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2. Auflage © 2022 Thomas Schneider
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

Cover-/Umschlaggestaltung
©Giessel Design
www.giessel-design.de
Lektorat:
www.schreib-weise.ch
Bildnachweis:
istock.com/Yuri_Arcurs (Erde)
sowie
Thomas Schneider (Mond, Raumfenster)
Model: Alina
ISBN: 978-3-7481-2348-4

Inhaltsverzeichnis

  1. Mondstation
  2. Mondoberfläche
  3. Mars
  4. China
  5. Shanghais Hinterland
  6. Sizilien – Ätna
  7. Pakistan
  8. Mondstation
  9. Mondstation – Anklage
  10. Mondstation – Eifersucht
  11. Heldentat
  12. Florida – Titusville
  13. Mars
  14. Erde – Amerika
  15. China
  16. Mondstation
  17. Mars
  18. Ostafrika – Äthiopien
  19. Amerika
  20. Mars
  21. China – Longhekou Reservoir
  22. Chinas Komplott
  23. Mars
  24. Himalaya
  25. China
  26. Amerika
  27. China – Talkessel
  28. Mondstation
  29. Mondstation
  30. Amerika
  31. Mondstation
  32. Hilferuf
  33. China – Talkessel
  34. Mond
  35. China – Talkessel
  36. Mission erfüllt
  37. Mortuus entfesselt
  38. Mondstation

Vorwort

Ich verliere keine großen Worte, Schnörkel oder aufwändige Beschreibungen. Ich bediene mich der gängigen Klischees, dem Stereotyp der Weltmächte, orientiere mich am Verhalten der Menschen, um meine Fiktion so nahe wie möglich an unsere Welt anzugleichen, aber nicht zu kopieren.

Ich weiß nicht, wohin mich die Reise mit Miles noch führen wird, ob er die Welt der Menschen retten kann oder es überhaupt will.

Unsere eigene Welt benötigt mehr als einen Helden. Sie benötigt die Hilfe jedes Einzelnen von uns. JEDER kann die Welt zum Guten verändern! Fangen wir bei uns an.

Kleines Miles-Versum

Adamas:

Nachkomme verstoßener, ins Exil verbannter Malcorianer. Wollte sich und seinen Freunden bei den Verantwortlichen auf der Mondstation Gehör verschaffen, um auf diese Ungerechtigkeit hinzuweisen. Leider einige tausend Jahre zu spät.

Bagor:

Wiedererweckter Malcorianer. Kerniger, muskelbepackter sanfter Hüne und Freund von Adamas. Wirkt auf andere zuweilen etwas begriffsstutzig.

Donato:

Kommandeur einer geheimen militärischen Sicherheitseinrichtung. In den eigenen Reihen ist er auch besser als 'der Fels' bekannt. Weiß mehr über das Roclammetall, als er zugibt.

Flem:

Kleine Raumschiffe für höchstens zwei Personen der Malcorianer. In Geschwindigkeit und Flugverhalten jedem terrestrischen Flugzeug oder jeder Rakete haushoch überlegen. Ähneln in Größe und Form den ägyptischen Sarkophagen. Konservierende Eigenschaften.

Länge: bis zu 2,60 m

Breite: bis 1,20 m

Höhe: bis 1,20 m

Gloria:

Junge Malcorianerin mit roten Haaren und geheimnisvollen, grünen Augen. Stand anfangs den Menschen misstrauisch gegenüber, besonders Thomas, der für ihre Erweckung verantwortlich war. Sie ist zuständig für den Erhalt und die Überwachung der Biosphäre auf der Mondstation. Voll jugendlichem Tatendrang. Mitunter etwas naiv.

Lt. Commander Richter:

Computerspezialist der US Army. Selbstverliebter Spezialist auf seinem Gebiet. Neigt zu Größenwahn.

Malcorianer:

Ehemalige Bewohner des Planeten Malcors, den sie verlassen mussten. Neue Heimat wurde der Mars. Starteten von dort Missionen zum Mond und zur Erde. Wie bei allen Völkern: Es gibt gute und böse Exemplare.

Miles:

Die Miles wurden als letztes Mittel zur Beilegung einer Krise, die den ganzen Planeten Malcor ereilte, eingesetzt. Das Programm zur Erschaffung der neuen Ordnungshüter konnte aufgrund der Unruhen und des massiven politischen Drucks nicht hinreichend getestet werden, so dass es unweigerlich bei der Verschmelzung mit dem Virus und dem jeweiligen Individuum zu Fehlstörungen kam.

Mondstation:

Die offizielle Version, die zum Bau der Station führte, war die des experimentellen Versuchs einer künstlich erschaffenen Landschaft auf einem nicht terraformierbaren Planeten/Kometen zu untersuchen und diesen auf Dauer zu besiedeln.

Inoffiziell ordnete das Ministerium die Überwachung der Verbannten an, die sie teilweise völlig zu Unrecht und gedankenlos auf einem Planeten (Erde) aussetzten, der bereits bewohnt war. Eine Umsiedelung sollte daher zu einem späteren Zeitpunkt aus ethischen Gesichtspunkten und aus Gründen der Überwachung erfolgen.

Stationsmaße: Maße Biosphäre:
Länge: 4.000m Länge: 3.000 m
Breite: 3.000m Breite: 2.000 m
Höhe: 900m Höhe: 800 m

Simon:

Professor und Konstrukteur der Mondstation. Verliebt in die Wissenschaft. Gab seine sterbliche Hülle auf und existiert in den Speicherbänken der Station weiter. Sympathischer, aufgeschlossener Geist.

Thomas Martin:

Sprachen- und Kulturwissenschaftler.

Entdeckte als Hobbyarchäologe in der Cheopspyramide Schriftzeichen, die auf ein unbekanntes Metallvorkommen auf dem Mond schließen ließen. Als Leiter einer unbemannten Erkundungsmission zum Mond, die dem neuen Metall galt, entdeckte er eine verborgene Mondstation, deren Bewohner ihn später zum 'Miles' machten. Dessen unglaubliche Fähigkeiten spielen in diesem zweiten Band eine wichtige Rolle.

Prolog

Es war dieses eine Signal, das ausgereicht hatte, dass der Erde die volle Aufmerksamkeit einer fremden Rasse geschenkt wurde. Nach jahrtausendelanger Abstinenz war es für sie so, als ob sie nie aufgehört hätte, ein Teil von ihr zu sein. Die Sucht. Dieser unbeschreibliche, nie enden wollende, unstillbare Hunger, nach dem sie sich so verzehrt hatten. Plötzlich war er wieder da, der berauschende Stoff. Natürlich waren sie auf der Suche nach anderen Spurenelementen durch die unendlichen Weiten des Alls gezogen, doch hatten sie nie etwas Vergleichbares mehr gefunden. Wie ein Schwarm Heuschrecken ließen sie sich dabei von ihrer Sucht treiben. Sektor für Sektor. Nachdem sie alles abgegrast hatten, waren sie auf halbem Weg in eine andere Galaxis aufgebrochen. Nichts hatte sie bislang aufhalten können. Nur die Erinnerung an dieses eine Metall war in ihren suchtgeschwächten Hirnen geblieben. Kein anderer Smorg hatte ihnen seither etwas Vergleichbares besorgen können. Auf halbem Weg nach Andromeda stoppten sie daher ihre Fahrt.

Ein Umstand, der an Unbedeutsamkeit für das Auge eines Betrachters kaum hätte überboten werden können. Der dunkle, schwarze Raum zwischen den Galaxien schien, gleich einem Ungeheuer, für jegliche Form von Helligkeit nicht viel übrig gehabt zu haben. Nur für einen kurzen Moment schien das lichtfressende Monster einen kleinen Seufzer von sich gegeben zu haben, als aus einer metallzerklüfteten, riesenhaften Kugel ein gleißend heller Lichtstrahl schoss. Zwei winzig kleine Objekte schienen auf seinen Strahl durch die Schwärze des Alls auf und ab zu tanzen. Nicht lange danach krümmte sich der Lichtbogen weitläufig um den Metallplaneten. Unentwegt kreisten die beiden Objekte auf dieser Bahn um sich und um ihre eigene Achse. Durch die freiwerdende Energie luden sie sich so stark auf, dass sie sich zu zwei leuchtenden, hellen Kugeln formten. Aufgeladen von dem Ring aus purer Energie wuchsen sie rasch auf eine stattliche Größe heran. Immer schneller vollzogen sich ihre Drehungen um die große, dunkle, zerklüftete Kugel. Es sah ganz danach aus, als würden sie ihre eigenen Anziehungskräfte zueinander verlieren. Den Ring aus Energie hatten sie inzwischen wie einen Schwamm in sich aufgesogen. Dann lösten sie sich voneinander, kreisten aber immer noch mit ungeheurer Geschwindigkeit um die seltsame, metallene Mutterkugel. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie aufeinanderprallen würden. Nur, aus welchem Grund? Die Antwort folgte auf dem Fuße. Das Unvermeidliche war geschehen und der Aufprall erfolgte. Die riesenhafte, metallene Kugel hatte es geschafft, einen Riss im luftleeren Raum zu erzeugen. Seine Umrandung glühte wie das Innere einer Sonne. Unruhig, aber auf der Stelle verharrend, offenbarte er hinter seinem glühenden Vorhang einen kleinen, weit entfernten, schwach blau leuchtenden Ball.

»Smorgs! 43 und 68! Macht euch auf, wozu ihr erschaffen wurdet!«

Einer Geburt ähnlich, entglitt der größeren 'Mutterkugel' eine zweite, kaum sichtbare winzige Kugel. Sie nahm direkten Kurs auf den Riss. Ihr Ziel war der weit entfernte, kleine blaue Ball am Firmament. Die Erde.

1 Mondstation

Seltsam. Irgendwie schien alles ganz normal. Thomas Martin lag auf dem Bett und streckte seinen rechten Arm empor. Er zeichnete dabei träumerisch geometrische Figuren in die Luft. Das hatte er lange nicht mehr gemacht. Früher, während seiner Studienzeit, hatte er häufiger die Gelegenheit, im Bett liegenbleiben zu können, um sich während seines Studiums als Sprachen- und Kulturwissenschaftler in Ideen zu vertiefen. Dabei rekapitulierte er im Geiste seine Erkenntnisse aus den Vorlesungen mit denen, die er aus seinem Hobby, der Archäologie, gewonnen hatte. Ganz unbewusst hob er dabei jedes Mal seinen Arm und zeichnete seine Gedanken in der Luft nach. Dabei kombinierte er einzelne Sprachmuster und Dialekte verschiedenster Kulturen und versuchte, diese in überlieferten Texten vergangener Epochen der Menschheit zu entschlüsseln. Eine Gabe, wie viele behaupteten, nannte er seine Fähigkeit aber nicht. Vielmehr war sie das Ergebnis seiner Neugier und der Liebe zur Archäologie gewesen, die es ihm ermöglichte, komplexe Zeichen und Symbole in den alten Schriften zu entdecken und zu deuten. Nach jahrelanger Übung konnte er solche Dinge spielend leicht vor seinem 'inneren Auge' erfassen. Diese weit umsponnenen Überlegungen des heutigen Wissenschaftlers führten ihn mithilfe dieser Methode bis zuletzt auf den Zenit seiner Karriere. Dabei war seine größte Entdeckung in gewisser Weise auch seine letzte gewesen, die er sich in Fachkreisen schwer hatte erkaufen müssen. Zunächst von allen belächelt, dann bestärkt, hochgepriesen und wieder verspottet, diskreditiert und von der Weltpresse zuletzt vernichtend bloßgestellt. Doch die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Es folgten die turbulentesten Wochen der Menschheitsgeschichte, die den Wissenschaftler wieder rehabilitieren sollten. Jedoch erst Wochen danach, in denen er schon längst als vermisst galt. Einen Zusammenhang mit den Ereignissen und seinem Verschwinden war nicht auszuschließen, folgerten viele Tageszeitungen.

Zusammen mit seinem Kollegen Colarishfa waren sie die Wissenschaftler gewesen, die eine Botschaft in der Cheopspyramide fanden, analysierten und dahingehend entschlüsselten, dass sich auf der Erde einmal Außerirdische befunden hatten. Der Hinweis auf der einzigartigen Tafelinschrift bezog sich nämlich auf ein Metallvorkommen, das auf dem natürlichen Erdsatelliten, dem Mond, zu finden war. Seit der Zeit der unglaublichen Entdeckung stand das Projekt in besonderem Maße in öffentlichem Interesse. Fördermittel und Spendengelder wurden angezapft, um den möglichen Ursprung der Menschheit kennenzulernen oder zumindest einen handfesten Beweis über die Existenz außerirdischen Lebens zu erhalten.

Es folgte der Tag, der Klarheit bringen sollte. An diesem Tag schoss die ESA (European Space Agency) einen Satelliten ins All. An Bord waren auch zusätzlich Instrumente installiert, die ein bislang unbekanntes Metallvorkommen nachweisen sollten. Wie auf der Tafelinschrift mitgeteilt, befand sich die beschriebene Stelle nahe dem 'Mare Trancilium'. Durch den kontrollierten Absturz der Sonde auf diese Position sollte die tausende Jahre alte Information den Beweis antreten. Doch stattdessen versuchten die Vereinigten Staaten, die bis dahin im Geheimen alle Schritte der Wissenschaftler mitverfolgt hatten, den Erfolg für sich alleine zu beanspruchen. Colarishfa, einer der beiden Wissenschaftler, hatte, während Thomas Martin die Forschungsergebnisse der Tafelinschrift in Brüssel präsentierte, durch Zufall neben dem Fundort der Tafel einen geheimen Gang entdeckt. In diesem lagen vier sarkophagähnliche Objekte. Colarishfa ließ sie von den Vereinigten Staaten und, ohne seinen Kollegen Thomas Martin in Kenntnis gesetzt zu haben, gegen Schmiergeld bergen und abtransportieren. Thomas Martin selbst musste die fast perfekte Vertuschung der Vereinigten Staaten mit seinem Rücktritt bei der ESA verdauen. Denn angeblich lieferte die Sonde scheinbar keine nennenswerten Vorkommnisse. Auch die Öffentlichkeit fühlte sich um ihre Steuergelder betrogen.

Heute jedoch war alles ganz anders. Sowohl für Thomas, der noch immer seine träumerischen Figuren in die Luft malte als auch für den Rest der gesamten Welt. Letztere hatte ihren Beweis von außerirdischem Leben auf schmerzvolle Weise quittiert bekommen. Denn das durch den Aufprall der Sonde erwachte Wesen stellte alles sprichwörtlich auf den Kopf. Rehabilitierte es den Wissenschaftler zum einen, denn damit war die Existenz des Metalls und das einer fremden Lebensform bewiesen, stellte es zum anderen eine neue ernstzunehmende Gefahr für die Menschheit dar. Über die Beweggründe des Wesens tappte man jedoch noch immer völlig im Dunkeln. Zu sehr war die Welt geschockt. Es war ihr nicht möglich gewesen, eine vernünftige Erklärung zu finden, als man in allen Teilen der Welt das Verschwinden von Gebäuden und großen Naturflächen registrierte. Es war die Reaktion eines übermächtigen Wesens, das man kurz zuvor versucht hatte zu töten, als es sich im Internet und auf allen Radio- und Fernsehstationen der Welt eingehackt hatte. Während seiner Ansprache, seltsamerweise in lateinischer Sprache, wurde es von Kampfbombern der chinesischen Armee als auch von den Vereinigten Staaten lokalisiert und angegriffen. Vernichtet geglaubt, startete es seinen Angriff gegen die Menschheit.

Für Thomas spielte das augenblicklich jedoch keine große Rolle, noch dass er sich länger mit den üblichen gedanklichen Kombinationen von Sprachen und Dialekten weiter auseinandersetzte. Nein, wahrlich, das brauchte er nicht! Denn er war selbst zu einem Teil seiner Entdeckung geworden und lebte sie in diesem Moment. Gemächlich reckte und streckte er sich, massierte seine Glieder. In seinem neuen Zuhause war es still. Nur eine alte, hölzerne Standuhr, die in einer Ecke ihr Dasein fristete und ihrem Bewohner ihr leises, aber zuverlässiges Ticktack schenkte, verlieh dem Raum einen Hauch von Lebendigkeit. Seit Kurzem wohnte er in einem kanadischen Blockhäuschen. 'Importiert' aus einem entlegenen Winkel der Wildnis Kanadas. In völliger Abgeschiedenheit von der Zivilisation genossen die wenigen Menschen diesen Ort mit seiner Ruhe, der fernab jeglicher Alltagshektik war. Die Einfachheit und das Einssein mit Mutter Natur machte diesen Ort für sie zu einem einzigartigen Erlebnis. Jetzt musste dort, wo das Häuschen zuletzt gestanden hatte, eine kleine Lichtung entstanden sein. So zumindest wurde es von einem frisch vermählten Ehepärchen beschrieben, das seine Hochzeitsreise an diesem abgeschiedenen Ort verbringen wollte. Zunächst brachte man von Seiten der Polizeibehörde das Verschwinden des Blockhauses mit dem des unheimlichen Miles nicht in ursächlichen Zusammenhang. Auch die örtliche Presse schenkte dem Vorfall angesichts der weltumspannenden Ereignisse durch den aufgetauchten Fremden nur mäßiges Interesse. Erst, nachdem sich zwei Jugendliche, aus der Umgebung stammend, aufmachten, den Dingen auf den Grund zu gehen, wurden die überregionalen Medien auf die Entdeckung der beiden aufmerksam. Diese posteten in den sozialen Netzwerken ihre selbstgedrehten Handyaufnahmen von der fehlenden Blockhütte. Dabei wurde einem ganz bestimmten Filmausschnitt besonderes Interesse beigemessen. Das Video schaffte es noch am selben Abend der Veröffentlichung auf über fünf Millionen Klicks. Auf diesem Video war die besagte Lichtung zu sehen. Dabei zeigte einer der beiden Freunde den ungewöhnlich hellen Fleck in der Mitte der großen Fläche, auf dem einmal die Blockhütte gestanden hatte. Den Konturen auf dem Erdboden zufolge war dort offenbar tatsächlich etwas Größeres gestanden. Die Vegetation war deutlich zurückgeblieben. Der Film wurde aber erst zu dem Zeitpunkt interessant, als sich der junge Mann auf dem Video zu seinem Freund, der ihn seinerseits filmte, umdrehte. Wie vom Blitz getroffen, verharrte er auf einmal in seiner Bewegung. Sekunden später färbte sich seine beigefarbene Hose um seinen Schritt unangenehm dunkel.

»Nee jetzt, Alter«, begann der Kameramann. »Scheiße, Mann, was machst du da? Deine Hose, Alter!«

Er musste laut lachen.

»Was hast du geschluckt, dass du dich nass machst! Ey! Ich hab – scheiße noch eins – alles auf dem Handy aufgenommen! Bist du kaputt, Alter! Was zahlst du dafür, dass ich es nicht online stelle?«

Er lachte noch immer. Doch dies schien sein Gegenüber überhaupt nicht zu interessieren. Mit panischem Gesichtsausdruck drehte er sich unvermittelt um und rannte schreiend davon.

»Ey, bleib stehen! Wo rennst du denn hin! Hat der sie nicht mehr alle? Rennt einfach weg, der Clown.«

In diesem Moment hörte er dicht hinter seinem rechten Ohr ein tiefes, dunkles Grollen.

»Oh, Shit! Ohhh, Shit! Nein!«, quiekte der nun ebenfalls stocksteif gewordene Hobbyfilmer vor sich hin. Sein Puls indessen beschleunigte sich mit rasender Geschwindigkeit angesichts dessen, was seine Fantasie mit ihm in diesen Sekunden anstellte. Denn mit ziemlicher Sicherheit wusste er, was sich in diesem Augenblick hinter seinem Rücken befinden musste. Nach einer gefühlten Ewigkeit und wieder einer Bewegung mächtig geworden, drehte er sich langsam, sehr langsam um seine eigene Achse, um nachzusehen, ob das, was er bereits vermutet hatte, noch immer da war. Dabei hielt er sich zitternd sein Handy dicht vors Gesicht, um möglichst 'unentdeckt' zu bleiben. Einem Außenstehenden musste diese unbeabsichtigte Slapstickeinlage einfach nur lustig erschienen sein. Für den filmenden jungen Mann jedoch waren es sicherlich die angstvollsten Sekunden seines Lebens. Er wagte zunächst noch nicht einmal den Blick durch das Display seines Kamerahandys, so sehr verkrampfte er sich. Seine Augen hatte er fest zugekniffen. Erst nach weiteren, endlos erscheinenden Sekunden riskierte er einen Blick. Er sah mitten in ein Gesicht, das sein Blut in den Adern gefrieren ließ. Es war eine Art Schockzittern, das seinen Körper veranlasste, wie zuvor bei seinem Freund, sämtliche Funktionen des Schließmuskels einzustellen. Das Handy fiel dabei zu Boden. Der Bildausschnitt, der zwischen Grasbüscheln eben noch zu sehen war, zeigte den Burschen, wieder seiner Urinstinkte bewusst geworden, wie er rückwärtsrennend, das fremde Etwas taxierend, davonlief. Dann, in unmittelbarer Nähe des Telefons, ein markerschütternder Schrei, der noch in kilometerweiter Ferne zu hören gewesen war. Das schräge Kamerabild zeigte den in Panik geratenen, davonrennenden Burschen, der sich nun nicht mehr auf den Beinen halten konnte und ins meterhohe Gras stürzte. Endgültig verschwand er aus dem Sichtfeld der Zuschauer. Stattdessen sah man unmittelbar vor der Kameralinse etwas Grünes auftauchen. Das Wesen. Jenes Ungeheuer, das der Welt seit Kurzem das Fürchten gelehrt hatte. Zu sehen war nur ein kleiner Bildausschnitt des Fremden, doch es reichte aus, alle Zuschauer in Erstaunen zu versetzen. Es offenbarte seine grüne Haut in unmittelbarer Nähe. Ein sprichwörtlich fantastisches Wesen, wenn man wissenschaftlichen Maßstäben nach urteilen mochte. Die Haut wurde dabei von einem orangeroten Netz überzogen, das in gleichmäßigen Rhythmen pulsierte. Wie ein sichtbar gewordener, warmer Herzschlag, der zugleich seine Gemütsverfassung an seine Umwelt mitteilen wollte. Dabei dachten sich zuvor noch viele Menschen, es wäre nur ein Anzug oder eine Art Kleidungsstück gewesen. Denn so fremd wie sich dieses Wesen gegenüber der Menschheit benahm, so sehr glich dessen Körperaufbau der menschlichen Rasse. Diesen Gerüchten wurde hiermit ein Riegel vorgeschoben. Das orangerot farbene Netz durchströmte das Wesen wie ein nicht enden wollender, glühend heißer, pulsierender Lavastrom. Allein dieser winzig kleine Ausschnitt bezeugte die unglaubliche Kraft des Wesens. Es war, als hätte es in den vergangenen Wochen noch weit mehr Energie in sich aufgesogen, als es bislang sowieso schon der Menschheit demonstriert hatte. Welche Worte waren es nochmal, die es gebrauchte, als es sich zum ersten Mal der Menschheit offenbarte? 'Miles somno excitans' – aus dem Schlaf erweckter Soldat?

Nun, war es damals noch halb schlafend auf die Menschheit losgegangen, so musste es heute schier unzerstörbar für sie erscheinen. Vielleicht aber nutzte es auch nur den psychologischen Effekt, um der Einschüchterung mehr Ausdruck zu verleihen. Denn irgendwie schien es sich schon ein wenig in Szene setzen zu wollen.

Die Medien hatten mit Ratlosigkeit reagiert, was das Verschwinden des Blockhäuschens anbelangte. Wussten sie doch, dass der Miles weit größere Gebäude und sogar ganze Landschaften verschwinden ließ. Eine einsame Holzfällerhütte schien ihnen so gar nicht in das Beuteschema des Fremden zu passen.

Thomas Martin hingegen interessierte diese Erkenntnis herzlich wenig. Er genoss sein neues Zuhause, das sich seit kurzer Zeit in einer künstlich angelegten, neuen, kleinen Welt auf dem Mond befand. Dort, wo es nun stand, war es das kleinste von Menschen erschaffene Bauwerk. Zwischen Bäumen versteckt, hatte man dort oben auf einem gigantisch aufgeschütteten Ringwall aus Erde eine sensationelle Sicht über die frisch angelegte Heimat. Eine Heimat, die der Erde beraubt und von einer körperlosen Existenz namens Simon auf neue harmonische Art und Weise im Herzen der Station zu einem neuen Ganzen zusammengeführt wurde. Unter der künstlichen Dachkuppel, die sich in mehrere hundert Meter Höhe über die Landschaft erstreckte, waren die Leuchtmittel so angeordnet, dass sie sich zu einem einzigen Licht vereinigen konnten und einen natürlichen Himmel simulierten.

Thomas beendete seine in die Luft gezeichneten Überlegungen, die heute einfach nicht fruchten wollten. Schwerfällig richtete er sich in seinem rustikal erbauten Eichenbett auf, welches im Übrigen dem Rest des gesamten Mobiliars angeglichen war.

Irgendwie schien das heute nicht einer seiner besten Tage zu werden. Es lag etwas in der Luft und er konnte sich beim besten Willen nicht aufraffen. Scheinbar mit letzter Kraft stemmte er sich seufzend gegen die in der Raumstation vorherrschende künstliche Schwerkraft, die der Erde angepasst war. In Pantoffeln, die das kleine Häuschen für seine früheren Gäste immer bereitgehalten hatte, schlurfte er von seinem Schlafraum quer durch den Wohnraum bis hin zur Wohnküche. Von dort erhoffte er sich eine wundersame Stimmungsaufhellung. Simon, die Stimme der Station, nannte es ein 'kleines primitives Stück Technik von der Erde', doch keine noch so hochtechnisierte Station der Malcorianer konnte seiner Kaffeemaschine bis jetzt das Wasser reichen, stellte er zufrieden fest. Heute aber spürte Thomas, als er davor stand, dass selbst eine frischgebrühte Tasse Kaffee aus seinem Automaten nichts zur Anhebung seiner Gemütsverfassung beitragen konnte. Während die Bohnen durch das Mahlwerk, zerkleinert als Pulver, an die Brühgruppe weitergegeben und dort unter Druck verpresst und mit heißem Wasser übergossen wurden, starrte der Wissenschaftler am Küchentresen angelehnt hinaus über die altbackene Couch im Wohnbereich aus dem riesigen Panoramafenster, dem Schmuckstück der Blockhütte. Dort, wo sie nun seit kurzer Zeit stand, hatte man auf 400 Metern Höhe den Eindruck, über ein Gebiet zu herrschen, das sich irgendwo in einem Talkessel auf der Erde befand. Der Geruch von frischgemahlenem Kaffee stieg ihm in die Nase. Zielsicher und ohne den Blick von der überwältigenden Landschaft abzuwenden, suchte er mit einer Hand nach seinem heißen Pott schwarzen Kaffee. Damit schlurfte er durch das Wohnzimmer, am Panoramafenster vorbei und hinaus zur Tür. Wenige Meter dahinter blieb er vor dem steil abfallenden Abhang stehen und nahm einen großen Schluck aus seiner Tasse. Trotz des wunderbaren Ausblicks, den er hatte, war die Szenerie irreal und wirkte auf ihn unwirklich. Etwas fehlte.

»Simon?«

»Ja, Miles?«

»Hör auf, mich so zu nennen!«

»Warum denn nicht? Du bist doch einer und nennst dich ja auch neuerdings überall so auf der Erde.«

Der Stimme in seinem Ohr, die in Wirklichkeit ein hochleistungsfähiger Empfänger in seiner Armmanschette war, haftete ein leicht ironischer Unterton an. Thomas ging auf die üblichen Sticheleien des Professors nicht weiter ein. Nein, heute würde definitiv nicht sein Tag werden.

»Hast du die Berechnungen durchgeführt?«, fragte er stattdessen.

»Natürlich! Ich habe dir eine Liste zusammengestellt. Abrufbar über deine Manschette.«

»Gut. Wie weit bist du mit dem Luftproblem?«

»Bin noch dabei. Die Wartungsrobots müssen noch einige Luftschächte aufschneiden, um das Umwälzvolumen zu vergrößern. Das Ganze dürfte sich noch bis zu 72 Stunden hinziehen. Zeit genug für dich, deinen Job dort unten sauber zu erledigen und alles hochzubringen.«

»Das sagt mir ein Genie, das diesen Umstand nicht mit eingeplant hatte ...«

»Wie du weißt, hatte ich damals nicht die Zeit, um die Station ...«

»… Die Station fertigzustellen. Ja, ja, das sagtest du mir schon einige tausend Mal. Vielleicht mal zur Abwechslung etwas Neues, Herr Professor?«, unterbrach ihn Thomas spitz.

»Oh? Wir sind aber heute gar nicht gut gelaunt!«, konterte Simon. »Was ist es denn heute?«

Thomas zuckte unwillkürlich zusammen. Offenbar hatte ihn der Professor schon länger beobachtet. Das hatte jedenfalls gesessen. Seine Launen hatten in der Tat in den letzten Wochen an Stärke zugenommen. Seit er diesen fremden Malcorianer aus den Klauen eines anderen Malcorianers namens Looma in letzter Sekunde vor dem sicheren Tod gerettet hatte, war Gloria dem Bewusstlosen nicht mehr von der Seite gewichen. Zugegeben, ein wenig sonderbar war sein Verhalten schon, denn Gloria, die scheinbar letzte noch körperlich Überlebende eines untergegangenen Volkes, sorgte sich lediglich um einen der Ihren. Dieser war zwar gerettet worden, lag aber aufgrund der Schwere seiner Verletzungen immer noch auf der Krankenstation in einem Plasmabad. Ein Behältnis, das verletzte Körper und dessen Organe bis zu einem gewissen Grad regenerieren konnte. Je länger der Aufenthalt jedoch in dem Bad andauerte, desto schwieriger gestaltete sich die Chance auf Genesung. Augenblicklich befand sich die Person noch ohne Bewusstsein.

»Simon, ich ...« Thomas zögerte. Er wollte sich erklären, wusste aber nicht, wie er es anstellen sollte. Zurzeit stand er sich mehr im Weg als alles andere.

»Ja, Thomas?«

»Ach, vergiss es einfach. Schickst du den Transporter schon mal vor?«

»Kann ich machen. Hast du noch was zu erledigen?«

Doch in dem Moment, als ihn der körperlose Professor, dessen Bewusstsein in den Speicherbänken der Station weilte, fragte, hatte er sich bereits wortlos kopfüber den steilen Abhang hinuntergestürzt.

»Thomas!«, schrie ihm die Stimme des Professors hinterher.

Ein Gefühl der Gleichgültigkeit durchströmte den Wissenschaftler während seines freien Falls. Meter für Meter stürzte er stumm und scheinbar lebensmüde der Talsohle entgegen. Sein Augenmerk war ins Tal gerichtet. Für ihn fühlte es sich an, als dehnten sich die Sekunden zu Minuten. Er spürte, wie er sprichwörtlich loslassen konnte. Ein Moment der vollkommenen, inneren Ruhe, die ihn beseelte. Er schloss seine Augen. Jeder normale Mensch hätte spätestens jetzt mit seinem Leben abgeschlossen. Thomas nutzte die Zeit, um sich für den heutigen Tag zu sammeln. Der Sprung holte ihn bislang jedes Mal zurück in die reale Welt. Ein kleiner Kick, den er auskostete. Das Gefühl der Klarheit wischte seine Depression beiseite. Für heute wusste er, wie seine Aufgabe lautete: Nämlich anhand der vom Professor erstellten und übertragenen Liste diverse Tierarten einzufangen und mittels des vorausgeschickten Transporters auf die Station zu befördern. Er musste dabei unwillkürlich lächeln, als er vor einigen Tagen im Gespräch mit Simon bemerkte, dass die mit den Phasenscannern angeschaffte Flora bislang gänzlich ohne Tiere auskommen musste. Ein Umstand, der Thomas nicht nur beklemmend vorkam, als er in der neuen zusammengefügten Landschaft seine Spaziergänge unternahm. Es war dort gespenstisch ruhig und auffällig windstill. Viele Pflanzen waren jedoch auf die Hilfe verschiedenster Tierarten zur Bestäubung oder zur Verteilung ihrer Samen und Keimlinge angewiesen. Thomas beschlich bei dem Gedanken ein klein wenig Genugtuung dem Professor gegenüber, der seine Intelligenz nur allzu oft der Menschheit, also ihm als dessen Vertreter, auf größtmögliche und geringschätzigste Art und Weise darzulegen pflegte. Dabei wusste er auch, dass sein Argument der noch nicht fertiggestellten Station, das er zu jeder passenden Gelegenheit vorschob, nicht unbedingt haltbar war. Er hätte ihn direkt bei den Hörnern packen können, jetzt, da er seine viel zu klein dimensionierten Luftschächte vergrößern ließ. Aber dafür liebte er zu sehr die Sticheleien des Professors, die er ihm sicher zu einer anderen, passenderen Gelegenheit vorsetzen würde. Jetzt, im freien Fall und kurz vor dem nahenden Aufprall, verspürte er durch den Drang seines Symbionten das Bedürfnis, zu fliehen. Doch anders, als es noch vor einiger Zeit in der Pyramide zu einer reflexartigen, nicht kontrollierbaren Flucht des Forschers gekommen war, hatte er inzwischen gelernt, die Instinkte des Symbionten zu verstehen und zu beeinflussen. Erst im allerletzten Moment löste sich sein Körper in unzählige, feine Staubteilchen auf. Eingesogen in seine Manschette. Letztlich löste sich auch diese im Nichts auf. Ein Vorgang, den man mit bloßem Auge nicht nachvollziehen konnte, denn es geschah mit rasender Geschwindigkeit.

»Simon! Was ist passiert? Was ist mit Thomas? Wo ist er?«

»Hm? Wie? Was meintest du eben, Gloria?«

»Simon!«, ermahnte sie ihn. »Du hast die Lautsprecher an und hast gerade ziemlich aufgebracht geklungen, als du Thomas erwähntest. Also: Was ist da gerade eben bei euch losgewesen?«

»Ach, hab ich die Lautsprecher etwa ....?«, Simon gab sich verwundert. »Nichts, Gloria. Es war rein gar nichts. Alles in bester Ordnung.«

»Simon!«

»Na schön. Er hat sich mal wieder von der Felswand gestürzt. Nicht weiter schlimm.«

»Nicht weiter schlimm, sagst du?«

»Ja doch! Bei seinem ersten Versuch vor zwei Wochen war es durchaus noch überraschend für uns, findest du nicht?«

»Wie kannst du nur so ruhig bleiben! Du weißt doch, was mit den anderen Miles geschah, Simon! Oder hast du das bereits wieder vergessen?«, entgegnete Gloria mit spitzer Zunge.

»Natürlich weiß ich das, meine Liebe. Nicht umsonst haben wir beide doch gemeinsam den ersten Check-up-Schutz auf seine Manschette aufgespielt, oder? Wäre er also infiziert gewesen, hätte ihn das Virus, zusammen mit der Manschette, schon längst wieder ausgespuckt.«

»Aber können wir uns dessen sicher sein?«, hakte sie nach.

»Letztendlich können wir uns dessen nie zu hundert Prozent sicher sein. Aber zu 99 prozentiger Wahrscheinlichkeit kann ich doch relativ guten Gewissens schlafen. Du etwa nicht? – Halt! Warte mal! Das stimmt ja so gar nicht«, gab sich der Professor betont ernst.

»Ich hab‘s gewusst«, seufzte Gloria nicht im geringsten überrascht. »Deine Berechnungen sind falsch und dir ist etwas entgangen, nicht wahr?« Sekunden des Schweigens.

»Ich muss ja gar nicht schlafen,« stellte die körperlose Existenz erleichtert fest.

»Oh, mein Gott, Simon! Du verhältst dich manchmal echt kindisch! Du wirst schon wie Miles.«

»Im Übrigen, meine Liebe, möchte er nicht so genannt werden«, antwortete er ironisch.

»Verstehe ich nicht. Er gab sich doch den Namen.«

»Gegenüber den Menschen auf der Erde. Hier nicht«, entgegnete Simon.

»Außerdem!« Simon wurde wieder ernst. »Falls es dich beruhigt: Ich habe der Manschette zusätzlich mehrere Koordinaten einprogrammiert. Kurz bevor du sie ihm angelegt hast. Eine zusätzliche Sicherheit für uns und natürlich auch für die Menschheit – wollte ich nur mal am Rande erwähnt haben.«

»Rück schon raus damit. Was für Koordinaten?«

»Zielorte, an denen selbst ein Miles nicht überleben könnte.«

Gloria nickte betreten. Jetzt war sie zur Mitwisserin geworden.

»Hmm. Ich glaube, wir sollten so langsam wirklich wieder an die Arbeit gehen«, bemerkte die junge Frau mit nachdenklicher Miene. »Ich kann hier auf der Krankenstation ja sowieso nicht viel ausrichten.«

»Ach, wie schön, dass du das sagst.«

»Simon! Kannst du vielleicht auch mal zur Abwechslung ernsthaft bleiben?«

»Und kannst du, Gloria, dich auch mal zur Abwechslung um unseren Hightech-Barbaren kümmern und nicht immerzu um das neue Besatzungsmitglied, das ohnehin im Plasmabad verweilt und somit nicht deiner Hilfe bedarf?«

»Wo hält er sich denn gerade auf?«, lenkte sie den Professor auf dem Weg zur Hauptzentrale ab.

»Finde es heraus. Übrigens, den Transporter zum Bergen der Tiere habe ich bereits vorausgeschickt. Er wird auf der Erde am vereinbarten Platz auf unseren Freund warten. Ich für meinen Teil widme mich wieder den Riten und Gesetzen der Barbaren dort unten auf der Erde. Vielleicht können wir daraus irgendwann einmal Kapital schlagen.«

»Und die Luftschächte?«

»Laufen automatisiert. Sobald die Arbeiten abgeschlossen sind, ziehe ich mich wieder aus deinem Arbeitsbereich zurück. Du erhältst dann als technische Wissenschaftlerin wieder die volle Aufsicht und Kontrolle über das Biosphärenprojekt. So, wie es ursprünglich von den Oberen vorgesehen war.«

2 Mondoberfläche

»WOW, unglaublich!«

Mit dieser Feststellung begann er häufig sein selbst auferlegtes tägliches Training, das für gewöhnlich außerhalb der Mondstation stattfand. Sein Trainingsziel bestand darin, seine neu erworbenen Fähigkeiten kennenzulernen, zu begreifen, sie anzuwenden und auszubauen. Eben noch in der Station, hatte er gespürt, wie er seine Macht dem Symbionten gezielt aufzwingen konnte. Er hatte die Zeit zur Auflösung seines Körpers erneut erheblich hinauszögern können. Außerhalb der Station hatte er sich in eine für Menschen tödliche Umgebung transferiert. Hier, auf der Mondoberfläche, war er mehr als nur ein Mensch. Dort wurde er zu Miles, einem Soldaten aus einer längst vergangenen Welt, die es seit Jahrtausenden nicht mehr gab. Zerstört von den Miles selbst. Auf der Erde war er selbst zu einer angeblichen, alles vernichtenden Gefahr für die Menschheit geworden.

Immer, wenn er sich draußen auf der Mondoberfläche zu orientieren versuchte, hielt er unwillkürlich nach dem Blauen Planeten Ausschau. Die Erde war zu seinem Kompass geworden. Jedes Mal, wenn er auf sie hinabblickte, war er von ihrer Schönheit bis in sein Innerstes ergriffen. Diese Momente teilte der Wissenschaftler mit niemandem. Fast tat es ihm dabei leid, dass nur er die Möglichkeit besaß, den blauleuchtenden Ball auf diese Art und Weise zu erfassen.

»WOW! Welcher Mensch würde sich nicht bei diesem Anblick bekehren lassen, um fortan Gutes auf der Erde und für seine Bewohner zu tun?«, sprach er den Gedanken unverhallt hinaus.

Thomas betrachtete nachdenklich seine Manschette. Sie hatte sein Leben innerhalb kürzester Zeit einem radikalen Wandel unterworfen. Mit ihr zu einer Einheit verschmolzen, war er zu einem Wesen mit ungeahnten Kräften mutiert. Ein Virus oder vielmehr ein symbiotisches Virus, das nur ein Bestreben kannte, nachdem es in ihn eingedrungen war: das des eigenen Überlebens. Dazu klammerte es sich an jeden Nährboden, auf dem es sich ungehindert ausbreiten durfte, um sein eigenes instinktgesteuertes Überleben zu sichern. Eine irreversible Trennung, wie ihm schon Simon die lebende Station offenbart hatte. Zum Dank offenbarte es seinem Träger Fähigkeiten der Regeneration und für menschliche Begriffe unglaubliche Stärke sowie ein gesteigertes, instinktgesteuertes Verhalten. Letzteres hatte ihn einen Raketenangriff zweier Kampfjets unverwundet überstehen lassen, so dass er sich im buchstäblich letzten Moment transferieren konnte. Umhüllt wurde sein Körper mit einem einzigartigen Abwehrmechanismus. Ein Schutz, der durch jede Ader, jede Pore seines Körpers strömte. Dieser Strom war dafür verantwortlich, dass sich seine normale Haut bei Anzeichen von Gefahr grünlich verfärbte, anschwoll und sich um ihn herum als nahezu unzerstörbaren Panzer legte. Dabei wurde der kugelsichere Anzug von einem orangefarbenen, unablässig pulsierenden Strom aus dem Inneren seines Körpers gespeist. Dieser ermöglichte es, seine Struktur an besonders benötigten Stellen zu dehnen und somit zu kräftigen. Aufgrund seines Trainings hatte er herausgefunden, dass die Erfinder der Miles-Manschette ein paar weitere nützliche Gimmicks angebracht hatten, die seinen Anzug zusätzlich unterstützten. Seit Kurzem wusste er, dass er durch Gedankensteuerung gezielte Energiestöße über seine Manschette abfeuern konnte. Thomas bemerkte schnell, dass er noch immer am Anfang seiner eigens auferlegten Ausbildung zum 'Miles somno excitans', dem auferweckten Soldaten, gegen die Menschheit stand. Denn eines stand fest: Die Bewohner auf der Erde setzten alles daran, um sich vor dem 'Miles' zu schützen. Auch wenn der neuliche Angriff ihrer Atomwaffen gegen die Station nichts ausrichten konnte, wusste er, dass sie niemals in ihren Anstrengungen nachlassen würden, bis sie dieses Ziel erreicht hatten. Die Frage, die er sich dabei stellte, war nur, wann.

»Thomas! Wo treibst du dich schon wieder herum?«, unterbrach ihn unvermittelt eine weibliche Stimme, die sich seit Wochen offenbar nur noch um eine andere Person ihres Volkes sorgte.

»Muss ich darauf jetzt antworten? Du weißt es doch bereits. Oder hast du mich nicht schon mittels des eingebauten Senders in der Manschette lokalisiert?«, reagierte er gereizt auf ihre Frage. »Haltet ihr mich eigentlich für völlig bescheuert? Was willst du von mir, Gloria? Hat dich der Professor aufgefordert, mit mir 'Konversation' zu betreiben, weil du für seine Begriffe bereits zu viel Zeit mit jemandem verbringst, der nach wie vor bewusstlos in einem Regenerationsbecken herumliegt?« Er wartete auf eine Antwort, die nicht kam. Für gewöhnlich hatte er eine ihrer hochnäsigen, aufs höchste Maß beleidigten Aussagen erwartet. Denn nach ihren Maßstäben galten die Menschen allesamt als unzivilisiert und barbarisch.

»Du hast recht. Es tut mir leid«, hörte er nach langem Schweigen die Antwort aus seinem Empfänger.

Thomas hatte mit einer heftigen Gegenreaktion gerechnet. Doch als diese nun ausblieb, taten ihm seine kopflos geäußerten Worte bereits wieder leid und eine Welle des Zorns durchströmte ihn. Warum hatte er wieder einmal auf diese Art und Weise reagieren müssen? Warum?

»Gloria! Es tut mir ...«

»Der Transporter hat seinen Zielort erreicht«, unterbrach sie ihn mit kühler Aussage.

»Verstan ...«

Sie hatte die Verbindung bereits gekappt und er hatte sich nicht mehr entschuldigen können. Eine kleine Felsformation, keine hundert Meter von ihm entfernt, musste zum Abbau seiner Wut herhalten. Dafür hob er nur kurz seinen linken Arm, an dem auch seine Manschette angebracht war, und zielte damit aus den Augenwinkeln heraus auf den ausgemachten Felsen. Eine kurze Blitzentladung erfasste den kleinen Fels und umhüllte ihn für Millisekunden in grell orangefarbenes Licht. Von Rissen durchzogen, die durch den gewaltigen Druck im Inneren des Körpers spontan erzeugt wurden, zerbarst er lautlos in alle Himmelsrichtungen. Von dem zehn Meter hohen und vier Meter breiten Felsen blieb nur mehr ein Haufen winziger Trümmer übrig, die sich infolge der geringen Schwerkraft langsam über die Mondoberfläche verteilten.

Thomas hatte das Schauspiel nicht mitverfolgt. Gleichgültig hatte er sich wieder der Erde zugewandt und war kurz darauf entmaterialisiert.

»Hast du das gesehen, Simon?«

»Von Thomas eben? Ist nicht das erste Mal. Er hat es vor drei Tagen herausgefunden und feilt jetzt an den Möglichkeiten, die ihm seine neue Waffe bietet.«

»Hast du gesehen, was seine Wut in ihm ausgelöst hat? Er hat ohne größere Anstrengung aus dem Handgelenk den Felsen pulverisiert! Das macht mir Sorgen. Zum Glück hat er nicht hingesehen, sonst wäre er womöglich selbst erschrocken. Noch gestern konnte er nur unter größter Anstrengung ein kleines Loch in den Boden schießen.«

»Er lässt sich auf seinen Symbionten ein und beginnt ihn zu verstehen und zu kontrollieren, Gloria. Er wird täglich stärker und wird mehr und mehr versuchen, seine Grenzen auszuloten. Umso enger wird auch die Bindung der beiden werden, denn auch sein Symbiont wird schnell merken, dass er sich einen guten Wirtskörper ausgesucht hat.«

»Was ist, wenn er wie seine Vorgänger wird? Hast du dir das einmal vorgestellt? Was haben wir nur getan? Er wird die Erde vernichten und es wird wieder die Schuld von Malcorianern sein. Obwohl ich den Planeten meiner Eltern nur von Bildaufzeichnungen und Erzählungen kennengelernt habe, kann ich mir langsam vorstellen, wie die Miles auf ihm gewütet haben mussten, bevor sie ihn zerstörten.«

»Gloria, als ein Überlebender der Katastrophe von einst, lass dir gesagt sein: Die kleine Kostprobe, die du eben gesehen hast, ist nichts im Vergleich zu dem, was auf Malcors geschehen ist. Um es besser auszudrücken: Potenziere das hier mit dem Faktor eine Milliarde, dann, meine Liebe, erhältst du einen wunderschönen Asteroidengürtel, der unser derzeitiges Sonnensystem ziert.«

3 Mars

Über drei Wochen weilte er schon auf diesem Planeten, den er bis vor kurzer Zeit nur aus Geschichtsbüchern und Satellitenbildern kannte. Dass er dort gerade leben und atmen konnte, verdankte er den Erwachten, die Monate zuvor von seiner Regierung, in ihren Särgen, aus der Cheopspyramide entführt worden waren. Jene Särge, die sie bis zum Aufprall der Mondsonde nicht öffnen konnten. Es war der Entdeckung des deutschen Wissenschaftlers Thomas Martin geschuldet, dass sich die Kapseln nunmehr geöffnet hatten. Schnell stellte sich heraus, dass diese 'Särge', von den Fremden auch Flem genannt, keine Mumien beherbergten, sondern in Tiefschlaf versetzte Menschen. Sogenannte Malcorianer. Sie berichteten von der Station auf dem Mond und die verantwortlichen Militärs erkannten schnell den strategisch wertvollen Vorteil darin. Im Dienste dieser Regierung war er ihr als Computerspezialist unterstellt worden. In einem kleinen Team wurde er zusammen mit zwei Malcorianern, die die fliegenden Kapseln steuerten, zur Mondstation entsandt. Das Ziel: Eroberung und Einverleibung der Technologie. Doch die Mission scheiterte und führte ihn ungewollt an diesen Ort. Sein Einsatzteam gab es nicht mehr. Die Geheimmission zur Mondstation ebenso wenig. Hoffnung auf Rettung? Absurd. Technologien, die es vermutlich ermöglicht hätten, wurden nie geborgen. Kurz dachte er über diesen höchst außergewöhnlichen Einsatz nach.

Durch einen Trick waren sie vor zwanzig Tagen in die Station eingedrungen. Hochmütig wähnte man sich schon als Eroberer. Die Station schien seltsamerweise kaum bewohnt zu sein. Nur eine Person hatte man überwältigen müssen. Eine große, schlanke, rothaarige Frau in weißer Uniform, die zu ihrer Überraschung, als sie die Ankömmlinge begrüßen wollte, sich sofort von den Waffen seines Teams bedroht sah. Trotzdem geriet die Eroberung schnell ins Stocken. Anfangs konnten sie das Herzstück, die Zentrale, noch problemlos einnehmen. Er, als speziell für diesen Einsatz ausgebildeter Computerspezialist, musste bald feststellen, dass sich auf der Station noch andere Wesen aufgehalten hatten, die gegen sie arbeiteten. Der Zugriff auf die Datenbank, die er intuitiv verstanden hatte, wurde ihm von anderer Stelle rasch entzogen. Schlussfolgernd musste es also zwangsläufig andernorts eine weitere Zentrale, eine sogenannte Notzentrale, gegeben haben. Auf seinen Vorschlag hin, die Kontrolle über die Station erneut zu erlangen, machten sich zwei kleine Teams auf, den Ort der zweiten Zentrale ausfindig zu machen und ihn sicherzustellen. Zeitgleich erwachte jedoch die Station zu einem gespenstischen Eigenleben. Ausschwärmende Arbeitsrobotor bereiteten den beiden Außenteams ein mühsames Vorankommen. Plötzlich stand da dieses Wesen direkt vor ihm. Aus dem Nichts heraus fixierte es ihn in unmittelbarer Nähe. Auf jeden Fall wollte es ihn von seiner Arbeit abhalten. Er fragte nicht lange und feuerte auf das Wesen einen Schuss aus seiner Pistole, die er instinktiv gezückt hatte. Es zeigte jedoch keine Spur einer Verletzung. Das grüne Ding hatte nicht einmal gezuckt, bis es mit einem Mal aus seiner Starre erwachte. Ein unheimliches und noch dazu lautes Grollen verließ die Kehle des grünen Monsters, ehe es ihn mit einem gezielten Schlag ausknockte. Alles um ihn herum versank in tiefer Dunkelheit. Als Nächstes erinnerte er sich nur noch daran, dass er auf der gegenüberliegenden Seite der Hauptzentrale aufwachte und starke Schmerzen verspürte. Seine Hand war gebrochen und sein restlicher Körper fühlte sich an wie durch die Mangel genommen. Seine Kraftreserven reichten gerade noch aus, um mit dem überlebenden Teammitglied Looma von der Station zu flüchten. Versuche, den Rest der Mannschaft über Funk zu kontaktieren, schlugen fehl. Eine mitgeführte Wasserstoffbombe sollte im Falle eines Scheiterns die Station zerstören und für niemanden mehr von Nutzen sein.

Er, Richter, glaubte zu diesem Zeitpunkt noch 'sauber' und insgeheim verdeckt vor anderen Nationen gearbeitet zu haben. Schließlich war er davon ausgegangen, dass die Bombe nur im Notfall und dann auch nur im Innern der Mondstation gezündet worden wäre. Doch 'Murphys Gesetz' kannte keine Gnade. So kam es, wie es kommen musste. Die Bombe war durch das zuvor gesprengte Hallendach mit den Flems und dem entstanden Sog des einströmenden Vakuums ins All gesogen worden. Die anschließende Detonation erfolgte in weiter Höhe über der Station mit einer gewaltigen Blitzentladung. Schaden nahm das kuppelartige Gebäude auf der Mondoberfläche nicht. Jedoch offenbarte sie sich jetzt infolge des aufgewirbelten Staubes in ihrer gesamten Größe. Ihre Ausmaße waren wahrhaft gigantisch. In ihrer Länge maß sie über 4‘000 Meter. In der Breite 3‘000 Meter und in ihrer Höhe noch stolze 900 Meter. Auch auf dem Erdplaneten musste man auf das unerklärliche Ereignis aufmerksam geworden sein.

Im Moment hatte er aber gerade andere Probleme, die ihn beschäftigten. Immerhin saß er jetzt auf einer anderen, noch weitaus größeren Bunkeranlage hier auf dem Mars fest. Von seiner Einheit war er mit Sicherheit schon als 'vermisst im Einsatz' gemeldet worden. Das hieße, dass er offiziell nach Ablauf von drei Monaten nach dem regulären Standardverfahren für tot erklärt werden, und seine Vermisstenakte mit einem kleinen Vermerk geschlossen würde. Fast ein Monat war davon verstrichen, ohne dass er sich bei seiner Einheit auf der Erde hätte bemerkbar machen können. Zumindest redete er es sich ein, denn eigentlich verspürte er nicht im Geringsten das Verlangen, sich mit allen Mitteln bei seinem Arbeitgeber melden zu müssen. Die Tatsache spurlos verschwunden zu sein, war für ihn im Augenblick um einiges reizvoller. Außerdem wusste er nicht, wer seine Nachricht, vorausgesetzt er könnte eine versenden, dekodieren und lesen würde. Da waren zunächst einmal viele Behörden seines eigenen Landes, die mit ähnlich guten Abhörinstrumenten wie die der Army arbeiteten. Einige unter ihnen waren sogar unter Verdacht geraten, seit längerer Zeit Insiderwissen für sehr viel Schmiergeld außer Landes zu verkaufen. Dann waren da noch die üblichen Verdächtigen wie Russland und China nebst diverser Kleinstaaten, denen man von Haus aus misstraute. Um nicht zu vergessen: Die Bewohner der Mondstation gab es natürlich auch noch.

Nein, zu riskant