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Franz Braumann

Feuerzeichen am Biberfluß

Wer vom Calafatestrauch ißt

Zwei Abenteuererzählungen aus Amerika

Saga

Die Bootsreise nach Norden

„Und viel Glück auf der Reise!“

John Mahon, der Chef einer der größten Getreidefar men Saskatchewans, schrie diesen Glückwunsch in das Rattern des anlaufenden Motors. Er blickte dem anrollenden Ford-Combi nach und schwenkte lachend seine Mütze, bis eine Wolke von Straßenstaub das Auto verhüllte.

„Tapfere Leute, diese Breuers! Die werden auch oben im rauhen Northwood nicht untergehen“, brummte er anerkennend. Dann wandte sich John Mahon ab und schritt zu der großen offenen Garage hinüber, vor der ein riesenhafter Mähdrescher zur Reparatur stand.

Über der endlosen kanadischen Getreideprärie, halbwegs zwischen Winnipeg und Battleford, lag ein milder, milchblauer Herbsttag. Man schrieb bereits den zehnten September, und im äußersten Norden der kanadischen Getreidezone stand der Weizen goldbraun und erntereif, soweit das Auge blicken konnte.

Bill Breuer, der am Steuer des ratternden Fordwagens saß, sagte schmunzelnd zu seiner Frau: „Eine glückverheißende Ausfahrt ist das, meinst du nicht auch?“

Sie hatte gerade etwas ganz anderes gedacht. Jetzt nickte sie gefaßt: „Gebe Gott, daß wir alle wohlbehalten aus dem wilden Norden zurückkehren!“

„Aus dem wilden Norden – wie du das sagst! “ gab der Fahrer gutgelaunt zurück. „Vierhundert oder fünfhundert Kilometer nordwärts bringen uns noch lange nicht bis zum Eismeer hinauf, Frau!“

Sie zuckte die Achseln: „Aber doch in einen einsamen und unbekannten Urwald mit Wölfen, Elchen, Bären und...“

„ . . . und wilden Indianern, wolltest du sagen“, Bill schüttelte jetzt nachsichtig den Kopf. „Ich habe mich genau informiert – du wirst dort oben den ganzen Winter über keinen einzigen Indianer zu Gesicht bekommen. Die bleiben in ihren Reservationen, wo sie die Regierung durchfuttert. Die Northwood-Gesellschaft hat mir darüber genaue Auskunft gegeben, bevor ich den Vertrag unterschrieb.“

Da mischte sich aus dem Fond des Wagens der zwölfjährige Peer in die Unterhaltung: „Überhaupt besucht uns die Mounted Police jeden Monat einmal, Vater!“ Aber die Frau ließ sich ihre Zweifel nicht so schnell zerstreuen. „Bis die kommt, können uns längst Indianer überfallen oder ein Grizzlybär gefressen haben.“

„Und doch bist du mitgekommen, Mutter!“ rief jetzt Bernd, der ältere Breuersohn, dazwischen. Dabei blitzte ihm die Unternehmungslust aus den Augen.

„Was hätte ich anderes tun sollen?“ erwiderte die Frau lächelnd. „Ich kann euch drei doch nicht allein in den Nordwald reisen lassen!“

„Natürlich konntest du das nicht, Barby“, nickte Bill Breuer dankbar seiner Frau zu. „Wir wollen bei dem harten Leben in diesem unermeßlichen Land doch vorwärtskommen. Wozu wäre ich sonst einst aus dem alten Europa herübergefahren?“

„Wir wollen vorwärtskommen – vorwärtskommen!“ Diese Worte hingen wie eine Peitsche über allen Entschlüssen der Familie Breuer.

Vor mehr als zwanzig Jahren war der junge Breuer aus Europa gekommen, als es schien, daß er dort drüben für eine neue Existenz nicht mehr Fuß fassen konnte. Der immer noch faszinierende Klang des Wortes ,Neue Welt‘ hatte auch ihn verlockt, sich in dem ungeheuer großen und leeren Land Kanada ein neues Leben aufzubauen.

Doch die Zukunft, der der junge Mann entgegenträumte, ließ sich in den ersten Jahren hart genug an. Ja, wäre er Mechaniker oder Monteur gewesen, dann hätte man sich um ihn gerissen! Aber er hatte in seiner nun endgültig verlorenen Heimat als Bauer gearbeitet – und ,Farmen‘ galt in dem neuen Land, in das er gekommen war, eigentlich nur als Saisonarbeit.

Bill Breuer, wie sich der junge Wilhelm nun nannte, hatte sich vertraglich zur Farmarbeit in den kanadischen Mittelwesten verpflichtet. Gute Entlohnung und Unterkunft während der Erntemonate waren ihm zugesichert worden. Dieser Vertrag wurde auch eingehalten, doch die Wirklichkeit war anders als seine Vorstellungen von ihr. Die Unterkunft für den Sommer bestand aus einer Wellblechhütte, in der es unter Tags glühend heiß wurde und in den Nächten stark abkühlte. In der baumlosen Getreideprärie galt ja jedes Holzbrett als eine Kostbarkeit. Ebenso zählte die gute Entlohnung nur für die eigentlichen Erntemonate vom Juni bis zum September. Für die übrigen Monate gäbe es reichlich Gelegenheitsarbeit, hatte es geheißen.

Was war Bill Breuer vom Herbst bis zum Frühjahr nicht alles gewesen, nur um sich über Wasser zu halten!

Cowboy und Stallbursche war ihm noch der vertrauteste der neuen Berufe. Aber dann wechselte er hinüber zum Mechanikergehilfen und wurde Mitfahrer auf einem schweren Fünfzehntonner mit Anhänger. Und zuletzt landete er in der kleinen Stadt New Leeds als Krippenbauer und Sonntagssänger. Im Juni aber zog er wieder hinaus auf die Großfarmen und in die Getreidefabriken von Manitoba.

Die große Wende zum Besseren trat erst ein, als er sich weiter nach Westen in den Staat Saskatchewan wagte. Der Getreidefarmer John Mahon suchte einen Vorwerker seiner Betriebe fürs ganze Jahr. Endlich konnte Bill Breuer seine Braut Barby heiraten. Zwei Söhne kamen und wuchsen nun in einem festen Heim auf. Bill hatte endlich ein gewisses Ziel erreicht.

Während er jetzt diese Erinnerungen an sich vorbeiziehen ließ, blickte er auf der endlosen Straße nach Norden. Sie war nur eine private Farmstraße und trug nicht einmal eine Asphaltdecke. Unübersehbare ab geerntete Getreidefelder glitten zu beiden Seiten zurück. Da und dort am Horizont tauchte noch wie eine Urweltspinne ein arbeitender Mähdrescher auf; die hohen Fangbalken griffen gleichmäßig wie Riesenarme in den schütter stehenden reifen Weizen.

Bill erinnerte sich weiter: Nun war der vierzehnte Erntesommer vorüber. Wie. weit hatte er es in diesen Jahren gebracht? Er wohnte heute in einem geräumigen Holzhaus, das John Mahon gehörte. Er besaß einen schon wieder alten Ford, mit dem er samstags die Jungen von der Schule in New Leeds heimbrachte. Jedes Jahr konnte er in Urlaub fahren – nach Osten an die großen Seen und auch einmal hinunter in die Staaten — und für die alten Tage durfte er auf eine bescheidene Versicherungsrente hoffen. Wenn er nicht noch einmal etwas Besonderes anpackte, blieb es so, bis er alt und gebrechlich wurde.

Im letzten Sommer hatte Bill Breuer die Anzeige einer Holzfirma aus dem Norden des Staates Saskatchewan gelesen, die für die Wintermonate Holzfäller suchte. Als besonderer Anreiz war hinzugefugt: „Motorsäge, Treibstoff und Werkzeuge werden kostenlos gestellt. Außerdem erhält der Bewerber eine erprobte Anleitung zum Bau eines warmen Blockhauses für den Winter.“

Sollte er noch einmal Holzfäller werden?

Bill war in seiner Jugend zwischen riesigen Wäldern aufgewachsen. Bäume umsägen, sie von den Ästen befreien, ihre Stämme entrinden und aufstapeln – das alles war ihm zur Genüge bekannt.

In jener Stunde hatte Bill mit einer sonderbaren Erregung beschlossen, für den kommenden Winter vom Farmarbeiter zum Holzfäller im Nordwald umzusatteln. Man mußte diesen Job einmal versuchen, dann würde man nach einem halben Jahr weitersehen.

Als die Firma Wilkinson aus Pikford antwortete, hatte sich die ganze Familie um den Brief versammelt. Die Jungen jubelten und bauten bereits verlockende Zukunftspläne auf.

„Holzfäller im Nordwald, das muß herrlich werden, Vater! Wir haben bald ein festes Blockhaus und ...“

„ ... und keine Schule, ihr Rangen!“ hatte die Mutter, von Anfang an wenig erfreut, eingeworfen. Daheim war Frau Breuer so tüchtig, wie es in einem Farmbetrieb nicht anders sein konnte. Sie war dem Mann überallhin zu folgen bereit. Aber wenn sie diesen neuen Plan näher überdachte, meldeten sich doch schwere Bedenken an.

Bill Breuer hatte sich eine große Landkarte beschafft. Auch er blickte lange nachdenklich auf das unendliche Wald- und Seenplateau, das sich nördlich des Saskatchewan River bis über den Churchill River ausdehnte. Dort oben, irgendwo 400 Kilometer nördlich von der letzten Bahnstation Prince Albert, mußten die schlanken Edelkiefern stehen, die er in diesem Winter allein fällen wollte. Mindestens 1000 Kubikmeter waren zu schlagen! Dafür sollte ihm dann ein hoher Dollarsatz pro Kubikmeter bezahlt werden.

Verdammt fern vom Süden Kanadas lag diese Landschaft. Er wußte nur allgemeine Angaben: Der Nordwald war wasserreich, sumpfig, aber auch stellenweise felsig. Die durchschnittliche Wintertemperatur lag wesentlich tiefer als in den südlichen Getreideebenen. Aber man saß ja in einem dichten, fest gebauten Blockhaus und hatte unbegrenzten Holzvorrat zum Heizen.

Wenn er aber ins Detail ging, dann wußte er so gut wie nichts über die Lebensbedingungen im winterlichen Northwood.

Doch die Dollars lockten. Mindestens tausend, vielleicht auch zweitausend Dollar für einen Winter im Norden, damit müßte sich später gut wirtschaften lassen! So hatte Bill Breuer schließlich an die Firma Wil kinson in Pikford eine Zusage geschickt. Und heute befand sich die Familie auf der Reise in den Nordwald ...

 

Peer fragte jetzt in die Gedanken des Vaters hinein: „Werden wir heute nacht im Zelt schlafen?“

Der Fahrer wandte schmunzelnd den Kopf zurück. „Natürlich müßt ihr Jungen es aufstellen, schon um zu beweisen, daß ihr für den wilden Norden taugt.“

,... den wilden Norden‘ hatte der Vater gesagt! Bernd erschauerte bei solchen Worten jedesmal ein wenig. Wenn er die Getreideprärie, durch die sie jetzt fuhren, betrachtete, so konnte er es noch gar nicht fassen, daß über der waagrechten Himmelslinie im Norden bald Bäume auftauchen sollten, Wälder, grenzenlose Urwälder ohne Straßen, ohne Menschen – außer vielleicht einem Trupp wandernder Indianer, die ein neues Jagdgebiet aufsuchten.

Im Nordwald mußte das Leben überraschender, spannender, großartiger sein. Während der Schulwochen in New Leeds hatte er zuweilen Heimweh nach Vater und Mutter, nach dem Farmhaus gehabt. Aber dort oben würde es ihn nicht befallen, da er die Eltern ja bei sich hatte. –

Das Weizenland dehnte sich endlos Stunde um Stunde. Selten tauchte in stundenweiten Abständen ein Farmgehöft auf, ein Landhaus mit hohen, protzigen Garagen davor, umgeben von Wellblechbauten und Stacheldrahtzäunen für die wenigen Stück Milchvieh, die die Farmbewohner ernähren mußten.

Nach hundert Kilometern Fahrt stellte Bill Breuer fest, daß hier oben die Weizenernte erst anfing. Die Reifezeit gegenüber dem Süden lag mindestens um eine Woche zurück. Nach der Karte mußte die nördlichste Grenze des Weizenanbaus bald erreicht sein.

Zwischen den Weizenfarmen tauchten allmählich weite, bis an den fernen Horizont laufende Weideflächen auf. Die ursprüngliche baumlose Prärie zeigte sich wieder in ihrer unveränderten Gestalt.

Endlich mündete die staubige Farmstraße in die nördliche ,Highway‘ ein, eine breite Betonstraße, die wie ein über den Horizont hinablaufendes graues Band die Prärie gegen Nordwesten hin teilte. Sie führte viele tausend Kilometer weit bis nach dem fernen Alaska und überwand dabei Gebirge und Sümpfe, Urwälder und Tundren.

Die Reisenden mußten sich nun in einen unaufhörlich dahinrollenden Verkehr einordnen. Schwere Laster, Zehn- und Fünfzehntonner, überholten ihren alten, zittrigen Ford; mächtige Luxuslimousinen, wahre Straßenkreuzer, glitten ihnen chromblitzend entgegen. Mitten in diesem donnernden Gedröhn fühlten sich die Breuers wieder ganz unbedeutend und unbeachtet. Unsicher und fast hilflos fuhr Bill in die Herbstdämmerung hinein. Keiner der vier wagte es auszusprechen, was doch jedem auf der Zunge lag: Kehren wir lieber wieder um!

Als Bill endlich nicht weit abseits eine Gruppe von Bäumen entdeckte, schwenkte er kurzerhand von der Highway ab. Er faßte sich jetzt wieder. „Wie gefällt euch unser erster Campingplatz? Einen schöneren könnten wir kaum finden!“ rief er zu seinen Söhnen zurück. Im Grunde aber wollte er sich von der Bedrük kung befreien, die auf der Highway allmählich in ihm aufgestiegen war.

Die Jungen sprangen jubelnd aus dem Wagen, als der Ford unter den Bäumen anhielt. Wo Wald wuchs, da fand man wohl auch Wasser. Fürs Äußerste aber hatten sich die Nordlandfahrer bereits auf der Farm mit einem Kanister Kochwasser versorgt.

Bernd und Peer Hefen unter den silbergrauen Stämmen der Douglastannen über den trockenen, knisternden Waldboden hin. Sie fanden eine sanfte Mulde, und darin dunkelte ihnen ein Quell mit fast schwarz abfließendem Wasser entgegen.

Im übrigen hatten sich die Breuers für das Zelten gut vorbereitet. Die Jungen hatten oft genug Camping geübt. Im Handumdrehen war das Familienzelt neben dem Ford aufgestellt. Bernd stach mit einem griffesten Spaten auch eine Feuerstelle aus. Peer trug indessen abgefallenes Dürrholz für das Lagerfeuer zusammen.

Mutter Breuer überwand ihre eher noch zunehmende Ablehnung des verrückten Nordwald-Planes. Sie holte Proviant aus dem Wagen und rührte eine dicke Erbsensuppe an. Dazu gab es Ei und Milch aus der Dose.

Bill Breuer aber blieb noch im Wagen sitzen, hatte das Licht angeschaltet und verglich den Kilometerzähler mit der Karte. „Bisher hat alles geklappt, Barby!“ rief er froh hinaus. „Wenn es keine Panne gibt, sitzen wir morgen abend bei Wilkinson in Pikford!“

Bald standen die Sterne flimmernd am kanadischen Himmel. Unter den Douglastannen zog ein kühlerer Wind hindurch, und die Nacht breitete sich unendlich friedvoll über die Nordlandfahrer. Auf der Highway dröhnten noch immer die mächtigen Überland-Laster. Das ferne Wummern begleitete die Ruhenden in Schlaf und Traum. Aus dem warmen erdbraunen Zelt flogen ihre Wünsche und Träume schon weit nach Norden – nach Norden...

Am nächsten Morgen hustete der brave Ford eine Weile, bevor sich der Motor wieder in einem gleichmäßigen Dröhnen zurechtfand. Die frühe Luft war sehr kühl. Die vier Treeker wärmten sich dankbar an einem heißen Morgentee.

„Willst du nicht auch gleich das Mittagessen kochen, Barb?“ fragte der Mann. „Wer weiß, ob wir wieder einen so günstigen Lagerplatz finden.“

So ließ Bill noch einmal den Motor einschlafen, und die Frau buk auf der heißen Platte über der Feuergrube mürbe Fladen. Dann wurde die Pfanne noch warm in den Wagen gepackt und der letzte Rest des Feuers ausgetreten und mit Erde zugedeckt. Die Mounted Police, die auch die Umgebung der Highway kontrollierte, achtete verteufelt streng darauf, daß sich kein unbedeutendes Lagerfeuerchen zu einem verheerenden Prärieoder Waldbrand entwickelte.

Die Highway nahm die Reisenden wieder auf. Meile um Meile rollten die Räder gegen Nordwesten. Die zwei Jungen im Fond des Wagens sangen alle Lieder, die sie kannten. Auch der Vater summte mit. Wenn ein Lied von der fernen Heimat in Europa erklang, das er die Söhne gelehrt hatte, obwohl diese das Land ihrer Vorväter wohl kaum jemals sehen würden, dann spürte er immer noch ein Ziehen in der Herzgegend. Die halbe Welt lernen die Jungen kennen, dachte er, aber was Heimat ist, können sie nicht verstehen! Er verschwieg solche Gedanken; vielleicht gehörten sie nicht mehr in diese neue Zeit.

Nach mehreren Stunden hielt Bill den Wagen für eine Weile an und lief sich die Beine locker. Er kannte die Gefahr tagelanger Fahrten auf schnurgeraden, endlosen Straßen. Unversehens konnte man mit offenen Augen ins Träumen kommen und einschlafen; und mancher Highway-Reisende war schon an einem Meilenstein gelandet oder über die Böschung hinabgerollt.

„Hast du die Meilensteine gezählt?“ fragte Bernd später einmal seinen Bruder.

„Gezählt?“ lachte Peer. „Sieh doch hinaus; die Nummern sind ja angeschrieben!“

Eben kam ihnen am Straßenrand ein neuer Meilenstein entgegen. Bei dem gleichmäßigen Dahinfahren schien es, als ruhe der Wagen und die Welt ringsum sei ins Gleiten gekommen.

„Einhundertachtundvierzig Meilen!“ rief Peer schnell.

Der Fahrer wandte sich den Jungen zu. „Auf Meile einhundertzweiundfünfzig liegt Pikford an der Highway!“

Jetzt spähten vier Augenpaare unverwandt nach vorne. Sie sahen nur weite Prärie, da und dort beginnenden Wald, aber kein Anzeichen, das die Nähe einer Stadt angekündigt hätte.

Als sie die ,Stadt‘ endlich entdeckten, fuhren sie auch schon an den ersten niedrigen Holzhäusern vorüber. Die Siedlung Pikford hatte man mitten im Buschland erbaut. Zwischen den Häusern War hoher Wald stehengeblieben. Das schwächte die Wucht der verheerenden Blizzards im Winter ab. Und außerdem gab es hier übergenug Land für jeden, der sich auf die Dauer in dieser nördlichsten ,Stadt‘ von Saskatchewan niederlassen wollte.

Bill Breuer schaute nach dem Sägewerk Wilkinson aus. Hohe Gebläse-Silos und Berge von Holzstapeln wiesen ihm den Weg. Bernd entdeckte es zuerst. „Dort hinter dem hohen Tannenwald ist Holz gelagert!“ rief er. Sein Vater lenkte den Wagen von der Hauptstraße ab, denn die Highway hatten sie schon vor der Stadt verlassen. Am Ende einer tief zerwühlten Fabrikzufahrt hielt er vor einem endlos erscheinenden Holzgebäude an. Bill fragte sich nach dem Büro der Firma durch und betrat es mit kaum unterdrückbarer Erregung.

„Bill Breuer“, stellte er sich vor. „Ich schloß mit Ihnen einen Kontrakt als Holzfäller.“

Ein riesiger, schon grauhaariger Mann erhob sich von seinem Stuhl und trat ihm entgegen.

„Hallo, Mr. Breuer, Sie haben also Wort gehalten!“ Er schüttelte Bill kräftig die Hand. „Mancher überlegt es sich nämlich im letzten Augenblick wieder anders. Unsere jungen Leute haben keinen Pioniergeist mehr in den Knochen!“

Er betrachtete sein Gegenüber prüfend von oben bis unten.

„Aber Sie werden es sicher schaffen. Das Motorboot mit Treibstoff und Werkzeug liegt schon bereit Wenn Sie sich morgen für Ihre persönlichen Bedürfnisse ein gedeckt haben, können Sie sofort mit Jan Christenson losfahren. Nördlich von Pikford gibt es nämlich keine Drugstores mehr.“\

„Es fährt noch jemand mit?“ fragte Bill und setzte nicht ohne Stolz hinzu: „Ich möchte meinen Ford benutzen, solange es noch eine Straße gibt.“

„Ihren Ford?“ Mr. Wilkinson stutzte. Dann aber lachte er schallend los. „Hinter Pikford enden alle Straßen! Von hier aus bleibt nur noch das Wasser als Reiseweg.“ Nun war die Reihe an Bill, fragend dreinzuschauen. „Soweit ich es von der Karte abgelesen habe, fließt der Saskatchewan River nach Osten. Wir aber sollen doch nach Norden reisen!“

Wilkinson deutete durchs Fenster auf den breiten, fast unbewegten Strom, der jetzt zwischen den Bäumen aufblitzte.

„Jenseits des Flusses beginnt schon der Northwood, doch nördlich von Pikford versperren viele Sümpfe den Zugang. Wir schleichen uns deshalb zweihundert Meilen weit nordostwärts durch eine Hintertür in den Urwald. Nach der Fahrt den Fluß hinab muß sich das Motorboot über viele kleine Seen und natürliche Kanäle nordwärts bis an den Little Bear Lake schlängeln. Dort stehen die Edelkiefern, die Sie fallen werden.“

Bernd, der mitgekommen war, hatte aufmerksam zugehört. Das Ziel der großen Nordlandreise war also der ,Bärensee‘! Er prägte sich diesen Namen gut ein, damit er später den See auf der Karte suchen konnte.

Der mächtige Boß der Firma Wilkinson & Sons fuhr fort: „Sie bekommen für Ihre Arbeit das neueste Modell unserer Einmannsägen. Es ist ein praktisches Gerät mit leicht tragbarem Motor und geringem Treibstoffverbrauch. Sie sägen damit jeden Baum bis zu einem Meter Stärke um – noch dickere gibt es dort oben nicht mehr. Außerdem werden alte Kiefern schnell im Kern krank und hohl.“

Bill Breuer interessierte sich genauestens für sein Arbeitsgerät. „Kann ich in Pikford noch die Säge gründlich ausprobieren? Sicherlich muß ich auch Ersatzteile mitnehmen.“

Der Boß nickte immer zufriedener. „Sie nehmen die Sache ernst; das ist mir sehr heb. Natürlich mache ich Sie gleich mit dem Gerät bekannt. Im Northwood oben stehen Sie allein und müssen sich selber helfen können.“

Bill Breuer fand es nun an der Zeit, von seinen Reisebegleitern zu berichten. „Ich werde nicht ganz allein sein. Meine Frau und meine Söhne begleiten mich.“

Der Mann, der Bill fast um Haupteslänge überragte, zog die Brauen hoch, „Was, die ganze Familie kommt mit? Na, dann sind Sie wenigstens vor dem Einsamkeitskoller sicher. Allerdings ist ein Winter dort im Norden kein Kinderspiel. Ich kann Ihnen nur raten, sich genau an die Bauanleitung des Blockhauses zu halten. Schon viele Holzfäller haben dieses Blockhaus erprobt. Und nützen Sie besonders die Zeit vor den Schneestürmen ausgiebig zum Bäumefallen! Wir rechnen mit einem Einschlag von wenigstens tausend Kubikmetern Kiefernstämmen.“

Bill lächelte zuversichtlich. „In meiner alten Heimat arbeitete ich mehrere Jahre lang in den großen Wäldern. Solche Arbeit ist mir nicht fremd.“

Noch am selben Tag erhielt Bill Breuer eine Anzahlung auf den künftigen Akkordlohn, der nach den Kubikmetern des gefällten Holzes berechnet werden sollte. Er kaufte sich davon Konservennahrung, die er mit seiner Frau schon vor Antritt der Reise zusammengestellt und berechnet hatte. Es war kaum mit einer Rückkehr vor Ende April oder Anfang Mai zu rechnen, bevor nicht das Eis der Seen und Kanäle aufbrach. Jetzt aber hatte der September gerade begonnen. Man mußte also mit acht Monaten Fernbleiben im Norden rechnen.

Aber auch Haushaltsgegenstände durften nicht vergessen werden. Zuletzt gab es eine ganze Liste von allem, was für die langen Wintermonate in die Einsamkeit des Nordwalds mitgeführt werden mußte: Mehl, Kaffee, Zucker, Salz, Dörrobst, Speck, Reis, Bohnen, Käse, Trockenmilch, Hefe, Backpulver, Seife, Streichhölzer, Kerzen.