Peinkofer, Michael Verlorener Thron – Die Legenden von Astray 4

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Dramatis Personae

(in alphabetischer Reihenfolge)

 

Ægir Synkorol Dwarg, Leibwächter des Königs von Archos

Bray eine junge Diebin

Doryon von Tamay General der Armee von Archos

Ebbo Grauling in Hobheim

Elayan von Archos König des Inselreichs der Astari

Elyvara eine Heilerin

Formac Dandar Grundherr aus Bessos

Glauco Söldner aus Achaya

Gorath-Syn Großexekutor, Vorsitzender des Oktogons

Hilalayan einstiger Hofmarschall von Altashar

Jadissa Großexekutorin von Westland

Jenya Kriegerin der Astari

Kira einstige Dienerin von Nyasha pan Tyras

Kynrik Schwertkämpfer und einstiger Paladin

Kyrodan von Antara Fürst der Astari

Lorymar Thinkling ein Halbling

Noryon von Inan Fürst der Astari

Nawyd pan Tyras Prinz von Altashar

Nyasha pan Tyras seine Schwester, Prinzessin von Altashar

Ramiron Söldner aus Burgos

Salacar-Syn Großexekutor von Morwa

Sardar von Valos Fürst der Astari

Shayak Krieger der Drak

Tarak-Syn Mitglied des Oktogons

Tamyas Zeremonienmeister am Hof von Archos

Urus Morien Vertreter von Claymor

Vascon Vertreter Aquilias

Veysi General ohne Armee

Worfeck genannt Baumblatt, ein Urok

Xavar-Syn Großexekutor, Mitglied des Oktogons

Xusra Regent von Altashar

Ylas von Nacaya Hauptmann der Astari

Yone von Silea Fürstin der Astari

Zarindar Hohepriester des Feuerkults

Zitate

Dinge geschahen und Dinge änderten sich. Zahllose Steine, achtlos in den Fluss der Zeit geworfen, versanken ohne Widerhall. Andere jedoch zogen Kreise, weit und immer weiter. Und als schließlich die Zeit kam, da wieder zusammenfinden sollten die Sieben, die Astray einst bewahrt hatten vor der Willkür des Kaisers und zerstört seine Metropole Myracor, auf dass sie in den Tiefen der Welt versank, sollte sich nicht nur ihr Schicksal erfüllen, sondern das von ganz Astray.

Aus der Chronik der Sieben,

Siebter und abschließender Band

 

Der Halbling sah, wo er ging, des Abgrunds Spalt. Abgrund ist alles ihm, Tat, Traum, Verlangen; Wie oft hob sich sein Haar in starrem Bangen, durchschauerte ihn Grauen eisig kalt!

Er fürchtet sich vorm Schlaf, dem schwarzen Tor, das Unheil birgt, wenn man den Weg verlor: Die Ewigkeit blickt starr durch alle Scheiben.

Sein Geist, hintaumelnd an des Wahnsinns Sumpf, beneidet, was da fühllos, kalt und stumpf. Ach! Wie gern würd’ er in Westland bleiben!

Gedichtfragment,

Autor (beinahe) unbekannt

Prolog

Hügelland von Bessos
In der Nacht der Katastrophe

Der Himmel hatte die Schleusen geöffnet.

Seit Tagen hatten sich immer noch mehr und noch dunklere Wolken über Astray zusammengezogen, von der Bucht von Zagora bis hinauf nach Myracor, sodass es ausgesehen hatte, als würde das Kernland des Reiches unter Schwärze begraben. Nun endlich entlud sich die dräuende Macht der Wolken in einem Unwetter, wie Xusra es noch nie erlebt hatte.

In wahren Sturzbächen ergoss sich Wasser über das Land, ließ Seen und Flüsse anschwellen und verwandelte Äcker in feuchten Morast. Zum ersten Mal in den sieben Sommern, die er nun schon als Ziegenhirte arbeitete, war er dankbar dafür, seine Herde bis tief hinein ins Hügelland treiben zu müssen. Denn nun, da die Fluten über das Land hereinbrachen, boten die Hügel, die sich am Fuß der steil aufragenden Berge erhoben, zumindest ein wenig Schutz.

Wo seine Herde war, wusste Xusra nicht.

Anfangs hatte er noch versucht, sie beisammenzuhalten, Blitz und Donner zum Trotz. Doch die Panik der Tiere hatte sich ins Unermessliche gesteigert, und auch er selbst hatte schließlich den Mut verloren. Sich vor den herabstürzenden Wassermassen rettend, hatte er sich in eine der Höhlen geflüchtet, von denen es in dieser Gegend so viele gab – dort saß er nun, durchnässt und am ganzen mageren Körper zitternd, und das nicht nur vor Kälte.

Xusra hatte Angst.

Nie zuvor hatte er ein Gewitter wie dieses erlebt. Jeder einzelne Donnerschlag, der durch die Nacht hallte, schien die Welt in ihren Grundfesten zu erschüttern. Und gingen die Blitze, die aus dem Himmel zuckten, grell und leuchtend wie Pfeile aus Licht, nicht alle über derselben Gegend nieder? Dort im Nordwesten, wo jenseits der Hügel die Stadt Myracor lag, die Wunderbare, Sitz des Kaisers und Metropole des Reiches, Nabel der Welt …

Dieses Gewitter war anders, davon war Xusra überzeugt. Hinter dem Höhleneingang kauernd, den durchnässten Umhang eng um die Schultern gezogen, starrte er hinaus in die im Regen versunkene Nacht. Im Rauschen glaubte er, ein panisches Meckern zu hören, den verschreckten Laut einer Ziege. Ihm war klar, dass es seine Pflicht gewesen wäre, hinauszugehen und nach dem Rechten zu sehen, aber er tat es nicht. Nichts und niemand konnte ihn dazu bewegen, in dieses Unwetter zurückzukehren und in die sturmgepeitschte Nacht. Die Tiere, die zu bewachen seine Aufgabe war, waren ihm herzlich gleichgültig geworden, ihr Schicksal scherte ihn nicht. Und noch nicht einmal die Aussicht auf die Strafe, die sein gestrenger Herr Fromoc Dandar ihm angedeihen lassen würde, konnte daran etwas ändern.

Morgen, wenn das Unwetter vorüber und es wieder hell wäre, würde er nach den Tieren suchen und sie wieder einsammeln. Abzüglich derer, die dann in Felsspalten verendet oder von den Wölfen gerissen worden waren, die am Gebirgsrand ihr Unwesen trieben. Fünf Hiebe pro verlorenem Tier, so lautete die Regel. Aber lieber wollte Xusra den Stock ertragen, als noch einmal sein Glück mit Blitz und Donner versuchen.

Wieder ging ein Bündel gezackter Blitze über der alten Hauptstadt nieder, Xusra konnte das Wetterleuchten jenseits der Hügel sehen. Dann wieder Donner, laut und furchtbar, der von den Hängen des Gebirges widerhallte.

Er hielt sich die Ohren zu, aber der Lärm war so laut, dass er sich nicht einfach aussperren ließ. Der Ziegenhirt begann, lauthals Lieder zu singen, so wie er es als Junge getan hatte, um sich Mut zu machen.

Aber es half nichts.

Zum einen ließ der mächtige Donner seine heisere Stimme zu einem Wispern verblassen. Zum anderen wurde seine Angst immer noch größer, die Furcht davor, dass dieser Sturm niemals enden und diese Nacht niemals wieder das Licht des Tages sehen würde.

Er rief sich zur Ordnung, sagte sich, dass dies völlig unmöglich war, doch aus dem Urgrund seines Bewusstseins krochen jetzt all die Nachtmahre und Schreckgestalten empor, von denen sich die Hirten von Bessos gerne am Feuer erzählten – Dämonen aus alter Zeit, die in dunklen Nächten aus der Tiefe stiegen und die Seelen jener raubten, die allein und ohne Schutz waren, in sturmgepeitschten Nächten wie dieser.

Xusras Furcht steigerte sich in Panik, und als es erneut krachte und flackerndes Licht die Nacht zum Tag werden ließ, warf er sich schreiend auf den Boden.

War dies der Tag, vor dem die Prediger in den Dörfern warnten? Die Stunde, da das Schicksal Tribut fordern würde? Da es Astray dafür strafen würde, dass sein Kaiser Malfortas der Gier nach Reichtum und Macht verfallen war und seine Blutlegionen auf immer neue Raubzüge schickte?

Xusra hatte den Predigern nie zugehört, hatte ihr Gerede für sinnloses Gewäsch gehalten – denn was konnten jene, die wie er ein karges Leben fristeten und gerade das Nötigste zum Leben hatten, schon gegen die Ränke der Mächtigen ausrichten?

Doch was, wenn sie recht gehabt hatten?

Was, wenn dies die Stunde der Abrechnung war?

Wieder ein Blitz, doch diesmal kam er nicht aus dem Himmel. Im Gegenteil schien von einem Augenblick zum anderen der gesamte Horizont im Norden und Westen darin eingetaucht zu sein. Für einen Moment waren noch die Umrisse der Hügel gegen das gleißende Weiß zu erkennen, dann wurde es so hell, dass Xusra die Augen schirmen musste. Entsetzt vergrub er sein Gesicht am Boden und spürte, wie die Erde unter ihm erbebte – was er nicht sah, war der unwirkliche Lichtschein, der durch den offenen Höhleneingang fiel und ihn für einen Moment von Kopf bis Fuß einhüllte. Im nächsten Moment hatte es den Anschein, als würde die Welt zerbersten.

Ein gewaltiger Schlag erfolgte, gefolgt von einem grässlichen Rumoren, das aus tiefster Tiefe zu dringen schien, ein Gären und Brodeln, so als wäre das Land ein lebender Organismus, ein gewaltiger Magen, der sich unter heftigen Schmerzen aufblähte, um sich jäh zu entladen.

Xusra lag am Boden, zitternd und den Blick verbergend. Er hörte das Knacken der Felsen über sich, aber er war nicht in der Lage, aufzuspringen und die Höhle zu verlassen, denn das hätte bedeutet, hinauszulaufen in die schreckliche Nacht, in die Welt, die unterging.

Fels brach und ging nieder, und noch ehe Xusra begriff, wie ihm geschah, regneten Gesteinsbrocken auf ihn herab und begruben ihn unter sich.

Dann wurde es dunkel.

Erstes Buch

Das Heer der Schatten

1

Hobheim, Westland
38 Jahre später

Ebbo Grauling war stehen geblieben.

Diesen Teil seiner Runde mochte er nicht, besonders in Nächten wie dieser. Wenn der Nebel lautlos aus den Senken kroch und alles einzuhüllen begann – die windschiefen Häuser und verwinkelten Gassen von Hobheim ebenso sehr wie Ebbo Graulings alte Knochen.

Mit einer halblauten Verwünschung stellte er die Laterne mit dem Talglicht ab und lehnte seine Hellebarde an die nächste Hauswand. Dann griff er in den Beutel an seinem Gürtel und holte Pfeife, Tabak und Stopfzeug hervor. Der süßliche, vertraute Duft des getrockneten Krauts tröstete ihn ein wenig, trotz der langen Wachschicht, die noch vor ihm lag.

Seufzend stopfte er sich die Pfeife, die noch von seinem Urgroßvater stammte, der vor fast dreihundert Jahren in der Schlacht am Alten Wall gekämpft hatte und dort gefallen war, ein für einen Halbling eher ungewöhnliches Ende. Normalerweise pflegten die Bewohner des Westlands sich nämlich aus den Belangen der großen Welt so ziemlich herauszuhalten. Bei den Kriegern des Eislands mochte es zum guten Ton gehören, in blutigem Kampf und mit dem Schwert in der Hand zu sterben – aber sie waren ja schließlich auch Menschen. Ein Halbling hingegen tat seinen letzten Atemzug wenn überhaupt dann erst nach einem sehr langen Leben in einem warmen Bett. Kein Wunder also, dass man dem alten Enurch Grauling ein Denkmal aus Stein gesetzt hatte, das bis zum heutigen Tag jeden begrüßte, der sich dem Friedhof von Hobheim näherte – und das im Augenblick auch auf Ebbo herabsah.

Unter den steinernen Blicken des Großvaters ließ dessen Urenkel das Stopfzeug und den restlichen Tabak wieder im Beutel verschwinden. Dann griff er nach der Laterne, öffnete sie und hielt sie so, dass er sich die Pfeife an der Flamme anstecken konnte. Schmatzend sog er daran, bis die Glut den Tabak erfasst hatte, dann nickte er zufrieden und paffte einen blauen Rauchkringel in die neblige, mondlose Nacht. So, sagte er sich, würde es wenigstens einigermaßen auszuhalten sein.

Er nahm die Hellebarde wieder auf, und indem er sie schulterte, setzte er seinen Weg fort und betrat unter den strengen Augen seines Ahnen den Friedhof. Schon unzählige Male hatte Ebbo mit dem Lordkanzler darüber gesprochen, dass der nächtliche Rundgang über den Friedhof unsinnig war – für Diebe gab es dort schließlich nichts zu holen, und es stand auch nicht zu befürchten, dass jemand von dort entfloh. Aber Latimer Thinkling, der das Amt des Lordkanzlers von seinem Vater geerbt hatte, war ein großer Bewahrer von Traditionen, und als solcher bestand er darauf, dass der nächtliche Rundgang auf die überlieferte Weise durchgeführt wurde.

Vorbei an Grabsteinen, die ebenso windschief waren wie die Häuser der Stadt, jedoch mit großer Sorgfalt behauen, ging Ebbo den Hauptweg hinab. Der Lichtschein der Laterne riss Inschriften aus dem Dunkel, in Stein gemeißelte Namen und Widmungen, die auftauchten und wieder vergingen wie das Leben selbst. Die Bäume, von denen viele um diese Jahreszeit noch kein Laub trugen, warfen lange Schatten, und nicht wenige davon nahmen in Ebbo Graulings Fantasie ein schauriges Eigenleben an. Hier ein Ast, der wie eine Klaue wirkte. Dort eine dunkle Gestalt, die sich über dem Grabstein erhob …

Je älter Ebbo wurde, desto unheimlicher waren die Dinge, die er sah. Oder vielleicht, sagte er sich, war es gar keine Frage der Jahre, sondern der Ereignisse, die sich erst unlängst in Westland abgespielt hatten.

Nicht nur, dass der Orden der Exekutoren in Hobheim Fuß gefasst und einen seiner Schwarzen Türme errichtet hatte – völlig unerwartet war auch Lorymar Thinkling, der von vielen tot geglaubte Bruder des Lordkanzlers Latimer, wieder zurückgekehrt. Und wie es bei jemandem, der lange Zeit in der Menschenwelt gelebt hatte, nicht anders zu erwarten gewesen war, hatte der Ärger an ihm geklebt wie der Dung am Hintern einer Kuh. Ein Morwolf war kurz darauf aufgetaucht und hatte nicht nur den amtierenden Exekutor Thero Borkling getötet, sondern darüber hinaus auch wie ein Berserker unter den Bewohnern Hobheims gewütet.[1]

Zwar war es gelungen, die Bestie aus dem Morwald zu töten, und Lorymar Thinkling hatte Hobheim wieder verlassen, ebenso wie die geheimnisvolle Ostragierin, die ihn begleitete und von der es hieß, dass sie eine waschechte Prinzessin gewesen sei. Doch das änderte nichts daran, dass all diese Ereignisse höchst beunruhigend gewesen waren und Ängste geschürt hatten, nicht nur bei Ebbo Grauling, sondern auch bei allen seinen Freunden und Bekannten. Kein Abend war seither vergangen, an dem in den zahlreichen Tavernen der Stadt nicht über die jüngsten Ereignisse gesprochen wurde.

Und es machten Gerüchte die Runde …

Von unheimlichen Schreien, die einige des Nachts gehört haben wollten. Von dunklen Gestalten, die bei Dunkelheit durch die Gassen schlichen. Und von …

Ebbo stieß einen heiseren Laut aus.

Das Herz wollte ihm vor Schreck fast stehen bleiben, als er das Etwas sah, das sich ihm in den Weg stellte, hünenhaft groß und mit ausgebreiteten Armen!

Schon einen Herzschlag später schalt er sich einen Narren – es war nur die abgestorbene alte Eiche, die in der Mitte des Friedhofs stand.

Ebbo paffte einige Wölkchen, während er sich einen elenden Narren schalt – hatte er trotz seiner achtundneunzig Jahre denn noch gar nichts gelernt? Genügte jetzt schon ein alter Baum, um ihn zu erschrecken?

Kopfschüttelnd ging er weiter. Die Hälfte der Runde lag bereits hinter ihm, nur noch an den Gräbern der Fremden vorbei und dann rasch zum Ausgang.

Diesen Teil des Friedhofs mochte er am wenigsten. Dort lagen keine Halblinge begraben, sondern Menschen – Leute aus Vangart, Waywart oder anderen, noch ferneren Orten. Nicht nur, dass diese Menschen ihren Fuß ungebeten nach Westland gesetzt hatten. Sie hatten auch noch die Dreistigkeit besessen, hier zu versterben. Und da die Tradition es verlangte, dass die Körper Verstorbener auch dann geehrt wurden, wenn sie so unhöflichen wie groben Menschen gehört hatten, waren sie auf diesem Teil des Friedhofs beigesetzt. Den »Fremdseelenacker« nannten die Leute von Hobheim ihn, und manche behaupteten, dass jene fremden Seelen niemals wirklich Ruhe fänden und dazu verurteilt wären, körperlos umherzugeistern …

Plötzlich ein Knacken.

Ebbo blieb stehen.

Sein erster Gedanke war, dass er auf einen Ast getreten sei, doch unter seinen Füßen war nur Kies.

Wieder ein Geräusch, ein Rascheln diesmal.

»Ha-hallo?«, fragte Ebbo Grauling heiser in die Stille, um sich gleich darauf selbst zu ermahnen, wer er war und welches Amt er doch schließlich bekleidete. »Wer ist da?«, fragte er und gab sich Mühe, seine Stimme dabei tiefer klingen zu lassen, als sie es eigentlich war. »Hier spricht Ebbo Grauling, Nachtwächter seiner Lordschaft des Kanzlers!«

Die Hellebarde halb gesenkt, wartete er ab, aber nichts geschah. Mit der Laterne leuchtete er hierhin und dorthin, doch weder konnte er etwas Verdächtiges entdecken noch wiederholten sich die Geräusche.

Schließlich kam er zu der Erkenntnis, dass er sich getäuscht haben musste. Die Hellebarde wieder über der Schulter, die Laterne in der Hand und die Pfeife zwischen den Zähnen nahm er seine Runde wieder auf. Sein Herz pochte noch immer, als er den Pfad zu den fremden Seelen einschlug und der Lichtschein der Laterne die Grabsteine und die Inschriften darauf erfasste.

Ebbo schauderte.

Wie immer, wenn er diesen Weg ging, hatte er das Gefühl, dass ein eisig kalter Wind ihn streifte. Seine Nackenhaare sträubten sich, und er begann zu frösteln. Unwillkürlich beschleunigte er seinen Schritt und war erleichtert, als das letzte Grab in Sichtweite kam.

Es war erst unlängst ausgehoben worden.

Eine Menschenfrau namens Kira, die Dienerin der angeblichen Prinzessin, war dem Morwolf zum Opfer gefallen und hatte hier ihre letzte Ruhestätte gefunden.

Jammerschade, dachte Ebbo. Für eine Menschenfrau war das Mädel verdammt hübsch gew…

Er erstarrte, als der Lichtschein der Laterne das Grab der Ostragierin erfasste. Ebbos Gesicht wurde schlagartig glühend heiß, die Pfeife fiel ihm aus dem offenen Mund.

Denn dort, wo spärlich sprießendes Gras hätte sein sollen, war das Erdreich aufgeworfen, und eine dunkle Öffnung klaffte und starrte dem Nachtwächter voller Hohn entgegen.

Was immer in diesem Grab gelegen hatte – es war verschwunden.

2

Festung Vanheim
Ein halbes Jahr später

Vanheim befand sich in der Hand des Feindes.

Nicht etwa desjenigen Feindes, der auf der anderen Seite des Bruchs lauerte und dessentwegen diese Grenzfestung einst besetzt worden war; sondern wegen einer neuen, anderen Bedrohung, die den Tiefen der Welt entstiegen war.

Veysi wusste darum.

Als General der ostragischen Armee war er einst Befehlshaber der mächtigen Garnison von Makashar gewesen und hatte als solcher auch den Oberbefehl über die Grenzfeste Vanheim innegehabt. Mit ihrem Verlust hatte alles angefangen, doch wie so viele andere hatte auch Veysi die Zeichen der Zeit falsch gedeutet. Das war ihm zum Verhängnis geworden.

Dass er noch vor nicht allzu langer Zeit ein mächtiger Mann mit einer vielversprechenden Karriere gewesen war, kam ihm im Nachhinein wie bitterer Hohn vor. Stets hatte er seine Pflichten treu und vorbildlich ausgeführt und loyal zum Königshaus gestanden, in der Hoffnung, nach dem siegreichen Ende des Krieges gegen Westrien nach Altashar an den Königshof berufen und mit einem Posten als Minister oder königlicher Berater belohnt zu werden.

Doch zwei Dinge waren ihm inzwischen nur zu klar geworden, nämlich dass dieser Krieg niemals enden würde und ein Sieg in unerreichbare Ferne gerückt war. Denn jener neue Feind war ebenso erbarmungslos wie furchterregend, und jeder Widerstand gegen ihn war zwecklos.

Von einer hohen Tanne aus, auf die er, der einstmals so mächtige General, sich in seiner Not geflüchtet hatte, beobachtete er die Festung, die über einem gewaltigen Felsenkessel thronte. Unterhalb der trutzigen Mauern und Zinnen ergoss sich tosend der Vanfall in die Tiefe und verschleierte den dunklen Abgrund mit Nebel und Dunst. Doch selbst über das Rauschen der Wassermassen hinweg waren die grässlichen Schreie zu hören, die über der Festung Vanheim lagen. Und endlos war die Kolonne der Krieger, die sich von Südosten kommend dem Felsenrund näherten.

An den Anblick der hinkenden, torkelnden und stürzenden Leiber, die teils mit teeriger Masse überzogen waren, deren Röcke und Rüstung aber noch die Zugehörigkeit zu seiner alten Armee erkennen ließen, würde Veysi sich nie gewöhnen. Er hatte eine Weile gebraucht, um zu begreifen, dass jene schwarze Substanz der eigentliche Feind war, denn sie war nicht nur in der Lage, beseelte Kreaturen zu willenlosen Dienern zu machen, sondern auch dazu, die Gefallenen bereits geschlagener Schlachten mit widernatürlichem Leben zu erfüllen und sie stets von Neuem in den Kampf ziehen zu lassen.

In Brückstadt, das vom ostragischen Heer belagert worden war, war Veysi diesem unheimlichen Feind erstmals begegnet[2], und innerhalb von Tagen hatte dieser die beinahe zwölftausend Mann zählende ostragische Streitmacht besiegt. Nicht im Kampf wohlgemerkt, sondern indem er leise und feige aus dem Abgrund kroch und sich der ostragischen Streiter bemächtigte – und jetzt gehörten sie alle zu seinem Heer.

Lanzenträger aus Nabara, Bogenschützen aus Ugarya und selbst die gefürchteten Sturmreiter Turaniens, einst der Stolz der königlichen Armee, waren der schwarzen Essenz verfallen und zu willenlosen Werkzeugen geworden, zu lebenden Toten, die jeden Befehl ihres Anführers ohne Zögern ausführten – selbst, wenn es ihr eigenes Ende bedeutete.

Ihr Anführer …

Veysi kam es vor, als würde seine linke Hand schmerzen – dabei war sie gar nicht mehr an Ort und Stelle. Kraft jener zerstörerischen, übernatürlichen Gabe, die er besaß, hatte Xusra, Hohepriester des Feuers und selbst ernannter Oberbefehlshaber der ostragischen Armee, sie in Flammen aufgehen lassen. Veysi betrachtete den in einen schmutzigen Lappen gewickelten Stumpf, in den sein linker Arm endete. Selbst jetzt noch konnte er den grässlichen Schmerz spüren und hatte den Geruch seines eigenen verbrannten Fleisches in der Nase. Doch der Schmerz hatte auch sein Gutes gehabt, denn er hatte Veysi die Augen geöffnet.

Er hatte erkannt, dass Xusra dem Wahnsinn verfallen war, und noch in derselben Nacht war Veysi aus dem ostragischen Lager geflüchtet. Der große General hatte seiner eigenen Armee den Rücken gekehrt und war zum Deserteur geworden, war heulend in die Wälder Yarowas geflüchtet, um dort seine Wunden zu lecken wie ein wildes Tier.

Bis er die Laute gehört hatte, die Schreie, die der Wind vom fernen Heerlager herübertrug, das unmenschliche Gebrüll. Und bis er den Gestank gerochen hatte, den grässlichen Odem von Tod und Verwesung …

Bei allem Schmerz und allem Zorn auf Xusra hatte die Sorge um seine Leute schließlich die Oberhand gewonnen, und Veysi war zum Heerlager zurückgekehrt. Doch von der einstmals stolzen ostragischen Armee war nichts mehr übrig gewesen.

Überstürzt war das Lager verlassen worden, die Zelte jedoch nicht abgebrochen, sondern niedergetrampelt, die Wagen und Karren verbrannt. Von einer fremden, anderen Macht gelenkt, hatte sich das gesamte Heer, Reiter und Fußvolk nach Norden gewandt, fort von Brückstadt, von dem nichts als schwelende Trümmer geblieben waren.

Und Veysi war ihnen gefolgt.

Zunächst war ihm nicht klar gewesen, was das Ziel des Marsches war, doch nun, nachdem sie Vanheim erreicht hatten, hatte er erkannt: Sie wollten den Bruch umgehen und nach Westen vorstoßen.

Nachdem die letzten Verteidiger von Brückstadt in einem Akt der Verzweiflung sowohl die Häuser als auch die Brücke in Brand gesteckt hatten, war eine Überwindung der Kluft dort nicht mehr möglich; hier im Norden jedoch, wo der Weltenbruch im Kessel von Vanheim endete, konnten sie ihn umgehen und nach Westrien gelangen.

Es war ein gefährliches Unterfangen: Da es so weit im Norden keine Heerstraße gab, führte der Weg mitten durch die Wildnis Noryas, über schmale und verschlungene Pfade, die normalerweise den Grenzern und Waldläufern vorbehalten waren. Zudem lag Schnee in der Luft, Veysi konnte ihn riechen. Wenn er das Heer auf dem Marsch überraschte, würden viele Soldaten jämmerlich erfrieren, denn die Krieger Turaniens und Dusharas waren für solches Wetter weder gekleidet noch waren sie daran gewohnt.

Doch was auch immer die einstigen Kämpfer Ostragiens antrieb, die unter dem Einfluss der teerigen Substanz zu lebenden Toten geworden waren – es scherte sich nicht um Dinge wie diese. Mehrmals hatte Veysi von seinem Versteck aus beobachtet, wie Soldaten von den schmalen Felsenpfaden abgestürzt waren, die in schwindelerregender Höhe um den Gebirgskessel herumführten. Schreiend waren die Männer in die Tiefe gestürzt, oftmals mitsamt ihren Pferden – und ihre Kameraden hatten sich nicht einmal nach ihnen umgedreht.

Gleichgültig wurde weitermarschiert, und je länger Veysi alldem zusah, desto mehr fragte er sich, welcher dunkle Wille die unseligen Kreaturen beherrschte.

War es Xusra?

Der Hexenpriester war zu manchem Übel fähig, der Stumpf seines linken Armes erinnerte Veysi jeden Tag daran. Aber dass er über eine solch große, unheimliche Macht verfügte, die in der Lage war, Tausende von Kämpfern zu kontrollieren und selbst den Toten zu gebieten, konnte sich Veysi dann doch nicht vorstellen. Etwas anderes musste dahinterstecken. Etwas, das noch sehr viel größer und mächtiger war als Xusra oder irgendjemand sonst in Astray. Etwas, das nicht menschlichen Ursprungs war …

Der Gedanke jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Was immer dieses beinahe zwölftausend Mann umfassende Heer dort lenkte, war dabei, Tod und Untergang nach Westrien zu tragen. Doch obwohl Veysi erst nach der Katastrophe geboren war und folglich nichts anderes kannte als eine geteilte Welt; obgleich er von Kindesbeinen an in dem Bewusstsein erzogen war, dass in Ostragien der wahre Herrscher von Astray sitze und der Westen mit all seinem Zwist, seinen Fürsten und Königen, mit all den Menschen, Halblingen und den Astari ein unberechenbarer Feind sei, der weder Ehre noch Gewissen kenne; obwohl Veysi wie sein Vater und dessen Vater vor ihm als Offizier in den Diensten der ostragischen Armee gestanden hatte und sein Leben dem Thron von Altashar gewidmet hatte, zerriss es ihm das Herz, all diese Krieger, die nicht mehr Herr ihrer selbst waren, nach Westrien marschieren zu sehen.

Er stellte sich das Chaos vor, das sie dort anrichten würden, die Zerstörung und das Leid, das sie über die Menschen brachten. Die kleinen Dörfer in den Wäldern Noryas würden die ersten sein, die die Zerstörungswut zu spüren bekamen. Dann die Gehöfte an den nördlichen Hängen des Haymos. Und durch die Pforte von Archos würde das Heer der Untoten nach Achaya vordringen und auf die Küste zumarschieren, und selbst die Sterngeborenen in Archos würden von ihrem Auftauchen überrascht sein und ihnen nicht Einhalt gebieten können.

Es sei denn …

Veysi erstarrte innerlich.

Er konnte selbst nicht glauben, dass er diesen Gedanken hegte – ausgerechnet er, der stets für Ostragien gelebt hatte. Doch zwei Dinge hatte der General gelernt: Dass es auch in den Reihen der Ostragier Verrat und Schlechtigkeit gab – und dass jenes Heer, das dort nach Vanheim marschierte, noch ungleich böser war als jede Bedrohung, die in Westrien lauern mochte.

Mit einem Mal stand ihm alles wie eine lange unentdeckte Wahrheit vor Augen: Vor dem schwarzen, unheimlichen Feind waren alle Wesen von Astray gleich. Nicht länger durften sie einander als Feinde gegenüberstehen, sondern mussten gemeinsam gegen diese Bedrohung vorgehen – und aus diesem Grund würde er, Veysi, einst Befehlshaber von Makashar und General der ostragischen Armee, nach Archos eilen und den Astari berichten.

Er würde sofort aufbrechen und den Schutz der Dämmerung nutzen. Er durfte nicht säumen, musste Tag und Nacht auf den Beinen sein, stets auf der Hut vor dem unheimlichen Feind – und das alles nur, um König Elayan zu warnen, seinen ehemaligen Feind.

Die alten Regeln galten nicht mehr.

Dies war eine neue Welt.

3

Archos
Zur selben Zeit

Der Anblick war überwältigend.

Bray hatte stets angenommen, dass die steinernen Paläste von Skaradag, wo sie aufgewachsen war und den größten Teil ihres Lebens verbracht hatte, an Größe, Kühnheit und schierem Prunk nicht zu überbieten wären; als sie jedoch auf der Anhöhe stand und auf die Bucht von Archos blickte und auf die See, die im späten Tageslicht orangerot glitzerte, wurde sie eines Besseren belehrt. Denn die Metropole, die sich auf der der Küste vorgelagerten Insel erhob, stellte die Stadt des Salzes und der Diebe mühelos in den Schatten.

Der weiße Marmor, aus dem nicht nur Häuser und Hallen, sondern auch sämtliche Mauern und Türme zu bestehen schienen, wurde vom späten Sonnenschein beleuchtet, sodass es aussah, als würde das gesamte Eiland in flüssiges Gold getaucht, vom Hafen, in dem Dutzende großer Schiffe vor Anker lagen und wo ein schlanker Leuchtturm stand, bis hinauf zum Inselberg, auf dem hoch und erhaben ein prächtiger Palast thronte. Portale und Säulenhallen umgaben ihn, darüber wachte ein hoher, sich zur Spitze hin verbreiternder Turm.

»Archos«, sagte Jenya, die neben ihr auf dem Pferd saß. »Hauptstadt des Inselreichs der Astari und Sitz seines erhabenen Herrschers König Elayan.«

Bray bedachte ihre Gefährtin mit einem Seitenblick. Irrte sie sich, oder hatte in Jenyas Worten ein Hauch von Sarkasmus gelegen? Dana Jennara, wie sie sich in Skaradag genannt hatte, war selbst eine Sterngeborene. Und sie war eine der Sieben Legenden, die vor langer Zeit Astray gerettet hatten, so wie es im Lied der Legenden besungen wurde.

»Wir sind lange nicht hier gewesen«, bestätigte Elyvara die Heilerin, von deren Hütte im Sumpfland von Borbos sie aufgebrochen waren. Auch sie war eine der Sieben, ebenso wie der Drak, der mit ihnen ritt und an dessen unheimliches, an eine Schlange erinnerndes Aussehen sich Bray nie wirklich gewöhnen würde. Shayak war sein Name, und wenn überhaupt, so sprach er leise und zischelnd, was ihn in Brays Augen nicht vertrauenswürdiger machte.

»Sehr lange«, wiederholte er in seinem beunruhigenden Tonfall, und auch bei ihm hatte Bray das Gefühl, dass er längst nicht alles aussprach, was er dachte. Wie so oft, wenn die Legenden miteinander redeten, kam Bray sich ausgeschlossen vor; Jenya und ihre Gefährten hatten zusammen eine so lange gemeinsame Vergangenheit, dass sie einander auf eine Weise verbunden waren, die für Außenstehende schwer erreichbar war. Am ehesten ließ es sich mit einer durch verrückte Launen des Schicksals zusammengewürfelten Familie vergleichen, deren Mitglieder unterschiedlicher nicht hätten sein können, und die dennoch durch unerklärliche Bande verknüpft waren. Jemand von außen könnte nie voll und ganz zu so einer Familie gehören. Nicht, dass Bray viel zu vergleichen hatte – weder kannte sie ihre Eltern noch hatte sie je eine Familie gehabt.

»Wie wird König Elayan reagieren?«, fragte sie.

»Du meinst, wenn wir ihm erzählen, dass eine Armee aus von dunklen Mächten gelenkten Kriegern auf seine Grenzen zumarschiert, und dass ihm nur wenige Tage bleiben, eine noch gewaltigere Armee aufzustellen, um sich vor dem Untergang zu retten?« Jenya schnitt eine Grimasse, während der Abendwind ihr durch das feuerrote Haar fuhr. »Ich bin sicher, er wird begeistert sein. Wie er überhaupt erfreut sein wird, mich zu sehen.«

»Es klingt seltsam, wie du das sagst«, erwiderte Bray.

»Ist das so?« Ein freudloses Lächeln spielte um Jenyas ebenso schöne wie bleiche Gesichtszüge. »Du musst wissen, dass König Elayan und ich damals nicht im Guten auseinandergingen.«

»Warst du dem König denn so vertraut?«

»Ich kannte ihn gut«, verbesserte die Astara, »so wie er mich kannte. Und er wollte nicht, dass ich gehe.«

»Das alles ist lange her«, gab Bray zu bedenken. »Ich bin sicher, er hat dir längst verziehen.«

»Astari leben sehr viel länger als Menschen«, erklärte Elyvara, die zu Brays anderer Seite im Sattel saß. Ihr schlohweißes, zu zahlreichen Zöpfen geflochtenes Haar umrahmte ihr dunkles Gesicht, das trotz ihres Alters noch kaum von Falten gezeichnet war. »Anders als wir genießen sie nicht den Vorteil einer verblassenden Erinnerung, die leichter verzeiht. Weder vergessen sie, noch verklärt sich ihr Andenken an die Vergangenheit, wie es bei uns oft der Fall ist – sie sind dazu verdammt, sich auf ewig zu erinnern. Und darum sind sie nicht zu beneiden.«

»Danke.« Jenya nickte, während sie weiter auf die Insel und den Palast von Archos starrte. »Ich hätte es selbst nicht besser erklären können.«

»Aber ganz egal, was gewesen ist«, fuhr Bray fort, »König Elayan muss uns beistehen. Wenn das Schattenheer die Pforte von Archos erreicht und unsere Freunde dort keine Verstärkung erhalten, dann …«

Sie verstummte.

Es war nicht notwendig, laut auszusprechen, was Kynrik, Lorymar, Worfeck und ihrem versprengten Häuflein südländischer Söldner widerfahren würde, wenn das Heer des Feindes den Pass erreichte und sie nicht rechtzeitig Verstärkung erhielten. Für eine oder zwei Stunden würden der Schwertkämpfer, der Halbling und der Urok die Enge vielleicht halten können, doch wenn der Druck des nachrückenden Heeres zu groß würde, würden sie überrannt werden.

Und selbst zu dem Feind, den sie bekämpften …

»Ich hätte euch nicht begleiten sollen«, sagte Nyasha, die Prinzessin von Altashar, die auf Pfaden, die selbst ein Zweifler nur als schicksalhaft bezeichnen konnte, zu ihnen gestoßen war. »Ich war Elayan einst als Gemahlin versprochen und habe mich dieser Verpflichtung entzogen …«

»Lorymar hätte niemals zugelassen, dass du an der Pforte von Archos zurückbleibst«, stellte Jenya klar. »Was auch immer er getan haben und was für hanebüchenen Unsinn er auch bisweilen erzählen mag – dieser kleine Mistkerl würde lieber sterben, als zuzulassen, dass dir ein Leid geschieht.«

Nyasha errötete. Als Ostragierin war sie es nicht gewohnt, dass derlei persönliche Dinge so offen ausgesprochen wurden. Aber seit Bray sie kannte, hatte Jenya noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Die Astara war eine Frau klarer und ehrlicher Worte, und das würde wohl auch König Elayan zu spüren bekommen.

»Also los, worauf warten wir?«, fragte sie und trieb ihr Pferd bereits den Hügel hinab und auf die Handelsstraße zu, die vom Südgebirge herunterkam. »Seine Majestät der König mag es noch nicht wissen, aber wir haben eine Audienz bei ihm.«

Wieder hatte Bray das Gefühl, dass eine seltene Verletztheit in den Worten der Astara mitschwang. Sie ließ Nyasha und Elyvara den Vortritt und wandte sich dann Shayak zu, der auch auf dieser letzten kurzen Etappe die Nachhut übernehmen würde, so wie er es auf der gesamten Reise getan hatte.

»Was?«, zischte er. Seine Reptilienaugen sahen sie forschend an.

»Darf ich dich etwas fragen?«, erkundigte Bray sich vorsichtig.

»Warum nicht fragen Astara? Nicht fragen Heilerin?«

»Weil sie mir beide etwas verschweigen«, entgegnete Bray. »Nicht aus bösem Willen, sondern weil sie mich nicht beunruhigen wollen. Aber ich möchte wissen, woran ich bin.«

»Shi«, bejahte der Echsenmann. »Wahrheit immer gut.«

»Dann sag mir, was es mit Jenya und dem König von Archos auf sich hat«, verlangte Bray. »Was ist zwischen den beiden vorgefallen, dass es selbst nach all den Jahren weder vergeben noch vergessen werden kann?«

Im Sattel sitzend, legte Shayak den Kopf schief. Seine gelben Augen musterten Bray, während er zu überlegen schien, ob sie der Information würdig war. »Geht um das, was Jenya früher gewesen«, erklärte er dann.

»Ach ja? Und was war sie?«

»Hetaira«, antwortete er mit einem Wort, dessen Sinn sie nicht verstand.

»Was soll das heißen?«, fragte sie deshalb.

»Schon bald verstehen«, versicherte der Drak und ließ sein großes Pferd antraben, den steilen Hang hinab, sodass Bray nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen.

Nach Archos, wo sich ihrer aller Zukunft entscheiden würde.

4

Bucht von Archos
Unterdessen

Die Expeditionsflotte der Astari war auf dem Heimweg.

Valos und die südwestlichen Inseln hatten sie bereits passiert und Kurs auf Archos genommen – astarische Drachensegler, deren Mission es gewesen war, die ostragische Hafenstadt Zagora zu erobern, eine Metropole des Handels, und auf diese Weise die Aufmerksamkeit des ostragischen Heerführers Xusra auf sich zu ziehen.

Doch es war anders gekommen.

Die Mission war gescheitert.

Statt zu triumphieren, hatte die Flotte eine empfindliche Niederlage erlitten. Und furchtbare Verluste.

Nawyd pan Tyras stand vorn am Bug der ›Tekana‹, wie das Flaggschiff der kleinen Flotte hieß. Gischt spritzte ihm ins Gesicht, und der raue Wind zerwühlte sein schwarzes Haar. Nawyds Blick war starr auf den Horizont gerichtet, doch in Wahrheit sah er andere Dinge. Eindrücke einer blutigen Schlacht gegen einen furchtbaren, kaum zu bezwingenden Gegner. Todesschreie und lodernde Feuersbrunst. Und das von Verzweiflung gezeichnete Gesicht einer jungen Frau, die ihrem Leben vor seinen Augen ein Ende setzte, und er konnte nichts dagegen tun …

Inara.

Ihr Name klang in Nawyds Bewusstsein nach, voller Schwermut und Trauer. Er wusste, dass es die einzige Möglichkeit gewesen war; dass sie keine Chance gehabt hatte, den dunklen Feind wieder loszuwerden, der sie befallen hatte. Doch auch dieses Wissen änderte nichts daran, dass er sie vermisste. Unter all den Seelen dort draußen hatte er eine gefunden, die ihm gleich war, in vieler Hinsicht ebenbürtig und in anderer gar weit überlegen. Doch statt sie festzuhalten und niemals wieder loszulassen, hatte er sie verloren …

»Hast du denn noch immer nichts gelernt?«

Fürstin Yone trat zu ihm an den hölzernen Drachenkopf, der sich über dem Bugspriet der Galeere erhob. Nach dem Tod von General Doryon hatte sie den Oberbefehl über die Expeditionsflotte übernommen und ihr Schiff an die Spitze des kleinen Verbandes gesetzt, der unter vollen Segeln gen Archos fuhr. In ihrer knöchellangen weißen Tunika und dem ledernen Harnisch wirkte sie wie eine Kriegerin aus alten Liedern. Ihr langes dunkles Haar hatte sie wie immer streng zurückgebunden, ihre Gesichtszüge waren von ernster Schönheit und so unnahbar wie meist, wenn sie ihrer Pflicht als Kommandantin nachkam. In ihrer Brust jedoch, das hatte Nawyd inzwischen erfahren, schlug das empfindsame Herz einer Dichterin, so wie bei allen Frauen, die mit ihr auf der Insel Silea lebten. In Zagora jedoch hatten sie tapfer gekämpft, und nicht wenige von ihnen hatte ein grausamer Tod ereilt.

»Was meint Ihr?«, fragte Nawyd die Fürstin. »Die Astari sprechen immerzu in Rätseln …«

»Ich sagte es Euch doch schon, mein Freund – Euer Leben hat einen neuen Namen bekommen. Es hat keinen Sinn zurückzublicken und mit dem zu hadern, was geschehen ist. Warum nur sind die Menschen immer so in ihrer Vergangenheit verhaftet?«

»Weil sie manchmal alles ist, das uns bleibt«, entgegnete Nawyd. »Gerade Ihr solltet das verstehen.«

»Nun seid Ihr es, der in Rätseln spricht.«

»Die Astari«, wurde Nawyd deutlicher. »Was anderes bleibt ihnen als ihre große Vergangenheit, in der sie über Astray herrschten? Nicht viel ist davon übrig geblieben.«

Er wusste selbst nicht, warum er das sagte. Vermutlich, um sie zu verletzen und sie so ein wenig an seinem Schmerz teilhaben zu lassen. Doch auch wenn sie wie eine junge Frau aussehen mochte – die Herrin von Silea war zu alt und zu erfahren, um sich auf derlei Spiele einzulassen.

»Es stimmt«, räumte sie ein, »die Vergangenheit lockt mit der Erinnerung an goldene Tage. Doch gleichzeitig hindert sie uns auch daran, eine neue Zukunft zu erschaffen.«

»Das sagt sich leicht, wenn man unsterblich ist«, konterte Nawyd. »Den Menschen bleibt nicht viel Zukunft. Nicht nach allem, was wir in Zagora gesehen haben. Ein dunkler Feind lauert dort, ein Heer von lebenden Toten – und wir wissen noch nicht einmal, woher es gekommen ist.«

»Nein. Aber wir werden König Elayan und den Rat über die Ereignisse in Kenntnis setzen.«

»Und dann?« Nawyd lachte bitter auf. »Euer Vertrauen in Euren König in allen Ehren, aber er schien mir nicht besonders entschlussfreudig zu sein. Schon zu dieser Expedition konnte er sich nur mit Mühe durchringen.«

Yone, die wie er geradeaus auf den Horizont gestarrt hatte, schickte ihm einen Seitenblick. »Vielleicht, weil er bereits geahnt hat, was folgen würde. Ist Euch dieser Gedanke schon gekommen?«

»Nein«, musste Nawyd zugeben. »Ihr meint, Elayan kann in die Zukunft blicken? Ist er ein Seher?«

»Nicht, wie Ihr es Euch vorstellt. Aber die Erfahrung eines langen Lebens sorgt dafür, dass man die Dinge anders sieht, und mit ihnen auch die Gefahren. Ein kleines Kind greift bedenkenlos in die Flamme, weil es nicht weiß, dass es sich daran verbrennen wird. Der Gereifte hingegen hat diese Erfahrung längst gemacht und handelt entsprechend.«

Nawyd nickte.

Er war nie ein Freund der Astari gewesen. Ihr hohes Alter, ihre Selbstbezogenheit und ihr zum Grüblertum neigendes Wesen – all das hatte er früher verachtet, was auch der Grund dafür war, dass er die Hochzeit zwischen seiner Schwester Nyasha und König Elayan mit allen Mitteln verhindert und dafür auch vor Verrat und Mord nicht zurückgeschreckt hatte. Doch wie so vieles, das die Astari betraf, sah er auch dies nun in einem anderen Licht.

»Ich hoffe sehr, dass König Elayan weiß, wie wir dieser Bedrohung begegnen können«, gestand er leise. »Ich will nicht, dass Inara und Doryon und all die anderen vergeblich gestorben sind. Ihr Opfer soll etwas wert gewesen sein.«

»Das war es«, versicherte Yone. Ihre Stimme klang weicher als zuvor, und als sie ihn diesmal ansah, lächelte sie. »Ihr seid schließlich am Leben.«

»Glaubt mir, wenn es möglich wäre, würde ich nur zu gerne tauschen.«

»Ich weiß, dass Ihr das würdet – deshalb hat Inara Euch geliebt. Doch allem Anschein nach war Eure Zeit noch nicht gekommen, Nawyd pan Tyras. Was auch immer es sein mag, das Schicksal hat noch etwas vor mit Euch.«

Er schüttelte den Kopf. »Und was soll das sein? Noch größerer Schmerz? Noch mehr Verlust? Ich habe schon so viel verloren, Fürstin. Meinen Vater, meine Heimat, meine Freunde und nicht zuletzt auch die Schwester, die ich von Herzen liebte. Und nun auch noch Inara.«

»Soll ich Euch etwas verraten?«

Nawyd sah sie fragend an.

»Auch ich habe manchen Verlust erlitten, es ist die natürliche Folge eines langen Lebens. Und auch ich dachte schon manches Mal, dass ich alles gegeben hätte.«

»Und?«, fragte Nawyd. Wie die meisten Menschen hatte auch er immer gedacht, dass das lange Leben der Astari ein Privileg wäre. Langsam wurde ihm bewusst, dass auch eine Last damit verbunden war. »Wie habt Ihr die Kraft gefunden, dennoch immer weiterzumachen?«

»Karatos ai pagai etarai heißt es bei uns – Kraft kann aus unterschiedlichsten Quellen erfolgen. Für jede atmende und empfindende Seele ist es etwas anderes, das ihr Freude schenkt und Inspiration. Doch in diesem Fall lasst mich Euch eines sagen, Nawyd: Wenn es uns nicht gelingt, diese Armee der Schatten mit König Elayans Hilfe abzuwehren, so wird es nicht mehr von Bedeutung sein, wer noch am Leben ist und wer bereits gefallen. Womöglich«, fügte sie leiser hinzu, »werden wir unseren Schwestern und Brüdern schon bald nachfolgen.«

»Ich weiß«, sagte Nawyd nur. Er starrte wieder auf den fernen Horizont, während vor seinem inneren Auge erneut jene schwärzlichen, wie in Teer getauchten Gestalten auftauchten, die ihnen aufgelauert hatten, zuerst auf dem Geisterschiff und später dann in Zagora …

»Ich will Euch etwas anvertrauen, mein Freund«, sagte Yone leise. »Ich glaube nicht, dass ich wieder nach Silea zurückkehren werde.«

Nawyd sah sie überrascht an. »Das könnt Ihr nicht wissen«, widersprach er. »Noch nicht einmal Ihr.«

Fürstin Yone lächelte nur. Sie hatte es ohne Angst oder Bedauern gesagt, es war nur eine Feststellung. Aber ihr Tonfall hatte etwas an sich, das ihn erschaudern ließ.

Er musste an die Unterhaltung denken, die sie nach ihrer Flucht aus Zagora geführt hatten, ihre Gedanken über den Tod und was danach kommen mochte … Auch dieses Gespräch erschien ihm nun in einem anderen Licht.

»Die Sterngeborenen sprechen niemals über ihr eigenes Ende«, stellte die Herrin von Silea klar, »schon gar nicht Fremden gegenüber.«

»Und dennoch habt Ihr es gerade getan.«

Sie wandte den Blick und sah ihn durchdringend an. »Weil du kein Fremder mehr bist, Nawyd pan Tyras, des Artabans Sohn. Seite an Seite haben wir gegen den neuen Feind gekämpft. Und wenn das Schicksal es will, werden wir auch Seite an Seite im Kampf gegen ihn sterben.«

5

Pforte von Archos
Zur selben Zeit

»Verdammt noch mal, ist das kalt.«

Lorymar Thinkling hatte sich vorgebeugt und wärmte sich die Hände am Feuer. Wenn in den Mittagsstunden die Sonne am Himmel stand, war es auf der Passhöhe einigermaßen auszuhalten; doch sobald sie am späten Nachmittag hinter den gezackten Graten des Haymos-Gebirges verschwand, wurde es schlagartig kühler, und ein klammes Frösteln schlich unter die Kleider. »Ich zittere am ganzen Körper«, beschwerte sich der Halbling.

»Das ist nicht die Kälte«, beschied ihm der große Urok, der ihm auf der anderen Seite des Feuers gegenübersaß und gleichmütig in die züngelnden Flammen blickte.

»Was denn sonst?«, fragte Lorymar gereizt.

»Angst.«

»Ach, bist du jetzt auch noch Hellseher geworden?« Der Halbling schickte ihm einen giftigen Blick. »Ehrlich gesagt mochte ich dich lieber, bevor du dich Baumblatt nanntest und glaubtest, zum Prediger berufen zu sein. Der alte Worfeck hat nicht ständig geredet. Und auch nicht solchen Unfug.«

»Das ist kein Unfug, und du weißt es«, beharrte der Urok und grinste über das ganze ebenso grobe wie grüne Gesicht. »Du hast Angst, genau wie die anderen.«

Mit dem ungeheuren Kinn deutete er zu den anderen Feuern, an denen die achayischen Krieger kauerten, die alles waren, was von der Streitmacht Brückstadts übrig geblieben war. Der Rest war entweder tot oder hatte sich in alle Winde zerstreut.

»Natürlich haben die die Hosen voll«, meinte Lorymar mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Das sind ja auch nur hergelaufene Söldner, die für jeden kämpfen, der sie bezahlt.«

»Wir bezahlen ihnen nichts«, brachte Worfeck in Erinnerung, »aber sie sind trotzdem hier.«

»Weil dieser Pass alles ist, was zwischen ihrer Heimat und der Armee der Schatten liegt«, wandte Lorymar ein.

»Trotzdem hätten sie nicht bleiben müssen.«

»Ist das dein Ernst? Wir sind schließlich auch geblieben«, ereiferte sich Lorymar. »Wenn wir hier Kopf und Kragen riskieren, um ihr Land zu verteidigen, dann ist es nur recht und billig, wenn sie mit uns bluten.«

»Du hast Angst«, sagte der Urok.

»Na schön, vielleicht ein bisschen.« Lorymar schnaubte. »Diese Schattenkrieger sind ebenso gefährlich, wie sie unheimlich sind, und ich habe kein Verlangen danach, zu einem von ihnen zu werden. Du vielleicht?«

»Nein«, gab Worfeck zu. »Aber meine Brüder im Kloster des Windes haben mich gelehrt …«

Lorymar blitzte wütend zu ihm hinüber. »Wenn du jetzt sagst, dass wir alle nur Blätter im Wind sind, vergess ich mich!«

»Warum? Verträgt so ein mickriger kleiner Kerl wie du die Wahrheit nicht?«

»Durchaus«, versicherte Lorymar, »aber keinen blanken Unfug. Was dich betrifft, weiß ich es nicht, aber ich bin kein Blatt im Wind, sondern aus freien Stücken hier.«

Die Antwort des Uroks war grunzendes Gelächter.

»Was jetzt wieder?«

»Baumblatt lacht über dich, weil du nichts verstanden hast. Du bist nur aus einem einzigen Grund hier, nämlich weil der Wind es so wollte. Er hat uns hergeweht.«

»Nein, sondern weil wir alle in dieser üblen Sache drinstecken«, konterte der Halbling. »Du, ich, Jenya, der Schwertkämpfer – wir alle, die wir damals dabei waren.«

»Weil wir alle miteinander verbunden sind«, bestätigte der Urok nickend, »wie die Blätter an einem Baum.«

Lorymar verdrehte die Augen, sagte aber nichts mehr.

Zumindest was seine Sturheit betrifft, hatte Worfeck sich kein bisschen geändert. Sich mit dem grünen Dickschädel zu streiten, hatte noch immer keinen Sinn. Und handgreiflich zu werden, verbot sich bei jemandem, der rund dreimal so groß war wie ein Halbling, obendrein.

Aber es war nicht nur der Respekt vor des Uroks schierer Größe, der Lorymar schweigen ließ. Auch er selbst war nicht mehr der, der er einst gewesen war. Auch er hatte gelernt, was es bedeutete, Verantwortung zu tragen – auch wenn er lieber heute als morgen ein Pferd bestiegen und das Weite gesucht hätte. Denn wenn das Heer der Schatten tatsächlich den Weg nach Süden eingeschlagen hatte und versuchen würde, über den Pass in Achaya einzufallen, dann würde es hier oben bald sehr, sehr ungemütlich werden. Und auch der ehrwürdige Wächter von Archos würde dann nicht mehr helfen können …

Lorymar blickte an der aus dem Felsgestein gehauenen Statue empor, die sich groß und mächtig über ihnen erhob und den Wächterkönig Ascaron darstellte, der in grauer Vorzeit das Gebirge gegen die Drachen unter ihrem König Šarkan Izzas verteidigt hatte. Bereit zum Kampf, die Hand am Griff des Schwertes, blickte Ascaron gen Norden, die steinernen, von Wind und Wetter verwitterten Gesichtszüge als Einzige noch von Sonnenlicht beschienen. Schon während des Krieges gegen den Kaiser hatte an diesem Ort eine blutige Schlacht stattgefunden, und Lorymar kam es vor, als würde sich in diesen Tagen die Geschichte wiederholen. Nur dass der Feind diesmal so übermächtig und zahlreich war, dass wohl auch der Wächterkönig dagegen machtlos gewesen wäre.

Es sei denn, es gelang Jenya, Elayan von Archos zu überzeugen …

Mit Grausen dachte Lorymar an seine eigene Rückkehr in die Heimat zurück, die er vor so vielen Jahren verlassen hatte. Sich den Geistern der Vergangenheit zu stellen, war niemals leicht, ganz gleich, ob man ein Halbling war oder eine Sterngeborene.

»Denkst du, dass sie Erfolg haben wird?«, fragte er, während er gedankenverloren in die Flammen starrte.

»Wer? Jenya?«