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Die Berliner Mauer

Geschichtstouren für Entdecker

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Inhalt

Einleitung: Einladung zur Spurensuche

Ein Überblick: Die Berliner Mauer 1961–1989

Aufbau und Ausbau der Grenzanlagen

Mauer und Erinnerungskultur

Geschichtstour 1

Station 1: Humboldthafen – Gedenkstein Günter Litfin

Vertiefung: »Husarenstück« zu Wasser

Station 2. Parlament der Bäume

Vertiefung: Der »Baumpate« Ben Wagin

Station 3: Weiße Kreuze

Vertiefung: Chris Gueffroy – der letzte Mauertote

Station 4: Pariser Platz und BrandenburgerTor

Vertiefung: »Mister Gorbachev, open this gate! Mister Gorbachev, tear down this wall!«

Station 5: Potsdamer Platz

Vertiefung: Massenflucht in den Osten und Klingeln bei Honecker – Skurrilitäten der Mauerzeit

Station 6: Wachturm Erna-Berger-Straße

Vertiefung: Als die Mauerreste plötzlich verschwunden waren

Station 7: Niederkirchnerstraße

Vertiefung: Von ›Mauerspechten‹ und dem Big Business mit den Resten der Teilung

Station 8: Checkpoint Charlie

Vertiefung: Das Museum am Checkpoint Charlie

Geschichtstour 2

Station 1: Bösebrücke / Bornholmer Straße

Vertiefung: »Sensation: DDR öffnet Grenzen zur Bundesrepublik und nach West-Berlin«

Station 2: Norweger Straße

Vertiefung: Leben im Grenzgebiet

Station 3: Schwedter Steg

Vertiefung: Freiwillige Helfer der Grenztruppen

Station 4: Mauerpark

Vertiefung: Der 13. August 1961 – Reaktionen

Station 5: Gedenksteine für die Maueropfer in der Bernauer Straße

Vertiefung: Fluchttunnel in der Bernauer Straße

Station 6: Kapelle der Versöhnung

Vertiefung: Gedenken für die Mauertoten

Station 7: Bernauer Straße und Nordbahnhof

Vertiefung: Die Erweiterung der Gedenkstätte Bernauer Straße

Orte außerhalb der Touren

Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde

Im Interview: Bettina Effner

Wachturm am Kieler Eck – Gedenkstätte Günter Litfin

Wachturm am Schlesischen Busch

S-Bahnhof Friedrichstraße

Tränenpalast

East Side Gallery

Invalidenfriedhof

Gedenkstätte Hohenschönhausen

Anhang

Mauer-Propaganda aus der DDR

Literatur

Filmografie

Links

Museen und Gedenkstätten

Anmerkungen

Abbildungsverzeichnis

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Impressum

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN (eBook, epub) 978-3-940621-53-5

Redaktionelle Mitarbeit: Steffi Kühnel, James

McSpadden, Silvia Orth, Katrin Strauß

Bild-Redaktion: Alexander Schug, James McSpadden

Lektorat: Waltraud Greczmiel

Grafisches Gesamtkonzept, Titelgestaltung, Satz und Layout: Stefan Berndt – www.fototypo.de

© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2009

www.vergangenheitsverlag.de

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Einleitung: Einladung zur Spurensuche

Einladung zur Spurensuche

»Wo stand eigentlich die Berliner Mauer?« Diese Frage wird noch immer häufig von Berlintouristen gestellt. Sie halten bei ihrer Erkundung durch die Hauptstadt nicht selten vergeblich nach Resten dieses Bauwerks Ausschau, dessen Errichtung 1961 die Welt schockierte und 28 Jahre das Berliner Stadtbild so nachhaltig geprägt hat.

Tatsächlich ist eine intensive Spurensuche nötig, um den ehemaligen Verlauf der Mauer nachvollziehen zu können. Denn nach dem Mauerfall 1989/90 sollten sämtliche Erinnerungen an die einstige Teilung möglichst schnell aus dem Stadtbild verschwinden. Wenige setzten sich dagegen schon frühzeitig dafür ein, Reste der Mauer als mahnende Erinnerung zu erhalten. Diese Mauerreste sind heute durch Gedenksteine und Informationstafeln ergänzt und der Mauerverlauf größtenteils durch eine Doppelreihe von Pflastersteinen im Bodenbelag sichtbar gemacht. Mancherorts wurden im Straßenpflaster zusätzlich Plaketten mit der Inschrift »Berliner Mauer 1961 – 1989« eingelassen. Wenn Sie die Schrift richtig herum lesen können, befinden Sie sich auf der ehemaligen Westseite, steht die Schrift auf dem Kopf, halten Sie sich im einstigen Todesstreifen auf.

Dieser Mauerführer nimmt Sie mit auf eine Entdeckungsreise. Die zwei Geschichtstouren, die in diesem Reiseführer vorgestellt werden, leiten Sie zu einigen der Mauerrelikte, die zum Teil so unscheinbar sind, dass die meisten sie gar nicht beachten. Dieses Buch will Ihnen helfen, sie aufzuspüren. Jede der beiden Touren ist in mehrere Stationen unterteilt: Ein Stationstext beschreibt jeweils einen sehenswerten Anlaufpunkt der Tour, der darauf folgende Vertiefungstext stellt einen bestimmten historischen Aspekt näher dar und liefert Hintergrundinformationen. Kurze Überleitungstexte (»Auf dem Weg …«) erklären den Weg zur nächsten Station und dienen somit der Navigation.

Die Fotos dieses Mauerführers werden zum großen Teil erstmals publiziert und stellen eine einmalige Quelle dar. Die Bilder sind integraler Bestandteil des Buches – sie sollen nicht nur illustrieren, sondern stellen einen eigenständigen inhaltlichen Beitrag zur Geschichte der Berliner Mauer dar, für deren monströse Wirkung nicht selten angemessene Worte fehlen.

Die Informationen werden von einer Reihe ausgesuchter gastronomischer Tipps ergänzt. Hier können Sie während Ihres Spaziergangs einkehren, in diesem Buch lesen oder sich einfach nur ausruhen. Beide Touren sind so angelegt, dass sie in ca. zwei bis drei Stunden zu Fuß bewältigt werden können. Alternativ empfehlen wir die Erkundung per Rad. Räder können Sie bei unserem Partner Fahrradstation (www.fahrradstation.de) an folgenden zentralen Punkten ausleihen oder zurückbringen:

fahrradstation am Bahnhof

Friedrichstraße 95

Eingang Dorotheenstraße 30

(gegenüber Staatsbibliothek)

10117 Berlin (Mitte)

Tel. 0180 510 8000

welcome@fahrradstation.de

www.fahrradstation.de

fahrradstation GmbH

(Büroanschrift)

Leipziger Straße 56

10117 Berlin (Mitte)

Tel. 030 666 49 180

fahrradstation Mitte

Auguststraße 29a

10119 Berlin

Tel. 030 285 99 661

fahrradstation Kreuzberg

Bergmannstraße 9

10961 Berlin

Tel. 030 215 15 66

fahrradstation Charlottenburg

Goethestraße 46

10625 Berlin

Tel. 030 939 52 757

fahrradstation am Kollwitzplatz

Kollwitzstraße 77

10405 Berlin

Tel.: 030 939 58 130

Wir wünschen Ihnen eine spannende und informative Geschichtstour!

Alexander Schug und Hilmar Sack

Image Bei Vorlage dieses Buches erhalten Sie bei der Fahrradstation 10 Prozent Rabatt.

Ein Überblick: Die Berliner Mauer 1961-1989

Die Berliner Mauer 1961–1989

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland von den Alliierten in vier Besatzungszonen und Berlin in vier Sektoren aufgeteilt. Im Zuge der Konfrontation des ›Kalten Krieges‹ zwischen den westlichen Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich auf der einen und der Sowjetunion auf der anderen Seite standen sich zwei unterschiedliche politische Systeme auf deutschem Boden gegenüber. 1949 kam es zur Gründung zweier deutscher Staaten: Der Bundesrepublik Deutschland als einer westlichen repräsentativen Demokratie mit Mehrparteiensystem, freien Wahlen und Gewaltenteilung stand die Einparteienherrschaft der SED in der Deutschen Demokratischen Republik gegenüber.

Während die Bundesrepublik mit Unterstützung ihrer westlichen Verbündeten und auf der Grundlage der sozialen Marktwirtschaft einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte, der bis heute als ›Wirtschaftswunder‹ verklärt wird, erlebten viele in der DDR die Folgen massiver Reparationen und die Demontage wichtiger Industrieanlagen durch die sowjetische Besatzungsmacht. Infolge von Missständen in der sozialistischen Planwirtschaft klaffte die wirtschaftliche und soziale Entwicklung beider Staaten seit den 1960er Jahren immer weiter auseinander, auch wenn die DDR zeitweilig zu den zehn größten Industriestaaten der Welt gezählt wurde. Deshalb, aber auch insbesondere aus politischen und familiären Gründen, flüchteten viele Menschen in die Bundesrepublik. Allein zwischen 1945 und 1961 waren es rund dreieinhalb Millionen.

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Leben mit der Mauer. Straßenszene vom Herbst 1989

Um diese Fluchtbewegung gen Westen zu stoppen, wurde bereits am 26. Mai 1952 die Grenze zur Bundesrepublik mit Stacheldraht abgeriegelt. In Berlin blieben jedoch zahlreiche Sektorenübergänge offen, weshalb sich die ›Abwanderung‹ hier fortsetzte. Die SED-Führung sah sich daher zu einer Verschärfung der Strafgesetze veranlasst: Seit Dezember 1957 galt das Verlassen der DDR als ›Republikflucht‹ und bereits bei Vorbereitung und Versuch drohte Gefängnis. 1961 stimmte der sowjetische Partei- und Staatsführer Nikita Chruschtschow schließlich einer Abriegelung der Sektorengrenze in Berlin zu. Im Juli begannen die geheimen Vorbereitungen zur Grenzschließung, die dann in der Nacht vom 12. auf den 13. August erfolgte.1

Die Berliner Mauer wurde zum Symbol des ›Kalten Krieges‹ und hatte 28 Jahre Bestand. Erst der Amtsantritt Michail Gorbatschows in der Sowjetunion führte mit ›Glasnost‹ (Offenheit) und ›Perestroika‹ (Umgestaltung) zu grundlegenden politischen Veränderungen, von denen auch die DDR nicht unberührt bleiben sollte, auch wenn sich die SED-Führung dem zunächst entschieden widersetzte. Die Ostblockstaaten erhielten unter der neuen sowjetischen Führung mehr Freiheiten und mussten bei politischen Reformen nicht mehr sofort die militärische Intervention der Sowjetunion fürchten. Die ungarische und die polnische Regierung nutzten diese Chance – anders als die DDR.2 Heute wird die besondere Rolle der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarno in den 1980er Jahren sowie die Vorreiterrolle Ungarns bei der Öffnung des ›Eisernen Vorhangs‹ 1989 allgemein anerkannt und gewürdigt.

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Die Harzer Straße in Berlin am 20.9.1961

Zwar fand auch in der DDR ein Wandel statt, jedoch nicht in der überalterten Staatsführung, sondern in Folge einer friedlichen Revolution, ausgelöst durch oppositionelle Gruppen innerhalb der Bevölkerung. Bereits seit den 1980er Jahren bildeten sich – vor allem im kirchlichen Milieu – informelle oppositionelle Gruppen, die für Menschenrechte und Pluralismus eintraten. Sie wurden zur Keimzelle der friedlichen Revolution in der DDR und fanden 1989 den lange erhofften Zulauf aus der Bevölkerung. Seit dem Spätsommer 1989 wurde der Protest immer breiter. Tausende gingen bei den Leipziger Montagsdemonstrationen, aber bald auch andernorts in den Städten der DDR auf die Straße. Am 4. November forderten bei einer Großdemonstration auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz prominente Redner, darunter die Schriftsteller Christoph Hein, Christa Wolf, Stefan Heym und Heiner Müller sowie der Schauspieler Ulrich Mühe, und sogar schließlich auch Vertreter der SED wie Gregor Gysi und Günter Schabowski, vor mehr als 500.000 Zuhörern demokratische Reformen.3

Zu der anwachsenden Bürgerrechtsbewegung kam eine rasant steigende Zahl von Ausreiseanträgen, die die SEDFührung in ernsthafte Bedrängnis brachte. Während Anfang 1989 noch 100.000 Menschen auf eine Genehmigung ihrer Ausreiseanträge warteten, versuchten ab dem Sommer Tausende mit der Besetzung bundesdeutscher Botschaften in Warschau, Prag und Budapest sowie der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin ihre Ausreise aktiv durchzusetzen. Am 30. September saßen mehr als 10.000 Menschen in der Botschaft in Prag fest, als der damalige bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher die Nachricht über die Ausreisebewilligung durch die DDR vom Balkon des Botschaftsgebäudes überbrachte. Nach einer weiteren Ausreisewelle forderte die Regierung der damaligen SSR die SED-Führung auf, den Menschen die direkte Ausreise in die Bundesrepublik zu ermöglichen, um die ›Völkerwanderung‹ durch die Tschechoslowakei zu stoppen.4 Am Ende war es also wieder eine Massenflucht, die die Berliner Mauer zum Einsturz brachte – ebenso wie sie einst zu deren Bau geführt hatte.

Aufbau und Ausbau der Grenzanlagen

Die Berliner Mauer war kein statisches Gebilde, das einmal errichtet fast dreißig Jahre unverändert geblieben ist. Sie wurde vielmehr laufend verändert und perfektioniert. Die Mauer war auch nicht einfach eine Betonwand, wie sie vom Westen her wahrgenommen wurde, sondern setzte sich aus verschiedenen Sperranlagen zusammen.5

Der Ausbau der Grenzanlagen vollzog sich in mehreren Phasen. Zunächst wurde West-Berlin in den frühen Morgenstunden des 13. August 1961 mit Stacheldraht und provisorischen Sperren abgeriegelt. In der Folgezeit entstand an deren Stelle eine Mauer aus großen Blockelementen und mehreren Lagen kleinerer Hohlblocksteine, die mit einem Stacheldraht abschloss. Mitte der 1960er Jahre wurde diese Grenzanlage durch eine Mauer aus schmalen Betonplatten ersetzt, auf der ein Abwasserrohr aus Beton angebracht war, um das Übersteigen der Mauer zu verhindern. Mitte der 1970er Jahre löste diese wiederum die so genannte ›Grenzmauer 75‹ ab, die deutlich widerstandsfähiger und von Fahrzeugen nicht zu durchbrechen war. Sie bot außerdem ein glattes, ›sauberes‹ Erscheinungsbild in Richtung West-Berlin, wie Axel Klausmeier und Leo Schmidt in ihrer Dokumentation der Berliner Mauer schreiben, »weil den Machthabern der DDR seit den siebziger Jahren immer mehr daran gelegen war, die Außenwirkung ihres Staates nicht durch die offensichtliche Brutalität der Grenzanlagen zu beeinträchtigen.«6

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Ost-Berliner Kameramann am Potsdamer Platz, 19.8.1961

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Volkspolizisten hinter der Mauer am Potsdamer Platz, 18.8.1961

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Die Mauer in der Berliner Liesenstraße hat eine Höhe von 4 Metern erreicht, 13.8.1961

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Grenzübergang Chaussestraße, 1962

Die eigentliche Mauer stellte das ›Vordere Sperrelement‹ der Grenzanlagen dar, das Ost-Berlin von der vermeintlich ›feindwärtigen‹ Seite, also den Westsektoren trennte. Tatsächlich waren die Sicherungsanlagen allerdings auf die ›freundwärtige‹ Seite, also auf das eigene Territorium ausgerichtet, sollten sie doch Menschen an der ›Republikflucht‹ hindern. In Richtung Osten wurde die Vorderlandmauer daher durch ein gestaffeltes System von Sperrelementen ergänzt, die bereits verhindern sollten, dass Fluchtwillige bis an die Mauer gelangen konnten.

Klausmeier und Schmidt schreiben: »Zunächst traf man auf verschiedene Warnzeichen. Die unmittelbare Sperrzone vor den Grenzanlagen wurde durch rot-weiße Pfosten und Markierungen oder auch durch ein niedriges rot-weiß gestrichenes Geländer angezeigt. In Abständen angebrachte Schilder warnten Unbefugte mit der viersprachigen Aufschrift ›Grenzgebiet – Betreten verboten‹.«7

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Von der provisorischen Mauer zum Bollwerk: Der fertige Grenzübergang Chausseestraße, 24.10.1965

Zum Teil fanden sich in dem Sperrgebiet so genannte Vorfeldsicherungen, wie z.B. vorgelagerte Plattenwände, Zäune oder Durchfahrtssperren oder auch Vergitterungen an Fenstern. Die eigentlichen Grenzanlagen begannen auf Ost-Berliner Seite mit der Hinterlandsicherungsmauer, kurz Hinterlandmauer, die in Richtung Ost-Berlin mit langen weißen, grau gerahmten Rechtecken bemalt war. Zwischen Vorder- und Hinterlandmauer befand sich der Todesstreifen. In dieser Richtung war die Hinterlandmauer komplett weiß gestrichen, damit sich ein Flüchtender auch nachts vor ihr abzeichnete.