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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2016 Peter Mt. Shasta

2. erweiterte Auflage

petermtshasta@gmail.com

www.PeterMtShasta.com

Titel der Amerikanischen Originalausgabe:

Search for the Guru. Prequel to Adventures of a Western Mystic: Apprentice to the Masters

Übersetzung: Reinhold Köglmeier

Lektorat, Korrektorat: Susanne Meyer

Umschlaggestaltung: Susanne Meyer

Umschlagfoto: Peter Mt. Shasta, Passfoto von 1972

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7392-6596-4

DEM INDISCHEN VOLK GEWIDMET,

DEN BEWAHRERN DES DHARMA

DANK

Ich möchte Carl Marsak, Daye Proffit und Aaron Rose danken für ihre großzügige und engagierte Unterstützung bei der Herausgabe der englischen Ausgabe. Zudem gilt mein ganzer Dank Susanne Meyer und Reinhold Köglmeier für die Übertragung ins Deutsche. Diese zweibändige deutsche Ausgabe der Abenteuer eines Westlichen Mystikers ist möglich geworden durch ihr unbeirrtes Engagement und ihre Hingabe in dem Wunsch, dass interessierten Menschen die Lehren und Einweihungen der Aufgestiegenen Meister und ihr Dienst an der Menschheit zugutekommen.

ANMERKUNG

Wer bin ich? Was bin ich? Warum bin ich hier? Das sind die ewigen Fragen, die ich seit meiner Kindheit versucht habe, zu beantworten, eine Suche, die mich schließlich in den Fernen Osten führte. In Indien wie auch in Amerika traf ich mit großen Heiligen, Yogis und Weisen zusammen, die mich zur Erkenntnis anspornten. Ich habe hier über dieses Abenteuer in der Hoffnung geschrieben, dass es für andere von Nutzen sein wird. Einige Geschehnisse mögen versehentlich in einer anderen Reihenfolge dargestellt worden sein, aber ihre Bedeutung bleibt die gleiche. Es wurden auch die Namen einiger Personen geändert, um ihre Privatsphäre zu bewahren. Diese Autobiografie umfasst die Zeit von meiner Geburt bis zu meiner Rückkehr aus Indien im Jahre 1973. Der Bericht über die Abenteuer in der Zeit danach ist im zweiten Band der Abenteuer eines Westlichen Mystikers, Im Dienst der Meister, niedergeschrieben, der allerdings zuerst entstanden ist.

INHALTSVERZEICHNIS

ABBILDUNGEN

Peter Mt. Shasta 1947, im Alter von 3 Jahren

Hannah Goldsmith Anhalt, Peters Großmutter, 1936

Peggy Anhalt, Peters Mutter, 1935

Jack Kerouac und Dody Muller

Tompkins Square, New York

George Harrison

Allen Ginsberg und Chögyam Trungpa Rinpoche

Swami Satchidananda

Ram Dass und Neem Karoli Baba

Ramamurti Mishra

Swami Sivananda

Varanasi

Anandamayi Ma, Bholonath und Paramahansa Yogananda

Der Bodhi-Baum

Der Jagannath-Tempel

Anandamayi Ma

Anandamayi Ma

Satsang-Gruppe

Maharajji, Neem Karoli Baba

Peter Mt. Shasta, Ram Dass, Jai Uttal, Ganga Dhar, Maharajji

Jesus

Kumbh Mela, Allahabad

Peter mit seinem Vater David, um 1967

Peter mit Tochter Amber und seiner Mutter, 1994

Sathya Sai Baba

Hilda Charlton und Sathya Sai Baba

Joseph Sunhawk

Chagdud Tulku Rinpoche

VORBEMERKUNG

WER BRAUCHT EINEN GURU?

Auf der Suche nach der Weisheit ist es traditionell üblich, dass man sich an jemandem orientiert, der den Weg, den man selbst begehen möchte, schon bemeistert hat. In Indien findet sich dieses Prinzip und diese Praxis verkörpert in der Suche nach einem Guru.

Guru ist ein Wort aus dem Sanskrit und eine Kombination aus zwei Worten; Gu bedeutet Dunkelheit, Unwissenheit, Ru bedeutet Licht oder Weisheit. Das heißt, der Guru ist ein Lehrer, der einen aus der Unwissenheit zur Weisheit führt, aus der Dunkelheit ins Licht.

Diese Person kann über bestimmte machtvolle Fähigkeiten, siddhas, verfügen, die durch Konzentration erlangt werden können, oder auch nicht, und diese Fähigkeiten sind kein Indikator dafür, dass diese Person Erleuchtung erlangt hat.

Einige solcher eindrucksvollen Fähigkeiten, die man erlangen kann, sind die Einsicht in vergangene Leben, Hellsichtigkeit, z.B. Einsicht in die Gedanken und Taten eines Anderen, das Einflussnehmen auf äußere Umstände, z.B. Teleportieren von Gegenständen, das Heilen von Kranken und die Bemeisterung des physischen Körpers.

Wie der große Yogi Ramakrishna sagte, diese Mächte sind lediglich Phänomene, und nach ihnen zu streben ist nicht nur Zeitverschwendung, sondern sogar ein Hindernis auf dem Spirituellen Erkenntnisweg.

Ein wahrer Guru demonstriert für gewöhnlich nicht seine möglichen Fähigkeiten, denn er weiß, dass dies vom Pfad der Wahrheit ablenkt. Viel mehr ist eine der größten Fähigkeiten, unerkannt als Meister zu agieren, und wie ein normaler Mensch aufzutreten.

In Indien und Tibet ist die Beziehung zu einem Guru von so großer Bedeutung, dass er mehr Bedeutung hat, als Gott, denn der Guru ist die personifizierte Gottheit im täglichen Leben.

Der Guru ist nicht nur dein innigster spiritueller Freund, sondern er erfüllt die Funktion eines Führers im Meer der Illusion. Selbst jene spirituellen Traditionen, die eine spontane Verwirklichung unterstützen, wie Dzogchen oder Zen, geben detaillierte Anweisungen, in denen es als absolut notwendig erachtet wird, nach einem Guru zu suchen.

Gebet an den Göttlichen Guru

Asatoma Sadgamaya

Tamasoma Jyotirgamaya

Mrtyorma Amritamgamaya

Führe uns von dem Unwirklichen zum Wirklichen,

führe uns von der Dunkelheit zum Licht,

führe uns von der Sterblichkeit zur Unsterblichkeit.

— Brihadaranyaka Upanishad

VORWORT

von

GANGA NATH

Mit Suche nach dem Guru gibt Peter Mt. Shasta einen seltenen Einblick in die inneren Dimensionen der Suche nach Erleuchtung.

Peter Mt. Shasta ist ein spiritueller Entdeckungsreisender in der Tradition von Madame Blavatsky, Alexandra David-Néel, Nicholas und Helena Roerich, Lama Anagarika Govinda und W.Y. Evans-Wentz.

Während er ihren Fußstapfen nachfolgt, setzt er den Prozess eines Brückenschlages vom Osten zum Westen fort und bringt die östliche spirituelle Weisheit in den Westen, um ihre Kultur zu erleuchten. Sein Buch Suche nach dem Guru ist ein bedeutendes Stück Zeitgeschichte über die aktuell stattfindende spirituelle Transformation der westlichen Zivilisation durch die Weisheit des Ostens.

In der heutigen Zeit ist es angesichts der Verfügbarkeit von buchstäblich tausenden von Büchern, die die vielen Facetten östlicher Spiritualität abdecken, für uns naheliegend, diese Zugänglichkeit als selbstverständlich zu betrachten, aber das war nicht immer so. Es gab eine Zeit, und zwar noch im neunzehnten Jahrhundert, wo praktisch niemand in Europa und Amerika etwas über Hinduismus, Buddhismus oder Daoismus wusste.

Blicken wir kurz darauf zurück, wie die Weisheit des Ostens in den Westen kam, denn dadurch werden wir die historische Bedeutung von Suche nach dem Guru verstehen.

Es wird berichtet, dass der erste Kontakt von Europäern mit der indischen Spiritualität durch römisch-katholische Missionare erfolgte, die an der Westküste Indiens in Goa an Land gingen. In der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts gestand der Missionar Francis Xavier, "Ich verstehe diese Menschen nicht, und sie verstehen mich nicht." Später, in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, wurde ein kleiner Fortschritt erzielt, als es einem konvertierten Brahmanen gelang, Missionare in Goa das Lesen von Sanskrit zu lehren.

Die Erschließung östlicher Spiritualität machte weitere Fortschritte, als der Missionar Roberto de Nobili nicht nur mit der Sprache des Sanskrit vertraut wurde, sondern auch mit dessen Literatur. Die erste Grammatik des Sanskrit erreichte Europa durch Abbé Barthélemy, der 1763 Pater Coerdoux darum bat, dass man ihm eine solche nach Frankreich sende. Bald kamen mehr, und die erste Sanskrit-Grammatik wurde 1770 in Rom von dem Karmeliter-Ordensbruder Paolino da San Bartolomeo veröffentlicht. Er war Deutscher und hieß ursprünglich Johann Philipp Wesdin, und hatte von 1776 bis 1789 in Südindien als Missionar gedient.

Es muss jedoch angemerkt werden, dass diese Missionare nicht daran interessiert waren, sich die indische Spiritualität zu eigen zu machen, ihr vorrangiges Interesse war vielmehr, die Inder zu konvertieren, die sie als Heiden und Anhänger der Vielgötterei betrachteten. Der Kontakt zu indischen spirituellen Texten und deren Verständnis war auf wenige europäische Religions-Gelehrte beschränkt und hatte zu dieser Zeit die breite Öffentlichkeit noch nicht erreicht.

Ein wesentlicher Fortschritt westlichen Verstehens der Weisheit des Ostens geschah 1789, als Sir William Jones seine Übersetzung von Sakuntala veröffentlichte und später The Laws of Manu herausgab. Sir William Jones war in der klassischen Kultur gründlich bewandert, und es gelang ihm, die Genialität der indischen Spiritualität der Allgemeinheit zu vermitteln. Mögen seine Übersetzungen im Vergleich zu den heutigen unvollkommen erscheinen, so repräsentieren sie doch das erste Eindringen östlichen Denkens in das Bewusstsein der Allgemeinheit. Die Wissbegierde der Öffentlichkeit hatte in England und Deutschland Feuer gefangen. Goethe schätzte die verfügbaren Übersetzungen von Sakuntala, aber sein Freund Herder ahnte, dass es da viel mehr gab, und lamentierte, "Auf die wirklichen Veden und auf die wirkliche Sanskrit-Sprache werden wir wahrscheinlich noch lange warten müssen."

Setzt man sich mit der Bedeutung wissenschaftlicher Übersetzungen von indischen spirituellen Texten auseinander, so ist augenscheinlich, dass Friedrich Max Müller herausragende Bedeutung zukommt. Max Müller wurde 1823 in Deutschland geboren und lebte die meiste Zeit seines Lebens in England. Es wird ihm die Begründung der Disziplin der vergleichenden Religionswissenschaft zugeschrieben, und unter seiner Leitung erschien die englische Übersetzung asiatischer religiöser Schriften in einer 50-bändigen Reihe mit dem Titel Sacred Books of the East.

Nach der Veröffentlichung von Max Müllers Übersetzungen erfasste eine Welle des Interesses Europa und Amerika. Im Jahre 1868 wurde Max Müller Oxfords erster Professor für Vergleichende Philologie, und er behielt diesen Lehrstuhl bis zu seinem Tod im Jahre 1900. Zu Beginn seiner Berufslaufbahn brachte Max Müller die Haltung zum Ausdruck, dass das Christentum Indiens Rettung gewesen sei, aber in späteren Jahren zeigte er ein gereifteres, tieferes Verständnis. In seiner Vorlesung mit dem Titel Was kann Indien uns lehren? an der Universität Cambridge, lobte er 1883 die Sanskrit-Literatur und Indien wie folgt:

"Wenn ich die ganze Welt überblicken sollte, um jenes Land ausfindig zu machen, das von der Natur mit ihren Reichtümern … am reichlichsten ausgestattet ist – in einigen Teilen ein wirkliches Paradies auf Erden – so sollte ich auf Indien zeigen. Wenn ich gefragt würde, unter welchem Himmel der menschliche Genius seine erlesensten Begabungen am vollkommensten entwickelt hat, am tiefsten über die größten Probleme des Lebens nachgedacht hat, und für einige davon Lösungen gefunden hat, … – sollte ich auf Indien zeigen. Und wenn ich mich fragen soll, von welcher Literatur wir, hier in Europa, … die wir fast ausschließlich von den Gedanken der Griechen, Römer und Juden genährt wurden, jene Richtigstellung heranziehen sollten, die höchst gefragt ist, um unser inneres Leben vollkommener … zu machen, nicht nur für dieses Leben, sondern für ein transformiertes und ewiges Leben – sollte ich wieder auf Indien zeigen."

Nachdem die Weisheit des Ostens der Allgemeinheit erst einmal vorgestellt worden war, war es nur eine Frage der Zeit, bis tapfere Seelen die schwierige Reise nach Asien unternahmen. Jene ersten Europäer, die die Reise in den Osten antraten, auf der Suche nach den wahren Reichtümern, den Edelsteinen der Weisheit, nahmen große Härten auf sich. Sie reisten ohne die modernen komfortablen Einrichtungen wie befestigte Straßen, Eisenbahn und Flugzeug, um die Lehren der Meister des Ostens zu entdecken und sie mit in den Westen zu nehmen.

Helena Petrovna Blavatsky (1831-1891), Begründerin der Theosophischen Gesellschaft und Autorin von Die Geheimlehre und Isis entschleiert, öffnete der östlichen Weisheit die Schleusen, um in den Westen zu strömen. Ihr Beitrag war noch maßgeblicher als die Übersetzungen der frühen Gelehrten, indem sie der westlichen Öffentlichkeit die Übermittlungen der Aufgestiegenen Meister und hohen Eingeweihten, wie Djwhal Khul, El Morya und Kuthumi, vorstellte.

Alexandra David-Néel, 1868 in Frankreich geboren und in Belgien aufgewachsen, hatte bereits im Alter von 18 Jahren Theosophie studiert. Im Alter von 36 Jahren heiratete sie Philippe Néel de Saint-Sauveur, aber sie fühlte sich nach Asien gezogen, und verließ ihren Ehemann mit dem Versprechen, nach neunzehn Monaten zurückzukehren. Erst vierzehn Jahre später, im Jahre 1925, kehrte sie in Begleitung eines tibetischen Lama zurück, den sie adoptiert hatte. Alexandra David Néel hatte den tibetischen Buddhismus nicht nur studiert, sondern zutiefst verinnerlicht, sie lebte mit ihrem tibetischen Lehrer in einer Höhle, praktizierte Meditation und andere esoterische Techniken. Bei ihrer Rückkehr nach Frankreich hatten ihre Reisen sie schon berühmt gemacht. Ihre Abenteuer wurden in Zeitschriften und Magazinen in großer Aufmachung beschrieben. Ihr Buch My Journey to Lhasa jedoch, in dem Levitation und andere esoterische Techniken beschrieben wurden, mit denen die Europäer nicht vertraut waren, stieß auf scharfe Kritik. Bis zu ihrem Tod im Alter von 101 Jahren, hatte sie über dreißig Bücher geschrieben, die das Interesse der Allgemeinheit an asiatischer Spiritualität weiter entfachten.

Nicholas und Helena Roerich aus St. Petersburg in Russland waren auch von der Theosophie beeinflusst worden und reisten 1923 in den Osten, nach Bombay [heute Mumbai, d. Übers.]. Ende Dezember hatten sie die südlichen Ausläufer des Himalaya erreicht und begaben sich auf eine beschwerliche Reise durch das chinesische Turkestan, das Altaigebirge, Tibet und die Mongolei. Sie überquerten fünfunddreißig Gebirgspässe zwischen 4200 und 6400 Metern Höhe. Nach Beendigung ihrer Expedition im Jahre 1928 ließen sich die Roerichs im Kullu-Tal in den Vorbergen des Himalaya nieder. Hier gründeten sie das Forschungsinstitut Urusvati Himalayan Research Institute, das dem Studium der Kultur Asiens und medizinischer Kräuter gewidmet war.

Wir schulden diesen kühnen Reisenden viel, denn wären sie nicht gewesen, die Strahlen der Erleuchtung hätten die westliche Zivilisation nicht erreicht. Aber sie haben sie erreicht, und die westliche Kultur ist immer noch dabei, transformiert zu werden.

Wie diese frühen spirituellen Forscher hat Peter Mt. Shasta seine Reise in den Osten aufgezeichnet. Indem er das tat, liefert er einen Bericht aus erster Hand, aus der Zeit der 1960er Jahre, als die östliche Spiritualität Europa und Amerika überschwemmte und die westliche Kultur radikal veränderte. Peter war nicht nur ein Zuschauer, sondern nahm an diesem sozialen Wandel intensiv teil. Er war dabei, als A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada in New York eintraf und zusammen mit Allen Ginsberg in der Lower East Side von Manhattan Hare Krishna rezitierte. Nachdem er im Radio Richard Alperts (Ram Dass‘) Schilderung der Begegnung mit seinem Guru Neem Karoli Baba gehört hatte, einem Mann, eingehüllt in eine Wolldecke, der alles über ihn gewusst hatte, war Peter selbst inspiriert, nach Indien zu reisen, um seinen eigenen Guru zu finden.

Suche nach dem Guru vermittelt die Wirklichkeit der spirituellen Suche auf eine Art, wie es wenige Bücher tun. Wie Paramahansa Yoganandas Autobiographie eines Yogi nimmt es den Leser mit auf eine höchst tiefgreifende Reise, die nicht nur eine Reise in ein exotisches Land ist, sondern eine Reise zur Selbstverwirklichung.

Peter Mt. Shastas Bericht über seine Reise durch Indien und seine Begegnung mit berühmten spirituellen Erleuchteten, wie Anandamayi Ma und Sathya Sai Baba, transzendieren seine eigene persönliche Geschichte. Es ist ein authentischer Bericht von der unaufhörlichen Suche nach Erleuchtung. Peter liefert keinen schwelgerischen Bericht über den Aufstieg in die Höhen spiritueller Erkenntnis, sondern eine aufrichtige Beschreibung der spirituellen Suche in all ihren Höhen und Tiefen, ihren wechselnden Extremen mit Phasen tiefgreifender Desillusionierung und blanker Verzweiflung. Und in diesem Tal der Verzweiflung entdeckt er schließlich den Guru in sich selbst.

In Suche nach dem Guru hat Peter Mt. Shasta etwas von großer historischer Bedeutung zustande gebracht. Für Westler ist es nur allzu leicht, anzunehmen, dass spirituelle Antworten dadurch gefunden werden, dass man in weit entfernte Länder reist, und die eigene Erleuchtung von äußeren Gurus abhängig sei. Tatsächlich war Peter ein Teil der Flut von Westlern, die sich in den 1960ern zur Suche nach der Erleuchtung nach Indien begaben, nur um enttäuscht in den Westen zurückzukehren. Wie der Phoenix, der sich aus der Asche erhebt, entdeckte er, dass das, was er immer gesucht hatte, bereits in ihm selbst schon vorhanden war. Diese Erkenntnis ist etwas, das allen spirituell Suchenden zugutekommen und ihnen auf ihrem eigenen Weg zur Erleuchtung helfen kann.

Ganga Nath, im Oktober 2015

Ganga Nath ist ein amerikanischer Yogi, der verschiedene Weisheits-Traditionen studiert hat, wie Advaita, Vedanta, Daoismus, tibetischen Buddhismus, Sufismus, Gnostisches Christentum, Uramerikanismus und Zen. Er hatte das Glück, bei vielen großen Lehrern zu studieren, und widmet sein Leben seit über vierzig Jahren der Lehre des spirituellen Wachstums im Westen. Ganga Nath hat tausende Menschen in Amerika und Europa in Meditation unterrichtet und Retreat- und Dharma-Zentren in Amerika, Europa und Asien gegründet. Sein aufrichtiger Wunsch ist es, dass alle Menschen die unbegrenzte Freude entdecken, die ihre wahre Natur ist. Er bereist derzeit die Welt mit seiner Frau Tara Leela und lehrt den universellen Weg der Wahrheit und Liebe. Sie sind Leiter der Universal Fellowship of Light, einer Non-Profit-Organisation, die sich dem menschheitlichen Bewusstseins-Aufstieg widmet. Für mehr Information besuchen Sie ihre Internetseite: www.universalfellowshipoflight.com oder kontaktieren Sie sie auf Facebook.

Anmerkung des Lektors:

In den Fußnoten werden, soweit vorhanden, die deutschen Titel der erwähnten Bücher genannt, dabei wurden möglichst gängige und aktuelle Ausgaben mit Verlag und Erscheinungsjahr angegeben, es handelt sich also nicht um die Ersterscheinungen.

KAPITEL 1

ABSTIEG

Es gab eine Zeit, da wusste ich, wer ich war. Dann vergaß ich, oder besser gesagt, ich musste vergessen. Die Erinnerung daran, wer ich bin, kam in einem langsamen Prozess. Vor diesem Leben war ich in einem Lichtkörper jenseits der Erde und ich kannte die Quelle. Ich war Teil einer Familie von Wesenheiten, die durch Bewusstsein miteinander verbunden waren. Aus diesem Wahrnehmungsfeld traten zwei weiß gewandete Wesen hervor, und ich spürte, dass sie mir etwas Wichtiges mitteilen wollten.

„Es ist Zeit“, sagte der eine.

„Zeit?“

„Zeit zurückzukehren.“

„Wohin zurückkehren?“

„Zur Erde”, sagte der andere.

„Aber ich will nicht zurückgehen.“

„Du musst. Erinnerst du dich nicht? Dir wurde der Plan gezeigt, und du hast eingewilligt…”

“Nein, ich erinnere mich nicht. Was für ein Plan?”

Ihre Toleranz für Fragen schwand, und ich fühlte, wie mich ein Wille bezwang, dem ich mich nicht widersetzen konnte.

„Nun vergiss, wer du bist”, befahlen sie.

„Nein, ich werde nicht vergessen!”

„Vergiss!“, forderten sie wieder.

Ich fühlte, wie mein Bewusstsein schwand, während ich Richtung Erde befördert wurde. Der Planet war in einen braunen Dunstschleier eingehüllt, und ich realisierte, dass dies das Produkt der Selbstsüchtigkeit war, und ich fühlte Widerwillen. Unter mir sah ich Zonen von Dunkelheit, die durchzuckt wurden von roten Blitzen, die von Gewalt und Zorn herrührten, und ich realisierte mit Grausen, dass ich in eine Welt von tödlichen Konflikten herabstieg. Ich versuchte mich loszureißen aus der Gewalt der Meister, die mich nach unten beförderten, aber ohne Unterlass stießen sie mich tiefer hinab, hinein in den auf mich wartenden Fötus im Bauch meiner Mutter, immer noch befehlend:

„Vergiss…vergiss…vergiss…“

Es war 1944 und kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges. Ich wurde auf einer Militärbasis in Florida geboren, während mein Vater auf der Insel Guam im Süd-Pazifik stationiert war.

Nicht ganz ein Jahr sollte vergehen, bis Atombomben auf Japan abgeworfen wurden, was zur Unterwerfung führte, aber das Ringen der Menschheit sollte weitergehen.

Durch die Gitterstäbe der käfigähnlichen Krippe sah ich den schwach erleuchteten Raum. Ich fror und war durchnässt und hatte Schmerzen vor Hunger. Ich schrie, aber niemand kam, denn Müttern wurde beigebracht, dass ihre Freiheit darin liege, das Schreien ihrer Säuglinge zu ignorieren, und dass diese an einen vorgegebenen Plan mit Essens- und Schlafenszeiten angepasst werden müssten. So wuchs unsere Generation auf, in emotionaler Isolation, Gefühlsentzug, als hätten wir etwas falsch gemacht. Wie konnten wir uns jemals die Liebe unserer Mütter verdienen?

Nach einer gefühlten Ewigkeit betrat eine Frau den Raum - die, welche das Instrument meiner Wiederkunft auf der Erde war, und ich sah mit Entsetzen, dass sie dieselbe Seele war, die in mehreren vergangenen Leben meinen Tod verursacht hatte.

Nun sühnte sie diese Verbrechen, indem sie mir das Leben gab.

Ich war erleichtert, als ich sah, dass sie mich nicht wiedererkannt hatte, dass sie nur ein Baby sah, dessen hilflose Unfähigkeit zu sprechen sie mit einem Mangel an Wahrnehmungsfähigkeit gleichsetzte.

Während meiner Kindheit sah ich Menschen, die keinerlei Verständnis vom Leben und ihrer Rolle darin besaßen, und die sich und andere aufgrund dieser Unfähigkeit belogen, und ich wunderte mich über dieses scheinbare Einverständnis, gegenseitig diese Lügen zu glauben. Wenn ich versuchte, sie wachzurütteln, und ihnen ihren Selbstbetrug deutlich machte, wurden sie wütend, so ließ ich diese Fähigkeit, ihre innere Natur zu erkennen, langsam verkümmern. Ich versuchte zu werden, was sie einen ‚normalen Menschen‘ nennen, und Illusionen als Realität zu akzeptieren. Ich beobachtete, wie Menschen sich verhielten, und ahmte nach, was funktionierte, und schuf ein Ego, das mich befähigte, in der Welt zu funktionieren.

Peter Mt. Shasta 1947, mit 3 Jahren

KAPITEL 2

KINDLICHER SWAMI

Dieses Ego schien sich teilweise aufzulösen, wenn Badezeit war, denn wenn das bewegte Wasser in der Wanne gegen meinen nackten Körper platschte, fühlte ich mich mehr verbunden mit meinem realen Selbst. Wenn ich mich abtrocknete, war das erste, was ich tat, mir aus dem Handtuch einen Turban um meinen Kopf zu binden, eine Technik, die ich instinktiv beherrschte. Dann setzte ich mich auf die Badematte, kreuzte meine Beine in Padmasana und fühlte, wie ein großer Frieden mein Sein erfüllte.1

„Was tust du da drinnen?“, fragte einmal meine Mutter und klopfte an die Badezimmertür.

„Oh, nichts.“

„Dann öffne die Tür.“

„Was ist denn das?“, fragte sie und blickte auf meinen Kopf.

„Das, was ich tragen muss“, sagte ich mit Bestimmtheit.

„Warum das denn?“

„Weil ich ein Swami bin.“2

„Ein Swami, was ist denn das?“

Ich wusste es nicht, aber ich war sicher, dass es das war, was ich sein wollte.

Es kam mir nie in den Sinn, dass es für ein amerikanisches Kind ungewöhnlich war, lieber ein Swami sein zu wollen, anstatt ein Lokführer, Feuerwehrmann oder Baseballspieler, wie meine Freunde. Alles, was ich wusste, war, dass ich mich selbständig und frei von Unsicherheit fühlte, solange ich einen Turban trug.3

Ich wachte für gewöhnlich um fünf Uhr morgens auf, voller Energie und bereit, den Tag zu starten, aber meine Mutter hatte mir verboten, sie vor sieben Uhr frühestens zu wecken.

So saß ich, erfüllt von Langerweile und verzweifelt, weil ich etwas tun wollte, auf meiner Bettkante und scannte die Spielsachen und die Bücher im Regal. Ich konnte nichts entdecken, was mich für länger als ein paar Minuten interessierte. Meine Aufmerksamkeit wurde von dem Baum vor dem Fenster angezogen, der darauf wartete, dass seine Blätter von der aufgehenden Sonne erleuchtet würden, dann von der Uhr, die an der Wand hing, wo der Sekundenzeiger langsam die Runde machte.

Dann eines Morgens, als ich dort im Dämmerlicht saß, erschien eine männliche Gestalt in Weiß. Noch nie vorher war so etwas passiert, aber ihr Auftauchen erschien mir völlig natürlich. Ich hörte aufmerksam zu, was diese mir zu sagen hatte.

„Ich bin gekommen, um dir zu helfen, die Zeit zu verkürzen“, sagte er, er war sich offensichtlich meiner Frustration gewahr. Ohne Umschweife fuhr er fort, „Höre auf den Klang in deinem Kopf. Wenn du den Ton fokussierst, wird er sich ändern. Höre nur aufmerksam, was du hörst und die Zeit wird verschwinden“. Dann war das Wesen verschwunden.

Ich hatte diese Töne gehört, aber sie ignoriert, weil ich dachte, sie könnten ein Anzeichen für Wahnsinn sein oder irgendeiner unheilbaren Krankheit. Nun hatte dieses mysteriöse Wesen mir bedeutet, dass dies völlig in Ordnung war, ja sogar von Nutzen. Als ich tat, wie er mir gesagt hatte, war ich fasziniert, dass der Ton oftmals mit einem Summen wie bei einem Elektrischen Gerät begann, sich dann wandelte in einen Ton wie das Zirpen von Grillen in einer warmen Sommernacht oder auch in Vogelgezwitscher. Manchmal, wenn ich dann die Augen öffnete, sah ich, dass die Sonne aufgegangen war und ich tatsächlich die Vögel draußen im Geäst des Baumes vor dem Fenster hörte. Ich war dann überglücklich, dass zwei Stunden vergangen waren und fühlte einen gewissen Frieden und Ausgeglichenheit, um den Tag zu starten.4

In späteren Jahren musste ich nicht mehr die Töne fokussieren, sondern konnte automatisch nach innen gehen, um diesen Ort der Ruhe in mir zu finden, und hatte auch keine Vorstellung davon, was ich genau tat, dass man das Meditation nennt. Ich kam von der Schule nach Hause, warf meine Bücher auf den Schreibtisch und setzte mich auf die Bettkante und ging in diesen inneren Ort. Wenn meine Mutter fragte, „Was machst du denn da, sitzt auf der Bettkante und starrst in den Raum?“, wusste ich nicht, was ich antworten sollte, denn ich war mir nicht bewusst, dass ich überhaupt etwas getan hatte. Als sie den Schulpsychologen konsultierte, fragte dieser, „Er tut doch nichts Gewaltvolles oder?“

„Nein.“

Die einzige unangenehme Begleiterscheinung war, dass ich manchmal in ungünstigen Momenten in diesen transzendenten Zustand ging. Einmal passierte dies mitten in einem Baseball-Spiel, an einem Samstagmorgen, als ich der rechte Außenfeldspieler sein sollte. Ich hatte nicht realisiert, dass die Durchgänge sich geändert hatten. Schmerzlich war, dass mein Team mich nicht reingerufen hatte, bevor ich als Schläger an der Reihe war. In der Schule blickte ich manchmal auf, um festzustellen, dass mich alle anstarrten.

„Wo warst du?“

„Was meinst du?“, fragte ich dann beschämt und das Blut schoss mir in die Ohren.

„Du warst weg!“


1 Padmasana, eine Yoga-Sitzposition, bei der die Beine gekreuzt werden und das Rückgrat gerade aufgerichtet ist, damit die Lebensenergie stärker durch alle Zentren fließen kann.

2 Swami, jemand, der allem entsagt hat und der einen bestimmten Grad religiöser Einweihung erfahren hat.

3 Viele Jahre später erschien mir ein Meister, bekannt als der Maha Chohan, in einem Traum und eröffnete mir Einblicke in ein früheres Leben, in dem ich ein Swami war und in den Bergen in Nordindien lebte, wo ich viele Menschen die Meditation lehrte.

4 Nada Yoga (Vereinigung mit der Quelle durch Klang), wird beschrieben in den Vedischen Schriften, im Nada Brahma. Bewusstsein manifestiert sich als Licht und Klang, dieses Yoga fokussiert den auditiven Aspekt. Einige dieser Klänge können vom Fließen des Blutes durch die Blutgefäße im Kopf herrühren, die das Innen- und Mittelohr stimulieren. Sie könnten auch durch bioelektrische Ströme verursacht werden. Indem die Aufmerksamkeit auf diese sensitiven Bereiche des Ohres gerichtet ist, kann der Blutfluss geändert werden, um verschiedene Klänge zu erzeugen (wie in der Biofeedback-Therapie). Was auch immer die Ursache ist, sie zu fokussieren, wie den Atem oder durch Verwendung eines Mantras, beruhigt den Geist und erlaubt so eine erweiterte Wahrnehmung. Wenn die Wahrnehmung sich weitet, wird schließlich der Klang des Om hörbar, welcher existierte, bevor das materielle Universum erschaffen wurde.

KAPITEL 3

KINDHEIT

Auf dem Fußboden unseres Wohnzimmers lag ein riesiger Perserteppich und meine frühesten Kindheitserinnerungen sind mit diesem Teppich verbunden. Stunden verbrachte ich damit, seine kunstvollen Muster zu betrachten und die Formen mit dem Finger zu verfolgen. Das Muster zeigte einen Garten mit vier Wegen, die im Zentrum in einem Brunnen zusammenliefen. Die Wege repräsentierten die vier Elemente, Erde, Wasser, Luft und Feuer, und die Quelle in der Mitte war das Göttliche in der Mitte des Lebens. Nach so einer Ordnung und Gewissheit sehnte ich mich, aber vergeblich. Es schien so, als wüsste niemand den Sinn des Lebens oder ob es überhaupt einen Sinn hat.5

Meine Mutter trennte sich von meinem Vater, als ich ungefähr zwei Jahre alt war und er aus dem Südpazifik nach Hause kam, nach dem Zweiten Weltkrieg, und sie entdeckten, dass sie nicht viel gemeinsam hatten. Sie wollte ein Leben in der High Society und viel reisen, er wollte einfach nur Lehrer sein. Sie verabscheute Religion als Aberglaube und, obwohl ihr Vater eine Synagoge begründet hatte, wuchs ich auf, ohne etwas über das Judentum zu erfahren. Ich wusste nicht, dass eine Mutter jüdischer Herkunft zu haben, bedeutete, dass ich ebenfalls Jude war. Wir verließen Florida und zogen zu meiner Großmutter, in ihr großes Haus auf einem Hügel in Scarsdale, New York, da mein Vater mit seinem Lehrer-Einkommen nur einen geringen Unterhaltsbeitrag zahlen konnte.

Hannah, meine strahlende weißhaarige Großmutter, gab mir großzügig die Liebe, die ich bei meiner Mutter vermisste, und welche mich immer unter Druck setzte, ich sollte mich wie ein Gentleman benehmen und „etwas aus mir machen“ in der Welt. Das hieß, ich sollte viel Geld machen in einem angesehenen Beruf und Arzt werden, Rechtsanwalt, Banker oder Ingenieur.

Hannah lud mich jeden Sonntagnachmittag zu sich nach oben ein, um die Metropolitan Opera auf WQXR, dem beliebtesten Klassik-Radiosender des Landes, zu hören. Sie hatte ihr eigenes Wohnzimmer, in dem ein prachtvoller Steinway-Flügel aus Kirschholz stand. Ich saß immer zu ihren Füßen auf dem kunstvollen chinesischen Seiden-Teppich, während sie die verschiedenen Leitmotive aus den Opern von Wagner spielte, die ich während des Spielens erraten sollte; jedes Thema hatte seine eigene Musik, da waren Wotan, König der Götter, die Rheintöchter und ihr Gold, der Zwerg Alberich, der ihr Gold stahl und einen Ring schmiedete, um die Welt zu beherrschen, der Drache Fafner, der den Ring bewachte, der Held Siegfried, seine Geliebte Brunhilde, das von Loge bewachte heilige Feuer und die Walküren, die die gefallenen Helden in den Himmel von Walhalla trugen.6

Wagners ganzer vierteiliger Opern-Zyklus vom Ring des Nibelungen wurde live aus New York City auf WQXR gesendet. Es erschien mir wundersam, dass ich oben bei meiner Grußmutter vom Fenster aus das Empire State Building in 40 Kilometern Entfernung sehen konnte und gleichzeitig die Oper hörte, die in derselben Stadt aufgeführt wurde. Alles war Teil einer mystischen Atmosphäre, die an solchen Sonntagnachmittagen entstand; nur wir zwei, wie wir der Geschichte von den Göttern lauschten, ihrem Ringen nach immer größerer Macht, und die letztlich dazu verdammt waren, alle Macht zu verlieren und in die irdische Sterblichkeit zu fallen, und die ihre endgültige Erlösung nur durch die Liebe finden konnten.

Derselbe Machtkampf bestand sogar zwischen diesen beiden Frauen, mit denen ich lebte. Meine Mutter suchte Kontrolle durch Dominanz und Willensherrschaft, eine Macht, gegen die ich rebellierte, aber für meine Großmutter, die Liebe, Weisheit und Mitgefühl ausstrahlte, war ich bereit, alles zu tun. Selbst in der Germanischen Sage der Oper kam die Macht des Speeres, den Wotan besaß, durch die Zustimmung derer, über die er herrschte. Als er diese Übereinkunft für eigensüchtige Interessen brach, war die magische Kraft des Speeres, und damit seine Macht, gebrochen.

Mit einem Funkeln in ihren Augen erklärte meine Großmutter mir, wie Siegfried mit Hilfe der Tarnkappe, die ihn unsichtbar machte, den Drachen Fafner erschlug, und dass er sein Blut trank. Dadurch konnte er die Vögel verstehen, die ihm verrieten, wie er der Verschwörung gegen ihn entkommen und seine Freiheit erlangen konnte. Beim sanften Licht des späten Nachmittags sprach sie davon, dass dies symbolisch zu verstehen war, und dass jeder Mensch den Drachen in sich, also seine niedere Natur bezwingen müsse, um ein Meister zu werden. Während sie diese Weisheiten vermittelte, strömte ein zartes Licht von ihrem Gesicht aus, das ihr, auch in ihrem fortgeschrittenen Alter, eine überirdische Schönheit verlieh.

Psychologen sagen, dass man in früher Kindheit von wenigstens einer Person Liebe empfangen müsse, um gesund aufzuwachsen, und diese Liebe erhielt ich von meiner Großmutter. Ich sinnte oft über ihren Namen nach, der vorwärts und rückwärts gelesen gleich war, ein Palindrom, und ich empfand eine Art Magie, nur ein vollkommenes Wesen konnte so einen Namen haben. Jahrzehnte später erschien sie mir in einer Vision vor meinem inneren Auge und enthüllte mir, dass es ihre letzte Aufgabe im Leben gewesen war, mir in meiner Kindheit zu helfen, bevor sie ihren Aufstieg erlangte.

Zu jener Zeit war eine Scheidung noch etwas Seltenes und keinen Vater zu haben, war eine permanente Beschämung. Ich fühlte mich unverdient bestraft, oder für irgendeine mir nicht bekannte Sünde. Als ich eines Tages mit mehreren Freunden im Auto von deren Eltern gefahren wurde und gefragt wurde, „Was macht dein Vater“, war ich wie versteinert, der Atem stockte mir, und dann platze es aus mir heraus, „Ich habe keinen Vater!“

Nach einigem Schweigen, bei dem ich vor Scham in mich kroch, wurde das Thema gewechselt. Erst später, als ich auf dem College war, entdeckte ich, dass viele meiner Klassenkameraden ähnliche Wunden hatten. Die Gesellschaft wurde fortwährend durch die Hollywood-Illusion eingelullt, dass die Ehe in erster Linie auf Liebe basiert. Sobald die romantische Phase vorbei war, schauten sich die Menschen nach was Neuem um. Der Sinn einer Ehe war ihnen so unbekannt wie der Sinn des Lebens.

Gelegentlich kam mein Vater zu Besuch und wir unternahmen etwas, machten lange Spaziergänge, die immer damit begannen, dass wir uns einen Zweig von einem toten Baum aus dem Gehölz auf der gegenüberliegenden Straßenseite brachen.

„Ein Mann sollte immer einen guten Stock bei sich haben, wenn er auf eine Wanderung geht“, sagt er. „Man weiß ja nie, ob man sich nicht gegen wilde Tiere verteidigen muss.“

Ich hielt die Chance, in einem friedlichen New Yorker Vorort wie Scarsdale, auf etwas Wilderes als einen streunenden Hund zu stoßen, für relativ gering.

Später, in der sechsten Klasse, als mein Lehrer sagte, dass Teddy Roosevelt seine Außenpolitik mit den Worten charakterisierte, „Sprich sanft und trage einen großen Knüppel“, musste ich an jene Stöcker denken, die mein Vater und ich auf unseren Spaziergängen geschwungen hatten. Jahre später, als ich das Tarot studierte, ein Kartenspiel, dessen Symbolik auf der Kabbala beruhte, erfuhr ich, dass der Stock, auf den sich der Eremit in einer der Karten stützt, sein Vertrauen in Gott darstellte. Diesen Glauben zu entwickeln, dauerte bei mir eine lange Zeit.

Nachdem meine Großmutter Hannah gestorben war, ich war ungefähr sieben, verschlechterte sich die Beziehung zu meiner Mutter. Sie hatte keine Ahnung, wie man ein Kind großzieht, da sie selbst von einer Schar Gouvernanten, fast jedes Jahr eine neue, erzogen wurde, und mit vierzehn Jahren auf ein strenges Internat nach Deutschland geschickt worden war.

Zu jener Zeit war es leicht, junge irische Immigrantinnen, die frisch eingetroffen waren, zu bekommen, die für Kost und Logis und ein bisschen Taschengeld arbeiteten. Sie erledigten den Haushalt und kümmerten sich um die Kinder und am Ende des Tages kam die Mutter zum Gutenachtkuss. So war es also verständlich, dass die für eine Elternrolle erforderliche emotionale Bindungsfähigkeit fehlte. Ich erinnere mich kaum, jemals von ihr umarmt worden zu sein, außer zu besonderen Anlässen, z.B. wenn ich ins Sommercamp ging. Ihr Hauptanliegen war es, mich zu unterrichten, wie man sich in jeder Situation anständig benimmt, und dafür zu sorgen, dass ich gute Noten hatte, damit ich aufs College gehen konnte.

Meine Noten waren jedoch nicht so gut, denn ich erkannte, dass die meisten Lehrer nicht wirklich die Wahrheit wussten, und ich sah nicht ein, warum ich mir merken sollte, was sie von sich gaben. Sie lehrten Worte aus Textbüchern, die einen Betäubungseffekt hatten. Ich sah keinen Sinn im Lernen. Das Ganze war wie Dosenfutter für jemanden, der nach frischer Nahrung aus dem Garten verlangte. Ich fühlte niemals diesen Schauder der Wahrheit, so dass ich in der Klasse in der Nähe des Fensters saß und mit den kleinen roten Milben spielte, die von draußen rein kamen und über die Fensterbank krabbelten. Sie hatten ihr Zuhause in dem alten mit Efeu bedeckten Mauerwerk. Es war die gleiche Schule, auf die auch meine Mutter gegangen war. Zu Beginn des Unterrichts drängte ich dann einen von diesen kleinen roten Punkten mit Beinen auf ein Blatt Papier und zeichnete mit Kugelschreiber ein Labyrinth um ihn herum. Durch die giftigen chemischen Bestandteile in der Tinte überquerte er nicht die Linien, und am Ende der Stunde schaute ich nach, ob er den Ausweg gefunden hatte. Dies war weitaus interessanter als jegliche ‚Fakten‘, die uns der Lehrer einprägen wollte. Bildung hatte mehr den Zweck von Indoktrination, als dass sie einen lehrte, zu denken.

Eine Ausnahme zur Langweiligkeit der Schule war meine Lehrerin in der ersten Klasse, Mrs. Robinson, eine wissbegierige, freundliche weißhaarige Dame, die das liebte, was sie lehrte. Sie nahm jeden, der von den Eltern die Erlaubnis bekam, an Wochenenden auf Wanderungen in die Natur mit. Diese Ausflüge hatten Magie; mussten sie, denn wie sonst waren zwanzig Kinder bereit, am Samstagmorgen vor Sonnenaufgang aufzustehen?

Ich erinnere mich, wie sie uns ein Spinnennetz zwischen langen Grashalmen zeigte, in dem sich in jedem Winkel ein Tautropfen anschmiegte. Die Sonnenstrahlen trafen auf die Tautropfen, und diese glitzerten wie Diamanten, von denen jeder einen Regenbogen aussandte, doch diese Diamanten kosteten nichts. In der Mitte des Netzes saß eine dicke Spinne, die sich inmitten ihrer Fülle sonnte. Als sie fühlte, dass wir sie beobachteten, begann sie heftig zu rütteln, so dass das Netz vibrierte, um uns von ihrem Schatz abzuschrecken. Auf dem Rückweg ein paar Stunden später waren die Tautropfen weg und die Spinne auch – vielleicht war sie gefressen worden von einem der vielen Rotschulterstärlinge.

Eine weitere Ausnahme war der Unterricht in Euklidischer Geometrie, wo man ein Theorem als wahr beweisen konnte, d.h., „Zwei Dinge, die einem dritten gleich sind, sind auch einander gleich“. Wunderbar war diese Endgültigkeit, wenn am Ende eines zu beweisenden Theorems stand „Q.E.D.“ – quod erat demonstrandum (Griechisch: was zu zeigen war). Es war frustrierend, dass das Leben außerhalb der Geometrie nicht diese Logik besaß. Ich war frustriert von dem Druck, etwas werden zu müssen, und was überhaupt? Keine der Möglichkeiten wirkte attraktiv. Später entdeckte ich, dass es Orte auf der Welt gab, indigene Gesellschaften, wo Menschen mit dem Bewusstsein aufwuchsen, ein integraler Teil einer Gemeinschaft zu sein, die eine Bedeutung hatte, wo das Leben einen Sinn verfolgte.

Um diesem Druck zu entkommen, entschied ich, von zuhause wegzulaufen. Ich war ungefähr neun, jünger als es der indische Mystiker Ramana Maharshi war, als er weglief, zum Berg Arunchala.7 Ich wusste nicht, dass die Kultur und das Klima in Indien die wandernden Mystiker unterstützt, die Sadhus, die aus dem Materialismus und aus Familienbindungen aussteigen und nur durch Spenden aus der Gesellschaft überleben. Ich sah keinen Grund, zuhause zu bleiben, das Leben, das mir bevorstand, kam mir vor wie ein schwarzer Tunnel.

Ich packte ein Kochgeschirr, Pfadfinder-Taschenmesser, Schlafsack und einige Kleidung zum Wechseln in einen Rucksack und zog eines Abends nach dem Abendessen los, indem ich heimlich aus der Hintertür schlich. Ich war wild entschlossen in dieser ersten Nacht und so kampierte ich in dem bewaldeten Grundstück hinter dem Nachbarhaus, meinen Schlafsack rollte ich auf einem Bett aus getrocknetem Laub aus.

Als ich da lag und die Sterne anschaute, hatte ich das erste Mal das Gefühl von Freiheit, und dass meine Bestimmung meine eigene war. Hätte es in den USA eine Sannyasa-Tradition gegeben, so wie in Indien, wäre ich höchstwahrscheinlich einer Gruppe von Sadhus beigetreten und hätte mich an einen heiligen Ort zurückgezogen, um dort asketische Tapas zu praktizieren.8 Aber je länger ich dort lag, desto klarer wurde mir, dass mein Plan zum Scheitern verurteilt war, dass man mich bald aufgreifen würde, und meine Mutter sich selbst niemals verziehen hätte, wenn ich verschwunden wäre. Trotz meiner Frustration fühlte ich, dass ich irgendwie für sie verantwortlich war, und dass es da etwas gab, was wir gemeinsam zu bearbeiten hatten.

Ameisen waren mittlerweile in meinen Schlafsack gekrochen, ich fühlte die Härte des Laubes, wenn ich mich von einer Seite zur anderen drehte, und ich dachte an mein warmes weiches Bett in meinem Zimmer ein paar hundert Meter entfernt auf der anderen Seite der Hecke. Vielleicht sollte ich die Nacht doch in meinem Bett verbringen, sprach die Vernunft in mir, und einen Frühstart vor Sonnenaufgang machen? Ich kehrte nach Hause zurück, ohne dass meine Mutter gemerkt hatte, dass ich weg gewesen war.

Ihr Rufen „Frühstück ist fertig“ weckte mich, und hungrig rannte ich hinunter.

Ich kann mein Zuhause jederzeit verlassen, irgendwann, sagte ich mir, dieser Tag sollte neun Jahre später kommen.

Hannah Goldsmith Anhalt, Peters Großmutter, 1936


5 In Gesellschaftsformen wie die der amerikanischen Ureinwohner, die stärker mit der Erde verbunden sind, hört man auf die Ältesten, die, oftmals durch Geschichten oder Gesang, durch systematische Einweihungsprozesse in die Mysterien der menschlichen Existenz, den Sinn des Lebens vermitteln. Heutzutage sind die Ältesten oftmals sich selbst überlassen oder in Heimen isoliert.

6 Der Ring des Nibelungen, von Richard Wagner (1813-1883), ist ein aus vier Teilen bestehender Opern-Zyklus: Das Rheingold, Die Walküre, Siegfried und Götterdämmerung.

7 Ramana Maharshi (1879-1950), der Indische Mystiker, ging mit 16 Jahren von zuhause fort. Er war durch ein existentielles Erlebnis von Todesangst zu der Einsicht gelangt, dass das Selbst, das wahre ‚ICH‘ von transzendenter Natur und unabhängig vom Tod ist. Er wurde in seinem späteren Leben berühmt für seine Lehre des Weges der Selbst-Erforschung und fragte jeden, der zu ihm kam: “Wer bist du?“

8 Sannyas ist im Hinduismus die letzte von vier Lebensstufen, Ashramas genannt, in der man, in der Regel nach dem fünfzigsten Lebensjahr, die Familie verlässt und der materiellen Existenz vollständig entsagt, um Erlösung zu finden. Davon zu unterscheiden ist der Ashram als Herberge für spirituell Praktizierende. Man nennt einen männlichen Entsagenden Sannyasin, eine weibliche Sannyasini. Ein Sadhu oder eine (weibliche) Sadhvi ist ein Entsagender, der durch einen Guru eingeweiht wurde und nach strengen Regeln lebt, z.B. Besitzlosigkeit, dem Verbot, Geld zu berühren, nicht länger als drei Tage an einem Ort zu verweilen, um Essen zu betteln, sexuelle Enthaltsamkeit, und der vorgegebene spirituelle Praktiken verrichtet, er kann jedes Alter haben. Da es als gutes Karma gilt, spirituell Wandernde mit Gaben zu beschenken, verkleiden sich einige Bettler als Entsagende, um so ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Moderne Inder mit westlicher Prägung stehen dem Pfad der Entsagung skeptisch gegenüber. Tapas: Meditation, Entbehrungen.

KAPITEL 4

EIN JUNGE UND SEIN HUND

Als ich ungefähr zehn war, bekam ich von meiner Mutter einen Hund, und wir wurden schnell unzertrennlich. Er war ein Mischling, und auf den Partys meiner Mutter fegte er immer mit seinem langen Schwanz mit einem Wisch (flip) die Cocktailgläser vom Kaffeetisch, deshalb nannte ich ihn Flipsy.

Da ich ein Einzelkind war, wurde er mein bester Freund. Meine Großmutter war einige Jahre zuvor gestorben, und nun war er der einzige, für den ich unmittelbare Liebe empfand. Jeden Tag, wenn ich von der Schule nachhause kam, sprang er an mir hoch und rollte sich auf dem Boden, um zu spielen. Ich sehnte mich nach dieser Berührung, da meine Mutter mich kaum jemals berührte. Sie hatte einen Artikel im Readers Digest gelesen, in dem stand, dass Frauen ihre Söhne nicht berühren sollten, da sie sonst homosexuell würden.

Innerhalb von sechs Monaten war Flipsy zu einem großen, unternehmungslustigen Hund ausgewachsen, der es liebte, durch die Gemeinde zu streunen, während ich in der Schule war. Meine Mutter war dauernd am Schimpfen, wenn ich nachhause kam, weil er irgendwo in der ferneren Nachbarschaft einen Garten umgegraben hatte. Ihn anzuleinen kam nicht in Frage, da er jämmerlich heulte.

Als meine Mutter eines Tages ankündigte, wir müssten uns ernsthaft unterhalten, wusste ich, dass was Schreckliches kommen würde. Sie hatte diesen gequälten Ausdruck im Gesicht, wie jemand, der im Begriff ist, etwas sehr schmerzhaftes zu tun, und ich zuckte innerlich zusammen, um mich abzuschotten. Was hatte ich falsch gemacht?

„Dies ist für mich viel schlimmer als für dich, aber wir müssen darüber sprechen, was wir mit Flipsy machen.“

Es gab jedoch keine Diskussion, nur ihr logisches Argument, dass wir Flipsy weggeben mussten, weil er zu viele Probleme machte. Sie meinte, der Grund für sein Streunen sei, dass wir zu wenig Platz für ihn hätten. Er sei glücklicher auf einer Farm, wo er großen Auslauf hätte.

„Du willst doch nicht, dass er unglücklich ist, oder?“

Ich wusste, dass ihr Entschluss feststand und jegliches Argumentieren zwecklos war. Ich konnte mich jedoch noch damit abfinden, ihn wegzugeben, bis wir am Bezirks-Tierheim ankamen. Der Mann in der Aufnahme zwang ihn in eine kaum vier Quadratmeter große Umzäunung im Freien, und als ich ihm durch den Maschendraht hindurch in die Augen sah, hörte ich ihn lautlos kommunizieren, „Was hab ich falsch gemacht? Ich hab versucht, mein Bestes zu geben, ich liebe dich, bitte gib mich nicht weg.“

„Geh einfach“, sagte meine Mutter. „Dreh dich nicht um, ignorier ihn einfach, dann geht es viel leichter.“

Ich tat, wie sie gesagt hatte, und drehte meinem besten Freund den Rücken zu, ging die Straße hinunter zum Parkplatz, während sein unablässiges Jaulen mir das Herz zerriss. Als ich zuhause war, warf ich mich aufs Bett und heulte. Flipsy wegzugeben habe ich meiner Mutter bis zu ihrem Tode nicht verziehen. Jetzt sehe ich, wie diese Wunde in mir das Mitgefühl erwachen ließ.

Jahre später, wenn beim Meditieren dieser Schmerz hochkam, nutzte ich die Vipassana-Technik, indem ich diese Gefühle beobachtete, bis sie sich ins Leere auflösten.9

10grundsätzlich gut11