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Über dieses Buch

Hinter jedem wissenschaftlichen Geistesblitz steckt ein Hauch Genie – aber auch eigentümliche Marotten und Launen. Ernst Peter Fischer zeigt anhand zahlreicher Anekdoten die allzu menschliche Seite von Physikern, Biologen und anderen berühmten Forschern. Dabei verliert er bei allem Schmunzeln nie die enorme Tragweite der Wissenschaft aus den Augen.

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

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Enthält das E-Book in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, so verweisen diese auf die Printausgabe des Werkes.

Fußnoten

Die im Text angesprochenen Wissenschaftler werden am Ende des Buches vorgestellt (Seite 231).

Mehr Geschichten dazu findet man in meiner Delbrück-Biographie Licht und Leben, die es auch als Taschenbuch mit dem Titel Das Atom der Biologen gibt.

Paulis Leben habe ich in meinem Buch An den Grenzen des Denkens beschrieben; eine überarbeitete Version der Biographie liegt unter dem Titel Brücken zum Kosmos vor.

Ausführlich nachzulesen in meiner Biographie Niels Bohr – Physiker und Philosoph des Atomzeitalters, in dem einige der folgenden Geschichten ebenfalls zu finden sind.

Ausführlich nachzulesen in der von mir verfassten Biographie Werner Heisenberg – Ein Wanderer zwischen zwei Welten.

Interessierte können sich in dem Buch Dr. Riemann’s Zero des britischen Journalisten Karl Sabbagh informieren, in dem auch zu erfahren ist, dass ein Mäzen eine Million US-Dollar demjenigen bietet, der endlich das Problem löst, das Hilbert nach 500 Jahren Schlaf als Erstes interessierte.

Wissenschaftler sind auch nur Menschen – und das zeigt sich vor allem daran, dass sie dann und wann auf die Toilette müssen. Als ich einmal die Toilette im Haus des in Kalifornien lebenden Genetikers und Nobelpreisträgers Max Delbrück aufsuchte, fand ich dort neben dem üblichen Inventar eine vierzigbändige Ausgabe der Gesammelten Werke von Goethe aus dem 19. Jahrhundert. Von den Büchern lag ein Exemplar auf einem Brettchen aufgeschlagen vor mir, dem sitzenden Besucher, so dass ich nicht umhinkam, in der geschäftigen Abgeschiedenheit darin zu lesen – vor allem, da ich Deutsch konnte. Als ich den Band anhob, fiel mein Blick auf einen darunter befestigten Zettel, auf den Delbrück geschrieben hatte: »Sometimes I sit here and think. And sometimes I sit here when it stinks.« Bei meiner Rückkehr ins Wohnzimmer durfte ich dann in das grinsende Gesicht meines sich diebisch freuenden Gastgebers blicken – und die für dieses Buch so entscheidende Erkenntnis erlangen: Wissenschaftler besitzen ihren eigenen, skurrilen Humor.

Die Naturwissenschaft ist voll von solchen Anekdoten, und in diesem Buch finden sie zusammen, (möglichst) witzige Episoden aus dem Leben von

Natürlich klingt der Satz »Was alle angeht, können nur alle lösen« aus den Physikern von Friedrich Dürrenmatt gut und zustimmungsfähig. Doch diese vernünftige Vorgabe funktioniert nur, wenn die Gemeinten, also »alle«, etwas von dem verstehen, mit dessen Hilfe es überhaupt Lösungen geben kann, also von der Wissenschaft. Zu verstehen, was Sache ist, scheint dabei ganz allgemein bei den Dingen von Vorteil zu sein, die jeden etwas angehen. Die technischen Entwicklungen, die durch Forschungen möglich werden, gehören seit vielen hundert Jahren dazu – auch wenn in den meisten Geschichtsbüchern nicht viel darüber zu finden ist. Auch Sozialwissenschaftler sind immer noch der Ansicht, man brauche einen Reaktorkern weder von einem Atomkern noch von einem Zellkern zu unterscheiden, wenn man politisch gewichtig und lautstark mitreden will. Eine Ansicht, die gerade dann vertreten wird, wenn man merkt, dass man trotz dieses Mankos ungebrochen Gehör findet, weil ja alle im gleichen Boot der Verständnislosigkeit sitzen.

Dieses Buch bietet die Möglichkeit, sich dank der Hilfe von Anekdoten mit der treibenden Kraft der Wissenschaft zu befreunden. Anekdoten gibt es seit den späten Tagen der Antike, und der Anfangsbuchstabe A drückt vor allem aus, was die jeweils

Als der Historiker Prokopios von Caesarea im 6. Jahrhundert nach Christus die ersten Anekdota verfasste, wollte er seinen Herrscher Justinian I. kritisieren und der Lächerlichkeit preisgeben, was sowohl kurzfristig gelungen ist als auch eine langfristige Nebenwirkung mit sich gebracht hat: Mit den von ihm geschaffenen Anekdoten entwickelte sich nämlich ein literarisches Genre, an dem sich Poeten immer wieder versucht haben, auch wenn viele Geschichten nur auf der klanglichen Ebene geblieben sind und sich in mündlicher Form tradiert finden, ohne als Text vorzuliegen.

Anekdoten bieten Menschen die Gelegenheit, ihrer natürlichen Neigung zu Klatsch und Tratsch nachzugehen. Und dabei müssen sie sich nicht nur auf Personen einlassen, die von ihnen als Künstler, Philosophen oder Politiker bewundert werden. (Wer wüsste sich nicht an das zu erinnern, was der weise Diogenes seinem großen Herrscher Alexander geantwortet hat, als der griechische König den Mann in der Tonne fragte, was er für ihn tun könne, nämlich »Geh’ mir aus der Sonne!«) Wenn sie auch historische Figuren mit in ihre Gespräche einbeziehen, denen sie die Kultur der Naturwissenschaften verdanken, kann die Welt, in

»Davon glaube ich kein Wort!« – »I don’t believe a word of it!« Mit diesen oftmals knurrig und kopfschüttelnd ausgesprochenen Worten reagierte der 1906 in Berlin geborene und 1969 in Stockholm mit Nobelpreisehren ausgestattete Max Delbrück1 auf Wissenschaftler, die ihm hocherfreut von einem ihrer Ansicht nach wichtigen Versuchsergebnis berichteten – und auf seine lobende Anerkennung hofften. Aber Delbrück, der 1937 von Berlin nach Pasadena bei Los Angeles gegangen war, um am dortigen California Institute of Technology (Caltech) das Atom der Biologen zu finden, schüttelte in vielen Fällen nur unnachgiebig den Kopf. Dann verzog der in den Nachkriegsjahren von der Forschergemeinde als Wegbereiter der Molekularbiologie gefeierte Intellektuelle seinen Mund, was seinem Gesicht fast ein entsetztes Aussehen verlieh, und wiederholte unbekümmert sein harsches Verdikt, um den verdutzten Kollegen mit den besten Wünschen im Gang stehen zu lassen.

Natürlich sprach sich auf den Fluren der Universitäten und bei Gesprächen auf Konferenzen herum, wie

Übrigens – der vor kurzem im hohen Alter verstorbene Sydney Brenner hat sich noch als 90-Jähriger Gedanken über die genetische Wissenschaft und das geheimnisvolle Leben gemacht, die sie erkundet. Dieser große alte Mann der modernen Biologie hat stets darauf hingewiesen, dass sich zum einen die meisten Ideen von Wissenschaftlern irgendwann als falsch oder überholt erweisen – als Brenner studierte, traute zum Beispiel noch niemand der DNA zu, den Stoff zu bilden, aus dem die Gene sind, und die Biochemiker favorisierten völlig andere Moleküle –, und dass zum anderen ein

Der Reflex der Kniesehne

Noch einmal zurück zu Delbrücks beliebtem Satz »I don’t believe a word of it!« Im Oxford Book of Scientific Anecdotes mit dem Titel Eurekas and Euphorias, das der in London tätige Zellbiologe Walter Gratzer herausgegeben hat, ist zu erfahren, dass Delbrücks Ausspruch einen konkreten historischen Vorläufer hat.

Ein persönliches Intermezzo

Ganz zuletzt soll dieses erste Kapitel mit persönlich erlebten Anekdoten und dem dazugehörenden Hinweis schließen, dass der Autor in den 1970er-Jahren der letzte Doktorand von Delbrück am Caltech in Pasadena war und dessen Davon-glaube-ich-kein-Wort-Skepsis am eigenen Leib erfahren durfte.2 Es ereignete sich, als ich ihm von meiner Beobachtung erzählte, dass der kleine Pilz, mit dem in Delbrücks Laboratorium gearbeitet wurde, seine Stängelchen beim Wachsen dem Experimentator entgegenkrümmte, wenn man diese als »Sporangiophoren« bezeichneten

Er freute sich auf jeden Fall über die neue Fragestellung, die ihn am nächsten Morgen fröhlich forschen ließ. Beim gemeinsamen Spülen konnte man nach dem kulinarischen Genuss ganz entspannt manchem geistigen Vergnügen nachgehen, erst trickreiche Experimente entwerfen und später eher weinselig verrückte Gedanken vortragen. Und manch einer beanspruchte auch noch am nächsten Tag seine Gültigkeit, wenn man sich wieder im Laboratorium herumtrieb und

Zwar hätte man manchmal gern ein direktes Lob von Delbrück gehört, doch meistens trieb er seine Studenten mit unangenehmen Bemerkungen an, was ihnen allerdings letztlich nur Vorteile bringen und retrospektiv auch gefallen konnte. Sein Urteil konnte

Übrigens – Delbrück liebte es, wenn man versuchte, seine großen oder groben Witze zu toppen und sich zu wehren. Gelungen ist dies zum Beispiel dem Biophysiker George Feher aus San Diego, der eines Tages vom Caltech zu einem Vortrag eingeladen war. Feher bedankte sich und sagte, er käme nur, wenn er zwei Vorträge halten dürfe. Auf die erstaunte Rückfrage, warum er denn so etwas verlange, antwortete der Biophysiker, er wolle wenigstens einen Vortrag halten, von dem Delbrück nicht sagen könne, dass es der schlechteste Vortrag sei, den er je gehört habe. Der Ausgetrickste reagierte mit schallendem Lachen. Doch dabei sann er wahrscheinlich längst auf Rache.

Ob Delbrück von den oben zitierten Unvergesslichen Jahren von Logan Pearsall Smith jemals gehört oder sie gar gelesen hat, ist nicht bekannt, aber das kritische Knurren mit seinen oftmals stimulierenden Folgen hat er wahrscheinlich von dem großen Physiker Wolfgang Pauli übernommen, der in den frühen 1930er-Jahren in Zürich tätig gewesen war.3 Der spätere Biologe Delbrück konnte mit einem Stipendium der amerikanischen Rockefeller-Stiftung bei Pauli als Postdoc arbeiten, nachdem er in Göttingen seine Doktorarbeit auf dem Gebiet der Theoretischen Physik abgeschlossen hatte.

Seit den 1920er-Jahren erlebte diese Wissenschaft bei ihren Versuchen, die Atome zu verstehen, höchst dramatische Änderungen in ihrem Weltbild, und während die beteiligten Physiker mit wachsender Verzweiflung in den Instituten umherrannten und ohne ihre immer verrückter scheinenden Ideen nicht weiterkamen, trösteten sie sich mit einer poetischen Entschuldigung in Form von Hamlets Worten: »Ist es Wahnsinn, so hat es doch Methode.« Zu den Facetten

Verrückt genug erschien den Physikern zum Beispiel Paulis Idee, den Elektronen in den Atomen die unanschaulich bleibende Möglichkeit einzuräumen, auf zwei Weisen zu existieren, die man »rauf« und »runter« nannte, »Spin up« oder »Spin down«. Diese Zweiteilung konnte sich zwar niemand zwingend als physikalische Eigenschaft vorstellen, sie bot mathematisch aber die Möglichkeit, die Teilchen in einem Molekül auf Distanz zu halten und den chemischen Gebilden ihre funktionierende und stabile Form zu geben. So vorzugehen, sah zwar tatsächlich nach Wahnsinn aus, bewährte sich aber durchweg als erfolgreiche Methode und ließ die Physiker in den 1920/30er-Jahren aus dem Staunen nicht mehr herauskommen.

Der im Jahre 1900 geborene Pauli, der 1945 den Nobelpreis für sein Fach bekommen sollte, konnte nicht

Um den Zerfall von radioaktiven Atomen verstehen zu können, propagierte Pauli die Existenz eines nicht nur unbekannten, sondern zunächst auch unbegreiflichen Teilchens – es sollte mehr oder weniger ein Nichts sein, das sich dreht – und wettete eine Kiste Champagner darauf, dass die Physiker bis zum Ende seines Lebens niemals in der Lage wären, das konkrete Vorhandensein dieses Teilchens nachzuweisen. Doch als dieser kecke Pauli in einem Vortrag eines Kollegen den Vorschlag hörte, man könne doch den Energiesatz kurzzeitig außer Kraft setzen, wenn das helfe, die Atome theoretisch in den Griff zu bekommen, da stöhnte Pauli laut auf und meinte erzürnt: »Das ist nicht richtig. Das ist nicht einmal falsch.« Als der Vortragende ängstlich nachfragte: »Aber Herr Pauli, Sie glauben doch nicht, dass alles, was ich heute Nachmittag gesagt habe, Unsinn war?«, bekam er als niederschmetternde Antwort: »Nein, gar nicht, aber was Sie

Lieber Albert!

Bei Seminaren saß Pauli stets in der ersten Reihe, und manchmal standen eine Spielzeugkanone oder eine Miniaturtrompete vor ihm. Er durfte sie bei jedem Fehler des Vortragenden betätigen und einen Böllerschuss oder ein anderes Signal abgeben, so dass er von seinen Freunden und Feinden nach und nach den Spitznamen »Geißel Gottes« bekam. Dies gefiel ihm, denn er unterschrieb bald viele seiner Briefe auf diese Weise. In einem Schreiben sollte er den Antrag eines Kollegen für ein Stipendium begutachten, was Pauli mit den für ihn erstaunlich freundlichen Worten tat: »Ich habe gegen ihn nichts einzuwenden.« Als er einmal von Albert Einstein persönlich gebeten wurde, einen Physiker einzuschätzen, der bei dem großen Mann

Kopenhagener Osterkonferenz 1930 mit Trompete; erste Reihe, 2. bis 5. von links: Niels Bohr, Werner Heisenberg, Wolfgang Pauli

Da Pauli in der Schweiz wohnte, unterlag er nicht dem in Deutschland eingeführten politischen Zwang, Briefe an die Regierung oder amtliche Stellen – etwa

Paulis oftmals zynische Bemerkungen machten auch keinen Halt vor den ganz Großen der Wissenschaft. Dies kann man am Beispiel seines Freundes Werner Heisenberg sehen, der 1933 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet worden war und sich Ende der 1950er-Jahre an einer Weltformel versuchte. Als Heisenberg in einem Rundfunkinterview behauptete, sie gefunden zu haben, schrieb Pauli dem mit ihm befreundeten russischen Physiker George Gamow einen Brief, in dem er unter einem leeren Rechteck in Paulis Handschrift notierte: »Das soll der Welt zeigen, dass ich wie Tizian malen kann. Es fehlen nur die technischen Details.«

Paulis Zeichnung mit Handschrift

Als Pauli dies schrieb, war in den Jahren zuvor auf raffiniertem experimentellem Wege das oben erwähnte sich drehende Nichts nachgewiesen und ihm klar geworden, dass er besagte Wette verloren hatte – und der Champagner wurde sogar bezahlt und getrunken –, aber der ganze Vorgang hatte sein Ansehen

Im Jahre 1932 feierte die europäische Welt den 100. Todestag von Goethe. Als sich um Ostern die Physiker zu ihrer Frühjahrstagung in Kopenhagen trafen, führten sie am Ende der Konferenz ein Stück auf, das sie Faust – Eine Historie nannten und mit dem sie Goethes Drama parodierten. Zwar wird in der Fassung, die in dem Buch Der Kopenhagener Geist in der Physik zu finden ist, kein Autor der Faustparodie genannt, aber nach Auskünften von Carl Friedrich von Weizsäcker kann man Max Delbrück als den eigentlichen Urheber des im April 1932 aufgeführten Stücks betrachten. Delbrück selbst tritt darin als »Conferencier« auf, der dem Publikum zunächst die klassische Walpurgisnacht ankündigt, bei der allerdings keine Verbindung mit den Zuschauern (Beobachtern) zustande kommt – wie es sich in der klassischen Physik gehört –, weshalb auch nichts passiert. Faust schlägt nun vor, »die klassische Walpurgisnacht durch Wirkung des Publikums auf dieselbe zu entfernen« und »zur quantentheoretischen Walpurgisnacht überzugehen.« Dies wird akzeptiert, und das Spiel geht weiter. Es endet mit der »Apotheose des wahren Neutrons«, also des physikalischen Teilchens, das 1932 entdeckt worden war und die Kernphysik vor völlig neue Aufgaben stellte.

Gewiss! Das Alter ist ein kaltes Fieber,

Das jeden Physiker bedroht!

Hat einer dreißig Jahr vorüber,

So ist er schon so gut wie tot.

 

Am besten wär’s, Euch zeitig totzuschlagen.

Der Pauli hat hier weiter nichts zu sagen.

Gott und der Teufel