Dr. med. Hans Bankl

Die kranken
Habsburger

Befunde und Befindlichkeiten
einer Herrscherdynastie

www.kremayr-scheriau.at

ISBN 978-3-218-00939-3
Copyright © 2014 by Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien
Alle Rechte vorbehalten
Illustration: Josef Koo
Lektorat: Marie-Therese Pitner
Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien

Inhalt

EIN HEHRES HAUS

Der Familienbetrieb funktionierte sieben Jahrhunderte lang

Sie sahen einander alle ähnlich

Wie krank waren die Habsburger?

Wie wird man eigentlich Kaiser?

DIE ANFÄNGE

Mord im Hause Habsburg

Rudolf IV., der Schwindler

Ein Kaiser als Quizmaster

Hofräte ohne Hof

DU, GLÜCKLICHES ÖSTERREICH, HEIRATE!

Das großväterliche Imperium wird vom Enkel verspielt

Die verschwundenen Urgroßeltern oder wo man hinschaut, es sind immer dieselben

Die Ahnenprobe

Groteske Folgen der Verwandtenehen

GLAUBENSKRIEGE, BRUDERZWIST
UND SICHERUNG DES ERBES

Der Obduktionsbefund eines Kaisers

Fast eine Ärztin

Zwei streitende Brüder, der blaue Esel und die Kapuzinergruft

Kaiser gesucht – und gefunden

EINE WAHRHAFT STATTLICHE LANDESMUTTER

Der Weg zu Maria Theresia war mit Krankheiten gepflastert

Der Vater Maria Theresias

»Resl« und »Mäusl«

Reiseproviant

Van Swietens Kübel

Die Keuschheitskommission, die Freimaurer und der Husten des Kaisers

Deutsche Sprache nur im Notfall

Eine schrecklich nette Familie

Kaiserin h.c.

Des Kaisers Herzinfarkt

Geburtsanzeige im Theater

Pocken im Kaiserhaus

Die gesunde und die kranke Maria Theresia

UNGLEICHE BRÜDER

Ein gebildeter Mensch, der Kaiser

Ein schöner Mensch, der Kaiser

Dame liebt Dame: eine erotische Eskapade

Getrennt von Tisch und Balkon

Der ägyptische Joseph

Reformierungsmanie

Krankheiten und Tod Josephs II.

Tod durch Aderlaß

Frauen und Kinder in großer Zahl

DER GUTE KAISER FRANZ UND WIE ES WEITERGING

Ein Biedermann im Biedermeier

Der gütige Epileptiker

Napoleons Blut in der Familie Habsburg

Sexualaufklärung in Theorie und Praxis

Die Salzprinzen

Kindererziehung

Der Vater Franz Josephs im Gespräch

Der Kurzzeitkaiser von Mexiko

Wasser vom Jordan

DER LANGZEITKAISER

Die Revolution brachte einen neuen Kaiser

Buchbinder und Zeitungsleser

Ein kaiserlicher Tag beginnt

Der alte Prohaska

Franz Josephs Tod

In des Kaisers Gunst

Das Hofzeremoniell oder Vorschrift ist Vorschrift

Pompa funebris – das prunkvolle Leichenbegängnis

ELISABETH, KAISERIN VON ÖSTERREICH

Einem Kaiser von Österreich gibt man keinen Korb

No Sex, Majestät!

Die Kaiserin – ein Fall für den Psychiater

Protestmaßnahmen

Sisi glaubte an Geister, aber auch an die Banken in der Schweiz

Sisi durfte nicht altern

Der Mord an der Kaiserin

Ein Stich ins Herz führt nicht sofort zum Tod

Sisi wurde ermordet – daher lebt sie noch immer

UNVERSTANDEN BIS IN DEN TOD

Aus dem Leben eines Kronprinzen

Der Kronprinz – ein Fall für den Leib- und den Seelenarzt

Der Weg nach Mayerling war lang, das Auftreten von Mary Vetsera nur kurz

Sex and Crime im Hause Habsburg mußten vertuscht werden

Variationen einer Tragödie

Knochen aus dem Wienerwald

SCHWANENGESANG

Franz Ferdinand, der ungeliebte Thronfolger

Das Attentat auf den Thronfolger

Der tätowierte Erzherzog

Statt grenzenloser Trauer hielt sich die Trauer in Grenzen

Erzherzog Luzivuzi

Otto der Schöne

Karl der Letzte

Wie der Untergang der Habsburgerherrschaft in Österreich wirklich vor sich ging

Literatur

Ein hehres Haus

Der Familienbetrieb funktionierte
sieben Jahrhunderte lang

Von König Rudolf I. (geb. 1218) bis zur Abdankung Kaiser Karls I. (1918) vergingen genau 700 Jahre. In dieser Zeit folgten 24 Generationen von Habsburgern aufeinander, und rund 400 Personen erreichten das Erwachsenenalter. Fünf regierende Herzöge, vier Könige und eine Königin in der österreichischen Hauptlinie und 18 Kaiser sind für eine Familie unerreichter Weltrekord.

Der Stammbaum der Habsburger gleicht – wenn man es sportlich sieht – einem Riesenslalom. Betrachtet man jeweils die Familienoberhäupter bzw. die Herrscherpersönlichkeiten, so existiert keine einheitliche Generationenfolge, sondern es ergibt sich ein verwinkeltes Muster von Haupt- und Nebenlinien, ausgestorbenen Familienzweigen, Einspringen von Neffen und Cousins, Bruderzwisten und schließlich dem Ende der Familie im Mannesstamm mit Maria Theresia.

Das Phänomen der Familie Habsburg liegt aber zweifellos darin, daß sie erst dann richtig groß und bedeutsam wurde, als es sie eigentlich nicht mehr gab. Maria Theresia nahm für die Familie den Doppelnamen Habsburg-Lothringen an, und schon ging es weiter. Dieser neue Start fiel nicht schlecht aus. Maria Theresia hatte 16 Kinder, und ihr zweitältester Sohn, später Kaiser Leopold II., brachte es ebenfalls auf 16 legitime Nachkommen, die außerehelichen waren ja ohne Bedeutung. Durch jene, welche ein heiratsfähiges Alter erreichten, konnten locker mit halb Europa verwandtschaftliche Beziehungen eingegangen werden. Von seinem Bruder Joseph II. wurde Leopold daher als »trefflicher Bevölkerer« bezeichnet.

»Tu felix Austria nube« war kein friedlich-frommer Spruch, sondern beinharte Heiratspolitik.

Die Habsburger haben alles erreicht, was die Weltgeschichte zu bieten hat, aber auch vieles wieder verloren. Nur eines gelang niemandem aus der Familie – den Beinamen »der Große« zu erlangen. Kaiser Karl der Große war ein Karolinger und Franke, Zar Peter der Große war ein Romanow und Russe, König Friedrich der Große war ein Hohenzollern und Preuße, aber es gibt keinen Habsburger »der Große«. Das schmerzt. Man kann sich allerdings nur schwerlich einen Franz Joseph den Großen vorstellen.

Aber dafür hat die Namensgebung der Geschichte anderes gefunden:

Herzog Albrecht II., »der Lahme«, der sogar ins Ehebett getragen werden mußte.

Herzog Albrecht IV., »das Weltwunder«, der verwunderliche Abenteuer auf einer Pilgerreise nach Jerusalem erlebte.

Erzherzog Philipp I., »der Schöne«, verheiratet mit Johanna von Kastilien-Aragonien, »der Wahnsinnigen«.

Kaiser Maximilian I., »der letzte Ritter«, ein genialer Heiratspolitiker.

Kaiser Franz II./I., »der Gute«, der das Heilige Römische Reich Deutscher Nation auflöste.

Kaiser Ferdinand I., »der Gütige«, ein großteils freundlicher Epileptiker.

1918 endete die Herrschaft des Hauses Habsburg-Lothringen in Österreich. Das Verhältnis zwischen der Republik und der Familie regelt das Habsburger-Gesetz von 1919. Damit wurden alle Herrscherrechte, sonstigen Vorrechte und Titel des Hauses Habsburg-Lothringen aufgehoben. Alle Mitglieder des Hauses, die nicht auf die Herrschaftsrechte verzichteten und sich nicht als getreue Staatsbürger der Republik bekannten, wurden des Landes verwiesen. Das hofärarische Familienvermögen mit Ausnahme des persönlichen Privatvermögens wurde konfisziert. Rückforderungsprozesse sind derzeit noch anhängig.

Sie sahen einander alle ähnlich

Es gab intelligente und weniger gescheite Habsburger, tatkräftige politische Talente und weltfremde Träumer, hin und wieder auch einen Irren – in ihrem Aussehen aber waren sie einander fast alle ähnlich: Ein zu großer Unterkiefer stand vor, der Schädel war schlank und hoch, die lange Nase hatte oft einen Höcker. Durch die volle Unterlippe entstand ein charakteristischer Gesichtsausdruck mit vorgeschobenem Kinn und leicht geöffnetem Mund. Objektiv beurteilt waren es keine schöne Menschen, aber dafür häufig Kaiser.

Karl V. (1500–1558), der Kaiser, in dessen Reich die Sonne nie unterging, soll anläßlich eines Ausrittes in Spanien einen besonders mutigen Bauern zu einem Zuruf animiert haben: »Eure Majestät, schließen Sie bitte Ihren Mund, die Fliegen in unserem Land sind sehr unverschämt.« Aber gerade das konnte der römisch-deutsche Kaiser und spanische König nicht, denn sein Unterkiefer ragte zu sehr vor.

Das Vorstehen der zu großen Kinnpartie führte zu einem Überbiß der unteren Schneidezähne. In der medizinischen Fachsprache nennt man so etwas Progenie. Bulldoggen und Boxer-Hunde haben dies nicht selten. Diese Anomalie ist bei Mensch und Tier erblich.

Wann tauchte dieses Gesichtsmerkmal bei den Habsburgern erstmals auf? Wir sind auf diverse Porträts angewiesen. Solche aber sind unzuverlässig, denn kaum ein Künstler riskierte es, ein Gesicht unvorteilhaft abzubilden. Da trotzdem viele eindeutige Bilder erhalten sind, ist die Schlußfolgerung erlaubt: Die Herren sahen wirklich so aus, vielleicht noch ärger. Jeder Versuch einer Verschönerung hätte sie unerkennbar gemacht.

Ob die heroischen Porträts von Rudolf I., dem Stammvater, authentisch sind, ist fraglich. Bei seinem Sohn Albrecht I. ist die typische Unterkieferform jedoch bereits eindeutig erkennbar, und das Merkmal blieb von damals an viele Jahrhunderte erhalten.

Die österreichische wie auch die spanische Linie zeigten fast stereotyp die gleiche Gesichtsform. In Spanien starben die Habsburger im Jahre 1700 aus, im darauffolgenden Spanischen Erbfolgekrieg ging das Land an die Bourbonen. In Österreich verschwand die Habsburgerlippe mit Maria Theresia; sie hatte durchaus ebenmäßige Gesichtszüge.

Charakteristisch für die Familie Habsburg-Lothringen wurde ein anderes Merkmal: ein schmales, langes Gesicht, dazu eine hohe Stirn und ein manchmal, wie z.B. bei Ferdinand I., dem Epileptiker, wasserkopfartig ausladender Gehirnschädel. Da die Verwandtenehen weiterhin intensiv betrieben wurden, die Hauptlinie der Familie allerdings mehrfach von einem Zweig zu einem anderen wechselte, ist diese Kopfform zwar bis heute für Habsburg typisch, hat sich aber nicht dominierend durchgesetzt.

Wie krank waren die Habsburger?

Nicht mehr und nicht weniger als die anderen Leute in den jeweiligen Zeitepochen auch. Nur betraf es die Mitglieder des Herrscherhauses, und daher war es interessant.

Ein Problemfeld war die Ernährung. Im Gegensatz zu vielen ihrer Untertanen mußten die Herrscher und ihre Familien zwar nicht hungern, sie aßen und tranken vielmehr allerlei durcheinander, die Nahrung war aber oftmals verdorben. Auch hygienische Gebote kannte man bis in die Neuzeit kaum. Am häufigsten waren daher Infektionskrankheiten. Man darf nicht vergessen, daß die Kunst der Ärzte bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eher dürftig war; beliebte Therapiemaßnahmen wie etwa der Aderlaß endeten nicht selten mit dem Tod des Patienten. Dies war beispielsweise bei Kaiser Leopold II. der Fall.

Die Müttersterblichkeit war enorm, jede Geburt ein Risiko, was sich bei nachwuchsfreudigen Familien natürlich besonders auswirkte: Den Habsburgern starben laufend die Frauen weg. Es mußte jedoch immer wieder geboren werden, da die Kindersterblichkeit zu manchen Zeiten 30 Prozent erreichte.

Elisabeth Wilhelmine, die erste Frau von Kaiser Franz II./I., starb 1790 bei ihrer ersten Geburt, nach einem Jahr war auch das Kind tot.

Die zweite Frau des Kaisers, Maria Theresia, schenkte ihrem Gemahl vier Söhne und acht Töchter; das letzte Kind war 1807 eine Frühgeburt, Mutter und Kind starben.

Die dritte Frau des Kaisers, Maria Ludovika, litt an Tuberkulose, ein normales Eheleben konnte mit Rücksicht auf die Gesundheit des Kaisers nicht stattfinden.

Nach acht Jahren, 1816, war Franz wiederum Witwer und heiratete ein letztes Mal. Besonders geachtet wurde dabei auf eine robuste Gesundheit der Frau. Der Kaiser war über das blühende Aussehen seiner neuen Gemahlin erfreut und bemerkte gemütvoll: »Dann hab’ ich nicht in ein paar Jahren gleich wieder eine Leich’.« Karoline Auguste stammte aus Bayern, überlebte den Kaiser um 38 Jahre und wurde selbst 81.

Pocken und Tuberkulose bedrohten jedermann. Beide Gemahlinnen von Joseph II. starben an den Pocken, er selbst an Tuberkulose. Bei der Pflege der Schwiegertochter steckte sich auch Maria Theresia mit Pocken an, erkrankte schwer, konnte aber dank ihrer robusten Natur die Krankheit überwinden.

Peinlich war es, wenn ein Geisteskranker wie etwa Kaiser Rudolf II. mit seinem geistesarmen Bruder, dem späteren Kaiser Matthias, jahrelang Streit hatte und die beiden sich nur gegenseitig ärgerten. Die Ereignisse zwischen diesen beiden Irren hat Grillparzer in dem Schauspiel »Ein Bruderzwist in Habsburg« dargestellt.

Unter den Nachkommen Kaiser Leopolds II. häufte sich die Epilepsie. Schlimm war, daß aus Gründen der strikt einzuhaltenden Erbfolge mit seinem Enkel Ferdinand I. ein pflegebedürftiger, geistesschwacher Epileptiker den Thron bestieg.

Aber auch Personen, welche in die Familie Habsburg einheirateten, waren manchmal nicht frei von Absonderlichkeiten. Niemand behauptet ernsthaft, die allseits umjubelte Kaiserin Elisabeth, die Frau Franz Josephs, sei psychisch normal gewesen.

Eine alte medizinische Faustregel besagt, daß zehn Prozent der Bevölkerung geistige Abnormitäten bis hin zu schweren Psychosen aufweisen. Jeder, der eine größere Familie überblickt, weiß das aus eigener Erfahrung, und der Volksmund bemerkt ganz richtig: »Unter zehn Verwandten hat einer einen Vogel bzw. er spinnt.« Warum sollte die langjährige Herrscherfamilie ausgenommen sein? Es ist unbestritten und klar, daß man bei den Habsburgern den schrulligsten und skurrilsten Typen begegnet.

Das Leben und Handeln vieler geschichtlich bedeutender Männer und Frauen war – und ist genauso heute – oft von Krankheiten beeinflußt. Die Öffentlichkeit erfährt manchmal erst lange Zeit nach deren Tod Näheres darüber; Gerüchte greifen Platz. Es ist Aufgabe des Pathologen, Klarheit in die Krankheiten und deren Auswirkungen zu bringen.

In diesem Buch wird versucht, Kuriositäten und Skurrilitäten, Erfolge und Tragödien, Stärken und Schwächen einiger Mitglieder der Langzeit-Großfamilie Habsburg aus der Sicht des Mediziners aufzuzeigen.

Die ärztliche Schweigepflicht bindet den Autor nicht, denn keiner der erwähnten Habsburger war sein Patient. Für sonstige Beschwerden sei auf § 3 des Censurgesetzes vom 11. Juni 1781 verwiesen:

»Kritiken, wenn es nur keine Schmähschriften sind, sie mögen nun treffen, wen sie wollen, vom Landesfürsten bis zum Untertan, sollen, besonders wenn der Verfasser seinen Namen darunter drucken läßt und sich also für die Wahrheit der Sache dadurch als Bürgen dargestellt hat, nicht verboten werden, da es jedem Wahrheitsliebenden eine Freude sein muß, wenn ihm solche auf diesem Wege zukommt.«

Joseph II., Kaiser

Wie wird man eigentlich Kaiser?

Die höchste Würde, die das weltliche Abendland zu vergeben hatte, war die Herrschaft des Reiches. Damit war zwangsläufig eine Rivalität zum geistlichen Oberhaupt, dem Papst, gegeben. Streitigkeiten waren an der Tagesordnung, aber man mußte sich arrangieren – sonst waren beide Amtsinhaber in Gefahr.

Der Titel Kaiser leitet sich von den Caesaren des antiken römischen Reiches her, die Erneuerung des weströmischen Reiches begann mit der Kaiserkrönung Karls des Großen am Weihnachtstag des Jahres 800. Das Krönungsrecht hatte der Papst, und so entstand im Laufe der Zeit das »Heilige Römische Reich Deutscher Nation« ein Vielvölkerstaat, der erstaunlich lange gehalten hat. Es gab eine Beinahe-Erblichkeit innerhalb der jeweiligen Herrscherfamilien (Ottonen, Stauffer), legitimiert durch die Akklamation der Reichsfürsten.

Die sieben Kurfürsten wählten den deutschen König, der auch sofort gekrönt wurde. Kam es später zu einer päpstlichen Kaiserkrönung, so war es gut, wenn nicht, machte es auch nichts, denn ab 1508 hatten die Herrscher den Titel »Erwählter Römischer Kaiser« angenommen, und eine Bestätigung durch den Papst war nicht mehr notwendig: Gewählt wurde der König, und damit war er automatisch Kaiser.

Dies kam der Realität auch wesentlich näher, denn die eigentlichen Kaisermacher waren ganz andere. Die Kaiserkrone war nicht offiziell zu vererben, sie mußte durch die Wahl der Kurfürsten erworben werden. Es gab daher jedesmal Wahlkampf. Der Papst mischte sich immer ein und brachte einen Kandidaten ins Spiel, die Kurfürsten selbst waren selten einig, außerdem gab es später unter ihnen Katholiken und Protestanten. Das wirkliche Sagen hatten die Großinvestoren und die Banken, dies war sehr gegenwartsnahe. Geld benötigte man zunächst einmal für Bestechungen, dann zur Begleichung der Schulden des Vorgängers und schließlich zur Aufrüstung eines Heeres. Eine schlagkräftige Truppe war und ist ein gutes Argument, wenn es um die Macht geht.

Die Summen, die da bewegt wurden, gingen ins Gigantische. Der objektive Gegenwert des Geldes belief sich in Tonnen von Gold! Die Fugger und Welser in Augsburg, die Gualtarotti in Florenz sowie die Fornari und Vivaldi in Genua zogen mittels ihrer Kredite die Fäden. Zurückgezahlt wurde sehr zögerlich, beliebt war die Verleihung von Adelstiteln als Gegenleistung für Schuldenerlaß.

Ein entscheidender Punkt aber war: Dem gekrönten Kaiser stand es zu, bereits zu Lebzeiten, also »vivente imperatore«, einen Nachfolger, einen »römischen König«, wählen zu lassen, der später die Erbfolge übernahm. Die meisten Habsburger nützten diese Chance, und die Kaiserwürde blieb somit in der Familie. Die kurze Unterbrechung in der Zeit zwischen 1742 und 1745 unter Maria Theresia wurde souverän überbrückt.

Nur zwei Habsburger wurden im traditionellen Sinn vom Papst zum Kaiser gekrönt: Friedrich III. am 19. März 1452 in Rom und Karl V. am 24. Februar 1530 in Bologna.

Von 1452 bis 1740 waren zwölf Habsburger römisch-deutsche Kaiser:

Friedrich III. (1452–1493): Er wurde durch sein Buchstabenrätsel AEIOU bekannt.

Maximilian I. (1493–1519): Er war der letzte Ritter und ein begnadeter Heiratspolitiker.

Karl V. (1519–1556): Er dankte ab und ließ sich in einem Kloster betreuen.

Ferdinand I. (1556–1564): Zu seiner Zeit kam es zur endgültigen Trennung zwischen evangelischer und katholischer Kirche.

Maximilian II. (1564–1576): Er war der erste einer Reihe von Sonderlingen auf dem Thron.

Rudolf II. (1576–1612): Dem Okkultismus verschrieben und zunehmend geisteskrank.

Matthias (1612–1619): Er führte mit seinem Bruder und Vorgänger Rudolf den »Bruderzwist in Habsburg«.

Ferdinand II. (1619–1637): In seine Regierungszeit fiel der Dreißigjährige Krieg.

Ferdinand III. (1637–1657): Aus dem bisherigen Nebeneinander der habsburgischen Erblande wurde das Haus Österreich.

Leopold I. (1658–1705): Er erlebte die Zweite Türkenbelagerung Wiens.

Joseph I. (1705–1711): Zu kurze Regierungszeit.

Karl VI. (1711–1740): Bruder Josephs I., letzter Habsburger in männlicher Linie.

Als Kaiser Karl VI. 1740 ohne männlichen Nachkommen starb und auch sonst kein Mann der Familie mehr lebte, waren die Habsburger eigentlich ausgestorben. Die »Pragmatische Sanktion«, die eine weibliche Erbfolge ermöglichte, trat in Kraft: Maria Theresia übernahm die Regierung in den habsburgischen Erblanden. Die Kaiserkrone war für sie unerreichbar, da ausschließlich Männern vorbehalten. Die Kurfürsten wählten den Wittelsbacher Karl Albrecht als Karl VII. zum deutschen Kaiser. Selbstverständlich war dieser mit den Habsburgern eng verwandt, da er eine Tochter Kaiser Josephs I. geheiratet hatte. Seine Frau, Amalia Maria, war demnach eine leibliche Tante Maria Theresias und er selbst der angeheiratete Onkel.

Sooft es um die Kaiserwürde ging, waren Familienrücksichten nicht am Platz. Aber wie das Leben so spielt: Nach drei Regierungsjahren starb Karl VII. im 48. Lebensjahr. Der Gemahl Maria Theresias, Franz Stephan von Lothringen, wurde als nächster Kaiser gewählt, die Krone war wieder in Wien und Maria Theresia dadurch Frau eines Kaisers.

Von 1745 bis 1806 gab es vier römisch-deutsche Kaiser aus der Familie Habsburg-Lothringen:

Franz I. Stephan (1745–1765): Begründer des Hauses Habsburg-Lothringen.

Joseph II. (1765–1790): Erst nach dem Tod seiner Mutter Maria Theresia (1780) konnte er frei regieren.

Leopold II. (1790–1792): Seine 16 Kinder begründeten zahlreiche Nebenlinien der habsburg-lothringischen Großfamilie.

Franz II. (1792–1806): Er dankte als römisch-deutscher Kaiser ab, Funktion und Würde erloschen.

Am 18. Mai 1804 wurde Napoleon zum erblichen Kaiser der Franzosen ausgerufen, die Kriegserklärung an Österreich stand bevor, das Deutsche Reich begann sich aufzulösen. In dieser Situation nahm Kaiser Franz II. zusätzlich den Titel eines Kaisers von Österreich an und bildete am 11. August 1804 das Erb-Kaisertum Österreich. Das Wappen des Reiches – der schwarze Doppeladler auf goldenem Grund – wurde zum Wappen Österreichs. Die Kaiserhymne »Gott erhalte Franz, den Kaiser, unsern guten Kaiser Franz!« erlangte außerordentliche Popularität. Ob Kaiser Franz wußte, daß sowohl der Textdichter Lorenz Leopold Haschka als auch der Komponist Josef Haydn Freimaurer waren, ist nicht bekannt; es hätte ihn bestimmt nicht amüsiert.

Von 1804 bis 1918 gab es vier Habsburg-Lothringer als Kaiser von Österreich:

Franz I. (1804–1835): Als deutscher Kaiser war er Franz II., als österreichischer Kaiser Franz I.

Ferdinand I. (1835–1848): Der Epileptiker dankte zu Gunsten seines Neffen Franz Joseph ab.

Franz Joseph I. (1848–1916): Ihm blieb nichts erspart.

Karl I. (1916–1918): Er hatte nie eine Chance.

Die Anfänge

Mord im Hause Habsburg

König Rudolf I., der Stammvater der Dynastie, hatte vier Söhne und sechs Töchter. Der älteste Sohn, Albrecht (1255–1308), wurde sieben Jahre nach dem Tod des Vaters zum deutschen König Albrecht I. gewählt und zehn Jahre später von seinem Neffen Johann vorsätzlich ermordet.

König Rudolf I. (1218–1291) war ab 1273 römisch-deutscher König. Er mußte seine Herrschaft in Österreich gegen König Ottokar II. von Böhmen erkämpfen, mit dem er durch die Ehen der Kinder eigentlich eng verwandt war.

König Albrecht I. (1255–1308) wurde von seinem Neffen Johann ermordet: Sein Sohn Friedrich I./III. (1289–1330) war Gegenkönig zu seinem Vetter Ludwig IV., dem Bayern; Herzog Albrecht II., »der Lahme« (1298–1358), übernahm nach Friedrichs Tod die Herrschaft in Österreich.

Das kam so: Es bestand ein Familienvertrag, daß die Erben Albrechts die Herrschaft über Grund und Boden bekommen sollten, während seinem einzigen noch lebenden Bruder Rudolf II. ein Königreich oder eine noch zu bestimmende Geldsumme versprochen wurde. Er erhielt weder das eine noch das andere, war begreiflicherweise ziemlich frustriert, gab aber grollend Ruhe. Ganz anders sein Sohn Johann, der von seinem Onkel Albrecht I. kategorisch zumindest die finanzielle Abgeltung des Erbversprechens forderte. Dessen Taktik war damals schon typisch österreichisch: vertrösten, hinhalten, aussitzen. Johann ließ sich das bis zu seinem 18. Lebensjahr gefallen, am 5. Mai 1308 aber erdolchte er seinen Onkel. Dem Täter gelang die Flucht, wahrscheinlich starb er fünf Jahre später in Pisa. Es war keine Einzeltat, sondern eine Verschwörung; neben der Erbschaftsgeschichte ging es um Bürgerfreiheit und Unterdrückung durch die Herrschergewalt.

Die Reaktion auf den Königsmord war, wie nicht anders zu erwarten, unterschiedlich. Die einen freuten sich über den Tod des Herrschers und hofften, es käme etwas für sie Besseres nach, die anderen beklagten den Meuchelmord und prophezeiten den Untergang des Reiches. Aber – wie sich bald herausstellte – keines von beidem geschah.

Der Täter ging als Johann »Parricida«, d. h. der Verwandtenmörder, in die Weltgeschichte ein. Friedrich Schiller verschaffte ihm einen eindrucksvollen Auftritt in seinem Drama »Wilhelm Tell«, wo er zwei Tyrannentöter – nämlich Johann Parricida und Tell – aufeinandertreffen läßt. Dies ist aber lediglich bühnenwirksam, denn Wilhelm Tell ist bekanntlich nur eine Sagengestalt und hat genausowenig gelebt wie Siegfried aus dem Nibelungenlied.

Diesen Mord konnte die Familie Habsburg nie abstreiten, den Mord, welchen Kronprinz Rudolf 580 Jahre später in Mayerling verübte, hat man hingegen nie zugegeben.

Rudolf IV., der Schwindler (1339–1365)

»Et hic virum agit«