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Bischof Stefan Oster

Das
CREDO

Eine Gebrauchsanweisung
für das Leben

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1. Auflage 2019

© Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart, 2019

Alle Rechte vorbehalten.

Für die Texte der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift

vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe

© Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart 2016

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart

Umschlagsmotiv: © shutterstock.com, Nuk2013

Satz: wunderlichundweigand, Schwäbisch Hall

Hersteller gemäß ProdSG:

Druck und Bindung: Finidr s.r.o.,

Lípová 1965, 737 01 Český Těšín,

Verlag: Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH,

Silberburgstraße 121, 70176 Stuttgart

www.bibelwerk.de

ISBN 978-3-460-25603-3

Auch als E-Book erhältlich unter der ISBN 978-3-460-51055-5

Inhalt

Statt eines Vorworts – eine Gebrauchsanweisung

IIch glaube an Gott

IIExkurs: Die sieben Merkmale des Glaubens

IIIDen Vater, den Allmächtigen

IVDen Schöpfer des Himmels und der Erde

VUnd an Jesus Christus

VISeinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn

VIIEmpfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria

VIIIExkurs: Wo ist das Leben Jesu im Glaubensbekenntnis?

IXExkurs: Die Mitte der Verkündigung Jesu: Das Reich Gottes – und das Herz des Menschen

XGelitten unter Pontius Pilatus

XIGekreuzigt, gestorben und begraben

XIIHinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten

XIIIAufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters

XIVVon dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten

XVIch glaube an den Heiligen Geist

XVIDie heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden

XVIIAuferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen.

Zum Autor

Stichwortregister

Statt eines Vorworts – eine Gebrauchsanweisung

Dieses Buch ist kein Theologie-Buch – und doch ist es nicht ohne theologische Argumente.

Es ist auch kein Philosophie-Buch – und doch ist es nicht ohne philosophische Argumente.

Es ist auch kein Buch, das du von vorne bis hinten lesen musst – auch wenn du es natürlich so lesen kannst.

Du kannst es auch einfach irgendwo aufschlagen oder unter einer bestimmten Überschrift oder einem bestimmten Stichwort nachschlagen – und du wirst hoffentlich etwas finden, was dein Nachdenken über den Glauben vertieft.

Du wirst merken, dass das Buch eine Mitte hat, um die sich alles dreht: Jesus! Und du wirst merken, dass es in allem und immer wieder um Liebe geht, um Liebe zu Jesus, zu den anderen Menschen, zu dir selbst und zur ganzen Schöpfung. Es geht um Jesus und um die Liebe – weil ich der tiefen Überzeugung bin, dass er selbst die für uns menschgewordene Liebe Gottes in Person ist! Und die faszinierendste Person, die je über diese Erde gelaufen ist!

Du wirst merken, dass das Buch auch herausfordert, wenn du ein ernsthafter Leser bist. Oder besser: Du wirst merken, dass Jesus herausfordert und sein Evangelium. Denn es geht nicht nur um Liebe, es geht auch um Wahrheit und um Vertrauen. Es geht um Mut und Demut. Es geht auch um die Kirche, denn die Kirche ist die Gemeinschaft derer, die an Jesus glauben und mit ihm gehen wollen – und zwar trotz allem, was sonst noch über Kirche erzählt wird.

Und deshalb geht es vor allem auch um dich: Denn wer sich wirklich ernsthaft auf den Weg mit Jesus macht, auf den Weg des Glaubens, der lässt sich auf ein Abenteuer ein. Du lässt dich ein auf das Abenteuer deines Lebens, auf die Gottsuche, auf das Ringen mit Gott, auf die Suche nach Sinn und Tiefe und Glück. Und auf die Suche nach deinem Weg, nach deinem einzigartigen Weg, den nur du selbst gehen kannst.

Freilich ist es auch ein Weg mit anderen, auf den du dich einlässt; auf Menschen, die auch glauben, denn niemand kann alleine glauben. Und du lässt dich womöglich auch auf den Weg mit anderen ein, die vielleicht ganz weit weg sind vom Glauben oder die auf der Suche sind. Oder auf die, die leiden und sich ausgeschlossen fühlen. Menschen, die an Jesus glauben, lassen sich oft auch besonders auf die ein, die am Rand sind.

Das Buch will dir helfen zu verstehen, dass der Glaube nicht einfach nur altmodisches Zeug ist, das keiner mehr versteht. Es will dir helfen zu verstehen, dass der Glaube an Jesus auch für dich aktuell ist und dass es auch um dich geht, um dein Herz, um deine Entscheidungen – und um das Heil, das Jesus, der Christus, für dich bereithält.

Das Buch ist aus aus Vorträgen zu unserem Glaubensbekenntnis entstanden, die ich vor Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Passau gehalten habe. Deswegen habe ich auch hier im Buch die persönliche Ansprache, das Du, beibehalten. Die meisten der Teilnehmer waren katholisch, aber es waren auch Christen anderer Konfessionen und Ungetaufte dabei. Die Gruppe heißt „Believe and Pray“. An insgesamt 17 Abenden habe ich zunächst mit ihnen gebetet, geschwiegen, dann einen Impulsvortrag gehalten – und anschließend haben wir darüber diskutiert. Es gab Nachfragen, andere Positionen, vertiefte Klärungen und anderes mehr.

Diese Möglichkeit, unmittelbare Rückfragen zu stellen, fällt mit einem Buch natürlich weg. Aber wenn du willst, kannst du mit mir unter folgenden Adressen Kontakt aufnehmen und diskutieren oder nachfragen – und ich hoffe, ich finde immer schnell die Gelegenheit zu antworten:

image www.stefan-oster.de

image bischofstefanoster

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Ich wünsche dir jedenfalls sehr, dass du auch etwas von der Freude ahnst, die mich beim Vortragen und beim Schreiben dieses Buches immer wieder erfüllt hat. Die Freude, sich von unserem Herrn geliebt zu wissen, an ihn zu glauben und mit ihm gehen zu dürfen.

Sei herzlich gegrüßt und gesegnet

Dein Bischof Stefan Oster SDB

PS:Ich widme dieses Buch voller Dankbarkeit den jungen Menschen von „Believe and Pray“, unserer jungen Glaubensgemeinschaft in Passau. Ihnen ist das Entstehen dieses Buches wesentlich zu verdanken. Anna Sophia Hofmeister danke ich sehr für ihren so qualitätsvollen Beitrag bei der Erstellung des Manuskripts.

I

Ich glaube an Gott

Meine Lieben, wir fangen also an mit dem Satz:

„Ich glaube an Gott.“

Aber was heißt das eigentlich? Was heißt eigentlich „glauben“? Irgendwie weiß es ja jeder, weil jeder weiß, wie man dieses Wort „glauben“ in der normalen Sprache verwendet. Jeder verbindet also irgendwas damit. Oder aber, weil jeder von uns irgendeine Form von Glauben im weitesten Sinn hat. Denn selbst wenn einer sagt: „Ich glaube, es gibt gar keinen Gott“, dann hat er immerhin diesen „Glauben“. Und damit sind wir schon mittendrin im Fragen.

Fragen über Fragen

Warum gibt es überhaupt etwas?

Sicher geht es beim Glauben um die Suche nach Antworten auf Fragen, die wir nicht einfach so erforschen können, wie zum Beispiel die Naturwissenschaft Dinge erforscht. Es geht um Antworten, die wir suchen, weil wir sie mit unseren Sinnen gerade nicht sehen und begreifen können oder weil sie sehr tief unser eigenes Leben betreffen. Solche Fragen sind zum Beispiel: Warum gibt es überhaupt irgendetwas? Und nicht nichts? Das hat schon die frühesten oder auch die besten Philosophen beschäftigt: Es gibt etwas, aber wieso könnte es denn nicht sein, dass es nichts gibt?

Gott oder Zufall?

Nun: Wir stellen fest: Es gibt etwas, auch wenn man das anzweifeln kann. Aber man kann es schlecht wegzweifeln. Denn – so sagt Descartes – selbst wenn ich alles anzweifle, was es zu geben scheint, dann bin immer noch ich da, der zweifelt. Und das kann ich dann schlecht leugnen. Daher fragen wir weiter. Wenn es etwas gibt, ist dann ein Gott dafür verantwortlich? Oder nicht doch irgendein Zufall? Oder ein Urknall und dann die Evolution mit ihren zufälligen Prozessen? Oder beides? Benutzt Gott vielleicht den Urknall und die Evolution, um die Welt entstehen und sich entwickeln zu lassen?

Gott als Uhrmacher

Gibt es Gott überhaupt? Wer oder was ist das? Und wenn es Gott gäbe, könnte man ihn erkennen? Könnte man ihm begegnen? Und wenn man ihn erkennen kann, wie wirkt er eigentlich in der Welt? Wirkt er überhaupt in der Welt oder lässt er sie in Ruhe ihren Gang gehen? Das ist ein Modell, das auch manche Philosophen vertreten haben: Es gibt vielleicht Gott, der hat vielleicht auch die Welt geschaffen; aber er hat die Welt so eingerichtet, wie man früher eine Uhr aufgezogen hat: Einmal aufgezogen lässt er die Uhr weiterlaufen und kümmert sich nicht mehr darum. Einmal die Welt geschaffen, lässt er sie einfach nach den Naturgesetzen weiterlaufen – so sagen manche.

Der Sinn von allem

Aber wir fragen weiter: Was ist der Sinn von allem? Wir stellen nicht nur fest, dass es etwas gibt, dass es die Welt gibt, aber wir fragen uns: Hat das Ganze einen Sinn, hat jedes Einzelne Sinn? Hat dein und mein Leben Sinn? Oder bist du ein in der Evolution erscheinendes Menschengewächs, das im Grunde doch sinnlos ist, weil es sowieso wieder stirbt und zu Staub zerfällt? Es gibt Leute, die diese Meinung vertreten – mit einigen guten Argumenten. Aber wenn wir schon sterben müssen, fragen wir gleich: Was kommt danach? Was für eine Bedeutung hat überhaupt der Tod? Kommt danach irgendwas? Müssen wir unser Leben verantworten?

Das Böse und das Leid

Und wir fragen weiter: Woher kommen eigentlich das Böse, die Lüge und das Leid? Das ist die Frage, die auch Christinnen und Christen umtreibt. Georg Büchner, ein Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, hat einmal den berühmten Gedanken formuliert, dass diese Frage nach dem Bösen, nach dem Leid, nach dem Tod der „Fels des Atheismus“ sei: So wie der Apostel Petrus (Petrus heißt Fels!) in der Kirche als der Fels des Glaubens, der Fels der Wahrheit gesehen wird, sagt Büchner, so sei die Existenz von Leiden, von Ungerechtigkeit, von Tod der Fels des Atheismus. Wenn Gott ganz gut sein soll, aber so viel Schreckliches, so viel Leid auf der Welt zulässt, dann kann er doch nicht ganz gut sein, oder? Oder wenn er das Übel nicht beseitigen kann, dann ist es doch gar kein Gott. Kein ganz schlechtes Argument, nicht wahr?

Das Gute und das Böse

Gibt es eigentlich das schlechthin Gute? Oder vielleicht sogar das schlechthin Böse? Gibt es die absolute Liebe oder den absoluten Hass? Gibt es eine Tat oder etwas, was zu tun ist, das immer richtig ist, oder etwas, das zu tun unter allen Umständen immer falsch ist? Oder ist das immer nur kontextabhängig, ist es immer nur von der jeweiligen Situation und ihren Umständen abhängig? Und habe ich etwas in meinem Leben zu vollbringen, das ich tun soll und tun kann? Habe ich eine Aufgabe, vielleicht sogar eine, die nur ich ausführen kann? Weil es so etwas wie das Schicksal gibt? Das sind Fragen, die wir uns als Menschen stellen, die auf der Suche nach Glauben und nach Antworten sind. Das sind Fragen, die uns bewegen – und natürlich noch einige mehr.

Einwände gegen den Glauben

Wissenschaft

Mit den Fragen alleine habe ich schon einige Einwände gegen den Glauben angedeutet. Hier einige der gängigsten: Die meisten Gegner von Glaube und Kirche, vor allem unter den jungen Menschen, sagen: Der christliche und besonders der katholische Glaube und ein modernes, wissenschaftliches Weltbild seien unvereinbar. Ein großer Teil der Menschen, die sich vom Glauben entfernen, findet: Da wir in einer wissenschaftlich dominierten Welt leben, brauchen wir den Glauben nicht mehr. Manche sagen uns dann: „Euer Gott ist ein Lückenfüllergott: Alles, was die Wissenschaft noch nicht erklären kann, dafür muss dann noch Gott herhalten. Aber weil die Wissenschaft immer mehr erklärt, ist euer Gott auch immer mehr auf dem Rückzug.“ Ganz ehrlich: So einen Gott auf dem Rückzug bräuchte ich auch nicht!

Die Sache mit dem Sex

Weitere Kritikpunkte, warum Menschen vor allem den katholischen Glauben zurückweisen, sind dann natürlich die vielen Fragen, die mit Sexualität oder mit dem Verhältnis der Geschlechter zusammenhängen: also die Position der Kirche zu Homosexualität, Zölibat, vorehelichem Sex, der Umgang mit Menschen, die geschieden und wiederverheiratet sind, die Meinung zur sogenannten Genderforschung, der Ausschluss der Frauen von der Priesterweihe. All das und anderes mehr finden sehr viele Menschen nicht mehr zeitgemäß.

Die Skandale

Hinzu kommt, dass die katholische Kirche, die den Anspruch hat, den „wahren Glauben“ zu vertreten, von Skandalen erschüttert ist. Zahlreiche Missbrauchsfälle, Bischöfe und Priester mit einem zu üppigen Lebensstil, Finanzskandale: All das hat zu vielen Austritten geführt. Ich kann solche Entfernung wirklich verstehen. Aber dazu gleich ein Gegenargument: Von Beginn der Kirchengeschichte an sind die Menschen, die sich dem Glauben an Jesus zuwenden, allesamt Sünder und noch keine Heilige. Man muss nur mal an das Verhalten mancher Apostel in der Bibel denken; an ihr Versagen, denkt einfach nur an den Verrat von Judas, die Verleugnung von Petrus und vieles andere. All das gibt es in der Gemeinschaft der Jesusnachfolger von Anfang an. Die Kirche und ihr Glaube an Jesus sind nämlich dafür da, dass aus Sündern bessere Menschen werden, Menschen die wirklich mit Gott leben, weil sie ihn kennen und lieben. Aber dass das nicht immer schon der Fall ist, sehen wir auch an jedem von uns. Keiner ist ganz heil und jeder braucht so etwas wie Erlösung. Das heißt: Ja, natürlich hat die Kirche ein Glaubwürdigkeitsproblem. Aber ehrlich gesagt, das hatte sie schon immer, weil ihre Vertreter zwar werden sollen wie Jesus – aber es eben noch nicht sind und es oft genug nur halbherzig oder gar nicht wirklich werden wollen. Die Tatsache also, dass wir Menschen Sünder sind – und Erlösung brauchen und daher auch geneigt sind, Jesus und den Glauben zu verraten, das gehört von Anfang an in das Bild von Kirche mit hinein. Das erklärt noch nicht alle Skandale oder alles Abstoßende und es entschuldigt das schon gar nicht, aber es erklärt auch etwas.

Andere Religionen

Gleichzeitig gibt es auf der Welt eine Vielzahl von Religionen. Und die Katholiken behaupten einfach, im Besitz der Wahrheit zu sein. Na toll – und was machen die anderen, die Muslime, die Juden und alle anderen Religionen und Überzeugungen? Es gibt ja auch keine oberste Wahrheitsinstanz für alle, die das klären könnte. Eine Art oberreligiösen Führer, der als neutraler Schiedsrichter sagt: „In dem Punkt haben die Katholiken mehr recht und da sind Buddhisten gescheiter und dort die Evangelischen?“ Diese Vielfalt der Religionen führt dann viele Menschen zu dem Punkt, dass sie sich ihren eigenen Glauben basteln: Ein wenig von hier, ein wenig von dort – und so entsteht eine Art Patchwork-Religion, die vermutlich das religiöse Phänomen ist, das heute am weitesten verbreitet ist.

Religion und Gewalt

Und obendrein sagen die Menschen nicht selten: Die Religion sei Ursache von Kriegen und Gewalt. Man brauche ja nur in die Geschichte gucken. Und es stimmt: Nicht selten sind religiöse Argumente der Vorwand gewesen für irgendwelche machtpolitischen Interessen. War zum Beispiel der unfassbar lange und grausame 30-jährige Krieg in Europa im 17. Jahrhundert ein Religionskrieg? Ja, irgendwie schon, aber im Grunde war er vor allem ein Krieg, in dem es um Macht und Politik, Landgewinn, Reichtümer, Heiratspolitik und vieles andere ging. Die Religion war immer auch irgendwie dabei, aber man kann, glaube ich, auch sehen, dass sie sehr oft nur als Vorwand benutzt wurde.

Aber!

Glaube und Wissenschaft

Ich möchte gleich zu Beginn ein paar Menschen nennen, die tief gläubig waren, aber die Wissenschaften wirklich vorangebracht haben. Schon an diesen Personen kann man ablesen, dass Kirche und Glaube alles andere als wissenschaftsfeindlich sind:

Der Begründer der Urknalltheorie, die immer noch als ein dominierendes Modell für die Entstehung der Welt gilt, war ein katholischer Priester aus Belgien, Georges Lemaître, der auch Astrophysiker war und diese Idee als Theorie ins Feld geführt hat.

Der Begründer der biologischen Vererbungslehre, Grundlage der modernen Genetik, heißt Gregor Mendel. Er war ein katholischer Ordenspriester.

Der Priester Pierre Teilhard de Chardin, ein französischer Jesuit, war einer der Ersten, der die Theorie von der Evolution mit dem christlichen Glauben zu versöhnen versucht hat.

Die kritische Geschichtsschreibung, die nicht einfach nur schöne Geschichten und Legenden erzählt, sondern sehr konkret untersucht, was in den Quellen steht, wer was gesagt hat und warum sich Ereignisse so entwickelt haben, ist in den Klöstern entstanden, zumindest in Deutschland. Einer ihrer ersten Vertreter war der katholische Priester Karl Meichelbeck, der im bayerischen Kloster Benediktbeuern gelebt hat.

Von solchen Beispielen gibt es sicher noch unzählige mehr. Das heißt, die Kirche kann im Grunde nicht einfach als wissenschaftsfeindlich abgetan werden. Im Gegenteil, die Kirche hat immer auch Interesse an der Welt gehabt, weil sie glaubt, dass diese Welt von Gott geschaffen ist und ihre eigene Gesetzmäßigkeit hat – und die dürfen und sollen wir erforschen. Ich bin sogar überzeugt, dass der besondere Erfolg der Naturwissenschaften gerade in den Kulturräumen, die christlich geprägt sind oder waren, zumindest indirekt mit dem Christentum zusammenhängt. Und zwar deshalb, weil wir glauben, dass Gott uns die Welt auch zur Verfügung gestellt hat, damit wir sie erkunden, erforschen, aber auch hüten und pflegen. Natürlich ist das auch zweideutig: In dem Augenblick, in dem der Mensch sich nicht mehr wie ein von Gott eingesetzter Gärtner für die Natur mitverantwortlich fühlt, in dem Augenblick neigt er auch dazu, die Natur auszubeuten und zu vergewaltigen – für die eigenen, egoistischen Zwecke. Daher sind vielleicht dann auch gerade dort, wo die größten wissenschaftlichen Erfolge erzielt werden, die Gefahren, dass die Natur einfach nur gewaltsam benutzt und verbraucht wird, genauso groß.

Gott als Erstursache

Der katholische Glaube kennt im Grunde immer schon so etwas wie die Selbstständigkeit der Welt. Warum? Wir glauben, wir haben einen Gott, der in einer ganz bestimmten Weise eine „Erstursache“ ist, das heißt, der Ursprung, die erste Ursache von allem – und er erschafft eine Welt, die in geheimnisvoller Weise von ihm erzählt, in die er sich hineingibt, ohne sich darin zu verlieren. Wer zum Beispiel ein Kunstliebhaber ist, der weiß darum, dass Künstler durch ihr Werk „sprechen“, dass sie etwas mitteilen, dass sie darin irgendwie gegenwärtig sind – auf geheimnisvolle Weise.

Kunst wirkt anders

Und wenn wir Menschen künstlerisch tätig sind, beispielsweise als Schriftsteller, dann schaffen wir etwas, was in anderen Menschen, die unser Werk lesen, weiterwirkt. Die Gedankenwelt des Schriftstellers wirkt sich im Leser aus – und verändert womöglich sogar sein Denken und Handeln. Obwohl doch der Autor den Leser dazu gar nicht zwingt. Der Autor und sein Roman sind zwar die Ursache für das neue Denken des Lesers. Aber eben nicht wie Ursache und Wirkung in der Physik, wo notwendig die eine Wirkung aus der einen Ursache folgt – und immer wieder beobachtet und gemessen werden kann. So ist es hier nicht. Es ist eher ein Geschehen von Freiheit zu Freiheit, wie eine Gabe, der man sich öffnen oder verschließen, wie ein Geschenk, das man empfangen oder verweigern kann.

Das Neue in der Welt

Und von hier kann man folgenden Gedanken verstehen: Wir nennen Gott zunächst einen Schöpfer, der die Welt aus nichts geschaffen hat und ins Dasein bringt. Aber wir glauben, dass Gott die Welt so schafft, dass sie selbst in gewisser Weise schöpferisch sein und sich entfalten kann. Gott ordnet die Welt zwar, indem er ihr auch einen festen Rahmen gibt, zum Beispiel in den Naturgesetzen. Aber mitten in diesem Rahmen taucht immer wieder das Neue auf. Es entsteht und entwickelt sich Unvorhergesehenes.

Ich bin kein Experte für die Evolutionstheorie, aber so viel habe ich verstanden: Naturwissenschaftler können oftmals Veränderungen erklären. Sie können nachvollziehen, warum plötzlich an einem Tier oder einer Pflanze diese Veränderung stattgefunden hat. Beispielsweise bevorzugt eine bestimmte Vogelart Würmer, die sich tief in der Baumrinde verstecken – daher schafft die Natur demjenigen Vogel einen Vorteil, der zufällig mit einem längeren Schnabel geboren wird. Und so setzen sich unter den vielen Vögeln auf einmal diejenigen in der Fortpflanzung durch, die längere Schnäbel haben – und allmählich entwickelt sich eine neue Unterart dieser Vögel – nämlich die mit den langen Schnäbeln.

Das heißt: Im Nachhinein kann man erklären, warum und wie sich diese neue Variante entwickelt hat. Aber ich habe noch nie einen Naturwissenschaftler gehört, der mir erklären konnte, was als Nächstes kommt! Es ist also so wie bei einem Künstler: Wer das Werk eines Künstlers gut kennt, der wird vielleicht ein bestimmtes Gemälde in diese oder jene Schaffensperiode einordnen können und ein wenig erklären können, warum es entstanden ist, mit welchem Material und nach welcher Komposition. Aber ganz ehrlich: Meistens sind diese Gründe nie vollständig. Warum ein Künstler genau dieses Bild genauso gemalt hat, weiß im Grunde nur er selbst – und oft genug „weiß“ er es selbst auch gar nicht. Er hat halt ein Bild irgendwie in sich und malt es einfach. Und zweitens wird auch der größte Kunstkenner nie sagen können, was der von ihm so geschätzte Künstler als Nächstes produzieren wird.

Schöpfung ist schöpferisch

Daher: Wir glauben, dass Gott seiner Schöpfung eingestiftet hat, selbst schöpferisch zu sein, selbst „Ursache“ zu sein, also in diesem weiten Sinn verstanden „Zweitursache“ zu sein. Und am tiefsten vollendet sich diese Eigenschaft, innerhalb der Schöpfung so etwas wie eine eigene schöpferische Kraft am Werk zu sehen, in der menschlichen Freiheit. Der Mensch kann schöpferisch sein.

Wir bewundern zwar die Schönheit der Natur, zum Beispiel das großartige Gesamtkunstwerk eines Ameisenstaates oder ein kunstvolles Spinnennetz oder die Schönheit und Komplexität eines Baumes. Aber wir schreiben alles das nicht so sehr den einzelnen Tieren oder Pflanzen zu, sondern eher der „Natur“ und ihrer schöpferischen Kraft – wer immer sich dahinter verbirgt.

Beim Menschen jedoch schreiben wir seine künstlerischen Leistungen ihm selbst zu. Beethovens Neunte Symphonie ist eben von ihm und sonst niemandem. Und die Pietà im Petersdom in Rom ist eben in ihrer unfassbaren Schönheit von Michelangelo – und von sonst niemandem. Niemand hätte je vorhersehen können, was und wie Michelangelo das tut. Er ist ihr Schöpfer, er ist im besten Sinne eine „Zweitursache“ in einer Welt, in einer Schöpfung, die Gott als „Erstursache“ eben so angelegt hat, dass darin das Neue und vor allem die menschliche Freiheit erscheinen kann.

In aller Freiheit

Die Freiheit des Menschen ist dafür ein herausragendes Beispiel. Der Mensch kann einen Anfang in einer natürlichen Kausalkette setzen. Was heißt das? Die Naturwissenschaftler erklären: Die ganze Welt ist eigentlich ein geschlossener Kreislauf von Ursache und Wirkung. Wenn ich mich entscheide, einen Gegenstand fallen zu lassen, setzt das in gewisser Hinsicht eine neue Kausalkette in Gang: Am Boden angekommen, übt er Gewicht aus. Und wenn er ein Jahr lang liegen bleibt, dann fault darunter der Teppich. Das würde nicht passieren, wenn ich den Gegenstand nicht fallen und liegen lasse.

Ich kann jederzeit anders handeln

Das heißt, ich kann einen Anfang setzen in einer natürlichen Kausalkette, der ohne mich nicht passieren würde. Natürlich kann man jetzt einwenden, dass ich vielleicht trotzdem so gepolt bin. Denn wenn ich alles über mich wüsste, jede einzelne Hirnströmung, jede einzelne chemische, physikalische, biologische Reaktion in mir kennen würde, dann wüsste ich auch, dass ich das Ding jetzt gleich fallen lasse! Aber dieser Einwand ist, ehrlich gesagt, gegen unsere Intuition. Es widerspricht komplett meiner eigenen Erfahrung von Freiheit. Jeder von euch weiß: Ich habe jetzt die Wahl, ich kann in diesem Buch weiterlesen oder ich könnte sagen, keine Lust mehr, ich surfe jetzt lieber im Internet. Du weißt, dass du die Wahl hast. Dass du sie nicht hast, weil du so gepolt und nicht frei bist, hier weiterzulesen, müsste mir erst jemand beweisen. Und dieser Beweis steht komplett aus!

Es gibt also Freiheit!

Jeder von uns kann in jedem Moment einen neuen Anfang setzen, eine neue Ursachenkette in der Welt in Gang bringen. Das heißt, ich glaube als Christ, dass die Naturgesetze ihre Gültigkeit haben, aber dass die Naturgesetze selber Freiheit ermöglichen, dass mitten in den Naturgesetzen auf einmal Freiheit erscheint. Ich glaube sogar, dass Gott die Natur so eingerichtet hat, dass in ihr Freiheit erscheinen kann oder das Neue, das Unvorhergesehene und Unvorhersehbare.

Ja und Jesus?

Jesus handelt aus meiner Sicht nicht einfach irgendwie – nach dem Motto: Jetzt kommt er und ändert alles, nein. In Jesus erscheint gewissermaßen von innen nach außen ein Maß an Freiheit, das noch viel größer ist als meines oder deines. Auf einmal erscheint da einer, der nicht nur einen neuen Anfang in einer physikalischen Ursachenkette in Gang bringen kann, sondern einer, der auch zum Beispiel innere Prozesse heilen kann.

Stell dir einen großartigen Arzt vor, der sehr viel kann und viel Erfahrung hat und deswegen weiß, wie bestimmte Krankheiten entstehen und heilen. Und vielleicht ist dir dann auch schon einmal aufgefallen, dass manche Krankheiten schneller heilen bei einem Arzt, der nicht nur sein Fach, sondern der dich auch als Mensch richtig gut versteht, der einen Raum des Vertrauens öffnet, in dem du dich leicht öffnen kannst, innerlich; ein Raum, in dem du dich selbst ein wenig loslassen kannst und in dem sich deshalb Spannungen lösen – und Heilungsprozesse deshalb schneller gehen. Du spürst: So ein Arzt hat auch ein Herz für mich!

So ein Mensch war Jesus in Bezug auf Krankheiten, nur noch viel tiefer als jeder von uns: Er konnte das Herz der Menschen und ihre Leiden gewissermaßen in sich selbst aufnehmen und heil werden lassen – mit seinem gottmenschlichen Herzen. Deshalb habe ich kein Problem damit, dass von Jesus Wunder der Heilung erzählt werden. Und mehr noch: Von ihm werden auch Wunder des Wachstums in der Natur, Wunder der Vermehrung von Brot, Wunder der Beherrschung der Naturkräfte erzählt. Warum? Mein Glaube ist: Er war in Person nicht nur derjenige, der die Natur mit ihren Gesetzen so erschaffen hat, dass in ihr Freiheit erscheinen kann. Er war und ist selbst die Freiheit, die alles geschaffen hat. Deshalb ist er zugleich in ihr und über ihr.

Was ist der Sinn von allem?

Du siehst: Ich bin der Meinung, dass Naturwissenschaften und Glaube nicht gegeneinander stehen, sondern vielmehr, dass die Naturgesetze auf einen schöpferischen Gesetzgeber verweisen, der die Natur so eingerichtet hat, dass sie einerseits eben nach diesen Gesetzen funktioniert – und dass zugleich mitten in der Natur und über sie hinaus so etwas wie Freiheit da ist – und dass diese Freiheit in einem anderen Sinn ursächlich ist als die bloße Ursache-Wirkung-Folge der strengen Naturwissenschaften. Und wenn wir nun fragen: Was ist eigentlich der Sinn von allem, dann ahnen wir, dass wir diese Antwort nie von den Naturwissenschaften allein bekommen, sondern von der darin erscheinenden Freiheit und von der schöpferischen Freiheit, von der alles kommt.

Wahrheit und Glaube

Wichtig ist deshalb: Es gibt Wahrheit der Wissenschaft und es gibt aus christlicher Sicht Wahrheit des Glaubens. Aber beide können einander nie widersprechen. Warum? Weil der Gott, der uns den Glauben schenkt, derselbe ist wie der, der die Welt und die Naturgesetze geschaffen hat. Deswegen ist die Wahrheit des Glaubens nie widernatürlich, nie einfach irrational oder unlogisch. Sie ist viel eher übervernünftig und in diesem Sinn übernatürlich. Das heißt, sie übersteigt immer wieder die bloße Wahrheit des Naturgesetzes.

Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Glaube kann Wahrheit einsehen, die nicht widervernünftig ist, sondern übervernünftig. Das ist eine wichtige Unterscheidung. Auch das gilt schon für Bereiche des menschlichen Lebens: Wenn du die Frage stellst, ob dein guter Freund dir wirklich treu ist, findest du die Antwort nie aus einer naturwissenschaftlichen Erkenntnis deines Freundes, sondern nur aus dem vertrauten Umgang mit ihm, von Herz zu Herz, von Freiheit zu Freiheit. Und diese Wahrheit ist mehr als bloße wissenschaftliche Wahrheit, sie ist überwissenschaftlich. Und im selben Sinn ist die Erkenntnis des Glaubens an Gott über-natürlich.

Welche Wahrheit?

Eine andere Frage dazu: Gibt es Wahrheit in Dichtung und Kunst? Du liest einen Roman und weißt, der ist fiktiv, den hat einer erfunden oder ausgedacht. Und trotzdem liest du den Text, lässt dich tief auf ihn ein und änderst morgen dein Leben, weil du dich im Angesicht des Romans selbst tiefer erkennst oder weil du einen Blick auf die Welt bekommen hast durch die Augen des Autors, den du vorher nie hattest. Oder du betrachtest ein Kunstwerk. Vielleicht kennt einer von euch dieses Gedicht von Rainer Maria Rilke, wo er in einem römischen Museum vor einem Torso, einem Körper des Gottes Apollo, steht. Dieser inspiriert ihn zu einem Gedicht, dessen letzte Zeile lautet: „… denn da ist keine Stelle, / die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern.“ – Also Rilke steht vor einem Kunstwerk, fühlt sich gesehen und sagt sich: Ich muss mein Leben ändern.

Andere Wahrheitserfahrungen

So geht es euch vielleicht auch manchmal, wenn ihr vor einem Bild steht, das euch ergreift oder wenn euch der freundliche Blick einer Person begegnet oder wenn ihr ermutigt werdet von einem Menschen, der euch gern hat, euch in die Seele schaut und euch zu einem bestimmten Tun ermutigt. Euch kommt dann auch Wahrheit oder Sinn entgegen. Du weißt dann: Das, was mir gerade passiert, ist jetzt wichtig für mein Leben! Und solche Sachen kann dir keine Wissenschaft sagen oder gar beweisen – nein, man braucht den Beweis auch gar nicht bei dieser anderen Form von Wahrheitserfahrung. Ich bin sogar überzeugt: Solche Wahrheitserfahrungen, die aus Begegnung mit anderen Personen kommen oder mit Kunstwerken oder eben aus dem Vertrauen auf Gott – das sind die wichtigsten Wahrheiten über mein und dein Leben. Sie sind wichtiger als die Tatsachen, auf deren Basis ein Auto oder ein Computer funktioniert. Denn sie sind die Wahrheiten, die die Frage beantworten: Was macht wirklich Sinn in meinem Leben? Was bedeutet mein Leben? Wofür bin ich eigentlich da?

Gott ist ein Künstler – und wir und die Welt sind sein Werk

Ein schöpferischer Geist

Genauso wenig kann die Naturwissenschaft beantworten, woher das Leben kommt. Woher der Geist kommt, woher der Wunsch, das Gute und das Wahre zu tun. Das steckt nicht einfach so im Programm der Evolution, sodass man es ableiten könnte. Ich bin vielmehr überzeugt: Wenn die Welt tatsächlich evolutiv entstanden ist, dann steht auch dahinter ein schöpferischer Geist. Nicht einer, den man beweisen kann im Sinne von: Wenn ich das alles weiß, dann weiß ich, wie Gott tickt – sondern eher wie ein Künstler hinter seinem Kunstwerk. Du schaust ein Bild von Picasso oder Monet an und bist überwältigt. Du verstehst etwas von dem Bild, aber du könntest nie rekonstruieren, warum der Maler den Pinselstrich genau dahin und den anderen dorthin gesetzt hat. Das weiß er beim Malen ja oft selber nicht. Wie oben schon gesagt: Er hat das Bild vielleicht schon lange in sich. Aber wer es anschaut, sieht: Es hat Sinn. So ähnlich, nur viel tiefer und größer und weiter und weniger begreifbar, schafft Gott die Welt, meine ich – wie ein Künstler. Und „wenig begreifbar“ bezieht sich hier nur auf das Geheimnis des Schöpfungsaktes. Es bedeutet nicht, dass wir nicht in der Schöpfung Sinn erkennen könnten und den Schöpfer darin oder „dahinter“.

Gott und die Musik

Es gibt eine Musikwissenschaftlerin, Helga Thoene, die einmal eine Violinsonate von Johann Sebastian Bach untersucht hat. Bachs Werke sind sehr komplex konstruiert, nach allen Regeln der Kunst. Bach hatte wohl ein Faible für eine jüdische Geheimlehre, die Kabbala. Diese bringt Zahlen mit Buchstaben in Verbindung und verleiht ihnen dadurch eine bestimmte, geheimnisvolle Bedeutung. Helga Thoene hat nun bei ihren Forschungen entdeckt, dass sich diese Geheimlehre auch auf Bachs Musiknoten anwenden ließ, die er mit bestimmten Zahlenwerten codiert hat. Als sie also diese Violinsonate nach dem Kabbala-Schlüssel aufschloss, trat folgender lateinischer Spruch hervor: „Ex deo nascimur in christo morimur per spiritum sanctum reviviscimus.“ Das heißt: Aus Gott werden wir geboren, in Christus sterben wir, durch den Heiligen Geist werden wir wiederbelebt. Das ist praktisch der geheime Code, der dem Musikstück unterlegt ist.

Der Zauber der tieferen Bedeutung

Ich nenne dieses Beispiel (das ich dem Philosophen Robert Spaemann verdanke), weil es etwas sagen kann über unser Verständnis von Naturwissenschaft und der Gegenwart Gottes in der Natur. Der reine Musikwissenschaftler wird sagen: Tolles Stück, perfekt komponiert. Hilft es dir, wenn du weißt, dass Bach das nach diesem Spruch komponiert hat? Ja natürlich, das macht das Stück noch viel, viel schöner! Zumindest für jemanden, der glaubt. – Aber muss der Musikwissenschaftler das wissen, damit er die Musik einordnen kann? Er braucht es nicht zu wissen. Die Musik hat ihr eigenes Gesetz, aber das, was der Komponist mit hineingelegt hat, ist ihm vielleicht viel wichtiger, als bloß korrekt nach den musikalischen Regeln zu komponieren.

Der Urheber der Welt

Ähnlich dazu kann man nun verstehen: Auch die Welt, die wir sehen, hat ein Eigenleben in ihren Naturgesetzen. Sie funktioniert nach Regeln, die wir erforschen und überprüfen können. Aber wollen wir nicht zusätzlich den „Code“ kennenlernen, mit dem Gott die Natur geschaffen und gewissermaßen mit Sinn erfüllt hat, der hinter oder unter allem liegt? Wie der Sinnspruch bei Bach? Das ist die Frage, die wir uns als Gläubige mit Blick auf die Natur stellen. Die Wissenschaftlerin Helga Thoene hat diesen Code entdeckt, der die Komposition tiefer verstehen hilft, und zwar, weil sie sich nicht nur mit dem Stück, sondern auch mit seinem Autor, mit Bach, beschäftigt hat. Sie hat verstanden, dass der Autor gläubig ist, dass er sich mit jüdischer Mystik beschäftigt und diese auch bei dieser Komposition Einfluss auf das Stück hatte! Diese Begebenheit hilft mir als Beispiel dafür, dass wir Natur auch anders lesen können, erkennen können, ohne die naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten aufheben zu müssen.

Glaube ist personal – Der Was-Glaube und der Wem-Glaube

Damit sind wir bei einem weiteren wichtigen Punkt: Glaube ist personal. Das, was wir Glauben nennen, setzt sich gewissermaßen aus zwei Komponenten zusammen. Die erste ist: Ich kann etwas wissen. Ich kann ein großes, dickes Buch schreiben über das, was die Katholiken oder die Christen alles glauben – ohne dass auch nur ein Funke wirklichen Glaubens darinsteckt. Das heißt, die zweite Komponente von Glauben ist: Ich glaube jemandem. Ich glaube dir. Ich habe Vertrauen auf dich. Ich gebe dir mein Herz, „credere“, lateinisch für „glauben“, kommt von „cor dare“, das Herz geben.

Gott ist ein Jemand

In unserem Glauben kommen diese beiden Aspekte wirklich zusammen. Manchmal denken Leute, das mit dem Glauben ist doch ganz einfach: Du glaubst es oder du glaubst es nicht. Und das soll dann der Glaube sein. Das ist aber nicht der Glaube, den wir meinen. Sondern: Wir haben einerseits ein Glaubenswissen, wir haben ein Glaubensbekenntnis, das wir in konkreten Sätzen aussagen können, wie unser Glaubensbekenntnis im Gottesdienst. Und wir glauben damit zugleich jemandem, es bezieht sich auf jemanden – und nicht auf etwas. Gott ist ein Du, ein Jemand, dem wir vertrauen – und nicht ein Etwas.

Vertrauen und Glaube

Ich vertraue einem Menschen dann besser, wenn ich etwas über ihn weiß. Dann lerne ich besser verstehen, wer er ist, und besser vertrauen. Schwester Faustina in Polen, die Papst Johannes Paul II. heiligsprach, hat immer gesagt: Der wichtigste Akt des Glaubens ist das Vertrauen. Weil aber Vertrauen, ohne zu wissen, wem ich eigentlich vertraue, problematisch sein kann, gehören die beiden Dinge tief zusammen: das Wissen, was ich glaube, und das Vertrauen, wem ich glaube. Und zwar so, dass beide auch einander beeinflussen. Das kennt ihr: Wenn du einer Person tiefer vertraust, dann lernst du mehr über sie, als wenn du ihr immer nur aus der Distanz begegnest. Vertrauen begünstigt Kenntnis und tiefere Kenntnis führt zu besserem Vertrauen.

Sich entscheiden für jemanden

„Glauben heißt nicht wissen“, heißt es oft. Aber stell dir vor, du willst etwas über eine bekannte Person herausfinden. Du gehst ins Internet, googelst oder liest ein Buch oder einen Zeitungsartikel über diese Person. Danach weißt du schon etwas über sie. Und das können auch richtig gute Fakten sein. Aber in dem Augenblick, in dem du zum ersten Mal mit dieser Person sprichst, bist du fast genötigt, eine Entscheidung zu treffen, die antwortet auf die Frage: Glaube ich der Person oder glaube ich ihr nicht? Und zwar deshalb, weil diese Person dir Dinge von sich erzählen kann, die nur sie selbst weiß. Zum Beispiel: Ich habe jetzt gerade Schmerzen. Kannst du das wissenschaftlich nachweisen, wenn ich sage, dass ich Schmerzen habe? Oder wenn du sagst, dass du dich danach sehnst, am Strand zu liegen? In Italien? Kannst du wissen, ob das bei mir stimmt? Kannst du nicht. Du kannst aber lernen, mich zu verstehen und mir zu vertrauen. In genau diesem Augenblick wirst du ein Glaubender in einem menschlichen Sinn.

Der Mensch: Wahrheitssucher und Glaubender

Papst Johannes Paul II. hat einmal zwei Definitionen vom Menschen gegeben: Der Mensch ist erstens der, der nach Wahrheit sucht, und zweitens der, der vom Glauben lebt. Wir alle leben vom Glauben. In Bezug auf Personen immer. Du kannst dich entscheiden und sagen: Nein, dem glaube ich nicht, das ist ein Schwätzer. Und dann distanzierst du dich innerlich. Oder du kannst sagen: Ja, das, was da aus seinem Inneren kommt, das, was er mir sagt, glaube ich. Dem vertraue ich. Und je mehr du dich öffnest und der andere sich dir öffnet und ihr wahrhaftig seid, desto tiefer wirst du ihn erkennen. In jedem menschlichen Lebensvollzug kommt das Thema Glaube vor. Glaube ist in diesem Sinne „personal“.

Der Mensch ist Person

Der Mensch ist Person: Ihr seht hier einen Leib, der sich bewegt, irgendwelche Gesichtszüge macht und den Mund auf und zu. Und aus dem Mund kommen Töne raus und die Töne ergeben vielleicht Sinn, aber zunächst könnte die Wahrnehmung auch nur sein: Da ist ein seltsamer Körper, der sich irgendwie ausdrückt. Stimmt das, was er sagt? Es könnte durchaus sein, dass ich hier nur eine Show abziehe. Oder ich könnte ein seelenloser Roboter sein. Könnte sein. Jeder kennt das Gefühl, wenn ein Mensch nicht authentisch erscheint. Man denkt: Der tut bloß so, als ob. Oder man sagt: Wie der sich gibt, wie er sich kleidet oder wie der redet … Passt das zusammen mit dem, wie er so ist?

Unsere Leiblichkeit

Wir sind menschliche Personen, das heißt, wir drücken inneren Sinn, wir drücken Geistiges durch Leiblichkeit aus. Immer. Selbst jedes Wort, das du sagst, kommt aus deinem Leib. Deine Stimme ist unverwechselbar deine und hat mit deinem leiblichen Sprechapparat zu tun und mit deinen Gefühlen und deinem Denken. Aber niemand „sieht“ ja die geistige Bedeutung deiner Worte. Man sieht nur dich, der redet, und hört nur deine Stimme. Aber einer, der mit dir spricht, kann dann dadurch, wie du dich ausdrückst, eine Ahnung davon bekommen, wie du innerlich als Person bist. Und er kann verstehen lernen: Glaube ich dem oder glaube ich ihm nicht?

Räume mit Präsenz erfüllen

Ein anderes Beispiel: Du gehst in einem Raum hinein und denkst: „Hier ist es nicht nur temperaturmäßig, sondern atmosphärisch eiskalt. Ich will hier wieder raus!“ Oder du kommst in einen Raum und denkst: „Das ist eine kleine Hütte, aber, wie schön!“ Warum? Ja, weil da wahrscheinlich jemand wohnt, der so ein Herz hat. Personen drücken sich auch durch materielle Dinge aus, mit denen sie sich umgeben, und sie schaffen Atmosphäre durch die Art und Weise, wie sie sich einrichten, mit was sie sich umgeben.

Die Schöpfung als Wohnung Gottes

Und jetzt lautet die Frage in Bezug auf unseren Glauben: Ist es möglich, dass die ganze Schöpfung eine Art Wohnung Gottes ist, in der dieser Gott sich ausdrückt als Person? Wir glauben nämlich, Gott ist ein Du. Gott ist Person, eine geistige Person zwar. Aber er hat die Schöpfung so eingerichtet, dass wir uns in der Schöpfung bewegen und denken: Wie schön! Ist der großartig. Ich war neulich im Bayrischen Wald, da liegt Schnee oben und unten ist es grün: „Wow! Fein hingekriegt, lieber Gott!“ – Gott drückt sich aus in seiner Schöpfung und sagt sich aus durch sie.

Aber glauben wir auch, dass Gott sich durch Menschen ausdrücken kann? Glauben wir, dass das möglich ist, dass ein Mensch von Gott erfüllt ist? Dass du durch dieses Zeugnis, das er gibt, etwas von ihm spürst? Glaubst du das? Das sind alles Akte des Glaubens.

Die Liebe macht ähnlich

Wir kennen in unserer Geschichte Menschen, die so erfüllt waren von Gottes Gegenwart, dass wir sie als Heilige verehren. Wenn andere ihnen begegnet sind, haben sie gespürt: Der ist innerlich so reich und tief, der strahlt so von innen her, er ist frei und voller Herz – das kommt nicht nur von ihm selbst. Und tatsächlich: Das sind die, die Gott so sehr lieben und sich so sehr von ihm geliebt wissen, dass sie diesem Geheimnis in sich so viel Raum gegeben haben, dass man das spürt und erkennt.

Auch das kannst du nachvollziehen, wenn du rein menschlich, zum Beispiel an einen großartigen Musiker, denkst, der für seine Musik lebt, der Tag und Nacht mit Musik umgeht, Musik macht, der seine Freunde danach aussucht, ob sie auch Musiker sind – und vieles mehr. Einem Menschen, der so geprägt ist von einer Sache, spürt man das an. Man merkt es vielleicht schon beim gemeinsamen Mittagessen: Der ist ein Musiker. Die Musik ist ihm so verinnerlicht, dass er das in ganz vielen Bereichen seines Lebens, Sprechens, Handelns zum Ausdruck bringt. Und damit berühren wir ein tiefes Geheimnis: Die Liebe macht denjenigen, der etwas liebt, dem ähnlicher, was oder wen er liebt!

Die alles entscheidende Frage

In unserer Glaubensgeschichte gibt es also Menschen, die ganz von Gottes Gegenwart erfüllt waren. Aber mit der für mich alles entscheidenden Frage komme ich jetzt zum Schluss dieses ersten Teils: Ist es möglich, dass Gott in Jesus ganz gegenwärtig war?

Aber nicht so, dass er wie in dir und mir gewissermaßen innerlich wohnt und nach und nach erspürbar wird, weil du ihn liebst und ihm in deinem Leben immer mehr Raum gibst, sondern so, dass es in ihm keinen Unterschied mehr gibt zwischen der inneren Wohnung und Gott, sodass dieser Mensch, der da in der Welt aufgetaucht ist, nicht nur Gott in sich hatte, sondern selbst Gott war, immer noch Gott ist. So wie noch nie zuvor das Göttliche in der Welt erschienen ist? So, dass die Menschen, die ihm begegnet sind, gesagt haben: Wenn ich wirklich anfange, mich auf ihn einzulassen, und wenn ich anfange, zu hören, was er sagt, was er tut, wie er es tut, dann kann ich entweder nur sagen: Du bist der größte Scharlatan der Geschichte, der größte Blender, der je gelebt hat, du bist der Teufel selbst! Oder aber: Ich falle vor dir nieder und bete dich an. Beides ist in der Bibel bezeugt. Seine Gegner sagen: Er ist vom Teufel besessen und bringen ihn um, seine Anhänger beten ihn an.

Es gibt nur ja oder nein

Mit der Autorität, mit der Jesus aufgetreten ist, gibt es aus meiner Sicht keine Wahl dazwischen. Je näher du dich dem näherst und spürst, mit welcher Kraft, Liebe, Wahrhaftigkeit, Majestät, Demut, Entschiedenheit dieser Jesus gekommen ist, gibt es im Grunde nur zwei Reaktionen: „Um Gottes willen, lass mich in Ruhe.“ Oder: „Ich falle vor dir nieder und bete dich an.“ Es gibt nichts dazwischen, meine ich. Wenn du in der Distanz bleibst und sagst: „Jetzt lese ich mal ein bisschen Bibel und dann lese ich ein bisschen Buddha und dann lese ich ein bisschen Mohammed“, dann kommst du vielleicht zu der Ansicht: „Bei Jesus finde ich den Aspekt echt gut. Und bei Buddha oder Mohammed finde ich einen anderen Aspekt besser.“ – Das kann man machen, aber das ist keine Form des Glaubens, in der du wirklich ihn suchst und ihm begegnen willst – und es ist auch kein Glaube, der das Evangelium ernst nimmt. Die Menschen aller Zeiten haben vielmehr die Erfahrung gemacht: Je näher sie Jesus gekommen sind, desto mehr gibt es nur diese Alternative: ja oder nein. Und die Menschen, die ihm nahekommen, wollen ihn entweder umbringen – oder sie beginnen, an ihn zu glauben. An ihm scheiden sich die Geister, wie das Evangelium sagt (z. B. in Lukas 2,34).

Jesus akzeptiert Anbetung

Im Evangelium vom sogenannten „ungläubigen Thomas“ (Joh 20,28) steht Folgendes: Nachdem Thomas die Wunde Jesu befühlt hat, fällt er vor ihm nieder und sagt: „Mein Herr und mein Gott.“ Und Jesus sagt nicht: „Lieber Thomas, du täuschst dich ein bisschen. Ich bin nur der Rabbi, der viel weiß über Gott und die Bibel, aber nicht Gott selbst.“ Es passiert das Gegenteil: Jesus akzeptiert die Anbetung des Thomas und sein Bekenntnis. Wenn ihr also einmal gefragt werdet, zum Beispiel von einem gläubigen Juden oder einem gläubigen Moslem, wo denn in der Bibel eigentlich steht, dass Jesus Gott ist: Hier steht es ausdrücklich. Jesus antwortet dem Thomas: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29).

II

Exkurs: Die sieben Merkmale des Glaubens

Meine Lieben, die katholische Kirche zählt in ihrem Katechismus sieben Merkmale des Glaubens auf. Es gibt wahrscheinlich noch ein paar mehr Merkmale des Glaubens, aber wir benennen sieben Sakramente, sieben Tugenden, sieben Todsünden … Die Kirche liebt die Zahl Sieben. Daher also im Folgenden die sieben wichtigsten Merkmale des Glaubens.

Zunächst aber: Wo ist das formuliert? In den 80er-, 90er-Jahren unter Papst Johannes Paul II. hat die Kirche den Plan gefasst: „Wir wollen einmal zusammenfassen, darstellen und formulieren, was wir eigentlich glauben.“ Ihr müsst euch die Größenordnung für diese Fragen vorstellen: Da gibt es eine Weltkirche, die über eine Milliarde Mitglieder hat, es gab vor 50 Jahren das große Konzil, es gibt seitdem so viele verschiedene Theologien und Glaubensrichtungen in der ganzen Welt, es gibt auch die ökumenischen Bemühungen mit den anderen Christen. Daher ist es einerseits ganz sinnvoll, aber andererseits auch ungeheuer schwer, die Frage zu beantworten: Wie stellen wir für die ganze Kirche in der Welt unseren Glauben dar? Was meinen wir, wenn wir von Gott sprechen und vom Menschen im Verhältnis zu Gott? Was bedeutet eigentlich Erlösung, was bedeutet eigentlich Sünde, wie ist das Verhältnis vom Alten zum Neuen Testament und so weiter und so fort? Herausgekommen ist der „Katechismus der Katholischen Kirche“: Er sieht in einer Taschenbuch-Dünndruck-Ausgabe ziemlich harmlos aus, aber er hat über 800 Seiten und die haben es wirklich in sich. Insgesamt gibt es vier große Abschnitte nach der klassischen Katechismus-Gliederung: das Glaubensbekenntnis, die Lehre von den Sakramenten, die Zehn Gebote und das Gebet, besonders das Vaterunser.

Vor ein paar Jahren sind dann einige pfiffige junge Leute auf die Idee gekommen, dieses komplexe Glaubensbuch auch für junge Menschen in leichtere Sprache zu übersetzen und auf das Wesentliche zu kürzen. So haben sie den sogenannten YOUCAT gemacht, einen schicken Jugend-Katechismus. Der wurde auf dem Weltjugendtag verschenkt, aber das Buch ist tatsächlich nicht nur etwas für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene. Der YOUCAT ist inzwischen das erfolgreichste christliche Buch überhaupt, gleich nach der Bibel, habe ich gehört. Millionenfach wurde es in der Welt verteilt und in zig Sprachen übersetzt. Auch im YOUCAT sind die folgenden sieben Merkmale des Glaubens beschrieben.

Der Glaube ist eine ungeschuldete Gabe, die allen zugänglich ist, die demütig darum bitten.