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Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft - Steuern - Recht GmbH

[4]Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Print: ISBN 978-3-7910-4832-1 Bestell-Nr. 10523-0001
ePub: ISBN 978-3-7910-4833-8 Bestell-Nr. 10523-0100
ePDF: ISBN 978-3-7910-4834-5 Bestell-Nr. 10523-0150

Günther Schöffner

Changeprozesse positiv gestalten

1. Auflage, März 2020

© 2020 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH

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Produktmanagement: Dr. Frank Baumgärtner

Lektorat: Jana Fritz – TEXTECHT, Stuttgart

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Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart

Ein Unternehmen der Haufe Group

[9]Vorwort

In den letzten dreißig Jahren hat sich politisch, gesellschaftlich und technologisch viel ereignet, was das Leben der Menschen in Deutschland und Europa nachhaltig verändert hat: der Fall der innerdeutschen Mauer, Asienaufstieg und -krise in den 1990er Jahren, die Gründung der Europäischen Union und die Einführung des Euro, die Globalisierung, die weltweite Einführung des Internets, der Beginn des Handyzeitalters und des Smartphones sowie jüngst die globale Vernetzung und Digitalisierung.

Deutschland und Europa, speziell Zentraleuropa, sind im globalen Vergleich immer noch Hochlohnregionen, obwohl Asien hier stark aufgeholt hat. Hohe Löhne und Gehälter können aber nur gezahlt werden, wenn die hergestellten Produkte und die erbrachten Dienstleistungen auch hohe Preise erzielen können. Wer jedoch dauerhaft herausragend sein und damit hohe Preise erzielen will, muss sich ständig verändern und anpassen. Kontinuierlicher Wandel liegt in der Natur der Welt, auch wenn wir Menschen Veränderungen gegenüber häufig zunächst skeptisch gegenüberstehen. Wer aber derselbe bleiben will, muss sich ständig ändern. Dieses Veränderungsparadoxon thematisierte schon der italienische Schriftseller Giuseppe Tomasi di Lampedusa in seinem Roman Il Gattopardo. Der Roman erzählt die Geschichte des sizilianischen Fürstenhauses Salina von der Mitte des 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der politischen Umwälzungen dieser Zeit. Auch im Roman lautet ein Satz: »Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern.« Weder zur Zeit der Handlung, noch im Jahr 1954, als der Roman entstand, gab es Internet oder agiles Management, und dennoch musste sich auch damals ändern, wer derselbe bleiben wollte. Oder wie der griechische Philosoph Heraklit von Ephesos (ca. 520 v. Chr. – ca. 460 v. Chr.) gesagt haben soll: »Nichts ist beständiger als der Wandel.«

Damit Unternehmen herausragend sein können, benötigen sie eine hinreichende Wandlungsfähigkeit. Diese kann im Unternehmensalltag jedoch nicht immer und überall vorausgesetzt werden, denn der Mensch ist, wie das Sprichwort sagt, ein Gewohnheitstier und ständigen Veränderungen gegenüber nicht immer nur positiv eingestellt. Häufig wollen Mitarbeiter das Alte bewahren, und es entstehen Barrieren und Widerstände gegen das Neue. Das Alte verleiht Stabilität und Sicherheit und ermöglicht, Gewohnheiten weiterhin zu praktizieren. Im Zuge von Veränderungen müssen also Barrieren abgebaut und Widerstände überwunden werden. Widerstände gegen Veränderungen liegen in der Natur des Menschen. Daher sind es auch häufig dieselben Widerstände, auf die Veränderer in Unternehmen stoßen – Widerstände, denen menschliche Motive wie Neid, Stolz, Ehrgeiz oder Trägheit zugrunde liegen. Diese Motive haben sich auch in so agilen Zeiten wie heute nicht geändert. Anders die Inhalte von Widerständen gegen Veränderungen, die sich im Laufe der Zeit sehr wohl verändert haben. Beispiele sind Frauen in Männerberufen, die man anfänglich vor allem in Männerdomänen nicht haben wollte; die ständige Erreichbarkeit per Smartphone, die Betriebsräte und Gewerkschaften zum Aufbe[10]gehren brachte; die Reduzierung der Hierarchietiefe in Unternehmen, was Low-Level-Managern Einfluss oder gar den Job kostete und deshalb Protest auslöste, oder die zunehmende Transparenz von Mitarbeiterdaten infolge der Digitalisierung, die den Ruf nach mehr Datenschutz und weniger Kontrolle im Unternehmen laut werden ließ. Darum geht es in diesem Buch: Ich möchte Ihnen wiederkehrende Arten von Barrieren und Widerstände gegen Veränderungen aufzeigen und Hilfestellungen zu ihrer Überwindung geben, damit es Ihnen in Ihrer Rolle als Veränderer gelingt, eine veränderungsaffine Unternehmenskultur auf den Weg zu bringen.

Dieses Buch verfolgt keinen wissenschaftlichen Ansatz. Es ist vielmehr ein Leitfaden für die Praxis, der sich an verschiedene Theorien anlehnt und sich derer zur Lösung praktischer Probleme bedient. Auch die Darstellung der Theorien erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und wissenschaftlich exakte Darstellung. Ich betrachte sie aus der Sicht des Managers, der Probleme zu lösen und – wie Prof. Fredmund Malik aus St. Gallen so schön schreibt – »Arbeit zu verrichten hat«. Dazu bedient sich der Manager Theorien, Prozessen und Vorgehensweisen. Und so ist dieses Buch zu verstehen und zu benutzen. Mir haben die verwendeten Theorien in den letzten zwanzig Jahren, seitdem ich Veränderungen manage, so geholfen, wie sie dargestellt sind.

Dieses Buch soll zudem eine meines Erachtens bestehende Lücke schließen. Es gibt zahlreiche Bücher zu Management, Führung, Unternehmensführung und mehr. Dasselbe gilt für Methoden und Ansätze zu Change, Veränderung, Organisationsentwicklung oder Agilität. Die Fachliteratur zu psychologischen Führungsansätzen ist ebenfalls sehr umfangreich. Das vorliegende Buch ist für Menschen geschrieben, die Veränderungen in der Praxis erfolgreich meistern wollen und müssen und die eine veränderungsaffine Unternehmenskultur etablieren wollen. Dazu präsentiere ich die realen Beispiele aus meiner Praxis »ungeschönt«, so wie sie sich tatsächlich ereignet haben, um Ihnen die gesamte Bandbreite möglicher Widerstände aufzeigen zu können. Das Buch soll auch wie erwähnt keine ausführlichen Theorien darstellen, sondern es will nur zeigen, dass Theorie wichtig ist. Wenn man zur Lösung eines Problems gerade keine Theorie zur Hand hat, kann man sich relativ schnell in eine zur Problemlösung geeignete einarbeiten. Das stärkt die Handlungs- und Problemlösungskompetenz, weil man in der Situation etwas tun kann, ohne sofort einen Berater oder eine Stabsabteilung einschalten zu müssen. Diese kann man dann bei weiteren Fragen oder Details hinzuziehen.

Die verwendeten Theorien sind bewusst nur teilweise dargestellt, obwohl ich größere Teile davon in der praktischen Arbeit verwendet habe. Denn dieses Praxisbuch will an die Theorien heranführen und den Praxisbezug zeigen, sodass die Leserin oder der Leser für sich an den Stellen tiefer einsteigen kann, an denen er oder sie es braucht. Die verwendeten Theorien und Modelle sind nur ein Ausschnitt der zahlreichen relevanten Theorien. Es gibt viele weitere Theorien, Ansätze und Modelle, die alle ihre Richtigkeit und Berechtigung zur Verbesserung der Wandlungsfähigkeit von und in Unternehmen haben. Auch wenn Sie sich andere Theorien erarbeiten, die Sie zur Lösung des Problems als hilfreicher erachten, ist es wichtig, anhand realer Beispiele das Vorgehen zur Lösung zu betrachten: Motive verstehen, theoretische Ansätze prüfen, geeignete Lösungen finden und umsetzen. Denn wie schon William Edwards Deming [11]sagte, lehrt Erfahrung ohne Theorie das Management kein bisschen darüber, was zu tun ist, um Qualität und Wettbewerbsstellung zu verbessern.

In diesem Buch stelle ich Ihnen verschiedene Fälle von Barrieren bei Veränderungsvorhaben vor, um die große Bandbreite praktischer Widerstände aufzuzeigen. Sicher werden Sie ähnliche Fälle aus Ihrem eigenen Wirkungsbereich finden und können so die Theorie und das Vorgehen anwenden. Dazu ist das Buch wie folgt aufgebaut: Zunächst werden verschiedene theoretische Inhalte erläutert, die im Zusammenhang mit Veränderungsprojekten sehr hilfreich sind: Kommunikationsmodelle, Transaktionsanalyse, Unternehmenskultur oder Veränderungsdynamik. Anschließend erläutere ich kurz die grundsätzlichen Exzellenz-Konzepte und die Bedeutung der stetigen Veränderung bei der Business Excellence. Danach stelle ich Ihnen meinen Vorschlag für eine Culture of Excellence vor, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Leitfaden für ihr persönliches, exzellenzorientiertes Handeln gibt und einen Exzellenz-Ansatz im Unternehmen entscheidend unterstützen kann. Im Anschluss präsentiere ich Ihnen reale Praxisbeispiele für Barrieren und Widerstände und jeweilige Lösungsvorschläge. Abschließend möchte ich kurz erläutern, wie es gelingen kann, durch eine Veränderung von Mitarbeiterverhalten und -haltung die Unternehmenskultur in der Praxis in Richtung einer höheren Veränderungsaffinität hin zu beeinflussen.

Das Buch ist so aufgebaut, dass Sie es chronologisch Kapitel für Kapitel lesen können. Es ist aber auch möglich, gleich in die Praxisbeispiele einzusteigen und bei Bedarf die notwendigen Inhalte im Theorieteil nachzulesen. Deshalb sind im Text immer wieder Hinweise auf die jeweiligen Theoriekapitel gegeben. So können Sie bequem vor- und zurückblättern.

Wie bei jeder Arbeit war auch bei der Entstehung dieses Buches ein Team wichtig. Allein kann man nichts bewegen, daher gebührt einigen Personen besonderer Dank. Namentlich bedanken möchte ich mich bei: meinen Kollegen Wolfgang Schuppler, Roland Wörle und Dieter Retzer für die jahrelange Zusammenarbeit und das Lektorat; meinem Kollegen Prof. Dr. Michael Finkel für die Reflexion vieler Einzelfälle über Jahre; Nadine Bruno für ihre unermüdliche Arbeit bei der Gestaltung von Konzepten; Christoph Seidenfus für die Zusammenarbeit in vielen Einzelprojekten und die Reflexion aus Sicht der Excellence; meinen ehemaligen Kollegen Bradley Fry und Gregory Kenny für das kürzliche Review; Dr. Nirmit Jha für das Feedback zu den Interventionen; Tobias Wallner für die Unterstützung bei den Abbildungen; Anna Waltl für die organisatorische Unterstützung; Kai Schuppler für den organisatorischen Support. Meinen beiden Mentoren und Reflektoren Rolf Balling und Ute Hagehülsmann gilt besonderer Dank. Daneben gibt es noch eine Reihe weiterer Personen, die an der Entstehung dieses Buches und dessen praktischen Inhalten über Jahre direkt oder indirekt mitgewirkt haben. Ihnen gilt an dieser Stelle auch ohne namentliche Nennung mein aufrichtiger Dank. Ich möchte mich auch bei Dr. Frank Baumgärtner und seinem Team vom Schäffer-Poeschel Verlag für die hervorragende Zusammenarbeit bedanken. Zu guter Letzt gilt uneingeschränkter Dank meiner Frau Kerstin für die Unterstützung und Motivierung, ohne sie wäre das Buch nicht zustande gekommen.

[12]Zum Abschluss ein mir noch sehr wichtiges Thema. Dieses Buch ist in maskuliner Allgemeinform verfasst, da dies bislang immer noch Standard ist, ohne diese Form gegenüber einer femininen Allgemeinform als superior zu betrachten. Diese Sprache habe ich aus Gründen der vereinfachten Darstellung gewählt. Es sind selbstverständlich sämtliche Geschlechter absolut gleichberechtigt gemeint. Dasselbe gilt für die Zuweisung von Personen in den Beispielen. Es ist absolut willkürlich, wenn männliche Personen in Leitungsfunktionen dargestellt werden. Es können selbstverständlich alle anderen Geschlechter ebenfalls in der leitenden Funktion verstanden werden. Für mich war und ist Gleichberechtigung der Geschlechter im Berufs- und Privatleben schon immer eine Selbstverständlichkeit, die nicht durch eine Diskussion über die Sprache in Frage gestellt wird.

Ich wünsche Ihnen beim Lesen möglichst viele Erkenntnisse und vor allem praktischen Nutzen für Ihre Tätigkeit als Veränderer. Ich wünsche Ihnen aber auch viel Spaß bei Ihrer Arbeit, denn auch wenn das Thema Veränderungen manchmal anstrengend ist, kann es Spaß machen. Besonders dann, wenn man Veränderungsvorhaben erfolgreich auf den Weg gebracht hat und sich das Unternehmen oder der Bereich auf den Weg der Exzellenz macht.

Ihr

Dr. Günther Schöffner

Gaimersheim, im Januar 2020

[13]Teil A:
Einblick: veränderungsrelevante
Theorien und Zusammenhänge

[15]1 Einführung

1.1 Die Lorbeeren der Vergangenheit hochhalten

Trotz mehrerer Krisen hat sich Deutschland seit dem Wirtschaftswunder in den 1950er Jahren bislang an der Spitze der Weltwirtschaft behaupten können. Vor allem in technischen Bereichen wie dem Maschinen- und Anlagenbau und der Automobilindustrie war die deutsche Industrie lange das Maß der Dinge. Auch Hightech-Branchen wie die Luftfahrt- oder die Rüstungsindustrie zählten dazu. Spitzentechnologie, top ausgebildete Akademiker und Handwerker gepaart mit vielen in der Vergangenheit häufig als »deutsche Tugenden« bezeichneten Eigenschaften wie Fleiß, Ausdauer, Bescheidenheit, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Genauigkeit und Ehrgeiz sorgten für diesen Erfolg.

In den letzten Jahren wurden Werte zunehmend wichtiger. Dass Werte und Tugenden eng miteinander verbunden sind, wurde dabei manchmal außer Acht gelassen. Zum anderen rückten Themen wie Diversity, Gender oder Weltoffenheit in den Mittelpunkt. Die Generationen Y und Z glänzen durch »Vernetzung« und eine Top-Ausbildung, die sie auch selbstbewusst zeigt und betont.

Betrachtet man die wirtschaftliche Entwicklung anderer Staaten, lässt sich erkennen, dass besonders asiatische Länder in den letzten 15 Jahren eine gewaltige Aufholjagd hingelegt haben. Vor allem China ist dem Westen und seinen Industrienationen ebenbürtig geworden. Die Volksrepublik überschwemmt die Welt mittlerweile mit hochwertigen Industriegütern aus allen Bereichen: Autos, Smartphones oder sonstige Elektroprodukte. China hat sich auch in Top-Tech vorgearbeitet. So landete es als erste Nation auf der Rückseite des Mondes, hat den ersten eigenen Flugzeugträger und eigene Stealth-Kampfflugzeuge gebaut oder lässt Airlines mit chinesischen Verkehrsflugzeugen fliegen. Die Zeiten des Kopierens und Abkupferns westlicher Technik sind damit vorbei. Längst hat China seine eigene Hochtechnologie und setzt dazu an, in den zukünftigen Top-Tech-Bereichen wie der künstlichen Intelligenz Europa und dem Westen den Rang abzulaufen.

Fragt man nach den Gründen für diesen Erfolg, werden staatliche Willkür oder das niedrige Lohnniveau in Ländern wie China genannt. Dies greift bei näherer Betrachtung jedoch zu kurz. In diesen Ländern herrscht in der Bevölkerung ein extremer Wille zu Fortschritt und ein sehr ausgeprägter Hunger nach Erfolg. Die Lebensumstände der Menschen ändern sich in einem ungeheuren Tempo, und dennoch ist der Großteil von ihnen trotz politisch verordneter Vorgehensweise damit einverstanden und unterstützt dies mit großem Eifer. Der Westen hingegen scheint nach Jahrzehnten des Sattseins seine Dynamik, seine Veränderungsbereitschaft und den Willen zum Erfolg verlernt oder zumindest als nicht mehr wichtig eingeordnet zu haben. Der Erfolg wird als selbstverständlich angesehen. Die notwendige Veränderung und Anpassung [16]an neue Technologien oder Lebensweisen erfolgt nur langsam. Gleichzeitig galoppiert eine junge Generation in einem seit zehn Jahren andauernden Wirtschaftsboom voraus und sucht sich gezielt die Jobs aus, in denen sie arbeiten will. Zeiten, in denen Arbeitsplätze rar waren, viele Firmen ums Überleben kämpften und Arbeitslosigkeit eines der drängendsten Themen der Tagespolitik war, sind einem großen Teil der Beschäftigten in Deutschland heute nahezu unbekannt. Viele andere europäische Länder sind bei weitem nicht so gut aus der Finanzkrise 2009 hervorgegangen wie Deutschland und hatten viele Jahre mit hoher Arbeitslosigkeit, vor allem bei den unter 25-Jährigen, zu kämpfen. Laut Eurostat lag die Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen in Spanien und Italien im April 2019 noch bei über 30 %, wohingegen Deutschland mit einem Wert von nur 5,3 % in Europa diesbezüglich eine Spitzenstellung einnahm1.

Meiner Ansicht nach lassen sich derzeit zwei entgegengesetzte Tendenzen in der deutschen Gesellschaft beobachten: Ein Teil der Menschen versucht, Altes zu bewahren. Alle Errungenschaften des Wohlstands werden als selbstverständlich und garantiert hingenommen. Die Notwendigkeit, diesen Wohlstand in der längst real gewordenen globalen Wirtschaftswelt mit einer globalen Wettbewerbssituation täglich neu erkämpfen zu müssen, wird nicht gesehen. Vielmehr scheint man bemüht, das eigene Einkommen zu sichern und auszubauen und fährt gleichzeitig das eigene Engagement immer weiter zurück. Mittlerweile wird die 25-Stunden-Woche diskutiert und die eigene Verantwortung mehr und mehr den Unternehmen und dem Staat zugeschoben – nach dem Motto »Was man hat, hat man«. Das wird nicht gern aufgegeben, und ändern müssen wir uns auch nicht. Was uns bis hierher geführt hat, wird uns auch zukünftig erfolgreich machen, so scheint die Devise.

Ein anderer Teil der Bevölkerung scheint die Gesellschaft hingegen mit Gewalt in die VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) pressen und die Wirtschaft mit »agilen« Managementmethoden auf den Kopf stellen zu wollen. Demokratische Teams und völlige Selbststeuerung statt Chefs und Führung, Spaß und Abenteuer bei der Arbeit statt Fleiß und Zielerreichung, tieferer Sinn des Unternehmens statt erwirtschafteter Ergebnisse und Investitionen – so wird sie häufig beschrieben, die neue Arbeitswelt. Diese beiden Extreme in der Einstellung der Menschen sorgen dabei nicht für ein gesamtes Miteinander und sind meines Erachtens auch nicht die passenden Antworten auf die wirtschaftlichen, technologischen und politischen Entwicklungen und Umbrüche in der globalen Welt. Ohne eine Annäherung dieser beiden »Lager« wird die deutsche Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren, in denen die Weichen für Digitalisierung und künstliche Intelligenz in der globalen Industrie gestellt werden, schlechte Karten haben, weiterhin eine Spitzenposition einzunehmen. Natürlich stellen die zwei dargestellten Pole Extreme dar. Es gibt sicherlich auch eine Mitte. Von dieser ist jedoch wenig zu hören, zu sehen oder zu lesen.

Ziel sollte es sein, diese beiden Extreme aufzuweichen und beide Seiten wieder stärker miteinander zu vereinen. Das Mindset der Menschen muss sich wegentwickeln von einer »Entweder- [17]oder«-Haltung hin zu einem »Sowohl als auch«-Denken. Weg von einem radikalen Bewahren der Besitzstände à la »Das steht mir zu!« hin zu einem »Was muss ich leisten, um meinen Wohlstand zu erhalten?«. Weg von »Mein Chef hat mir nichts zu sagen. Das Team hat das entschieden.« hin zu einem »Wie können wir gemeinsam die Unternehmensziele erreichen?«. Es geht darum, Gutes zu bewahren, Unzeitgemäßes aufzugeben und Neues zu wagen, ohne gleich jeder Mode oder jedem Hype hinterherzulaufen. Disziplin und Fleiß bei gleichzeitiger Offenheit und Flexibilität, die das Neue fordert, sind gefragt. Eine Bescheidenheit à la »Nach dem Spiel ist vor dem Spiel« gepaart mit einem gesunden Selbstbewusstsein des Teams anstatt Egoismus und Karrierestreben Einzelner. All diese Beispiele sollen zeigen, dass weder ein Bewahren des ewig Gestrigen noch ein turbokapitalismusorientiertes New Work sowie die damit verbundenen Extrempositionen für die Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen geeignet sind. Um im globalen Wettbewerb von morgen zu bestehen, müssen wir weniger Extreme walten lassen, bereitwilliger für Veränderung sein und ein noch besseres Miteinander der Generationen erreichen.

Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Bislang haben Europa und Deutschland globale wirtschaftliche Spitzenleistungen gekonnt und gemocht. Bis in die 1990er Jahre wollten die Asiaten, speziell die Chinesen, sie konnten aber nicht so richtig. Jetzt wollen und können sie. Deutschland kann derzeit noch ganz gut, auch wenn es schwierig geworden ist. In Zukunft geht es darum, wieder mehr zu wollen, um auch morgen noch erfolgreich zu sein. Dazu ist aber ein ausreichendes Maß an Veränderungsbereitschaft nötig. Das muss in vielen Unternehmen erst erlernt werden, denn ich habe wenig Unternehmen kennengelernt, in denen der magische Satz »Das haben wir schon immer so gemacht!« nicht regelmäßig vorgekommen wäre.

1.2 Nichts ist beständiger als der Wandel

Ein paar kleine Beispiele vorneweg, die wahrscheinlich schon jeder einmal im Berufsleben erlebt hat: der Drucker soll umgestellt, neue Bürostühle sollen angeschafft oder neue Visitenkarten sollen gedruckt werden. Immer wieder lehnen Mitarbeiter diese kleinen Veränderungen ab oder kommentieren sie negativ. Neues wird in Unternehmen häufig infrage gestellt und Altes glorifiziert. Ein weiteres Beispiel: Ein altes Produkt, das dem Unternehmen einst zum Durchbruch verhalf, mittlerweile aber höchst defizitär ist, wird abgekündigt. Das Produkt wird von Vertrieb und Produktion aus nostalgischen, d. h. emotionalen Gründen verteidigt, obwohl es aus wirtschaftlicher Sicht dem Unternehmen mittlerweile mehr schadet als nutzt.

Was wie in den genannten Beispielen im Kleinen geschieht und gilt, trifft erst recht bei größeren Veränderungen zu. Wer schon einmal die Einführung eines neuen ERP-Systems oder die Einführung von Lean-Manufacturing erlebt hat, kennt die Argumente, die ins Spiel geführt werden: Warum dies alles keinen Sinn hat, nicht funktionieren wird und dem Unternehmen nicht weiterhilft. Bei Veränderungen, die radikale Einschnitte darstellen und von den betroffenen Personen große Opfer fordern wie beispielsweise eine Sanierung oder Restrukturierung, ist [18]der Widerstand umso größer. Manchmal manifestiert sich sogar aktive Gegenwehr gegen die Maßnahmen, mögen sie rational betrachtet noch so alternativlos und notwendig zum Überleben des Unternehmens sein.

Egal ob große oder kleine Veränderungen: Menschen reagieren je nach Personentyp mit mehr oder weniger Ablehnung auf das Neue. Das verursacht nicht nur Verärgerung und Frust bei den Beteiligten, sondern kann regelrecht zu einem Abstumpfen der Betroffenen führen und in einer veränderungsunfreundlichen Unternehmenskultur münden. In Zeiten von Digitalisierung und Industrie 4.0, in denen große Transformationen nötig sind, ist das keine gute Voraussetzung für eine positive Unternehmensentwicklung.

Dabei ist nichts beständiger als der Wandel, wie der griechische Philosoph Heraklit bereits im 5. Jahrhundert vor Christus wusste. Veränderungen liegen in unserer Natur, befähigt doch sein Intellekt den Menschen im Vergleich zu anderen Lebewesen zur Schaffung von Dingen höchster Finesse. Dementsprechend kann die Welt des Menschen nicht ohne Veränderung bleiben, solange dieser nach Verwirklichung und Verbesserung seiner Lebensumstände strebt. In Anbetracht der technischen Möglichkeiten der Digitalisierung werden Umfang und Dynamik der Veränderungen für den Menschen in Beruf und Freizeit zukünftig noch dramatisch zunehmen. Ein Aussitzen oder Verdrängen wird hier weitgehend zwecklos sein, da die Digitalisierung in industriellen Ländern nahezu alle Lebensbereiche erfasst. Ob Unternehmen oder Privatpersonen: Wer die dynamischen Veränderungen der Zukunft nicht annimmt und sich, sein Leben und seine Verhaltensweisen nicht zumindest in einem minimalen Maße anpasst, wird relativ schnell den Anschluss an die globale Gesellschaft verlieren.

1.3 Aufruf zum Handeln und Umdenken

So normal, wie der Wandel in unserem Leben ist, so normal sind auch Widerstand und Ablehnung desselben durch manche Beteiligten. Wie bei allem im Leben ist auch hier die Frage der Dosis bzw. der Ausgewogenheit entscheidend. Zu große Widerstände blockieren Neues. Sind dagegen keine Widerstände oder Bedenken gegen neue Vorhaben präsent, birgt das die Gefahr, dass wichtige Risiken und Hindernisse übersehen oder kleingeredet werden. Daher ist es auch entscheidend, dass Projektteams sich aus einer guten Mischung an Personen mit Pioniergeist und Veränderungswillen einerseits und Personen mit Bedenken und kritischem Abwägen andererseits zusammensetzen. Das Team der NASA, das die Mondlandung vorbereitete, hätte in den 1960er Jahren keine Chance auf Erfolg gehabt, wenn es nicht eine ausgewogene Teamaufstellung gegeben hätte. Die Katastrophe des Space Shuttle Columbia im Jahr 2003 war laut dem veröffentlichen Bericht u. a. auf eine »Broken Safety Culture« zurückzuführen.2 Dieser und [19]andere Berichte lassen vermuten, dass bestehende Risiken in der Organisation keine ausreichende Beachtung mehr fanden.

Das andere Extrem sind Situationen, in denen die Einführung von Inhalten zur Erneuerung trotz bekannter und zu bewältigender Risiken nicht mehr möglich erscheint oder ist. Zu groß sind die Widerstände und Bedenken in Teams, Unternehmen oder der Gesellschaft, als dass die jeweiligen Themen trotz Sinn und Notwendigkeit eine realistische Chance auf Umsetzung hätten. Oft finden nur »abgespeckte« Versionen der ursprünglich geplanten Vorhaben ihre Umsetzung, weil konservative Kräfte zu sehr alte Konditionen und Besitzstände wahren möchten. Das Ergebnis ist häufig ein Kompromiss, der vordergründig als Win-Win-Lösung dargestellt wird, bei genauerer Betrachtung die Bezeichnung »Kompromiss« jedoch nicht immer verdient. Dies sind zaghafte Versuche zur Lösung von Problemen, deren wirkliches und zukunftsgewandtes Potenzial mit Kompromissen vertan wird. In den letzten Jahren hat beispielsweise die deutsche Bundesregierung einige Beschlüsse gefasst, die dem ein oder anderen Betrachter als zu vorsichtig oder kurzsichtig erscheinen mögen. Man denke etwa an das Klimapaket 2019 oder den »Abtreibungs-Paragrafen« 219a. Häufig zu unentschlossen oder handlungsunfähig sind die Teams zur Bewältigung der Aufgaben und zur zukunftsfähigen Lösung der Probleme.

Diese zu kleinen Lösungen finden täglich auch in vielen Unternehmen statt. Zu stark sind häufig die Extreme von Innovatoren und Bewahrern, zu unversöhnlich die Zusammenarbeit, um Probleme zu lösen und Fortschritte zu erzielen. Arbeitszeitmodelle, Organisationsform, IT-System, Zielgestaltung, Entlohnungsmodelle – die Liste der Veränderungen, die dringend zur Zukunftsgestaltung des Unternehmens notwendig wären, jedoch ver- oder behindert werden, ließe sich lange fortsetzen. Bei genauer Betrachtung sind die Auswirkungen auf den Einzelnen häufig nur marginal. Meist geht es darum, Recht zu behalten, sich durchzusetzen, zu zeigen, wer der Stärkere ist, also um Politik und nicht um die eigentliche Sache. Neben solchen Eitelkeiten sind auch Ängste starke Triebfedern für den Widerstand gegen Wandel.

Dabei ist offensichtlich: Unternehmen müssen mehr Dynamik bei der Veränderungsfähigkeit zeigen. Zukünftige Generationen brauchen zweifellos eine ökologische Grundlage zur Bewältigung ihrer Zukunft. Das bedarf starker Veränderungen des derzeitigen Handelns und Wirtschaftens. Sie brauchen aber auch eine ökonomische Grundlage, damit sie sich die bestehenden Möglichkeiten erschließen können. Dazu sind jedoch ebenfalls Veränderungen nötig, denn die globale Digitalisierung ist hier einer der unvermeidlichen Antreiber. Dieses Buch soll ein Aufruf für mehr Mut zur Veränderung und eine kleine Hilfestellung zu deren Ermöglichung sein. Inhalte und Beispiele sollen Veränderern in Unternehmen dazu dienen, täglich vorkommende Veränderungsbarrieren leichter zu erkennen und Lösungen zu deren Überwindung zu entwickeln.


1 Eurostat (2019), S. 5.

2 Columbia Accident Investigation Board (2003), S. 184.

[21]2 Menschliche Faktoren bei Veränderungen

2.1 Veränderungen vorbereiten

Viele Veränderungsprojekte oder -vorhaben scheitern. Unter Scheitern ist dabei zu verstehen, dass das Projekt die gesetzten Ziele nicht oder nur teilweise erreicht, also nicht den ursprünglich geplanten Umfang des Erfolgs bringt. Klaus Doppler, einer der bekanntesten Autoren zum Thema Change Management, führt mit seinen Co-Autoren im Buch Unternehmenswandel gegen Widerstände aus, dass das Scheitern vielfach vorprogrammiert ist – die Fehler haben sozusagen System.3 Diese Fehler, die zum Scheitern führen, ergeben sich als identifizierbare Denk- und Handlungsmuster der »Täter«, sprich der Initiatoren und Umsetzer des Vorhabens, und die typischen Reaktionsmuster der »Opfer«, d. h. der Betroffenen. 4 Ein rein sachlogisches Herangehen und Konzeptdenken, das die beteiligten Emotionen nicht ausreichend adressiert, ist eine der Hauptursachen dafür, dass viele Vorhaben von Anfang an zum Scheitern verurteilt sind. Oft wird jedoch so getan, als ob es diese emotionalen Prozesse, die gleichzeitig gruppendynamische Prozesse sind, nicht gäbe.5

Sieht man sich die Konstellation von Veränderungen in Unternehmen einmal nüchtern an, wird dies eigentlich klar. Umso verwunderlicher ist es, dass die emotionale Komponente immer wieder unterschätzt oder vernachlässigt wird. Diese Fehler hätten System, so Doppler et al. in ihrem Standardwerk Change Management, sie seien »so gewollt«.6

Drastische Veränderungen in Unternehmen haben ihren Ursprung meist in merklichen Änderungen der Strategie. Dabei ist es egal, ob sich diese als Diversifikation oder als richtungskorrigierende Restrukturierung darstellt. Folge eines Strategiewechsels ist in der Regel auch eine Veränderung der Organisation, der Struktur. Die allseits bekannte Darstellung des Wirtschaftshistorikers, Ökonomen und Harvard-Professors Alfred Chandler »Struktur folgt Strategie«7 lässt sich anhand dreier interdependenter Unternehmensdimensionen erklären.8

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Abb. 1: Interdependente Unternehmensfaktoren

Die Veränderung der Unternehmensstrategie erfordert eine gleichzeitige Veränderung von Struktur und Kultur, wobei Kultur und Struktur einander beeinflussen. Strukturelle und organisatorische Veränderungen werden sachlogisch gut ausgearbeitet und vorbereitet, oftmals auch gut kommuniziert. Wesentlich seltener finden dagegen eine entsprechende Vorbereitung und Kommunikation zum Thema Kultur statt, was dann zu den genannten emotionalen Problemen führt. Neben dem bereits zitierten Prinzip »Structure follows Strategy« muss von vielen der nicht minder wichtige Satz »Culture follows Strategy« erst noch gelernt werden.9 Dies kann zum einen darin begründet liegen, dass wie bereits erwähnt die »Täter« dieses Thema zu wenig in ihren Denk- und Handlungsmustern präsent haben. Zum anderen ist diese Thematik auch wesentlich weniger zugänglich, schwieriger zu handhaben und nicht mit einfachen Mitteln zu beschreiben. Fakt ist nämlich, dass Unternehmenskulturen systemtheoretisch betrachtet nicht direkt steuerbar sind.10 Die Psychologin und Organisationsberaterin Christina Grubendörfer beschreibt dies explizit in ihrem Buch Einführung in systemische Konzepte der Organisationskultur. Über die Selbstveränderungskompetenz des Unternehmens kann man bestenfalls eine Veränderung des Verhaltens und der Haltung der Mitarbeiter bewirken. Da Unternehmenskulturen nicht nur nicht steuerbar sind, sondern auch noch bewahrend wirken, sind organisatorische Änderungen per se träge. Werden diesem Umstand nicht die notwendige Aufmerksamkeit und Sorgfalt gewidmet, verursachen die genannten Reaktionsmuster der »Opfer« entsprechende Probleme bei der Umsetzung des Veränderungsvorhabens.

Veränderungen müssen also entsprechend vorbereitet werden, wenn sie erfolgreich sein sollen. Dementsprechend gründlich müssen Vorbereitung und Durchführung auf struktureller und kultureller Ebener erfolgen. Wie Doppler et al. beschreiben, kann beim Management des Wandels gar nicht zu viel kommuniziert werden. Man kann höchstens falsch informieren.11 Entscheidend ist, wiederkehrende und vermeidbare Fehler, die bei Veränderungsprojekten schon oft gemacht wurden, möglichst zu vermeiden. Diese Fehler, die wie oben beschrieben laut Doppler et al. »System haben«, gilt es also zu vermeiden. Der Harvard-Professor John Kotter, [23]der sich als Management-Vordenker und Experte für Veränderungsmanagement einen Namen gemacht hat, nennt acht wesentliche Fehler als ursächlich für gescheiterte Veränderungen12:

  1. Es wird zu viel Selbstgefälligkeit zugelassen.
  2. Die Schaffung einer ausreichend starken Führungskoalition scheitert.
  3. Die Kraft der Vision wird unterschätzt.
  4. Es erfolgt eine mangelhafte Kommunikation der Vision um den Faktor 10 oder 100.
  5. Es wird zugelassen, dass Hindernisse die neue Vision blockieren.
  6. Es herrscht Unfähigkeit, schnelle Erfolge zu erzielen.
  7. Der Sieg wird zu früh erklärt.
  8. Es wird versäumt, die Veränderungen fest in der Unternehmenskultur zu verankern.

Emotionen berücksichtigen

Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass die genannten acht Faktoren im Wesentlichen personenbezogene, emotionale Themen und weniger sachlogischer Natur sind. Hier schließt sich der Kreis zur oben angeführten Argumentation von Doppler et al. Entscheidend für das Gelingen einer Veränderung ist also, neben einer logischen und profunden Aufbereitung der Veränderungen vor allem die Emotionen der Beteiligten entsprechend zu berücksichtigen.

Bei den Emotionen ist dabei sowohl die einzelne Person als auch die Organisation als Ganzes zu berücksichtigen. Doppler et al. führen im Kontext von Netzwerken als Organisationsstrukturen entsprechend die Gruppendynamik an.13 Trotz des Einflusses von Unternehmenskultur und Gruppendynamik haben vor allem die Veränderungsfähigkeit und der Veränderungswille jedes Einzelnen einen entscheidenden Einfluss auf den Veränderungsprozess. Je nach Position und Einfluss der Individuen in der Organisation können diese die Veränderungsvorhaben eklatant hemmen oder fördern.

Daher soll im Weiteren der Fokus bei der Beschreibung von Veränderungshindernissen auf den persönlichen und nicht auf den organisationalen Faktoren liegen. Im Fokus dieses Buches stehen also persönliche Faktoren und Motive von Menschen für Barrieren und Widerstände gegen und die Ablehnung von Veränderungen in Unternehmen.

2.2 Widerstände nach Doppler/Lauterburg

Die nachfolgend beschriebenen grundlegenden Darstellungen zu Widerständen bei Veränderungen sind im Wesentlichen den Büchern Change Management von Klaus Doppler und Christoph Lauterburg14 und Führung und Zusammenarbeit in Managementsystemen der Organisati[24]onsberaterin Susanne Petersen15 entnommen. Die dortigen Darstellungen dienen als Grundlage für die in den nachfolgenden Kapiteln vorgenommenen Einteilungen und Ableitungen.

Egal, ob es um die Einführung einer neuen Corporate ID oder die Umstellung des Schichtmodells geht: Veränderungen finden nicht bei allen Beteiligten gleichermaßen Anklang. Dabei ist sekundär, ob es sich um Führungskräfte oder Mitarbeiter ohne Führungsfunktion handelt. Häufig wird Veränderungen mit einer gewissen Skepsis begegnet, sie werden offen abgelehnt und manche versuchen gar, sie zu verhindern. Bei allen Entwicklungs- und Veränderungsprozessen ist Widerstand eine Begleiterscheinung.

Doppler/Lauterburg definieren Widerstand wie folgt: »Von Widerstand kann immer dann gesprochen werden, wenn vorgesehene Entscheidungen oder getroffene Maßnahmen, die auch bei sorgfältiger Prüfung als sinnvoll, ›logisch‹ oder sogar dringend notwendig erscheinen, aus zunächst nicht ersichtlichen Gründen bei einzelnen Individuen, bei einzelnen Gruppen oder bei der ganzen Belegschaft auf diffuse Ablehnung stoßen, nicht unmittelbar nachvollziehbare Bedenken erzeugen oder durch passives Verhalten unterlaufen werden.«16 Die Ablehnung logischer oder sogar dringend erforderlicher Dinge weist darauf hin, dass nicht etwa logische Argumente in derartige Überlegungen einfließen, sondern Emotionen. Dies erschwert jedoch die Verständigung und Kommunikation, da Gefühle einer rationalen Argumentation selten oder nicht zugänglich sind. Sobald Befürchtungen oder Ängste im Spiel sind, reicht eine rein logische Begründung der Maßnahmen nicht aus.

Im Grunde gibt es drei wesentliche Ursachen für Widerstand17:

  1. Die Betroffenen haben die Ziele, Hintergründe oder Motive einer Maßnahme nicht verstanden.
  2. Die Betroffenen haben die Thematik verstanden, glauben aber nicht, was man ihnen sagt.
  3. Die Betroffenen haben verstanden und glauben das Gesagte, können oder wollen den Wandel aber nicht unterstützen, weil sie sich von den Maßnahmen keine positiven oder gar negative Konsequenzen für sich versprechen.

Der dritte Punkt der Aufzählung ist der häufigste und schwierigste. Sträuben sich die Beteiligten gegen sinnvoll erscheinende Maßnahmen, übertönen emotionale Motive sachliche Überlegungen und logische Argumente. Die Menschen haben bestimmte Bedenken, Befürchtungen oder Angst. Dabei hat jeder Betroffene einen unterschiedlichen Stand an Informationen darüber, welche Auswirkungen die Veränderungen allgemein und speziell für ihn selbst haben werden. Individuelle Interpretationen, welche persönlichen Konsequenzen eine Veränderung haben könnte, lassen ebenfalls Widerstände entstehen. Gerade am Anfang von Veränderungs[25]projekten beschäftigen die Menschen viele Fragestellungen und sie haben unterschiedliche Vorstellungen, wie man an das Thema herangehen könnte:18

Die aufgelisteten Fragen haben gemeinsam, dass sie im Wesentlichen aus den ersten beiden der oben genannten Ursachen für Widerstand entstehen: Die Menschen verstehen die Ziele, Hintergründe oder Motive der Maßnahme nicht oder sie glauben weder an deren Notwendigkeit und Wirksamkeit noch an das, was ihnen mitgeteilt wird. Unkenntnis, Zweifel und Misstrauen stellen sich ein. Daran wird schnell klar, dass einer transparenten, zeitnahen und intensiven Kommunikation bei Veränderungen eine große Rolle zukommt.

Anzeichen von Widerstand

Nicht immer werden Fragen dieser Art jedoch direkt gestellt. Dementsprechend sind die Präsenz und die Intensität von Widerständen nicht immer leicht zu erkennen und abzuschätzen19. In der Regel merkt man nur, dass irgendetwas »nicht stimmt«. Typische Anzeichen für Widerstand bei Einzelpersonen oder kleineren Gruppen sind:20, 21

Aus meiner persönlichen Erfahrung können die genannten Punkte umgekehrt auch Anzeichen für Widerstand gegen ein »Weiter so!« sein, bei dem jeder weiß, dass es nicht funktionieren [26]wird. Das heißt, es können auch Anzeichen für Widerstand gegen das Nicht-Einleiten des notwendigen Wandels sein.

Klare Anzeichen für Widerstand sind, wenn Maßnahmen oder Veränderungsvorhaben aktiv lautstark verspottet oder ins Lächerliche gezogen werden. Susanne Petersen macht dies anhand einiger Beispiele konkret: »Und wieder ein Zertifikat – alles nur Papier«, »Solche Maßnahmen gehören zum Hobby unseres Umweltmanagementbeauftragten«.22 Auch Ausrufe wie »So ein Schwachsinn!« sind explizite Zeichen von Widerstand, genauso wie ein Herunterspielen à la »Wir haben Wichtigeres zu tun!« oder nicht enden wollende »Ja, aber …«-Spiele.23

Doppler et al. haben die Symptome von Widerstand in verbal und nonverbal bzw. aktiv und passiv klassifiziert.24 Ergänzt um die Überlegungen von Petersen25 lassen sich die Anzeichen von Widerstand daher wie folgt einteilen:

Abbildung

Abb. 2: Einteilung der Widerstände nach Doppler/Lauterburg und Petersen