KATHARINA FÜLLENBACH

USBEKISTAN

NOTIZEN ZU EINER REISE IM HERBST 2019

Reisepostillen Band 9

Vorbemerkung

Im November 2019 bin ich für einen Monat nach Usbekistan aufgebrochen. Exakt einen Monat, weil die Reiseliberalisierungen des aktuellen Präsidenten dreißig Tage als Limit für einen visafreien Grenzübertritt nennen und mir dieser Zeitraum ausreichend erschien, um einen ersten Eindruck zu gewinnen über das Land, die Menschen und vor allem die Umbruchsituation, die dem Vernehmen nach besonders seit dem Präsidentenwechsel 2016 herrscht.

Ich habe in vieler Hinsicht ein einzigartiges Land kennengelernt. Einzigartig, was seine historischen und kulturellen Hotspots angeht, einzigartig aber auch, weil man – im Gegensatz zu manchen anderen ehemaligen Sowjetrepubliken – in Usbekistan bei vielen Menschen eine große Aufbruchstimmung und immense Energie wahrnehmen kann, die allgemeine und die persönliche Lebenssituation zu verbessern.

Das aus dieser Reise entstandene und nun vorliegende Buch ist kein Reiseführer. Es gibt Ihnen, dem verehrten Leser, keine Ratschläge, wo man am besten schläft, isst und trinkt und welche Sehenswürdigkeiten auch bei kürzestem Aufenthalt niemals verpasst werden dürfen. Die Aufzeichnungen sind vielmehr persönliche und damit subjektive Notate zu Beobachtungen und Erlebnissen, die Ihnen in den Momentaufnahmen als die sie gemeint sind eventuell Fingerzeige und Hinweise geben auf kleine, nicht unwichtige Aspekte des täglichen Lebens, welche bei einer Fahrt durch das Land und bei der Begegnung mit seinen Bewohnern für manches bessere Verstehen hilfreich sein mögen. Und vielleicht vermitteln sie auch all denjenigen einen vorstellungsstarken Eindruck über das derzeitige Leben in diesem wundervollen Flecken der Welt, für die eine eigene Reise - aus welchen Gründen auch immer – gerade nicht in Frage kommt, deren Neugierde aber groß genug ist für diese Lektüre.

Katharina Füllenbach, im Dezember 2019

Hamburg/ Istanbul/ Taschkent,
8. November 2019

Ich kann mich an keinen einzigen Flug erinnern, an dem der online Check-in auf der Internetseite von Turkish Airlines tatsächlich funktioniert hätte. Natürlich wird dieser Service angeboten, aber aus immer wieder neuen und anderen Gründen ist es dann im konkreten Einzelfall doch nicht möglich.

Einen Tag vor meinem Abflug nach Taschkent via Zwischenstopp in Istanbul versuche ich es mal wieder. Die Turkish Airlines Seite fragt Buchungsnummer und Nachnamen des Reisenden ab, stellt mich dann vor die überraschende Aufgabe, eine neue Abflugzeit zu buchen und bietet dafür unter anderem den Flug an, den ich im September bereits gekauft habe. Nach der erneuten Auswahl dieser Reiseverbindung sagt das türkische Internet, dass die gewählte Abflugzeit bereits bestätigt sei, und bittet im Übrigen, doch eine andere Abflugzeit auszuwählen.

Ich bewege mich in dieser ausweglosen Runde drei Mal, dann greife ich zum Hörer, um die Servicenummer des Buchungsportals anzurufen. In dessen Warteschleife ist gerade besonders viel los, denn das Lufthansapersonal streikt und die Gesellschaft hat für den heutigen Tag mehr als tausend Flüge gestrichen. Man kann den Horror, vor diesem Hintergrund in einem Telefonservice der Reiseindustrie zu arbeiten, nur ahnen.

Die im Internet kommunizierte Kontaktnummer hat eine Berliner Vorwahl. Der sich, nach vielen elektronischen Ansagen, schließlich als Mensch zu erkennen gebende Callcenter Mitarbeiter spricht im Gegensatz dazu Deutsch in einer Mundart, die seinen Arbeitsplatz irgendwo in Mumbai oder Neu-Delhi vermuten lässt. Er ist ein höflicher und aufmerksamer junger Mann. Die fruchtlose Eingabe der von mir genannten Buchungsnummer in seinem System führt ihn allerdings messerscharf und irrigerweise zu dem Ergebnis, dass es diese Buchung nicht gibt und die - ebenfalls ergebnislose - Überprüfung der Turkish Arlines Referenznummer bestätigt ihm die Schlussfolgerung auch noch einmal.

Ehrlich gesagt, so was verunsichert mich für einen Moment. Habe ich eine E-Mail übersehen, die mich über irgendein Problem hätte unterrichten sollen? Ich kann mich nicht erinnern. Auch eine Rückbuchung des Ticketpreises auf die Kreditkarte wäre mir aufgefallen. Aber da war nichts. Es dauert elend lange zehn Minuten, bis über den Nachnamen (beim dritten Buchstabieren endlich richtig eingegeben, von wegen Umlaut) meine Flugdaten auf seinem Bildschirm auftauchen. Animiert von diesem Erfolgserlebnis bestätigt der junge Inder in den nächsten Minuten noch einmal alle Flugangaben und beschließt das Telefonat mit dem Hinweis, ich könne nun - nachdem er so schön helfend und konstruktiv eingegriffen hat - selbstverständlich auch online den Check-in bei Turkish Airlines vornehmen.

Das klingt gut. Allein auf der Internetseite dreht immer noch die sinnlose Aufforderung zur Umbuchung mit gleichzeitiger Bestätigung der bereits gebuchten Abflugzeit fröhliche Digitalpirouetten. Es folgt daher ein zweiter Anruf in Indien. Diesmal meldet sich eine junge Frau, deren freundliche

Stimme meine Standortvermutungen bestätigt und die nochmal alle Daten aufnimmt, nicht findet, dann doch findet und schließlich erklärt, dass aufgrund all des Hin- und Her‘s ein Check-in online nun nicht mehr möglich sei und deswegen direkt am Schalter vorgenommen werden müsse.

Keine Ahnung, wie es anderen Menschen bei solch einem Vorlauf geht. Mich zumindest provoziert er zu doppelter Vorsicht und folglich bin ich am kommenden Morgen drei Stunden vor Abflug am Terminal, um bei eventuell neuerlicher Unauffindbarkeit meiner Flugdaten genügend Zeit zum Streiten und Wedeln mit der ausgedruckten Buchungsbestätigung aus dem vergangenen September zu haben.

Wie so oft, geht die Wirklichkeit auch bei diesem Plan neue und eigene Wege und entwickelt ein vollständig anderes Szenario: Bei Ankunft am Flughafen hat sich am hinteren Ende der Abflughalle vor den sechs fest verschlossenen Turkish Airlines Schaltern bereits eine Warteschlange zu bilden begonnen, in die es sich vor allem Weiteren einzureihen gilt. Es vergeht rund eine Stunde, bis als erster und einziger der ‚priority desk‘ besetzt wird, an den anderen Schaltern verrät eine Digitalanzeige derweil, man plane dort demnächst auch mit der Arbeit zu beginnen. Als ich mich nach gut neunzig Minuten - problemlos im System gefunden und eingecheckt - zum Kaffeetrinken abwende, sind mittlerweile drei der sechs Schalter geöffnet und die Warteschlange bandwurmt sich in sanften Kurven ca. fünfzehn bis zwanzig Meter lang fast bis zum Halleneingang zurück. -

Fünf Stunden später: Istanbul

Es gibt Flughäfen auf der Welt, wenn man die im Transit auf dem Weg von einem Gate zum anderen durchqueren muss, dann ist man ungefähr so lange unterwegs wie einmal quer durch die Fußgängerzone einer Stadt in der Größe von sagen wir mal: Bonn.

Solch einen Flughafen hat der türkische Präsident, in Ausmaß und Proportion seinem tausend Zimmer Palast ebenbürtig, in vier Jahren an den Stadtrand von Istanbul bauen lassen. Ein kleiner Zwischenstopp, wie der heutige, gibt selbstverständlich keinen Überblick über das große Ganze, aber allein der Transitbereich für internationale Flugverbindungen ist schon beeindruckend. Verschiedene stumpfe Grautöne wurden in sanft geschwungenem Dekor mit zarten Eierschalnuancen gepaart, riesige Fensterfronten und verglaste Deckenkuppeln mischen das Tageslicht mit einem ausgefeilten artifiziellen Beleuchtungskonzept, welches die Hallen und Gänge unaufdringlich und gleichmäßig ausleuchtet. Nicht so edel wirkt im Gegensatz dazu der abschnittweise verlegte graue Teppichboden, dessen Ränder gut ein Jahr nach Eröffnung schon mächtig ausfransen und nicht an allen Stellen im Wechsel mit den gefliesten Laufstraßen sauber abschließen. Aber derartige Kleinigkeiten lassen sich ja leicht beheben.

Im Gegensatz zu solch lässlichen Details ist es wirklich ärgerlich, dass auch auf diesem Airport, wie früher auf dem alten Atatürk Flughafen, das kostenlose Wi-Fi nur unter Angabe einer Mobilfunknummer zugänglich ist. Vorgeblich wird dorthin eine Bestätigungs-SMS geschickt, mit der man dann unter

Angabe von allerlei zusätzlichen persönlichen Informationen eventuell Zugriff auf das Internet bekommt. Von solch einem Austausch persönlicher Daten gegen eine eigentlich selbstverständliche Dienstleistung halte ich nichts und breche alle meine diesbezüglichen Versuche sofort ab.

Ein russischer Reisender - ebenfalls vom Wunsch nach Kontaktaufnahme mit der Heimat getrieben - ist da weniger empfindlich und gibt unermüdlich Telefon- und Reisepassnummer, Pins und sonstige Details in die diversen Abfragemasken ein, die im Verlauf des Anmeldevorgangs auf seinem Telefondisplay erscheinen. Als ich zu meinem Gate Richtung Taschkent aufbreche, ist er immer noch dabei, sein Datenleben dem unbekannten Rest der Welt mitzuteilen. Zugang zum Internet hat er indessen nicht. -

Taschkent

Pünktlich um zwei Uhr morgens landet der Flieger in der usbekischen Hauptstadt. Passkontrolle und Einreisestempel sind in wenigen Minuten erledigt, das Gepäckband spuckt nach kurzer Zeit meinen Koffer aus und am Flughafenausgang hält ein freundlicher, älterer Russe ein Schild mit meinem Namen über seinen Kopf. Um drei sind die Anmeldeformalitäten im Hotel beendet und ich bin angekommen. ▬