Aiken, G. A. Long Island Witches

Entdecke die Welt der Piper Fantasy:
www.Piper-Fantasy.de

 

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Michaela Link

 

© Shelly Laurenston, 2007, 2009
Titel der amerikanischen Originaltexte: »My Kind of Town«, 2007 und »The Wolf, the Witch and Her Lack of Wardrobe«, 2009 bei Kensington Publishing Corp., New York
© Piper Verlag GmbH, München 2020
Covergestaltung: Guter Punkt, München
Covermotiv: ksi / Adobestock

 

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

 

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

Auf samtigen Pfoten

Kapitel 1

»Hier ist überall Blut.«

Kyle Treharne beugte sich über den Beifahrersitz des umgekippten Autos, dessen Fahrerseite so schwer beschädigt war, dass sich eigentlich niemand durch das zerbeulte Metall aus dem Wagen hätte befreien können. Auch nicht die Frau, deren Angst er roch. Angst und Panik … und noch etwas anderes. Etwas, das er nicht ganz benennen konnte.

»Siehst du irgendjemanden?«, fragte sein Boss. Kyle rückte das Headset zurecht, um den Mann besser hören zu können. Die Stimme des Sheriffs war so tief, dass es oft schwer war, genau zu verstehen, was er sagte.

»Nein. Ich sehe niemanden. Auch keine Leichen, aber …« Er schnupperte und senkte den Blick. »Eine Blutspur.«

»Geh ihr nach. Und gib mir Bescheid, wenn du etwas findest. Ich schicke die Sanitäter los.«

»In Ordnung.« Kyle legte auf und folgte der Blutspur, die direkt zum Strand führte. Er ging schnell, weil er befürchtete, die Frau könnte verbluten, doch gleichzeitig machte er sich auch Sorgen, dass diese menschliche Frau etwas sehen würde, das er niemals würde erklären können.

Kyle lief zwischen den Bäumen hindurch, bis er an den Strand kam. Wie erhofft, lungerten dort weder Leute aus der Stadt noch Besucher der Hotelanlage herum. Der Strand lag an diesem heißen Augusttag glücklicherweise völlig verlassen da. Kyle ging weiter der Blutspur nach, die in einem kleinen Bogen durch den Sand verlief. Sie führte in den Wald zurück, etwa sechs oder sieben Meter von der Stelle entfernt, wo er selbst hineingegangen war.

Er war kaum ein paar Schritte weit gekommen, als ein greller Lichtblitz und der Geruch der verschwundenen Frau ihn trafen, Sekunden bevor sie ihn traf. Er hätte eigentlich schneller sein müssen. Normalerweise wäre er es auch gewesen. Aber ihre Fährte hatte ihn total aus dem Konzept gebracht, und er konnte sich nicht schnell genug berappeln, um der Frau auszuweichen, die jetzt direkt in ihn hineinkrachte.

Sie prallte so heftig gegen ihn, dass sie ihn, wäre er vollkommen menschlich gewesen, vielleicht sogar getötet hätte.

Kyle war aber kein Mensch. Er war anders auf die Welt gekommen, wie fast alle in seiner kleinen Stadt. Sie mochten nicht alle derselben Gattung entstammen, doch sie waren alle von derselben Art.

Trotzdem bedeutete seine nicht ganz menschliche Natur keineswegs, dass er keinen Schmerz spürte. Gerade jetzt, als er flach auf dem Rücken landete und die Frau sich auf ihn setzte, fühlte er jede Menge Schmerz.

Doch er ließ nach, als die Frau sich bewegte und ihr schmaler Körper über seinen streifte. Sie stöhnte und Kyle umfasste sanft ihre Schultern.

»Hey, Schätzchen. Geht es Ihnen gut?«

Sie antwortete nicht. Stattdessen klatschte sie ihm eine Hand aufs Gesicht und drückte seine Nase platt, weil sie sich mit ihrem ganzen Gewicht daraufstützte und hochstemmte.

Durch ihre Finger hindurch konnte er die Verwirrung in ihren Augen sehen, während sie sich umschaute. Blut, das aus einer tiefen Platzwunde auf ihrer Stirn sickerte, verklebte ihr dunkelbraunes Haar und bedeckte einen Teil ihres Gesichtes. Blutunterlaufene, leicht mandelförmige braune Augen schauten sich suchend um. Kyle hatte nicht die leiseste Ahnung, wonach sie suchte. Ihre Oberlippe war ebenfalls aufgeplatzt, und obwohl sie nicht länger blutete, hatte die Stelle angefangen, sich außenrum schwarz und blau zu verfärben.

Verdammt, die Kleine ist süß.

»Ähm …« Er klopfte ihr auf den Arm. »Könnten Sie die Hand wegnehmen, Schätzchen?« Er stieß die Frage hervor, als hätte er die schlimmste Erkältung im Universum. »Ich kann nicht richtig atmen.«

Sie sah ihn nicht einmal an, sondern starrte stattdessen in den Wald. »Verdammt. Es ist weg.« Die Frau übte noch mehr Druck auf seine arme Nase aus und stieß sich schließlich von ihm ab. »Verdammt. Verdammt. Verdammt.« Sie stolperte in Richtung Wald und Kyle rappelte sich schnell hoch.

»Das ist nicht meine Schuld. Wirklich nicht«, platzte die Frau heraus.

Armes Ding, vollkommen im Delirium wegen des starken Blutverlusts. Sie brabbelt vor sich hin wie eine Irre, dachte Kyle.

Dann blieb sie stehen. Abrupt. Beinahe so, als sei sie gegen eine Wand gelaufen. »Verdammt«, wiederholte sie.

Da er wusste, dass er sie ins Krankenhaus schaffen musste, bevor sie ihm wegstarb, legte Kyle ihr eine Hand auf die Schulter und drehte sie sanft zu sich um. »Es ist alles gut, Liebes. Ich bringe Sie von hier weg, okay?« Er legte ihr einen Arm auf den Rücken, schob ihr den anderen unter die Knie und hob sie hoch.

Hmm. Sie fühlt sich gut an.

Kyle schaute lächelnd auf sie herunter und für einen Moment sah sie ihn vollkommen verwirrt an.

Dann fing die Verrückte an, um sich zu schlagen und zu treten, und versuchte, aus seinen Armen herauszukommen. Obwohl sie über keinerlei Technik verfügte – sie tat kaum mehr, als wild mit den Armen zu rudern –, konnte er nicht glauben, wie stark sie trotz des großen Blutverlustes war. Schnell merkte er jedoch, dass noch jemand ihre Fährte aufgenommen hatte und direkt auf sie zukam.

Kyle packte die kämpfende Frau um die Taille und drückte ihren Rücken mit einen Arm an sich. Ohne auf den Schmerz zu achten, den ihre kleinen Fäuste und Füße ihm zufügten, drehte er sich so, dass sie in die entgegengesetzte Richtung schaute. Mit seiner freien Hand holte er zu einem Haken aus und donnerte seine Faust gegen das Maul des schwarz-orangefarbenen Yankee-Bastards, der wild entschlossen schien, die Frau in seine Tigerpfoten zu bekommen. Tigermännchen brauchten nur einen Hauch von einem Weibchen zu erschnuppern, um sich – so sicher wie das Amen in der Kirche – darauf zu stürzen. Die Tatsache, dass diese Frau vollkommen menschlich und zudem von außerhalb war, schien für einige Idioten keine Rolle zu spielen.

Ein überraschtes Aufjaulen, und die Yankee-Katze flog zurück in den Wald. Kyle verdrehte die Augen. Er liebte seine Stadt, doch die Yankees, die häufig aufkreuzten, konnte er weiß Gott nicht leiden. Alle durch die Bank unhöflich, anmaßend und verdammt nervig.

Kyle ging mit der Frau, die er immer noch festhielt, weiter, bis sie anfing, ihn zu ohrfeigen.

»Hände weg! Hände weg! Lassen Sie mich los!« Bei all dem Blutverlust schien sie vollkommen klar, wenn auch ziemlich irre zu sein.

Schlimmer noch. Er hätte diesen Akzent überall erkannt. Ein Yankee. Ein verdammter Yankee.

Kyle ließ sie fallen, sodass sie unsanft auf ihren süßen Hintern in den Sand knallte.

Nach einem Moment benommenen Schweigens funkelte sie ihn plötzlich mit ihren großen braunen Augen an … und da wusste Kyle Treharne, dass er im schlimmsten Schlamassel seines Lebens steckte.

 

Nein, nein. Das war kein normal großes menschliches Wesen. Weit gefehlt. Ihr Zirkel hatte sie gewarnt: »Im Süden sind sie ziemlich groß, Süße«, aber sie hätte nicht gedacht, dass sie so groß waren.

Oder so attraktiv. Sie hatte noch nie so schwarzes Haar gesehen. Nicht braun. Schwarz. Aber wenn das Licht auf eine bestimmte Weise darauf fiel, konnte sie noch andere Farben unter dem Schwarz ausmachen. Helle Rot-, Gelb- und Brauntöne. Dann noch seine Augen. Der Blick heller, heller goldener Augen flackerte über ihr Gesicht und nahm jedes Detail auf. Seine Nase, an der Spitze abgerundet. Seine vollen Lippen, die zum Darüberlecken einluden.

»Werden Sie sich jetzt beruhigen, Schätzchen? Oder soll ich Sie noch mal auf ihren hübschen Hintern fallen lassen?«

Emma Lucchesi – Anhängerin der Dunklen Mütter, elementare Macht des Zirkels der Dunkelsten Nacht, Meisterin des neunten Levels des Traumreichs und Steuerberaterin auf Long Island für die Kanzleien Bruce, MacArthur und Markowitz – wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Was sie zu ihm sagen sollte. Vor allem, weil sie nicht aufhören konnte, den Mann anzustarren, der über ihr stand.

Routine. Das hier hätte reine Routine sein sollen. Die simple Suche nach einer Machtquelle, nötig, um sich keine Sorgen um Blutopfer machen zu müssen. Ihre beiden letzten Machtquellen waren schnell versiegt. Schneller als gewöhnlich, daher hatten sie sich außerhalb ihrer Heimatstadt auf die Suche gemacht. Aber sie hatten nicht vorgehabt, dermaßen außerhalb ihrer Heimatstadt danach zu suchen. Und irgendwie hatte der Zirkel eine Tür geöffnet, die sie jetzt in aller Eile wieder hatten schließen müssen. Es führte zu allen möglichen Problemen, wenn man die Tür zwischen den Dimensionen zu lange offen ließ.

Mithilfe einiger Auffindezauber und ein paar wirkungsvoller Runen, die sich im Besitz des Zirkels befanden, hatte Emma die Stelle irgendwo an der Küste der Carolinas entdeckt. Normalerweise machte Emmas Rolle es lediglich erforderlich, den betreffenden Ort zu finden, und irgendjemand anderes aus dem Zirkel löste das Problem.

Genau wie in ihrem Job, mit dem sie sich ihren Lebensunterhalt verdiente, kümmerte Emma sich um die Einzelheiten. Die Details. Die kleinen Dinge. Jemand anders regelte die dramatischeren oder interessanteren Sachen. Und diesmal wäre es nicht anders gewesen, hätte es da nicht ein kleines Problem gegeben …

»North Carolina? Im Süden? Oh. Ähm. Nun, weißt du, ich kann mir wirklich nicht so lange freinehmen.« Wenn sie London oder Paris oder sogar San Francisco oder Chicago gesagt hätte, hätte es ein Riesengeschrei gegeben, wer fahren dürfte. Selbst Jamie Meacham, ihre Hohepriesterin, hätte sich zumindest mit ihrer Cousine Mackenzie Mathews darum geprügelt.

Aber so blieb es schließlich an Emma hängen, diesen kleinen Ausflug zu machen, weil niemand sonst bereit war, in den Süden zu fahren, um sich um eine so unbedeutende Situation zu kümmern.

Natürlich war Emma sich immer noch nicht ganz im Klaren darüber gewesen, dass sich ihre »unbedeutende Situation« binnen Sekunden in eine ausgewachsene Katastrophe verwandeln würde. Erst hatte sie sich typischerweise verfahren, außerstande, die Stadt namens Smithville irgendwo in ihrem Navigationsgerät zu finden, obwohl eine riesige Tafel, auf der »Willkommen« stand, ihr sagte, dass sie am richtigen Ort war. Dann war dieses Etwas wie ein streunender Hund aus dem Nichts aufgetaucht und direkt vor ihren beigefarbenen Mietwagen getreten. Sie hätte rechtzeitig bremsen können, aber anders als ein streunender Hund hatte es sie angegriffen. Mit einem Hechtsprung. Dieses Etwas war in die Motorhaube ihres Autos gekracht und hatte es um sie herum zusammengedrückt. Sie darin eingeklemmt. Und es hätte sie getötet, wenn sie nicht schnell gehandelt hätte. Während das Metall um sie herum unter schrillem Kreischen eingedellt worden war, hatte sie nach ihren Schwestern gerufen. Hatte nach ihnen gerufen, ihre Macht an sich gerissen und sich damit umgeben. Hatte die Macht der Dunklen Mütter durch sich hindurchfließen lassen.

Schließlich war sie außerhalb der zusammengedrückten Überreste ihres Mietwagens erwacht, ohne eine Ahnung davon, wie sie dorthin gelangt war, und lag in einer Lache ihres eigenen Blutes. Doch sie spürte bereits, dass ihre Kräfte zurückkehrten, spürte, wie die schützende Macht ihres Zirkels die offenen Wunden verheilen ließ und den Blutverlust wieder ausglich.

Sie musste allerdings dringend wieder ganz zu Kräften kommen, denn auch wenn die Tür jetzt geschlossen worden war – was Emma in die Arme dieses unzufriedenen Hünen geschleudert hatte –, rannte dieses Etwas, das sie zu töten versucht hatte, immer noch frei herum. Sie musste es erwischen, bevor es jemanden umbrachte. Sie wusste nicht, ob ihr Zirkel es beim Öffnen der Tür entfesselt hatte, aber verdammt, sie konnte dieses Ding nicht hier in der winzig kleinen Südstaatenstadt herumlaufen lassen wie in einem Horrorfilm.

Emma schluckte und stieß mühsam »Ich muss los« aus ihrer Kehle hervor. Es war das Äußerste, was sie während ihres innerlichen Selbstheilungsprozesses gerade zustande brachte.

»Jep. Das müssen Sie wirklich.« Er hockte sich vor sie hin, und sie stieß einen stummen Seufzer der Erleichterung aus, als sie endlich den Schriftzug des Sheriff’s Departement von Smithville County auf seinem T-Shirt sah. Zuerst hatte sie nur einen wunderschönen Mann in schwarzen Jeans, schwarzen Stiefeln und einem perfekt sitzenden schwarzen T-Shirt gesehen. Mitten im August ergab Schwarz in ihren Augen zwar keinen Sinn, aber er sah gut aus.

Als er seine große Hand ausstreckte, schreckte sie sofort zurück. Er blinzelte überrascht und sagte: »Keine Sorge, Schätzchen. Niemand wird Ihnen wehtun. Ich muss mir nur Ihren Kopf ansehen. Und dann müssen wir Sie ins Krankenhaus schaffen.«

»Nein«, brachte sie hervor und klang dabei viel energischer, als sie sich fühlte. »Nicht ins Krankenhaus.«

Er grinste, und sie merkte, wie ihre Haut zu kribbeln anfing.

»Ich finde es entzückend, dass Sie denken, Sie hätten da ein Mitspracherecht, Liebes.«

Große, starke Hände, die ihr wahrscheinlich ihren schmalen Hals umdrehen konnten, schoben ihr sanft das Haar aus dem Gesicht. Sie zog die Brauen zusammen, nicht weil er sie berührte, sondern weil er vielleicht bemerken würde, wie schnell die Platzwunde an ihrem Kopf heilte. Erheblich schneller, als sie es eigentlich tun sollte.

Sie schlug nach seiner Hand. »Fassen Sie mich nicht an!«

Als er seufzte, verstand sie nicht recht, warum er dabei so verärgert klang. Wurden Cops nicht dazu ausgebildet, mit schwierigen Opfern klarzukommen? Jamie und Mac waren auf jeden Fall dazu ausgebildet worden. Eine Polizistin und eine Feuerwehrfrau, und die beiden konnten mit den meisten Situationen umgehen, vor denen Emma und der Rest des Zirkels schreiend davongelaufen wären.

»Werden Sie weiter solche Schwierigkeiten machen?«

»Ja«, antwortete sie schlicht.

»Na schön.« Ohne ein weiteres Wort legte er die Arme um sie und hob sie beim Aufstehen mit in die Höhe.

»Wa…was machen Sie da?«

»Ich bringe Sie zu meinem Wagen, damit ich Sie ins Krankenhaus fahren kann. Ich will nicht weiter auf die Sanitäter warten. Und hören Sie auf zu zappeln.« Sie hörte nicht auf, aber er zog sie einfach fester an sich. »Was habe ich gerade gesagt?«

Sie funkelte ihn an, außerstande, ein weiteres Wort hervorzubringen.

»Oh, gut. Sie können Anordnungen befolgen.«

Oh, dieser Mistk

»Und beschimpfen Sie mich nicht in Gedanken.« Unheimlich helle goldene Augen schauten ihr ins Gesicht. Sie hatte noch nie in ihrem Leben Augen von dieser Farbe gesehen. »Denn ich weiß, dass Sie das tun.«

Sie verdrehte die Augen und er zog eine rabenschwarze Braue hoch. Nachdem sie sich fast eine Minute lang stumm angestarrt hatten, nickte er und ging weiter, und Emma schmollte.

Schmollte, weil sie einfach zu schwach war, um noch länger zu kämpfen. Aufgrund des Blutverlustes und dessen, was sie bereits getan hatte, um die Tür zu schließen, konnte sie kaum die Augen offen halten. Tatsächlich wäre ein kleines Nickerchen …

»O nein, das tun Sie nicht. Sie müssen wach bleiben, Liebes.«

Seufzend zwang sie sich, die Augen zu öffnen. »Hören Sie auf, mich Liebes oder Schätzchen zu nennen.«

Er kicherte und zog sie fester an seinen wunderbar warmen Körper. »In Ordnung. Ich werde Sie als genau das bezeichnen, was Sie sind …«

Emma war darauf gefasst. Sie wusste genau, wie er sie nennen würde, wenn sie zu Hause wäre. Wie man sie schon früher genannt hatte, wenn sie einen betrunkenen Unbekannten auf der Straße ignoriert hatte oder bei einer Ampel, die rot wurde, nicht schnell genug vom Gaspedal gegangen war. Aber das nächste Wort, das aus seinem Mund kam, bewirkte, dass sie sich in seinen Armen versteifte.

»… Yankee.«

Und was sie am meisten ärgerte, war der Abscheu, der in seinen Worten mitschwang.

Kapitel 2

»Du weißt, dass sie eigentlich tot sein müsste, oder?«

Kyle nickte. »Ja. Ich weiß.«

Dr. Dale Sahara, ein in Harvard ausgebildeter Arzt, dessen Kopf Kyle in eine Toilette gedrückt hatte, als er erfahren hatte, dass dieser Bastard mit seiner kleinen Schwester rumknutschte, zog seine Latexhandschuhe aus. »Und doch scheinen ihre Verletzungen ziemlich schnell zu verheilen.«

»Wie schnell?«

Der große, schwere Mann mit dem Wuschelkopf zuckte die Achseln und warf seine Handschuhe in einen knallroten Mülleimer. »Ihre Stirn musste ich lediglich mit zwei Stichen nähen, und ihre Lippe brauchte nicht einmal ein Pflaster, nachdem ich das viele Blut abgewischt hatte.«

»Wie ist das möglich? Ihr Wagen war voller Blut. Sie auch. Und ihr Auto ist schrottreif.«

»Das hast du schon erwähnt. Ich sage dir nur, was ich nach der Wundreinigung festgestellt habe.«

»Was ist mit inneren Verletzungen?«

In Saharas Kinn zuckte plötzlich ein Muskel, und Kyle wusste, dass er dem selbstgefälligen Bastard eine Frage zu viel gestellt hatte. Gut. Er hatte Dale Sahara schon in der Highschool nicht gemocht und jetzt mochte er ihn mit Sicherheit immer noch nicht.

»Glaubst du, ich hätte das nicht untersucht?«, blaffte Sahara.

Kyle zuckte lässig die Achseln. »Ich überzeuge mich nur davon, dass du gut aufgepasst hast und deinen Job richtig machst, Doc.«

Der Mann ballte die Hand zur Faust, aber er schien trotzdem nicht die Kontrolle zu verlieren. Doch Kyle musste zugeben, dass er es liebte, ihn zu piesacken. Löwen machten es einem immer so leicht.

»Ich weiß nur, dass die Verletzungen der Frau schneller heilen, als es normal zu sein scheint, Deputy.«

»Aber sie ist kein …«

Sahara ließ ihn nicht aussprechen. »Nein. Sie ist vollständig menschlich.«

»Das dachte ich mir.«

»Also wenn du mal keine kluge Straßenkatze bist.«

Kyle kniff die Augen zusammen. »Bring mich nicht dazu, deinen Kopf noch mal in die Toilette zu drücken, Doc.«

»Ich würde gern sehen, wie du es versuchst«, knurrte Sahara, dessen Reißzähne unter seinen Lippen hervorlugten.

Kyle warf seine halb leere Coladose quer durch den Raum in den Mülleimer und ging auf Sahara zu, doch eine der Krankenschwestern trat zwischen sie.

»Ihr beide hört jetzt sofort auf damit. Ihr führt euch auf wie zwei Hunde, die sich um einen Knochen zanken.« Sie deutete mit dem Kopf auf Kyle. »Du solltest besser nach ihr sehen, Kyle. Dein kleiner Mensch wird schrecklich hibbelig. Zickt ständig rum, dass ihr Handy nicht funktioniert und dass sie wegwill.«

Kyle nickte. Ihr Handy würde hier niemals funktionieren. Die Stadt besaß schließlich Satelliten, um genau dafür zu sorgen. »Ich kümmere mich um sie.« Er stolzierte um die beiden herum, um zum Zimmer der Frau zurückzugehen, im Vorbeigehen schlug er Sahara jedoch mit der flachen Hand auf den großen Löwenkopf.

Wenn die Krankenschwester den Doc nicht gepackt und sich an ihm festgeklammert hätte, wäre es zu einem hässlichen Kampf gekommen.

 

Emma ging nicht viel nach draußen, das war ihr bewusst. Das gab sie auch offen zu. Wenn sie sich doch einmal aus dem Haus wagte, war sie aber eine wirklich gute Beobachterin. Sie beobachtete und sie studierte und sie fixierte. Allerdings nur, wenn es niemand bemerkte.

Doch in all den Jahren, in denen sie andere beobachtet hatte, hatte Emma noch nie so viele gut aussehende Leute auf einem Fleck gesehen. Die Krankenschwester … umwerfend. Der Arzt … umwerfend und verdammt süß. Und dieser Typ, dieser Deputy … nun, er war mehr als umwerfend, aber er war alles andere als süß.

Allerdings störte es sie, dass er sie immer wieder anstarrte, was unverständlich war, wenn man bedachte, wie zauberhaft die Krankenschwestern waren. Ganz davon abgesehen, dass sie von oben bis unten voller Blut gewesen war, hätte Emma für diese Leute eigentlich genauso unsichtbar sein müssen, wie sie es für alle anderen auf der Welt auch war.

Emma, stets Realistin, war nicht perfekt. Sie war halb Italienerin, halb Chinesin und alle bedachten sie mit demselben Blick, wenn sie ihnen ihren Nachnamen nannte, als erwarteten sie samt und sonders, dass er »Ling« oder »Chen« lautete. Aber davon abgesehen war Emma einfach bloß ein nettes Mädchen aus Long Island. Als Steuerberaterin, die auch bei ihren eigenen Steuern nie mogelte, obwohl sie wusste, wie man das meiste rausholte, hatte sie einen schönen, sicheren Job in einem großen Bürogebäude mit vielen Anwälten und Steuerberatern, die nicht einmal ahnten, dass es sie überhaupt gab. Sie verdiente anständig und hatte keine nennenswerten Schulden. Sie fuhr sogar einen sicheren beigefarbenen Toyota und lebte ein sicheres beigefarbenes Leben. Eine ihrer zickigen Cousinen hatte einmal gesagt: »Du könntest Langeweile zu einer olympischen Disziplin machen.«

Nein. Sobald sie es einrichten konnte, musste Emma raus aus dieser Stadt. Sie kriegte hier Komplexe. In einem Land voller schöner Leute wollte niemand ein Mauerblümchen sein. Darum würde man sie auch niemals in Southbeach, Florida, oder in irgendeinem heißen New Yorker Club erwischen. Es gab nichts Schöneres, als von schönen Leuten ignoriert zu werden.

Emma ließ sich vom Bett gleiten und schnappte sich ihre Jeans. Sobald sie aus dem Krankenhaus raus war, würde ihr Handy wahrscheinlich wieder funktionieren. Sie bekam einfach keine Verbindung und niemand wollte ihr ein verdammtes Telefon geben. Sie hatte noch nie in ihrem Leben so viele Male ein Nein zu hören bekommen, und das immer auf die denkbar netteste Weise. Bisher hatte sie noch kein einziges ungehaltenes Wort von irgendjemandem gehört.

Emma schlüpfte mühevoll in ihre Jeans und zog sie unter ihrem viel zu großen Krankenhaushemd hoch. Stirnrunzelnd griff sie nach ihrem T-Shirt, das voller Blut war. Sie hätte es lieber nicht angezogen, doch sie hatte keine Wahl. Also fasste sie das Krankenhaushemd am Ausschnitt und zog es herunter. Sie hatte es schon beinahe über ihren Busen gezogen, als die Worte »Was machen Sie denn da?« sie innehalten ließen.

Emma hielt sich das Hemd vor die Brust, wirbelte herum und sah den Deputy dastehen, die Arme vor dem Oberkörper verschränkt. Er lehnte an der Tür, die Füße lässig überkreuzt. Emma hatte das beunruhigende Gefühl, dass er schon die ganze Zeit dort gestanden hatte, während sie damit beschäftigt gewesen war, ihre Jeans anzuziehen.

»Würden Sie mir eine Antwort geben?«, fragte er gedehnt, seine Stimme ruhig, seine verrückten hellgoldenen Augen auf ihren Körper gerichtet.

»Nein.«

Leise lachend stellte er sich gerade hin und lockerte seine Arme und Beine. Dann kam er auf sie zu und Emma konnte nicht anders: Sie machte einen Schritt nach hinten und sah sich nach einem anderen Weg aus dem Raum um.

»Na, na, Schätzchen, Sie werden doch jetzt nicht versuchen, mir auszuweichen?«

Wenn Emma daheim in New York gewesen wäre und irgendein hünenhafter Typ ihr genau dieselbe Frage gestellt hätte, hätte sie »Feuer« geschrien – denn da, wo sie herkam, ließ ein herausgeschrienes »Hilfe« oder »Vergewaltigung« kaum jemanden auch nur eine Augenbraue hochziehen –, und sie hätte versucht, ihm die Augen auszukratzen. Aber irgendetwas an diesem Typen … etwas, das sie nicht ganz verstand … ließ sie erstarren. Wie damals, als ein wütender Rottweiler sie hinter der Pizzeria ihres Vaters in die Enge getrieben hatte. Sie hatte damals gewusst, dass er ihr, wenn sie sich rührte, an die Kehle gehen würde.

Erschreckenderweise hatte sie bei diesem Typen das gleiche nervöse Gefühl.

Sein imposanter Körper ragte über ihr auf und er starrte ihr mit seinen hellgoldenen Augen ins Gesicht. »Sie bestehen darauf, Schwierigkeiten zu machen, was?« Er kam einen weiteren Schritt näher und sie spürte seine Körperwärme, roch seinen Duft … und ups, das war angenehm.

Emma schluckte. »Schwierigkeiten?«

»Ja. Schwierigkeiten.« Er nahm ihr das T-Shirt aus der Hand und warf es zurück auf den Stuhl, auf den sie es ursprünglich gelegt hatte. »Indem Sie versuchen zu verschwinden, bevor der Doc grünes Licht gibt.« Seine großen Hände packten mit festem Griff ihr Krankenhaushemd, und Emma hörte plötzlich auf zu atmen, während sie abwartete, was er noch tun würde. Obwohl sie wusste, was sie gern gehabt hätte … doch das kam ihr falsch vor. Sie kannte diesen Mann kaum ein paar Stunden. Sie und ihr letzter Freund waren erst drei Monate nach ihrem ersten Date miteinander ins Bett gegangen. Als sie das bei einem zwanglosen Abendessen ihrem Zirkel gegenüber erwähnt hatte, hatten alle sie nur angestarrt, als spräche sie plötzlich kantonesisch. Aber Emma kannte dieses plötzliche Aufwallen von sexueller Leidenschaft eben nicht – bis jetzt.

Behutsam zog der Deputy ihr das Hemd aus den Fingern und streifte es ihr langsam wieder über die Schultern. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos, als er sie umdrehte und sie spürte, wie seine Finger das Hemd wieder zuknoteten. Sie dachte, dass er es dabei bewenden lassen würde, doch dann stieß sie ein leises Quieken aus, als ihr klar wurde, dass er sich hinter sie gehockt und ihre Jeans gepackt hatte.

»Halt!« Sie hielt seine Hände durch das Hemd hindurch fest. »Was zur Hölle tun Sie da?«

»Ich will Ihnen nur helfen.«

»Ich brauche Ihre Hilfe nicht«, stieß sie mit schriller Stimme hervor, während er sich aus ihrem Griff löste und ihre offene Jeans herunterzog, um dann jeden Fuß einzeln anzuheben und aus dem Hosenbein zu befreien.

»So. Ist das nicht besser?«

Sie drehte sich um und funkelte ihn an, ihr Gesicht hochrot. »Nein!«

Er grinste sie an, und sie hätte beinahe zurückgelächelt. Beinahe.

»Nun«, fuhr er fort, während er immer noch vor ihr hockte, ihrer Pussy gefährlich nah. »Ich will nichts mehr davon hören, dass Sie gehen. Sie bleiben, bis ich und der Doc etwas anderes sagen.«

»Was?« Panik. Sie wurde von einer tiefen, markerschütternden Panik erfasst. »Sie können mich nicht hier festhalten, wenn ich nicht bleiben will.«

»Oh, und ob wir das können, Liebes. Hab ich recht, Doc?«

Emma riss den Kopf hoch, und tatsächlich, der extrem umwerfende Dr. Sahara stand in der Tür und lächelte sie an. Sie gewann den Eindruck, dass er schon die ganze Zeit da gestanden hatte, während der Deputy mit ihrer Jeans tat, was er wollte. Machten diese Leute denn gar keine Geräusche? War das etwa so ein Südstaaten-Ding? Wie Maisgrütze und Eisbein?

»Also, Miss Emma«, tadelte Dr. Sahara sie mit zuckersüßer Stimme, »wir müssen sichergehen, dass Sie okay sind, bevor wir Sie entlassen.«

»Sie … Sie haben doch gesagt, ich sei okay. Sie haben gesagt …«

»Ich habe gesagt, dass nichts Offensichtliches vorliegt. Aber wir möchten Sie noch zur Beobachtung dabehalten. Wir wollen schließlich nicht, dass Ihnen etwas zustößt, nachdem Sie uns verlassen haben. Nicht wahr, Deputy?«

»Nein. Wir wollen, dass sie gesund und munter ist.«

Emma senkte den Blick und begriff, dass, der Deputy diese Worte genau auf Höhe ihres Schritts gesagt hatte. So etwas war ihr noch nie passiert. Diese Nähe zu zwei Männern voller Testosteron, die sie behandelten, als fänden sie sie heiß. Niemand behandelte sie so, dazu war sie viel zu unscheinbar. Niemand bemerkte Emma. Das war schon immer so gewesen. Und um ehrlich zu sein, sie hatte sich ziemlich daran gewöhnt, und es war ihr lieber so.

Sie drängelte sich an dem Mann zu ihren Füßen vorbei. »Ich weiß Ihre Sorge zu schätzen, Gentlemen. Aber ich denke wirklich …«

»Das steht nicht zur Debatte, Liebes.«

Emma hielt inne und drehte sich zu dem Deputy um. Der Mann ließ sich Zeit damit aufzustehen. Sein Körper war ein einziger sich anspannender Muskel, als er sich langsam zu seiner vollen Größe aufrichtete. Beinahe hätte sie gestöhnt. So ein schöner Typ war ihr noch nie untergekommen. Aber da war noch etwas an ihm. Etwas, das sie nicht recht zu deuten wusste.

Doch eines wusste sie. Er würde es bereuen, wenn er sie richtig sauer machte.

Er würde es sehr bereuen.

Eine schwarze Braue zuckte nach oben, als er vor ihr stand und ihr grinsend ins Gesicht schaute. »Hören Sie auf, mich in Gedanken zu bedrohen. Denn wir wissen beide, dass Sie das tun.«

Emma wollte gar nicht wissen, wie zur Hölle er das machte.

Kapitel 3

Der letzte Löffel des feinen belgischen Schokoladenpuddings schwebte vor ihrem Mund in der Luft. Ihr Blick klebte auf dem von Minute zu Minute seltsamer agierenden Deputy. »Was?«

»Ich habe gefragt, wie viele Brüder und Schwestern Sie haben.«

»Warum?«

»Warum was?«

»Warum fragen Sie mich das?«

Er blinzelte und starrte sie an, als verstünde er sie nicht recht. »Weil das höfliche Unterhaltung ist.«

Vielleicht im Süden, aber da, wo sie herkam, bedeutete es einfach nur, dass man neugierig war – und etwas im Schilde führte.

»Bekomme ich eine Antwort?«

Emma kniff die Augen zusammen. »Einige.«

Der Deputy blinzelte wieder, dann lächelte er. Aber es war definitiv ein »Dieses Mädchen ist mir unheimlich«-Lächeln. »Sie haben einige Brüder und Schwestern? Ihre Eltern haben Ihnen keine konkrete Zahl genannt?«

»Doch, haben sie. Ich bin nur nicht bereit, sie Ihnen zu verraten.«

»Ist es immer so schwierig, mit Ihnen zu reden?«

»Ja.«

»Na schön.« Er warf frustriert die Hände in die Luft. »Keine persönlichen Fragen mehr.«

»Danke.« Sie betrachtete den Löffel voll Pudding, der darauf wartete, verzehrt zu werden, und begriff, dass sie ihn nicht länger wollte. Bedächtig legte Emma den Löffel zurück auf das Tablett und der Deputy starrte ihn an.

»Essen Sie das noch?«

Emma kratzte sich am Kopf, wobei sie Beulen oder schmerzende Stellen vom Unfall mied. »Ähm … nein.«

Kyle schnappte sich den Löffel, schob ihn sich in den Mund, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und leckte ihn lässig ab. Er tat das so beiläufig, dass sie das Gefühl hatte, als würden sie sich schon seit Jahren kennen. An dem Punkt hätte sie eigentlich längst das Weite suchen müssen. Oder die State Police verständigen, damit sie sie aus dieser Irrenstadt in North Carolina retteten.

Stattdessen wäre Emma zum ersten Mal in ihrem Leben am liebsten auf den Schoß des Mannes gesprungen, um den Löffel wegzuwerfen und ihn durch ihre Zunge zu ersetzen. Sie wollte ihn. Sie wollte einen Mann, der sie ständig entweder »Yankee« oder »Liebes« oder »Schätzchen« nannte.

Nein. Nein. Es wurde Zeit zu verschwinden. Sofort. Bevor sie sich zu einer absoluten und totalen Närrin machte, noch dazu vor einem Haufen schöner Menschen.

»Ich glaube, ich werde mir morgen früh einen neuen Mietwagen besorgen und zum Flughafen in Wilmington fahren. Zurück nach Hause.« Damit hatte sie die ganze Nacht Zeit, ihren kleinen »Freund« zu finden und zu töten und sich diese Sache von der Seele zu schaffen, bevor sie aus dieser verrückten Stadt verschwand.

Der Deputy zog langsam den Löffel aus dem Mund, leckte mit seiner unnatürlich langen Zunge einige Male darüber und sagte: »Nein.«

Emma wartete auf mehr, doch da kam nichts. »Was soll das heißen … was meinen Sie mit ›Nein‹?«

Er zuckte die Achseln. Langsam, lässig … aufreizend. »Ich meine: Nein, Sie gehen nirgendwohin.«

»Sie können mich nicht gegen meinen Willen hier festhalten.«

»Warum nicht?« Er wusste, dass es falsch war, aber es machte ihm einen Mordsspaß zu beobachten, wie sie in Rage geriet und unleidlich wurde, wenn sie nicht bekam, was sie wollte.

»Was meinen Sie mit: ›Warum nicht‹? Es verstößt gegen das Gesetz.«

»Ich bin das Gesetz, Kleines«, verkündete Kyle entspannt und wünschte, sie hätte ihm ein wenig mehr von diesem Pudding übrig gelassen. Für ein Krankenhaus hatten sie hier wirklich ausgesprochen gutes Essen. Aber seinesgleichen, vor allem die snobistischen Löwenrudel, erwarteten nur das Beste, belgischen Schokoladenpudding inklusive, für ihre seltenen und für gewöhnlich kurzen Krankenhausaufenthalte. »Zumindest bin ich das hier in der Gegend.«

Sie musterte ihn einen Moment lang, dann blinzelte sie und schaute schnell weg, vermied es krampfhaft, ihn direkt anzusehen.

»Ich bin mir relativ sicher«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und sah sich dabei im Zimmer um, »dass das Kidnapping ist.«

»Wohl kaum.« Kyle konnte sich keinen Reim auf sie machen. Sie schien keine Angst vor ihm zu haben, sich aber definitiv auch nicht wohlzufühlen. »Es geschieht zu Ihrem eigenen Wohl. Der Doc hat gesagt, er wolle nicht, dass Sie irgendwohin gehen, bis er sich sicher sein kann, dass mit Ihnen alles okay ist.«

»Für wie lange?«

Bis ich bereit bin, dich gehen zu lassen. »Ein paar Tage.«

Ihre Augen wurden riesig und Kyle wünschte sich nichts mehr, als ihr die unordentlichen Locken aus dem Gesicht zu streichen. Als sie aus der Notaufnahme in ihr Zimmer gekommen waren, hatte sie sich ihr Haar mit den Fingern so ins Gesicht gekämmt, dass er ihre zauberhaften Augen kaum sehen konnte. Das gefiel ihm nicht.

»Ein paar Tage? Ich kann nicht für ein paar Tage hierbleiben.«

»Warum nicht? Sie haben dem Doc erzählt, Sie seien im Urlaub. ›Ich gehe einfach dahin, wo mich die Sonne hinführt‹, waren Ihre Worte, glaube ich. Also, was kümmert es Sie, ob Sie einige Tage hierbleiben oder nicht?«

Das schien sie aus der Fassung zu bringen. »Ähm …«

»Sind Sie so in unserer kleinen Stadt gelandet, Emma? Weil Sie dahin gefahren sind, wo die Sonne Sie hingeführt hat?«

Sie schob ihr Essenstablett von sich. »Ja. Klar.«

»Lügen Sie mich nicht an, Emma.«

Sie funkelte ihn an. »Ich lüge nicht.«

Kyle seufzte. »Na schön.«

»Ich muss meine Freunde anrufen«, verkündete sie entschieden. »Ich bekomme mit meinem Handy hier keine Verbindung.«

Ihre Freunde? Warum nicht ihre Familie? Jetzt, da er darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, dass sie kein einziges Wort über ihre Familie verloren hatte. Die meisten Leute, egal ob Menschen oder andere, wollten nach einem Unfall ihre Verwandten sehen. Allerdings hatte sie auch keinen festen Partner oder Ehemann erwähnt, was er sehr beruhigend fand.

»Sicher. Ich werde Ihnen erlauben, Ihre Freunde anzurufen. Sobald Sie mir sagen, warum Sie hier sind.«

»Ich mache Urlaub.«

»Einen Gesetzeshüter zu belügen ist nie eine gute Idee, Miss Emma.«

»Es ist nie eine gute Idee, jemanden gegen seinen Willen festzuhalten, Deputy. Und doch scheinen Sie kein Problem damit zu haben.«

Für jemanden, der ihm kaum Blickkontakt gewährte, gab sie nicht gerade klein bei. Kyle stand auf und beugte sich über die Metallstreben ihres Krankenhausbettes. »Lassen Sie uns das Ganze noch einmal probieren. Erzählen Sie mir, warum Sie hier sind.«

Sie schaute zu ihm hoch, den Blick fest auf seine Augen gerichtet, während sie langsam die Arme vor der Brust verschränkte. »Ich. Mache. Urlaub.«

Kyle nickte und trat zurück. »Also schön. Ich hoffe, dieses Zimmer gefällt Ihnen. Sie werden es noch ein ganzes Weilchen zu sehen kriegen.«

»Was soll das heißen?«

»Es soll heißen, dass Sie nirgendwohin gehen, bis ich eine ehrliche Antwort von Ihnen bekomme. Also, machen Sie es sich gemütlich.«

Er ging zur Tür. »Ich werde ein paar Bücher und Zeitschriften aus dem Laden holen, zur Unterhaltung.«

Sie antwortete ihm nicht, sondern wandte nur den Kopf ab und schaute aus dem Fenster.

 

Emma schloss die Tür ihres Krankenhausbadezimmers. Sie stöhnte, als ihr klar wurde, dass die Tür kein Schloss hatte, und wusste, dass sie keine Zeit verschwenden durfte.

Sie tippte schnell eine Nummer in das Handy, das sie dem Deputy aus der Jeanstasche geklaut hatte, als er sich über sie gebeugt und Emma ihre persönliche Freiheit verweigert hatte, und wartete.

Ihre Hohepriesterin nahm ab. »Meacham.«

»Hi, Jamie. Ich bin’s.«

»Em.« Die Frau atmete vor Erleichterung tief aus. »Du hast mir Sorgen gemacht, Mädchen.«

»Ich habe dir Sorgen gemacht?«

»Aber dir geht es gut, richtig?«

»Ja. Es geht mir gut. Im Krankenhaus.«

»Oh, Süße …«

»Nein. Nein. Nichts dergleichen. Der hiesige Deputy hat mich gefunden und darauf bestanden, mich herzubringen. Ich denke, sie sind alle ein wenig aufgescheucht, weil meine Verletzungen so schnell heilen. Du weißt nicht zufällig etwas darüber, Boss?«

Jamie stieß ein leises Kichern aus. »Ich versuche lediglich, dir zu helfen.«

Als Emma sie gerufen hatte, hatte sie nur Jamies Schutz benötigt. Die plötzliche Fähigkeit ihres Körpers, schnell zu heilen, war lediglich Angeberei vonseiten der Hohepriesterin. »Schön, du hast mir geholfen. Aber jetzt sind sie höllisch misstrauisch. Und um ganz ehrlich zu sein …«

»Ja.«

»Diese Leute hier machen mir Angst. Sie sind alle so nett. Vielleicht ein wenig zu nett. Und alle sind riesig. Also überdimensional groß. Außerdem findet sich der Ort auf keiner Karte. Ich meine, ich habe alles durchforstet, und … nichts.«

»Was willst du damit sagen?«

»Nur so viel: ein Experiment der Regierung.«

»Hast du dir den Kopf ein wenig zu heftig am Lenkrad angeschlagen, Schätzchen?«, fragte Jamie. »Vielleicht hast du einen Schädelbruch?«

»Mir gefällt dein Sarkasmus nicht.«

Jamie lachte. »Sieh mal, ich habe dich doch vorgewarnt, dass die Leute dort unten nett sind. Und erinnerst du dich an meine Cousins und Cousinen aus Alabama? Die sind ebenfalls riesig. Im Süden werden sie eben groß. Und die meisten dieser Käffer sind auf keiner Karte verzeichnet.«

»Käffer? Welches Kaff hat auf seiner Dorfstraße Gucci-, Versace- und Prada-Läden?«

»Keine Ahnung. Vielleicht ist das ja wie in den Hamptons von North Carolina?«

»Warum lässt man mich dann nicht gehen?«

»Moment mal. Wer lässt dich nicht gehen?«

»Der Deputy und der Arzt. Sie sagen, ich darf nicht weg.«

»Okay, noch mal zum Mitschreiben: Nach einem schweren Autounfall, bei dem du ohne deinen Zirkel ums Leben gekommen wärst und du außerdem blutüberströmt warst, wollen der Arzt und der Deputy dich nicht aus dem Krankenhaus entlassen? Diese Bastarde

Emma knirschte mit den Zähnen. »Ich höre da schon wieder diesen Sarkasmus.«

 

Kyle fasste nach einer Ausgabe der Zeitschrift Elle und überlegte, ob Emma diesen Kram las. Sie wirkte nicht gerade »modebewusst«, wie seine kleine Schwester es nannte. Jeans und T-Shirt, die sie getragen hatte, als er sie gefunden hatte, waren ausgeleiert und ziemlich langweilig. Gleichzeitig wirkte sie aber auch nicht so, als wäre ihr das Aussehen egal.

»Warum kannst du keinen Porno kaufen wie der Rest von uns?«

Kyle seufzte und machte sich gar nicht erst die Mühe, sich umzudrehen. »Was machst du hier?«

Tully Smith, sein Stiefbruder und der Bürgermeister von Smithville, trat vor den Zeitschriftenständer und griff nach einer Ausgabe der Architectural Digest. Es war ein düsterer Tag in Smithville gewesen, als Kyles Daddy Tullys Mom geheiratet hatte. Aber Kyle und Tully waren damals sieben gewesen und außerstande, es zu verhindern, auch wenn sie es versucht hatten. Trotzdem, Kyle liebte seine Mom mehr, als er es je für möglich gehalten hätte. Vom ersten Tag an hatte sie die Vorsilbe »Stief« in ihrem Haus nicht geduldet. Sie waren eine Familie, pflegte sie zu sagen. Ungeachtet der Unterschiede. Ungeachtet der Spezies.

»Die ganze Stadt redet davon, dass ein Mensch in der Nähe des Strandes einen Autounfall hatte. Und dass du einen unserer Besucher verprügelt hast.«

»Ich habe ihn nicht verprügelt, ich habe ihm die Nase gebrochen. Wenn ich ihn verprügelt hätte, wäre viel mehr Blut geflossen. Außerdem hat er sie angegriffen. Ich musste etwas tun.«

»Da will ich dir gar nicht widersprechen. Ich weiß, wie diese blöden Großkatzen sein können.«

Kyle funkelte ihn an, und Tully tat so, als sei er entsetzt. »Natürlich habe ich nicht dich gemeint, kleiner Bruder.«

Bei einem Altersunterschied von drei Monaten bestand der Mann immer noch darauf, ihn »kleiner Bruder« zu nennen.

Kyle schnappte sich einen Stapel x-beliebiger Zeitschriften vom Ständer und ging zur Kasse. »Du hast meine Frage immer noch nicht beantwortet. Was machst du hier, Hund?«

»Ich würde gern unsere kleine Besucherin kennenlernen.«

Nicht in diesem Leben. Tully entsprang einer langen Ahnenreihe von Alphamännchen. Manchmal schien es, dass das alles war, was die Smiths zeugten. Doch um das Alphamännchen irgendeines Smith-Rudels zu werden, die überall in den Staaten verteilt waren, musste man etwas haben, das der Rest der Hunde nicht hatte. Sicher, sie waren alle zäh, stark und rudelorientiert. Aber Tully war schlau. Gewieft. Die Art Wolf, die während einer Dürre immer irgendwie Wasser und Nahrung fand, während andere Rudel um jeden Tropfen kämpften und langsam verhungerten. Auf keinen Fall würde Kyle den hinterhältigen Bastard in Emmas Nähe lassen.

»Vergiss es. Sie erholt sich noch von dem Unfall. Ich will nicht, dass du sie belästigst.«

Tully folgte ihm zur Kasse. »Na, na, kleine Miezekatze. Nicht nötig, so besitzergreifend zu werden. Ich mache nur meinen Job. Wir wissen beide, wie seltsam ihre Anwesenheit hier ist. Und dennoch ist sie hier. Also wollen die Ältesten, dass ich sie kennenlerne.«

Die Ältesten repräsentierten jedes Rudel, jede Rotte, jeden Clan und alle anderen, die in ihrer Stadt herumlungerten. Ungeachtet ihrer Differenzen arbeiteten sie zusammen, wenn es darum ging, die Stadt zu beschützen.

»Im Moment ist es meine einzige Sorge sicherzustellen, dass sie nicht einfach durch die Gegend spaziert. Sie scheint wirklich neugierig zu sein.«

»Die Stadt ist in höchster Alarmbereitschaft, weil ein Mensch zu Besuch gekommen ist. Also solltest du dir keine allzu großen Sorgen machen. Ich bezweifle, dass du Randy Cartwright idiotisch kichernd die Hauptstraße entlanglaufen sehen wirst, während er versucht, eine blutende Antilope zu erwischen.«

Die Brüder schauten einander an und schnaubten unisono: »Hyänen.«

 

»Hör mal, Emma, warte noch ein oder zwei Tage, bis sie sicher sind, dass es dir gut geht, und dann komm nach Hause.«

»Ich kann nicht. Noch nicht.«

Jamie hielt inne, dann fragte sie: »Was verschweigst du mir?«

Emma zuckte zusammen. »Gar nichts?«

»Emma …«

»Okay. Okay. Ich glaube, irgendetwas hat versucht, mich zu töten. Möglicherweise.«

»Das ist doch nicht wieder diese Regierungsexperiment-Theorie, oder?«

»Nein. Auch wenn ich, was das angeht, trotzdem recht habe«, brummte sie.

»Was war es denn für ein Irgendetwas?«

»Es hat ausgesehen wie ein Hund. Ein Old Shuck vielleicht?«

»Die hab ich nicht mehr gesehen seit … ich weiß nicht … sechshundert Jahren?«

»Ich erzähle dir nur, was ich glaube gesehen zu haben. Es sah aus wie ein großer, zotteliger Old Shuck.«

»Bist du in Gefahr? Wenn jemand Dämonenhunde aus den Höllengruben beschwört …«

»Mir geht es gut«, antwortete sie schnell. »Alles bestens. Ich werde mich darum kümmern.«

»Ich habe das Gefühl, du willst nicht, dass ich komme.«

»Du bist mal wieder paranoid.« Nein, Jamie war nicht paranoid, aber es hatte keinen Sinn, sie aufzuregen. Wenn die Frau zu Hochform auflief, war sie echt gefährlich; nicht nötig, eine ganze Stadt diesem Risiko auszusetzen, wenn Emma die Situation selbst bereinigen konnte.

»Ich habe alles unter Kontrolle.«

»Obwohl du gegen deinen Willen von bösen Regierungskräften festgehalten wirst, die fleißig riesige, freundliche Südstaatentypen erschaffen?«

»Ich lege jetzt auf.«

»Okay. Okay.« Jamie lachte. »Bevor du Schluss machst, die anderen wollen dich sehen. Heute Nacht.«

»Warum?«

»Um sich davon zu überzeugen, dass es dir gut geht. Und hör auf, so überrascht zu klingen. Davon bekomme ich Komplexe. Später bei dir. Okay?«

Endlich lachte Emma. »Ja, in Ordnung. Bei mir.«

»Gut. Wir sprechen uns.«

»Okay.« Emma griff nach dem Türknauf und blinzelte, als sie feststellte, dass der Name des Krankenhauses darin eingraviert war. Das schien ihr für ein örtliches Krankenhaus ziemlich kostspielig. »Bis später, Jamie.« Sie legte auf und öffnete die Tür und im nächsten Moment stand sie unmittelbar vor einer überdimensionalen Brust. Das Telefon wurde ihr aus der Hand gerissen, und Emma entfuhr ein seltsames kleines Quieken, bevor sie den Blick an einem Astralkörper emporwandern ließ, um in das hübsche Gesicht des Deputys zu schauen.

»Diebstahl«, sagte er gelassen, »ist in Smithville ein Vergehen, für das man gehängt wird, Schätzchen.«

Und Emma wusste, dass er es todernst meinte.

 

»Das können Sie nicht mit mir machen!«

Er schaute nicht einmal von seinem Radsportmagazin auf, das er in den Händen hielt. »Doch. Kann ich.«

Emma starrte auf die Handschelle, mit der ihr rechtes Handgelenk am Metallgestell des Bettes fixiert war. Sie konnte immer noch nicht ganz glauben, was hier passierte, und schlug mit der Handschelle gegen das Bettgestell, was dem Deputy ein veritables Knurren entlockte.

»Lassen Sie das bleiben. Es nervt mich.«

Zu wütend, um darauf irgendetwas zu geben, schlug Emma erneut mit der Handschelle gegen das Metall.

Er riss den Kopf hoch und seine hellgoldenen Augen richteten sich auf sie.

Hui!

»Ich habe gesagt, Sie sollen das bleiben lassen.«

»Und ich habe gesagt, sie sollen mich gehen lassen.«

Feixend wandte der Bastard sich wieder seiner Zeitschrift zu. Also ließ Emma die Handschelle klimpern.

Sein Knurren verwandelte sich in ein Fauchen. »Sie wissen, dass ich das hier noch viel schlimmer für Sie machen kann?«

»Und Sie wissen, dass ich Sie verklagen kann – Sie, dieses Krankenhaus, diese merkwürdige Kleinstadt und jeden anderen, der mir einfällt? Wissen Sie das?« Sie hatte keine Ahnung, wo sie plötzlich den Mumm hernahm, aber sie musste zugeben, dass sie es genoss.

»Und ich kann Sie wegen Diebstahls anklagen. Vielleicht hoffen Sie ja, unsere Gefängnisse von innen kennenzulernen.«

»Sie würden mich ins Gefängnis stecken?« Sie konnte den Schock nicht verbergen. Sie war Emma Lucchesi, die langweilige Emma Lucchesi. Bis auf ihren Hang, mit überhöhter Geschwindigkeit über den Long Island Expressway zu rasen, hatte Emma noch nie irgendwelche Probleme mit dem Gesetz gehabt. Und Teufel noch mal, im Gefängnis war sie ganz bestimmt noch nie gewesen!

»Ich habe mit dem Gedanken gespielt.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Doch Sie können mir auch verraten, warum Sie hier sind, und wir vergessen Ihren Diebstahl einfach.«

»Erstens habe ich mir dieses Handy lediglich ausgeborgt. Und zweitens bin ich im Urlaub. Außerdem hätte ich in dieser Stadt gar nicht haltgemacht, wenn ich mich nicht verirrt und meinen Wagen zu Schrott gefahren hätte.«

»Wobei mir einfällt … wie ist das eigentlich passiert? Der Autounfall, meine ich.«

»Hund.«

»Hund?«

»Ein Hund ist mitten auf die Straße gerannt. Ich bin ihm ausgewichen.«

»Sind Sie sich sicher, dass es ein Hund war?«

»Ja. Ich bin mir sicher, dass es ein Hund war.« Aus dem siebten oder achten Höllenkreis, aber ein Hund.

Er stritt nicht mit ihr, was sie nervöser machte, als wenn er es getan hätte.

Stattdessen legte er den Kopf schräg und musterte sie. »Warum kämmen sie sich die Haare so ins Gesicht?«

Aufs Neue erschrocken fuhr Emma zurück. »Wie bitte?«

»Warum tragen Sie Ihr Haar auf diese Weise? Können Sie überhaupt etwas sehen?«

»Natürlich kann ich sehen!«

»Wirklich? Denn Sie erinnern mich an einen dieser Hirtenhunde, aber ich habe gehört, dass die nichts sehen können, es sei denn, jemand kümmert sich um ihr Haar.«

Sie holte tief Luft und antwortete: »Können wir jetzt aufhören zu reden?«

»Warum? Ich habe unsere Unterhaltung genossen.« Und sie hatte das Gefühl, dass er das ehrlich meinte.

»Nun, ich nicht. Tatsächlich fangen Sie an, mir auf die Nerven zu gehen. Und ich sage das den Leuten normalerweise nicht, selbst wenn sie es tun. Aber Sie? Sie müssen es einfach hören.«

»In Ordnung.« Er wandte sich wieder seinem Magazin zu und sagte kein Wort mehr.

Emma nahm sich eine der Zeitschriften, die er für sie mitgebracht hatte. Sie verdrehte angesichts des Models auf dem Cover die Augen.

»Nicht Ihr Ding?« Und ihr wurde eines klar: Selbst wenn sie dachte, dass der Mann sie nicht beachtete, tat er es.

Sie schüttelte den Kopf, warf die Zeitschrift beiseite und durchsuchte den Rest des Stapels. »Nein.« Sie griff nach U. S. News & World Report und lehnte sich in die Kissen.

»Mmh. Eine Denkerin«, murmelte er, und Emma hätte beinahe gelacht. Um sich gleich darauf fast zu verschlucken, als er hinzufügte: »Ich mag Denkerinnen.«

Kapitel 4

Kyle hörte sie einmal zu oft im Schlaf seufzen. Er konnte es nicht mehr ertragen. Also stand er auf und verließ Emmas Zimmer. Wenn er heute Nacht überhaupt noch mal Schlaf finden wollte, musste er sich einen anderen Ort dafür suchen, denn wann immer diese verdammte Frau seufzte, wurde er härter und härter, bis er sich fast sicher war, dass er gleich explodieren würde.

Er konnte nicht weit weg gehen, da sie offensichtlich ziemlich durchtrieben war. Noch immer kam er nicht dahinter, wie sie sein Handy aus seiner Jeans hatte ziehen können, ohne dass er es bemerkt hatte. Sollte sie entwischen, würde er höllische Probleme haben, sie wieder aufzuspüren. Und dann würde er mit jedem verdammten Raubtier in der Stadt kämpfen müssen, um sie zu beschützen. Nur der Anflug von ihrem köstlichen Geruch, und sie würden sie alle umlagern. Das duldete er einfach nicht. Und das war auch einer der Gründe, warum er sie mit einer Handschelle ans Bett gefesselt hatte. Außerdem sah sie damit verdammt lecker aus.