Estep, Jennifer Spinnenblitz – Elemental Assassin 13

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch

 

© Jennifer Estep 2015
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Spider’s Trap« bei Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York 2015
© Piper Verlag GmbH, München 2020
Covergestaltung: zero-media.net, München
Covermotiv: FinePic®, München und Marc Owen / Trevillion Images

 

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Widmung

Für meine Mom, meine Grandma und Andre –
für eure Liebe, Geduld und alles andere,

was ihr mir über die Jahre geschenkt habt.

Danksagung

Wieder einmal möchte ich mich bei all jenen bedanken, die mir geholfen haben, meine Idee in ein Buch zu verwandeln:

Ich danke meiner Agentin Annelise Robey, meinem Lektor Adam Wilson und meiner Lektorin Lauren McKenna für ihre hilfreichen Ratschläge, ihre Unterstützung und Aufmunterung. Außerdem danke ich Trey Bidinger.

Ich danke Tony Mauro für den Entwurf eines weiteren tollen Buchcovers und Louise Burke, Lisa Litwack und allen anderen bei Pocket Books und Simon&Schuster für ihre Arbeit am Cover, am Buch und an der Serie.

Und schließlich möchte ich von Herzen meinen Lesern danken. Zu wissen, dass Leute meine Bücher lesen und lieben, erfüllt mich mit Demut und ich bin froh, dass ihr so viel Spaß an Gin und ihren Abenteuern habt. Ich weiß das mehr zu schätzen, als ihr euch vorstellen könnt.

Viel Spaß beim Lesen!

1

»Ich sehne mich gerade wirklich danach, jemanden zu erstechen.«

Silvio Sanchez, mein persönlicher Assistent, warf mir aus dem Augenwinkel einen Blick zu. »Ich würde davon abraten«, murmelte er. »Das könnte die falsche Botschaft aussenden.«

»Genau«, schaltete sich Phillip Kincaid ein. »Nämlich dass du zu deinem tödlichen Profikiller-Lebensstil zurückgekehrt bist und wieder anfangen wirst, Leute umzubringen, statt sie anzuhören, wie du es tun solltest.«

»Ich glaube nicht, dass ich diesen Lebensstil je hinter mir gelassen habe«, antwortete ich. »Wenn man bedenkt, dass ich jeden hier umbringen und heute Nacht trotzdem schlafen könnte wie ein Baby.«

Phillip kicherte leise, während Silvio nur die Augen verdrehte.

Wir drei saßen an einem langen Konferenztisch, der auf dem Deck der Delta Queen aufgestellt war, dem luxuriösen Flussschiff-Casino, das Phillip gehörte. Normalerweise wären einarmige Banditen, Poker- und Roulette-Tische auf dem Deck aufgebaut worden, in Vorbereitung auf einen Abend voller Glücksspiel. Doch heute diente das Schiff als Treffpunkt für ein Meeting zwischen einigen von Ashlands unzähligen Unterweltbossen.

Vermeintlich ging es bei diesem Treffen um die friedliche Beilegung des schwelenden Konflikts zwischen zwei der führenden Verbrecher der Stadt: Dimitri Barkov und Luiz Ramos. Sie waren sich im Moment nicht ganz einig, wer das Recht hatte, eine Reihe von Waschsalons zu kaufen, um, na ja, das Geld aus ihren Glücksspiel-Unternehmungen zu waschen. Nicht, dass irgendetwas an der Art, wie Dimitri und Luiz sich seit fünf Minuten gegenüberstanden und sich anschrien, friedlich gewesen wäre. Ihre jeweiligen Wachen standen hinter ihnen und warfen sich gegenseitig böse Blicke zu, die Hände zu Fäusten geballt, als hätten sie nichts lieber getan, als mitten auf dem Deck eine Schlägerei anzufangen.

Nun, das wäre unterhaltsam gewesen. Ich grinste. Vielleicht sollte ich sie einfach loslegen lassen. Und der Sieger bekam dann alles. So wäre diese Meinungsverschiedenheit beigelegt.

Silvio stieß mich mit dem Ellbogen an und kniff die grauen Augen zusammen, als wüsste er genau, was ich gerade dachte.

»Pass auf«, murmelte er. »Du sollst dir eigentlich die Fakten anhören, damit du eine faire, neutrale Entscheidung treffen kannst, schon vergessen?«

»Ich könnte fair und neutral sein, indem ich sie beide ersteche.«

Silvio warf mir einen missbilligenden Blick zu.

Ich seufzte. »Immer verdirbst du mir den Spaß.«

»Das ist mein Job«, antwortete der Vampir.

Ich ließ eines der Steinsilber-Messer aus meinen Ärmeln in meine Hand gleiten und zeigte es meinen Freunden unter dem Tisch, sodass die anderen Verbrecherbosse und ihre Männer es nicht sehen konnten.

»Komm schon«, flüsterte ich. »Lass mich wenigstens einen von ihnen erstechen. Dann hält der andere sicher auch die Klappe.«

Phillip kicherte wieder, Silvio hingegen stieß nur ein leises, trauriges Seufzen aus. Er schätzte meinen Führungsstil nicht besonders. Keine Ahnung, warum.

Meine Freunde richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf Dimitri und Luiz, die sich immer noch anschrien und mit dem Zeigefinger vor dem Gesicht des anderen herumwedelten. Doch statt ihnen zuzuhören, sah ich die dritte Unterweltgestalt an, die zu diesem Treffen erschienen war: Lorelei Parker.

Anders als Dimitri und Luiz, die beide schicke Business-Anzüge trugen, präsentierte sich Lorelei in schwarzen Stiefeln mit Stiletto-Absatz, dunklen Jeans und einer schwarzen Lederjacke, genau wie ich. Ihr schwarzes Haar war zu einem Zopf geflochten und ihre blauen Augen hatte sie auf ihr Handy gerichtet, weil sie damit beschäftigt war, Nachrichten zu schreiben. Durch die schnellen Bewegungen ihrer Finger blitzte ein Runenring aus Steinsilber an ihrer rechten Hand auf: eine dornenumrankte Rose, von der Blut tropfte, das Ganze eingerahmt von dicken Diamanten.

Lorelei war die faszinierendste der drei Unterweltbosse. Die Schmugglerin war überall dafür bekannt, dass sie alles für jeden – und jederzeit – organisieren konnte. Waffen, Juwelen und kostspielige Antiquitäten waren nur ein paar der Dinge, mit denen sie ihr Geld verdiente.

Hinter ihr stand nur ein einziger Bodyguard: Jack Corbin, ihre rechte Hand. Auch er war in Stiefel, Jeans und Lederjacke gekleidet, doch seine kalten, blauen Augen glitten ständig über das Deck und alles, was sich darauf befand.

Corbin sah, dass ich ihn beobachtete, und nickte mir kurz zu, bevor er näher an seine Chefin herantrat, bereit, sie vor jedem auf dem Schiff zu beschützen, inklusive mir. Ich erwiderte das Nicken. Mein verstorbener Mentor, Fletcher Lane, hatte eine dicke Akte über Corbin in seinem Büro, also wusste ich, dass er viel gefährlicher war, als er wirkte.

Andererseits galt das auch für mich.

Lorelei war hier, weil die fraglichen Waschsalons im Moment noch ihr gehörten und sie bereit war, sie zu verkaufen – an den Meistbietenden, natürlich. Ich wusste nicht, ob sie wegen des Verkaufs selbst an Dimitri und Luiz herangetreten war oder ob die beiden sich bei ihr gemeldet hatten. Und ich hatte bisher auch keine Chance bekommen, Fragen zu stellen, weil sich die beiden Männer die gesamten sechs Minuten meines Aufenthaltes auf der Delta Queen nur angeschrien hatten. Auf jeden Fall konnten sich die beiden Bosse nicht einigen, wer was bekommen sollte, und die Sache war inzwischen so eskaliert, dass Dimitri und Luiz kurz davor standen, sich den Krieg zu erklären. Das hätte wilde Schießereien, Messerstechereien, das Einschlagen von Kniescheiben und jede Menge andere schmutzige Verbrechen bedeutet.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Als Spinne hatte ich im Zuge meiner Arbeit selbst jede Menge Dreck hinterlassen. In gewisser Weise war das sogar mein Markenzeichen.

Doch vor ein paar Wochen hatte ich Madeline Magda Monroe getötet, eine Säuremagierin, die sich selbst zur neuen Königin der Unterwelt von Ashland erklärt hatte, um damit in die Fußstapfen ihrer Mutter Mab zu treten.

Und genau wie ich es vor ein paar Monaten mit ihrer Mutter gemacht hatte, hatte ich Madeline mit meiner Eis- und Steinmagie getötet. Da jetzt keine Monroe mehr übrig war, um die Kontrolle über die Unterwelt zu übernehmen, hatten die anderen Bosse mich quasi zu ihrem Oberhaupt erklärt. Zumindest bis sie anfangen würden, Pläne zu schmieden, um mich auszuschalten, damit einer von ihnen den Thron besteigen konnte, nach dem sie sich alle so verzehrten.

Fast wünschte ich mir, einem von ihnen würde es gelingen, mich von meinem Elend zu erlösen.

Entgegen der allgemeinen Auffassung war es kein Zuckerschlecken, die Unterwelt von Ashland zu beherrschen. Es war überhaupt kein Genuss. Es bereitete mir einfach nur jede Menge Kopfschmerzen – wie die, die im Moment in meinen Schläfen pochten. Ich hatte gedacht, ich wäre schon bisher ein begehrtes Zielobjekt gewesen, doch inzwischen belästigten mich die Bosse noch mehr als zuvor. Und sie wollten tatsächlich mit mir reden. Ununterbrochen. Über Geschäftsabschlüsse und Verträge und darüber, wer es seinen Gangmitgliedern erlaubte, ihre Rune im Territorium einer anderen Gang an die Hauswände zu sprühen. Als würde mich das tatsächlich interessieren. Doch ich war jetzt der Big Boss, also war es anscheinend mein Job, ihnen zuzuhören. Zumindest behauptete das Silvio.

Ich hätte am liebsten so lange Leute erstochen, bis es endlich alle kapierten, mich in Ruhe ließen und ihre Probleme selbst lösten.

Lorelei war diejenige, die um dieses Treffen gebeten hatte. Obwohl, eigentlich war sie an Phillip herangetreten. Es sah so aus, als wollte Lorelei meine neue Autorität nicht offen anerkennen oder riskieren, dass ich mich in ihre Angelegenheiten mischte. Das oder sie hasste mich aus irgendeinem Grund einfach. Spielte eigentlich keine große Rolle, weil ich sie ebenso wenig schätzte wie sie mich.

Doch Phillip war mein Freund und er hatte mir von diesem Meeting erzählt. Also saß ich, als Gin Blanco, die Spinne, neue Königin der Unterwelt von Ashland, jetzt hier und war bereit, zum ersten Mal einen großen Konflikt zu lösen. Jepp. Ich.

Trotzdem wäre ich vollkommen damit zufrieden gewesen, dieses Meeting sausen und zuzulassen, dass Dimitri und Luiz ihre Differenzen selbst auskämpften, bis einer von ihnen den anderen umbrachte. Doch Silvio hatte korrekterweise darauf hingewiesen, dass sie, wenn ich den Disput heute löste, nicht morgen in meinem Restaurant, dem Pork Pit, auftauchen würden. Da ich nicht wollte, dass Kriminelle meine Gäste verschreckten, hatte ich entschieden, eine gute Königin zu sein und dem Meeting tatsächlich beizuwohnen.

Als ich mit Silvio an Bord gekommen war, hatten alle an dem Konferenztisch gesessen. Doch kaum hatten sie mich entdeckt, waren Dimitri und Luiz aufgesprungen und hatten angefangen, sich gegenseitig Beschuldigungen ins Gesicht zu brüllen, als würde ich denjenigen unterstützen, der am lautesten und längsten schreien konnte.

Inzwischen verfluchte Dimitri Luiz auf Russisch, während Luiz auf Spanisch vom Leder zog. Nachdem es nicht so aussah, als wollten sie in nächster Zeit damit aufhören, nicht einmal, um Luft zu holen, blendete ich das Geschrei so gut wie möglich aus und schaute über die Messingreling.

Der Aneirin floss am weißen Flussschiff vorbei, durch die schnelle Strömung schwankte die Delta Queen ganz leicht. Auf der Oberfläche des blaugrauen Wassers glänzte die Novembersonne und ließ sie glitzern wie einen Diamanten, während eine leichte Brise den Geruch von Fisch herantrug. Ich rümpfte die Nase. An den Bäumen auf der anderen Seite des Flusses hingen noch vereinzelt rote und orangefarbene Blätter, auch wenn sie schon bald im Wind zu Boden trudeln würden …

In den Bäumen genau mir gegenüber blitzte etwas auf.

Ich runzelte die Stirn, lehnte mich zur Seite und konzentrierte mich auf die Stelle. Und tatsächlich, einige Sekunden später entdeckte ich den nächsten Lichtblitz. Die Sonne reflektierte auf irgendetwas, das zwischen den Bäumen versteckt lag …

Silvio stieß mich erneut mit dem Ellbogen an. Erst da wurde mir klar, dass Dimitri und Luiz ihr Schreiduell abgebrochen hatten und mich mit erwartungsvollen Mienen ansahen, die Arme vor der Brust verschränkt. Auf den gegenüberliegenden Seiten des Decks trugen ihre Bodyguards ähnlich feindselige Mienen zur Schau, die Hände immer noch zu Fäusten geballt.

»Also, Blanco?«, drängte Dimitri mit tiefer, rumpelnder Stimme. »Wie lautet deine Entscheidung?«

»Genau«, schaltete Luiz sich mit seiner viel höheren Stimme ein. »Wer bekommt die Waschsalons?«

Ich sah zwischen den beiden hin und her. »Ähm …«

Dimitri runzelte die Stirn. Wut blitzte in seinen dunklen Augen auf. »Du hast uns nicht mal zugehört!«

»Nun, es war auch schwer, euch zu folgen«, gab ich zu. »Besonders, da ich kein Russisch spreche und meine Spanisch-Kenntnisse auch nicht gerade fantastisch sind.«

Dimitri riss die Hände in die Luft und schoss die nächste russische Tirade ab, wobei jedes Wort verdammt nach einem Fluch klang.

Phillip beugte sich vor. »Ich glaube, er hat gerade deine Mutter beleidigt.«

Ich stöhnte, doch dann hob ich die Hände, in dem Versuch, den russischen Mafioso zu beruhigen. »Okay, okay. Das reicht. Hör auf. Bitte.«

Dimitri verstummte, schenkte mir aber immer noch einen angewiderten Blick. »Ich wusste, dass das hier Zeitverschwendung sein würde. Ich hätte Lorelei einfach töten und mir die Waschsalons auf diese Art schnappen sollen. Genau wie ich dir am Abend von Madelines Party einfach eine Kugel in den Kopf hätte jagen sollen, um mich selbst an die Spitze der Unterwelt zu setzen. Genau wie ich es jetzt auch tun sollte.«

Schweigen breitete sich auf dem Deck aus. Das einzige Geräusch stammte vom stetigen Plätschern des Wassers um den Rumpf des Schiffes.

Ich legte die Hände flach auf den Tisch und stand langsam auf. Das Kratzen meines Stuhls über den Boden schien so laut wie eine Maschinengewehrsalve.

Ich starrte Dimitri an. »Das war genau die falsche Äußerung.«

Alle hörten die Kälte in meiner Stimme und konnten das Eis in meinen wintergrauen Augen erkennen.

Dimitri schluckte. Er war sich bewusst, dass er einen Fehler begangen hatte, doch er wollte vor Zeugen keinen Rückzieher machen, also schob er das Kinn vor und nahm die Schulter zurück. »Das glaube ich kaum. Du bist allein. Ich habe drei Männer dabei.«

Ich lächelte kalt. »Das liegt daran, dass du Wachen brauchst. Ich nicht. Hatte ich noch nie nötig. An deiner Stelle würde ich mich also bei mir entschuldigen. Und zwar pronto.«

Dimitri leckte sich die Lippen. »Oder?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Oder deine Männer werden die Überreste von dir an Land schleppen und Phillip wird mir die Rechnung für die Deckreinigung zukommen lassen.«

Dimitri schnappte nach Luft, doch gleichzeitig trat wütende Röte in seine Wangen. »Niemand droht mir.«

»Oh, Süßer«, meinte ich gedehnt. »Das ist keine Drohung.«

Dimitri starrte mich weiter an, wobei er schwer durch den offenen Mund atmete, als wäre er ein Stier, der mich niedertrampeln wollte. Phillip und Silvio neben mir standen ebenfalls auf.

»Versuch, ein wenig Zurückhaltung zu zeigen«, flüsterte Silvio, als er an mir vorbeiging.

Zurückhaltung war nicht gerade eines meiner Lieblingswörter, aber ich nickte, um ihn wissen zu lassen, dass ich verstanden hatte. Wenn ich Dimitri und Luiz umbrachte, würde das die anderen Bosse nur davon überzeugen, dass ich sie alle tot sehen wollte, also würden sie erneut anfangen, Mordanschläge auf mich zu verüben. Ich hatte hart um ein bisschen Ruhe und Frieden gekämpft und ich wollte das nicht für ein paar unwichtige Mafiosi aufs Spiel setzen.

Selbst wenn ich große Lust hatte, auf die beiden einzustechen. Heftig. Grausam. Immer wieder.

Phillip und Silvio gingen ans andere Ende des Tisches, wo Lorelei Parker immer noch saß. Lorelei hatte aufgehört, Nachrichten zu schreiben, und starrte mich inzwischen an, doch sie blieb auf ihrem Stuhl hocken, mit Jack Corbin an ihrer Seite. Die beiden waren nicht so dumm, sich mit mir anzulegen, zumindest nicht persönlich. Doch bei den anderen zwei Bossen war ich mir da nicht so sicher.

Dimitri fehlte der Mut, sich allein mit mir anzulegen, also wandte er sich an Luiz: »Wenn du mir bei Blanco hilfst, kannst du die Waschsalons haben. Alle.«

Luiz kniff die Augen zusammen. »Ich will die Waschsalons und diesen Imbiss, den du auf der Carver Street besitzt.«

Dimitri seufzte, dann nickte er.

Ich verdrehte die Augen. Noch vor einer Minute hätten sie sich liebend gerne gegenseitig umgebracht, aber jetzt wollten sie bei dem Versuch, mich zu töten, zusammenarbeiten. Nun, zumindest war Luiz klug genug, dem anderen Gangster so viel wie möglich abzuverlangen. Dafür musste man ihn bewundern. Selbst wenn er sich für die falsche Seite entschieden hatte.

Dimitri und Luiz schüttelten sich die Hände, um ihren eiligen Handel zu besiegeln, dann drehten sie sich beide zu mir um. Ihre Bodyguards standen hinter ihnen und ließen in Erwartung der Abreibung, die sie mir verpassen wollten, die Knöchel knacken. Narren.

»Also, was willst du jetzt tun?«, fragte Dimitri höhnisch. »Gegen uns alle?«

»Ich? Ich werde endlich ein wenig Spaß haben. Das habe ich mir verdient, nachdem ich zugehört habe, wie ihr beide euch gezankt habt wie zwei Kinder, die um ein Eis streiten.«

Anscheinend brachte diese Beleidigung das Fass zum Überlaufen, weil Dimitris Wangen noch heißer brannten und er mit dem Finger auf mich zeigte.

»Schnappt sie euch!«, brüllte er.

»Tötet Blanco!«, rief Luiz.

Die beiden Bosse und ihre Wachen stürzten sich auf mich, wobei Dimitri sich über den Konferenztisch beugte und nach mir griff, als wolle er mich erwürgen.

Ich trat mit dem Fuß gegen das Tischbein, sodass das ganze Ding nach vorne rutschte, direkt in den Schmerbauch des Russen. Er keuchte und klappte zusammen, dabei rutschte ihm fast sein wirklich schlechtes, wirklich offensichtliches und wirklich zerzaustes, schwarzes Toupet vom Kopf.

Doch ich hatte mich bereits der nächsten Bedrohung zugewandt. Ich lehnte mich vor, schnappte mir den Metallstuhl, auf dem ich gesessen hatte, und rammte ihm dem ersten Riesen-Bodyguard ins Gesicht. Er schrie auf und stolperte rückwärts, die Hände vor seine blutige Nase. Dabei kam er an Silvio vorbei. Der Vampir stellte ein Bein vor und brachte ihn zum Stolpern. Der Riese knallte mit dem Kopf gegen die Reling. Dabei gab die Messingstange ein lautes, volltönendes Geräusch von sich, als wäre gerade eine Glocke angeschlagen worden. Der Riese sackte bewusstlos auf dem Deck zusammen. Ding-Dong. Einer bereits außer Gefecht.

Silvio schenkte mir ein Lächeln und zeigte mit den Daumen nach oben. Ich grinste ihn an, dann wandte ich mich dem nächsten Bodyguard zu.

Phillip war klug genug gewesen, dafür zu sorgen, dass niemand die Delta Queen bewaffnet betrat – außer mir –, also machte ich mir keine Sorgen, ich könne erschossen werden. Und selbst wenn es jemandem gelungen wäre, eine Pistole oder ein Messer an Bord zu schmuggeln, konnte ich immer noch meine Steinmagie einsetzen, um meine Haut zu verhärten und mich vor Kugeln und Klingen zu schützen.

Immer noch mit demselben Stuhl prügelte ich mich zwischen zwei weiteren Wachen hindurch und fügte ihnen Prellungen oder Schnitte im Gesicht, am Hals und den Armen zu. Als ich mit diesen Riesen fertig war, war die Sitzfläche aus Plastik in meiner Hand zersprungen, also riss ich zwei der Metallbeine ab und setzte sie als Kampfstäbe ein.

Plock-plock-plock-plock-plock.

Ich schlug mit den Metallstangen auf jeden Riesen ein, den ich erreichen konnte, knallte ihnen die Stuhlbeine gegen die Knie, die Kehle, die Schläfen und zwischen die Beine. Ein Stöhnen und Keuchen hallte wie Nebelhörner über das Deck und mehr als nur ein wenig Blut spritzte durch die Luft, um in feinem Regen auf das glänzende Holz und die schimmernde Messingreling niederzugehen.

»Zurückhaltung!«, rief Silvio, nachdem ich dem Riesen, der am dichtesten bei mir war, das Ende des Stuhlbeins ins Gesicht gerammt hatte. »Zurückhaltung bitte, Gin!«

»Was?«, schrie ich zurück. »Ich schlitze sie nicht mit meinen Messern auf … noch nicht!«

Bei meinen Worten erstarrte der Riese, gegen den ich gerade kämpfte, die Faust noch zurückgezogen, um mich zu schlagen. Doch anscheinend wollte er meine Warnung ernst nehmen, denn statt mich tatsächlich anzugreifen, wirbelte er herum und eilte zur Landungsbrücke auf der gegenüberliegenden Seite des Bootes. Alle anderen kauerten bereits auf dem Deck und versuchten, wieder Kraft zum Aufstehen zu finden oder die Welt davon abzuhalten, sich um sie zu drehen.

»Du!«, brüllte Dimitri, der endlich wieder Luft bekam. Eilig schob er sein Toupet dorthin, wo es hingehörte. »Ich werde dich umbringen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue!«

Mit einem lauten Aufschrei stürzte sich der Verbrecherboss auf mich. Doch statt ihn mit dem Stuhlbein zu schlagen, wie ich es bei all den Wachen getan hatte, ging ich einfach nur in die Hocke. Dann, als er direkt über mir war, richtete ich mich auf und warf ihn über die Reling.

»Aaah …«, schrie Dimitri auf dem Weg nach unten.

Platsch.

Schritte erklangen und aus dem Augenwinkel heraus entdeckte ich Luiz, der auf mich zustürmte. Eilig ging ich wieder in die Hocke, um dann, als er mich erreicht hatte, schnell aufzustehen und auch ihn über die Seite des Schiffes zu werfen.

Ein weiterer lauter Schrei, ein weiteres, sehr befriedigendes Platschen.

Meine Augen huschten von rechts nach links, doch es gab keine Feinde mehr zu bekämpfen. Also sah ich Lorelei Parker und Jack Corbin an, die sich nicht gerührt hatten.

»Wollt ihr beide auch ein wenig Spaß haben?«, fragte ich und ließ die Stuhlbeine in meinen Händen rotieren. »Ich habe mich gerade warm gelaufen.«

Lorelei schnaubte abfällig und schüttelte den Kopf, während Corbin in gespielter Kapitulation die Hände hob.

Leise Schreie erklangen – »Hilfe! Hilfe!!« – und ich ging zur Reling. Phillip und Silvio traten rechts und links neben mich, dann sahen wir gemeinsam nach unten.

Im Fluss klammerten sich Dimitri und Luiz aneinander. Beide strampelten wie wild und versuchten, sich über Wasser zu halten, indem sie den anderen ertränkten. Dimitri hatte es irgendwie geschafft, sein Toupet festzuhalten, mit dem er jetzt auf Luiz’ Gesicht einschlug. Beide sahen aus wie die nassen, schleimigen Ratten, die sie auch waren.

Ich grinste Phillip an. »Du hattest absolut recht. Leute über Bord zu werfen macht wirklich Spaß. Ich fühle mich bereits viel besser.«

»Habe ich dir doch gesagt«, erklärte Phillip selbstgefällig. Seine blauen Augen funkelten vor Vergnügen.

Silvio seufzte. »Ermutige sie nicht auch noch.«

Die ausgeschalteten Riesen auf dem Deck stöhnten und ächzten. Ich warf meine Stuhlbeine zur Seite, drehte mich um und lehnte mich gegen die Reling. Alle Bodyguards sahen mich fragend an, um herauszufinden, was ich als Nächstes tun würde.

»Also«, rief ich und deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Möchte noch irgendjemand baden?«

Seltsamerweise wollte niemand mein freundliches Angebot annehmen.

2

Die Wachen kämpften sich taumelnd auf die Beine, schlurften zur Reling, warfen ein paar Seile und Rettungsringe nach unten und zogen ihre durchnässten Bosse aus dem Fluss.

Silvio packte ein Ende des Konferenztisches, den ich in Dimitris Bauch geschoben hatte, und rückte ihn zurück an seinen Platz.

»Was tust du da?«

Der schlanke Vampir zog ein Seidentaschentuch aus der Tasche seines grauen Anzuges und begann, die Blutspritzer vom Tisch zu wischen. »Das Meeting ist noch nicht vorbei. Du hast noch nicht entschieden, wer die Waschsalons bekommt.«

»Ernsthaft?«

Silvio säuberte einfach weiter den Tisch. »Wir können jederzeit ein neues Treffen ansetzen …«

»O nein. Nein. Auf keinen Fall verschwende ich noch mehr Zeit mit diesen zwei Schwachköpfen.«

Er warf mir einen bedeutungsschweren Blick zu. »Jetzt oder zu einem anderen Zeitpunkt. Deine Entscheidung.«

»Schön«, grummelte ich. »Dann lass uns die Sache hinter uns bringen.«

»Kein Grund zur Eile«, meinte Phillip, der immer noch an der Reling lehnte. »Schließlich brauchen Dimitri und Luiz noch Zeit, um sich abzutrocknen.«

Ich sah zu den zwei Gangstern, die keuchend und zitternd auf dem Deck lagen, Wasser lief aus ihrer Kleidung und ihren Schuhen über das polierte Holz des Decks. Ein paar Schritte entfernt lag Dimitris schwarzes Toupet in einer eigenen Pfütze.

Ich beobachtete, wie Silvio die umgefallenen Stühle aufrichtete und an den Tisch zurückstellte. Natürlich abgesehen von dem, den ich verwendet hatte, um die Wachen zu erledigen. Dieser Stuhl war irreparabel zerstört, genau wie dieses lächerliche Meeting.

»Außerdem«, fuhr Phillip fort, »braucht es bei jedem Unterwelttreffen Gewalt und Erfrischungen. Das eine hatten wir schon, also sollten wir jetzt das andere genießen. Also setz dich, entspann dich, bewundere die Aussicht und gönn dir einen Drink. Vertrau mir, Alkohol macht solche Zusammenkünfte immer erträglicher.«

»Manchmal habe ich das Gefühl, dass du und Finn Zwillinge seid, die bei der Geburt getrennt wurden.«

Finnegan Lane war Fletchers Sohn und mein Ziehbruder. Er hatte dem Meeting eigentlich beiwohnen wollen, um das Feuerwerk zwischen Dimitri und Luiz zu beobachten, aber er hatte stattdessen in seiner Funktion als Investmentbanker eine reiche, neue Klientin ausführen müssen. Wie Phillip dachte auch Finn, dass ein ordentlicher Drink, ein schicker Anzug und ein schmieriges Lächeln quasi alle Probleme der Welt lösen konnten … und hatte auch vor, das zu beweisen.

Phillip schniefte und strich sich mit der Hand über sein goldenes Haar, das er wie üblich zum Pferdeschwanz gebunden hatte. »Unsinn. Wir können auf keinen Fall Zwillinge sein, weil ich viel besser aussehe, als Lane es sich auch nur erträumen könnte.«

»Was genau die Antwort ist, die mir auch Finn gegeben hätte, hätten wir über dich gesprochen.«

Phillip grinste, dann winkte er einer seiner eigenen Wachen.

Der Riese nickte, drehte sich um und öffnete eine Flügeltür, die ins Innere des Flussschiffes führte. Eine Minute später strömte ein Team von Kellnern in schwarzen Hosen und Hemden mit roten Satinwesten darüber durch die Tür. An jeder Weste glitzerte eine goldene Anstecknadel – ein Dollarzeichen über der Silhouette der Delta Queen, Phillips nicht allzu subtile Rune für sein schwimmendes Casino und all das Geld, das er damit verdiente.

Eine Kellnerin brachte mir einen neuen Stuhl, während ein anderer Kellner die Getränkebestellungen von mir, Phillip und Silvio aufnahm sowie die von Lorelei Parker und Jack Corbin, die erneut am Ende des Tisches saßen. Ich verlangte Gin Tonic und erklärte dem Kellner, er solle den Nachschub nicht abreißen lassen. Er grinste mir zu, dann zog er los, um auch Dimitris und Luiz’ Bestellungen aufzunehmen, da die Bosse sich endlich wieder aufgerappelt hatten. Ein paar andere Kellner standen neben den Männern und legten Decken um ihre nassen Schultern, anschließend teilten sie Verbände und Eisbeutel an die Wachen aus, die ich verprügelt hatte.

Das Servicepersonal reinigte auch noch einmal den Konferenztisch und wischte die ganzen Wasserpfützen auf. Sobald alles von Neuem makellos aussah, verschwanden die Kellner wieder. Zwei von Phillips Wachen rollten eine Bar aufs Deck, dahinter stellte sich eine Frau auf und fing an, unsere Drinks zu mixen. Die Kellner tauchten wieder auf, beladen mit silbernen Platten voller Essen, die sie auf dem Tisch abstellten.

Frische Früchte, teurer Käse, aufwendige Desserts, sogar ein Korb mit frischen Butterkeksen in der Form von kleinen Flussschiffen. Mir lief das Wasser im Mund zusammen und mein Magen knurrte.

»Nettes Angebot, Philly«, sagte ich.

Er salutierte mir mit seinem Scotch-Glas. »Was soll ich sagen? Gustav leistet gute Arbeit.«

Gustav war der Chefkoch der Delta Queen. Ich war ihm persönlich noch nie begegnet, trotzdem herrschte zwischen uns, in Bezug auf unsere Kochkünste, ein gewisser Wettbewerb – besonders, weil Phillip mindestens einmal die Woche zum Mittagessen ins Pork Pit kam. Er aß dort, weil wir uns mochten und er außerdem der beste Freund meines Lebensgefährten Owen Grayson war. Aber er mochte auch meine Hausmannskost, was Gustav vollkommen verwirrte. Der klassisch ausgebildete Koch wusste die kulinarische Kunst des Barbecue und des frittierten Seelenfutters einfach nicht so zu schätzen wie ich.

Doch ich war mir nicht zu fein, das Essen von jemand anderem zu genießen – besonders Gustavs, das wirklich köstlich war. Also schnappte ich mir eine der Käsekuchen-Schnitten. Die Kürbisfüllung erzeugte eine süße Geschmacksexplosion in meinem Mund, die Kruste aus Crackern hingegen war mit genau der richtigen Menge Zimt gewürzt. Die dunkle Schokoladenganache auf dem Kuchen verschaffte ihm einen perfekten, dekadenten Abschluss.

Nachdem ich mir ein paar Stücke davon in den Mund geschoben hatte, nahm ich mir noch ein paar Apfel- und Kirschküchlein, die jeweils aus einer perfekten Kombination von goldener Kruste, warmer Fruchtfüllung und luftiger Vanillesahne bestanden, bestäubt mit Puderzucker.

Während der Rest von uns aß, trockneten sich Dimitri und Luiz ab und schlurften zurück zum Konferenztisch. Der Russe hatte sich sogar die Zeit genommen, sein schwarzes Toupet auszuwringen und sich das feuchte Rattennest wieder auf den kahlen Kopf zu setzen … auch wenn es bei jeder Bewegung drohte herunterzurutschen. Luiz stand, das Kinn an die Brust gepresst und fest in eine Decke gewickelt, zitternd da. Er wirkte irgendwie schicksalsergeben.

Dimitri allerdings schien immer noch ein bisschen wutentbrannt, trotz seines kalten Bads im Fluss. Der Russe warf die Decke ab, presste die Hände auf den Tisch und öffnete den Mund. Ich bedachte ihn mit einem kühlen Blick und hob den Zeigefinger. Sofort schluckte er die Drohung, die er offensichtlich hatte ausstoßen wollen, herunter.

»So wird es laufen«, sagte ich, »ich werde hier sitzen und dieses köstliche Essen genießen, das uns Phillip in seiner Großzügigkeit hat servieren lassen. Dann, wenn du Glück hast, werde ich zuhören, während du und Mr Ramos mir ruhig, rational und mit leiser Stimme erklärt, wieso jeder von euch der Meinung ist, dass er die Waschsalons verdient hat. Ist das klar?«

Dimitri öffnete erneut den Mund, doch was auch immer er aus meiner Miene las, es sorgte dafür, dass er seinen Protest zurückhielt. »Ist klar.«

»Gut. Dann lasst uns noch etwas essen und danach fangen wir an.«

Dimitri gefiel das offensichtlich nicht, doch er setzte sich mir gegenüber an den Tisch, mit Luiz neben sich. Nach jedem Bissen und jedem Schluck von ihrem Getränk starrten die Bosse abwechselnd sich gegenseitig oder mich böse an. Hin und wieder ließen sie auch Phillip an ihrem stummen Zorn teilhaben.

Am anderen Ende des Tisches schrieb Lorelei weiter Nachrichten auf ihrem Handy, ohne das ganze Drama groß zu beachten. Sie bemerkte, dass ich sie ansah, zog eine finstere Miene und drehte sich auf ihrem Stuhl von mir weg.

Ich hatte keine Ahnung, warum Lorelei mich so verachtete. Sicher, sie hatte ein paar Männer ausgeschickt, um mich zu töten – so wie es die meisten anderen Bosse auch getan hatten –, und zweifellos war sie enttäuscht, dass ich noch lebte, trotz ihrer Versuche, mich unter die Erde zu bringen. Doch wir hatten nie einen direkten Streit oder Konflikte miteinander gehabt. Andererseits: Wenn Lorelei Parker mich hassen wollte, war das ihr Problem. Zieh eine Nummer, Süße, und stell dich hinten an. Die Liste meiner Feinde war lang. Einer mehr oder weniger störte mich nicht im Geringsten.

Ich leerte meinen Gin Tonic und genoss die letzten köstlichen Desserts, dann schoben alle ihre Teller beiseite. Die Kellner drehten eine Runde, um alle Getränke nachzuschenken, und ich bedeutete Dimitri mit einer Handbewegung, dass er mit seinen Ausführungen loslegen konnte. Dimitri war offensichtlich nicht erfreut darüber, wie lange ich ihn hatte warten lassen, doch er stand auf, schüttelte sein Toupet auf und begann eine ausschweifende Tirade über die Waschsalons.

Ich bemühte mich, ihm zuzuhören. Wirklich, das tat ich. Aber seine Argumentation wurde bald zu einer Reihe von verdrießlichen Erklärungen, dass ihm die Waschsalons allein deswegen zustanden, weil er Dimitri Barkov und ein echt harter Kerl war. Ja, bei dieser Behauptung verdrehte sogar Luiz die Augen … doch er war klug genug, den Mund zu halten. Vielleicht glaubte Luiz auch, er könnte die Waschsalons einfach deswegen zugeschlagen bekommen, weil er die Person war, die mich weniger nervte.

Damit konnte er durchaus recht haben. Ich sah keinen anderen Grund, warum ich dem einen oder anderen Mann den Zuschlag für die Salons erteilen sollte.

Doch Dimitri fuhr mit seinem Gezeter fort, ohne zu bemerken, dass ich ihm nicht zuhörte. Genau wie alle anderen. Phillip nippte an seinem Scotch und beobachtete eine Entenfamilie auf dem Fluss, während Silvio diskret unter dem Tisch auf seinem Handy herumtippte, ebenso wie Lorelei. Selbst Dimitris eigene Wachen wirkten, als würden sie sich viel mehr für Essen und Trinken interessieren als für die Selbstdarstellungsorgie ihres Chefs.

Die allgemeine Langweile, inklusive meiner eigenen, war der einzige Grund, warum mir der Kellner auffiel.

Er trug dieselbe Uniform wie alle Mitglieder des Servicepersonals – schwarze Hose, schwarzes Hemd, rote Samtweste. Doch statt wie der Rest des Personals durch die Schwingtüren aufzutauchen, war er aus einem Gang getreten, der sich auf der Flussseite einmal um das Boot zog. Trotzdem hätte er meine Aufmerksamkeit wahrscheinlich nicht erregt, hätte nicht die Sonne den silbernen Eimer, den er in der Hand trug, so beleuchtet, dass ich von dem Glitzern fast geblendet wurde. Ich verzog das Gesicht und blinzelte.

Der Kellner stellte den Eimer auf einen Beistelltisch an der Reling, ungefähr eineinhalb Meter von meinem Platz am Ende des Konferenztisches entfernt. Eine Champagnerflasche ruhte in dem eisgefüllten Behälter.

Der Kellner ließ den Eimer stehen und schloss sich den anderen an, um die leeren Teller einzusammeln und an andere aus dem Team zu übergeben, die damit durch die Schwingtüren verschwanden. Doch er machte keine Anstalten, zurückzukehren und tatsächlich irgendetwas mit dem Champagner anzustellen. Seltsam. Man sollte meinen, er hätte die Flasche sofort öffnen sollen, während die anderen Kellner die Häppchen wieder auffüllten.

Mir kam noch ein Gedanke: Als der erste Kellner seine Runde gedreht hatte, hatte niemand Champagner bestellt … und alle hatten immer noch volle Gläser in den Händen, denn unsere Drinks waren gerade erst aufgefüllt worden. Natürlich konnte es sein, dass Phillip den großzügigen Gastgeber spielen wollte und die Blubberbrause einfach für alle Fälle zur Verfügung gestellt hatte. Doch ich hatte auch nicht mitbekommen, dass er eine derartige Anweisung gegeben hätte.

Finn erklärte mir oft, ich wäre absolut, vollkommen, wahnsinnig paranoid, aber in den letzten paar Monaten hatten so viele Leute versucht, mich umzubringen, dass ich meine ständige Sorge für mehr als berechtigt hielt. Ich war keine Superheldin, aber im Moment kribbelte definitiv mein Spinnensinn.

Ich konzentrierte mich auf den Kellner, doch der tat eigentlich nichts Verdächtiges. Sobald der Tisch wieder mit Essen bedeckt war, nahm er eine Position an der Reling ein, direkt neben dem Champagnerkühler. Er wirkte genauso gelangweilt wie alle anderen, weil Dimitri immer noch vor sich hin laberte. Doch irgendetwas stimmte nicht mit diesem Kellner.

Also starrte ich ihn weiter an, um herauszufinden, was mich störte. Er sah vollkommen durchschnittlich aus, mit sandblondem Haar und braunen Augen. Er war auch nicht besonders groß und hatte keine auffälligen Kennzeichen – keine Narben, keine Tätowierungen. Er fügte sich problemlos unter die anderen Kellner ein und hätte nach der Aufmerksamkeit, die man ihm schenkte, genauso gut ein Möbelstück sein können.

Alles perfekte Eigenschaften für einen Meuchelmörder.

Ich hatte Jahre damit zugebracht, genauso unauffällig zu sein. Einfach eine weitere Kellnerin, eine weitere Angestellte, ein weiteres nichtssagendes, höfliches Gesicht in der Menge bei einigen der prunkvollsten Partys von Ashland. Zwar mochte ich tatsächlich als Kellnerin angestellt worden sein, doch eigentlich hatte ich meine Arbeitszeit genutzt, um potenzielle Zielpersonen und die Sicherheitssysteme in den schicken Villen auszuspähen.

Doch wenn dieser Kerl ein Auftragskiller war und er hier war, um jemanden zu töten, wo waren dann seine Waffen? Ich konnte nirgendwo an seinem Körper die Silhouette einer Pistole entdecken. Natürlich konnte er einen Revolver oder ein Messer in seinem Kreuz versteckt haben oder in einem Halfter an seinem Knöchel. Aber wenn ich sein Ziel war, würde es ihm schwerfallen, die Waffe rechtzeitig zu ziehen. Ich konnte ihn mühelos mit meiner Magie beschießen, bevor er die Pistole in der Hand hielt oder nahe genug an mich herankam, um mich mit dem Messer anzugreifen.

Doch der Kerl machte gar keine Anstalten, näher an mich heranzutreten. Stattdessen stand er an der Reling, eine Hand auf dem Rand des silbernen Champagnerkühlers, und starrte Lorelei Parker an, obwohl sie immer noch alle ignorierte und auf ihrem Handy herumtippte.

»Gin?«, flüsterte Silvio. »Stimmt etwas nicht?«

Demonstrativ senkte er seinen Blick auf meinen Schoß. Ich folgte seinen Augen und sah, dass ich die Hände so fest zu Fäusten geballt hatte, dass ich sogar fühlen konnte, wie meine Finger sich gegen die Narben in meinen Handflächen drückten – zwei kleine Kreise, jeder von ihnen umgeben von acht dünnen Strahlen. Eine Spinnenrune, das Symbol für Geduld. Mein persönliches Markenzeichen, in mehr als einer Hinsicht.

Ich entspannte meine Finger, dann runzelte ich die Stirn. Denn es war nicht so sehr mein Spinnensinn, der kribbelte, als vielmehr das Steinsilber, aus dem meine Spinnenrunen-Narben bestanden. Das Metall juckte und brannte auf eine Art, die nur eines bedeuten konnte: Irgendjemand in der Nähe setzte Elementarmagie ein.

Ich sah mich auf dem Deck um. Silvio hatte jeden durchleuchtet, der sich heute hier aufhielt – Dimitri, Luiz und ihre Wachen eingeschlossen –, und keiner der Anwesenden besaß irgendwelche Magie. Natürlich konnte es sein, dass jemand seine Fähigkeiten verborgen hatte, aber der Vampir war gewöhnlich sehr gründlich. Wenn jemand hier jemals in der Öffentlichkeit Magie eingesetzt hatte, hätte Silvio das erfahren.

Natürlich konnte eine Person aus Phillips Service- oder Wachpersonal Magie einsetzen, aber ich kannte sie von meinen früheren Besuchen auf dem Flussschiff und sah niemanden, den ich nicht schon einmal gesehen hatte.

Abgesehen von dem mysteriösen Kellner.

Ich musterte ihn erneut, doch in seinen dunklen Augen leuchtete keine Magie und an seinen Fingerspitzen bildeten sich auch keine Funken oder Eisnadeln, die darauf hingewiesen hätten, dass er irgendeine Art von Magie rief.

Also konzentrierte ich mich auf das Gefühl der Magie. Es war nicht das heiße Brennen von Feuer, der kalte Frost von Eis oder auch nur das windige Gefühl von Luft. Stattdessen erinnerte mich das Gefühl an meine eigene, harte Steinmagie, auch wenn es nicht ganz dasselbe zu sein schien.

Erneut ließ ich den Blick über das Deck gleiten, aber Dimitri redete immer noch und alle waren genauso gelangweilt wie bisher. Mein Blick blieb wieder an dem Kellner hängen und endlich wurde mir klar, was mich an seiner Erscheinung störte.

Er trug keine goldene Flussschiff-Rune an seiner Weste wie alle anderen Mitglieder des Servicepersonals.

Die meisten Leute in Ashland verwendeten irgendeine Rune, die für ihr Geschäft, ihre Magie oder sogar ihren Familiennamen stand. Dasselbe galt für Unterweltbosse wie Phillip. Aber er und die anderen überwachten die Verwendung ihrer Rune genau – egal, ob es um eine Darstellung an einer Anstecknadel oder einem Ring oder irgendetwas anderem ging. Und noch strenger achteten sie darauf, wer die Rune tragen durfte. Phillip und die anderen Bosse erlaubten nicht jedem, ihre Runen zu tragen. Nein, um das Symbol zur Schau stellen zu dürfen, musste man tatsächlich Teil des Teams und dem obersten Boss gegenüber loyal sein.

Eine schwarze Hose und ein dazu passendes Hemd waren leicht aufzutreiben. Genauso wie eine rote Samtweste. Doch die goldene Flussschiff-Rune war der eine Gegenstand, den ein Möchtegernmörder nicht einfach im Laden kaufen konnte, wenn er beschloss, sich als Delta-Queen-Kellner zu verkleiden, sich an Bord zu schleichen und jemanden umzubringen.

Nein, nicht jemanden. Mich. Die Spinne.

»Bleib hier, bis ich zurück bin«, murmelte ich Silvio zu. »Lass niemanden gehen.«

»Zurück? Wo willst du …«

»Ich glaube das nicht!« Dimitris laute Stimme unterbrach Silvio. »Du hörst mir nicht zu! Schon wieder!«

Dimitri riss die Hände in die Luft und fing erneut an, mich auf Russisch zu verfluchen. Alle richteten ihre Aufmerksamkeit auf ihn, amüsiert von seiner Tirade, doch ich starrte weiter den geheimnisvollen Kellner an.

Dem Mann wurde bewusst, dass ich ihn ansah. Er erwiderte meinen Blick. Seine Augen wurden immer größer, offensichtlich dachte er darüber nach, was er jetzt tun sollte. Er schenkte mir ein angespanntes Lächeln, dann wandte er eilig den Blick ab und konzentrierte sich auf Dimitri. Gleichzeitig trat er allerdings von einem Fuß auf den anderen. Er bemühte sich, ruhig zu bleiben, doch ich konnte nervöse Schweißtropfen auf seinen Schläfen glitzern sehen, trotz der kühlen Novemberbrise. Der Kellner hätte nicht so nahe an mir gestanden und wäre plötzlich so nervös geworden, wenn ich nicht seine Zielperson wäre.

Ich sprang vom Stuhl auf. Sofort drehte er sich um und rannte davon.

Er raste übers Deck und den Gang, der sich über die gesamte Länge des Flussschiffes zog. Ich wählte die direkteste Route, sprang aus meinem Stuhl auf und dann auf den Tisch. Ich sprintete quer über die Platte, trat dabei Essenstabletts zur Seite, stieß Gläser um und richtete insgesamt Chaos an. Hinter mir erklangen überraschte Rufe. Doch ich konzentrierte mich darauf, vom Tisch zu springen und den Kellner zu jagen.

Die Schuldigen laufen immer weg. Ich sollte es wissen. Ich gehöre fast immer zu ihnen.

Doch der falsche Kellner hatte einen guten Vorsprung und bewegte sich schnell. Er riss eine Tür auf und rannte durch einen verglasten Panoramaraum, der über den Fluss hinwegsah, dann riss er die gegenüberliegende Tür auf und rannte weiter zum Ende des Schiffes.

Glücklicherweise ließ er die Tür für mich offen, sodass ich ein paar kostbare Sekunden aufholen konnte.

Doch es reichte nicht.

Als ich den Panoramaraum hinter mir ließ, war der Kerl bereits auf die Messingreling am hintersten Ende des Flussschiffes geklettert, direkt neben dem riesigen, weißen Schaufelrad, das sich über alle sechs Decks erhob. Statt zurückzuschauen, um herauszufinden, wie weit ich noch entfernt war, sprang er mit einem perfekten Kopfsprung von Bord.

Platsch!

Der Kellner tauchte mit der Grazie eines olympischen Turmspringers ins Wasser ein, sodass im Fluss kaum eine Welle entstand. Eindrucksvoll. Ich stoppte schlitternd und starrte ins Wasser.

Der Kerl tauchte wieder auf und fing an, so schnell wie möglich zum gegenüberliegenden Ufer zu kraulen. Ich wollte gerade mein Bein über die Reling heben, um hinter ihm in den Fluss zu springen …

Peng!

Peng! Peng!

Peng!

Kugeln trafen das Geländer und sorgten dafür, dass ich mich dahinter duckte. Sofort griff ich nach meiner Steinmagie, setzte sie ein, um meine Haut so hart werden zu lassen wie Marmor. Gleichzeitig sammelte ich einen kalten, silbrigen Ball aus Eismagie in meiner rechten Hand. Ich gehörte zu den seltenen Menschen, die nicht nur ein, sondern zwei Elemente kontrollieren konnten … und mit beiden war ich tödlich. Ich spähte durch die Lücken in der Reling, auf der Suche nach einem Ziel, das ich mit meiner Eismagie beschießen konnte.

Doch es flogen keine weiteren Kugeln durch die Luft auf mich zu.

Fünf Sekunden vergingen, dann zehn, dann zwanzig.

Und immer noch keine weiteren Schüsse.

Nach einer halben Minute gab ich meine Eismagie frei, hielt meine Haut aber weiterhin mit meiner Steinmacht verhärtet, für den Fall, dass der Scharfschütze versuchte, mich in falscher Sicherheit zu wiegen. Dann richtete ich mich wieder auf und sah über das Wasser hinweg.

Inzwischen hatte der falsche Kellner das flache Wasser erreicht und bahnte sich seinen Weg durch das Schilf. Ich fluchte, weil ich ihn jetzt auf keinen Fall mehr fangen konnte. Also wartete ich ab, denn ich wollte wissen, ob der Scharfschütze sich zeigen würde. Doch unglücklicherweise war die Person, die auf mich geschossen hatte, dafür einfach zu clever.

Doch er war dumm genug, noch mal durch seinen Fernstecher in meine Richtung zu schauen.

Es war dasselbe verräterische Aufblitzen, das ich vorhin schon auf dem Hauptdeck bemerkt hatte – etwas, womit ich nur zu vertraut war, denn ich hatte selbst oft Fernstecher verwendet, um Zielpersonen auszuspähen. Ich runzelte die Stirn, weil ich mich fragte, ob der Kerl sich einfach damit zufriedengeben würde, mich anzustarren, während ich aufrecht hier stand und ihm eigentlich ein einfaches Ziel präsentierte.

Die Sonne blitzte weiter auf den Linsen des Fernglases, ohne dass Kugeln in meine Richtung sausten. Auf der anderen Seite des Flusses ließ der falsche Kellner das Schilf hinter sich und schlurfte ans Ufer. Ein paar Sekunden später verschwand er zwischen den Bäumen.

Warum also starrte der Scharfschütze mich immer noch an? Er sollte mit seinem Kumpel eiligst von hier verschwinden, statt zu bleiben, um sich das Nachspiel anzusehen.

Außer … er wartete gar nicht auf dieses Nachspiel hier.

Ich dachte daran, wie der Kellner vorhin den Rand des silbernen Champagnereimers umklammert hatte. Er mochte entkommen sein, doch der Champagnerkühler stand immer noch dort, genau an dem Platz, an dem er ihn aufgestellt hatte.

Mir kam ein schrecklicher Verdacht. Ich hatte mich gefragt, welche Waffe der Kellner mit sich führte … doch vielleicht hatte er gar keine Waffe am Körper getragen. Vielleicht hatte er etwas Mächtigeres, viel Tödlicheres besessen, das er mit voller Absicht auf dem Flussschiff zurückgelassen hatte.

Eine Bombe.

3

Ich drehte mich um und rannte den Weg zurück, den ich gekommen war, wieder Richtung Bug.

Silvio und Phillip erschienen am anderen Ende des langen Ganges, zweifellos angelockt vom Knall der Schüsse. Sie kamen, um mir zu helfen, doch dafür war es zu spät.

Vielleicht war es für uns alle bereits zu spät.

Ich winkte ihnen zu. »Zurück! Schafft alle vom Hauptdeck! Bombe!«

Silvio musste mich dank seiner verstärkten Vampirsinne verstanden haben, weil er an Phillips Arm riss. Beide wirbelten herum und eilten zurück zum Hauptdeck, womit sie aus meinem Blickfeld verschwanden.

Direkt danach erklangen aus dieser Richtung Rufe und Schreie, auch wenn ich nichts verstehen konnte. Deutlich nahm ich eigentlich nur das Stampf-stampf-stampf meiner Stiefel auf dem Deck und das Rauschen des Blutes in meinen Ohren wahr. Ich rannte, so schnell ich konnte. Bei jedem Schritt machte ich mir Sorgen, dass ich zu spät kommen würde, um meine Freunde zu retten. Denn im Wald auf der anderen Seite des Flusses blitzten immer noch die Fernstecher-Linsen … und ich rechnete jeden Moment damit, dass der Scharfschütze die Bombe fernzündete.

Zumindest hätte ich das getan.

Doch der Scharfschütze hatte anscheinend andere Vorstellungen, denn die Luft wurde von keiner Explosion zerrissen. Es flackerte kein Feuer auf und es erhob sich auch keine Rauchwolke gen Himmel. Also rannte ich weiter. Ich wusste nicht, warum die Bombe noch nicht detoniert war, aber ich würde jede Sekunde nutzen, die mir blieb.

Nur so konnten wir überleben.

Ich rannte zurück auf das Hauptdeck, nur um festzustellen, dass sich das Meeting in absolutem Chaos aufgelöst hatte. Silvio und Phillip schrien alle an, das Schiff zu verlassen. Phillip stand neben der breiten Flügeltür und versuchte, seine Angestellten in Sicherheit zu bringen.

Auf der anderen Seite des Decks, am Landungssteg, hatte sich ein Stau gebildet, weil Dimitri, Luiz und ihre Wachen alle darum kämpften, zuerst vom Schiff zu kommen. Silvio war ebenfalls dort und schrie alle an, das Schiff ruhig und in Zweiergruppen zu verlassen, doch der schmal gebaute Vampir war den Riesen nicht gewachsen. Er wurde von den hohen, breiten Körpern hin und her gestoßen wie ein Tennisball, den man erst in diese, dann in die andere Richtung schlägt. Niemand hörte auf ihn und niemand schaffte es, das Schiff zu verlassen.

Phillip rannte zu Silvio, packte den am nächsten stehenden Riesen und warf ihn über die Reling ins Wasser. Philipps Mischung aus Zwergen- und Riesenblut verlieh ihm ausreichend Stärke, um in die Menge zu waten, Dimitri, Luiz und ihre Männer aus dem Weg zu stoßen und Silvio endlich etwas Freiraum zu verschaffen.

Und Lorelei Parker den perfekten Fluchtweg zu eröffnen.

Lorelei hatte den Riesen körperlich nichts entgegenzusetzen, aber sie stellte ein Bein vor und brachte so einen von ihnen zum Stolpern, als er an ihr vorbeirannte. Der Riese schrie, taumelte nach vorn und warf damit auch die zwei Männer vor sich um – wie Bäume, die im Wald gemeinsam umstürzen. So ergab sich ein Weg in die Freiheit. Lorelei sprang auf den Rücken des liegenden Riesen, hüpfte über die zwei anderen Männer hinweg und erreichte mühelos die Landungsbrücke. Selbst ich musste ihre hinterhältige, effektive Technik bewundern. Corbin folgte ihr ans Ufer, dann verschwanden beide außer Sicht.