image

Peter Heinze

Bundeswehr beeindruckt
Deutschlands Osten

Peter Heinze

Bundeswehr beeindruckt Deutschlands Osten

Ein Journalist erlebte die Armee der Einheit

Tectum Verlag

Peter Heinze

Bundeswehr beeindruckt Deutschlands Osten

Ein Journalist erlebte die Armee der Einheit

 

© Tectum – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2019

ePub: 978-3-8288-7412-1

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Werk unter der ISBN 978-3-8288-4410-0 im Tectum Verlag erschienen.)

 

 

 

Umschlagabbildung: siehe Bildnachweis, S. 475

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Informationen zum Verlagsprogramm finden Sie unter
www.tectum-verlag.de

 

 

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben

sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek

The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available onlineat http://dnb.ddb.de.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort des Bundesvorsitzenden des Deutschen Bundeswehr Verbandes, Oberstleutnant André Wüstner

Einleitung

1. Europa im Gleichgewicht militärischer Kräfte

2. Zwei Armeen vor der Deutschen Einheit

2.1. Bundeswehr

Poker in Bonn um NVA-Zukunft

Faire Chancen für ostdeutsche Offiziere

DDR-Journalisten auf der Hardthöhe

Flottillenadmiral: Keine Soldaten zweiter Klasse

Stoltenberg: Trennendes im Denken beseitigen

Entspannung beendete „psychologischen Kampf“

2.2. Nationale Volksarmee

SED-Propaganda mit „Feindbild West“

„Parteiarmee“ ohne Partei

DDR-Militärverlag: Kein Feind, kein Gegner

Letzte NVA-Parade mit „Gorbi“-Rufen

Ehrung zum 20. Juli und neuer Eid

Totale Stasi-Überwachung der NVA

Generale im Volvo, Kommandeure im „Trabi“

Nukleares „Teufelszeug“ auch in der DDR

Manöverbeobachter bei der NVA

Aufregende Monate mit Soldaten-Revolte

Volksarmee auch „Arbeitsreserve“

Eppelmann: NVA diente dem Frieden

3. Stimmen zur NVA und Personal-Integration

4. Schwierige Aufgaben im Beitrittsgebiet

Neue militärische Strukturen für den Osten

Telefonie über die Elbe und andere Überraschungen

Bundeswehrkommando Ost nach Vorkommando

Festakt zur Geburtsstunde neuer Streitkräfte

Entwicklung bemerkenswert reibungslos

Guter Übergang von der NVA zur Bundeswehr

Bekannte Kommandeure in alter Heimat

Generalleutnant Jörg Schönbohm

General Werner von Scheven

Generalleutnant Jürgen Höche

General Hans Peter von Kirchbach

Wehrbeauftragter fordert soziale Angleichung

Erstes öffentliches Gelöbnis in neuen Ländern

Forschungsamt: Kalter Krieg und Deutsche Einheit

Truppe hat Umbruch und Umbau gut überstanden

Militärisches „Gegengewicht“ zu WGT-Truppen

Gesamtdeutsche Putz- und Flickstunde

Bundeswehr Ost beendete historische Mission

4.1. Heer

Gelungene Ost-West-Integration im Heer

Mit Struktur 5 modern und schlank

Jahrhundert-Hochwasser ohne Katastrophe

„Heer der Einheit“ mit neuen Konzeptionen

Logistikbrigade „blickt“ in alle Bundeswehrlager

Thüringer Brückenschlag in Richtung Westen

Vorbildliche Familienbetreuung in Erfurt

Lautloses Üben beim „Schwarzen Adler 96“

B-Stelle „Briefkasten“ nicht für Post geeignet

Märkische Kaserne mit Artilleristen

Einberufung als April-Scherz?

Panzergrenadier Renner ist montags immer krank

West-Traditionen im Standort Weißenfels

Strausberger Nachschubtruppe mit gutem Ruf

4.2. Luftwaffe

Luftwaffen-Jubiläum im „Fliegerhorst der Einheit“

Luftstreitkräfte wachsen zusammen

Russisches Jagdflugzeug MiG-29 mit Balkenkreuz

Luftwaffenstruktur 4 in neuen Bundesländern

Grundstein für bodengestützte Luftverteidigung

Kommandoführung bis nach Nordrhein-Westfalen

Standortbestimmung für Krisenreaktionskräfte

Einsatzorientierung trotz reduzierter Luftwaffe

Jäger 90 nach Turbulenzen wieder im Steigflug

Flugmanöver mit Humanzentrifuge

Dresdner Wappen auf Europas Flughäfen

Friedensauftrag „Suchen und Retten“

4.3. Marine

Trotz „Schlankheitskur“ wachsende Aufgaben

Seetüchtigere Komponenten für künftige Flotte

Deutsch-Französischer Flottenverband in Warnemünde

Marineabschnittskommando folgt Bundesmarine Ost

Rotstein-Bauten statt NVA-Look

Rostock bietet Marine zum Anfassen

Schnellbootjahr 1994 ohne „Auffälligkeiten“

„Botschafter in Blau“ auf Berlin-Kurs

4.4. Berlin – neue Garnisonsstadt der Bundeswehr

Bundesverteidigungsminister zeigt Flagge

Rühe: Große Herausforderungen vor uns

Kommandierende Generale in Berlin

Truppenbesuch des Regierenden Bürgermeisters

Berliner Bundeswehrkrankenhaus mit Tradition

Abgeordnete besuchen Truppe in Berlin

Bundesakademie für Sicherheitspolitik

Feldjäger-Chef – ein Junge von der Spree

Symbolvolle Ehrung für Julius Leber

Andrang beim „Tag der offenen Tür“

Großer Zapfenstreich

Salutschiessen wie im 14. Jahrhundert

Lilienthals Gleitflieger im Luftwaffen-Museum

Bundeswehr-Kampfjets auf der ILA 2012

Journalisten-Treff am Alex

Militärmusiker mit Herz und Seele

Musikschau zum Bundeswehr-Jubiläum

Reservisten nun offiziell in Berlin

5. Wehrverwaltung

Bürgerfreundliches Kreiswehrersatzamt

Wehrverwaltung mit neuen Bildungsstätten

Millionen-Investitionen in ostdeutsche Kasernen

Umfassendes Wohnungsprogramm für Soldaten

Bundeswehr trägt sächsische Sportmoden

6. Die Auflösung der Nationalen Volksarmee

Bundesminister im Honecker-Führungsbunker

DDR-Luftwaffe am „Geburtsort“ abgewickelt

Jähn-Büste und Sojus-Landekapsel geerbt

Hunderte NVA-Schützenpanzer im Heer

Einst Polithochschule, heute Nachwuchs-Zentrum

Auftragstaktik statt „Befehl ist Befehl“

Hochspannungsanlagen außer Betrieb

NVA-Waffen – Schrott oder Exportschlager?

Touristenreisen im rollenden NVA-Gefechtsstand

Todesstreifen verlor seinen Schrecken

Höchstpreise für DDR-Orden

7. Alte und neue Traditionen

Henning-von-Tresckow-Kaserne erinnert an Patrioten

Scharnhorsts Vision wurde Realität

Erste gesamtdeutsche Clausewitz-Ehrung in Burg

Speidel: Hohe Akzeptanz der Bundeswehr im Osten

Breites Interesse für „Aufstand des Gewissens“

Schmidt: Dieser Staat wird Euch nicht missbrauchen

Wissenschaftliche Beiträge zum Zweiten Weltkrieg

General Steinhoff – Soldat mit Zivilcourage

Heeres-Offizierschule wieder in Dresden

Militärhistorisches Museum mit neuem Gesicht

Von der „Hohen Düne“ bis zur Leuschner-Kaserne

Erlebnisreicher „Schüler-Tag“ bei der Bundeswehr

8. Umwelt

„Naturschutz durch Panzer“ hat Zukunft

Weniger Schießbahnen für großkalibrige Waffen

Bundeswehr setzt neue Umwelt-Maßstäbe

Nach dem Kalten Krieg: Versöhnung mit der Natur

9. Würdiger Beitrag zum Einheitsprozess

Schönbohm: Jetzt zeitgemäße Menschenführung

Erste ostdeutsche Generale

„Gottverfluchtes Drecknest“ wurde Garnison

Vermessungsunterstützung mit Millionen-Nutzen

NVA-Schriftsteller differenziert beurteilen

Stadtführungen für neue Kameraden

Verstärkte Ost-Integration gefordert

Bundeswehr Verband hilft ostdeutschen Soldaten

10. Mit der Bundeswehr kam ein anderer Geist

Militärseelsorge in neuer Situation

Katholischer Militärbischof lobt Zusammenwachsen

Merkel würdigt „ethischen Rang der Bundeswehr“

Ehrung für deutsche Soldaten jüdischen Glaubens

Eindrucksvolle Sonderschau „Schwarzburger Militär“

„PotsTausend“ ohne Preußengloria

Kriegsdienstverweigerung weitestgehend unbekannt

„Kalinka“ und „Hava Nagila“ im neuen Liederbuch

11. Verringerung von Streitkräften und Rüstung

Abrüstung vom Atlantik bis zum Ural

Letzte SA-6-Rakete in Pinnow zerlegt

Spandauer Horchfunker überwachten Abrüstung

Von der Kürassier-Kaserne zur Fachhochschule

„Schwerter zu Pflugscharen“

„Superpanzer“ T-72 hat ausgedient

Auch Militärs sehen sich zweimal im Leben

Flächenkonversion mit Milliarden Kosten

12. Bundeswehr – international

Manfred Wörner: Ein denkwürdiger Tag

Kooperation an der Führungsakademie

Bündnis mit Verantwortung für Europa

Beratung über „Partnerschaft für den Frieden“

US-Delegation in neuen Bundesländern

Ostdeutsche Truppen in Nato eingegliedert

In Friedensmission mit AWACS über Europa

Mut der Soldaten zu Entscheidungen fördern

Soldaten im Einsatz mögen „Feldpost”

Freundschaft und Zusammenarbeit mit Frankreich

Internationale Luftwaffenchefs auf der ILA

Sanitäter mit Gefechtshelm im Auslandseinsatz

13. Russen und Alliierte verlassen Deutschland

13.1. Deutscher und russischer Minister im Gespräch

Festakt zur Verabschiedung der WGT-Truppen

Größte Militärbewegung im Nachkriegs-Europa

Koordinierte Flüge im Osten

Schützenpanzer vor Honecker-Hospital

„Verbotene Stadt“ Wünsdorf ohne Schlagbaum

Neues Miteinander bei Militärmusikern

Kapitulationsmuseum wurde Begegnungsstätte

13.2. Alliierten-Abschied in Dankbarkeit

US-Streitkräfte

Britische Streitkräfte

Französische Streitkräfte

Fazit: Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft!

Personen

Literatur

Zeittafel wichtiger Ereignisse

Anhang mit Abbildungsnachweis und Text zu Fotos

Autorenporträt

Vorwort des Bundesvorsitzenden des Deutschen Bundeswehr Verbandes, Oberstleutnant André Wüstner

Der Fall der Berliner Mauer jährte sich in diesem Jahr nunmehr zum 30. Mal. Dieses Bauwerk, welches wie kaum ein zweites ein Symbol geworden ist, eben nicht nur für die Teilung der Stadt oder die Teilung Deutschlands und deren Überwindung, sondern eben auch für die Nachkriegsgeschichte Europas und der ganzen Welt. Diese Nachkriegsordnung und der damit verbundene „Kalte Krieg“ manifestierte sich in der rund 1 400 Kilometer langen innerdeutschen Grenze sichtbar und deutlich beiderseits des sogenannten Eisernen Vorhangs. Dazu gehörte, für die jüngeren Generationen heute nahezu unvorstellbar, dass auf deutschem Boden zur Wiedervereinigung neben rund 770 000 alliierten Soldaten auch 535 000 Soldaten der Bundeswehr und der NVA ihren aktiven Dienst geleistet haben.

Schon die reinen Zahlen machen die Herkulesaufgabe und die nicht abzuschätzenden Folgen deutlich, die eine sich vor 1990 noch kaum abzeichnende Wiedervereinigung mit sich bringen würde. Im Nachhinein betrachtet, neben dem Mauerfall selbst, eine der positivsten Überraschungen der jüngeren deutschen Geschichte überhaupt. Keiner hätte damals nur im Ansatz damit gerechnet, dass nicht einmal fünf Jahre nach dem 9. November 1989 der überwiegende Teil der alliierten Truppen aus Deutschland abgezogen, ein wiedervereinigtes Deutschland Teil der EU sowie der NATO und sich eine gesamtdeutsche Bundeswehr nach der Integration der NVA etabliert hatte.

Ohne zu sehr vorgreifen zu wollen, denn der Autor geht auch hierauf in einem eigenen Kapitel tiefergehend ein: Aber der Deutsche Bundeswehr Verband hatte ebenfalls einen eigenen Anteil an der deutschen Wiedervereinigung mit Soldaten aus beiden Streitkräften. Denn bereits im Januar 1990 hatte sich der Verband der Berufssoldaten der Nationalen Volksarmee (VBS) gegründet. Noch vor seiner Gründung gab es erste Kontakte zum Deutschen Bundeswehr Verband, der seine Expertise gerne in den gemeinsamen Austausch und die enge Zusammenarbeit eingebracht hat. Eine gemeinsame Basis hatte sich durch das gleiche soldatische Verständnis schnell gefunden und immer mehr verfestigt. Im Rahmen der deutschen Einheit haben die Mitglieder des VBS sodann auch für einen Beitritt zum DBwV gestimmt. Der Landesverband Ost war damit geboren, der seitdem seine eigene und gemeinsame Erfolgsgeschichte schreiben konnte. Im Übrigen einer der ganz seltenen gesamtdeutschen Fälle, in denen eine ostdeutsche Organisationsform nicht einfach aufgelöst und durch eine westdeutsche ersetzt wurde, sondern eine echte Integration stattgefunden hat. Dies spiegelt auch die heutige Interessenvertretung im Landesverband Ost wider, durch den wiederum auch die verbands- und sicherheitspolitische Debatte im gesamten DBwV um wertvolle zusätzliche Beiträge und Perspektiven bereichert wird.

Deshalb freue ich mich sehr, dass es der Autor geschafft hat, aus seinen persönlichen Erfahrungen sowie von großer Geschichte bis zu kleinen Anekdoten zu berichten, um diesen in der Historie einmaligen Vorgang lebendig und ausführlich nachzuzeichnen. Gerade der gegenseitige Effekt der Wiedervereinigung Deutschlands und die besonderen Herausforderungen für die Soldaten in den Streitkräften kommen in der allgemeinen historischen Betrachtung ansonsten häufig zu kurz. Es ist nur folgerichtig, dass unser Bildungswerk, die Karl-Theodor-Molinari-Stiftung, die Chance ergriffen hat, dieses spannende Vorhaben zu unterstützen und zeigt nebenbei auch die nach wie vor große Bedeutung dieses Parts der sicherheitspolitischen Geschichte unseres Landes, nicht nur für den Deutschen Bundeswehr Verband.

André Wüstner

Bundesvorsitzender des Deutschen Bundeswehr Verbandes

Vorsitzender der Karl-Theodor-Molinari-Stiftung

Einleitung

Wenn eine hochgerüstete Armee sang- und klanglos aufhört, eine Streitmacht zu sein, dann ist das ein historisches Ereignis. So geschehen 1990 mit der Nationalen Volksarmee der DDR. Wenn danach ein nicht geringer Teil ihrer Soldaten unter der Fahne des einstigen Gegners, der Bundeswehr, dient, dann sind das eben zwei Geschehnisse von großer Bedeutung. All das in der ereignisreichen, aber keinesfalls ruhmreichen jüngeren deutschen Militärgeschichte. Ein Zeitzeuge vieler Ereignisse rund um die Armee der Einheit, der Armee aller Deutschen, möchte nun seine Erinnerungen daran auch für künftige Generationen wach halten.

Nie zuvor hat Militär friedlich so viel erreicht! Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts meisterte die Bundeswehr – gewissermaßen auf dem „Rückzug“ vom Kalten Krieg – diese menschliche und militärische Mission mit Bravour. All das mit der Integration ehemaliger NVA-Soldaten und beim inneren Zusammenwachsen Deutschlands. Auch hier war die deutsche Einheit keine Last, sondern ein großes Geschenk der Geschichte. Und durch die glückliche Verbindung der deutschen und europäischen Einigung mit den Erfolgen von Abrüstung und Rüstungskontrolle hat sich die Sicherheitslage in Zentraleuropa drastisch verbessert. Nun trägt hier die Bundeswehr gezielt zu Vertrauen und Stabilität bei, leistet aber auch einen wichtigen Beitrag zur internationalen Kooperation und Integration.

Bis zu diesem Zeitpunkt war die militärische Vergangenheit von den in Deutschland ausgelösten Weltkriegen mit Millionen Toten, unvorstellbaren Zerstörungen und viel Leid unter den betroffenen Völkern geprägt. Jetzt ging alles mit den Soldaten aus zwei feindlichen Bündnissystemen ohne Krieg und ohne Sieg sogar kampflos zu. Es fiel kein einziger Schuss! Es gab kein Blutvergießen auf beiden Seiten! Es fand eine disziplinierte und korrekte Selbstauflösung der DDR-Armee statt – eine „Speerspitze“ des Warschauer Vertrages, dem Bündnis von sieben europäischen sozialistischen Staaten. An seiner westlichen Grenze standen sich über Jahrzehnte die stärksten Truppenkonzentrationen der Welt gegenüber.

Und mit dem Ende der DDR, des zweiten deutschen Staates, und der Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden war hier zugleich das Ende des Kalten Krieges und der Teilung Europas durch den Eisernen Vorhang verbunden. Das hatte sich schon am 9. November 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer angedeutet. Viele nationale und internationale Konflikte standen in Mitteleuropa oft auf der Kippe, konnten in heiße Auseinandersetzungen zwischen Warschauer Pakt und Nato umschlagen. Wiederholt drohte der Menschheit der Dritte Weltkrieg.

In zahlreichen Büchern haben westliche Generale aus Spitzenpositionen ein solches Szenario beschrieben. Das in beklemmend echter Krisenatmosphäre. Auch mit dem Einsatz nuklearer Waffen bei ihren Stabsübungen als „Planspiel für den Ernstfall“. Die politischen und militärischen Führer in Moskau befürchteten daher ein „atomares Barbarossa“ mit den Erinnerungen an den Überraschungsangriff der Wehrmacht 1941 gegen die Sowjetunion.

Der Autor kann heute, drei Jahrzehnte nach der deutschen Vereinigung, sagen: Ich bin dabei gewesen! Habe viele Brennpunkte und Schauplätze erlebt. War auch vor Ort, als so mancher tiefe Graben in dem seit 1945 von den Siegermächten geteilten Land von Militärs überwunden wurde. Auch dort, wo einst nicht nur die Grenzen Völker trennten, entstanden nach 40 Jahren Militärkonfrontation bei der Neuordnung Europas und seiner Sicherheitsstrukturen Brücken der Versöhnung und Zusammenarbeit. Das geschah, so meine Erinnerungen an den Umbruch in Ostdeutschland, auf allen Gebieten. Und mit der großen Bereitschaft vieler Menschen aus Ost und West. All das in einer kurzen Zeitperiode. Für Außenstehende eigentlich unvorstellbar!

Dazu trugen insbesondere hunderttausende junge Männer aus Ost- und Westdeutschland bei. Als Wehrpflichtige leisteten sie – jährlich etwa 26000 aus dem Beitrittsgebiet – in alten und neuen Bundesländern gemeinsam ein Vierteljahr Dienst in der Grundausbildung. Alles unter gleichen Bedingungen für dasselbe Ziel, egal, ob bei Vorgesetzten mit NVA-Vergangenheit oder aus dem Westen. Auch in den Soldatenstuben wurden mit gegenseitigen Informationen über das Leben „hüben“ und „drüben“ manche Vorbehalte abgebaut, die nun gesamtdeutschen Streitkräfte sogar Vorbild beim inneren Zusammenwachsen Deutschlands.

Wie mir Kommandeure berichteten, hat sich bei dieser von der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr festgelegten „personellen Vermischung“ über die ehemalige innerdeutsche Grenze hinweg die Kameradschaft und Solidarität unter der nachwachsenden Generation in beispielhafter Weise bewährt. Es entstanden viele Freundschaften zwischen Köln und Dresden, auch nach der gemeinsamen Dienstzeit.

Ebenso zwischen Offizieren, die sich zuvor Jahrzehnte lang auf einen Krieg gegeneinander vorbereitet hatten. Sie waren nun in den Personalkreislauf von Truppenteilen, Stäben, Ämtern und Schulen mit gemischten Stellenbesetzungen einbezogen. 230 Offiziere der früheren NVA wurden anfangs in Heeresstandorte des Westens versetzt. Es gab überhaupt einen großen Integrationserfolg. So mit den Stabsoffizierslehrgängen der Bundeswehr-Führungsakademie in Hamburg, wo seit März 1993 Hauptleute – ehemalige Stabsoffiziere der NVA – teilnahmen. „Hier mussten sie sich dem ‚Wettstreit‘ mit ihren Kameraden aus der alten Bundeswehr stellen“, sagte mir dort ein General.

Auch andernorts im Rückblick: Die Ost-West-Integration quer durch die Truppenteile und Einheiten – gelungen! „Teilung durch Teilen überwinden“ war in den gesamtdeutschen Streitkräften gelebte Praxis. Vorbehalten folgten Vertrauen und gegenseitiger Respekt. Die neue Kameradschaft in der Armee der Einheit bewährte sich in einer grundlegend gewandelten Welt auch in zunehmend gefährlichen Einsätzen wie in Afghanistan.

An den von der NVA übernommenen Großgeräten fand bei der Weiternutzung in der neuen Truppe immer Meinungsaustausch statt, sachlich, ohne Polemik, mit Für und Wider. Später wurde der modernisierte Schützenpanzer BMP, der in vier Heimatschutzbrigaden vorhanden war, gegen den Schützenpanzer Marder ausgetauscht. Und der Mehrzweckhubschrauber Mi-8, vor allem im Such- und Rettungsdienst der Bundeswehr bis 1994 genutzt, nach vielen Einsätzen in den Einheiten der Heeresfliegerstaffel Ost durch den Typ Bo-105 ersetzt. Die Benennung ostdeutscher Einheiten für die Beteiligung an den Krisenreaktionskräften signalisierte gleichfalls den Beginn der Normalität im Heer der Einheit.

„Der Aufbau Ost wurde ganz praktisch eine Sache der gesamten Bundeswehr. Gewiss eines der Geheimnisse dieses Erfolges“, erinnerte sich Generalleutnant a.D. Werner von Scheven. Mit ihm bin ich oft vor Ort zusammengetroffen. Der Ex-Kommandeur der Führungsakademie diente im Beitrittsgebiet als Stellvertreter des Befehlshabers, dann als Kommandierender General des IV. Korps und Befehlshaber Korps und Territorialkommando Ost. Wie er mir erklärte, spielte sich in der Bundeswehr „ein Teil jenes Prozesses ab, den man das Zusammenwachsen der Deutschen zu einer Nation nennt. Und der enthielt große Chancen, zur Stabilität in Europa und zur Vereinigung Europas beizutragen.“

Ich habe diesen, auch international beispiellosen Beitrag zum Vereinigungsprozess als Reporter im Einsatz vielerorts aufmerksam verfolgt. War all die Jahre regelmäßig zwischen dem Marinestützpunkt Hohe Düne in Rostock und der Kyffhäuser-Kaserne in Bad Frankenhausen auf Achse. Natürlich habe ich dabei vieles mit den Augen eines ehemaligen NVA-Reservisten gesehen. Und in Gedanken so manches mit vormals verglichen. Unübersehbar: Jeder Soldat war nun ein Bürger in Uniform.

Und was für Unterschiede! Das begann schon bei der feierlichen Indienststellung eines recht kleinen, hoch qualifizierten Bundeswehrkommandos Ost in Strausberg, der einstigen „NVA-Hochburg“, am Tag der Deutschen Einheit 1990. Den Tag darauf prägten die Worte des neuen Befehlshabers, Generalleutnant Jörg Schönbohm: „Wir kommen nicht als Sieger zu Besiegten. Wir kommen als Deutsche zu Deutschen.“ Auch für mich von der schreibenden Zunft hier keine Super-Wessis, sondern angenehme Bürger, Kollegen oder Kameraden, die im Osten beim Auf- und Umbau gewissermaßen als „Macher der ersten Stunde“ mit anpacken wollten. Und das in den nächsten Monaten und Jahren insgesamt beispielhaft getan haben.

Danach gab es in den neuen Truppenteilen unter dem Kommando von West-Offizieren bei der Ausbildung oft noch keinen vollkommenen „Dienst nach Vorschrift“ wie in der alten Bundeswehr. Vieles musste improvisiert werden. So betrug die Wachbelastung der Mannschaften in den neuen Bundesländern bis zu 25 Prozent, die der westlichen lag bei etwa vier Prozent. Aber das korrekte Dienen fand ohne neue Dienstvorschriften statt, sehr oft noch mit NVA-Vokabular bei Befehlen und Anweisungen. Eben weil keine „Schubladenpläne“ für den Fall der Vereinigung beider deutscher Staaten vorhanden, entsprechende Bestimmungen für die neuen Strukturen einer Bundeswehr im Osten noch nicht ausgearbeitet waren. Für die neuen Offiziere waren auch alte Anredeformen gewöhnungsbedürftig.

Wie ich überall hörte, kam es zu keinen Zwischenfällen mit den Kommandeuren aus dem Westen. Die Offiziere fanden schon in den ersten Tagen eine „gemeinsame Sprache“ ohne Kampfbegriffe wie „Ossis“ und „Wessis“. Meist übten die Vertreter aus den westdeutschen Unterstützungsgruppen eine Doppelfunktion aus – sie waren Ausbilder und Ansprechpartner zugleich. „Besonders beeindruckt hat mich das enorme Vertrauen, das die Soldaten und zivilen Mitarbeiter uns Integrationshelfern der Bundeswehr entgegenbrachten“, erinnerte sich ein 28-jähriger Hauptmann aus dem hessischen Panzerbataillon 143 an seine Hilfe in Sachsen.

Nach Dienstschluss wurden viele solcher Gespräche, dann in lockerer Runde, auch sehr persönlich. Ein jeder hier wollte doch von der anderen Seite wissen, wie es bei ihm damals war – im Dienst und überhaupt. Die einstige „Betonmauer“ in den Köpfen mancher Militärs mit den Kategorien des Kalten Krieges bekam nun Risse, Vorurteile wurden abgebaut. Auch über so manche positive ostdeutsche Erfahrung wurde geredet. Es gab zudem Tipps zu den neuen Verhältnissen im Privatleben unter den Bedingungen der sozialen Marktwirtschaft.

Das verlangte von den etwa 1300 Offizieren und Unteroffizieren aus der alten Bundeswehr bei ihrem Abenteuer „Wilder Osten“, oft humorvoll zu hören, eine große Verantwortung gegenüber den neuen Kameraden. Diese waren einem längeren Auswahlverfahren und Stasi-Überprüfungen unterzogen worden. Viel Arbeit gab es ebenso bei der Organisation eines reibungslosen Ablaufs des Armeebetriebes, besonders für die Bewachung der Riesenvorräte an Waffen und Munition. Unvorstellbar war damals auch für mich, dass die NVA mit einst 170000 Soldaten über eine größere Feuerkraft als die Bundeswehr verfügte, in der 480000 Soldaten dienten. In den ostdeutschen Depots lagerten rund 300 Millionen Tonnen Munition. Das sollte für 40 Kriegstage an der Seite der russischen Westgruppe reichen.

Politiker und Militärs sprachen zu dieser Zeit des Wandels und des Aufbruchs oft von der „zweiten Neugeburt“ der Bundeswehr. Diese war 1955 als erste Armee in einer Demokratie in Deutschland und als reine Verteidigungsstreitmacht gegründet worden, in der die Einmischung der Militärs in die Politik kaum möglich ist. Und die Soldaten zum kritischen Denken und potentiellen Widerstand gegen unrechtmäßige Befehle erzogen werden.

Das war ein Jahr vor NVA-Gründung 1956. Diese ging aus der schon militärisch gerüsteten Kasernierten Volkspolizei (KVP) hervor. Ebenfalls von großer Bedeutung: Beim Übergang zu gesamtdeutschen Streitkräften im Beitrittsgebiet war die Sicherheit der Bundesrepublik trotz naturgemäßer Risiken nach den lokalen Auflösungserscheinungen in der Volksarmee, als auch Unteroffiziere und Offiziere wegen Personalmangel an den zahllosen Munitionslagern Wache standen, nie gefährdet.

Und das, obwohl im Osten Deutschlands in den Jahren des vertraglich vereinbarten Abzugs bis 1994 noch kampfstarke russische Truppen existierten. Diese unterstanden sowohl dem Oberkommando in Wünsdorf bei Berlin als auch der Militärführung im politisch turbulenten Moskau. Immer waren diese Truppen einsatzfähig, auch mit nuklearer Bewaffnung.

Das Ungewöhnliche: Seit dem Ende der DDR und ohne NVA-Waffenbrüder befanden sich diese plötzlich mitten in einem Nato-Land. Denn Deutschland war auch weiterhin das zentrale Glied im europäischen Teil vom Nordatlantischen Verteidigungsbündnis. Auf seinem Gebiet standen in den 1990er Jahren mehr als 400000 Mann der alliierten Streitkräfte. Wohl deshalb wurden die russischen Soldaten täglich mit kriegsnaher Gefechtsausbildung beschäftigt und an der patriotischen Erziehung (Großer Vaterländischer Krieg gegen die deutsche Wehrmacht, Feindbild Nato) keine Abstriche gemacht. Auch das sollte man nicht vergessen.

Doch schon bald, so sagte mir das ein Bundeswehr-Oberst vertraulich, waren unweit aller russischen Garnisonen neue Bundeswehr-Verbände in ehemaligen NVA-Kasernen stationiert. Nun auch nach den erfolgreichen Monaten des Neuaufbaus mit dem erforderlichen Ausbildungstand. Hier wurde zugleich der „Stamm“ der neuen Bundeswehr-Truppenteile im Osten gebildet – beim Heer, bei der Luftwaffe, für die Marine. Und alles mit den geplanten Strukturen des Personalabbaus und der Verkleinerung der Bewaffnung bei gleichzeitigem Umbau. So mit verkürzten Wehrdienstzeiten und der Sicherstellung der nationalen Führungsfähigkeit des Heeres. Dabei wurden die Truppen im Osten mit ihren neuen Strukturen zu „Modellen“ für eine künftige hochmoderne Bundeswehr. Auch wenn das für die neuen Bundesländer angesichts der wirtschaftlichen und anderen Schieflagen zwischen Ost und West aus der Sicht eines Nicht-Militärs gar nicht typisch war.

Meist ab Regiment kamen die Kommandeure aus dem Westen. Sie konnten voll mit der Loyalität und Einsatzbereitschaft der ostdeutschen Soldaten rechnen. Oft hörte ich solche Worte: „So einen Vorgesetzten hatte ich noch nie!“ Bei den Übergaben der NVA-Truppenteile mit den Unterlagen zum Personal sowie zu den Waffen- und Munitionsbeständen ging es korrekt zu. Wie ich in der Eggesiner Panzerdivision mit einst 12000 Soldaten erlebte, fehlte laut Protokoll „nicht eine Patrone“. Vielleicht war das auch noch preußische Genauigkeit unter den NVA-Offizieren.

Auch anderswo bewährten sich nun ost- und westdeutsche Kameraden gemeinsam in der „Armee der Einheit“ oder „Armee aller Deutschen“. Die „Neuen“ – ob Wehrpflichtige oder die insgesamt 3200 übernommenen NVA-Offiziere – waren nun „Bürger in Uniform“. Mit allen Rechten und Pflichten eines Bundesbürgers! Aber in diesen Streitkräften ging es trotz militärischer Kommandos der Vorgesetzten demokratisch zu – weil eine Parlamentsarmee. Sie stand unter Kontrolle der Volksvertreter auf den rechtlichen Grundlagen der Wehrverfassung von 1956. Der Slogan „Eine sichere Zukunft beim Bund!“ kam an. Ebenso die Werbung: „Wohin wollen Sie reisen? Nach Amerika zum Panzerschießen?“

Statt „Befehl ist Befehl“, den in der NVA nicht nur der Hauptfeldwebel erteilte, wie ich mich an meinen 18-Monate-Wehrdienst nach dem Studium und folgenden Übungen als Reservist erinnere, gab es nun einen „Auftrag“. Der forderte auch einen Soldaten zum Mitdenken in der Ausbildung und auf dem Truppenübungsplatz auf. Dennoch war und ist hier militärischer Gehorsam an Gesetz und Gewissen gebunden. Aber auf eine Schrankordnung bei den Mannschaften mit der Kontrolle von Spind und Bettenbau wie in der NVA wurde verzichtet. Die Eigenverantwortung der Soldaten für ihr eigenes Wohl war nun größer. Und das geflügelte Wort von der „Mutter der Kompanie“ beim Stubendurchgang zu NVA-Zeiten: „Können Sie mich noch sehen?“, nachdem der Hauptfeldwebel mit seinem Zeigefinger angeblich viel Staub von der Zimmertür gewischt und dann vor dem Rekruten in die Luft gepustet hatte, gehörte von nun an zu den Soldaten-Geschichten, über die oft gelacht wurde.

Bleibt festzustellen: Nach dem Übernehmen, Auflösen und Integrieren hat die Bundeswehr das Zusammenwachsen von Ost und West besser und schneller vorangetrieben, als viele andere gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland. Das erinnerte mich doch an Scharnhorsts Aufforderung an das Militär: „An der Spitze des Fortschritts zu marschieren.“ Für mich persönlich eine wesentliche Seite beim Aufschwung im Osten, an dem manche westdeutsche Führungskräfte, so bei der Umstrukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft, nicht nur in der Treuhand, mit ganz anderen Ambitionen maßgeblich beteiligt waren. Viele dieser „Wessis“ dachten wohl zuerst an ihre eigene Karriere.

Außerdem erforderte die Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer gesamtdeutschen Streitkraft auch Entscheidungen über die Verlegung, Aufgabe oder Modernisierung von Standorten im Westen. Zudem musste das neue Personal – etwa 11000 Soldaten der vormaligen Nationalen Volksarmee der DDR wurden ja in die Bundeswehr integriert – ausgebildet und geschult werden. Doch schon bald identifizierten sich die neuen Kameraden, jetzt im Feldanzug „Nato oliv“ in den Kasernen und auf Truppenübungsplätzen, mit dem demokratischen Rechtsstaat und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, zu deren Waffenträgern sie nun gehörten.

Wie ich oft von hohen Offizieren in dieser Zeit hörte, waren Aufbau, Struktur und Organisation der alten Bundeswehr nicht unbedingt Vorbild für moderne gesamtdeutsche Streitkräfte, die in den neuen Bundesländern aufgestellt wurden. Mit weniger Personal und weniger Ausrüstung, auch geringeren Kosten, sollten diese Verbände der Armee im Bündnis künftig „schlagkräftig und einsatzwillig“ bei der internationalen Friedenssicherung sein, hieß es im Führungsstab des Heeres. Also „weg von der Bedrohungsorientierung, hin zur Souveränitätsorientierung“.

Beim Blick auf das „Herkuleswerk“ – der Vereinigung beider Deutschlands, bei der die Nachkriegsordnung Europas ins Drehen geriet – prognostizierte im Oktober 1990 ein westdeutscher Militärexperte: Das Einfügen von Soldaten, Truppen und Waffen der einstigen NVA in die Bundeswehr sei eigentlich „ein Kinderspiel“. (Ganz so einfach, meine ich, war das dann doch nicht.) Der politische, rechtliche und ökonomische Umbau nach dem Untergang der DDR werde aber zu einer „Jahrhundertarbeit“. Da hatte er wohl recht, wie die Gegenwart auf vielen Gebieten auch nach 30 Jahren Wiedervereinigung zeigt! In der Nachbetrachtung wird eine Zeit lebendig, die schon heute zu den wichtigsten Perioden der deutschen Nachkriegsgeschichte zählt.

1. Europa im Gleichgewicht militärischer Kräfte

Unmittelbar vor der Einheit bildete Deutschland im Herbst 1990 ein riesiges Heerlager im Herzen Europas. Es umfasste etwa 1,44 Millionen deutsche und ausländische Soldaten aus acht Nationen. Eingegliedert in Blöcke, ausgerüstet und bewaffnet mit modernstem Kriegsgerät, standen sich an der innerdeutschen Grenze zwischen Lübeck (West) und Plauen (Ost) im System der Vorneverteidigung handlungsbereite, etwa gleichstarke Kampfverbände gegenüber – dabei die Nationale Volksarmee mit sechs, die Bundeswehr mit zwölf Divisionen.

Bei der Mobilmachung war für beide Armeen eine sogenannte Aufwuchsfähigkeit auf das Dreifache vorgesehen. Zur Unterstützung einer möglichen militärischen Auseinandersetzung hielten die im geteilten Deutschland stationierten Luftwaffen insgesamt fast 2500 Kampfflugzeuge einsatzbereit. Auch das bedeutete bis zur Überwindung des Ost-West-Dauerkonflikts die größte Militärkonzentration, die es je in Mitteleuropa gegeben hat.

Mit anderen Worten: Ganz Deutschland war ein strategisch wichtiger Schauplatz im Kalten Krieg, der zwischen Nato und Warschauer Vertrag bis 1990 andauerte und dessen Ende buchstäblich über Nacht kam. Ost- und Westdeutschland bildeten in ihren Bündnissen jeweils die Frontstaaten. Wäre ein globaler Krieg, der Dritte Weltkrieg, entstanden, hätte man das geteilte Deutschland zweifellos an der Verteidigungsfront der Allianz von Norwegen bis zur Türkei zum Hauptschlachtfeld gemacht. Auslöser konnten die Berlin-Krise 1948/49 oder der Mauerbau in Berlin 1961 sein. Dann wäre ein Szenario Realität geworden, was auch immer von der ostdeutschen Bevölkerung befürchtet wurde – Deutsche sollten gegen Deutsche kämpfen. Nicht auszudenken!

Deren Verbände waren fest eingebettet in die Strukturen der Nato und des Warschauer Pakts. Hier galten die insgesamt 660000 Soldaten der Bundeswehr und der NVA jeweils als die „deutsche Komponente“. Sie bestand aus zwei völlig unterschiedlichen Militärkulturen. Die Oberhoheit oblag schon im Frieden den USA beziehungsweise der Sowjetunion. Generale beider Groß- und Siegermächte nahmen die entscheidenden Kommandostellen ein, hatten letztlich das Sagen.

Bei ihren Stabsübungen, so von der Nato noch 1989, wurde auch der Einsatz von Kernwaffenschlägen auf des Gegners Seite geprobt. Es galt die Devise: Die Nato sollte darauf vorbereitet sein, den zu erwartenden machtvollen konventionellen Angriff des Warschauer Pakts mit Panzern, Schützenpanzern und Artillerie durch den massiven Einsatz taktischer und strategischer nuklearer Waffen abzuwehren. Das hieß bei den Militärs: „Massive Vergeltung“.

In der NVA-Hierarchie überwachten sowjetische Generale und Oberste bis 1990 alle Führungseinrichtungen. Auch mit ihrer Teilnahme an den Kollegiumssitzungen des Verteidigungsministeriums, immer an ihrer Seite ein Dolmetscher. Der musste zudem die Beschlüsse und alle wichtigen Dokumente für die militärische Führung in Moskau übersetzen. Diese Kontrolle galt auch in allen drei Teilstreitkräften bis in die Kommandos der Divisionen und Flottillen. Dabei standen die etwa 90 sowjetischen „Berater“ auf den Gehaltslisten der DDR-Armee. Ihre besondere Aufmerksamkeit galt der ostdeutschen Republik als Teil des Warschauer Vertrages. Und „nebenbei“ schauten die sowjetischen Militärs ihren einstigen Schützlingen auch politisch auf die Finger, damit diese unter keinen Umständen irgendwelche Kontakte zu den Deutschen auf der anderen Seite aufnahmen.

Doch nicht nur beide Großmächte bestimmten, wie bekannt, im Kriegsfall über den Einsatz von Nuklearwaffen auf dem geplanten Kampfgebiet zwischen Rhein und Oder. Über die unter größter Geheimhaltung seit den 1960er Jahren in der Bundesrepublik gelagerten 700 Atombomben sollten ursprünglich westdeutsche Militärs mitentscheiden. Zu dieser Zeit verfügte die Bundeswehr über eine Vielzahl nuklearer Einsatzmittel. So atomare Landminen, Atomgranaten, atomare Raketenträger.

Ein Befürworter der gerade erst gegründeten Bundeswehr mit atomaren Trägersystemen war Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU). „Selbstverständlich können wir nicht darauf verzichten, dass unsere Truppen auch in der normalen Bewaffnung die neueste Entwicklung mitmachen.“ Und er bezeichnete 1957 die taktischen Waffen „als eine Weiterentwicklung der Artillerie“.

So bemühte sich der Führungsstab des Heeres um die Nuklearisierung der Heeresverbände. „Atomare Gefechtsfeldwaffen waren selbst für die Brigaden vorgesehen. Damit sollte die Brigade zum selbständig kämpfenden Großverband aufgewertet, die Kampfkraft deutlich erhöht und die Lücke in der abgestuften Abschreckung geschlossen werden“, berichtete der Militärhistoriker Oberstleutnant Dr. Helmut R. Hammerich in „Das Heer 1950–1970, Konzeption, Organisation und Aufstellung“, Oldenbourg Verlag München, 2006, S. 197. „Die gewünschte Doppelrolle des Heeres, sowohl für den konventionellen als auch für den atomaren Krieg gerüstet zu sein, war Mitte der 1960er Jahre bereits erreicht.“

In dieser Zeit bedeuteten die jeweiligen Bündnisverflechtungen der Bundesrepublik und der DDR einen zusätzlichen ausländischen Schutz vor der anderen militärischen Seite, auch eine Lehre und Schlussfolgerung aus dem Zweiten Weltkrieg: Von Deutschland sollte nie wieder eine Gefahr für andere Völker Europas ausgehen, hieß es damals. Doch gerade die atomare Aufrüstung in der Bundesrepublik sorgte in jenen Jahren nicht nur unter Anhängern der Friedensbewegung für großes Unbehagen und führte zu eindrucksvollen Protesten. In der DDR blieben die 25 Lagerstätten nuklearer Waffen der Sowjetarmee dagegen stets geheim. Sonst hätten diese Gefahrenquellen – oft nahe von Wohn- und Erholungsgebieten – für schlaflose Nächte bei der Bevölkerung und unter den Urlaubern gesorgt.

Unter diesen politischen und militärischen Spannungen wuchs in der DDR die Angst vor einem nuklearen Krieg auf dem eigenen Territorium. Das insbesondere seit der Katastrophe 1986 im Atomkraftwerk von Tschernobyl. Ferner geriet Mitte der siebziger Jahre in Mitteleuropa das militärische Gleichgewicht in Gefahr, als die Sowjetunion ihre auf Westeuropa gerichteten atomaren Mittelstreckenraketen durch die SS-20 (Nato: SABER) ersetzte. Die 16,5 Meter langen Raketen mit einem Startgewicht von 37 Tonnen auf mobilen Abschussrampen und einer Reichweite von 5400 Kilometer, für den Einsatz gegen Kommandozentralen sowie andere interkontinentale und kontinentale Ziele konstruiert, hatte die 80-fache Sprengkraft einer Hiroshima-Bombe. Und davon gab es im Ostblock, so auch in der DDR, wie ein KGB-Chefanalytiker später bestätigte, insgesamt 654 Exemplare.

Als Reaktion auf diese direkte Bedrohung setzte 1979 Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) den Nato-Doppelbeschluss durch. Es ging einerseits um bilaterale Verhandlungen der Supermächte. Andererseits wurden 1983 in diese Lücke der atomaren Abschreckung in Westeuropa und der Bundesrepublik 572 mit nuklearen Sprengköpfen bestückte bodengestützte Marschflugkörper vom Typ Tomahawk sowie Pershing-II-Raketen als Ausgleich stationiert.

Die großen Proteste der westdeutschen Friedensbewegung gegen die geplante atomare Nachrüstung mit all ihren Gefahren erreichten nicht nur über das West-Fernsehen den anderen Teil Deutschlands. So wurden die Nato-Nuklearraketen von der Partei- und Staatsführung der DDR als „Teufelszeug“ gebrandmarkt. Die folgenden Debatten im ganzen Land über die „Raketen für den Krieg“ im Westen und die „Raketen für den Frieden“ im Osten führten bei Offizieren der NVA-Raketentruppen zu prinzipiellen internen Diskussionen, wie ich hörte.

Einzelheiten über einen möglichen Verzicht auf eigene Waffen wie Panzer und Artillerie bei den Wiener Abrüstungsgesprächen wurden von der DDR-Militärführung als „Schwächung des Sozialismus“ interpretiert. Abrüstungsexperten vom eigenen Außenministerium, die bei diesen Verhandlungen in Wien nach späteren Aussagen mit ihrem Auftreten dort „Kopf und Kragen“ riskierten, waren deshalb bei Gesprächsrunden auf hoher Ebene im Strausberger Verteidigungsministerium unerwünscht. Das sogar „von allerhöchster Stelle“, sagte man mir.

Erst der Vertrag über die Vernichtung der Kurz- und Mittelstreckenraketen zwischen den USA und der UdSSR, 1987 von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow unterzeichnet, „beruhigte“ in gewisser Weise die SED-Führung und die Militärs in der DDR. Zumal sich hier getreu dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ unter dem Schutz der Kirchen eine kleine Friedensbewegung mit Kontakten zum Westen gebildet hatte. Deren öffentlichkeitswirksamen Aktionen zur Erhaltung und Sicherung des Friedens wurden von den Bürgerbewegungen unterstützt. Ebenfalls durch viele ostdeutsche Anhänger von Glasnost und Perestroika mit und ohne SED-Parteiabzeichen.

So lautete auf beiden Seiten unter Fachleuten stillschweigend die militärische Option, die so an keiner Führungs- oder Militärakademie den künftigen „Generalstäblern“ gelehrt wurde: „Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter.“ Das wusste jeder Hörer dieser Lehranstalten in Hamburg und Dresden. Und: „Je kürzer die Reichweiten der Waffen, umso deutscher die Toten.“ Das vor allem beim Einsatz nuklearer Gefechtsfeldwaffen auf deutschem Boden.

Aus all den Gründen permanenter Kriegsgefahr wuchs auf beiden Seiten das Interesse an mehr Stabilität auf dem Kontinent. Es kam schon 1975 mit der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki zu vertrauensbildenden Maßnahmen, nicht nur auf militärischem Gebiet. Auch mit Blick auf mehr Menschenrechte und Freiheit hinter dem Eisernen Vorhang. Dann begannen in Wien Konsultationen über eine gegenseitige Verminderung von Streitkräften und Rüstungen in Mitteleuropa.

Später durften Beobachter von der anderen Seite zu großen Manövern eingeladen werden, was aber keine Pflicht war. In der Praxis zeigte sich die Nato weitaus gastfreundlicher als der Warschauer Pakt. Auch die Bundeswehr ging hier, im Gegensatz zur NVA, mit gutem Beispiel voran. Sie hatte damals schon mehr als zehn Jahre lang Manöverbeobachtungen praktiziert, auch wiederholt Einladungen an die ostdeutschen Militärs verschickt. Das Oberkommando der Warschauer Vertragstruppen in Moskau gab aber der NVA-Führung für Beobachter auf den mit der hochgerüsteten Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) genutzten riesigen Übungsgebieten kein grünes Licht.

Danach wurde vor allem 1986 in Stockholm – besonders für Militärs aus den Warschauer Vertragsstaaten zu jener Zeit noch immer ungewöhnlich – recht offen über die Reduzierung von Bewaffnung und Ausrüstung verhandelt. Auf den Tisch kamen aktuelle Zahlen und Fakten, die zuvor im Osten immer geheim waren. Und in diese aufgeschlossene Atmosphäre fügte sich die Arbeit von Manöver-Beobachtern der jeweils anderen militärischen Seite sowie aus neutralen Staaten wie Österreich und der Schweiz als weiterer Beitrag zur internationalen Entspannung ein.

Ab 1. Januar 1987 galt das Schlussdokument der Stockholmer Konferenz über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa. 35 Teilnehmerstaaten verpflichteten sich darin, Militärbeobachter bei Übungen mit mehr als 17000 Teilnehmern einzuladen. Allein für das laufende Jahr mussten deshalb die DDR-Behörden vier Übungen, auch mit Beteiligung der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, Vorgänger der WGT-Truppen, ankündigen.

An zwei dieser Übungen zwischen Potsdam und Magdeburg sowie bei Cottbus mit westlichen Beobachtern, darunter Oberstleutnanten der Bundeswehr, nahm ich als ADN-Berichterstatter teil. Viele ostdeutsche Wehrpflichtige und Offiziere erlebten nun – wie hier oft zu sehen war – in den Gesprächen die Vertreter von anderen Feldpostnummern als „ganz vernünftige Menschen“. Helsinki und Stockholm ließen also vertrauensvoll grüßen!

Nach 1990 hat sich die politische Landkarte in Europa radikal verändert. Beendet ist der Jahrzehnte lange Ost-West-Konflikt. Anstelle der gegenseitigen Hochrüstung und Konfrontation sind Abrüstung, Rüstungskontrolle und Kooperation getreten. Und ganz wichtig: Die konventionellen Streitkräfte in Europa wurden um 40 Prozent vermindert. So sollen Überraschungsangriffe und große Offensivhandlungen ausgeschaltet werden.

2. Zwei Armeen vor der Deutschen Einheit

2.1. Bundeswehr

Die friedliche DDR-Revolution 1989/90 in Richtung Freiheit und Menschenrechte mit einem völlig unerwarteten Ausbruch und ohne das Handeln „großer Männer“ wie sonst in der Geschichte hatte auch die Bonner Regierung überrascht. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) erklärte im Februar 1990 in Camp David gegenüber US-Präsident George W. Bush, dass sich dort „die Entwicklung zur deutschen Einheit“ mit einer Dramatik vollzieht, „die er selbst sich nicht hätte vorstellen können“. Die Bundeswehr war auf die Selbstauflösung der DDR und ihrer Nationalen Volksarmee ebenfalls nicht vorbereitet. Könnte auch heißen: Für einen solchen oder ähnlichen Fall lagen keine Papiere in den Panzerschränken auf der Hardthöhe.

Der frühe Vereinigungstermin laut Volkskammer-Beschluss mit der Aufnahme der DDR am 3. Oktober 1990 in die Bundesrepublik Deutschland löste deshalb auf der Bonner Hardthöhe „hektische Aktivitäten“ aus. Im Gegensatz zu anderen Bundesministerien mit DDR-Kontakten wie im Post- und Fernmeldewesen oder mit Wirtschaftsbeziehungen hatte das Bundesverteidigungsministerium seit der Stockholmer Konferenz über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa 1986 bis dato wohl wegen der „Berührungsängste“ keinerlei direkten Beziehungen zum anderen Deutschland und seiner Armee. Daher auch viel „Nichtwissen“ und „Vorurteile gegenüber dem Osten“, wie das ein Kenner der Szene einschätzte.

Auch vom „Wildwuchs der Spekulationen“ war die Rede. Und diesem „einzigartigen Prozess“ vermochte die Informationsarbeit des Bonner Wehrressorts „kaum zu folgen“. So erlebte ein Insider die Situation im Bundesverteidigungsministerium im Sommer 1990 und erste „vage Vorstellungen von einer gesamtdeutschen Streitmacht“. Eigentlich sei eine solche „Ungewissheit und Unklarheit“ über die künftig nicht mehr existierende NVA keinesfalls verwunderlich, erinnerte er sich. Denn in der Geschichte hätte es einen ähnlichen „Vorgang mit militärischer Gewaltlosigkeit“ noch nie gegeben. Und damit auch nirgendwo „Leitlinien für solche Rechtsfälle“.

Immer deutlicher wurde dann die historische Chance einer deutschen Wiedervereinigung. Im Bundesministerium der Verteidigung fanden nun erste Diskussionen über eine Annäherung zur NVA statt. Solche Kontakte waren bis zu diesem Zeitpunkt für alle hohen Dienstgrade verboten. Selbst Reisen durch und über die DDR nach West-Berlin. Es bestanden „unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man mit den Menschen in der NVA umgehen sollte“. So erinnerte sich Oberst a.D. Bernhard Gertz, langjähriger Vorsitzender des Deutschen Bundeswehr Verbandes (DBwV), auf einem Zeitzeugenforum in Berlin zum 60. Jubiläum der Streitkräfte. Als Verbands-Justitiar sah er seine Aufgabe darin, „sich auch diejenigen Personen nicht als Verlierer der Einheit fühlen zu lassen, die nicht in die Bundeswehr übernommen wurden“.

Wie gesagt: Aufgrund der Bündnisverpflichtungen beider deutscher Armeen bestanden zunächst nur begrenzt Kontakte. Die beiden Verteidigungsminister, Gerhard Stoltenberg (CDU) und Rainer Eppelmann (DA), trafen sich am 27. April 1990 in einem Hotel am Flughafen Köln-Wahn. Dabei auch erstmalig NVA-Generale in Uniform auf westdeutschem Boden. Die Minister vereinbarten, dass ein vereintes Deutschland Mitglied der Nato sein sollte. Eppelmann äußerte noch am 2. August die Absicht, die NVA von ursprünglich 170000 auf 98000 Mann zu reduzieren. Dann „empfahl“ er, mit der Vereinigung beider deutscher Staaten die NVA und die Bundeswehr „zusammenwachsen“ zu lassen. In Gedanken schwebte ihm wohl eine „Verschmelzung beider Armeen“ vor.

Am 1. Juli 1990 begannen mit Befehlen auf beiden Seiten offizielle Kontakte zwischen den Militärs. Eine Verbindungsgruppe der Bundeswehr nahm am 20. Juli 1990 ihre Arbeit im Ministerium für Abrüstung und Verteidigung in Strausberg auf. Und schon im Spätsommer zeichnete sich ab: Es gibt keine zwei Armeen im wiedervereinten Deutschland!

Der Zwei-plus-Vier-Vertrag der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges und der beiden deutschen Staaten vom 12. September 1990 in Moskau besiegelte dann die Souveränität des vereinten Deutschlands. Es verpflichtete sich darin, eingedenk der jüngsten historischen Veränderungen in Europa, die Streitkräfte auf 370000 Mann zu reduzieren. Deutschland blieb zudem Mitglied der Nato. Am 3. Oktober 1990 erfolgte mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland auch die vorläufige Übernahme der Soldaten sowie der gesamten Bewaffnung und Ausrüstung der NVA in die Befehlsgewalt der Bundeswehr.

Poker in Bonn um NVA-Zukunft

Nach Eintritt der DDR in die Währungs- , Wirtschafts- und Sozialunion mit der Bundesrepublik im Sommer 1990 mehrten sich im Westen auch die Nachrichten zum Thema „NVA ja oder NVA nein“. Vor allem in Bonn wurde um die Zukunft der ostdeutschen Armee und ihrer Soldaten gepokert. Dazu gab es recht unterschiedliche Positionen – Widerstände, Bedenken und Ängstlichkeiten.

Nachdem am 1. Juli aus der „Welt am Sonntag“ zu erfahren war, dass „laut Planungen der Hardthöhe“ zum Jahresende keine eigenständigen DDR-Streitkräfte mehr existieren werden, meldete eine Agentur unter Berufung auf eine „zuverlässige Quelle“: „In Bonn gibt es starke Tendenzen, die Nationale Volksarmee nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten völlig aufzulösen.“