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Titelseite

 

Für meine Leser

 

SAN FRANCISCO, KALIFORNIEN

REPUBLIK AMERIKA

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EINWOHNER: 24 646 320

DAY

Von all meinen bisherigen Verkleidungen ist mir diese möglicherweise die liebste.

Dunkelrotes Haar – ein ziemlich krasser Unterschied zu meinem natürlichen Weißblond –, etwas mehr als schulterlang und zum Pferdeschwanz gebunden. Grüne Kontaktlinsen, die über dem Blau meiner Augen nicht künstlich wirken. Ein verknittertes, halb in die Hose gestecktes Hemd mit winzigen silbernen Knöpfen, die in der Dunkelheit blitzen, eine leichte Armeejacke, schwarze Hosen und Stahlkappenstiefel, dazu ein dicker grauer Schal um Hals, Kinn und Mund geschlungen. Ich trage eine dunkle Soldatenkappe, die ich mir tief in die Stirn gezogen habe, und meine komplette linke Gesichtshälfte verschwindet unter einem scharlachroten, gemalten Tattoo, das mich in einen Fremden verwandelt. Außerdem bin ich mit dem unvermeidlichen Knopf im Ohr und einem Mikrofon ausgestattet. Die Republik besteht darauf.

In den meisten anderen Städten würde ich mit diesem gigantischen Tattoo wohl noch sehr viel mehr Blicke auf mich ziehen als ohnehin schon – nicht das unauffälligste Erkennungszeichen, das muss ich zugeben. Aber hier in San Francisco verschmelze ich dadurch wunderbar mit der Masse. Dieser Trend war das Erste, was mir aufgefallen ist, als ich vor acht Monaten mit Eden nach Frisco gekommen bin: Die Jüngeren malen sich hier schwarze oder rote Motive ins Gesicht – die einen kleine, unauffällige Symbole, zum Beispiel ein Republiksiegel an die Schläfe, andere dagegen große, aufwendige Zeichnungen bis hin zu kompletten Landkarten der Republik. Ich habe mich heute Abend für ein eher neutrales Tattoo entschieden, weil meine Republiktreue nicht so weit geht, dass ich sie mir mitten ins Gesicht stempeln würde. Das überlasse ich lieber June. Stattdessen habe ich mir ein Muster aus stilisierten Flammen ausgesucht. Vollkommen ausreichend.

Meine Schlafstörungen lassen mich heute Nacht mal wieder nicht zur Ruhe kommen, sodass ich, statt im Bett zu liegen, allein durch einen Sektor namens Marina schlendere, der, soweit ich das bisher beurteilen kann, eine etwas hügeligere Frisco-Version des Lake-Sektors in L. A. ist. Die Nacht ist kühl und ruhig und ein leichter Nieselregen weht von der Bucht herüber in die Stadt. Die Straßen sind eng, das Pflaster glänzt feucht und ist mit Schlaglöchern durchsetzt. Die Gebäude, die zu beiden Seiten aufragen – die meisten davon so hoch, dass ihre Spitzen in den tief hängenden Wolken verschwinden –, wirken zusammengewürfelt und sind in verblassten Rot-, Schwarz- und Goldtönen gestrichen. Zum Schutz vor den Erdbeben, die hier alle paar Monate das Land erschüttern, sind ihre Mauern mit riesigen Stahlstreben verstärkt. An jedem zweiten Häuserblock sind etwa auf Höhe der fünften oder sechsten Etage JumboTrons angebracht, die ihren gewohnten Schwall aus Republik-Nachrichten in die Nacht hinausplärren. Die Luft riecht salzig und bitter, nach Abgasen und Industrieabfällen, vermischt mit Salzwasser und einer schwachen Backfischnote. Manchmal, wenn ich um eine Ecke biege, finde ich mich plötzlich so nah am Wasser wieder, dass meine Stiefel nass werden. Die steil abfallenden Straßen hier enden direkt in der Bucht und entlang des Horizonts ragen Hunderte halb versunkener Gebäude aus dem Meer. Jedes Mal, wenn die Bucht in Sicht kommt, erhasche ich auch einen Blick auf die Golden-Gate-Ruinen, die verbogenen Überreste von einer alten Brücke, die sich am Ufer gegenüber türmen. Hin und wieder drängeln sich kleine Grüppchen von Leuten an mir vorbei, doch größtenteils scheint die Stadt zu schlafen. Die Gassen werden von vereinzelten Feuern erhellt, um die sich die Obdachlosen der Gegend scharen. Der Unterschied zu Lake ist wirklich nicht groß.

Das heißt – generell hat sich schon einiges verändert. Zum Beispiel das Große Stadion von San Francisco, das in der Ferne zu sehen ist, leer und unbeleuchtet. Weniger Straßenpolizisten in den Armensektoren. Und die Graffitis. Man bekommt einen ziemlich guten Eindruck von dem, was die Einwohner einer Stadt bewegt, wenn man sich die neuesten Schriftzüge an den Hauswänden anschaut. Viele, die ich in letzter Zeit gesehen habe, drücken Loyalität für den neuen Elektor der Republik aus. Anden – unsere Hoffnung, verkündet eine Botschaft an der Seitenwand eines Gebäudes. Eine weitere, die direkt auf die Straße gesprüht ist, lautet: Der Elektor wird uns aus der Dunkelheit führen. Ein bisschen zu optimistisch, wenn man mich fragt, aber insgesamt glaube ich, dass das schon ein gutes Zeichen ist. Irgendetwas muss Anden also richtig machen. Hin und wieder aber stoße ich auch auf andere Botschaften: Weg mit dem Elektor oder Gehirnwäsche oder Der Day, den wir kannten, ist tot.

Ich weiß nicht. Manchmal fühlt sich dieses neue Vertrauen zwischen Anden und dem Volk an wie ein sehr dünnes Band … und dieses Band bin ich. Außerdem könnten die positiven Graffitis auch gefälscht sein, das Werk von Propaganda-Offizieren. Wer weiß das schon? Bei der Republik kann man sich nie sicher sein.

Eden und ich haben natürlich eine Wohnung in einem Reichensektor namens Pacifica, wo wir zusammen mit unserer Betreuerin Lucy wohnen. Die Republik musste sich schließlich etwas für ihren siebzehnjährigen Nationalhelden/ehemals meistgesuchten Kriminellen einfallen lassen. Ich weiß noch genau, wie misstrauisch ich Lucy gegenüber war – einer strengen, etwas korpulenten zweiundfünfzigjährigen Dame –, als sie, ganz in Republikfarben gekleidet, zum ersten Mal vor unserer Tür in Denver stand. »Die Republik hat mich beauftragt, mich um euch zu kümmern«, informierte sie uns und kam direkt in die Wohnung marschiert. Ihr Blick richtete sich auf Eden. »Besonders um den Kleinen.«

Genau. Das kam bei mir nicht ganz so gut an. Ich hatte zwei Monate gebraucht, bis ich Eden auch nur mal kurz aus den Augen lassen konnte. Wir aßen zusammen; wir schliefen im selben Bett; ich ließ ihn nie allein. Manchmal wartete ich sogar vor der Badezimmertür, so als bestünde die Gefahr, dass die Republiksoldaten ihn durch einen Lüftungsschacht in eins ihrer Labore saugten und dort wieder an einen Haufen von Maschinen anschlossen.

»Eden braucht Sie nicht«, fuhr ich Lucy an. »Er hat mich. Ich kann mich sehr gut allein um ihn kümmern.«

Doch mein Gesundheitszustand hatte schon nach diesen ersten paar Monaten stark zu schwanken begonnen. An manchen Tagen fühlte ich mich gut; an anderen fesselten mich rasende Kopfschmerzen ans Bett. Während dieser schlechten Tagen übernahm Lucy das Ruder – und nach ein paar lautstarken Auseinandersetzungen kamen wir schließlich zähneknirschend miteinander aus. Eins muss man ihr außerdem lassen: Sie macht ziemlich hammermäßige Fleischpasteten. Als wir dann nach Frisco gezogen sind, ist sie mit uns gekommen. Sie sorgt für Eden. Und kümmert sich um meine Medikamente.

Als ich keine Lust mehr zum Weiterlaufen habe, bemerke ich, dass ich Marina verlassen habe und in einem reicheren Sektor gelandet bin. Ich bleibe vor einem Club stehen, über dessen Tür der Name Obsidian Lounge in eine Metallplanke geritzt ist. Ich lasse mich an der Wand hinuntergleiten, bis ich auf dem Boden sitze, stütze die Arme auf die aufgestellten Knie und spüre das Vibrieren der Bässe in meinem Körper. Mein Metallbein fühlt sich eiskalt unter dem Stoff meiner Hose an. An der Hauswand gegenüber verkündet ein rotes Graffiti: Day = Verräter. Ich seufze, hole eine silberne Dose aus meiner Tasche und ziehe eine lange Zigarette heraus. Mit dem Finger streiche ich über die Worte San Francisco Central Hospital, die längs auf die Hülse gedruckt sind. Kippen auf Rezept. Vom Arzt verschrieben, was will man mehr? Mit zitternden Fingern schiebe ich mir die Zigarette zwischen die Lippen und zünde sie an. Augen zu. Der erste Zug. Nach und nach verliere ich mich in den bläulichen Rauchwolken und warte darauf, dass die angenehme, halluzinogene Wirkung einsetzt und mich mit sich fortträgt.

Heute dauert es nicht lange. Bald schon verschwindet der permanente, dumpfe Kopfschmerz und die Welt ringsum ist wie mit einem verschwommenen Dunst überzogen, von dem ich weiß, dass er nichts mit dem Regen zu tun hat. Neben mir sitzt ein Mädchen. Es ist Tess.

Sie sieht mit einem Grinsen zu mir hoch, das mir einmal so vertraut war, damals in den Straßen von Lake. »Irgendwas Neues auf den JumboTrons?«, fragt sie und deutet auf einen der Bildschirme auf der anderen Straßenseite.

Ich atme blauen Rauch aus und schüttele träge den Kopf. »Nichts. Ich meine, es gab ein paar Schlagzeilen über die Patrioten, aber wie es scheint, seid ihr ja allesamt wie vom Erdboden verschluckt. Wo steckst du? Und was habt ihr vor?«

»Vermisst du mich?«, fragt Tess anstelle einer Antwort.

Ich starre auf die schimmernde Vision. Sie sieht aus, wie ich sie von unserem Leben auf der Straße in Erinnerung habe – ihr rötlich braunes Haar ist zu einem unordentlichen Zopf geflochten und ihre großen Augen strahlen sanft und gutmütig. Meine kleine Tess. Was waren meine letzten Worte an sie … damals, kurz nachdem ich den Anschlag der Patrioten auf Anden verhindert hatte? »Bitte, Tess! Ich kann dich nicht hierlassen!« Und doch habe ich genau das getan.

Ich wende mich ab und nehme einen weiteren Zug von meiner Zigarette. Ob ich sie vermisse? »Jeden Tag«, antworte ich.

»Du hast versucht, mich zu finden«, sagt Tess und rutscht ein Stück näher. Ich kann beinahe ihre Schulter an meiner spüren. »Ich habe dich beobachtet, wie du die JumboTrons und Radiofrequenzen nach Neuigkeiten absuchst und auf der Straße die Gespräche der Leute belauschst. Aber die Patrioten sind bis auf Weiteres untergetaucht.«

Natürlich sind sie untergetaucht. Warum sollten sie auch jetzt, da Anden an der Macht und das Friedensabkommen zwischen der Republik und den Kolonien beschlossene Sache ist, auf den Plan treten? Was könnte ihr nächstes Ziel sein? Ich habe keine Ahnung. Vielleicht haben sie auch keins. Vielleicht gibt es die Patrioten ja gar nicht mehr.

»Ich wünschte, du würdest zurückkommen«, murmele ich Tess zu. »Es wäre so schön, dich wiederzusehen.«

»Und was ist mit June?«

Als sie diese Frage stellt, verschwindet ihr Bild. An ihrer Stelle taucht nun June auf, mit ihrem langen Pferdeschwanz und den dunklen Augen, in denen winzige Goldpünktchen glitzern. Ihr Blick ist ernst und analysierend – analysierend, wie immer. Ich lege den Kopf auf die Knie und schließe die Augen. Selbst diese Vision von June reicht aus, um einen stechenden Schmerz durch meine Brust fahren zu lassen. Verdammt. Sie fehlt mir so sehr.

Ich denke daran, wie ich mich in Denver von ihr verabschiedet habe, bevor Eden und ich nach Frisco umgezogen sind. »Wir kommen bestimmt bald zurück«, habe ich über mein Mikrofon zu ihr gesagt, um das unbehagliche Schweigen zu füllen, das sich zwischen uns ausbreitete. »Wenn Edens Behandlung beendet ist.« Das war natürlich eine Lüge. Wir sind wegen meiner Behandlung hergekommen. Doch davon wusste June nichts, also erwiderte sie bloß: »Kommt schnell wieder.«

Das ist nun fast acht Monate her. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass wir beide zu schüchtern sind, um uns zu melden, zu viel Angst haben, dass der andere gar nicht reden will, oder ob wir vielleicht beide zu stolz sind, so verdammt stolz, um den ersten Schritt zu machen und dabei möglicherweise verzweifelt zu wirken. Vielleicht bin ich ihr auch einfach nicht wichtig genug. Aber so ist das nun mal. Eine Woche vergeht, ohne dass man voneinander hört, und daraus wird ein Monat und bald schon ist so viel Zeit vergangen, dass der Gedanke, sie anzurufen, seltsam und absurd erscheint. Also tue ich es nicht. Außerdem, was sollte ich denn auch zu ihr sagen? Keine Sorge, die Ärzte kämpfen um mein Leben. Keine Sorge, sie versuchen gerade, die betroffene Region in meinem Gehirn mit tonnenweise Medikamenten zum Schrumpfen zu bringen, bevor sie eine Operation riskieren wollen. Keine Sorge, vielleicht nimmt mich ja die Antarktis in eins ihrer Hightech-Krankenhäuser auf. Keine Sorge, ich werde schon wieder gesund.

Wozu mit dem Mädchen, nach dem man verrückt ist, in Kontakt bleiben, wenn man sowieso bald tot ist?

Der Gedanke löst einen pochenden Schmerz in meinem Hinterkopf aus.

Es ist besser so, sage ich mir zum hundertsten Mal. Und das ist es wirklich. Nachdem ich sie so lange nicht gesehen habe, ist die Erinnerung an die Umstände, unter denen wir uns kennengelernt haben, ein wenig abgeflaut, und ich muss nicht mehr so oft daran denken, welche Rolle June beim Tod meiner Familie gespielt hat.

Anders als meine Visionen von Tess sagen Junes nie auch nur ein Wort. Ich versuche, das flimmernde Bild zu ignorieren, aber sie weigert sich zu gehen. So verdammt stur.

Schließlich drücke ich meine Zigarette aus, stehe auf und trete durch den Eingang der Obsidian Lounge. Vielleicht helfen Musik und Lichter ja, sie aus meinen Gedanken zu vertreiben.

Einen Moment lang bin ich wie blind. Es ist stockfinster und ohrenbetäubend laut. Plötzlich stellen sich mir zwei hünenhafte Soldaten in den Weg. Einer von ihnen legt mir fest die Hand auf die Schulter. »Name und Abteilung?«

Ich habe nicht vor, meine wahre Identität zu enthüllen. »Corporal Schuster. Air Force«, erwidere ich, nenne einen beliebigen Namen und die erste Abteilung, die mir einfällt. An die Luftwaffe denke ich immer zuerst, hauptsächlich wegen Kaede. »Ich bin am Flottenstützpunkt zwei stationiert.«

Der Soldat nickt. »Die Air-Force-Truppe sitzt hinten links, in Richtung der Toiletten. Wenn du meinst, Streit mit den anderen Abteilungstischen anfangen zu müssen, fliegst du raus und wir machen Meldung bei deinem Commander. Verstanden?«

Ich nicke und die Soldaten lassen mich durch. Ich gehe einen dunklen Flur hinunter und durch eine weitere Tür, dann mische ich mich unter die Leute im flackernden Licht des Clubs.

Die Tanzfläche ist voller Menschen, ich sehe lose hängende Hemden und hochgekrempelte Ärmel, knappe Kleidchen schmiegen sich an knittrige Uniformen. Auf der Rückseite des Raums finde ich die Air-Force-Tische. Gut, ein paar sind noch frei. Ich rutsche auf eine Bank, lege die Füße auf das Polster gegenüber und den Kopf zurück. Wenigstens ist die Vision von June verschwunden. Die laute Musik pustet mir den Kopf frei.

Kaum sitze ich ein paar Minuten, als ein Mädchen sich durch das Getümmel auf der Tanzfläche drängt und auf mich zuwankt. Ihr Gesicht ist leicht gerötet und ihre Augen funkeln herausfordernd; als ich einen Blick hinter sie werfe, sehe ich eine Traube kichernder Freundinnen, die uns beobachten. Ich zwinge mich zu lächeln. Normalerweise genieße ich die Aufmerksamkeit in Clubs, manchmal aber will ich einfach nur die Augen schließen und mich vom Trubel fortspülen lassen.

Sie beugt sich dicht zu mir und presst ihren Mund an mein Ohr. »Entschuldige«, schreit sie über die Musik hinweg. »Die anderen wollen wissen, ob du Day bist.«

So schnell haben sie mich erkannt? Unwillkürlich zucke ich zurück und schüttele den Kopf, sodass auch die anderen es sehen. »Da habt ihr den Falschen erwischt«, antworte ich mit einem schiefen Grinsen. »Aber danke für das Kompliment.«

Das Gesicht des Mädchens liegt fast vollkommen im Schatten, dennoch sehe ich, wie sie dunkelrot anläuft. Ihre Freundinnen brechen in schallendes Gelächter aus. Keine von ihnen scheint mir meine Antwort abzunehmen.

»Willst du vielleicht tanzen?«, fragt das Mädchen. Sie deutet kurz mit dem Kinn in Richtung der blauen und goldenen Lichter und sieht dann wieder mich an. Offenbar gehört das auch noch zu der Mutprobe, die sich ihre Freundinnen für sie ausgedacht haben.

Während ich schon überlege, wie ich möglichst höflich ablehnen kann, mustere ich das Mädchen. Im Club ist es zu dunkel, um besonders viel zu erkennen, darum sehe ich nicht viel mehr als das Licht der Neonstrahler auf ihrer Haut und dem langen Pferdeschwanz. Ihre glänzend geschminkten Lippen sind zu einem Lächeln verzogen, sie hat einen schlanken, durchtrainierten Körper und trägt ein kurzes Kleid zu Armeestiefeln. Das Nein auf meiner Zunge beginnt sich aufzulösen. Irgendetwas an ihr erinnert mich an June. Seit sie vor acht Monaten Princeps-Anwärterin geworden ist, habe ich mich nicht für viele Mädchen begeistern können – jetzt jedoch, als diese schattenhafte Doppelgängerin mich auf die Tanzfläche lockt, keimt plötzlich wieder Hoffnung in mir auf.

»Okay, warum nicht?«

Auf dem Gesicht des Mädchens breitet sich ein Lächeln aus. Als ich von meiner Bank aufstehe und ihre Hand ergreife, keuchen ihre Freundinnen überrascht auf und brechen dann in lauten Jubel aus. Das Mädchen führt mich mitten durch die Gruppe und im nächsten Moment verschluckt uns die Menge und wir okkupieren ein winziges Plätzchen zwischen den Tanzenden.

Ich ziehe sie an mich, sie streicht mir mit der Hand über den Nacken und dann lassen wir uns von den stampfenden Bässen davontragen. Sie ist wirklich hübsch, muss ich zugeben, geblendet von dem Meer aus Lichtern und Gliedmaßen. Das nächste Lied beginnt und danach ein weiteres. Ich habe keine Ahnung, wie viel Zeit vergeht, bin völlig versunken, doch als sie sich schließlich zu mir vorbeugt und mit ihren Lippen meine streift, schließe ich die Augen und lasse es zu. Ich spüre sogar, wie mir ein Schauer über den Rücken läuft. Sie küsst mich zweimal, ihr weicher Mund scheint unter meinem zu zerfließen und ihre Zunge schmeckt nach Wodka und Früchten. Ich lege dem Mädchen die flache Hand ins Kreuz und ziehe sie enger an mich, bis ihr Körper sich gegen meinen presst. Ihre Küsse werden drängender. Sie ist June, rede ich mir ein und versuche, mich in dieser Fantasie zu verlieren. Mit geschlossenen Augen und meinem noch immer von den Halluzinogenen benebelten Verstand kann ich es einen Moment lang fast glauben – kann mir vorstellen, dass sie es ist, die mich küsst und mir den Atem raubt. Das Mädchen muss eine Veränderung in meinen Bewegungen spüren, mein aufwallendes Verlangen, meine Sehnsucht, denn ich spüre, wie sich ihre Lippen zu einem Grinsen verziehen. Sie ist June. Junes dunkles Haar streift mein Gesicht, Junes lange Wimpern kitzeln mich an den Wangen, Junes Arm ist um meinen Hals geschlungen, ich spüre Junes Körper an meinem. Ein leiser Seufzer entweicht mir.

»Komm«, flüstert sie lockend. »Lass uns ein bisschen an die frische Luft gehen.«

Wie lange bin ich schon hier? Ich will nicht raus, denn das würde bedeuten, dass ich die Augen öffnen muss und June weg ist und ich allein mit diesem Mädchen bin, das ich nicht kenne. Doch sie zerrt an meiner Hand und ich bin gezwungen, mich der Realität zu stellen. June ist nirgends zu sehen, natürlich nicht. Die Lichter über der Tanzfläche flackern auf und einen Moment lang bin ich geblendet. Sie führt mich durch das Gewirr von Tanzenden, zurück durch den dunklen Flur und schließlich zu einer unbeschilderten Hintertür hinaus. Wir finden uns in einer ruhigen Gasse wieder. Ein paar schwache Strahler erhellen die Straße und tauchen alles in gespenstisches grünliches Schummerlicht.

Sie drängt mich gegen die Wand und überwältigt mich mit einem weiteren Kuss. Sie ist leicht verschwitzt und ich spüre, wie sie unter meiner Berührung eine Gänsehaut bekommt. Ich erwidere ihren Kuss und sie stößt ein kleines, überraschtes Kichern aus, als ich uns herumdrehe und nun sie an die Wand dränge.

Sie ist June, sage ich mir, immer wieder. Meine Lippen tasten sich gierig über ihren Hals, schmecken Rauch und Parfüm.

Ein schwaches Knistern dringt aus meinem Knopf im Ohr, ein Geräusch wie Regen und in der Pfanne brutzelnde Eier. Ich versuche, den Anruf zu ignorieren, selbst als die Stimme eines Mannes meinen Kopf erfüllt. Eine kalte Dusche könnte nicht effektiver sein. »Mr Wing«, sagt er.

Ich antworte nicht. Lass mich in Ruhe. Ich bin beschäftigt.

Nach ein paar Sekunden meldet sich die Stimme erneut. »Mr Wing, hier ist Captain David Guzman von der Stadtstreife Denver 14. Ich weiß, dass Sie mich hören.«

Ach, der schon wieder. Diesem bedauernswerten Captain brummen sie ständig die Aufgabe auf, mich zu kontaktieren.

Ich seufze und löse mich von dem Mädchen. »Tut mir leid«, sage ich atemlos und deute mit einer entschuldigenden Grimasse auf mein Ohr. »Kannst du mich eine Minute allein lassen?«

Sie lächelt und streicht ihr Kleid glatt. »Ich bin drinnen. Bis gleich.« Dann öffnet sie die Tür und verschwindet wieder im Club.

Ich schalte mein Mikro ein und marschiere langsam in der Gasse auf und ab. »Was gibt’s?«, flüstere ich verärgert.

Der Captain am anderen Ende seufzt und leiert seine Nachricht herunter. »Mr Wing, Sie werden morgen Abend zur Feier des Unabhängigkeitstages nach Denver gebeten, im Ballsaal des Capitol Towers. Wie immer steht es Ihnen frei, der Einladung nicht nachzukommen. Wie Sie es ja für gewöhnlich zu tun pflegen«, fügt er murmelnd hinzu. »Hierbei handelt es sich allerdings um eine außerordentliche Zusammenkunft von immenser Tragweite. Sollten Sie sich entschließen teilzunehmen, steht morgen früh ein Privatjet für Sie bereit.«

Eine außerordentliche Zusammenkunft von immenser Tragweite? Schon mal so viele geschwollene Wörter in nur einem Satz gehört? Ich verdrehe die Augen. Etwa einmal im Monat bekomme ich Einladungen zu irgendwelchen pompösen Veranstaltungen in der Hauptstadt, wie einem Ball für hochkarätige Kriegsgeneräle oder der Feier, nachdem Anden den Großen Test abgeschafft hat. Doch in Wahrheit wollen sie mich bei all diesen Festivitäten nur dabeihaben, damit sie mich herumzeigen und die Leute erinnern können: »Hier, nur für den Fall, dass ihr es vergessen hattet: Day ist auf unserer Seite!« Treib es nicht zu weit, Anden.

»Mr Wing«, fährt der Captain fort, als ich nicht reagiere, so als müsse er nun wohl oder übel zum letzten Mittel greifen, »der ehrwürdige Elektor persönlich bittet um Ihre Anwesenheit. Und mit ihm die Princeps-Anwärterin.«

Die Princeps-Anwärterin.

Meine Stiefel kommen knirschend in der Mitte der Gasse zum Stehen. Ich vergesse beinahe zu atmen.

Freu dich nicht zu früh – schließlich gibt es zwei weibliche Anwärter auf das Princeps-Amt und er könnte schließlich jede davon meinen.

Ein paar Sekunden vergehen, bevor ich schließlich frage: »Welche Princeps-Anwärterin?«

»Die einzige, die Sie interessieren dürfte.«

Meine Wangen werden heiß, als ich den Spott in seiner Stimme höre. »June?«

»Ja, Ms June Iparis«, antwortet der Captain. Er klingt erleichtert darüber, dass er sich nun endlich meiner ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein kann. »Sie hat darauf bestanden, Sie explizit persönlich einzuladen. Sie würde sich sehr freuen, Sie beim Bankett im Capitol Tower zu sehen.«

Mein Kopf schmerzt und es kostet mich erhebliche Mühe, meinen Atem ruhig zu halten. Das Mädchen aus dem Club ist vergessen. June hat seit acht Monaten nicht persönlich nach mir verlangt – dies ist das erste Mal, dass sie mich darum bittet, an einer offiziellen Veranstaltung teilzunehmen.

»Worum geht’s denn da genau?«, frage ich. »Eine ganz normale Unabhängigkeitsfeier? Wieso immense Tragweite?«

Der Captain zögert. »Es handelt sich um eine Angelegenheit der Staatssicherheit.«

»Was soll das denn nun wieder heißen?« Meine ursprüngliche Freude beginnt abzuflauen – vielleicht blufft er ja nur. »Hören Sie, Captain, ich habe hier noch etwas zu erledigen. Versuchen Sie morgen früh noch mal, mich zu überzeugen.«

Der Captain stößt einen gedämpften Fluch aus. »Na schön, Mr Wing. Ganz wie Sie wollen.« Er murmelt noch etwas, das ich nicht verstehe, und beendet dann die Verbindung.

Ich verziehe frustriert das Gesicht, als mein Hochgefühl in handfeste Enttäuschung umschlägt. Vielleicht sollte ich nach Hause gehen. Ich muss sowieso langsam zurück und nach Eden sehen. Was für ein Blödsinn. Wahrscheinlich war das mit June sowieso bloß eine Lüge, denn wenn ihr wirklich etwas daran liegen würde, dass ich in die Hauptstadt komme, dann –

»Day?«

Eine neue Stimme meldet sich in meinem Ohrhörer. Ich erstarre.

Ist die halluzinogene Wirkung der Medikamente schon verflogen? Oder habe ich mir ihre Stimme vielleicht bloß eingebildet? Ich würde sie überall wiedererkennen, obwohl ich sie seit fast einem Jahr nicht mehr gehört habe, und ihr Klang allein reicht aus, um abermals Junes Bild heraufzubeschwören, die nun vor mir zu stehen scheint, als wäre ich ihr zufällig in dieser Gasse begegnet. Bitte, lass es nicht sie sein. Doch, bitte, lass es sie sein.

Hatte ihre Stimme schon immer eine derartige Wirkung auf mich?

Ich habe keine Ahnung, wie lange ich so starr dagestanden habe, aber es muss eine ganze Weile gewesen sein, denn June sagt noch einmal: »Day? Ich bin’s, June. Bist du da?« Mir läuft ein Schauer über den Rücken.

Es ist real. Sie ist es wirklich.

Ihr Tonfall ist anders, als ich ihn in Erinnerung hatte. Höflich, zurückhaltend, so als spräche sie mit einem Fremden.

Endlich habe ich mich wieder unter Kontrolle und schnalze mein Mikro erneut an. »Ja, ich bin da«, antworte ich. Mein Tonfall klingt ebenfalls ungewohnt – genauso höflich, genauso zurückhaltend. Ich hoffe, sie hört nicht das leichte Zittern in meiner Stimme.

Auf der anderen Seite herrscht kurz Schweigen, bevor June schließlich weiterredet. »Hi.« Dann eine längere Pause, gefolgt von: »Wie geht es dir?«

Mit einem Mal spüre ich, wie sich eine wahre Flut aus Worten in mir anstaut, die sich jeden Moment Bahn zu brechen droht. Ich will ihr alles erzählen: Ich habe seit unserem Abschied jeden Tag an dich gedacht, es tut mir leid, dass ich nicht angerufen habe, ich wünschte, du hättest mich angerufen. Du fehlst mir. Du fehlst mir.

Doch ich sage nichts davon. Stattdessen ist alles, was ich hervorbringe: »Gut. Was gibt’s denn?«

Sie hält kurz inne. »Oh. Das freut mich. Entschuldige bitte den späten Anruf, du hast sicher schon geschlafen. Aber der Senat und der Elektor haben mich gebeten, dir eine persönliche Einladung zu übermitteln. Ich würde nicht anrufen, wenn es nicht äußerst wichtig wäre. In Denver findet morgen ein Ball zur Feier des Unabhängigkeitstages statt und in diesem Rahmen soll ein Krisenbankett abgehalten werden. Dafür brauchen wir dich hier.«

»Warum?« Offenbar habe ich mich auf ziemlich einsilbige Antworten festgelegt. Aus irgendeinem Grund ist das alles, was ich mit Junes Stimme im Kopf zustande bringe.

Sie atmet aus, was als kleiner Schwall statischen Rauschens durch meinen Ohrhörer dringt, bevor sie schließlich sagt: »Du hast doch sicher gehört, dass die Republik und die Kolonien gerade über ein Friedensabkommen verhandeln, oder?«

»Ja, klar.« Das weiß doch jeder in diesem Land: Der größte Wunsch unseres geliebten kleinen Anden ist es doch, den Krieg, der schon wer weiß wie lange tobt, endlich zu beenden. Und bislang scheint sich auch alles in die richtige Richtung zu bewegen, immerhin herrscht nun schon seit vier Monaten Ruhe an der Front. Wer hätte gedacht, dass es jemals so weit kommen würde? Aber es hatte ja auch niemand erwartet, eines Tages im ganzen Land die Großen Stadien verlassen daliegen zu sehen. »Sieht ganz so aus, als wäre der Elektor auf dem besten Weg, unser neuer Nationalheld zu werden, was?«

»Sei nicht zu voreilig.« Junes Stimme verfinstert sich und es ist, als könnte ich durch den Hörer direkt in ihr Gesicht blicken. »Wir haben gestern eine ziemlich verärgerte Botschaft aus den Kolonien bekommen. In ihren Städten an der Front breitet sich eine Seuche aus und sie glauben, dass sie von einer der biologischen Waffen ausgelöst wurde, die wir im Krieg eingesetzt haben. Sie haben sogar die Seriennummern der Bombenhüllen zurückverfolgt, die, ihrer Meinung nach, die Seuche in sich getragen haben.«

Ihre Worte dringen nur noch gedämpft durch das Entsetzen, das sich in meinem Kopf breitmacht, durch den Nebel aus Erinnerungen an Eden und seine schwarzen, blutenden Augen, an den kleinen Jungen aus dem Bahnwaggon, der zu Kriegszwecken missbraucht wurde. »Heißt das, das Friedensabkommen ist gescheitert?«, frage ich.

»Ja.« Junes Stimme versagt. »Die Kolonien behaupten, die Seuche sei ein offiziell kriegerischer Akt unsererseits gegen ihr Land.«

»Und was hat das alles mit mir zu tun?«

Ein weiterer Moment unheilvollen Schweigens.

In meinem Inneren breitet sich eine so eisige Angst aus, dass meine Finger taub werden. Die Seuche. Es geht wieder los. Der Kreis hat sich geschlossen.

»Das erkläre ich dir, wenn du hier bist«, erwidert June schließlich. »Wir sollten das nicht über Funk besprechen.«

JUNE

Ich schäme mich für mein erstes Gespräch mit Day, nachdem wir acht Monate lang nichts voneinander gehört haben. Ich hasse mich dafür. Wann bin ich bloß so berechnend geworden? Warum muss ich immer seine Schwächen gegen ihn verwenden?

Letzte Nacht um 23:06 Uhr ist Anden in meinem Wohnkomplex aufgetaucht und hat an meine Tür geklopft. Allein. Ich glaube, es waren nicht einmal Leibwächter auf dem Gang postiert. Das war das erste Indiz dafür, dass das, was er mir erzählen wollte, wichtig war – und geheim.

»Ich muss Sie um einen Gefallen bitten«, sagte er, nachdem ich ihn hereingebeten hatte. Anden hat sein Auftreten als junger Elektor nahezu perfektioniert (ruhig, kühl, besonnen, das Kinn in stressigen Situationen entschlossen erhoben, die Stimme völlig beherrscht, wenn er wütend ist), doch diesmal war die tiefe Sorge in seinen Augen nicht zu übersehen. Selbst Ollie, mein Hund, spürte, dass Anden aufgebracht war, und versuchte, ihn zu trösten, indem er ihm seine feuchte Schnauze in die Hand stieß.

Ich schob Ollie beiseite und wandte mich wieder Anden zu. »Was ist los?«

Anden fuhr sich mit der Hand durch die dunklen Locken. »Es tut mir leid, dass ich Sie so spät am Abend noch störe.« Er neigte in stiller Sorge den Kopf zu mir herunter. »Aber ich fürchte, das hier kann einfach nicht warten.« Er war mir so nah, dass meine Lippen seine gestreift hätten, wenn ich den Kopf gehoben hätte. Bei der Vorstellung schlug mein Herz schneller.

Anden schien meine Anspannung zu spüren. Er trat entschuldigend einen Schritt zurück, gab mir mehr Raum zum Atmen. Ich verspürte eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung.

»Das Friedensabkommen ist gescheitert«, flüsterte er. »Die Kolonien werden uns in Kürze erneut den Krieg erklären.«

»Was?«, flüsterte ich zurück. »Warum? Was ist denn passiert?«

»Meine Generäle vermelden, dass sich seit einigen Wochen ein tödliches Virus wie ein Flächenbrand auf der Kolonienseite der Front ausbreitet.« Als meine Augen sich weiteten und Anden sah, dass ich verstand, nickte er. Er wirkte so erschöpft und schien unter der Last, die Sicherheit einer ganzen Nation auf seinen Schultern zu tragen, zu straucheln. »Wie es aussieht, habe ich unsere biologischen Waffen leider nicht schnell genug von der Front abgezogen.«

Eden. Die künstlich gezüchteten Viren, die Andens Vater eingesetzt hatte, um in den Kolonien eine Seuche zu verbreiten. Seit Monaten versuchte ich, den Gedanken daran zu verdrängen – schließlich war Eden nun in Sicherheit, Day kümmerte sich um ihn, und meinem jüngsten Informationsstand nach erholte er sich langsam und konnte fast wieder ein normales Leben führen. An der Front hatte in den letzten Monaten Ruhe geherrscht, während Anden versuchte, ein Friedensabkommen mit den Kolonien auf die Beine zu stellen. Ich hatte gehofft, wir würden noch einmal davonkommen und die biologischen Kriegsmittel keine Folgen haben. Vergeblich.

»Wissen die Senatoren Bescheid?«, fragte ich nach einer Weile. »Oder die anderen Princeps-Anwärter? Warum erzählen Sie mir das? Ich bin ja nicht unbedingt Ihre engste Beraterin.«

Anden seufzte und massierte seine Nasenwurzel. »Bitte verzeihen Sie mir. Ich wünschte, ich müsste Sie nicht in diese Sache mit hineinziehen. Die Kolonien glauben, dass wir in unseren Laboren ein Heilmittel gegen dieses Virus haben und es lediglich unter Verschluss halten. Sie verlangen, dass wir es ihnen aushändigen, andernfalls drohen sie mit einer groß angelegten Invasion. Und das wäre mehr als nur eine Wiederaufnahme des alten Krieges. Die Kolonien konnten nämlich einen Verbündeten gewinnen. Sie haben ein Handelsabkommen mit Afrika geschlossen – die Kolonien erhalten militärische Unterstützung und dafür geht die Hälfte unseres Territoriums an Afrika.«

Eine dunkle Vorahnung regte sich in mir. Obwohl er es nicht aussprach, konnte ich mir denken, worauf das alles hinauslaufen würde. »Es gibt kein Heilmittel, stimmt’s?«

»Nein. Aber wir wissen, welche ehemaligen Patienten uns dabei helfen könnten, eins zu finden.«

Ich begann, den Kopf zu schütteln. Als Anden mich am Ellbogen berührte, zuckte ich zurück. »Kommt nicht infrage. So etwas können Sie nicht von mir verlangen. Das mache ich nicht.«

Anden blickte gequält. »Ich habe ein privates Bankett für morgen Abend anberaumt, zu dem sich alle Senatoren einfinden werden. Wir haben keine andere Wahl, wenn wir die aktuellen Entwicklungen aufhalten und den Frieden mit den Kolonien sichern wollen.« Seine Stimme wurde nachdrücklicher. »Das wissen Sie genauso gut wie ich. Ich möchte, dass er zu diesem Bankett kommt und sich alles anhört. Wir werden seine Erlaubnis brauchen, wenn wir an Eden herankommen wollen.«

Er meint es tatsächlich ernst, stellte ich entsetzt fest.

»Die werden Sie nicht erhalten. Das ist Ihnen doch wohl klar, oder? Das Vertrauen, das Ihnen das Volk entgegenbringt, ist immer noch leicht zu erschüttern und die Annäherung zwischen Ihnen und Day ist bestenfalls zaghaft. Was glauben Sie denn, wie er auf so eine Forderung reagieren wird? Was ist, wenn Sie ihn damit so wütend machen, dass er das Volk gegen Sie aufhetzt und eine Rebellion anzettelt? Oder, schlimmer noch – wenn er die Leute dazu anstiftet, die Kolonien zu unterstützen?«

»Ich weiß. Über das alles habe ich auch schon nachgedacht.« Anden rieb sich erschöpft die Schläfen. »Wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, würde ich sie nutzen.«

»Und jetzt möchten Sie, dass ich ihn dazu bringe, bei der Sache mitzuspielen«, fuhr ich fort. Mein Ärger war zu groß, als dass ich auch nur versucht hätte, ihn zu verbergen. »Das mache ich nicht. Sagen Sie den anderen Senatoren, dass sie Day überreden sollen, oder versuchen Sie es selbst. Oder denken Sie sich etwas aus, wie Sie sich beim Kanzler der Kolonien entschuldigen können – bitten Sie ihn, noch einmal über die Konditionen zu verhandeln.«

»Sie sind Days Schwäche, June. Auf Sie wird er hören.« Anden kniff die Augen zu, als er das sagte, so als falle es ihm schwer, das zuzugeben. »Ich weiß, wie meine Bitte auf Sie wirken muss. Und ich will keinesfalls grausam sein – ich will nicht, dass Day uns als Feind betrachtet. Aber ich werde alles tun, um das Volk der Republik zu schützen. Ansonsten werden die Kolonien uns angreifen und Sie wissen selbst, wenn das passiert, wird sich das Virus früher oder später auch bei uns ausbreiten.«

Es war sogar noch schlimmer, auch wenn Anden es nicht aussprach: Sollten uns die Kolonien mit der Hilfe Afrikas angreifen, konnte es sein, dass unsere militärischen Kräfte nicht stark genug waren, um sie zurückzuschlagen. Möglicherweise würden sie diesmal gewinnen.

Auf dich wird er hören.

Ich schloss die Augen und senkte den Kopf. So ungern ich es mir auch eingestehen wollte, ich wusste, dass Anden recht hatte.

Also tat ich, worum er mich gebeten hatte. Ich rief Day an und bat ihn, in die Hauptstadt zu kommen. Allein der Gedanke daran, ihn wiederzusehen, lässt mein Herz, das sich nach so vielen Monaten der Trennung vor Sehnsucht nach ihm verzehrt, schneller schlagen. Ich habe ihn so lange nicht gesehen oder gesprochen … und dann soll das unser Wiedersehen sein? Was wird er nur von mir denken?

Was wird er von der Republik denken, wenn er herausfindet, dass sie es erneut auf seinen kleinen Bruder abgesehen haben?

12:01 UHR
DENVER, BEZIRKSGERICHT FÜR STAATSVERBRECHEN
22 °C INNENTEMPERATUR
SECHS STUNDEN BEVOR ICH DAY BEIM BALL WIEDERSEHE
289 TAGE UND 12 STUNDEN SEIT METIAS’ TOD

Heute wird Thomas und Commander Jameson der Prozess gemacht.

Ich habe Gerichtsverhandlungen so satt. In den letzten vier Monaten saßen ein Dutzend ehemaliger Senatoren für ihre Beteiligung an der Planung eines Mordanschlags gegen Anden auf der Anklagebank. Jenes Mordanschlags, den Day und ich im letzten Moment hatten verhindern können. Die Senatoren sind alle hingerichtet worden. Auch Razor ist längst hingerichtet worden. Manchmal kommt es mir vor, als würde jede Woche jemand Neues zum Tode verurteilt.

Doch die heutige Verhandlung ist anders. Heute weiß ich genau, wem der Prozess gemacht wird und wofür.

Ich sitze in einer Loge mit Blick auf das runde Podium des Gerichtssaals, meine Hände in den weißen Seidenhandschuhen sind rastlos, mein Körper bebt unter der Uniformjacke und dem gerüschten schwarzen Mantel und meine Stiefel tippen nervös gegen die Steinbalustrade. Mein Stuhl besteht aus künstlichem Eichenholz und ist mit weichem dunkelrotem Samt gepolstert, doch aus irgendeinem Grund finde ich einfach keine bequeme Sitzposition. Um mich zu beruhigen und abzulenken, forme ich behutsam einen kleinen Ring aus vier auseinandergebogenen Büroklammern. Hinter mir stehen zwei Soldaten. Die sechsundzwanzig Senatoren unseres Landes sitzen in drei Reihen rund um das Podium, vollkommen gleichförmig in ihren rot-schwarzen Anzügen. Ihre silbernen Schulterklappen reflektieren das Licht und ihre Stimmen hallen von der gewölbten Decke wider. Sie klingen gleichgültig, so als würde heute über neue Handelsrouten entschieden und nicht über das Schicksal zweier Menschen.

Es sind viele neue Gesichter darunter – die Nachfolger der abtrünnigen Senatoren, die Anden bereits ausgemerzt hat. Ich, in meiner schwarz-goldenen Uniform, steche heraus. (Selbst die sechsundsiebzig Soldaten, die heute Wache halten, tragen Dunkelrot. Es gibt zwei für jeden Senator, zwei für mich, je zwei für die anderen Princeps-Anwärter und vier für Anden. Außerdem sind weitere vierzehn Mann an den Vorder- und Hintereingängen des Gerichtssaals postiert, was bedeutet, dass die Fluchtgefahr bei den Angeklagten – Thomas und Commander Jameson – als sehr hoch eingestuft und jederzeit mit einer unvorhergesehenen Reaktion gerechnet wird.)

Allerdings bin ich ja auch keine Senatorin. Ich bin eine Princeps-Anwärterin und muss auch als solche zu erkennen sein.

Außer mir tragen noch zwei Personen diese schwarz-goldene Uniform. Ich sehe zu den Logen der beiden hinüber. Nachdem Anden mich dazu überredet hat, mich für das Princeps-Amt ausbilden zu lassen, hat der Kongress ihn gedrängt, noch zwei weitere Anwärter zu benennen. Schließlich könne man nicht nur eine einzige Person darauf vorbereiten, eines Tages den Senat zu leiten, schon gar nicht, wenn es sich dabei um ein sechzehnjähriges Mädchen ohne jegliche politische Erfahrung handele. Also hat Anden nachgegeben. Er wählte zwei weitere Princeps-Anwärter aus, die beide bereits Senatoren waren. Die eine heißt Mariana Dupree. Ich mustere sie, wie sie dasitzt, die Nase hoch erhoben und die Augen unter den schweren Lidern streng blickend. Siebenunddreißig Jahre alt, seit zehn Jahren Senatorin. Sie hat mich von unserer ersten Begegnung an gehasst. Ich wende den Blick von ihr ab und sehe zu der Loge hinüber, wo der andere Princeps-Anwärter Platz genommen hat. Serge Carmichael, ein nervöser zweiunddreißigjähriger Senator mit großen politischen Ambitionen, der mich gleich von Anfang an hat spüren lassen, wie sehr er mich für meine Jugend und Unerfahrenheit verachtet.

Serge und Mariana. Meine zwei Rivalen im Kampf um das Princeps-Amt. Ich bin schon erschöpft, wenn ich nur daran denke.

Anden, der, flankiert von seinen Wachen, in einer Loge ein paar Meter entfernt sitzt, wirkt ruhig. Er trägt einen eleganten grauen Militärmantel mit glänzenden Silberknöpfen, silbernen Schulterklappen und silbernen Abzeichen an den Ärmeln. Hin und wieder wirft er einen Blick zu den Angeklagten hinunter, die auf dem Podium stehen.

Ich beobachte ihn einen Moment lang und bewundere seine ruhige Ausstrahlung.

Thomas und Commander Jameson werden für ihre Verbrechen wider den Staat verurteilt.

Thomas wirkt – wenn das überhaupt möglich ist – noch adretter als gewöhnlich. Sein Haar ist straff zurückgekämmt und allem Anschein nach hat er für jeden seiner Stiefel eine komplette Tube Schuhcreme verbraucht. Er steht in der Mitte des Gerichtssaals stramm und starrt so unerschütterlich geradeaus, dass es jeden Commander der Republik stolz gemacht hätte. Ich frage mich, was wohl gerade in ihm vorgeht. Denkt er an jene Nacht in der Gasse hinter dem Krankenhaus, als er meinen Bruder ermordet hat? Denkt er an die vielen Gespräche mit Metias, die Momente, in denen dieser sich ihm anvertraut hat? Oder an jenen schicksalhaften Abend, an dem er sich dazu entschlossen hat, Metias zu verraten, anstatt ihm zu helfen?

Commander Jameson dagegen wirkt ein wenig derangiert. Ihr kalter, emotionsloser Blick ist fest auf mich gerichtet. Sie starrt mich seit geschlagenen zwölf Minuten an. Ich sehe ihr einen Moment lang in die Augen und suche darin nach Spuren dafür, dass sie eine Seele besitzt, entdecke jedoch nichts als eisigen Hass und die völlige Abwesenheit eines Gewissens.

Ich wende mich ab, atme ein paarmal tief und langsam durch und versuche, mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Meine Gedanken kehren zu Day zurück.

241 Tage sind vergangen, seit er mich in meiner Wohnung aufgesucht hat, um sich zu verabschieden. Manchmal wünsche ich mir, Day könnte mich noch einmal so in den Armen halten und küssen, wie er es an jenem letzten Abend getan hat. Wir waren einander so nah, dass wir kaum atmen konnten, und seine Lippen lagen weich auf meinen. Dann revidiere ich den Wunsch wieder. Dieser Gedanke ist vollkommen nutzlos. Er erinnert mich lediglich an meinen Verlust, genau wie hier zu sitzen und auf die Leute hinunterzusehen, die meine Familie auf dem Gewissen haben, mir vor Augen führt, was ich einst hatte; und dazu wird mir noch meine eigene Schuld vor Augen geführt – all das, was Day einst hatte, bevor ich es ihm genommen habe.

Außerdem wird Day mich wohl kaum je wieder küssen wollen. Nicht, wenn er erst einmal herausgefunden hat, warum ich ihn darum gebeten habe, nach Denver zu kommen.

Anden sieht in meine Richtung. Als unsere Blicke sich treffen, nickt er kurz, verlässt seine Loge und betritt eine Minute später meine. Zusammen mit meinen Wachen erhebe ich mich und salutiere. Anden winkt ungeduldig ab. »Bitte, setzen Sie sich.« Als ich wieder Platz genommen habe, beugt er sich zu mir und fügt hinzu: »Wie kommen Sie zurecht, June?«

Ich kämpfe gegen die Röte an, die mir in die Wangen steigt. Nach acht Monaten ohne Day ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich Anden anlächele, seine Aufmerksamkeit genieße und mich gelegentlich sogar danach sehne. »Ganz gut, danke. Ich habe mich auf diesen Tag gefreut.«

»Natürlich.« Anden nickt. »Machen Sie sich keine Sorgen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die beiden endgültig aus Ihrem Leben verschwunden sind.« Er drückt mir aufmunternd die Schulter. Dann geht er wieder – verschwindet so schnell, wie er gekommen ist, unter dem schwachen Klimpern von Medaillen und Schulterklappen, bevor er wenige Momente später wieder in seiner eigenen Loge auftaucht.

Ich hebe den Kopf und versuche vergeblich, Tapferkeit vorzutäuschen, denn ich weiß, dass Commander Jamesons eisiger Blick noch immer auf mir ruht. Während sich die Senatoren einer nach dem anderen erheben und laut ihr Urteil für Commander Jameson verkünden, halte ich den Atem an und verdränge sorgsam jede Erinnerung daran, wie sie mich einst mit ihren Blicken eingeschüchtert hat, verbanne sie säuberlich zusammengefaltet in eine Schublade ganz hinten in meinem Bewusstsein. Die Abstimmung scheint ewig zu dauern, obwohl die Senatoren bloß eilig das hervorstoßen, von dem sie annehmen, dass der Elektor es hören will. Niemand geht mehr das Risiko ein, Anden gegen sich aufzubringen, nachdem so viele andere verurteilt und hingerichtet worden sind. Als ich schließlich an der Reihe bin, ist meine Kehle wie ausgetrocknet. Ich schlucke ein paarmal und gebe dann mein Votum ab.

»Schuldig«, sage ich und meine Stimme ist klar und ruhig.

Serge und Mariana sind nach mir an der Reihe. Es folgt eine weitere Abstimmungsrunde für Thomas und schließlich ist es vorbei. Drei Minuten später eilt ein Mann (kahlköpfig, mit rundem, runzligem Gesicht und einer bodenlangen scharlachroten Robe, die er mit der linken Hand gerafft hält) in Andens Loge und verneigt sich hastig vor ihm. Anden beugt sich zu dem Mann und flüstert ihm etwas ins Ohr. Schweigend und neugierig beobachte ich den Vorgang und überlege, ob ich anhand ihrer Körpersprache den endgültigen Urteilsspruch erahnen kann. Nach kurzer Beratung nicken Anden und der Gerichtsdiener einvernehmlich. Dann erhebt der Mann in der Robe die Stimme und wendet sich an die Anwesenden.

»Wir werden nun die Urteile für Captain Thomas Alexander Bryant und Commander Natasha Jameson von Los Angeles’ achter Stadtstreife verkünden. Bitte erheben Sie sich für unseren ehrwürdigen Elektor!«

Die Senatoren und ich stehen auf, begleitet von einer Woge gleichförmigen Geraschels, während Commander Jameson sich lediglich mit einem Ausdruck tiefster Verachtung Anden zuwendet. Thomas dagegen salutiert zackig in dessen Richtung. Er verharrt in dieser Haltung, während nun auch Anden sich erhebt, die Schultern strafft und die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Es folgt ein Moment der Stille, während wir alle auf das abschließende Urteil warten, auf die eine Stimme, die wirklich zählt.

Ich kämpfe gegen einen plötzlichen Hustenreiz an. Unwillkürlich huscht mein Blick zu den anderen Princeps-Anwärtern – eine neue Angewohnheit von mir. Marianas Stirn ist zufrieden gerunzelt, Serge dagegen wirkt gelangweilt. Eine meiner Fäuste ballt sich fest um den Büroklammerring, an dem ich bastele. Ich weiß jetzt schon, dass er tiefe Furchen in meiner Handfläche hinterlassen wird.

»Die Senatoren der Republik haben ihre Urteile vorgetragen«, verkündet Anden dem Gerichtssaal mit den althergebrachten Worten. Ich staune darüber, wie seine Stimme so sanft klingen und gleichzeitig den ganzen Saal erfüllen kann. »Unter Berücksichtigung ihrer gemeinsamen Entscheidung werde ich nun die meine bekannt geben.« Anden hält kurz inne und blickt zu den beiden Angeklagten hinunter. Thomas steht noch immer stramm, die Hand an der Schläfe, und starrt angestrengt ins Leere. »Captain Thomas Alexander Bryant, achte Stadtstreife von Los Angeles«, beginnt Anden, »die Republik Amerika befindet Sie für schuldig.«

Im Saal bleibt es still. Es kostet mich alle Mühe, meinen Atem ruhig zu halten. Denk an etwas anderes. Egal, was. Wie wäre es mit den ganzen Politikbüchern, die ich diese Woche gelesen habe? Ich versuche, mir ein paar der Fakten, die ich daraus gelernt habe, in Erinnerung zu rufen, doch mit einem Mal ist mein Gedächtnis wie leer gefegt. Dabei sieht mir das gar nicht ähnlich.

»Zur Last gelegt werden Ihnen der Mord an Captain Metias Iparis am Abend des dreißigsten November und die Exekution der Zivilistin Grace Wing ohne den dafür erforderlichen Befehl sowie die eigenmächtige Tötung von zwölf Demonstranten auf dem Batalla-Platz am Nachmittag des …«

Andens Stimme schwillt an und ab in dem dröhnenden Nebel, der meinen Kopf erfüllt. Ich stütze mich auf die Armlehnen meines Stuhls, atme langsam aus und versuche, gegen das Schwindelgefühl anzukämpfen. Schuldig. Thomas ist der Morde an meinem Bruder und an Days Mutter für schuldig befunden worden. Meine Hände zittern.

»… und verurteilen Sie somit zum Tod durch Erschießen. Die Vollstreckung erfolgt in zwei Tagen um siebzehn Uhr. Commander Natasha Jameson, achte Stadtstreife, Los Angeles, die Republik befindet Sie für schuldig …«

Andens Stimme verblasst zu einem dumpfen, undefinierbaren Summen. Plötzlich erscheint mir alles um mich herum schrecklich langsam, so als lebte ich zu schnell und ließe den Rest der Welt hinter mir zurück.

Vor einem Jahr stand ich auf einem ganz ähnlichen Podium vor der Batalla-Zentrale und hörte, zusammen mit einer riesigen Zuschauermenge, wie der Richter dasselbe Urteil über Day verhängte. Jetzt ist Day nicht nur immer noch am Leben, sondern sogar eine regelrechte Berühmtheit in der Republik.

Ich öffne die Augen. Commander Jamesons Lippen sind zu einem dünnen Strich zusammengepresst, während Anden ihr Todesurteil verliest. Thomas’ Gesicht wirkt völlig ausdruckslos. Aber ist es auch ausdruckslos? Ich bin zu weit entfernt, um das beurteilen zu können, aber seine Augenbrauen sind sonderbar tragisch zusammengezogen.

Ich sollte mich freuen, ermahne ich mich. Day und ich sollten beide diesen Tag feiern. Schließlich hat Thomas Metias ermordet. Er hat kaltblütig Days Mutter erschossen, ohne auch nur einen einzigen Moment zu zögern.