„Du denkst hoffentlich an heute Abend?“
Ich verdrehe die Augen. „Ich denke an nichts anderes.“
„Gut. Dann geh gefälligst ausnahmsweise mal zum Frisör und lackiere deine Fingernägel. Es muss ja nicht gleich jeder mitbekommen, dass der begehrteste Junggeselle des Abends mit einem Mann ausgeht.“
„Martin, mach mal halblang. Wenn dir so viel an Weiblichkeit liegt, such dir eine richtige Freundin und nutz mich nicht immer so schamlos für deine Zwecke aus.“
Mein bester Freund hat einen Knall. Aber ich liebe ihn. Leider bildet er sich ein, dass jeder Rock nur hinter seinen Hosen her ist.
Gut, vielleicht hat er da nicht so unrecht.
Seine markanten Gesichtszüge, das strohblonde Haar, eisblaue Augen und dieses freche Dauergrinsen finden wahrscheinlich viele Frauen sexy, meine Libido spricht es jedoch nicht an.
Für mich wird er immer der Junge bleiben, den ich bereits im Sandkasten mit meiner Schippe verprügelt habe.
Heute findet er diese frühkindliche Erinnerung eher beschämend, aber für mich war das der Beginn unserer nunmehr fast 22-jährigen Freundschaft.
Und ich werde niemals müde, diese Geschichte jedem zu erzählen, der mich danach fragt.
Dem großen Klassenunterschied unserer beider Familien zum Trotz hat sich unsere Bekanntschaft bewährt und ich bin voller Stolz, dass er noch heute mein bester Freund ist, auch wenn ich ihm nicht mehr mit einer Schippe auf den Kopf schlagen darf.
Obwohl mir in Momenten wie diesem die Finger jucken.
„Ach Schatz, was soll ich denn mit einer richtigen Freundin? Wenn ich Lust habe zu vögeln, blättere ich durch mein schwarzes Buch.“
„Bitte, keine Details. Die Bilder werde ich sonst nie wieder los.“
Er grunzt in den Hörer. „Dir täte ein schwarzes Buch ebenfalls gut, Isa. Wirklich. Wenn du dich nur ein wenig mehr wie eine Frau benehmen würdest …“
„Halt die Klappe. Wenn ich eine Moralpredigt brauche, gehe ich zu meiner Oma. Wann holst du mich ab?“
„Ich komme gar nicht, sondern schicke dir einen Wagen. Meine Schwester hat mir noch irgendwelche Verpflichtungen aufgebrummt und ich fürchte, ich kann nicht rechtzeitig bei dir sein und unverschämt gut aussehen. Man muss schließlich Prioritäten setzen.“
„Himmel, manchmal frage ich mich, was all diese Frauen nur an dir finden.“
„Wo soll ich da nur anfangen? Bei meinem bestechenden Charme? Bei meinen Fähigkeiten im Bett? Oder soll ich wieder bei meinem Aussehen hängen bleiben?“
„Ich lege jetzt auf.“
Er lacht laut in mein Ohr. „Hans kommt um 18:00 Uhr. Zieh das grüne Kleid an. Das lange mit diesen Perlen. Du siehst heiß darin aus.“
„Ich nehme das schwarze. Das passt besser zu meinen Fingernägeln.“
Noch ehe er etwas darauf erwidern kann, beende ich das Telefonat.
Ein Lächeln liegt auf meinen Lippen.
Ich mag diese Charity-Abendveranstaltungen eigentlich nicht besonders.
Auch dann nicht, wenn es wie heute Abend um benachteiligte Kinder geht.
Würden diese Leute all das Geld, das sie bereits im Vorfeld für den Frisör, ihre Garderobe, das Make-up ausgeben, von vornherein sparen, wäre der Erlös einer solchen Spendenaktion doch um einiges höher. Martin lacht mich regelmäßig aus, schimpft mich eine Idealistin und überredet mich dennoch jedes Mal aufs Neue, ihn zu solchen Happenings zu begleiten, wie er es zu nennen pflegt.
Dass ich mich so sicher in den Kreisen meines besten Freundes bewegen kann, ist ebenfalls sein Verdienst.
Da er mich in der Vergangenheit in jedes dieser Wie-esse-ich-anständig-mit-Messer-und-Gabel- und Wie-verbessere-ich-meine-Umgangsformen-Seminare mitgeschleppt hat, bekomme ich keinen Nervenzusammenbruch bei dem Gedanken an all die feinen Pinkel, die mir heute Abend über den Weg laufen werden.
Hier geht mein Dank also an die Eltern Zimmermann.
Sie hätten ihn mit seiner Schwester schicken können, aber ich glaube, er hat ihnen in dieser Hinsicht keine große Wahl gelassen.
Obwohl, wenn ich es recht bedenke, ist Christina Zimmermann, Martins Schwester, mit allergrößter Wahrscheinlichkeit schon perfekt auf die Welt gekommen. Sie hatte solche Seminare sicher nicht nötig.
Ich bin nicht so blauäugig, tatsächlich daran zu glauben, dass sie mir diese Kurse völlig selbstlos ermöglicht haben.
Es wird wohl eher so gewesen sein, dass seine Mutter sicher sein wollte, dass ich sie nicht blamieren würde, wenn ich sie besuche.
Immerhin waren ihr Prinzchen und die kleine Rotznase aus der Autowerkstatt unzertrennlich.
Heute finde ich einen diebischen Gefallen daran, dass all diese Menschen tatsächlich zu glauben scheinen, ich wäre eine von ihnen.
Ja, die Rotznase kann auch Prinzessin.
An den Ausdruck in ihren Gesichtern werde ich mich nie gewöhnen, wenn ich sie letztendlich darüber aufkläre, dass ich lediglich eine Autowerkstatt mein Eigen nenne und kein jahrelanges Studium mit Auslandsaufenthalt absolviert habe und somit auch keinen erfolgreichen Abschluss in irgendwas besitze.
„Karl, kümmerst du dich um den Rest? Ich muss mich fertig machen für heute Abend.“
„Klar, Kleines. Ich schließe nachher zu.“ Mein Onkel winkt mich hinaus und ich ziehe bereits den Reißverschluss meines Overalls hinunter, noch bevor ich das angrenzende Wohnhaus erreiche, das ich mit meiner Oma bewohne.
„Isa? Bist du das?“
„Wer sonst, Oma?“
Ich grinse.
Das ist so etwas wie ein Ritual.
Obwohl sie hört, dass ich die Tür mit einem Schlüssel öffne, vergewissert sie sich dennoch regelmäßig, wer diesen Schlüssel benutzt.
„Ich muss unbedingt baden. Martin schickt mir um 18:00 Uhr die Limo. Bis dahin muss ich meine Finger wieder einigermaßen sauber bekommen haben.“
„Na, dann bleibt mir nichts weiter, als dir viel Glück dabei zu wünschen.“ Sie erscheint im Türrahmen.
Eine kleine, rundliche Frau mit einem strengen Haardutt im Nacken.
Ihre Augen sind so strahlend blau, wie ich sie außer bei meiner Mutter noch bei niemandem gesehen habe.
„Machst du mir später die Haare?“
„Was ist das für eine Frage? Sieh zu, dass du ins Badezimmer kommst. Ich gehe davon aus, dass du heute nicht mit mir isst?“
Die Frage ist rhetorisch.
Sie wartet meine Antwort nicht ab, sondern verschwindet wieder in der Küche, brüllt den Rest lieber über den Flur. „Ruf mich einfach, dann komme ich hoch zu dir.“
„Du bist die Allerbeste, Omilein.“
„Das ist schließlich mein Job.“
Ich lasse meine Sachen bereits auf dem Weg ins Bad fallen.
Darum kann ich mich später noch kümmern.
Das Badewasser läuft und verströmt einen himmlischen Duft nach Mandeln und Honig. Schade, dass ich heute so wenig Zeit habe, es zu genießen.
Ich bin mal wieder spät dran, und wenn ich noch meine Haare bändigen möchte, wird es allerhöchste Zeit.
Mit der Nagelbürste bearbeite ich meine Fingernägel, entscheide mich letztendlich für einen pflegenden und abdeckenden Nagellack.
Nur um sicherzugehen.
Das Kleid hängt bereits am Bügel und wartet auf seinen großen Auftritt.
Selbstverständlich ist es das grüne. Das mit den Perlen am Saum und am Bustier. Ich hätte es auch ohne Martins Hinweis ausgewählt.
Meine Großmutter hat es genäht. Genau für solche Anlässe, wie ich sie ständig mit ihm besuche.
Ihren großen Traum, einmal mein Brautkleid zu nähen, werde ich ihr wohl nicht erfüllen können. Aber Abendkleider sind doch auch schon mal was.
In einen weichen Bademantel gehüllt, die Achseln, die Beine und alle sonstigen notwendigen Stellen rasiert, begebe ich mich in die Obhut meiner Großmutter, die sich meiner Haare annimmt.
„Soll ich sie dir hochstecken, mein Schatz?“ Sie sieht mir durch den Spiegel in die Augen und ich nicke zustimmend. Die gleichmäßigen Bürstenstriche lassen mich genießerisch die Augen schließen.
„Wirst du heute mit Martin sprechen?“ Sie lässt es beiläufig klingen, aber ich durchschaue sie sofort.
Unverzüglich bin ich wieder achtsam, betrachte sie im Spiegel.
„Oma, ich werde ihn nicht um Geld bitten. Wirklich! Das bekomme ich hin, auch ohne seine Hilfe.“
Die Mutter meiner Mutter hält in der kämmenden Bewegung inne. Die Sorge in ihrem Blick schnürt mir förmlich den Brustkorb zusammen, also greife ich nach ihrer Hand, drücke ihre knorrigen Finger. Auch um mir selbst die nötige Zuversicht zu vermitteln.
„Wirklich, Oma. Bitte mach nicht so ein Gesicht. Ich habe es bis jetzt immer ohne Martins Hilfe geschafft und die Bank hat mir noch eine Frist eingeräumt. Wir verlieren weder das Haus noch die Werkstatt. Das lasse ich nicht zu.“
Sie seufzt tief, fährt fort damit, mein Haar zu bändigen. „Ich wünschte, ich hätte dein Gottvertrauen.“ Dann lächelt sie mir entgegen. „Du bist ihr so ähnlich, dass es mich manchmal schier auffrisst.“
Der darauffolgende Kuss auf meinen Scheitel lässt mich schlucken.
Heul jetzt bloß nicht los. Denk an dein Make-up.
Ich werde uns aus dem Engpass wieder rausholen.
Die Werkstatt wirft nicht mehr so viel Geld ab wie zu Zeiten meines Vaters.
Die Aufträge bleiben aus.
Ich weigere mich einfach, den Gedanken zuzulassen, dass es an der Tatsache liegen könnte, dass ich eine Frau bin.
Ich verstehe etwas von meinem Beruf und sehe nicht, was mich da großartig von einem Mann unterscheiden sollte.
Es muss doch auch andere Kunden geben.
Nicht nur solche Idioten wie das Exemplar von heute Mittag.
Als der Wagen der Familie Zimmermann vorfährt, schlüpfe ich gerade in meine silbernen Riemchensandalen mit einem gefühlt meterhohen Absatz.
Ich bedenke meine Füße mit einem entschuldigenden Blick. „Ich weiß, ihr werdet mich gleich dafür hassen, aber bitte, es ist nur für heute Nacht. Morgen bekommt ihr wieder Sneakers und Arbeitsstiefel oder höchstens Ballerinas.“
„Hör auf, mit deinen Füßen zu sprechen. Du kommst eh wieder barfuß nach Hause. Beeil dich lieber, bevor der arme Hans draußen noch Wurzeln schlägt.“
Ich lächle meine treu sorgende Großmutter noch einmal an, ehe ich meine kleine silberne Clutch zur Hand nehme und die Treppe hinunterstöckle.
„Du bist nur sauer, weil er heute kein Körnchen bei dir trinken kann, sondern sofort mit mir entschwindet.“ Ich zwinkere ihr zu und sie errötet einen Hauch.
„Rede keinen Unsinn. Ich wünsche dir einen schönen Abend. Genieß den Ball, Aschenputtel. Denk nur daran, um Mitternacht verwandelt sich die Kutsche in einen Kürbis.“
„Ich denke daran, meine gute Fee.“
„Und wenn du auf den Prinzen triffst, bring ihn bloß mit nach Hause.“
Ich verdrehe die Augen. „Wirklich, Oma? Was soll ich mit so einem Geldsack?“
„Martin ist so ein Geldsack.“
„Deshalb habe ich ihn bereits als Kind verprügelt.“
„Verkauf dich nicht immer unter Wert, mein Kind. Du bist das wundervollste Mädchen der Welt. Und wenn jemand einen Geldsack verdient, dann du.“
Wieder brennen Tränen in meinen Augen.
„Das hast du schön gesagt. Und ich verspreche es dir, wenn ich einen Sack Geld finde, bringe ich ihn mit nach Hause.“
„Du bist ein ganz schön freches Ding! Verschwinde jetzt aus meinem Haus.“ Das Lachen ihrer Augen straft ihre Worte Lügen und ich küsse sie schnell auf die Wange. „Warte nicht auf mich. Hans bringt mich wieder nach Hause.“
Sie schließt die Tür hinter mir.
Nicht, ohne dem Chauffeur noch einmal kokett zuzuwinken.
„Ihr seid mir vielleicht zwei. Warum lädst du sie nicht mal zum Essen ein, Hans? Sie würde sich freuen.“
Er hilft mir in den Bentley. „Ach nein, Isa. Wir sind schon zu alt für so einen Blödsinn.“
„Wer sagt denn so etwas? Ihr wärt so ein hübsches Paar.“ Ich lächle ihn aufmunternd an.
Verlegen wischt er über seine glänzende haarlose Kopfhaut, zuckt ein wenig ratlos mit den Schultern, ehe er die Uniformmütze wieder aufsetzt und auf dem Fahrersitz Platz nimmt.
Die Zimmermanns legen wirklich viel Wert auf diesen ganzen Kokolores.
Ich habe mich bereits des Öfteren darüber amüsiert. Sehr zum Leidwesen Martin Zimmermanns, der in diese Welt hineingeboren wurde.