Blut ist schon eine merkwürdige Sache. Es ist unser Lebenselixier, nur ein paar Liter warme, klebrige Flüssigkeit, die uns zu dem macht, was wir sind. Es fließt, es pulsiert, es brodelt. Und doch ist es solch eine Sauerei, wenn es die sterbenden Körper verlässt.
Ich blicke blinzelnd an mir herab, spüre, wie das warme Blut mein Shirt durchtränkt und an meiner Haut klebt. Das ist alles so surreal. Bin das wirklich ich, die das Messer geführt hat? Ja, definitiv. Ich habe ihn getötet, ihm die Kehle durchgeschnitten, seinem Betteln und Röcheln gelauscht und ihm beim Sterben zugesehen.
Dabei kenne ich noch nicht einmal seinen Namen. Ist das überhaupt wichtig? Nun ist er tot und die weit aufgerissenen, leblosen Augen starren mich anklagend an.
Etwas in mir sackt zusammen, wie ein Stuhl, dem man plötzlich ein Bein wegtritt. Das Messer rutscht mir aus den glitschigen Fingern, ich greife eilig danach, aber es ist zu spät. Mit einem Plopp landet es in der Blutlache.
Na toll. Noch mehr Sauerei.
Ich bücke mich danach und fische es heraus, ohne den Toten aus den Augen zu lassen. Als könnte er aufspringen und mich angreifen.
Der springt nie wieder. Du hast ihn umgebracht, Kat.
Sein Anblick beunruhigt mich trotzdem. Ich wirble auf dem Absatz herum und schaue zum Himmel. »Okay!«, rufe ich. »Ich wäre dann so weit. Beam mich rauf, Scotty!« Diesen Witz findet er garantiert nicht lustig.
Abwartend neige ich den Kopf. Aber nichts rührt sich. »Ich meine es ernst!«, rufe ich in die Stille hinein und lecke mir nervös über die Lippen. Wir befinden uns in einer schäbigen Gasse, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis ihn jemand findet. Am besten sollte ich dann nicht mehr hier stehen.
»Ach, komm schon! Du willst doch nicht …« Der Rest des Satzes wird vom reißenden Wind verschluckt, der mir wild einige Strähnen ins Gesicht wirbelt. Zeitgleich protestiert mein Magen, denn an diese Reise durch Wind und Nebel werde ich mich niemals gewöhnen.
In exakt drei Sekunden werde ich mich übergeben.
3
2 …
Ein tiefer Atemzug, frische Luft in meiner Lunge. Ich keuche laut auf, erleichtert darüber, dass das flaue Gefühl langsam abebbt. Lauwarmes Wasser prasselt auf meinen Kopf.
Ich stehe in meiner eigenen Dusche, nackt. Rote Flüssigkeit fließt den Abfluss hinunter und verschwindet für immer. Nicht mein Blut. Das des Toten, dessen Namen ich nicht kenne.
Mein Auftraggeber hat mich nicht nur vom Mordschauplatz gebeamt, er hat mich nackt unter die Dusche gestellt. »Verdammter Stalker!«, rufe ich in die Stille meiner Wohnung. Ich weiß noch nicht einmal, ob er mir zuhört. Doch, sicher tut er das. Sonst führe ich andauernd Selbstgespräche und das wäre wirklich verrückt. Aber was ist schon verrückt?
Die Tatsache, dass ich mir – schon wieder – fremdes Blut von der Haut schrubbe oder aber, dass es Routine für mich geworden ist? In meinem Leben ist nichts mehr merkwürdig.
Nachdem ich mich einigermaßen sauber fühle, schaffe ich es, die Dusche wieder zu verlassen. Mit frischen Klamotten am Leib tapse ich in die Küche/Wohnzimmer/Esszimmer. Mein Apartment ist winzig.
Kraftlos lasse ich mich auf mein Sofa fallen und schließe die brennenden Lider. Manchmal vergesse ich, dass ich trotz allem noch ein Mensch bin.
Das Community College ist ein Sammelsurium merkwürdiger Leute. Wenn ausgerechnet ich das sage, heißt das schon was. Aber es ist auch meine einzige Chance, etwas aus meinem Leben zu machen. Zumindest so zu tun, als wäre ich halbwegs normal.
Denn zwischen all den Menschen wirke ich wie ein gewöhnliches Mädchen, das es nie weiter als bis hierher gebracht hat. Vielleicht, weil es nie für Tests gebüffelt und lieber Party gemacht hat, anstatt zur Schule zu gehen. Ironischerweise habe ich auch für meine nächste anstehende Klausur nicht gelernt.
Kurz blicke ich auf mein Handy und erstarre, als ich mehrere verpasste Anrufe von meinem Dad entdecke. Mein Vater ruft mich sonst nie an, außer zu Weihnachten, damit Mom mir ein Lied vorträllern kann. Kurz schwebt mein Daumen über dem Rückruf-Button, aber dann entdecke ich Alex, der um die Ecke biegt.
»Hey, Alex!« Ich lege einen Sprint hin, um meinen Mitstudenten auf dem Gang abzupassen. Er fährt herum und zieht missmutig die Brauen zusammen.
»Kat«, stellt er fest. Alex hat seinen Rucksack bis hoch zu den Schultern gezogen, wie immer sind seine Haare akkurat frisiert, sein Hemd frisch gebügelt. Er nimmt das Community College wirklich ernst.
»Hey.« Ich lächle breit zu ihm hoch. Er ist wahrlich ein Riese, aber ansonsten wirkt er eher schlaksig und unbeholfen. »Wollen wir uns gleich in Psychologie zusammensetzen?«
»Damit du von mir abschreiben kannst?«, fragt er schnaubend. Ich streiche mir die Haare zurück, um mit den Fingern die krausen Strähnen zu bändigen. Blut lässt sich wirklich schwer aus meiner Mähne herauswaschen.
»Nur ein bisschen«, versuche ich es. »Ich bin nicht zum Lernen gekommen, ich war beschäftigt.«
Alex weicht zurück. »Beschäftigt, das ganze Wochenende lang? Was verdammt tust du andauernd, bist du heimlich ein Callgirl?«
Gespielt anzüglich lecke ich mir über die Lippen und trete so dicht an ihn heran, dass meine Brüste fast seinen Bauch berühren. »Vielleicht könnte ich dir meine Dienste anbieten.«
Mein Witz geht ins Leere, Alex verzieht lediglich angewidert das Gesicht. Hallo? Angewidert? Nun gut, ungeschminkt und mit dicken Augenringen bin ich nicht direkt die Frau, für die man zweihundert Dollar pro Nacht ausgibt, aber kein Grund, so eine Grimasse zu ziehen. Ob er vielleicht auf der anderen Seite fischt?
Alex legt mir beide Hände auf die Schultern und drückt mich zurück. Überraschend kräftig, dafür, dass er so dürr ist. »Ich habe eine Freundin, also hör auf, mich anzumachen.«
Ich verdrehe die Augen. »Oh mein Gott, das war doch nur ein Witz, ich …«
Alex rückt in den Hintergrund, als eine dunkle Stimme meinen Namen flüstert. Lauter, immer lauter, bis sie alles andere verschluckt.
Kat. Kat! Kat.
Mal bestimmend, mal verführerisch wie eine Katze. Nein, nein, nein! Nicht jetzt, nicht schon wieder. Mit aller Macht kämpfe ich gegen das Gefühl und klammere mich an das Hier und Jetzt.
»Hey, was ist mit dir?«, dringt Alex’ misstrauische Stimme zu mir durch.
Panisch schnappe ich nach Luft, aber sie füllt meine Lunge nicht. Warm blickende braune Augen schieben sich in mein Blickfeld, die von Alex, die mich jetzt besorgt mustern, aber sie wandeln sich in ein glühendes Rot, sein Gesicht verschwimmt.
Es ist zu spät, ich kann es nicht mehr aufhalten. Mit aller Kraft reiße ich mich von Alex los und hechte wie blind durch die Gänge. Dass mein Handy zu Boden fällt, bemerke ich zwar noch, aber es kümmert mich nicht. Meine Glieder zittern unkontrolliert, ich stoße gegen einen Spind, ignoriere den Schmerz und renne weiter.
Schwer atmend stolpere ich in die Toilette und schließe mich in eine Kabine ein. Gerade noch rechtzeitig, bevor der tosende Wind mich umfängt und ich nach unten gebeamt werde.
Es dauert einige Herzschläge lang, bis ich wieder zu mir finde. Und einige mehr, bis mein Magen aufhört, sich zu drehen. Schade, ich hätte ihm nur zu gerne vor die Füße gekotzt.
Alistair steht einige Meter vor mir, die Arme lässig vor der Brust verschränkt. Seine rot leuchtenden Augen blicken auf mich herab.
Keuchend streiche ich meine Haare zurück. »Ich war mitten im College!«, rufe ich vorwurfsvoll aus. Mein Gegenüber zuckt ungerührt mit den Schultern. »Ist das mein Problem?«
Verärgert balle ich die Hände links und rechts neben meinem Körper, sage aber nichts mehr dazu. Er ist immer noch gefährlich, er kann mit einer Handbewegung mein Genick brechen, wenn er will. Auch wenn er nicht so aussieht.
Ehrlich, einen Dämon würde ich mir anders vorstellen. Groß, böse, vielleicht sogar ein bisschen heiß. Aber nicht wie einen versoffenen Highschool-Lehrer, der seinen Schülerinnen nachstellt. Aber Alistair kann auch anders. Wenn er wütend wird, ziehen sich die Schatten um ihn herum zusammen und das Rot verdüstert sich. Gerade ist nichts davon zu sehen, er wirkt fast schon unbekümmert.
»Was willst du?«, frage ich dann direkt und schabe mit den Füßen auf dem dreckigen Linoleum. Die Hölle ist ein ätzender Ort, aber vielleicht zeigt Alistair mir nur jedes Mal die schlimmsten Ecken.
Heute stehen wir in einem alten Café. Die quietschgelben Stühle sind kaputt, das Leder zerfetzt. An der Theke prangen vertrocknete Blutflecken, durch die zerbrochenen Fenster pfeift der Wind. Draußen herrscht stockfinstere Nacht, hier drin flackern die Lampen immer wieder. Der Geruch von Tod und Verwesung brennt in meiner Nase.
»Du musst etwas für mich erledigen«, antwortet der Dämon endlich. Schon wieder? Der letzte Auftrag war erst gestern. Aber ich spreche die Worte nicht aus, denn ich habe ohnehin keine andere Wahl. Wenn Alistair ruft, habe ich zu folgen.
»Wer ist es diesmal?«, will ich lediglich wissen und setze wieder meine unbewegliche Maske auf. Die Maske, die ich in den letzten Jahren perfektioniert habe. Taff, unverwundbar, steif. Bloß nichts anmerken lassen, bloß keine Schwäche zeigen.
»Ein junger Mann aus Arizona.« Ein Bild schießt durch mein Hirn. Stechend blaue Augen, harte Gesichtszüge, eine etwas krumme Nase, die wohl schon einmal gebrochen war. Braune, verwuschelte Haare, die ihm halb in die Augen hängen. Wahrscheinlich ist er um die zwanzig Jahre, in meinem Alter. Ich musste schon deutlich Jüngere killen.
Denk an deine Maske, Kat.
Ich nicke und verziehe schmerzhaft das Gesicht, als das Bild des Mannes verschwindet, das Alistair mir geschickt hat.
»Irgendwelche bestimmten Vorgaben?«, hake ich professionell nach.
»Ich brauche ihn nicht tot, du sollst ihn lediglich zu mir bringen.«
Das ist neu. Überraschung huscht über meine Züge. »Warum?«, rutscht es mir heraus, doch ich korrigiere mich sofort. »Wie soll ich das anstellen?«
»Du musst ihn zuerst finden, seit Arizona habe ich seine Spur verloren. Er trägt ein Tattoo auf der linken Brust, das zur Abwehr dient. Durchbrich dessen Zauber, indem du ein X mithilfe eines Silberdolches durch die Tinte ritzt. Halte ihn dann gut fest. Die Wirkung seines Bannes lässt nur kurzzeitig nach, aber es sollte reichen, damit ich euch gemeinsam herunterholen kann. Das war’s.«
Unbewegt starre ich ihn an und spiele die Szene vor meinem inneren Auge ab. Das dürfte machbar sein. »Na schön«, sage ich schließlich und mache einen Schritt auf ihn zu. Er schnippt mit den Fingern und hält als Nächstes eine Halbliterflasche in der Hand. Sie ist randvoll gefüllt mit einer dunkelroten Flüssigkeit.
Ich hebe eine Braue. »Das ist mehr als üblich.«
Alistair wirft sie mir zu, ich fange. »Dein Gegner ist stark und clever. Du wirst es brauchen.«
Das Blut schwappt hin und her, als ich die Flasche etwas anhebe. Der erste Schluck ist immer der schlimmste, danach geht es runter wie Wasser. Aber es kostet mich jedes Mal Überwindung, den Deckel aufzuschrauben und die Flasche an die Lippen zu setzen. Dämonenblut riecht anders als menschliches. Metallisch, aber auch leicht süßlich.
Ich kneife die Augen fest zusammen und kippe es hinunter. Zweimal muss ich unterbrechen und Luft schnappen, aber dann ist es vorbei. Keuchend werfe ich die leere Flasche beiseite und spüre, wie das Dämonenblut meinen Organismus erobert. Stärke und Macht durchströmt mich, beflügelt mich. Es fühlt sich gut an und gleichzeitig unglaublich falsch.
»Die Ration reicht für zwei Tage. Bis dahin muss der Auftrag abgeschlossen sein.«
Nickend wische ich mir mit dem Handrücken über den Mund. Es ist so einfach, wenn man sein Schicksal einmal akzeptiert hat und sich nicht mehr wehrt. Wenn nicht jede Faser meines Körpers rebelliert, sondern es hinnimmt.
»Also direkt nach Arizona?« Ein seltenes Lächeln huscht über Alistairs Lippen, aber selbst das erreicht seine Augen nicht. Erneut schnippt er mit den Fingern und hüllt mich in ein neues Outfit. Statt der Jeans und dem Band-Shirt stecke ich nun in einem luftigen Sommerkleid. Weiß wie die Unschuld mit einem dünnen Gürtel um die Taille. Um meinen rechten Oberschenkel liegt ein Lederband, an dem der Silberdolch befestigt ist.
»Dein Modegeschmack ist furchtbar«, kommentiere ich trocken, aber wie üblich geht Alistair nicht darauf ein.
»Sein Name ist Hunter Davenport. Versaue es nicht, Kat.«
Wind umtost mich, schäumt auf wie Wellen gegen ein Riff. Als Nächstes finde mich auf einer öffentlichen Toilette in Arizona wieder.