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Uwe Gardein / Lutz Kreutzer (Hrsg.)

Düstere Orte in Nürnberg

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Zum Buch

Schrecken in Nürnberg Zehn düstere Geschichten von zehn Autoren über zehn reale Orte in Nürnberg. Angelehnt an Ereignisse und Schicksale aus der bewegten Geschichte der alten Reichsstadt vom Mittelalter bis zur Gegenwart: Wie der städtische Henker vor der Lorenzkirche für eine junge Frau zur letzten Hoffnung wurde. Über eine Studentin, die auf der Burg in der Welt des Mittelalters versinkt und nicht mehr zurückfindet. Von Ritter Epplein, der dem Lochgefängnis im Rathaus entkommen wollte. Auf welche Weise der Teufel am Ölberg die Jugend um ihre Seelen brachte. Warum die Kassette eines jüdischen Knaben seine Finderin nicht mehr loslässt und wie ein Geisterzug an die schreckliche Vergangenheit des Bahnhofs Märzfeld erinnert. Als am Westfriedhof ein Vampir umging und was im Goldenen Saal der Zeppelintribüne Furchtbares vor sich geht. Über einen Golem, der einen Verbrecher seiner gerechten Strafe überließ, und unter welchen Umständen die Rothenburger Straße in der Zukunft ein Gruselmuseum sein wird.

Uwe Gardein ist Autor von Kriminalromanen sowie historischen Romanen und erhielt das Förderstipendium für Literatur der Stadt München.

Dr. Lutz Kreutzer ist Autor von Thrillern und Kriminalromanen, coacht Autoren auf den großen Buchmessen und Kongressen und richtet den deutschsprachigen Self-Publishing-Day aus. Mehr unter www.lutzkreutzer.de

Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Die gruseligsten Orte von Köln (2019)

Die gruseligsten Orte von München (2019)

Uwe Gardein:

Das Mysterium des Himmels (2010)

Die Stunde des Königs (2009)

Die letzte Hexe (2008)

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2020

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © thomas_pics / stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-6260-3

Inhalt

Zum Buch

Impressum

Die Nachtmesse in der Lorenzkirche

Ursula Schmid-Spreer

Wolfsnebel

Manfred Böckl

Der falsche Eppelein

Uwe Gardein

Das Kind

Edith Anna Polkehn

Nusskaspars Erben

Alexa Stein

Teufelswerk

Josef Rauch

Rendezvous mit einer Leiche

Elmar Tannert

Geisterzug

Tessa Korber

Der Julius

Anders Möhl

Freilichtmuseum Rothenburger Straße

Veit Bronnenmeyer

Lesen Sie weiter …

Die Nachtmesse in der Lorenzkirche

Ursula Schmid-Spreer

»Und, edler Gastwirt, sind wir uns nun handelseinig? Ihr werdet es nicht bereuen.«

Kaspar Ackermann strich sich über den Bart, dann nahm er einen großen Schluck aus seinem Weinbecher und sagte: »Ein bisschen dünn ist sie.«

»Dafür ist sie sehr fromm und kann für Euer Seelenheil beten«, antwortete Jakob Schultze. Seinen Weinkrug behielt er in der Hand.

»Und blass ist sie auch. Ob sie mir wohl viele Söhne gebären wird?«

»Edler Gastwirt, unsere Familie war immer fruchtbar. Ich habe fünf Kinder, allein vier davon sind Söhne. Es lag in Gottes Hand, dass die Knaben an der Pest und im Krieg starben. Seht Ihr, Elisabeth lebt noch, sie ist gesund.«

Blitzschnell gingen Kaspar Ackermann viele Gedanken durch den Kopf. Er selbst war ein erfolgreicher fränkischer Gastwirt. Seine Zukünftige würde ihm eine große Mitgift einbringen, war sie doch nunmehr Jakob Schultzes einziges Kind. Ackermann war ein guter Geschäftsmann, klug und auch ein bisschen spitzbübisch. Er erkannte die Zeichen der Zeit. Nürnberg war eine aufstrebende Stadt. Die Wirtschaft blühte, es wurde reger Handel getrieben. Ausländische Gäste kamen, und blieben sogar einige Tage. Kaspar betrieb ein Wirtshaus am Marktplatz von Nürnberg. Nur hervorragende fränkische Weine schenkte er aus.

Heute war der Kaufmann Jakob Schultze in seine Gaststube gekommen. Er hatte reichlich gegessen und getrunken, und da Ackermann sofort erkannte, bei wem der Geldsäckel locker saß, hatte er sich zu ihm gesetzt. Schnell waren sie ins Gespräch gekommen und der Kaufmann hatte ihm seine Tochter zur Heirat angeboten. Ackermanns neueste Idee war, Durchreisenden saubere und gut ausgestattete Zimmer zur Verfügung zu stellen. Das Rathaus sollte erweitert werden. Es würden viele Übernachtungsgäste nach Nürnberg kommen, um sich den repräsentativen Bau anzusehen.

Nicht nur der Handel begann nach dem Krieg wieder zu blühen. Essen und trinken mussten die Leute immer. Und wenn es dunkel wurde, brauchten die Händler eine Schlafstatt. Für die betuchteren Kaufleute ließ er die Strohsäcke durch Gänsefederbetten ersetzen. Die Mägde hatten strengste Order, darauf zu achten, dass sich kein Ungeziefer in den Kissen und Decken befand. Ein bisschen edler und bequemer durfte es da schon sein. Für die Dienerschaft würden Strohsäcke reichen. Ackermann wies seine Hausangestellten an, auch diese kräftig auszuschütteln, um so Flöhe zu vertreiben.

»Gut, Schultze, ich nehme Eure Einladung gerne an.« Ackermann wähnte sich schon fast am Ziel, die Heirat kam seinen Plänen sehr gelegen.

»Über die Mitgift reden wir noch«, beschied Jakob Schultze hoch befriedigt. Mit Kaspar Ackermann hatte er einen guten Fang als Schwiegersohn gemacht. Fleißig war er und er würde sicher auch gut zu seiner Elisabeth sein. Alle anderen Heiratskandidaten, die bisher vorstellig geworden waren, taugten nicht viel. Abenteurer waren das und arme Schlucker. Nein, nein, Geld gehörte zu Geld und davon hatte Jakob Schultze mehr, als er ausgeben konnte. Aber das brauchte der zukünftige Schwiegersohn ja nicht allzu genau wissen.

»Hand drauf. Nehmt einen großen Schluck.«

Beide Männer schüttelten sich die Hände und besiegelten somit den Ehepakt.

Elisabeth war von einer gediegenen Schönheit, allerdings schon seit Kindesbeinen an zart besaitet, das wusste sie selbst. Als sie in ihrem Gebetbuch blätterte, lugten einige Strähnen ihres seidenglänzenden Haares, das sich in Wellen um ihre Schultern legte, vorwitzig unter ihrer Haube hervor.

Ihre Brüder waren tot, als einzige Tochter des Kaufmannes Schultze wurde sie verwöhnt und verhätschelt. Während die Bauernkinder draußen bei jedem Wetter arbeiten mussten, saß Elisabeth dick eingemummelt in eine Decke nahe am Kamin und beschäftigte sich mit einer Stickarbeit oder der Bibel.

Vielleicht war es ihre Schönheit, die noble Blässe, ihre Zerbrechlichkeit oder ihr sanftes Gemüt – an heiratswilligen Kandidaten mangelte es jedenfalls nicht. Vielleicht war es aber auch die nicht ganz unbeträchtliche Mitgift. Es sprach sich herum, dass der Schultze nicht unvermögend war. Wenn der Vater zu viel getrunken hatte, dann redete er leider immer lautstark davon. Sie war sich sicher, dass Jakob Schultze seine Tochter über alles liebte. Es war ihm wichtig, dass es ihr gut ging, das wusste sie. Der Gedanke kam ihm gar nicht, dass er mit seiner Prahlerei auch zwielichtiges Gesindel anzog, wenn er von der großen Mitgift sprach. Wenn er betrunken war, glaubte er, alle heiratswilligen Männer würden nur den Liebreiz seiner Tochter sehen. Ganz so dumm war er allerdings auch im heftigsten Rausch nicht: Geld heiratete Geld.

»Elisabeth, du bist wirklich sehr fromm, nie sieht man dich ohne dein Gebetbuch. Am Sonntag lässt du es bitte in deiner Kammer, wir bekommen Besuch. Ein edler Herr hat um deine Hand angehalten, du wirst ihn heiraten«, sagte Jakob beiläufig, als er aus der Stadt nach Hause kam und sie am Kamin vorfand.

Elisabeths so sanftmütige Augen blitzten kurz auf.

»Ich muss heiraten, Vater?«

»Es wird Zeit, Kind!«

Auf Jakob Schultzes Stirn erschien eine steile Falte. Elisabeth wusste, dass es nun besser war, nichts mehr zu sagen. Deshalb senkte sie demütig ihr Haupt und flüsterte ergeben: »Dein Wille geschehe.«

»Immer einen biblischen Spruch auf den Lippen, langsam wirst du mir unheimlich«, lächelte Jakob und schüttelte den Kopf.

»Entschuldige, Vater, ich will Mutter in der Küche helfen und nach dem Rechten sehen«, entwand sie sich ihm. Auf dem Weg dorthin dachte sie an den Herrn, der am Sonntag seine Aufwartung machen wollte. Ihr Vater hatte so bestimmt geklungen, gerade so, als wenn schon alles beschlossen wäre. Von der Küche führte eine niedrige Tür in den Kräutergarten, den Elisabeth dort angelegt hatte. Sie musste sich beruhigen, denn ihr Herz schlug schnell. Lange blieb sie vor dem Beet mit Baldrian stehen. Obwohl sie den Duft dieser Pflanze nicht so gerne roch, steckte sie ihre Nase doch hinein. Nach einigen Atemzügen wurde sie endlich ruhiger.

Kaspar Ackermann war raubeinig und schroff. Er war aber auch ein Mann, auf dessen Wort man sich verlassen konnte. Natürlich hatte er Elisabeth schon öfter gesehen, wenn sie in die Kirche ging. Sie gefiel ihm ganz gut, obwohl sie so zerbrechlich wirkte. Ihre Gesichtszüge waren edel. Aber das sagte er dem Schultzen natürlich nicht.

Der Hausherr öffnete die Tür persönlich, als Kaspar anklopfte.

»Ihr seid pünktlich, das schätze ich. Kommt herein.«

Elisabeth legte ihre Handarbeit beiseite, blickte Ackermann kurz an und sah dann verlegen auf den Boden. Sie knickste artig vor dem grobschlächtigen Mann. Beim gemeinsamen Mahl aß sie wenig. Endlich durfte sie sich aus der Wohnstube zurückziehen.

Kurze Zeit später besiegelten Schultze und Kaspar erneut mit einem Handschlag die Vermählung. Die vereinbarte Mitgift stimmte den Heiratskandidaten hoch zufrieden.

Ein seltsames Paar waren sie, Elisabeth und Kaspar. Sie etwas schüchtern, hübsch und sehr zart, er kräftig, groß, raubeinig und grobschlächtig mit einem dunklen, wenn auch gepflegten Bart. Ihm musste sie das Jawort geben. Und dies sollte auch schon sehr bald geschehen.

Die Hochzeit war ein großes Fest. Alle feierten ausgelassen im Wirtshaus des Bräutigams bis tief in die Nacht hinein. Elisabeth war sehr still, sie wusste nicht, was sie jetzt in der Ehe erwarten würde. Ihren Mann hatte sie vor der Vermählung nur einmal gesehen; er erschien ihr so kräftig. Etwas verloren saß sie während der Feier an seiner Seite. Er war ihr gegenüber wortkarg. Seine Dienerschaft dirigierte er nur mit Blicken und dem kleinen Finger. Welch ein Glück, dass sie sich hinter dem Schleier verstecken konnte. Die Ärmel ihres Kleides waren weit geschnitten und bedeckten ihre Hände. So fiel es nicht weiter auf, dass sie diese gefaltet hielt und im Stillen betete. Auf dem Weg zur Kirche hatte sie gesehen, wie er mit Leichtigkeit einen dicken Baumstamm beiseite gehoben hatte, der den Weg versperrte. In diesen Momenten schwoll seine Ader an der Schläfe an und er hatte gefährlich gewirkt. Es war auch nicht gut mit ihm Kirschen essen, vor allen Dingen, wenn man ihm widersprach. Ein Händler bekam das zu spüren, der Wein für die Hochzeit anliefern sollte.

Die Kirche war ihm nicht so wichtig gewesen. Eine großzügige Spende und eine sparsame Zeremonie – damit war es für Kaspar getan. All das hatte man Elisabeth zugetragen. Sie hatte die feste Absicht, für sein Seelenheil zu sorgen. Das war von nun an ihre Aufgabe.

Die Monate vergingen. Anfangs behandelte Kaspar seine junge Frau noch mit Respekt. Allerdings spürte sie, dass ihre Frömmigkeit ihm zunehmend auf die Nerven ging. Den kleinen Altar, den sie in einem Winkel errichtet hatte, ließ er allerdings stehen.

»Frau! Wenn ich zu Hause bin, wünsche ich nicht, dass du vor dem Herrgottswinkel betest. Da hast du dich um mich zu kümmern«, hatte er eines Abends gepoltert.

Elisabeth war erschrocken. Da sie wusste, wie herrisch Kaspar sein konnte, fügte sie sich. Sie beschäftigte sich fortan mit den Kräutern und im Garten, rührte Salben und Heiltränke an. Dabei konnte sie alleine sein und leise beten. Im Haus ließ er sie schalten und walten, genauso, wie sie es sich wünschte. Natürlich wurde ihm alles zugetragen, was Elisabeth während seiner Abwesenheit tat.

Auch im Kräutergarten ließ er sie sein, denn so manche Krankheit oder auch Entzündung konnte sie lindern, manche sogar heilen. Kaspar überging das Gerede der Leute, die hinter vorgehaltener Hand flüsterten, dass die Frau vom Ackermann wohl eine Quacksalberin, vielleicht sogar eine Hexe sei. Woher sollte man sonst erklären, dass Elisabeth Kranke wieder auf die Beine brachte?

Unauffällig und still bewegte sich Elisabeth im Haus. Jeder Diener, jede Magd wurde von ihr mit ausgesprochener Höflichkeit behandelt. Sie fügte sich in ihr Schicksal. Wenn Kaspar schrie oder gar betrunken nach Hause kam, beruhigte sie ihn. Oft stellte sie sich vor die Dienerschaft, nahm sie in Schutz vor dem jähzornigen Herrn. So war es nicht verwunderlich, dass das gesamte Personal sie liebte und respektierte.

Kaspar reiste viel. Sein Wirtshaus war gut besucht und es sprach sich bei den Reisenden herum, dass er hervorragenden Wein ausschenkte. Die Zimmer waren sauber geputzt und es gab kein Ungeziefer.

Eines Abends stapfte Kaspar polternd in die Wohnstube, als Elisabeth über einer Stickarbeit saß. Der Nebel kroch wabernd aus Wiesen und den Pegnitzauen. Ihr Gatte war mit seinem Knecht Frieder im Wald gewesen.

»Komm, Frau, heute brauche ich dich im Wirtshaus.«

Elisabeth sah erschrocken hoch. »Warum denn, Kaspar? Das geziemt sich doch nicht für eine Frau meines Standes.«

»Schweig still, Weib. Ich sagte, heute kommst du mit ins Wirtshaus, die Kutsche wartet schon.«

Elisabeths Zofe hielt ihren Umhang bereit und sie verließ das Haus. Die Fahrt verlief schweigend. Man hörte nur den Hufschlag der Pferde auf dem Kopfsteinpflaster.

»Warum?«, wagte Elisabeth einen erneuten Vorstoß, als sie in der Kutsche saßen.

»Weil ich es so will!«, herrschte Kaspar sie an.

Viele Leute waren im Wirtshaus. Stimmengewirr drang an Elisabeths Ohr. Rauchschwaden hingen in der Luft. Es war einen Moment still, als Kaspar mit seiner Frau am Arm in die Gaststube trat.

Kaspar dirigierte Elisabeth hinter den Tresen. »Hilf der Magd«, befahl er knapp. Er setzte sich zu einigen seiner Freunde an den blank gescheuerten Wirtshaustisch.

Die Magd Grete hatte alle Hände voll zu tun, die Gäste zu bedienen. Im Kamin loderte ein Feuer. Der angenehme Duft von Tannenzapfen übertünchte den Biergeruch. Der Knecht Mathias verschürte die Purzelkühe, wie die Tannenzapfen im Volksmund genannt wurden. Wenn es nicht ein Wirtshaus gewesen wäre, hätte man meinen können, in der guten Stube zu sitzen, so angenehm war die Atmosphäre.

Elisabeth konnte nicht verstehen, warum Kaspar von ihr verlangte, hinter dem Tresen zu stehen.

Was war nur in ihn gefahren, dachte sie traurig.

Irgendwer nahm ihr den Umhang ab und drückte ihr einen Weinkrug in die Hand. Sie vernahm Wortfetzen.

»Dieser Henker ist ein Hexer, der sollte selbst gehenkt werden«, lallte ein Gast seinem Zechkumpanen zu.

»Aber er hat Medizin, die hilft.«

»Und er verlangt nur das, was man geben kann«, meinte ein anderer.

Die Dienerschaft flüsterte oft hinter vorgehaltener Hand über Franz Schmidt von Nürnberg. So war Elisabeth der Name nicht ungeläufig.

Mit einem lauten Knall flog die Wirtshaustür auf. Vier dunkle Gestalten, sichtlich angetrunken, strauchelten herein und setzten sich grölend an einen Tisch. Ein Blick Kaspars genügte und Mathias ging in die Küche, um einen weiteren Knecht zu holen. Frieder war kräftig gebaut und mindestens zwei Meter groß. Er überragte die meisten Männer um mehrere Haupteslängen. Fleißig war er, ein bisschen einfältig, aber seinem Herrn treu ergeben. Meist hielt er sich im Hintergrund, reagierte aber auf ein Zeichen seines Herrn und war stets zur Stelle.

»Bringt Wein, ein bisschen plötzlich«, schrie einer der Männer.

»Na, meine Hübsche, wie wär’s mit uns beiden?«, rief er Grete zu, die eilig einen großen Krug und Becher auf den Tisch stellte.

»Die Blasse da hinten ist schöner. Setz dich zu uns, Weib!«

Elisabeth zuckte zusammen, und sah eindringlich zu Kaspar. Ihr Gatte tat aber so, als wenn er nichts gehört oder gesehen hätte.

Lautes Gelächter folgte. Dann steckten die Vier ihre Köpfe zusammen. Ihr anfängliches Gemurmel wurde immer lauter.

»Mehr Wein! Wo bleibt der Wein?«

Elisabeth war erschrocken und drückte sich verängstigt an die Wand hinter der Theke. Grete sah flehentlich zu Mathias, der ihr aufmunternd zunickte. Schnell eilte sie mit dem Krug zu den Spießgesellen. Gerade als sie das Gefäß abstellen wollte, zwickte sie einer der Männer an ihren wohlgeformten Rundungen. Grete erschrak, und verschüttete den Inhalt des Kruges, der die Hose des Mannes benetzte.

Fluchend sprang dieser auf.

»Du unverschämtes Weib! Was fällt dir ein?«

Er hob die Hand, um sie auf Gretes Wange niedersausen zu lassen, als er selbst am Kragen gepackt und gegen den Ausschank geschleudert wurde. Darauf hatte Frieder nur gewartet, endlich losschlagen zu können. Ein Wink Kaspars und er packte die beiden anderen Männer am Kragen, bis sie laut jammerten, und schmiss sie an die Wand. Der vierte Mann war wohl offenbar mit einem Schlag nüchtern geworden. Mit lautem Gebrüll stürzte er sich auf Frieder. Die drei anderen rappelten sich auf und warfen sich auf die beiden Kämpfenden. Die übrigen Gäste waren verstummt, dann betrachteten sie die wilde Schlägerei als willkommene Abwechslung. Auch Kaspar griff schließlich ein, denn die vier Männer wehrten sich mit Händen und Füßen, und schlugen wild um sich. Grete und Elisabeth hielten sich gegenseitig fest und versteckten sich schnell unter dem Wirtshaustresen. Schützend hielt Grete die Hände über Elisabeths Kopf.

So schnell wie der Spuk begonnen hatte, so schnell war er auch wieder zu Ende. Mathias, Frieder und Kaspar beförderten die Männer aus der Gaststube vor die Tür in den Schmutz. Elisabeth trat hinter ihnen ins Freie.

»Kommt bloß nicht nochmals hierher, ihr Rabauken. Solch Gesindel können wir nicht gebrauchen. Euer Beutel, Geld für den Wein habe ich entnommen!«, rief Kaspar den Männern angestrengt hinterher. Er schleuderte ein kleines Ledersäckchen weit von sich, das er einem der Raufbolde abgeknöpft hatte. Die Männer schauten, dass sie sich schleunigst aus dem Staub machten.

»Prima, Meister, das haben wir gut gemacht«, grinste Mathias. Als er sich nach Kaspar umsah, erwiderte dieser nichts, sondern lehnte nur mit schmerzverzerrtem Gesicht an der Wand. Er griff sich an die Schulter und stöhnte leise.

»Ich habe etwas abbekommen. Helft mir nach Hause und dann räumt ihr das Wirtshaus auf, repariert die zu Bruch gegangenen Möbel. Ich möchte, dass wir morgen wieder die Gäste bedienen können.«

Elisabeth ging schnell auf Kaspar zu, der so blass und elend aussah.

»Schnell, die Kutsche! Rasch!«, befahl sie den Bediensteten Frieder und Mathias.

Als sie zu Hause angekommen waren, weckte sie eilig das Hauspersonal und gab kurze, schnelle Befehle.

»Eine Wärmepfanne. Mathias, bringe meinen Mann nach oben, Sofie, hilf mir, sein Hemd auszuziehen.«

Im Schlafgemach angekommen berührte Elisabeth vorsichtig Kaspars Schulter. Der Schmerz ließ ihn laut aufschreien. Dann wurde er ohnmächtig.

»Mathias, du kannst gehen, danke, dass du meinen Mann hergebracht hast. Frieder, ich werde dich noch brauchen. Bitte warte in der Küche«, wies sie mit fester Stimme an. »Hier, für jeden von euch ein kleiner Botenlohn.«

Betreten sahen sich die beiden an und murmelten eine gute Nacht. Jetzt hatten sie am eigenen Leib erlebt, was die Leute sich immer erzählten. Die Frau vom Ackermann war eine freundliche, hilfsbereite und großzügige Person. Ob es wirklich stimmte, dass sie mit Hexen im Bunde stand?

Zu ihrer Zofe gewandt meinte sie: »Sofie, hilf mir beim Ankleiden. Gib mir den dunklen Umhang. Du bleibst bei meinem Mann. Ich muss schnell weg.«

Sofie beschloss, nichts zu sagen. Es war wohl auch besser so – nichts hören und auch nichts sehen.

Elisabeth wusste selbst nicht, woher sie auf einmal den Mut nahm, ganz alleine zu nachtschlafender Stunde auf die Gasse zu gehen. Es war bestimmt gefährlich. Sie hatte schreckliche Angst. Schnell hatte sie erkannt, dass es ihrem Mann sehr schlecht ging. Seine Schulter war aus dem Gelenk gesprungen. Alleine würde sie ihm nicht helfen können.

Wie ein Schatten huschte sie durch die Gässchen, drückte sich immer an den Wänden der Häuser entlang. Totenstille.

Als sie am Nürnberger Stadttor ankam, sah sie sich vorsichtig um. Niemand war zu sehen. Nur die beiden Wächter lehnten an die Stadtmauer und schliefen tief und fest. Auf einem Holzklotz vor ihnen stand eine Kanne. Wahrscheinlich hatten sie Wein getrunken und schlummerten nun. Leise öffnete Elisabeth das Tor und hoffte inständig, dass es nicht knarrte oder laut quietschte. Alles blieb ruhig, als sie hindurchschritt.

Ein Laut ließ sie zusammenfahren. Einer der Wächter gähnte laut, brabbelte ein paar unverständliche Worte im Schlaf.

Auf der anderen Seite des Stadttores floss die Pegnitz. Eine kleine Brücke führte zu einem Häuschen. Bei Tag war es eine Idylle, bei Nacht wirkte es bedrohlich. Zuerst zaghaft, dann lauter klopfte sie an die Tür.

Nach endlosen Augenblicken wurde sie weit aufgerissen und ein Mann mit einer Schlafhaube auf dem Kopf stand vor ihr. Lange Haare standen wirr darunter ab. Er trug eine Art Umhang, lange Unterhosen lugten hervor.

»Bitte helft mir, mein Mann …«, stammelte Elisabeth. »Bitte.«

Der Mann verlor keine Worte, bat sie nur, kurz zu warten, und verschwand in seinem Häuschen. Als er wiederkam, trug er eine Hose, in die er achtlos sein Hemd hineingestopft hatte. Noch im Hinausgehen schlüpfte er in einen Mantel. Dann griff er nach einem Beutel und zog bedächtig die Tür zu.

»Wo geht Ihr hin?« Elisabeth blieb abrupt stehen, als der Mann nicht den Weg zurück durchs Stadttor einzuschlagen schien.

»Keine Angst, ich möchte nicht, dass uns die Büttel sehen. Es gibt einen geheimen Gang.«

Der Mann führte Elisabeth zum Johannisfriedhof und bewegte einen Stein an einem Grab. Geräuschlos öffnete sich ein Spalt. Ihr Begleiter entzündete eine Fackel und bedeutete Elisabeth hinabzusteigen. Die Flamme verbreitete diffuses Licht. Er nahm sie bei der Hand und zog sie durch den engen Gang.

»Ich habe Angst.«

»Das müsst Ihr nicht. Ich kenne mich hier gut aus. Das ist ein Geheimgang, die Felsengänge führen zu den Verteidigungsanlagen der Nürnberger Kaiserburg. Ich benutze diesen Weg häufiger, wenn ich in die Stadt hinein will und nicht gesehen werden möchte«, erklärte er ihr, während sie voranschritten.

»Es ist so eng hier«, meinte Elisabeth.

»Besser, als sich erklären zu müssen, warum Ihr mitten in der Nacht mit dem Henker von Nürnberg unterwegs seid«, meinte er emotionslos.

Schweigend gingen die beiden weiter.

»Das sieht nicht gut aus. Wie Ihr schon richtig vermutet habt, ist die Schulter ausgekugelt, und hier spüre ich einen Knick, wahrscheinlich gebrochen. Holt ein Beißholz und viel Schnaps«, forderte der Henker Elisabeth auf, als sie an Kaspars Bett angekommen waren.

So kam es, dass der Bedienstete Frieder noch einmal zum Einsatz kam. Elisabeth holte Frieder, einen Holzscheit und eine Flasche Schnaps aus der Küche.

»Flößt ihm den Schnaps ein«, wies der Scharfrichter sie an, als sie zurück in die Kammer traten.

Kaspar war in einer Art Dämmerschlaf. Er hustete, verdrehte die Augen, verschluckte sich ächzend; sein Blick wurde glasig. Elisabeth steckte ihm das Beißholz zwischen die Zähne.

»Setzt ihn auf, wenn er sich erbrechen muss, nehmt sofort das Holz heraus, dass er nicht an seinem Erbrochenen erstickt. Frieder, halte ihn gut fest.«

Kaspars Kopf wackelte unkontrolliert hin und her. Er stöhnte auf.

Vorsichtig tastete der Henker die Schulter ab. Seine langen Finger streichelten fast sanft am Arm entlang. Mit einem Ruck drückte er sein Knie an die Schulter und zerrte gleichzeitig den Arm nach hinten. Ein qualvoller Schmerzenslaut ertönte, dann war es still. Kaspar verlor erneut das Bewusstsein.

»So, die Schulter ist wieder eingerenkt. Jetzt hoffen wir mal, dass sich nichts entzündet. Ich brauche ein sauber ausgekochtes Laken. Die Schulter muss bandagiert und geschient werden. Achtet darauf, dass Euer Mann die nächste Zeit die Schulter ruhig hält.«

Elisabeth nickte und meinte dann: »Ich habe Schöllkraut getrocknet. Es ist entzündungshemmend und fiebersenkend, das sollte eine Entzündung verhindern. Ich werde es auf ein Tuch geben und um seine Schulter wickeln.«

»Ihr versteht etwas von Kräutern?«

Es war eigentlich keine Frage, eher eine Feststellung. Als Elisabeth nickte, meinte der Mann: »Teufelsmilch oder Maikraut, sagen die Leute, können auch helfen.«

Kaspar wurde verbunden und gut zugedeckt.

»Was bin ich Euch schuldig?«, fragte Elisabeth und sah dem Mann tafper in die Augen.

Sie hatte nicht vor, sich übertölpeln zu lassen. Deshalb war sie überrascht, als er sagte: »Ab und zu ein Gespräch über Arznei und über Kräuter. Ihr seid etwas Besonderes.«

Meister Franz sah Elisabeth ins Gesicht. Als der Henker ihren Blick erwiderte, lief ihr ein wohliger Schauer über den Rücken. Er ließ eine staunende junge Frau zurück.

Sofie und Frieder saßen in der Küche, sie tranken Tee und redeten leise miteinander.

»Das war, das war …«, stotterte Sofie.

»Was heute geschehen ist, vergesst ihr sofort wieder. Es ist niemals geschehen. Habt ihr mich verstanden? Und es war niemand hier«, beschwor Elisabeth die beiden.

Dabei sah sie Frieder eindringlich an; er wandte den Kopf ab, errötete tief. Bitte, Herr, lass ihn schweigen, betete Elisabeth in Gedanken. Frieder war Kaspar zugetan, das wusste sie. Würde er auch ihr gehorchen? Er war zwar etwas langsam, aber nicht dumm. Dann blickte sie auch Sofie an. Beide nickten eifrig.

Danach kehrte Ruhe im Hause Ackermann ein.

Als Elisabeth ihre Zofe ins Bett schickte, meinte sie noch: »Du hast recht, Sofie. Das war Franz Schmidt, der Henker von Nürnberg. Die Menschen ächten ihn, weil er so einen unehrbaren Beruf ausübt. Keiner will mit ihm etwas zu tun haben. Aber er kennt sich im Bereich der Medizin aus wie kein anderer. Er war niemals in unserem Haus! Verstanden?«

Sofie nickte abermals. Woher kannte ihre Herrin den Henker? Sie wusste nun, dass Elisabeth eine sehr mutige Frau war. Sofie nahm das Geheimnis mit in ihre Träume.

Elisabeth schlief unruhig in dieser Nacht. Die Augen des Henkers gingen ihr nicht mehr aus dem Sinn. Er hatte sie auf eine besondere Art angesehen – gütig, freundlich, liebevoll? Elisabeth verstand nicht viel von Liebe, sie wusste nur eines: Kaspar, ihr Ehemann, hatte noch nie so einen Blick an sie verschwendet. Nicht einmal in der Kirche bei ihrer Vermählung.

Die Wochen vergingen, draußen wurde es Frühling und Kaspar Ackermann erholte sich zusehends. Es fiel ihm zwar schwer, sich zu schonen, aber er hörte doch auf die mahnenden Worte Elisabeths. Er war ihr offensichtlich dankbar, verlor aber nie ein Wort über den geheimnisvollen Fremden, der ihm die Schulter eingerenkt hatte. Auch Knecht und Magd sprachen mit niemandem über die besagte Nacht. Elisabeth wirkte entrückt, oft geistesabwesend, und erging sich in Tagträumen. Natürlich war es ihr nicht verborgen geblieben, dass die Menschen über sie klatschten und sie hinter vorgehaltener Hand eine Hexe nannten.

Kaspar ging seinen Geschäften nach. Er nahm sie nie wieder mit ins Gasthaus. Es blieb sein Geheimnis, warum er sie ausgerechnet an jenem Tag in die Schänke mitgenommen hatte. Elisabeth dachte viel an den Mann, der einen unehrenhaften Beruf ausübte. Sie war noch öfter im Gottesdienst anzutreffen. Auch besuchte sie täglich ihre Eltern. Sie wählte den Heimweg so, dass sie immer an der Lorenzkirche vorbeikam. Bald wurde es ihr ein Ritual. Auf dem Weg zu den Eltern besuchte sie die Kirche und betete drei Vaterunser, und auf dem Rückweg betrat sie wieder das Gotteshaus den Arm voller Blumen und Kräuter. Sie schmückte den Altar, betete diesmal drei »Gegrüßet seist du, Maria«, bevor sie nach Hause eilte. Dies alles wurde Kaspar wieder zugetragen.

Elisabeth hielt dabei einen Rosenkranz in Händen. Ihre Gedanken waren aber selten beim Gebet, sondern meist bei dem Mann mit den gütigen Augen, der als Randständiger bezeichnet wurde und deshalb außerhalb Nürnbergs leben musste.

In einer Nacht brachten zwei Knechte Kaspar nach Hause. Er war sturzbetrunken. Elisabeth ekelte sich vor ihrem Mann in diesem Zustand und ließ ihn von den Knechten ins Bett bringen.

Ob der Scharfrichter auch zu viel trank? Sie schalt sich selbst töricht. Alle Männer tranken und die meisten Männer schlugen ihre Frauen.

»Elisabeth!«, hörte sie Kaspars raue Stimme rufen. »Komm endlich her, du bigottes Weib.«

Wenn er so zornig rief, tat sie gut daran, sofort zu ihm zu kommen. Er saß auf der Bettkante.

»Was bist du nur für ein frömmelndes Eheweib? Warum gebärst du mir keinen Sohn?«, lallte er. »Dauernd rennst du in die Kirche zu den Pfaffen. Dir werd ich’s geben.«