den Beinen ziehen, aber Fanny ist nicht dabei, sondern sie bereitet sich innerlich auf mein zweites schönstes Erlebnis vor, unsere Lesung selbdritt im Orpheum (U 1 bis Donauzentrum, Bus 94 A bis Mergenthalerplatz).

Ich (zu Fanny): »Du hast vergessen, unseren Sponsor, die ›Wiener Städtische Versicherung‹, kurz ›Wiener Städtische‹ genannt, zu erwähnen.«

Fanny (zu mir): »Und du hast mir immer noch nicht meine Nagelschere zurückgegeben.«

Mein drittes schönstes Erlebnis war, wie ich auf Ö 3 in der Kultsendung Trost & Rat mit Dr. Kurt Ostbahn live Stadt Hamburg an der Elbe Auen gesungen habe, und jeder Hamburger wird ohne große Worte verstehen, was da in mir vorging bzw. schmolz.

FÜNF MÜSSIGE BETRACHTUNGEN

Entweder es passiert nichts, und dann hat man nichts zu berichten, oder es passiert ständig was, und man ist mittendrin und hat keine Hand frei, aber zunächst drei blitzartige Erkenntnisse (sátori), bevor die auch noch den Wadi runter sind, und zwar à la manière de Johannes Gross, pampampám, dabei wäre man viel lieber eine deutsche Lyrikerin, die sich reimlos vom thessalischen Regen durchschuckeln und einen zierlichen Sechseinhalbzeiler hinter sich lässt, tschamdibaff. Ich übersetze aber gerade 155 Gedichte (54 sind bereits gelutscht), und weil sie sich im Original reimen, müssen sie sich bei mir natürlich auch reimen / Heimen / keimen / schleimen / abfeimen gnurksgnurksgnurks.

»Me omeokatalixía?«, fragte Laiki.

»Aber logisch me omeokatalixía, mit was denn sonst? Glaubst du, ich übersetze Gedichte me omeokatalixía ohne omeokatalixía; da kennst du mich aber schlecht.« »Da bin ich ja beruhigt«, sagte Laiki und ließ sich erschöpft auf eine Touristin zurücksinken.

»Aber halt!«, fiel ihm ein. »Ich habe ja Gäste!« Und um dem »We’re havin’ fun and you’re havin’ none«-Prinzip zu huldigen, eilte er in seine Werkstatt, wegen Feuerwerk. Als sich der Rauch verzogen hatte, standen wir vor den Trümmern der Werkstatt, und Ianni, sein Bruder, sagte, indem er ein weiteres zierliches Schnäpschen in die enorme Zisterne seines Leibes füllte: »Mit kleinem Aufwand Atmosphäre gezaubert.«

Und, liebe Zeit-Leserin, das Allerwichtigste (vergessen wir doch den albernen Johannes Gross; und den muffeligen Zeit-Leser sowieso; den kennen wir ja zur Genüge; außer selten ist er nicht viel): Ich habe vor vier Tagen meinen fünften Fisch gefangen!!!!! Wie viele Fische hat denn ihr Freund, der Zeit-Leser, gefangen? (Von Johannes »Köder« Gross mal ganz zu schweigen.) Na? Na?? Na???

Ja. Da herrscht allgemein betretenes Schweigen. Vor drei Jahren, da war ich 48 Jahre alt, habe ich schon mal vier Fische gefangen, und das macht, unterm Strich, alle zwölf Jahre einen Fisch. Und nun, nur drei Jahre später, habe ich schon wieder einen gefangen! Ihm nachgestellt, ihn aufgespürt – »Die gesamte menschliche Sensibilität hat sich im linken Ringfinger zu bündeln«, habe ich mir gesagt, und – WUUUPS! – da war er schon, eine Melanúrja, der beste Speise- und Edelfisch, den es überhaupt gibt, von Schnüss bis Schwanz, mit allem Drum und Dran, gut und gern seine, na ja, widerborstigen, springlebendigen, nahrhaften, schmackhaften 6 cm lang. Eigentlich wollte ich sie, die Melanúrja, räuchern lassen und als Querbinder tragen (oder im ersten Heißhunger selbst und roh verschlingen), aber man ist ja immer viel zu gutmütig, und so rief ich: »Kosta, dies ist eine Melanúrja; grill sie; heute gibt es Fisch für alle!« Und Ianni schraubte ein weiteres zierliches Schnäpschen in die enorme Zisterne seines Leibes.

I

Wird Le Corbusier eigentlich – wie Le Havre – auch dekliniert? (Der Kuli, den ich Au Corbusier vor einer Woche geliehen habe, den hat mir Le Corbusier immer noch nicht zurückgegeben. Das finde ich ein echt schwaches Bild Du Corbusier.)

II

Immer wenn ich Eisenbahn fahre, fahren auch ziemlich viele Schulklassen mit, und dabei ist mir aufgefallen, dass die eine Hübsche immer und unweigerlich Kaugummi kaut, so dass für einen Außer- oder Unterirdischen oder sonst wie Unvoreingenommenen der Eindruck entstehen muss, Kaugummikauen mache schön.

Macht es aber gar nicht.

III

Als ich zum ersten Mal in Österreich war, ist mir angenehm aufgefallen, dass überall Praha und Bratislava dransteht statt Prag und Pressburg. Inzwischen weiß ich, warum. Der Österreicher möchte, dass auch die dümmeren Tschechen und Slowaken wieder hinausfinden.

IV

Weil die RAF gerade Jubiläum gefeiert hat, ist mir wieder eingefallen, was ich damals schon immer gesagt habe und was damals auch schon niemand hören wollte: Unsere hiesigen Terroristen haben sich haargenau an das gehalten, was Ulrike Meinhof in ihrer bekannt dröhnbüdeligen Art gefordert hatte, nämlich »die faschistischen Strukturen in der BRD sichtbar zu machen«, indem sie einen SS-Scharführer zum Märtyrer beförderten.

V

Der Papst ist alt und krank; über seinen Nachfolger wird bereits offen spekuliert. Ich möchte mich da nicht einmischen, weil ich leider gar nicht katholisch bin, nur aus der – teilweise selbstgewählten – Anglophonie heraus einen Vorschlag zur Namenswahl machen. Nach John Paul II ist es, dächt ich, allmählich mal Zeit für George Ringo I.

NIEDER MIT NEUSCHREIB!

Ich hab’s geschafft: Ich bin Coverboy im Hamburger Abendblatt, in Farbe, und das mir, dem letzten freilebenden Springer-Boykotteur. Neben dem Foto von mir (pausbäckig, ausgefressen, das fleischgewordene gesunde Volksempfinden) steht, falsch zitiert: »Diese Reform ist doch subventionierte Legasthenie! Man sollte sich da immer fragen: Wem nützt es? Die Einzigen, die davon profitieren könnten, sind doch die Schulbuchverlage.« Das habe ich doch niemals gesagt. So oft sage ich doch gar nicht »doch«. Doch, doch, das würde ich doch merken. Innen, auf Seite 10, ist noch mal ein Riesenfoto von mir, diesmal eher listig und ganz natürlich, mit einem Stück Holz in der Hand. »Ganz natürlich; nehmen Sie doch ein Stück Holz in die Hand«, hatte der Fotograf gerufen. Unter dem Foto steht: »Der Hamburger Übersetzer und Autor Harry Rowohlt genießt die Schadenfreude über den Streit und meint: ›Diese Reform ist doch subventionierte Legasthenie!‹« Außer meinem Riesenfoto aus Künstlerhand gibt es noch sieben kleinwinzige Passbildchen von Günter Grass (»Von mir ist inzwischen zum Thema Rechtschreibung alles gesagt.«), Regula Venske (»Die Reform ist ein Kulturverlust und inkonsequent.«), Walter Kempowski (»Die Weimarer Richter haben einen Knall.«), Matthias Beltz (»Nur Wickert kann uns noch retten!«), Marcel Reich-Ranicki (»Ich muss mich mit Literatur beschäftigen.«) und Arno Surminski (»Die Reform jetzt noch zu bremsen, wäre fatal.«).

Besonders liebe ich natürlich das vergnatzte »Ich muff mich mit Literatur befäftigen«. Nicht auszudenken, was die Literatur, sich selbst überlassen, anstellen würde.

Von mir ist zwar, ähnlich wie von Günter Grass, inzwischen auch alles zum Thema Rechtschreibreform gesagt worden, es war aber nie ein Multiplikator dabei … Doch! Im Februar oder so habe ich dem Wiener Standard gesagt: »Orthographie und Interpunktion waren immer das Einzige, was ich einigermaßen beherrschte. Wenn diese beiden Tugenden plötzlich nichts mehr gelten, stehe ich vor dem Nichts. Ich kann ja nicht mal ordentlich Ski laufen.« Dieser Sachverhalt war wiederum Focus, dem modernen Nachrichtenmagazin, viel zu kompliziert; liebend gern hätten sie das Zitat gebracht, es kamen aber zu viele schwere Wörter drin vor, Focus schrieb das übliche Burda-Blech und stellte mich bei der Gelegenheit als »Übersetzer des Märchens Pu der Bär« vor. Daraufhin schrieb ich einen Leserbrief, der offenbar zu lang war, um abgedruckt zu werden: »Aha. Pu der Bär von Alan Alexander Milne ist ein Märchen. Und die Bibel ist eine Novelle. Und Focus ist ein modernes Nachrichtenmagazin.« Nächstes Mal schreibe ich nur »Aha«. (A – h – a wird das geschrieben.)

Und anstatt nun dreimal zu zitieren, was ich (so) nicht gesagt habe, hätte das Abendblatt einmal zitieren können, was ich gesagt habe (und viel Platz gespart). Dieses aber war: »… und wenn die Schulbuchverlage jammern, die geplatzte Reform sei ihr Ruin –, es ist ohnehin Zeit zur Gründung neuer Schulbuchverlage. Und sobald von mir verlangt wird, ›Spaghetti‹ ohne h zu schreiben, werde ich immer gnadenlos ›Spadschetti‹ bestellen.«

Oder ich falle ins andere Extrem und sage alles so korrekt, dass die Etymologie ständig weiß mitrauscht: »Du sitzt, glaube ich, auf meiner Berylle.« (Und dann diese Zumutung, dass Appositionen nicht mehr durch Kommata vom übrigen Satzgefüge abgetrennt werden. Das ist wie Klammer auf und nie wieder zu

Die Seelchen, die diese Rechtschreibreform erfunden haben, sind graue Gesellen, die noch nie mit Genuss ein Buch gelesen und noch nie einen wohlklingenden Satz gesprochen haben. Am schönsten hat es ein Leserbriefschreiber im Spiegel formuliert: »Wenn ›liebhaben‹ auseinandergeschrieben wird, dann hört auch das Liebhaben auf.« Das ist so gut gesagt, da beschlägt einem doch die Berylle.

EINE KLEINE BUCHMESSE

Die 49. – die sogenannte »kleine« – Frankfurter Buchmesse ist zu Ende, Peter Hintze hat sich mit seinem Kommentar zur Grass-Rede in der Paulskirche endgültig aus dem Kreis der ernstzunehmenden CDU-Generalsekretäre mit Ringen unter den Augen verabschiedet, die Bombendrohung erwies sich als blinder Alarm (»Frau Katharina Unseld aus Heidelberg, bitte melden Sie sich bei der Polizeistation in Halle 6«, hatte es zweimal drohend geheißen, wobei man bedenken muss, dass im Frankfurter Polizeicode »Katharina« Bombe bedeutet, »Unseld« und zwar eine dicke, und »Heidelberg« bedeutet Frankfurt), und ich habe mir einen mehrere Jahrzehnte alten Wunsch erfüllt und Chris Howland angequatscht: »Guten Morgen, Herr Howland«, habe ich gesagt, »entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie so einfach anquatsche, aber ich möchte mir einen mehrere Jahrzehnte alten Wunsch erfüllen und Ihnen mal was sagen. Meine Eltern haben mir früher immer alles verboten, bis es nichts mehr zu verbieten gab und der pädagogische Ansporn futsch war, aber dann merkten sie, dass ich mich jede Woche auf den Mittwoch freute mit Ihrer Sendung Spielereien mit Schallplatten, und da waren sie dann überglücklich, weil sie mir wieder was verbieten konnten.«

»Seltsam«, sagte Chris Howland und hörte sich genauso an wie damals im Radio als Mr. Heinrich Pumpernickel, »das haben mir gestern schon zwei Leute gesagt. Und meine Frau hat es auch gesagt.« Ein Allerweltsschicksal. Dieser Eindruck verstärkt sich noch auf der Heimreise, als unser Schaffner Dr. Weber zu mir sagt: »Kommen Sie mir bekannt vor, oder haben Sie so ein Allerweltsgesicht?« Aber ich greife vor.

Der Buchmessenhöhepunkt war natürlich der Augenblick, als mir der Chefredakteur des führenden Intelligenzblatts Die Zeit Rotwein auf die Hose kippte und ich etwas Hierundsonichtwiederzugebendes äußerte. »Oh, Gott«, schwante mir, »jetzt habe ich zu meinem eigenen Chefredakteur ›verdammte Scheiße noch mal‹ gesagt. Na gut. Dann bewerbe ich mich eben bei der taz.« Wir kamen überein, dass er mir in Zukunft so viel Rotwein auf die Hose kippen darf, wie überhaupt nur draufpasst, und ich dafür »sapristi!« oder »mille tonnerres!« ausrufe. Danach bin ich noch im »Rohrbach-Stübchen« eingekehrt, wo ich Nordend-Laila einen Sekt ausgab, die daraufhin sagte: »Mit mir kannste iwwer alles redde, sogar diskutieren, Mode, Kunst, Literatur, Politik, praktisch alles.« Als Kostprobe bezeichnete sie Willy Brandt als »Vadälandsverrädä«, worauf das gesamte »Rohrbach-Stübchen« wie aus einer Pistole geschossen »Nordend-Laila, halt die Klappe« sagte.

Morgan Entrekin, einer der angenehmsten Hervorbringungen des an angenehmen Hervorbringungen ohnehin nicht armen Bundesstaates Tennessee, erklärte ich Wesen und Eigenart des deutschen Dichters Alban Nikolai Herbst, der eigentlich, so munkele man, von Ribbentrop heiße. Morgan sagte: »Ich habe so einen seltenen schottischen Nachnamen, dass ich ihn immer buchstabieren muss, aber eine ganze Jahreszeit wäre mir ’n Tick zu üppig. Mit ›Morgan Twilight‹ wäre ich schon hochzufrieden.« Ein zuhörender Herr beginnt plötzlich zu strahlen. »Ich heiße jetzt schon Abendroth«, sagt er beseligt.

Will mir vielleicht jemand meinen ständig von allein aufgehenden Koffer abkaufen? Er hat noch fast zehn Jahre Garantie und sieht, wenn er mal zu ist, richtig gut aus.

Ebenfalls richtig gut, wenn er zu ist, sieht der Laptop der Arno-Schmidt-Stiftung aus, den der Schriftsetzer Friedrich Forssman so programmiert hat, dass man damit Golf spielen kann. Verleger Haffmans schleicht sich von hinten an, sieht den virtuellen Golfspieler und ruft: »Da ist ja Arno! Nach außen den großen Solipsisten mimen, aber ein Handicap wie Bernhard Langer!«

War sonst noch was? Sonst war nichts; das können Sie mir getrost glauben. Nur noch etwas sehr, sehr Schmeichelhaftes. Ein junger Mann sagte zu mir: »Sie schreiben, je älter Sie werden, immer besser.« – »Nicht auszudenken, wenn ich schon als junger Mann zu schreiben angefangen hätte«, sagte ich. – »Entsetzlich, entsetzlich«, sagte der junge Mann.

1998

DIE ZWEITHYMNE

Das war knapp. Heute, am 21. Dezember 1997, bin ich mit einem Projekt fertig geworden, dessen Ziel die Demütigung des Hanser Verlags war. Der Hanser Verlag hatte nämlich untereinander Wetten abgeschlossen, dass ich es nicht schaffe, Zeitbeben, den letzten Roman von Kurt Vonnegut, bis Mai 98 fertig zu übersetzen, und nun liegt er fertig übersetzt da, und der Hanser Verlag sieht nass aus. Am 2. November habe ich angefangen, dann musste ich auf Tingeltour (Husum, Bregenz, Salzburg, Erlangen, Nürnberg, Marburg, Gaggenau, Stuttgart, Reutlingen, Heidenheim/Brenz und … Hanau!) und ein bisschen in der Lindenstraße lallen, und nun ist es doch schon fertig, bis in die letzte Nüance hinein in Ihr und mein geliebtes Faustisch hingebratzt. Auf Seite 107 des Werks (Kurt Vonnegut, Zeitbeben, erscheint bei Hanser, aber fragen Sie mich bloß nicht, wann) kam mir die amerikanische Zweithymne America, the Beautiful von Katharine Lee Bates unter, und was Jimi Hendrix 1969 in Woodstock mit der amerikanischen Ersthymne gemacht hat, das hoffe ich mit meiner Nachdichtung der Zweithymne angetan zu haben. Wenn Sie sich das nun auch noch von mir gesungen vorstellen, haben Sie eine ungefähre Ahnung dessen, was hier abgeht. Ich zitiere Ihnen das mal eben weg:

O beautiful for spacious skies,

For amber waves of grain,

For purple mountain majesties

Above the fruitive plain!

America! America!

God shed His grace on Thee

And crown Thy good with brotherhood

From sea to shining sea.

Wie wunderschön die Himmel weit,

Gelb wogt Korn kolossal;

Die Bergwelt trägt ihr lila Kleid,

Und drunten sprießt’s im Tal!

Amerika! Amerika!

Gott sei dir zugetan;

Krön’ deine Kraft mit Brüderschaft

Von O- zu Ozean.

Und nun setzen Sie sich bitte wieder hin. Bill Ramsey, dem ich dies zur Kontrolle am Telefon vorgesungen habe, sagte: »Erst auf Deutsch merkt man, wie scheiße das Original ist.« Das hat die deutsche Sprache so an sich. Deshalb wird ja auch so gern in sie hineinübersetzt und so ungern aus ihr heraus. (Sage ich, als stünde ich neben der deutschen Sprache und betrachtete sie mit avunkularischem Wohlgefallen: »Unsere Lütte. Die wird es leicht haben dereinst.«)

Und warum ich »… und Hanau!« geschrieben habe? Wo ich doch Metropolen wie Schwaz (Tirol) nicht mal erwähnte? Hier weiterlesen.

Erst mal Salzburg. In Salzburg hatte ich die Ehre, den Vorzug und das Vergnügen, Michael O’Nolan kennenlernen zu dürfen, den kleinen Bruder von Flann (wir erheben uns wieder von unseren Plätzen) O’’ääNtoáois eíst, oéillsbh sreíbeaigh moáinbhääöäÜääŠapó.ü