Cover

Elfriede Jelinek

Wolken.Heim

Ergänzt um den Epilog «Und dann nach Hause»

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Über Elfriede Jelinek

Elfriede Jelinek, 1946 geboren, wuchs in Wien auf und lebt heute in Wien und München. Für ihr literarisches Werk, das Romane ebenso umfasst wie Theaterstücke, Lyrik, Essays, Übersetzungen, Hörspiele, Drehbücher und Opernlibretti, erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Georg-Büchner-Preis, den Mülheimer Dramatikerpreis (2002, 2004, 2009 und 2011) und den Franz-Kafka-Literaturpreis. 2004 erhielt Elfriede Jelinek den Nobelpreis für Literatur.

Über dieses Buch

Rowohlt E-Book Theater

 

Ein Identitäts- und Heimatmonolog, der um den Ausschluss des Anderen, des Fremden kreist. Fundus des Zitatgeflechts sind die idealistische Philosophie und die deutschsprachige Dichtung, die als Ursprünge des deutschen Nationalismus gelesen werden. Das kollektive Subjekt, die Deutschen, rufen u.a. Texte von Hölderlin, Hegel, Heidegger, Fichte, Kleist und Auszüge aus den Briefen der RAF auf, die sie sich für ihre Zwecke aneignen und einverleiben. Dabei kommt es notwendigerweise zu Sinnentstellungen oder gar -verkehrungen. Zum einen entlarvt sich dabei die so inszenierte Sprache selbst, zum anderen erscheint die Ideologisierung beziehungsweise trivialmythische Rezeption der Prätexte. «Wolken.Heim.» wurde für die E-Book-Ausgabe um den Epilog «Und dann nach Hause» ergänzt, der 2005 im Berliner Ensemble erstmals zu sehen war.

Impressum

Originalausgabe

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, März 2014

Copyright © 2014 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

«Wolken.Heim.» Copyright © 1990 by Steidl Verlag, Göttingen

Aufführungsrechte: Rowohlt Theater Verlag, Hamburger Straße 17, 21465 Reinbek

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung any.way, Cathrin Günther

(Foto: thinkstockphotos.de)

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Satz Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-644-90461-3

www.rowohlt.de

www.rowohlt-theater.de

ISBN 978-3-644-90461-3

Dank an Leonhard Schmeiser («Das Gedächtnis des Bodens») und Daniel Eckert.

Wolken.Heim.

Da glauben wir immer, wir wären ganz außerhalb. Und dann stehen wir plötzlich in der Mitte. Heilige, die im Dunkel leuchten. Wir sind immer fassungslos, wenn auch nur einer uns im Gedächtnis behält, über eine Zeit hinaus. An den Wegrändern sprechen sie seit Jahren und Jahren heimlich über uns. Das bilden wir uns nicht ein! Ein schönes Gefühl, in der Nacht über unsre Autobahnbrücken zu fahren, und unten strahlt es aus den Lokalen: Noch mehr Menschen wie wir! Ein heller Schein. Die Figuren, Fremde wie wir, Reisende, strömen in die Busbahnhöfe, um sich zu verteilen, von Ort zu Ort, und wir kommen über sie wie der Regen, der zeitig in der Früh die Schuhe durchnäßt. Oder eines Tages an einer Wegkreuzung, wo wir uns stauen, Menschenfluten. Dort ist nichts, aber es strotzt vor lauter Zeichen von uns. Nach uns kommen andere, aber wir sind nicht nichts! Uns wird der Kopf schwer von uns. So zu fahren, das macht uns einzigartig. Da können sich noch so viele Schienen überkreuzen, wir liegen übersichtlich vor uns und den anderen Wanderern, gute, markierte Wege. Jetzt sind wir zu Haus und erheben uns ruhig.

 

Regt sich ein Sturm, wird das Jahr kalt, dann geht das Licht über unser Haupt, wir sind bei uns. Wo lebt Leben sonst? Schön bei sich sein. Wie wenn am Feiertage, das Feld zu sehn, ein Landmann geht, des Morgens, wenn aus heißer Nacht die kühlenden Blitze fielen die ganze Zeit und fern noch tönet der Donner. Wir schaudern vor den andren. Wir führen uns ebene Wege. Wir weichen nicht aus, denn wir gehören uns. In sein Gestade wieder tritt der Strom, und frisch der Boden grünt. Schön bei sich sein und bleiben, und es trinken himmlisches Feuer jetzt die Erdensöhne und kommen zu uns ins öde Haus. Es gibt uns. Es gibt uns. Wir sind allein, aber schön bei uns. Des Vaters Strahl, der reine, versengt uns nicht und tieferschüttert, die Leiden des Stärkeren mitleidend, bleibt in den hochherstürzenden Stürmen des Gottes, wenn er uns naht wenn er uns naht. Wir sind bei uns zu Haus.

 

Gerettet. Das Licht scheint auch den Toten, aber wir machen uns breit drunter, liebliche Gärten. Die Freiheit das einzig Wahrhafte des Geistes. In uns haben wir unsre Mitte und sind zu Haus. Droht uns der Nordwind auch, wir fallen nicht von den Ästen ins Laub. Wir bleiben sitzen. Ruhig lächeln wir. Daheim. Wir haben nicht die Einheit außer uns, wir haben sie gefunden, sie ist in uns selbst und bei uns selbst. Die Freiheit. Die Materie hat ihre Substanz außer ihr, der Geist aber ist das Bei sich selbst Sein. Wie wir. Wie wir. Zu Haus sein. Bei sich sein. Verharren und es kommen sehn! Und was wir sahn, das Heilige, ist unser Wort. Und hielten wir uns in der Nacht, wir wären doch geduldig in unserm Bann und lächelten uns an. Wir wären uns gewohnt und wohnten unter uns. Wir glauben uns. Zu Haus sein, wenn Hohes wir entwerfen, so ist von neuem an den Zeichen, den Taten der Welt jetzt ein Feuer angezündet. Und wir, in Knechtsgestalt, doch Herren, aus denen der Laut des Herrschens quillt, wir sind erkannt. Zu Haus sein, von dort die andern sehn mit ihren stumpfen Stirnen, begraben im Boden wie Gold, Untote, wir aber sind zu Haus, wo wir hinwandeln zwischen Himmel und Erd und unter den Völkern das erste. Des gemeinsamen Geistes Gedanken sind, still endend, in unsrer Seele. Wir bezeugen uns: Wir sind hier.

Uns gehören wir.