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Herstellung und Verlag:

Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 9783750465435

© 2020 www.misawa.de

Cover: Erman Doğan

Wir sind die Vertreter der Liebe.

Für Hass haben wir keine Zeit.

Said Nursi

Inhalt

Vorwort

Langejahre waren die Werke des Islamgelehrten Said Nursi (1877-1960) nur der türkischsprachigen Leserschaft zugänglich. Dank der Übersetzungen, vor allem von Rüstem Ülker und Davut Korkmaz, gelangten sie auch in die deutschsprachige Community. Die Übersetzungen in diesem Buch sind größtenteils von diesen beiden Übersetzungen übernommen. Hierfür sei beiden ein Dank für ihre großartige Leistung ausgesprochen.

So befinden sich in diesem Band verschiedene Textstellen und Aufsätze Said Nursis zum Thema Positives Handeln, welches ein Grundpfeiler aller Gesellschaften ist. In einigen Abschnitten mussten Bereiche weggelassen werden, wenn sie keinen Bezug zum Thema hatten und sonst den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden. Daher wurden nur die Textstellen übernommen, die im Kontext des Themas stehen. Nach jedem Abschnitt steht in Klammern aus welcher Schrift Said Nursis der Abschnitt übernommen wurde.

Dabei sind Nursis Texte so authentisch, da er diese zunächst seiner eigenen Seele niederschreibt. Zu Beginn seines Werks “Die Worte“ schreibt er: „Oh Bruder! Du möchtest von mir einige Ratschläge. So höre denn acht kleine Geschichten, die ich meiner (eigenen) Seele erzählen werde und entnimm ihnen einige Wahrheiten! Denn meine Seele ist es, die dieser guten Ratschläge vor allen anderen bedarf. Ich hatte schon einmal aus acht Koranversen meinen Nutzen gezogen und auch etwas längere Worte zugesprochen. Nun möchte ich sie noch einmal in kurzen, allgemeinverständlichen Worten wiederholen. Wer es wünscht, möge mir dabei zuhören.“ Auf diese Art und Weise erreicht er auch seine Leserschaft tief im Herzen.

Seine Leserschaft ist schon zu Lebzeiten so groß geworden, dass sie zu einer eigenen Bewegung wurde. Diese Bewegung wird heute als die Nurculuk Bewegung bezeichnet, seine Anhänger wiederum als Nurcus.

Zum Schluss sei noch erwähnt, dass der Erlös dieser Arbeit zu 100% als Spende an gemeinnützige Zwecke geht.

Dr. Cemil Şahinöz

Einführung

Der Islamgelehrte Said Nursi erklärt sich gegen jede Art von Gewalt, Extremismus, Fanatismus und Anarchie (2001c, S. 27, 111). „Ein wahrer Muslim, ein aufrichtiger Gläubiger wird niemals für Anarchie und Gesetzlosigkeit Partei ergreifen. Was die Religion auf äußerste verbietet, ist Aufruhr und Anarchie. Denn eine Anarchie respektiert überhaupt kein Recht“ (2001a, S. 566; k.A.b, S. 937).

Denn die Aufgabe der Nurcus sei nicht Zerstörung, sondern Aufbau (2000a, S. 52; 2001c, S. 455). „Demgegenüber ist es unser Weg, sich positiv zu verhalten und auch danach zu handeln. Er erlaubt uns nicht, mit anderen zu streiten, ja noch nicht einmal in Gedanken“ (2000a, S. 188; k.A.a, S. 222).

Es gehe in der Nurculuk Bewegung nicht nur um die Stärkung des eigenen Glaubens, sondern auch um die der Gesellschaft (2000a, S. 154). Auch hat Nursi keine Rachegefühle gegenüber seinen Gegnern. Er schreibt, dass seine Gegner glaubten, er würde sich mit Gewalt an ihnen rächen: „Sie irren sich. Unsere gesamte Stärke setzen wir gegen die Anwendung von Gewalt und Anarchie ein“ (2001c, S. 30). Er vergibt denen, die ihn verurteilten: „Wenn die Beamten des Gesetzes, die das Risale-i Nur mit der Absicht studieren, es zu kritisieren, ihren Glauben durch das Schriftenwerk stärken und retten, so seid Zeuge, dass ich ihnen vergebe. Denn wir sind hier um zu dienen. Wir sind verpflichtet, dem Glauben zu dienen, ohne zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, ohne parteiisch zu sein“ (2000b, S. 341; 2004a, S. 456). An anderer Stelle heißt es: „Wenn diejenigen, die mich zum Tode verurteilt haben aufgrund der schweren Schläge des Risale-i Nur, welches nach Ankara gesandt wurde, wenn diejenigen ihren Glauben durch das Risale-i Nur bewahren und vor der ewigen Vernichtung bewahrt werden, so seid ihr Zeugen dafür, dass ich ihnen mit meinem Leben und meiner Seele vergebe!“ (2000b, S. 258; 2004c, S. 334).

An anderer Stelle wird dies noch einmal deutlich: „Alles Materielle und Immaterielle, was ich besitze, habe ich geopfert. Ich habe jede Qual ertragen müssen. Jeder Folter bin ich mit Geduld begegnet. Auf diese Weise verbreiteten sich die Glaubenswahrheiten (gemeint sind seine Werke; A.d.A.) in alle Ecken. Hunderte, vielleicht Millionen Schüler wurden dadurch ausgebildet. Diese Schüler werden nun in dem Dienste des Glaubens weitermachen. Und sie werden sich nicht von meinem Prinzip, alles Materielle und Immaterielle zu opfern, trennen. Sie werden nur für den Schöpfer arbeiten. Ich möchte nicht, dass meine Schüler auch nur die kleinste Spur von Hass oder Rachegefühlen gegen die Leute tragen, die mich gefoltert und gequält haben. Stattdessen empfehle ich ihnen Loyalität und Standhaftigkeit gegenüber der Risale-i Nur“ (2001c, S. 318).

Doch nicht nur mit den Gegnern soll nicht gestritten und gekämpft werden, sondern auch nicht mit Theologen, die sich, aus welchem Grund auch immer, gegen die Bewegung stellen (2000b, S. 280; 2001c, S. 116; 2004a, S. 361). Für den Frieden des Volkes, insbesondere der Kinder, der alten, kranken und armen Menschen, ist Nursi bereit, sein Leben einzusetzen (2001c, S. 29). Er ist fest davon überzeugt, dass eine Gesellschaft stets zusammenhalten muss: „Gegenseitige Unterstützung in einer Gesellschaft sorgt dafür, dass der Stillstand zu Aktivität wird, während gegenseitiger Neid alle Aktivität zum Stillstand bringt. Wenn eine Gemeinschaft nicht eins und ganz, eine ungeteilte Zahl ist, macht eine Addition sie schwächer wie das Multiplizieren von Brüchen“ (2001b, S. 459; 2004b, S. 618). „In seinem letzten Brief an seine Schüler wiederholte Nursi nochmals eines der zentralen Prinzipien für den Dienst am Islam: das Prinzip des ´positiven Handelns´, d.h. nicht die Kritik oder Zerstörung des Schlechten oder Falschen zählt, sondern die Schaffung und Verkörperung des Richtigen und Guten“ (Bilici, 2003, S. 175).

Ähnlich wie Sokrates, ist Nursi über die Tatsache, dass ihm die Todesstrafe droht, nicht besorgt: „Da das der Fall ist, sage ich nicht zum Gericht hier, sondern zu jenen ungerechten Männern: keine zwei Groschen gebe ich für die härteste Strafe, die ihr über mich verhängt; sie hat gar keine Bedeutung. Denn ich bin fünfundsiebzig Jahre alt und stehe mit einem Fuß im Grab. Ein oder zwei Jahre des unschuldigen Lebens in Verfolgung gegen den Rang des Märtyrertums einzutauschen wäre das größte Glück für mich. Dank der tausenden Beweise des Risale-i Nur glaube ich mit äußerster Gewissheit, dass für uns der Tod unser Entlassungspapier ist. Selbst wenn der Tod äußerlich die Hinrichtung ist, so wäre für uns eine einstündige Not der Schlüssel zur ewigen Wonne und Gnade. […] Ja, die Realität des Todes, die diese Stadt einhundert Mal entleert hat, hat Forderungen, die größer sind als das Leben. Einen Weg zu finden, vor dieser sicheren Hinrichtung befreit zu sein, ist das größte Bedürfnis des Menschen, wichtiger als alles andere. Jene, die mit simplen Vorwänden den Anhängern des Risale-i Nur Schuld geben, die diesen Weg für sich selbst gefunden haben; jene, die dem Risale-i Nur Schuld geben, obwohl das Schriftenwerk jenen Weg mit tausenden Beweisen liefert --- wie schuldig sie selbst sind in den Augen der Wahrheit und Gerechtigkeit, das würden selbst Verrückte verstehen“ (2000b, S. 323; 2004a, S. 427ff).

Nursis einziger Slogan lautet daher: „Wir sind die Vertreter der Liebe. Für Hass haben wir keine Zeit“ (1978, S. 49; 1995, S. 92ff). „Bei Nursi treffen wir weder auf einen islamischen Populismus, der das Ziel hätte, den Staat zu kontrollieren, noch auf einen Islam, der dem Staat leicht als Rechtfertigung für seine Unterdrückungspolitik zur Kontrolle der Gesellschaft dienen könnte. Auch handelt es sich nicht um einen Islamismus, eine nationale Befreiungsbewegung. Nein, Nursis Projekt war eine auf dem Glauben basierende Bewegung mit dem Ziel, ein ethisches System wiederherzustellen“ (Yavuz, 2004, S. 129). Es war ihm bewusst, dass dieses ethische System nur ohne Gewalt entstehen konnte. Deshalb appelliert er ständig auf Freiheit und Unabhängigkeit: „Ohne Brot kann ich leben, aber ohne Freiheit nicht“ (2001c, S. 18). Die Gedankenfreiheit sei das Schwert der Zivilisation und die Quelle aller kreativen Kräfte (2001a, S. 54-68; h.z.n. Yavuz, 2004, S. 130). Nur durch die Freiheit könne man den höchsten Rang des Glaubens erreichen.

Yavuz (2004) interpretiert das System des positiven Handelns von Said Nursi folgendermaßen: „Nursis ethisches System zehrt aus Konzepten wie dem positiven Verhalten, der Gottesfurcht oder Frömmigkeit, der Zuverlässigkeit, der Selbstachtung, der Brüderlichkeit und Freundschaft, sowie der Aufrichtigkeit. Er ruft seine Anhänger dazu auf, die Abhandlung über die Aufrichtigkeit alle zwei Wochen zu lesen. Besitzt ein Mensch diese sechs Charakteristika, dann ist er durchaus in der Lage, seine Umgebung vor verwerflichen Aktivitäten zu schützen. Der Glaube ist für Nursi wie ein Licht, das einen zum rechten Verhalten leitet. Bei näherer Betrachtung fordert Nursi dazu auf, durch Vermeidung von Konflikten und der Beteiligung an intellektuellen Debatten ein ´positives Verhalten´ an den Tag zu legen und durch gute Taten das soziale und kulturelle Leben der Gesellschaft zu formen. Glaube ohne Taten ist wie ein Boot ohne Ruder. Nursi ermuntert stets ´positiv´ zu handeln und das Verhalten im Alltag auf die Gottesfurcht zu gründen, die er definiert als ´Vermeidung abgeratenen und sündigen Verhaltens, nach islamischen Grundsätzen zu handeln und zur Ehre Gottes gute Taten zu tun.´ Vor der religiösen Übung steht natürlich das Vermeiden sündigen und unerlaubten Handelns. Für Nursi erfordert der Islam gute Taten, Toleranz, Liebe und Vernunft.“

Auch Vahide (1999) betont, was positives Handeln bei Said Nursi ausmachte und welchen gesellschaftlichen Nutzen sie hatte: „Darüber hinaus bestand kein Zweifel daran, dass die Nur Bewegung und ihre wirksame Methode des ´positiven Handelns´ in der Türkei nachhaltig moralisches Erstärken bewirkt und einen aufgeklärten Islam entstehen ließ. […] In der letzten Lektion, die Nursi seinen Studenten vor seinem Tod gab, betonte er, dass das Konzept des geistigen Engagement und Bemühens für den Weg des Risale-i Nur von zentraler Bedeutung sei und wiederholte, dass die Unschuldigen nicht wegen den Taten einiger Verbrecher leiden und in Mitleidenschaft gezogen werden dürften. […] ´Unsere Pflicht muss das ´positive Handeln´ sein, nicht das ´negative Handeln´. Es gilt, einzig dem Glauben (in den Religionswahrheiten) zu dienen, in Übereinstimmung mit dem göttlichen Wohlgefallen, und ´sich nicht in Gottes Belange einzumischen´... der positive Dienst am Glauben, der die Wahrung öffentlicher Ordnung und Sicherheit mit sich bringt.´ Tatsächlich beschrieb Nursi die Risale-i Nur Schüler als die ´Bewahrer des öffentlichen Friedens.´ Denn beim ´Lehren der Glaubenswahrheiten pflanzen sie in den Kopf eines jeden ´eine Barriere´ gegen (falsches Handeln) ein, und bewahren dadurch die öffentliche Ordnung und Sicherheit. […] Der Weg des Risale-i Nur erfordert ´positives Handeln´ gegenüber allen, gleichgültig welcher Konfession und Weltanschauung, gegenüber Christen und sogar gegenüber Anhängern abtrünniger Sekten innerhalb des Islams. Dies galt selbst dann, wenn sie aggressiv oder feindselig waren. […] Ein weiterer Aspekt des ´positiven Handelns´ waren Geduld und Nachsicht angesichts von Unterdrückung; dies verlangte ein extrem hohes Maß an Selbstaufopferung. […] An diese Prinzipien hielt er sich sein ganzes Leben lang. […] Nursi stellte diese Prinzipien niemals in irgendeiner Art von Manifest dar, sondern erklärte sie seinen Studenten, wie es die Umstände erforderten. […] Daher hielt Nursi es für die oberste Pflicht der Risale-i Nur Studenten, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu wahren, selbst angesichts der vorsätzlichen und schweren Provokationen, Unterdrückung und Ungerechtigkeit, worunter sie zu leiden hatten, und für die Einheit und Solidarität der Gesellschaft zu arbeiten. […] Ja, Nursi sah dem entgegen, dass diese positive Methode der Erneuerung und Aufklärung in der ganzen muslimischen Welt übernommen werden und dadurch eine stabile Grundlage für ihre Zukunft bieten würde.“