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Herstellung und Verlag:
Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-8391-7888-1

Zu diesem Buch:
Zunächst galten Seelsorge und Psychotherapie als je eigene, grundsätzlich voneinander unterschiedene Disziplinen, die sich gerade deshalb bei Bedarf miteinander verbinden ließen. Das hat sich seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts grundlegend geändert. Da ist auf der einen Seite - in der seinerzeit so genannten neuen Seelsorgebewegung - Seelsorge mit Psychotherapie geradezu identifiziert worden, während von evangelikaler Seite hier eine Konkurrenz in wechselseitiger Ausschließlichkeit diagnostiziert wurde. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Die vorliegende Studie zeichnet diesen Wandel nach. Und sie lädt dazu ein, die in dieser Auseinandersetzung vorgebrachten Argumente noch einmal zu überdenken. Denn sie verfolgt kein historisches, sondern ein systematisches Interesse und zielt auf eine sachliche Klärung der Frage, „Seelsorge und/oder Psychotherapie?“, in seelsorglicher und psychotherapeutischer Verantwortung.

Der Autor:
Dr. Reinhard Scheerer war lange Jahre als theologischer Lehrer tätig, zunächst als Dozent für neuere Kirchengeschichte an der Freien Universität Norddeutschland in Seevetal bei Hamburg, dann als Professor für Theologie und Philosophie am Nile Theological College in Khartum. Seit seiner Rückkehr aus dem Sudan arbeitet er als Heilpraktiker für Psychotherapie in eigener Praxis in Kaltenkirchen/Holstein.

Inhaltsverzeichnis

Einführung

„Wachsamkeit gegenüber der Gruppendynamik“

Vom seelenkundlichen Lehrbuchcharakter der Bibel

Angewandte Psychologie oder Okkultismus?

“Wider die Psychohäresie in der Seelsorge“

Biblische Seelsorge contra Psychotherapie?

Psychotherapie und New Age

Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Einführung

Seelsorge und / oder Psychotherapie, das ist heute eine lebhaft diskutierte Frage. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass es so etwas wie eine nahezu selbstverständlich anmutende Übereinstimmung gab – in doppelter Hinsicht: (1) Lebensberatung ohne geistliche Zielsetzung ist keine Seelsorge; und (2) Unter dieser Voraussetzung schließen sich Seelsorge und Psychotherapie jedenfalls im Grundsatz nicht wechselseitig aus. Ich halte diese gänzlich unaufgeregte Sicht, wie sie zum Beispiel von Theodor Bovet, Adolf Köberle, Christa Meves und anderen vertreten worden ist, auch heute für richtig und möchte das im Folgenden begründen. Aber wie das so ist: Solche Überzeugungen entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern vor dem Hintergrund einer Biografie - und deswegen fange ich am besten damit an, dass ich mein Theologiestudium an der Kirchlichen Hochschule Bethel begonnen habe. Bethel, genauer: die Bodelschwingh’ schen Anstalten in Bethel, sind die wohl größte diakonische Einrichtung zur Behandlung und Pflege psychisch Kranker in der alten Bundesrepublik. Mit einem ausgewiesenen Forschungsschwerpunkt „Epilepsie“. Und da gehörten Psychologie-Vorlesungen ganz selbstverständlich mit zum Theologiestudium. Vom ersten Semester an. Die in den verschiedenen Krankenhäusern in Bethel tätigen Ärzte haben das unterrichtet; ich erinnere mich noch gut daran. Das war Anfang der siebzigerer Jahre; da war gerade die Gesprächspsychotherapie nach Carl Rogers „in“. Und gehörte deshalb ganz natürlich auch in die Seelsorgeausbildung. Später war es dann die themenzentriert-interaktive Methode nach Ruth Cohn; schließlich sollten wir immer auf dem neuesten Stand sein. Beide Verfahren setzen eines voraus - Selbsterfahrung, Selbsterfahrung, und noch einmal Selbsterfahrung. Und so gehörte auch das ganz selbstverständlich mit zu meinem Stundenplan.

Was habe ich damals nicht alles gelernt - und woran habe ich mich damals nicht alles gestoßen! Das fing schon bei den Etiketten an; denn beide, Rogers und Cohn, gehören einer psychotherapeutischen Richtung an, die sich selbst als „humanistisch“ bezeichnet. Und Humanismus, das war auch damals schon in manchen Kreisen ein Schimpfwort! Noch schlimmer wurde es, als die Selbstverwirklichung als ein Kernziel dieser Methode vorgestellt wurde. Da schrillten bei vielen meiner Studienkolleginnen und -kollegen endgültig die Alarmglocken. Und sie protestierten, die einen lauter, die anderen leiser: Nicht ich, sondern Christus in mir, nicht Selbstverwirklichung, sondern Christuswirklichkeit müsse die Devise für uns Christen lauten! Dass Selbstverwirklichung im Sinne der humanistischen Psychologie die Verwirklichung dessen ist, was in uns angelegt ist, blieb ihnen darüber verschlossen. Und dass unsere Gesangbücher ein ganzes Stück dünner wären, wenn Paul Gerhard sich nicht in dieser Weise selbst verwirklicht und die Lieder geschrieben hätte, die ich heute noch so gerne singe, auch. Denn genau darum geht es bei dieser Art Selbstverwirklichung - dass der Dichter dichtet, der Maler malt, der Forscher forscht, der Pfleger pflegt… und damit genau das in die Welt trägt, was in ihm angelegt ist. Als Christ würde ich sogar sagen: Was Gott in ihn oder sie hineingelegt hat.

Und noch etwas blieb bei diesen Protesten unberücksichtigt, wurde vielleicht sogar von diesen Protesten verdeckt: Der entschiedene Protest der humanistischen Psychotherapie gegen Psychoanalyse und Verhaltenstherapie. So wurde der Begründer der humanistischen Psychotherapie, Carl Rogers, nicht müde, zu betonen, (1) dass Psychotherapie nur ein Sonderfall zwischenmenschlicher Beziehungen darstellt; (2) dass sie in der direkten Begegnung mit einem realen Menschen (und nicht mit einer Projektionsfläche) stattfindet; (3) dass Übertragung und Gegenübertragung lediglich Interpretationen und nicht das wirkliche Geschehen darstellen; (4) dass den Menschen ihre Erlebnisse grundsätzlich zugänglich sind; und (5) dass ihnen ihre Erinnerungen nicht gedeutet werden müssen.

Um so saurer stieß vielen von uns das Motto auf, das Rogers seiner Methode voran stellte. Es stammt von dem chinesischen Philosophen Lao Tse und lautet: „Wenn ich vermeide, mich einzumischen, dann helfen die Menschen sich selber. Wenn ich vermeide, Anweisungen zu geben, dann kommen die Menschen von selbst auf das rechte Verhalten.“ Rogers wollte damit sicherstellen, dass die Ratsuchenden im therapeutischen Prozess für sich selbst verantwortlich bleiben, und dass zuletzt sie selbst - und nicht ihre Therapeuten - ihre Probleme bearbeiten und ihre Schwierigkeiten lösen. Mit dieser Erklärung mochten sich viele von uns aber nicht zufrieden geben. Für sie klang das viel zu sehr nach Selbsterlösung. Und wer ganz feine Ohren hatte, der meinte aus diesen Sätzen sogar die Stimme der alten Schlange herauszuhören. Hatte diese Eva im Paradies nicht schon einmal eben dies versprochen - dass sie von sich aus darauf kommen könne, was gut und was böse, was richtig und was falsch, was recht und was unrecht sei? Zu unserer Entschuldigung kann ich nur anführen: Wir waren damals Studenten, Studienanfänger, um genau zu sein. Aber das focht uns in der Sicherheit unseres Urteils nicht an: Diese humanistische Psychotherapie - das konnte es ja nun wirklich nicht sein! Und sei es nur deshalb, weil sie uns zuletzt mit der Frage allein ließ: Wozu so viel studieren, wenn wir uns hinterher doch zurückhalten müssten?

Um so begeisterter wandten wir uns Jay Adams und der von ihm propagierten „nuthetischen“ Seelsorge zu. Ganz im Gegensatz zur humanistischen Psychotherapie befürwortete Adams eine sehr direktive Vorgehensweise. Ihr Name ist Programm: nuthetische Seelsorge - das Wort kommt aus dem Griechischen - heißt auf gut deutsch: ermahnende Seelsorge. Das konnten wir uns gut vorstellen - andere zu ermahnen. Gestützt auf unsere Bibelkenntnis, gestützt auf unser Verständnis der Gebote Gottes, so, wie wir uns dazu durch das Herrenwort Mt 18,15-17 ermächtigt fühlten. Aber das war nicht das einzige, was uns an Adams faszinierte. Ebenso attraktiv waren seine Anleihen bei der Verhaltenstherapie. Denn damit schien ein heiligmäßiges Leben aus eigener Kraft in greifbare Nähe zu rücken: Alles, was ihr dazu braucht, sind die entsprechenden Gewohnheiten, und ich zeige euch, wie ihr dahin kommt, schien Adams uns zu sagen. Es ist alles ganz einfach…

Da klingelten dann bei mir die Alarmglocken. Der Pharisäer aus dem Gleichnis von dem Pharisäer und dem Zöllner (Lk 18, 10-14) fiel mir dazu ein. Denn das war auch so einer, der ein heiligmäßiges Leben aus eigener Kraft führte. Und der dabei so fromm war, dass er Gott noch für das dankte, was er in dieser Beziehung selbst auf die Beine stellte. Und ich überlegte mir: Wenn das alles ist, wozu die Psychotherapie in der Seelsorge taugt, dann fahre ich womöglich besser ohne sie.

Die Erfahrung sollte mich eines Besseren belehren.

Denn worum geht es in der Seelsorge? Doch wohl um dreierlei - um Heil, Heiligung und Heilung. In dieser Reihenfolge. Das heißt: In der Seelsorge geht es zuerst und zuletzt um unser Heil. Darum, dass unser Gottesverhältnis in Ordnung kommt. Darum, dass wir eine Antwort auf die Frage Luthers erhalten: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? So gesehen hat Seelsorge keinen anderen Auftrag als die Predigt - sie soll das Wort Gottes, die Gute Nachricht, das Evangelium ausrichten. Sie soll erzählen, was Gott zu unserem Heil ein für allemal getan hat und immer noch und immer wieder für uns tut. Und sie soll uns einladen, uns darauf einzulassen, darauf zu vertrauen, daran zu glauben. Der Unterschied ist der: die Predigt richtet sich an alle, die Seelsorge an den einzelnen. Bei Evangelisationsveranstaltungen wird diese Unterscheidung vielleicht besonders deutlich. Da gibt es zunächst eine Ansprache, einen evangelistischen Vortrag, ein Stück Wortverkündigung, das sich an alle richtet. Und dann sind da die Seelsorgehelfer, die am Ende der Veranstaltung, nach dem „Ruf zur Entscheidung“, für Gespräche mit einzelnen zur Verfügung stehen - gewissermaßen als Geburtshelfer des neuen Menschen. Denn darum geht es in der Seelsorge so gut wie in der Verkündigung zu allererst: Dass wir in der Kraft des Todes und der Auferstehung Jesu Christi neu werden. Dass wir - aus Wasser und Geist - von neuem geboren werden, wie Jesus das in seinem Gespräch mit Nikodemus sagt (Joh 3, 5). Die Seelsorge ist deshalb so gut wie die Predigt immer auf das Sakrament hingeordnet; das Wort drängt zum Sakrament, ist recht eigentlich das Sakrament: Nicht von ungefährt ist die Seelsorge seit jeher im Zusammenhang mit Beichte und Absolution gesehen worden! Das ist das Proprium der Seelsorge. Darin ist sie ebenso unverwechselbar wie unverzichtbar. Das kann sie ganz allein - in der doppelten Bedeutung des Wortes. Das kann nur sie, und dazu braucht sie auch keine Hilfe, auch keine psychotherapeutische Hilfe.

Aber nun kann und darf Seelsorge natürlich nicht bei der Geburtshilfe stehen bleiben; das ist nur der Anfang. Denn der neue Mensch, der da geboren ist, der kann und will wachsen. Manche nennen das Heiligung. Da ist es ganz wichtig, dass die Seelsorge die Dinge ins rechte Licht rückt. Wir sind Heilige, ja. Aber nicht deshalb, weil wir von uns aus die Forderungen des Gesetzes erfüllen könnten, sondern weil wir in Christus Geheiligte sind. Das gilt es immer und immer wieder festzuhalten und einzuschärfen. Denn es ist so einfach, aus der Heiligung eine fromme Übung zu machen - wie der Pharisäer in dem Gleichnis das getan hat. Heiligung, das geht so-und-so, heißt es dann. Da musst du das-und-das machen. Dann bist du auf dem richtigen Weg. Aber das ist nicht Heiligung, das sieht nur so aus. Das ist der ideale Nährboden für geistlichen Hochmut. Demgegenüber hat Seelsorge immer wieder daran zu erinnern: Heiligung müssen wir uns nicht erkrampfen. Das ist ganz einfach - Wachstum. Das ist der Prozess, in dem immer deutlicher wird, was wir seit unserer Wiedergeburt bereits sind - eine neue Kreatur. Dabei kommt alles darauf an, dass die Seelsorge auch an dieser Stelle ganz bei dem ihr aufgetragenen Wort bleibt.

An dieser Stelle will ich ein Zeugnis geben: Ich habe lange Jahre geraucht. Und mir deshalb immer wieder anhören müssen: Deswegen kommst du zwar nicht in die Hölle, aber es zeigt, woher du kommst. Viele Geschwister haben mir zudem mit Nachdruck zu verstehen gegeben, dass ich endlich damit aufhören solle. Das passte für sie einfach nicht zu einem Christen. Ich hielt ihnen entgegen: Nicht was in einen Menschen hineingeht, verunreinigt ihn, sondern das, was aus ihm herauskommt (Mt 15, 11). Ihretwegen habe ich dann aber trotzdem versucht, mit dem Rauchen aufzuhören. Ich habe deshalb sogar einen Raucher-Entwöhnungs-Kurs besucht. Und bin kläglich gescheitert. Immer wieder. Solange ich mit mir darum gekämpft habe. Bis Christus mir eines Tages deutlich gemacht hat: „Was heißt hier: Du darfst nicht!? Und was heißt hier: Du sollst nicht!? Das sind die alten, überholten Maßstäbe. Die gelten für dich nicht mehr. Seit du ein neuer Mensch bist, gilt für dich etwas ganz anderes: Du brauchst nicht!“ Er hatte recht; mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Seither rauche ich nicht mehr.

Um es - auch vor diesem Hintergrund - noch einmal ganz deutlich zu sagen: Wo es um das Heil geht, da kann die Seelsorge keine Anleihen bei der Psychotherapie aufnehmen, denn die Psychotherapie hat nichts zu bieten, was ihr dabei eine Hilfe sein könnte. Da hat die Seelsorge alles, was sie dazu braucht; in dieser Beziehung ist sie weder ergänzungsbedürftig noch ergänzungsfähig. Und wo es um die Heiligung geht, da darf die Seelsorge keine Anleihen bei der Psychotherapie aufnehmen, will sie nicht einem falschen Heiligungsverständnis Vorschub leisten. Hier kommt es vielmehr darauf an, dass sie ganz bei ihrem Herrn bleibt und Ihn und Sein Werk allein groß macht. Zwar gibt es vor allem in der Verhaltenstherapie jede Menge Tipps und Tricks, wie man neue Gewohnheiten schaffen und alte ersetzen kann. Zur Heiligung trägt sie damit jedoch nichts bei, im Gegenteil! Denn nicht wir, sondern Christus heiligt uns. Wir leben dann „nur“ noch so, dass das auch deutlich wird.

Aber nun geht es in der Seelsorge nicht nur um Heil und Heiligung, sondern auch um Heilung. Und das mit gutem Grund. Denn wem das Heil widerfährt, wer geheiligt wird, der erfährt auch Heilung. Wenn auch nicht immer so, wie er oder sie sich das vorstellt. Das prominenteste Beispiel dafür ist sicherlich der Apostel Paulus. Von ihm wissen wir, dass er Zeit seines Lebens unter einer nicht näher bezeichneten Krankheit litt. Alles, was wir von ihr wissen, ist, dass sie ihn so stark quälte, dass er sie als Pfahl in seinem Fleisch empfand (2 Kor 12, 7). Und wir wissen auch, dass er diese Krankheit nicht deshalb hatte, weil ihm der rechte Glaube fehlte. Denn wenn einer den rechten Glauben gehabt hat, dann doch wohl der Apostel! Der in der Seelsorge viel zu oft gehörte Satz: „Wenn du nur den rechten Glauben hättest, dann wärst du auch nicht krank!“, ist deshalb nicht biblisch. - Ebenso unbiblisch ist aber auch die Behauptung: „Wenn jemand krank ist, dann deshalb, weil Gott ihm mit dieser Krankheit etwas sagen will. Er darf deshalb nur in der Seelsorge genesen. Ihn mit anderen Mitteln und Methoden heilen heißt, Gott in den Arm fallen.“ Denn Paulus empfiehlt Timotheus nicht etwa Seelsorge, sondern - Wein für sein Magenleiden (1 Tim 5, 23).

Das heißt, hier, an dieser Stelle, wo es um Heilung geht, da, aber auch nur da, reicht Seelsorge allein nicht immer aus. Da muss sie erkennen können, wo der Arzt, wo der Psychotherapeut gefordert ist - und offen sein dafür, ärztliches bzw. therapeutisches Handeln in sich aufzunehmen, zu integrieren, oder doch zu begleiten. Ich sage das nicht zuletzt deshalb so entschieden, weil mich noch während meines Theologiestudiums die Geschichte der Anneliese Michel erschüttert hat, die 1976 im fränkischen Klingenberg in der Seelsorge starb, weil ihre Seelsorger die Therapie einer Magersüchtigen durch Seelsorge meinten ersetzen zu können. Dieselbe Meinung begegnet aber auch heute noch. Sie spiegelt einerseits die Position Sigmund Freuds, des Begründers der Psychoanalyse: Freud hat in Abgrenzung von der kirchlichen Seelsorge für seine psychoanalytische Behandlungstechnik den Begriff „Weltliche Seelsorge“ geprägt, weil er in jedem Gottesbild ein übermächtiges, verinnerlichtes Vaterbild sah. Andererseits wird dazu auf die neuere Entwicklung verwandter tiefenpsychologischer Ansätze verwiesen. Viele von ihnen haben sich zwar von der Psychologisierung aller Religion und jedes Glaubens abgewandt, dafür aber seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine immer größere Nähe zu Zen-Buddhismus, Taoismus, Yoga, Sufismus usw. entwickelt. Nicht von ungefähr sind sie längst zum Forschungsgegenstand der Religionswissenschaft geworden: Psychoanalyse und analytische Psychologie sowie die daraus abgeleiteten Verfahren erscheinen hier als Aspekte einer Sorge um Heilung, die selbst religiöse Züge trägt. Besonders deutlich wird dies an Scientology, die sich selbst bzw. die ihr zugrundeliegende Theorie, „Dianetik“, ausdrücklich als Wissenschaft von der geistigen Gesundheit vorstellt. Hier kann es in der Tat nur ein Entweder-Oder geben.

Allerdings ist Psychotherapie nicht mit der Psychoanalyse Freuds oder verwandter tiefenpsychologischer Ansätze identisch. Hier ist deshalb einer vorsichtigen Vermittlung das Wort zu reden. Doch selbst das fällt nicht immer leicht. Zu klapprig scheinen viele der psychologischen Modelle, zu wenig schmeichelhaft ihr Ansatz, zu undurchsichtig ihre Methoden. Dazu drei Beispiele:

(1) In der Psychoanalyse stellt das sog. Instanzenmodell die Seele des Menschen als einen nach energetischen Prinzipien funktionierenden Apparat vor. Dieser Apparat besteht aus drei Teilen, „Es“, „Ich“ und „Über-Ich“, und funktioniert in einer nachgerade mechanistisch anmutenden Weise nach dem sog. Lust-Unlust-Prinzip. Das ist jetzt einigermaßen abstrakt formuliert. Zum besseren Verständnis möchte ich deshalb eine kleine Geschichte dazu erzählen: Da wird gerade die Bäckerei in unserer Straße umgebaut, der Laden ist darum geschlossen. Vor dem Laden steht ein Verkaufswagen, und wenn ich daran vorbei komme, sehe ich den Kuchen, rieche den Kaffee - und schon meldet sich mein „Es“, der Repräsentant des Lustprinzips: „Au ja, kauf dir was! Das riecht! Das schmeckt!“ Gleich fällt ihm das „Über-Ich“, der Repräsentant der Wertewelt, ins Wort und artikuliert das Unlust-Prinzip: „Finger weg! Du wirst fett! Und deine Frau schimpft mit dir!“ Geschlichtet wird dieser Streit von meinem „Ich“, dem Repräsentanten des Realitätsprinzips: „Mal sehen, was haben wir heute morgen denn gewogen? Können wir uns das leisten?“

(2) Die Verhaltenstherapie erklärt das menschliche Verhalten nach demselben Lust-Unlust-Prinzip als Ergebnis von klassischer und operanter Konditionierung – sprich: als Ergebnis von Dressur. So wenig schmeichelhaft das ist: Auch das kennen wir alle. Weil wir so erzogen worden sind. Und das machen wir auch alle, wenn wir kleine Kinder haben, bei denen mit Erklärung, Vernunft, Einsicht noch nicht viel zu machen ist. Da verlegen wir uns genau darauf, erwünschtes Verhalten zu belohnen, etwa indem wir unsere Kinder loben, und unerwünschtes Verhalten zu tadeln. Und auch wenn sie noch gar nicht verstehen, warum es uns beispielsweise wichtig ist, dass sie in den Topf und nicht in die Hose machen, tun sie uns dann doch den Gefallen - ganz einfach deshalb, weil es viel angenehmer ist, gelobt als getadelt zu werden.