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Nicole Steyer

Das Pestkind 3

Serial Teil 3

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Nicole Steyer

Nicole Steyer wurde 1978 geboren und wuchs in Rosenheim auf. Doch dann ging sie der Liebe wegen nach Idstein im Taunus. Die Idsteiner Stadtgeschichte faszinierte sie, und sie begann zu recherchieren. Das Ergebnis dieser Recherchen war ihr erster historischer Roman, der sich mit den Hexenverfolgungen in Idstein und Umgebung befasste. Auch für ihren neuen Roman, »Das Pestkind«, ist sie auf gründliche Spurensuche in Rosenheim und Umgebung gegangen.

Impressum

eBook-Ausgabe 2014

Knaur eBook

© 2013 Knaur Taschenbuch Verlag Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Ilse Wagner

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: AKG Images

ISBN 978-3-426-43266-2

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Wenig später stand Marianne allein auf dem Inneren Markt im kalten Regen, den sie kaum fühlte. Margit hatte sich mit knappen Worten von ihr verabschiedet und war irgendwohin verschwunden.

Das eben Geschehene war unfassbar. Anderls hilfloser Blick und die Art, wie er sie angesehen hatte, brachten sie um den Verstand. Erst allmählich begriff sie die Tragweite dessen, was geschehen war. Anderl war des Mordes angeklagt, was seinen Tod bedeutete. Ihre Erstarrung wich Verzweiflung, und sie begann, laut zu schluchzen. Sie konnte es nicht aufhalten, es brach einfach aus ihr heraus. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und weinte.

Nach einer Weile blieben zwei kleine Mädchen neugierig vor ihr stehen. Eine der beiden stupste sie vorsichtig an.

»Warum weinst du denn?«, fragte es.

Marianne sah auf und blickte in zwei unschuldige blaue Augen, in einem Gesicht voller Sommersprossen und eingerahmt von blonden Zöpfen. Beschämt wischte sie sich die Tränen weg.

»Es ist nichts. Ist schon gut.«

Das Mädchen sah kurz zu seiner Freundin, die ein wenig größer war und rote Locken hatte.

»Gell, Bärbel, du hast gestern auch geweint.«

Die Rothaarige nickte.

»Der Vater ist tot.« Sie deutete auf einen der Karren.

»Gestern haben sie ihn abgeholt.«

Marianne stand auf und wischte sich zitternd über den nassen Rock. Jetzt schämte sie sich fast ein wenig für ihre Tränen.

»Also, warum hast du denn geweint? Ist bei dir auch einer tot?«

Die Kleine sah sie abwartend an.

Marianne wusste nicht, was sie antworten sollte. In den Augen des Mädchens lag auf einmal ein besonderer Glanz, als würde sie sich an dem Leid der anderen erfreuen.

»Nein, bei mir …«

Weiter kam sie nicht, denn genau in diesem Moment lief eine dickliche alte Frau über den Marktplatz, legte beschützend ihre Arme um beide Mädchen und warf Marianne einen misstrauischen Blick zu.

»Lass die Kinder in Ruhe«, keifte sie. »Und lass uns endlich in Frieden, du elendes Pestkind, du hast schon genug Unglück über uns gebracht.«

Die beiden Mädchen rissen erschrocken die Augen auf, in Bärbels Augen traten Tränen. Doch die andere, deren Name Marianne nicht wusste, starrte sie mit unverhohlenem Interesse an. Marianne überlegte kurz, ob sie etwas erwidern sollte, doch dann schwieg sie. Auch andere Leute auf dem Marktplatz blickten neugierig zu ihnen herüber. Sie wandte sich zum Gehen.

»Ja, geh endlich. Verschwinde! Niemand will dich hier haben!«, rief die Alte boshaft, während Marianne mit immer schneller werdenden Schritten auf das Münchener Tor zuhielt und aufs freie Feld hinauslief, wo ein unangenehmer Wind sie erzittern ließ. Sie schlang ihre Arme um den Körper und eilte weiter. Pater Franz war der Einzige, der ihr jetzt noch helfen konnte.

Mit zitternder Hand öffnete sie wenig später die Hintertür des Klosters. Pater Johannes stand, in einem großen Topf rührend, hinter dem Ofen, und der Duft von gekochtem Kohl schlug ihr entgegen. Sofort eilte er zur Tür und zog Marianne herein.

»Marianne, Kind! Was ist geschehen? Du bist ja ganz nass und eiskalt. Was treibt dich denn bei diesem schrecklichen Wetter hierher?«

Marianne fiel dem Mönch schluchzend um den Hals.

»Anderl!«, murmelte sie in seine Kutte. »Sie haben ihn geholt.«

Pater Johannes schob Marianne behutsam von sich.

»Wer hat Anderl geholt?«

Sie zog schniefend die Nase hoch.

»Der Büttel. Er behauptet, Anderl hätte Hedwig erschlagen.«

Pater Johannes wurde blass.

»Aber das ist doch unmöglich. Wir werden gleich zu Franz gehen und es ihm sagen. Gewiss ist alles nur ein Irrtum.« Tröstend strich er über ihre Schulter. »Jetzt hole ich dir erst einmal eine Decke, und du trinkst etwas Warmes.« Er versuchte, aufmunternd zu klingen, obwohl sich in seinem Hals ein dicker Kloß bildete.

»Du wirst schon sehen, bestimmt ist Anderl bald wieder frei. Der Junge kann doch keiner Fliege was zuleide tun.«

 

Wenige Minuten später saß Marianne weinend in Pater Franz’ Büro. Der Abt hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und lief kopfschüttelnd auf und ab.

»Das ist eine harte Anschuldigung«, murmelte er. »Eine wirklich schlimme Sache.«

Pater Johannes stand neben der Tür und runzelte besorgt die Stirn. Der Abt blieb vor ihm stehen und sah ihn fragend an.

»Was hältst du davon, mein Freund?« Pater Johannes schaute Franz schweigend in die Augen. Er bedachte seine Antwort gut, wollte er doch Marianne nicht beunruhigen.

»Wenn es einen Zeugen gibt, wird es schwer werden. Wie wollen wir das Gegenteil beweisen? Anderl ist an dem Abend mit einer Wunde am Kopf hier aufgetaucht. Was tatsächlich geschehen ist, weiß niemand.«

Marianne sprang auf.

»Er war es nicht! Niemals! Das ist doch alles ein Hirngespinst. Eine List, damit sie an die Brauerei kommen. Ich habe es Euch doch erzählt. Der Büttel und der andere, sie haben es geplant!«

Pater Franz hob beruhigend die Hände.

»Wir sagen ja nicht, Anderl wäre schuldig. Wir müssen nur überlegen, ob wir das Gegenteil beweisen können. Der Büttel ist ein mächtiger Mann in Rosenheim. Weiß Gott, ich habe auch meine Dispute mit ihm und bin nicht immer seiner Meinung, aber gegen ihn zu arbeiten, das wird gerade jetzt, wo ich auf seine Hilfe und Mitarbeit angewiesen bin, schwer werden.«

Marianne setzte sich verzweifelt auf ihren Stuhl.

»Und ich kann sowieso nichts tun, denn mir wird niemand glauben.«

Sie schloss die Augen und sank in sich zusammen. Erschöpfung und Kälte forderten ihren Tribut.

Pater Johannes nickte seinem Freund zu.

»Ich denke, wir haben jetzt erst einmal genug gehört. Du frierst, Kind. Ich werde dich jetzt in eine der Gästekammern bringen und dir trockene Sachen bereitlegen. Morgen früh sieht die Welt bestimmt wieder ganz anders aus.«

Behutsam griff der alte Mönch nach ihren Händen, zog sie vom Stuhl hoch und führte sie aus dem Raum.

 

Später am Abend saß Pater Franz in seiner kargen Zelle und blickte auf die flackernde Kerze auf seinem Nachttisch. Langsam wuchsen ihm die Sorgen und Probleme über den Kopf. Die Schweden, die immer noch vor der Stadt lauerten, wollten ihm nicht aus den Gedanken weichen. Er sollte mit einem Mann verhandeln, der den Ruf hatte, grausam und eiskalt zu sein. Ihn schauderte. Inzwischen hatte auch er davon gehört, wie sich andere Städte bei Wrangel freigekauft hatten. Doch ob sich eine Heimsuchung der Stadt wirklich durch die Übergabe von Gold und Wertgegenständen verhindern ließ, bezweifelte er, denn Rosenheim war wohlhabend, der Salz- und Getreidehandel florierte trotz des Krieges, und die vielen Boote trugen zu den guten Einnahmen bei. Wrangel könnte zu gierig werden und trotz ihres Angebotes über sie herfallen. Aber versuchen würde er es auf jeden Fall, auch wenn ihm jetzt schon davor graute, dem Schweden gegenüberzutreten. Das hatten sich die Herren Amtsräte und der Büttel fein zurechtgelegt, die Verantwortung ihm zuzuschieben.

Er stand auf, verschränkte die Hände auf dem Rücken, blieb seufzend vor dem Fenster stehen und blickte zu den im Dunkeln liegenden Gästekammern hinüber.

Marianne war wie seine Tochter. Ein Kind, das Gott ihm geschenkt hatte – und heute auch eine Bürde. Eigentlich, wenn er es genau nahm, war sie ihm schon lange eine Last. Eine liebe Last, die er gern trug. Doch allmählich wurde sie ihm zu schwer. Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Es ging in diesem Fall nicht nur um Anderl. Dass der Junge zu Unrecht im Gefängnis saß, musste man ihm nicht erklären. Aber wie er ihm helfen sollte, wusste er nicht, denn er konnte sich nicht gegen den Büttel stellen.

Marianne war es, die ihm am meisten Kummer machte. Sie war jetzt heimatlos. Eine Waise in einer Stadt, in der sie alle hassten und mieden wie der Teufel das Weihwasser. Wie hatte es nur so weit kommen können? Warum verabscheuten die Menschen das Mädchen? Ihr Überleben war doch ein Wunder Gottes gewesen. Er würde sie fortschicken müssen. Wohin, das wusste er selbst noch nicht so genau, doch hier konnte sie unmöglich bleiben. Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Er würde sie verlieren, musste sie ziehen lassen, irgendwohin, wo er sie nicht mehr beschützen konnte.

Er trat vom Fenster weg und setzte sich aufs Bett. Es regnete stärker. Fröstelnd legte er sich hin, schlüpfte unter seine Decke und blies die Kerze aus.

*

Marianne lief neben Pater Franz über den Salzstadel und versuchte, alles um sich herum auszublenden. Die Geschäftigkeit war hier trotz des Überfalls der Schweden bereits wieder zurückgekehrt, denn der Salzstadel war der Pulsschlag der Stadt. Fuhrwerke fuhren an ihnen vorbei, Schifffahrtsburschen riefen durcheinander, Salzscheiben wurden hin und her getragen und in die großen Lagerhäuser gebracht, in denen laut die Preise berechnet wurden. Huren, die sich unweit des Stadels angesiedelt hatten, hielten zwischen den Männern nach Kundschaft Ausschau. Selbst sie rümpften ihre nicht allzu feinen Nasen, als Marianne an ihnen vorbeilief. Manch eine spuckte sogar hinter ihr auf den Boden.

Pater Franz versuchte, die Frauen zu ignorieren, legte schützend den Arm um Marianne und beobachtete das Geschehen um sich herum wohlwollend. Stadt und Bürger waren stolz darauf, den Scheibenpfennig erheben zu können und das Abschüttrecht innezuhaben. Allerdings mussten von diesen Einnahmen das Marktpflaster, die Salzstadel und Brücken unterhalten werden, weshalb wegen der vielfachen Überschwemmungen, Brände und Heimsuchungen der letzten Jahre die Gewinne geschrumpft waren.

»Glaubt Ihr, dass wir überhaupt zu ihm dürfen?«, fragte Marianne und riss den Abt aus seinen Gedanken.

»Warum sollten sie uns denn nicht vorlassen? Immerhin bist du seine Schwester.«

»Er ist aber nicht mein richtiger Bruder.«

Pater Franz winkte ab.

»Keiner wird es wagen, einem Mönch den Zutritt zu verweigern.«

Er lächelte Marianne aufmunternd zu.

»Wir schaffen das schon.«