Über Klaus Siblewski

Klaus Siblewski, geboren 1950 in Frankfurt am Main, lebt in Holzkirchen bei München. Er ist Verlagslektor, Autor und lehrt als Professor am Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft an der Universität Hildesheim. Wenn er selbst am Schreibtisch sitzt, braucht er unbedingt frischen, sorgfältig zubereiteten Tee (der nie getrunken und regel mäßig weggegossen wird), viele Bleistifte, wovon keiner dem anderen gleichen darf (außer den kleinen IKEA-Bleistiften), und an den Füßen feste solide Schuhe (als müsste er zu jeder Zeit das Haus verlassen können). 2005 hat er die Deutsche Lektorenkonferenz gegründet und bis 2015 geleitet. Er hat u.a. die Werke von Ernst Jandl, Peter Härtling und Peter Turrini herausgegeben. Zuletzt sind von Siblewski erschienen: Die diskreten Kritiker. Was Lektoren tun (2005) und die Bände Wie Romane entstehen (2008, gemeinsam mit Hanns-Josef Ortheil), Wie Gedichte entstehen (2009, gemeinsam mit Norbert Hummelt), Wie Dramen entstehen (2012, gemeinsam mit John von Düffel) und Der Gelegenheitskritiker (2017).

»Am Schreibtisch herrscht Erfolgsdruck.«

Wir sitzen in Ihrem Arbeitszimmer, ich, wenn ich das richtig mitbekommen habe, mit dem Rücken zu Ihrem Schreibtisch. Wie nähern Sie sich Ihrem Schreibtisch?

Zögerlich, würde ich sagen.

Zögerlich?

Ja. Und auch meistens nur für kurze Zeit, und die Dauer meiner Anwesenheit dort hängt davon ab, was ich machen möchte.

Gibt es für Sie nicht nur den einen Grund, zum Schreibtisch zu gehen, um ein Gedicht zu schreiben?

Wenn es um Gedichte geht, muss ich sagen, gehe ich gar nicht an den Schreibtisch, ich meine: nicht direkt. Ich schreibe im Sessel. Ich schreibe derart langsam und so wenig pro Tag, dass sich das Sitzen am Schreibtisch gar nicht lohnt. Weder den Computer anzuwerfen, noch in aufrechter Haltung am Schreibtisch zu sitzen, würde sich lohnen. Außerdem notiere ich zuerst, kritzele, streiche und verwerfe – eine Arbeit, die ich liebe. Und diese Arbeit findet in meinem Sessel statt.

Doch, doch. Bei Gedichten kommt der Schreibtisch aber erst spät ins Spiel, wenn ich mit einer Fassung so weit bin, dass ich denke, so, jetzt tippe ich sie ab. Jetzt ist der Text so weit erstarrt, dass ich mich hinsetzen und eine Druckfassung herstellen kann, die keinen Schaden anrichtet.

»Schaden anrichtet«? Haben Sie wirklich »Schaden anrichtet« gesagt?

Ja. Ich muss darauf achten, dass das Gedicht bereits so weit gediehen ist, dass durch das Erstellen einer Computerfassung der Prozess des Umschreibens und Anreicherns nicht unterbrochen wird, ich das Kritzeln nicht zu früh eingestellt habe.

Abgetippt wird aber nicht im Sessel? Sie wechseln hinüber zum Schreibtisch und geben dort den Text in den Computer ein.

Ja.

Es gibt also zwei Zonen der Arbeit, den Sessel, reserviert für das Entwickeln von Gedichten, und den Schreibtisch zum endgültigen Fixieren des Entwickelten?

Ja, allerdings muss ich dazusagen, dass es sich beim Schreibtisch, von dem ich beim Thema Abschreiben eben gesprochen habe, nicht um den Schreibtisch handelt, über den wir bisher geredet haben. Ich setze mich zum Abschreiben der Gedichte an einen zweiten Schreibtisch gegenüber dem eigentlichen Schreibtisch. Dort steht eine Schreibmaschine, die ich seit kurzer Zeit wieder benutze, eine

Was macht die Attraktivität dieser Schreibmaschine für Sie aus?

Sie ist alt, und ich hänge aus vielleicht sentimentalen Gründen an ihr.

Machen nostalgische Gründe diese Schreibmaschine attraktiv?

Das stimmt, es gibt aber noch gewichtigere Gründe. Die Schreibmaschine führt mich nämlich nicht in Versuchung, E-Mails anzuschauen oder andere Nachrichten zu lesen, die aus der Welt eintrudeln. An diesem Tisch tippe ich das Gedicht also ab, aber erst nachdem ich entschieden habe, dass es sich lohnt, die neue Arbeit im Druckbild zu sehen und die Arbeit daran fortzusetzen.

Die Wahrnehmung der graphischen Struktur des Gedichts spielt beim Schreiben also eine wichtige Rolle für Sie.

Aber ja! Wie sehen die Strophen aus? Wie sind die Zeilen beschaffen? Das sind wichtige Fragen für mich. Wenn ich Gedichte übersetze, gehe ich anders vor. Dann sitze ich am Schreibtisch, und zwar an dem eigentlichen Schreibtisch, über den wir sprechen wollten, und suche zunächst Vokabeln heraus. Entweder mit einem Lexikon, dem gedruckten, schweren englisch-deutschen von Langenscheidt, oder mit den im Internet bereitgestellten Wörterbüchern. Diese Recherchen werden sinnvollerweise am Schreibtisch

Beim Abtippen Ihrer Gedichte mit der Schreibmaschine können Sie nur in minimalem Umfang das Abgetippte korrigieren. Ist das nicht ein Nachteil?

Nein, im Gegenteil. Mir geht es beim Abtippen nicht darum, eine weitere Möglichkeit des Korrigierens zu schaffen. Die Schreibmaschinenfassung liegt irgendwo zwischen dem finalen Computerausdruck und der handschriftlichen Fassung vom Anfang. Das Maschinelle kommt beim Abtippen ins Spiel, aber das Papier spielt noch eine Rolle, der Kontakt, den man mit dem Papier nach wie vor hat. Es ist ein Zwischenschritt vom Flüssigen des Kritzelns zum Erstarrten des Computerausdrucks und deswegen für mich nützlich.

Bei Gedichtübersetzungen, sagten Sie, würden Sie am Schreibtisch beginnen. Findet dann auch die komplette Übersetzungsarbeit am Schreibtisch statt?

Bei Gedichtübersetzungen eile ich zwischen Schreibtisch und Sessel hin und her. Am Schreibtisch sitze ich, wenn ich recherchiere, Vokabeln heraussuche oder Korrekturen übertrage. Im Sessel sitze ich, wenn ich aus den englischen Vorlagen deutsche Gedichte machen möchte, was ja immer das Ziel ist, wenn also bei der Arbeit das Dichterische und nicht die rein handwerkliche Arbeit im Vordergrund steht.

… ja, eigentlich nicht (lacht).

Aber es gibt zwei Schreibtische.

Ja, es gibt mehrere Tische, obwohl auch das eigentlich nicht stimmt.

Und das heißt?

Es gibt erstens den klassischen Eiermann-Schreibtisch. Das ist mein Schreibtisch, von dem wir von Anfang an sprachen. Dann gibt es einen zweiten Tisch, eher eine Art Esszimmertisch, einen älteren, schönen runden Holztisch, auf dem die Schreibmaschine auf einer Filzmatte ruht. Dorthin rolle ich mit dem Stuhl, der vor dem Eiermann-Schreibtisch steht, um Gedichte abzutippen. Im Grunde gibt es aber trotz dieser beiden Tische nur den einen klassischen Schreibtisch.

Gleichwohl haben Sie sich drei Arbeitszonen in Ihrem Arbeitszimmer geschaffen.

Genau. Mein Sessel mit dem kleinen Tisch für Notizbuch und Getränke; sodann die beiden Schreibtische, von denen ich gerade gesprochen habe.

Mich erinnert die Verteilung der verschiedenen Arbeiten auf eigene Schreiborte in einem Zimmer an die Arbeitsweise des Lyrikers Ernst Jandl. An einem großen Schreibtisch hat er die handschriftlichen Fassungen seiner Gedichte hergestellt. Dann verließ er diesen Schreibtisch, setzte sich an einen kleinen Schreibmaschinentisch

Ja, das rührt mich, dass auch bei Ernst Jandl verschiedene Schreibtische eine Rolle gespielt haben. Es hat vermutlich mit dem Prozess des Schreibens von Gedichten zu tun.

Ernst Jandl war aber noch nicht am Ende des Schreibens eines Gedichts angekommen, wenn er an seinem Schreibmaschinentisch den Text abgeschrieben hatte. Als dritter und letzter Schritt las er am Abend das Gedicht seiner Lebensgefährtin Friederike Mayröcker vor. Wurde von ihr das Gedicht dann für gut befunden oder brachte sie Argumente gegen das Gedicht als Ganzes oder gegen Teile davon vor, die Ernst Jandl nicht hinnehmen konnte, war die Arbeit an dem jeweiligen Manuskript erst abgeschlossen. (Bei ihm einleuchtenden Einwänden setzte er die Arbeit an einem Manuskript auch fort, und die Prozedur begann wieder von Neuem.) Was ich sagen will: In gewissem Sinn gab es bei ihm noch einen dritten Ort des Schreibens, den Stuhl, von dem aus er den Text vorgelesen hat. Entfernen Sie sich auch mit Ihrer Schreibmaschinenfassung von Tisch Nr. 2 und tragen Sie das Geschriebene laut vor?

Ja, ich lese meiner Frau die Gedichte vor. Der Vortrag spielt auch bei mir eine wichtige abschließende Rolle. Ich lese meine Gedichte zunächst mir selbst, meiner Frau, aber auch einer Freundin vor, die ebenfalls Dichterin ist. Das Ausprobieren und die Erfahrung der Wirkung des Gedichts im Vortrag sind wesentliche Schritte.

Warum?

Für Sie ist das Lesen des Gedichts ein weiterer wichtiger Arbeitsschritt, der wieder zurück zum Schreibtisch führen kann.

Ja, so ist es. Für mich macht es dabei auch keinen Unterschied, ob ich mir das Gedicht selber vorlese oder es einem Freund oder meiner Frau vortrage. Das Klingenlassen ist wichtig, darum geht es.

Ich würde gerne etwas über Ihren Sessel erfahren. Wenn Ihr Sessel eine mindestens ebenso große Rolle für das Schreiben wie der Schreibtisch spielt, wie nähern Sie sich denn Ihrem Sessel?

Ich setze mich vertrauensvoll hin.

Wissen Sie am Morgen schon, dass Sie die meiste Zeit des Tages im Sessel verbringen werden?

Ja.

Setzen Sie sich hin, gleichgültig ob Sie einen Einfall für ein Gedicht haben oder nicht wissen, womit Sie den Tag verbringen werden?

Was macht das Sitzen im Sessel so ideal?

Im Sessel stellt sich keine reine Arbeitsatmosphäre wie am Schreibtisch her. Am Schreibtisch fühle ich mich zum Arbeiten gezwungen; es herrscht ein unmittelbarer Erfolgsdruck. Schon das Wort »Schreib-Tisch« sagt alles über die Spannungen, die dort herrschen. Im Sessel hingegen befindet man sich in einem angenehmen Zwischenzustand – zwischen Bett und Schreibtisch sozusagen. Ich sitze im Sessel nicht ganz aufrecht, lasse mich am Morgen, wenn ich aufgestanden bin, regelrecht hineinfallen und befinde mich ab da in einem guten Zustand zwischen Schlafen und Wachen, Liegen und Sitzen, harter Arbeit und Entspannung.

Sie sprechen zum zweiten Mal von einem Zwischenzustand.

Ja, diese Zwischenzustände scheinen mir für das Schreiben ideal zu sein. In meinem Sessel strebe ich eine Art wachen Dämmerns an. Jeder kennt diesen Zustand kurz nach dem Aufstehen, und im Sessel komme ich diesem Zustand am nächsten – ohne überaufmerksam zu werden oder andererseits einzuschlafen.

Sie sehen aber von Ihrem Sessel aus den Schreibtisch?

Ist das gut oder schlecht?

Er droht herüber. Ich habe vom Sessel aus alle anderen Tische im Blick – wie ein Dompteur. Man muss sie aber nicht unbedingt beachten, kann auch aus dem Fenster schauen. Dort sehe ich dann einen Oleander. Das ist gut.

Der Schreibtisch ist aber wahrnehmbar anwesend.

Er steht da und verlangt, benutzt zu werden. Als Zielpunkt ist er da, als Fluchtpunkt, immer mit der Hoffnung, dass ein Gedicht entsteht und sich abzutippen lohnt. Diese Erwartung dringt vom Schreibtisch bis zu mir hier im Sessel herüber.

Der Schreibsessel steht nicht durch Zufall dort, wo er steht?

Nein, er steht in meinem Arbeitszimmer zwischen den Bücherregalen, ein guter Platz. Vom Sessel, ich hatte das vergessen zu sagen, sehe ich übrigens auch ein Stehpult.

Wieso Stehpult?

Ich dachte vor einiger Zeit, es könnte ganz schön sein, die Haltung einmal vollkommen zu ändern und im Stehen zu schreiben.

Hat sich das Stehen als förderlich herausgestellt?

Nein, leider nicht. Viel besser als Stehen sind Spaziergänge. Beim Gehen lösen sich die Blockaden, lockern sich die

Jetzt ist aber nicht Herumgehen im Arbeitszimmer gemeint.

Nein. Ich spreche von Spaziergängen von meiner Wohnung (sie liegt in Berlin, Neukölln) zum Landwehrkanal, beispielsweise. Obwohl auch das Gehen im Zimmer erste Lockerungen bewirken kann.

Hat es mit dem Rhythmus der Schritte zu tun, dass Gehen für Lyriker in dem Sinne eine Hilfe ist, als es das Rhythmusempfinden wachhält?

Weniger in der von Ihnen beschriebenen Art, mehr in der Weise, dass der Gehende sich dem Gehen überlässt. Dieses Sich-Überlassen hilft. Es gibt ja Dichter, die nur im Gehen notieren und zurück in ihrem Arbeitszimmer den Text abtippen. Ihre Gedichte entstehen stets im Gehen. Der schottische Dichter John Burnside zum Beispiel komponiert seine Gedichte beim Gehen. Ich stelle ihn mir immer wandernd in den Highlands vor, oder in der Nähe von St Andrews, also dem Ort, wo er Kreatives Schreiben an der Universität lehrt. Am Ende seiner Wanderungen, wenn er nach Hause kommt, schreibt er das auf, was sich gehalten hat, was erinnert wird und deshalb das Festhalten lohnt. Das ist im Grunde ein schönes, mich wirklich überzeugendes Verfahren.

Dazu fällt mir Eduard Mörikes kleiner Schreibtisch ein, ich glaube, er ist im Marbacher Literaturarchiv zu sehen. Mörike besaß am Ende seines Lebens einen Wanderschreibtisch, vielleicht war ihm dieser mobile

Nein, auf gar keinen Fall. Ich habe aber immer ein Notizbuch mit dabei. Und einen Stift. Ich bin also sozusagen ganz klassisch unterwegs. Nie mit einem Computer.

Braucht es für das Schreiben von Gedichten überhaupt einen Computer, oder könnte man Computer aus Sicht von Lyrikern nicht als eine überflüssige Erfindung bezeichnen?

Wenn man von der Menge an Text ausgeht, sicher. Ich bin ja froh, pro Monat ein, zwei Gedichte zu schreiben, so langsam geht es bei mir voran.

Ich meine, auch von den Arbeitstechniken her, die Computer erlauben. Verwenden Sie häufig die Tastenkombination copy and paste, um größere Textpartien in Ihren Gedichten zu verschieben?

Ich selber nicht. Ich bin mir sicher, dass, wenn man Gedichte direkt in den Computer schreibt und ganze Strophen aus einem Textzusammenhang herauslöst und an anderer Stelle wieder einfügt, das Einfluss auf das Wesen, vielleicht auch auf die Qualität des Textes hat. Ob es zum Vorteil eines Gedichts geschieht? Wer weiß …

Sie haben gesagt, Sie würden zum Beispiel zum Landwehrkanal gehen – spazieren Sie manchmal auch in eine Bibliothek?

Ja.

Nein.

Gehen Sie in Cafés?

Zum Arbeiten? Ja, ab und zu.

Züge? Arbeiten Sie gerne in Zügen?

Auch in Zügen kann man schreiben.

Machen Sie das gerne?

Das Schöne am Gedichteschreiben ist ja, dass es überall stattfinden kann, jedenfalls im Prinzip. Am liebsten aber schreibe ich doch zu Hause – wenn es dunkel wird und Neukölln etwas ruhiger geworden ist. Dann kann ich mich einschließen und habe das angenehme Gefühl, mich in einer Schreibhöhle zu befinden. Dieses Gefühl der Zurückgezogenheit, des Abgeschottetseins ist wunderbar. Auch in Flugzeugen, etwa bei Langstreckenflügen, lässt sich schreiben. Wenn man der Einzige ist, der noch das Lichtlein brennen hat und arbeitet, ist das sogar eine besonders schöne Situation.

Stichwort »Bibliotheken«. Benötigen Sie keine Bücher für Ihre Arbeit?

Das ist ja das Herrliche: Man braucht keine riesigen Bibliotheken oder Ordner voller Recherchematerial oder andere Materialsammlungen. Um ein Gedicht zu schreiben,

Sonst nichts?

Nein, sonst nichts. Ein Stift und ein Notizbuch im Format DIN A5.

Von diesen Notizbüchern wird es mittlerweile mehrere geben. Was geschieht mit ihnen? Werden sie aufgehoben, und geschieht das im oder auf dem Schreibtisch?

Ich hebe sie alle auf. Und ich hebe sie nicht nur auf, ich konsultiere sie auch hin und wieder, denn es ist schön, in alten Notizbüchern zu blättern. Vieles von dem, was dort steht, habe ich vergessen. Manchmal kann ich auch gute Ideen, Späne, die beim Schreiben eines anderen Gedichts weggehobelt worden sind, wieder aufsammeln. Oder ich entdecke ganze Passagen oder Strophen, die vor Jahren bei einem anderen Gedicht nicht passten, neu und kann sie als Ausgangsidee für ein ganz anderes Gedicht verwenden. Das ist ein herrlicher Vorgang, dem ich mich gern überlasse. Hinzu kommt, dass ich eine wirklich schlimme, unzumutbare Handschrift habe. Gelegentlich lese ich selbst also völlig andere Dinge in das Geschriebene hinein, als dort ursprünglich geschrieben stand. Das Entziffern- und Verstehenwollen dieser alten Sauklaue führt wiederum zu Eingebungen, die dann in das aktuelle Notizbuch hineingeschrieben werden – ein wichtiger Schritt zur Fortsetzung der Arbeit.

Und wo sammeln Sie die Notizbücher, haben Sie einen festen Ort dafür?

Verfolgen wir die Arbeit an Manuskripten weiter. Werden die jeweils aktuellen Manuskriptseiten auf dem Schreibtisch gesammelt? Und falls ja, wo und wie?

Ja, die neuen Gedichte werden auf dem Schreibtisch gesammelt. Es gibt dort einen Ablagekorb, in dem alle aktuellen Projekte landen. Die Übersetzungen, die Entwürfe von Gedichtübersetzungen. Dort liegen aber auch Essays, an denen ich arbeite, oder Notizen zu Essays. Und viele eigene Gedichte. Die Gedichte sammele ich in einer Mappe und arbeite von Fall zu Fall an ihnen weiter. Diese Mappe enthält Gedichte, die zunächst fertig ausgearbeitet erscheinen, nach ein paar Wochen aber wieder hervorgenommen und einer nächsten Überprüfung ausgesetzt werden müssen. Vergehende Zeit macht den Blick auf diese Gedichte zum Blick eines Fremden, und dieser fremde Blick ist hilfreich.

Einen privilegierten Platz bekommt die Mappe mit den Gedichten in dem Korb dann nicht eingeräumt – oder?

Nein, es liegt alles übereinander, kreuz und quer, wenn auch auf verschiedene Klarsichtfolien verteilt. Zu den Mappen, von denen ich bisher gesprochen habe, kommen noch Mappen mit Anthologie-Entwürfen hinzu, auch Planungen von Lesungen und von Leseabenden. All das befindet sich in diesem einen Korb.

Nein, es sind simple Klarsichthüllen, damit sich gleich erkennen lässt, was darin steckt.

Aber verschiedene Versionen von einem Gedicht gibt es in der Hülle mit den Gedichten nicht? Oder anders gefragt: Kommen dort nur Gedichte hin, von denen Sie glauben, Sie haben dieses Gedicht bis zu seiner Endfassung entwickelt?

Gelegentlich gibt es mehrere Versionen, manchmal unterscheiden sich die Versionen auch nur durch den unterschiedlichen Zeilenfall – und ja, diese unterschiedlichen Versionen hebe ich auf, damit ich nachvollziehen kann, welche Fassung zuerst da war und in welche Richtung sich der Text entwickelt hat, und ob eine frühe Fassung nicht vielleicht doch die bessere war. Die Fassungen werden aufbewahrt und kommen erst später in eine Schachtel. Neben dem Schreibtisch stehen einige Schachteln, dorthinein kommen die Manuskriptseiten.

Dann liegen nie aussichtslose Manuskriptseiten auf dem Schreibtisch. Wenn Sie den Eindruck haben, die Arbeit an einem Text ist abgeschlossen oder die Fassung könnte noch zu etwas gut sein, wird sie in die Hülle mit den potentiell fertigen Gedichten geschoben. Aussichtslose Versuche haben auf dem Schreibtisch keinen Platz.

Genau, weg damit. Es sei denn, ich denke, es könnte in naher Zukunft noch etwas daraus werden.

Also muss ein Versuch in irgendeiner Weise aussichtsreich sein, damit er es in eine Ihrer Mappen schafft.

Wenn die Gedichte dann in ein neues Buch aufgenommen und gedruckt worden sind, geht ihr Aufenthalt auf dem Schreibtisch zu Ende.

Ja. Die gedruckten Gedichte verschwinden in der Manuskriptkiste, sie müssen auch nicht mehr greifbar sein.

Gibt es am Schreibtisch auch Bereiche, die geheim sind? Also Dinge, die man selber nicht so genau sehen will oder die man dem Zugang Dritter entziehen möchte?

Ehrliche Antwort: Nein, nicht wirklich. Es gibt aber eine Pinnwand am Schreibtisch, da hängen Zeitungsartikel, die mir interessant erscheinen, auch Fotos und Bilder. Das ist zwar kein geheimer Ort, aber einiges von dem, was dort hängt, nehme ich kaum mehr richtig wahr, obwohl ich es fast täglich sehe.

Deswegen haben Sie diese Pinnwand dort ursprünglich nicht befestigt?

Nein. Ich habe mir Anregungen von dort versprochen und verspreche sie mir immer noch. Da hängen Zettel als

Briefe, Rechnungen liegen keine auf dem Schreibtisch?

Leider ja. Sogar im Korb zusammen mit den Gedichten. Und eine Mappe mit den ganz schlichten geschäftlichen Sachen gibt es dort auch, Fahrkarten, Verträge, Anfragen.

Briefe und E-Mails, beantworten Sie die am Schreibtisch? Und die Steuererklärung, wo wird die Steuer gemacht?

Ja, solche Dinge muss man tatsächlich sämtlich am Schreibtisch erledigen.

Ist, die Steuererklärung am Schreibtisch zu machen, eine Provokation für diesen Ort, und müsste er nicht vor solchen Arbeiten geschützt werden?

Nein, dafür ist der Schreibtisch schließlich da. Man hat zwar seinen kleinen Aberglauben, denkt, dieser Ort darf nicht mit profanen Dingen wie einer Steuererklärung entweiht werden. Aber da mir ja der erwähnte Schreibsessel zur Verfügung steht, in dem eine Steuererklärung zu erstellen schlichtweg undenkbar ist, muss der Schreibtisch nicht eigens geschützt werden.

Und Briefe, E-Mails?

Briefe werden unbedingt am Schreibtisch beantwortet. Ich nehme Briefe als literarische Form ernst, und mit dieser

Gibt es für die Briefe im Korb auch eine Klarsichthülle?

Nein. Wenn ich die Briefe am Computer schreibe, speichere ich sie dort ab. Briefe, die ich erhalte, hebe ich auf, allerdings in einer separaten Schachtel.

Was wird noch am Schreibtisch gemacht? Sie telefonieren am Schreibtisch?

Ja, natürlich. Das Telefon steht dort, und ich sitze auch am Schreibtisch, um zu telefonieren.

Sie telefonieren im Sitzen?

Meistens. Im Gehen geschieht es auch, immerhin handelt es sich um ein schnurloses Telefon, aber meistens doch im Sitzen. Gerade, wenn es um Texte geht, die im Computer gespeichert sind und am Telefon besprochen werden müssen.

Dösen Sie auch am Schreibtisch?

Sie meinen damit, die Beine auf den Schreibtisch zu legen und Löcher in die Luft zu starren? Doch, das geht wunderbar. Da Fenster und Balkon nicht weit sind, lässt es sich gut sitzen und in den Himmel starren. Der Mond zieht direkt bei uns vorüber, und der Schreibtisch ist ein guter Ort, um ihn zu betrachten.

Wie ist denn der Schreibtisch überhaupt an seinen Platz gekommen? Welche Gründe haben dabei den Ausschlag gegeben?

Ich habe den Eindruck, Sie haben einen guten Platz für Ihren Schreibtisch gefunden. Gäbe es trotzdem einen Ort, an dem Sie Ihren Schreibtisch noch lieber sähen?

Ja, für dieses Zimmer hier habe ich, scheint mir, für meinen Schreibtisch eine ideale Position gefunden. Ich kann mir auch wirklich kein schöneres Zimmer wünschen als dieses hier.

Schauen Sie sich die Schreibtische anderer Autoren gerne an?

Ja, das interessiert mich. Wie schreiben andere Autoren? Auch Dichterhäuser liebe ich. Ich gehe gerne in die Wohnungen und die Häuser von Dichtern, die ich verehre oder auch einfach nur gelesen habe. John Keats’ Haus in Hampstead Heath, Victor Hugos am Place des Vosges. Es ist herrlich, sich in Arbeitszimmer und Schreibtische zu versenken, weil die Schreibtische von Dichterinnen oder Dichtern, die man verehrt, etwas geradezu Mystisches haben. Es sind ja nicht einfach bloß Tische, sie bestehen nicht nur aus Holz und einem Gestell. An diesen Orten hat große Magie stattgefunden, und diese Magie strahlt ab auf das Ding, an dem die Dichtung entstand. Wie auch Manuskripte etwas zutiefst Berührendes haben. Wenn ich im Cambridge Museum beispielsweise jenes Blatt sehe, auf dem Keats seine Ode to a Nightingale notiert hat, dann bin ich beglückt.

Gibt es ein Detail, das Sie vom Schreibtisch eines anderen Autors übernommen haben?

Aber Sie schauen sich diese Schreibtische gerne an?

Mit dem größten Vergnügen. Den Schreibtisch von Dylan Thomas würde ich liebend gern einmal sehen, auch das berühmte Boathouse, in dem dieser Schreibtisch steht. Es würde mir gefallen, dorthin zu reisen und einige Zeit vor dem Tisch zu verbringen. Aber auf keinen Fall möchte ich ihn benutzen, will auch nichts von dem übernehmen, was ich dort sehe.

Sie mögen es, Schreibtische mit Geschichte anzusehen, Ihr eigener Schreibtisch muss aber keine Geschichte besitzen.

Nein, die muss er nicht haben. Ich glaube, der Schreibtisch von Sylvia Plath war aus einer Eiche gemacht, die ihr Ehemann Ted Hughes in ihrem Garten gefällt hat. Das sind sicher herrliche Schreibtische mit Legenden, die sich

Wie aufgeräumt muss denn Ihr Schreibtisch sein, wie viel darf darauf liegen?

Mein Schreibtisch ist immer in einem Zustand, der zum Aufgeräumtsein strebt, aber nicht wirklich aufgeräumt ist. Das Chaos lässt sich ja allenfalls eindämmen. Zu wühlen und alte Dinge wiederzufinden, ist aber auch ein Vergnügen. Trotzdem: Ich versuche, ein bisschen auf Ordnung zu achten. Aber es ist, wie es ist: Papierstapel wachsen, und Bücher, die benutzt werden müssen, vermehren sich unaufhaltsam. Alle vier Wochen beginnt dann das Umschichten und das erneute Stapeln.

Und Staub wird auch gewischt?

Ja, gelegentlich wird auch Staub gewischt.

Sie machen das?

Ich versuche es zumindest. Viel zu selten, aber immerhin.

Wüssten Sie aus dem Stand, wo Bleistifte und andere Schreibgeräte liegen?