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Sebastian H. Schroeder ist Fotograf und als Berater für Bildstrategie tätig. Darüber hinaus arbeitet er als Dozent für Hochschulen sowie als Kurator. Er ist außerdem Gastgeber der Veranstaltungsreihe »OpenTable – Bildbesprechungen«.

Nach seiner Ausbildung zum Fotografengesellen studierte Schroeder an der Kunstakademie Düsseldorf Freie Kunst. Später schloss er die Meisterprüfung im Fotografenhandwerk I & II erfolgreich ab. 2013 präsentierte er seine erste Einzelausstellung »Unschuldige Orte. Und Erinnerungen«, die deutschlandweit mehr als 50.000 Besucher sahen.

Sebastian H. Schroeder lebt und arbeitet in Köln.

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Sebastian H. Schroeder

Eins reicht.

Fotos gezielt auswählen und präsentieren

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Sebastian H. Schroeder

Lektorat: Steffen Körber

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

ISBN:

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978-3-86490-682-4

PDF

978-3-96088-996-0

ePub

978-3-96088-997-7

mobi

978-3-96088-998-4

1. Auflage 2020

Hinweis:

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INHALTSVERZEICHNIS

Abschnitt 1: Aufbruch

Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit dem theoretischen Unterbau für Bildauswahlen.

1. Mit Bildern kommunizieren

In diesem Kapitel klären wir, wie Bilder kommunizieren und auf welchen Ebenen Kommunikation über Fotos möglich ist.

2. Perspektive wechseln

Wir sind verantwortlich für das, was wir sagen, nicht für das, was andere verstehen. Deswegen müssen wir als Fotografen versuchen, vorab in unsere Bilder hineinzuhören.

3. Sprengkraft entfalten

Es gibt einen Unterschied zwischen schönen Bildern und Bildern, die in Erinnerung bleiben. In diesem Kapitel erfahren wir, wodurch Bilder Wirkung erzielen und warum wir schon beim Fotografieren darauf achten können.

Abschnitt 2: Neue Welt

In diesem Abschnitt brechen wir auf in die praktische Welt der Bildauswahl.

4. Die goldene Regel der Bildauswahl

Das beste Bild ist eines, das ausdrückt, was wir sagen möchten. Doch wie kommen wir dorthin? Wenn wir uns bewusst machen, wonach wir suchen, ist es einfach, das »richtige« Bild als das »beste« zu identifizieren.

5. Den Zweck präzisieren

Zu wissen, was man sucht, ist gut. Die komplette Kommunikationskette zu bedenken, ist besser. Wer sagt im Bild eigentlich was zu wem und mit welcher Wirkung? Und über welchen Kanal? Wie wir diese Fragen präzise beantworten, besprechen wir in diesem Kapitel.

6. Entscheidungen treffen

Aus den gleichen Bildern können viele unterschiedliche Arbeiten entstehen. Ganz davon abhängig, wie wir den Fokus der Arbeit verändern. Wie eine Arbeit wirkt, hängt also vor allem von unseren

7. Abbilder & Prozessbilderverstehen

Wie lesen wir Bilder? Warum gibt es in manchen Bildern Geschichten und in anderen nicht? In diesem Kapitel widmen wir uns dem tieferen Verständnis von Bildwirkung

8. Geschichten erzählen

Eine gute Bildauswahl erzählt eine Geschichte. In diesem Kapitel lernen wir, was eine gute Geschichte ausmacht und wie man sie erzählt.

Abschnitt 3: Rückkehr

Wir sprechen über Hängungen, Papier, digitale Räume und zum Abschluss über Workflow-Vorschläge.

9. Bilder präsentieren

Eine fotografische Arbeit ist immer nur so gut, wie ihre Präsentation es zulässt. Zu entscheiden, wie ein Bild hängen wird, ist ebenso wichtig wie die Entscheidung, mit welchem Licht ich ein Bild fotografiere. In diesem Kapitel gibt es die volle Packung Infos zum Thema Bildpräsentation.

10. Workflow-Vorschläge

Der beste Workflow nützt nichts, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Wie all das zusammenkommt und in welcher Reihenfolge wir was erledigen, darüber sprechen wir in diesem Abschnitt.

11. Epilog: Über Stil

Warum unsere Fotos nichts mit Stil zu tun haben und der Wunsch nach einer eigenen Bildsprache hinfällig ist.

WENN JEMAND EINE REISE TUT, SO KANN ER WAS ERZÄHLEN.

Stelle dir dieses Buch wie eine Reise vor.

Zu Beginn packen wir gemeinsam einen Koffer mit dem nötigen Handwerkszeug wie Theorie und Methoden. Wir lernen, warum Bildauswahl wichtig ist, welche die richtigen Bilder für unsere Arbeit sind und was für fotografische Typen wir sind.

Unterwegs treffen wir auf Prüfungen und Hindernisse, die wir mit den eingepackten Werkzeugen bewältigen können. Gleich zu Beginn treffen wir auf Bilder von Tauben und Löwen, später auf georgische Handwerker und einen emotionalen Jugendlichen. Jede Begegnung ist eine Lektion, die gleichsam lehrreich und unterhaltsam ist.

Am Ende der Reise kehren wir nach Hause zurück. Der zu Beginn schwer beladene Methodenkoffer fühlt sich leichter an. Die Methoden haben sich ins Gedächtnis geschrieben und Platz gemacht im Reisegepäck für eigene Geschichten.

Dieses Buch sagt dir nicht, »so musst du es machen«, denn das gibt es bei Bildauswahlen nie. Vielmehr soll es einen Überblick über Ideen und Methoden geben, die uns auf unserer fotografischen Reise helfen, bessere Bildauswahlen zu treffen. Jedes Projekt hat seine eigenen Gesetze, seine eigene Geschichte.

Eine fotografische Serie ist keine Pauschalreise. Jedes unserer Projekte hat es verdient, individuell aufbereitet und ausgewählt zu werden. Für jeden gilt es, das passende Hotel und die passenden Flüge zu finden, mit den richtigen Attraktionen und der Menge an Auszeit am Strand, die jeder persönlich benötigt.

Was hingegen stimmt, ist der Titel dieses Buchs: Eins reicht. Zwei gleiche Bilder sind immer eins zu viel. Und der Titel soll uns diese Tatsache stets in Erinnerung rufen.

Das bedeutet nicht, dass keine Bildserien möglich wären, ganz im Gegenteil: Eine gute Bildserie besteht aus vielen einzelnen starken Bildern. Zwei zu ähnliche Aufnahmen können eine tolle Arbeit hingegen negativ beeinflussen. Sich an dieser Stelle auf ein Bild zu reduzieren, gehört zu den schwierigsten Entscheidungen bei der Bildauswahl. Gemeinsam finden wir heraus, wie wir diese Entscheidungen treffen können und welche der beiden Fotografien besser für unsere Auswahl geeignet ist.

In diesem Buch gehen wir nur sehr wenig auf die formalen Kriterien eines Bilds ein, also Schärfe, Kontraste oder Bildrauschen. Wir gehen davon aus, dass die vor uns liegenden Fotografien technisch in Ordnung sind, da zum Thema Bildtechnik bereits viele hervorragende Fachbücher erschienen sind.

Gerade zu Beginn wird es auch mal theoretisch, aber keine Angst: Dieses Buch liest sich eher wie ein intensives Gespräch auf einem Spaziergang. Ich habe versucht, auch die komplizierten Themen so zu erklären, wie ich sie einem guten Freund unterwegs oder bei einem Kaffee erklären würde: mit einfachen und nachvollziehbaren Beispielen.

Der Einfachheit halber habe ich mich entschieden stets von »dem Fotografen« in der männlichen Form zu sprechen. Damit meine ich selbstverständlich ebenso Fotografinnen und ihre Arbeiten.

Dann machen wir uns mal auf den Weg. Jacke an, Schuhe an. Auf geht’s!

Viel Spaß beim Lesen.
Sebastian

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AUFBRUCH

Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit dem theoretischen Unterbau für Bildauswahlen. Wir lernen, warum Bilder wirken, wie sie mit uns kommunizieren und wo wir am besten Bilder auswählen. Möchtest du direkt praktisch beginnen, springe zum nächsten Abschnitt »Neue Welt«.

1.

MIT BILDERN KOMMUNIZIEREN

In diesem Kapitel klären wir, wie Bilder kommunizieren und auf welchen Ebenen Kommunikation über Fotos möglich ist.

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Ausblick nach dem Aufwachen im Nachtzug von Thailand nach Malaysia

Was ein Fotograf alles macht

Laien sehen Fotografen häufig als Menschen, die Bilder machen. Wir Fotografen wissen, dass diese Ansicht etwas zu kurz kommt: Wir planen ein Shooting, müssen das Licht gestalten und setzen, haben viel Arbeit mit der Nachbearbeitung und legen dann fest, welches Bild sich am besten eignet, um an der Wand zu hängen. Anschließend bereiten wir die Bilder auf den Druck vor, versenden sie im richtigen Format und mit dem korrekten Farbraum und hängen es abschließend in einen passenden Rahmen, der zu Bild und Raum passt.

Ein guter Fotograf ist also weit mehr als nur jemand mit einer Kamera in der Hand. Er ist in der Lage, sein Publikum mit seinen Bildern zu begeistern. Das macht er, indem er aus dem breit gefächerten Werkzeugkoffer an Methoden genau diejenigen heraussucht, die für das aktuelle Bild passend sind.

Unsere Bilder können noch so gut sein, werden sie nicht gefunden oder wahrgenommen, wird sich keiner daran erfreuen können.

Bilder als Kommunikationsmedium verstehen

Das Spannende an der Fotografie ist ihre Vielseitigkeit. Jeder »liest« etwas anderes in Bildern. Sie können schön, angenehm, aber auch hart und grauenvoll sein. Bilder packen unsere Emotionen und schaffen es, uns zum Lachen oder Weinen zu bringen.

Um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir einen Blick darauf werfen, wie Bilder kommunizieren und wie Kommunikation grundsätzlich abläuft.

Das Sender-Empfänger-Modell von Claude E. Shannon und Warren Weaver gilt als die Mutter aller Kommunikationsmodelle. Es stammt aus den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts.

Das Modell besagt, dass jede Botschaft von einem Sender ausgeht und von einem Empfänger empfangen wird. Diese Übermittlung läuft jedoch nicht per Gedankenübertragung ab. Der Sender benötigt einen Kanal, über den er seine Nachricht transportiert. Der Kanal kann Sprache oder Körpersprache sein. Ebenso ist es möglich, dass die Nachricht mithilfe von Papier und Schrift übermittelt wird – oder über ein Medium wie die Fotografie.

Die einfachste Form der Nachrichtenübertragung ist ein direktes Gespräch in der gemeinsamen Sprache. Der Sender codiert seine im Gehirn entwickelte Nachricht mithilfe von Worten aus seiner Sprache. Der übermittelnde Kanal ist in diesem Fall die Stimme bzw. die Luft, die die Schallwellen der Stimme überträgt. Anschließend decodiert und verwertet der Empfänger die Worte und gibt eine Rückmeldung.

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Shannon-Weaver Kommunikationsmodell

Was Weaver als Rauschen bezeichnet, ist der Informationsverlust durch den übertragenden Kanal. Das könnte zum Beispiel das Hupen lauter Autos sein, das verhindert, dass die vollständige Nachricht den Empfänger erreicht. Oder aber auch unser Nuscheln, wenn wir undeutlich sprechen sollten. Er selbst meint mit Rauschen tatsächlich auch ein Rauschen. Weaver hat speziell für die Telekommunikationsbranche geforscht. Sein Ziel war es, das Rauschen in seinem bevorzugten Kanal, dem Telefon, zu minimieren.

Das Dekodieren

Jeder Kommunikationsteilnehmer hat ein eigenes Repertoire an Wissen und ihm kulturell zur Verfügung stehenden Informationen. Spreche ich mit einem Franzosen deutsch, wird er mich nur schwerlich verstehen können. Dort, wo sich unsere beiden Repertoires überschneiden, besteht die Möglichkeit, verständlich in Kontakt zu treten. Probieren wir zum Beispiel mit Händen und Füßen zu kommunizieren, könnten wir unseren französischen Gesprächspartner bestimmt bis zur nächsten Bank navigieren.

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Repertoire des Gegenübers bedenken

Ein anderes Beispiel:

Spräche ich auf einem Ärztekongress davon, dass ich mithilfe eines »Shiftstitches den gesamten Bildkreis meines Objektivs abgebildet habe und diese per Verrechnungsmodus nach dem Scannen einfach übereinanderlegen konnte«, hätte ich mein Publikum trotz gleicher Sprache mit einem falschen Teil meines Repertoires angesprochen. Nur wenige Menschen würden etwas verstehen.

Möchte ich dennoch etwas Fotografiebezogenes an die Anwesenden übermitteln, muss ich Wörter und Erfahrungen auswählen, die meine Zuhörer verstehen. Ich könnte ihnen vermitteln, dass ich mit spezieller Kameratechnik in der Lage bin, eine sehr weitwinklige Aufnahme architektonisch korrekt aufzunehmen.

Decodieren bedeutet für den Betrachter also, das Empfangene in Bezug zu dem zu setzen, was er bereits kennt. Als Fotografen liegt es an uns, die Informationen, die wir im Bild hinterlassen, so zu codieren, dass der Empfänger sie decodieren kann. Das gilt auch für die Bildpräsentation.

Die nebenstehende Fotografie demonstriert einen Fall, in dem ein Bild nicht seinen definierten Zweck erfüllen konnte. Während die Werbung an sich funktionierte (davon konnte ich mich an anderer Stelle überzeugen), war die Präsentationsfläche so ungünstig gewählt, dass die Werbebotschaft für uns Betrachter nicht ermittelbar war. Der Text und das Produkt lagen außerhalb des sichtbaren Bereichs.

Als Fotografen müssen wir Kommunikation also von beiden Seiten denken. »Was wollen wir sagen?« ebenso wie »Was werden wir verstehen?«.

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Werbung ohne Nutzen
Nicht ideal platzierte Werbung an einem Straßenübergang in Bangkok. Der Sender hat ein gutes Plakat entworfen, allerdings nicht daran gedacht, wie der Empfänger das Plakat später einmal zu Gesicht bekommen wird
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2.

PERSPEKTIVE WECHSELN

Wir sind verantwortlich für das, was wir sagen, nicht für das, was andere verstehen. Deswegen müssen wir Fotografen versuchen, vorab in unsere Bilder hineinzuhören. Denn ob wir verstanden werden oder nicht, liegt trotz allem auch in unserer Hand.

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Menschen laufen bei Nacht auf ein riesiges Feuer in Kuala Lumpur zu.

Unsere tägliche 180°-Grad-Drehung

In der Fotografie werden Informationen übermittelt – immer und zu jeder Zeit. Sobald eine Fotografie angeschaut wird, sendet sie dem Betrachter Informationen zu, ohne irgendwann damit aufzuhören.

Der Sender bzw. Fotograf hat keinen direkten Einfluss darauf, wie das Bild verstanden wird. Es ist der Empfänger, der die an ihn gerichtete Information auswertet, losgelöst von der Absicht des Urhebers.

Anhand von Erfahrungswerten können gute Fotografen näherungsweise ausmachen, wie ihre Bilder verstanden werden. Robert Kneschke, ein bekannter und erfahrener Fotoproduzent für Bildagenturen, sagte einmal zu mir, dass er bis heute beim Einstellen neuer Stockbilder immer wieder gespannt ist, welches Bild sich am besten verkauft. »Es gibt Hinweise und Schätzungen, was funktioniert, aber so richtig wissen kann man es nie«, fügte er hinzu.

Der Betrachter gleicht die Bilder anhand des eigenen Repertoires ab – nicht mit dem Repertoire des Fotografen.

Möchten wir sicher sein, dass eine bestimmte Zielgruppe unsere Aufnahme versteht, müssen wir einen Perspektivwechsel vornehmen:

Welche Informationen stehen unserem Gegenüber zur Verfügung? Welchen Kenntnisstand hat dieser zum aktuellen Projekt?

Aus was besteht sein Repertoire?

Beispiel:

Was zeigt das Bild auf der nächsten Seite?

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Das Bild zeigt das chinesische Hungry Ghost Festival in Kuala Lumpur. Im chinesischen Mondkalender ist der siebte Monat des Jahres der Monat der Geister. Am Abend des 15. Tages öffnen sich die Schleusen zu Himmel und Hölle. An diesem Abend können Erdenbürger Kontakt zu den Verstorbenen aufnehmen, so der Glaube.

Die Angehörigen möchten diese Möglichkeit nutzen, um per Verbrennung von Pappmascheefiguren ihren Vorfahren Geschenke ins Jenseits zu schicken. Hunderte Papp-Handys, Grußkarten oder schöne Häuser werden auf diese Weise »versendet«, in der Hoffnung, dass die Post ihren Empfänger erreicht.

Was hast du beim ersten Blick auf das Bild gedacht?

Aufgrund unserer Erfahrung mit den tagesaktuellen Medien in Deutschland verbinden wir das Bild im ersten Augenblick mit Krieg oder Aufständen. Meine Vermutung ist, dass kaum ein Leser das Bild auf den ersten Blick richtig interpretieren wird. Ganz einfach, weil die notwendige Information zu diesem Fest in unserem Kulturkreis nicht etabliert ist. Sollte dieses Buch jemals in China veröffentlicht werden, müsste ich diesen Abschnitt wahrscheinlich überarbeiten.

Hätten wir die Bilder der nächsten Doppelseite vorab gesehen, wäre der Name des Fests zwar immer noch nicht bekannt, das allgemeine Missverständnis aber wäre vermieden worden.

»Fake News« und sein Bruder »Bad Journalism«

Wer sagt, dass ich dir jemals vom Hungry Ghost Festival erzählen wollte?! In meinem privaten Blog habe ich dieses Bild zunächst mit dem Titel »Aufruhr in Kuala Lumpur« veröffentlicht. Mit bebendem Erfolg. Später im Beitrag habe ich natürlich aufgelöst, worum es sich handelt. Meine Leser fühlten sich ertappt. In Zeiten von Fake News ist es wichtig, sachlich festzustellen, was hier passiert ist:

Die Repertoires von Sender und Empfängerwaren zu unterschiedlich, um das Bild eindeutig und korrekt einzuordnen.

Im Moment der Betrachtung ist die Fotografie selbstständig. Der Fotograf steht nicht daneben und erklärt auf Nachfrage, was einzelne Bildelemente bedeuten. Was der Betrachter versteht, hängt von seinem Wissensstand ab. Daher müssen wir genau überlegen, was in unseren Bildern erkennbar ist und was nicht. Sonst können wir nicht eindeutig kommunizieren – sofern wir das denn möchten.

Was ein verständliches Bild ist

Als Fotografen haben wir die Möglichkeit, Informationen im Bild zu hinterlassen. Sobald wir die Fotografie veröffentlichen, emanzipiert sie sich von uns als Urheber und wird unabhängig (zunächst einmal – Einschränkungen später).

Um Shannon-Weaver noch einmal zu bemühen: Die Fotografie ist nicht nur das transportierende Medium, sondern gleichzeitig auch der Sender. Das Bild übermittelt die vom Fotografen hinterlassenen Botschaften ohne Pause. Ist der Fotograf nicht bekannt, sendet das Bild trotzdem.

Möchten wir möglichst eindeutig verstanden werden, ist es demnach unser Interesse, unzweideutige Botschaften im Bild zu hinterlassen. Dies können wir mithilfe von klaren und gesellschaftlich anerkannten Symbolen erreichen.

Ein Stoppschild ist allgemein anerkannt. Jeder weiß, was es bedeutet. Hängen wir das Bild eines Stoppschilds an eine Tür, ist die Botschaft des Bilds eindeutig: Hier nicht eintreten. Noch eindeutiger ist ein Schild mit dem Text »Nicht eintreten«.

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Malaysier chinesischen Ursprungs vergrößern den Berg an Nachrichten für die Toten. Die Nachrichten werden jedes Jahr anlässlich des Holy Ghost Festivals verbrannt und durch das Verbrennen an die Toten gesendet.

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Chinesische Musiker musizieren an den Feierlichkeiten zum Hungry Ghost Festival in Kuala Lumpur.

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Unklarer wird es, wenn wir Bilder einer Straßenkreuzung mit einer Menge Schilder an die Tür hängen. Die Botschaft ist undurchsichtig und nicht auf den ersten Blick lesbar.

Ein verständliches Bild ist also eines, das den gewünschten Inhalt des Fotografen eindeutig an den Betrachter übermittelt.

Warum Fotos wie gute Türen sind

Verständlich zu kommunizieren ist in einigen Bereichen der Fotografie wichtiger als in anderen. Die Werbung ist ganz klar Vorreiter einfacher Nachrichten. Komplizierte Werbebotschaften erreichen den Rezipienten beim Vorbeifahren im Auto nicht. In der Werbung sind Botschaften daher eingängige Einzeiler: Schau hier! Kaufe jetzt! Schalte ein!

Auch im Fotojournalismus ist es von essenzieller Notwendigkeit, möglichst eindeutig zu »formulieren«. Schließlich möchte der Reporter aus Kriegsverbrechern keine Helden machen. Dass dies nicht immer gelingt, liegt zum großen Teil an den sich nicht überlappenden Repertoires von Fotograf und Betrachter.

Zumeist helfen Bildunterschriften, die Fotos besser einzuordnen, doch halte ich es an dieser Stelle mit Don Norman. In seinem Buch »The Design of everyday things« schreibt er, dass eine Tür, auf der »Ziehen« oder »Drücken« stehen muss, um richtig bedient zu werden, eine schlecht designte Tür ist. Es gebe genügend Wege, eindeutig zu signalisieren, ob gedrückt oder gezogen werden muss, ohne die Tür mit einer Bedienungsanleitung zu versehen – nichts anderes sei ein Schild mit der Aufschrift Push oder Pull.

Norman ist emeritierter Professor für Kognitionswissenschaften, Psychologie und Computerwissenschaften an der University of California in San Diego. Er hat sich über die Jahre so intensiv mit dem Beispiel Tür auseinandergesetzt, dass es heute sogar einen feststehenden Begriff für schlechte Türen gibt: die sogenannte Norman-Tür.

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Welche Tür öffnet wie? Bei der linken Tür gibt es keine Möglichkeit der falschen Verwendung. Bei der rechten Tür ist es uneindeutig, ob gedrückt oder gezogen werden muss. Es handelt sich also um eine Norman-Tür.