John Barton

Die Geschichte
der Bibel

Von den Ursprüngen bis in die Gegenwart

Aus dem Englischen übersetzt von
Jens Hagestedt und Karin Schuler

Klett-Cotta

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»A History of the Bible. The Book and Its Faiths«

bei Allen Lane, Penguin Books

Random House, London

© John Barton, 2019

Für die deutsche Ausgabe

© 2020 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg unter Verwendung
eines Entwurfs von PENGUIN BOOKS LTD

 

Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94919-3

E-Book: ISBN 978-3-608-11645-8

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.







Für Katie

Einführung

Die Bibel(1) heute

Der kanadische Literaturkritiker Northrop Frye(1) (1912–1991) hat uns neben vielem anderen diesen Denkanstoß hinterlassen: »Die Bibel(2) ist offensichtlich ein wichtiges Element unserer eigenen(1) dichterischen Tradition(1), ganz gleich, was wir von diesem Buch halten oder glauben. Das wirft hartnäckig die Frage auf: Warum liegt da dieses enorme, wuchernde, taktlose Buch so unergründlich inmitten unseres kulturellen Erbes … und vereitelt alle unsere Bemühungen, es zu umgehen?«[1] In einem säkularen Zeitalter(1) mag das große Interesse an der Bibel manchen überraschen, wie die Feierlichkeiten zum 400. Geburtstag (1)der King-James-Bibel, auch bekannt als Autorisierte Version, 2001 deutlich gezeigt haben; von Gott(1) inspiriert, sie schreiben ihr eine hohe Autorität in Glaubensdingen(1) zu. Für Nichtgläubige ist sie ein zentrales Dokument der westlichen Kultur(1): Noch immer interessiert sie viele Leser als eine Sammlung(1) bedeutender literarischer Werke(2). Die Geschichte dieser Werke, ihrer Verbreitung und Auslegung(1) ist ein Kernstück der westlichen Literaturgeschichte.

In diesem Buch erzähle ich die Geschichte der Bibel(3) von ihren ersten Anfängen in Volkssagen(3) und Mythen bis zu ihrer Rezeption und Auslegung(2) heute. Ich beschreibe die Entstehung, Weitergabe und Verbreitung der Bibel und zeige, wie sie von der Antike(1) bis zur Gegenwart gelesen und genutzt wurde und wird, sowohl in ihren Ursprungssprachen(1) wie auch in Übersetzungen(1). Unter anderem soll es, wie ich hoffe, mit der Vorstellung von der Bibel als einem heiligen Monolithen zwischen zwei schwarzledernen Buchdeckeln aufräumen, dazu beitragen, dass sie wieder als das Resultat eines langen und faszinierenden Prozesses wahrgenommen wird, und die außergewöhnliche Vielfalt(1) der Möglichkeiten, sie im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neu zu lesen, illustrieren. Im Mittelpunkt aber steht die Schwierigkeit, von der Bibel zum religiösen Glauben zu gelangen: Weder über das Judentum(1) noch über das Christentum(1) lässt sich aus der Bibel etwas herauslesen, obwohl (1)beide Religionen biblische Bücher(2) als ihr Fundament beanspruchen. Tatsächlich beinhaltet die Bibel viele Elemente, die für den jüdischen wie den christlichen Glauben problematisch sind. Dazu gehören nicht nur allgemein bekannte moralisch fragwürdige Ereignisse, wie etwa die Vernichtung(1) unschuldiger Menschen durch Gott(1) in den Geschichten über die israelitische Eroberung(1) des Gelobten Landes(1), sondern auch die Vielfalt(2) der Genres (Erzählung, Prophezeiung(1), Dichtung), die dogmatischen Definitionen oft nicht gerade dienlich ist, und die Einbettung in antike Kulturen(1), die häufig ganz anders funktionierten als unsere Gesellschaften heute. Gleichzeitig möchte ich zeigen, dass die Bibel eine wichtige Quelle(1) religiöser Einsichten ist, wenn man sie in ihrem ursprünglichen Kontext und vor dem Hintergrund der Bedingungen liest, die zu ihrer Entstehungszeit herrschten.

Die Geschichte wird notwendigerweise eine ganze Menge (2)Vor-Geschichte enthalten. Ich erkläre, wie biblische Bücher(3) zusammengestellt wurden, denn kaum eines ist das Werk eines einzigen Autors: Die meisten sind aus vielen verschiedenen Vorlagen zusammengesetzt, einige hängen sogar von anderen ab, sodass ältere Bücher in einem Rezeptionsprozess in jüngeren fortgeführt werden. Die Bibel(4) ist damit in sich schon ein verschriftlichter Dialog unter Autoren(1) und Vermittlern von Überlieferungen und enthält in vielen ihrer Bücher Kommentare(1) zu vielen anderen Büchern. Auf der höchsten Ebene kommentiert das Neue Testament(1) häufig das Alte Testament(1), das in der (1)Welt, in die das Neue Testament(1) eintrat, fast in seiner Gänze schon als »Heilige Schrift«(1) galt. (Ich werde die Bedeutungen dieses so trügerisch vertrauten Begriffs erklären.) Die Frage, inwieweit das Alte Testament(1) für Christen(2) maßgeblich bleibt – und wie es neben den neuen Ideen zu lesen ist, die (1)Jesus, Paulus(1) und andere eingebracht haben, wenn man es weiterhin als maßgeblich betrachtet –, zählte und zählt noch heute zu den großen Themen in der christlichen Theologie(1). Das Neue Testament(2) spricht in 2. Timotheus 3,16(1)(1) vom Alten Testament(2) als »von Gott(2) eingegeben(1)«, und die Christen haben diese Vorstellung auch auf die Bücher des Neuen Testaments(3) übertragen. Es ist allerdings nicht klar, wie dies die tatsächliche Funktion(3) der Bibel beeinflusst – oder die Autorität, die sie über Glaubende ausübt. Wenn man die Bibel als von Gott eingegeben(2) bezeichnet, sagt man damit implizit, dass Gott bei ihrer Entstehung(2) die Hand im Spiel hatte, doch wie dies in der Praxis ausgesehen haben soll, wird selten definiert.

Ein weiteres Ziel besteht darin, den gegenwärtigen Stand der Bibelwissenschaft(1) zusammenzufassen. Man hat die Bibel(5) in der Moderne überaus gründlich gelesen und geprüft, und es gibt ein ganzes Meer von Theorien über ihre Ursprünge, ihre Bedeutung und ihren Stellenwert(4), in dem ein allgemein interessierter Leser(1) nur allzu leicht ertrinken kann. Ich möchte den gegenwärtigen Konsens beschreiben, zeigen, in welchen Punkten es Einvernehmen gibt, bei umstrittenen Themen sinnvolle Optionen diskutieren und die Felder aufzeigen, in denen wir uns vielleicht noch weiter bemühen müssen.

Neben diesen beschreibenden Aufgaben stellt dieses Buch auch eine These auf: dass nämlich die Bibel(6) nicht direkt einen religiösen Glauben(1) und seine Praxis abbildet, weder den jüdischen noch den christlichen. Meiner Ansicht nach ist die Bibel – als eine (4)Sammlung religiöser Texte gesehen – zwar aus vielen Gründen unersetzlich, doch das Christentum(3) ist im Kern keine Schriftreligion, die sich auf ein Buch als einziges, heiliges Werk konzentriert. Ähnlich huldigt das Judentum(2) zwar der Hebräischen(1) Bibel(1), ist aber nicht so stark auf dieses Buch ausgerichtet, wie man weithin glaubt. Der Islam(1) ist vielleicht der Idealtyp einer Buchreligion(2), und verglichen mit ihm stehen Judentum(3) und Christentum(4) in einer beträchtlichen Entfernung von ihrem zentralen heiligen Text. Die Bibel ist ganz und gar kein Glaubensbekenntnis(1) oder eine Bekenntnisschrift(1) wie die großen protestantischen »Konfessionen(1)«– das Augsburger Bekenntnis(2) für die Lutheraner(1) oder das Bekenntnis von Westminster(1) für einige Reformierte. Sie ist eine bunte (5)Sammlung von Materialien, von denen sich nur wenige direkt mit der Frage beschäftigen, was man glauben soll. Die Geschichte der Bibel(5) ist daher die Geschichte des(2) Zusammenspiels von Religion und Buch(1) – deckungsgleich sind beide jedoch nicht.

Es gibt Spielarten des Christentums(5), die sich schlicht als »biblisch« bezeichnen lassen (im Judentum(4) gibt es diese nicht), doch tatsächlich sind die Strukturen und der Inhalt des christlichen Glaubens(2) selbst unter Christen(6), die davon ausgehen, dass ihr Glaube(3) ganz und gar in der Bibel(7) gründe, anders organisiert und artikuliert als die Inhalte der Bibel(1). Am deutlichsten kann man dies beim christlichen Fundamentalismus sehen, wobei seine Anhänger die Bibel als heilig anbeten und sie dennoch weithin missverstehen.[2] Fundamentalisten(1) verehren eine Bibel, die es eigentlich gar nicht gibt, einen vollkommenen Text, der alles widerspiegelt, was sie glauben. Die Lektüre der hier folgenden Beschreibung der Bibel (mit allen Schönheitsfehlern) wird notwendigerweise eine verstörende für all jene sein, die dieses Buch idealisieren. Ich werde zeigen, dass es nicht das ganze Fundament des Judentums(5) oder des Christentums(7) ist und sein kann. Daher werde ich auch für die moderne kritische Bibelwissenschaft(2) eintreten, deren Vertreter sich ohne die Grundannahme, dass alles, was in der Bibel geschrieben steht, als verbindlich wahr betrachtet werden müsse, mit diesen Texten beschäftigen.[3]

Tatsächlich aber gibt es keine Spielart des Christentums(8) oder des Judentums(6), die Punkt für Punkt mit den Inhalten der Bibel(8) korrespondieren würde, und die Bibel ist oft nicht das, was die Menschen aus ihr gemacht und aus ihr herausgelesen haben. Im Christentum zum Beispiel gibt es absolut zentrale Dogmen(1), etwa die Dreifaltigkeitslehre, die im Neuen Testament(4) fast völlig fehlen; umgekehrt gibt es im Neuen Testament zentrale Vorstellungen wie Paulus(2)’ Theorie von der »Erlösung(1) aus Gnade(1) durch den Glauben(4)«, die wenigstens bis zur Reformation(1) nie Teil der offiziellen Rechtgläubigkeit(1) waren und sich selbst heute nicht in den Glaubensbekenntnissen(2) finden. Ähnlich geht die Ausgestaltung religiöser Bräuche und Traditionen im orthodoxen Judentum(1) weit über alles hinaus, was die Hebräische Bibel(2) selbst fordert: So wird zum Beispiel das Verbot, Fleisch und Milchprodukte in derselben Mahlzeit zu sich zu nehmen, mit allem, was daraus für die Einrichtung der Küchen folgt, damit beides nicht womöglich zufällig miteinander in Berührung kommt, auf Exodus(1) 23,19(1) zurückgeführt (»das Junge(1) einer Ziege sollst du nicht in der Milch(1) seiner Mutter kochen«), übersteigt aber alles, was der Text selbst fordert.1 Das wird auch im Judentum allgemein anerkannt.

Die Bibel(10) ist für das Judentum(7) wie für das Christentum(9) von zentraler Bedeutung, aber sie ist kein heiliger Text, aus dem sich irgendwie ganze religiöse Systeme herauslesen lassen. Ihre Inhalte beleuchten die Ursprünge von Christentum und Judentum und liefern spirituelle Klassiker, auf die Zugehörige beider Religionen(3) zurückgreifen können; aber sie engen nachfolgende Generationen nicht so ein, wie eine geschriebene Verfassung dies tun würde. Ihre Bücher entsprechen dieser Textsorte schlichtweg nicht. Sie sind eine Fundgrube von Schriften, die die beiden Religionen(4) in verschiedenen Stufen ihrer Entwicklung formten, die aber auch durch sie geformt wurden, eine Fundgrube, auf die spätere Generationen von Gläubigen reagieren müssen – positiv, aber auch kritisch. Einem solchen Dokument religiöse Autorität zuzuschreiben, dehnt das Wort »Autorität« bis an seine Grenzen und kann nur Bestand haben, wenn man besondere Ansätze entwickelt, dieses Buch zu deuten, die sich von der Art, wie man andere Bücher interpretiert, unterscheiden.

Ein heiliger Text aus einer Mischung vieler Genres – vor allem Erzählungen(1), Aphorismen(1), Gedichte(1) und Briefe(1) – gibt dem Christentum(10) eine enorme Komplexität(3). Der Katholizismus hat andere Autoritätsquellen neben der Bibel(11) ausgemacht, der Bibel aber immer eine gewisse »End-Gültigkeit« zugewiesen; Protestanten(1) haben Theorien entwickelt, denen zufolge alles, was für die Religion(5) wichtig ist, irgendwie in der Bibel präsent ist, und manche sind sogar dafür eingetreten, dass nichts getan oder geglaubt werden darf, was in der Bibel nicht ausdrücklich gebilligt wird. Nach meiner Überzeugung ist das ein Missbrauch dieser Texte, die für den christlichen Glauben(5) überaus wichtig sind, aber einfach nicht über das Gewicht verfügen, das man ihnen manchmal beimisst. Juden(8) haben einen subtileren Zugang zur Bibel: Sie verehren sie ebenso, wie viele Christen(11) es tun, aber sie behaupten nicht, dass alles, was in der Religion(6) tatsächlich praktiziert wird, aus der Bibel abgeleitet ist, und erkennen Entwicklungen in neue Richtungen an. Das Judentum(9) hat damit ein heiliges Buch und eine Reihe religiöser Glaubensüberzeugungen und Praktiken, doch man weiß, dass beide nicht genau übereinstimmen, obwohl sie als kongruent wahrgenommen werden. Das ist vielleicht ein besseres Modell, um auch das Christentum zu verstehen, als die gängige protestantische Auffassung von direkt aus der Bibel abgeleiteten Dogmen(2) und Glaubenspraktiken. Weil dieser Ansatz eine Differenzierung zwischen der Bibel und der Religion(7) zulässt, eröffnet er die Möglichkeit, die Bibel aus sich selbst heraus sprechen zu lassen. Der Glaube(6) kann sich seinerseits entwickeln, ohne völlig von ihr eingeengt zu sein. Die Beziehung zwischen beiden muss immer wieder neu ausgehandelt werden.

Die Bibel(12) als kulturprägendes Werk

Die Bibel(13) ist in der modernen Welt(2) in zweierlei Hinsicht präsent. Zunächst einmal hat sie Bestand in den westlichen Gesellschaften als ein Überbleibsel, ein Geist an den Rändern der Volks- wie der Schriftkultur, in Bruchstücken bekannt als Lieferant von Zitaten und Anspielungen. Journalisten können zudem noch davon ausgehen, dass ihre Leser die Bedeutung eines »Kampfes(1) zwischen David(1) und Goliat(1)« kennen oder Verweise auf das Geld als die Wurzel(1) allen Übels verstehen – auch wenn sie vielleicht nicht wissen, woher die Anspielungen stammen. Viele Menschen kennen zum Beispiel die folgenden Zitate (meist in der Fassung der Lutherbibel(1)):

Soll ich meines Bruders Hüter sein? (Genesis 4,9(1))

Der Mensch lebt nicht von Brot(2) allein (Deuteronomium 8,3(1))

Unser Leben(1) währet siebzig Jahre(1), und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre(2) (Psalm(1) 90,10(1))

Wer die Gefahr liebt, kommt darin um (Jesus Sirach(1)(1) 3,26)

Sie säen Wind(1) und werden Sturm(1) ernten (1)(Hosea 8,7(1))

Ihr seid das Salz der Erde(1) (Matthäus(1)(1) 5,13)

Perlen(1) vor die Säue werfen (Matthäus(1)(2) 7,6)

Die Ersten werden die Letzten sein (Matthäus(1)(3) 19,30)

Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist (Markus(1)(1) 12,17)

Sie hatten keinen Raum(1) in der Herberge (Lukas(1)(1) 2,7)

Allerdings können sie wohl kaum die genaue Quelle(1) angeben und wissen noch seltener, welche Rolle die Stellen in den verschiedenen Büchern, aus denen sie stammen, spielen. Es gibt noch eine gewisse biblische Bildung, wie es manchmal heißt, und die Werbebranche (unter anderem) greift gern darauf zurück. Denken Sie zum Beispiel daran, wie häufig das Bild von Eva(1) in der Werbung auftaucht und wie schnell die Konsumenten offenbar die visuellen und verbalen Anspielungen auf Äpfel, Schlangen und Bäume verstehen.[4]

Die Bibel(14) ist in der Populärkultur nicht obsolet, wie Säkularisten vielleicht vorausgesagt haben mögen. Allein die Oxford University Press verkauft jedes Jahr eine Viertelmillion Bibeln in der King-James(2)-Fassung, und das Lutherjahr 2017 zusammen mit der neuen Lutherbibel(2) aus demselben Jahr und der überarbeiteten Fassung der Einheitsübersetzung(15) von 2016 haben gezeigt, wie wichtig sie als kultureller Bezugspunkt für viele Gebildete noch immer ist, wenn auch eher in stilistischer als in inhaltlicher Hinsicht (siehe ebenfalls Kapitel 18). Die Verkaufszahlen sind noch immer beeindruckend hoch. Die neue Lutherbibel etwa fand 2017 und 2018 insgesamt fast 850 000 Käufer.[5] Noch verblüffender ist, wie oft Atheisten(1) die Bibel loben, selbst wenn sie sich von ihren religiösen Ansprüchen lossagen: Richard Dawkins würdigt ihren kulturellen Wert und nimmt Bibelwissenschaftler(3) sogar von seiner scharfen Kritik der Theologie(2) aus.[6] Philip Pullman propagiert die Behandlung biblischer Geschichten und Gleichnisse(1) im Unterricht, wenn auch an der Seite von Volkssagen(4) und Mythen.[7] Pullmans eigenes mythologisches System in der Trilogie His Dark Materials[8] ist in gewisser Hinsicht eine bewusst antichristliche Umarbeitung der Geschichte von Adam(1) und Eva(1)(2), in der die Aneignung von Selbsterkenntnis und Wissen(1) um die eigene Sexualität anders als von manchen christlichen Deutern der Schöpfungsgeschichte(1) positiv gesehen wird.

Große kulturelle Bedeutung hat die Bibel(16) noch immer in den USA, heute eine weit größere als in Europa(1). Eine starke evangelikale Tradition(3) in vielen Gebieten Amerikas hat dafür gesorgt, dass sie selbst im Leben(2) nichtreligiöser Menschen eine wichtige Rolle spielt und Politiker(1) möglichst davon absehen, die Bibel zu kritisieren oder zu ignorieren. Das heißt nicht unbedingt, dass die Menschen besonders viel die Bibel lesen: Die Bibel ist eher eine Ikone als ein Studienobjekt.[9] Mehrere Staaten haben hin und wieder ein »Jahr der Bibel« ausgerufen – Pennsylvania zum Beispiel im Jahr 2012.[10] Trotz der theoretischen Trennung von Kirche und Staat in den USA ist die Bibel als ein Symbol des im Wesentlichen christlichen Fundaments des nationalen Lebens weithin öffentlich präsent. In Großbritannien(1), wo die Bindung an die Bibel weniger stark ist, übernimmt sie noch immer die Funktion eines sakralen Objektes – viele Menschen sind zum Beispiel noch immer bereit, vor Gericht einen Eid »auf die Bibel« abzulegen. »Brautbibeln(2)« gibt es extra mit weißem Lederumschlag zu kaufen. Die Bibel bleibt in den meisten europäischen Ländern ein Bestseller, obwohl sich bei schwindender Anziehungskraft des Christentums(12) nur noch eine Minderheit tiefgehender mit diesem Buch beschäftigt.