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Hanna Marten

Schattenklang


Für jeden mit Fantasie im Herzen und mit dem Mut, sie in die Welt hinauszutragen


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Anfang

Schattenwesen ungleicher Art wird es niemals vergönnt sein, einander zu lieben – sie vergehen wie die Jahreszeiten, enden abrupt oder verenden ineinander wie Wasser das Feuer auslöscht.“

 

Nachkommen unterschiedlicher Schattenwesen werden den Tod finden.“

 

Gesetz der schlafenden Königin

 

„Es wird eine Zeit kommen, in der zwei Kinder gleicher Art geboren werden, identisch in ihrem Blut. Das eine mit Güte im Herzen wird zur Mittagsstund’ geboren. Das andere mit dem Keim der Zerstörung in der Seele zur Abendstund’. Die Letzten ihrer Art werden die Zerstörung ihrer Vorfahren herbeiführen.“

 

– Die Prophezeiung der Feenkönigin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Jeder mag Geschichten – ob man sie als Kind in Form von Märchen oder als neugieriger Leser zwischen Buchseiten ergründet.

Zwei Geschichten habe ich bereits erzählt, und nun ist es an der Zeit, eine weitere zu erzählen. Ich habe sie erlebt, habe Seite an Seite mit den Schattenwesen gekämpft, um meinen eigenen Platz zwischen ihnen zu finden. Damals wusste ich noch nicht, wohin mich die Ereignisse des Jahres 2012 führen würden. Heute, sieben Jahre später, sitze ich auf dem Boden eines Waldes, fernab der irdischen Welt, und warte auf das Mädchen, dem ich diese Geschichten erzählen will.

Sie verspätet sich und ich frage mich, was sie aufgehalten hat. Oder wer. Als ich hinter mir ihre leisen Schritte höre, die ihre Ankunft ankündigen, drehe ich mich um. „Du hast mich warten lassen“, sage ich, und das siebenjährige Mädchen mit den grünen Augen und dem honigfarbenen Haar sieht mich schuldbewusst an.

„Entschuldigung“, nuschelt es und legt die Hände über seinem weißen Sommerkleid zusammen.

Ich sehe über die Oberfläche des Wassers und seufze. „Bist du sicher, dass du mir so lange zuhören kannst? Dieses Mal wird es eine lange Geschichte“, sage ich und klopfe auffordernd zweimal auf das Holz neben mir.

Cassandra setzt sich neben mich. „Ja, das kann ich. Ich möchte mehr über Mummy und Daddy hören.“

Ich schlucke und unterdrücke die Tränen, die in meine Augen steigen, blinzle sie weg und atme tief ein. „Zwei Wochen nachdem dein Vater starb, war ich mit deiner Großmutter Lara in New York City. Sie war dort nach ihrer Gefangenschaft medizinisch betreut worden und sollte bald ihre Rückkehr nach Italien antreten …“

 

1

Sienna

 

 

Der Duft des Meeres, Asphalts und von Hot Dogs stieg mir in die Nase. Auf Pier 13 saß ich außerhalb eines kleinen Kaffeehauses. Der eisige Wind, der die winterlichen Düfte von Mandeln und gebackenen Kastanien zusätzlich aus den Parks bis hierhertrug, ließ selbst das Eichhörnchen auf meinem Tisch erzittern.

Ich legte sachte meine behandschuhte Hand über das zitternde Knäuel, während ich ihm mit der anderen ein paar Erdnüsse hinhielt.

„Du musst fressen“, murmelte ich. „Der Winter wird hart. Ich fühle es. Wenn du hierbleiben willst, musst du dir ein ordentliches Fettpolster zulegen.“ Mit vollen Backen starrte es mich mit seinen dunklen Augen an, als könne es nicht fassen, was ich gerade gesagt hatte. Ich lächelte und verpasste ihm mit dem Zeigefinger einen leichten Stups auf den Kopf. „Stimmt, nicht nur du musst essen“, murmelte ich und nahm einen Schluck aus meiner Tasse mit heißer Schokolade.

„Warum sitzt du nicht im Kaffeehaus?“

Olivers verärgerte Stimme war nachvollziehbar, doch es kümmerte mich nicht. Unter Menschen zu sein war mir fremd geworden. Anders als Oliver, der einen Monat lang in Foltergefangenschaft des Clans Saintclair hatte leben müssen, empfand ich Gesellschaft als Belastung. Der Vampir setzte sich neben mich. Sein blondes Haar hatte er mit Haargel nach hinten gekämmt, nur ein paar Strähnen hingen ihm ins Gesicht und betonten seine blaugrauen Augen, die wachsam den Pier auf und ab spähten. Sein bleiches Gesicht war von zwei Narben gezeichnet, die sich jeweils über seine hohen Wangenknochen zogen. Man hätte ihn auch für einen Piraten halten können, wenn man den langen schwarzen Mantel dazuzählte, den er trug.

Er sah mich an. „Warum bist du mit diesem Vieh hier draußen?“

Ich lehnte mich in dem Plastikstuhl zurück. „Weil ich es möchte. Tiere sind da drin verboten. Außerdem genieße ich die frische Luft.“

Oliver musterte nun das Eichhörnchen. „Warum lässt du es nicht einfach frei?“

„Es folgt mir auf Schritt und Tritt.“

Oliver starrte mich ungläubig an. „Und du hast nicht herausgefunden, warum?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe bereits alles versucht: aussetzen, verstecken. Alles auf einem Schiff. Es bleibt bei mir.“

Oliver zuckte mit den Schultern. „Vergiften?“, schlug er vor, doch er winkte sofort ab. „War ein Witz. Ein Haustier passt zu dir. Übrigens: Lara hat mich kontaktiert. Sie fährt heute Abend zurück nach Italien. Sie möchte, dass du mit ihr kommst, Sienna.“

Ich nahm erneut einen großen Schluck aus meiner Tasse, um mir meine Antwort so gut es ging zurechtzulegen. „Was hast du ihr geantwortet?“

Oliver trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte herum. „Worum du mich gebeten hast: Du überlegst es dir. Sie schien jedoch aufrichtig damit zu rechnen, dass du mit ihr kommst. Warum auch immer.“

Ich kannte Laras Grund: Sie wusste von meiner Schwangerschaft. Sie appellierte an den Familieninstinkt in mir, der während der letzten Wochen meiner Abwesenheit von Rom jede Sekunde von mir verlangt hatte, zu meinem Clan zurückzukehren.

Mein Clan. Ja, diese Bezeichnung verlieh mir mehr Unbehagen als alles andere: Ich hatte der Vampir-Familie, den Van Scivers, als Wächterin gedient. Über dreihundert Jahre lang hatte ich Eindringlinge und feindliche Clans mithilfe meiner Wächter aus Vampiren abgewehrt, bis Lara van Sciver vor zwanzig Jahren verschwunden war. Zurückgelassen hatte sie ihre neugeborenen Zwillinge, Ileana und Vincent, die sie angeblich hatte töten wollen. Vor zehn Wochen war ich mit Olivers jüngerem Bruder, Philipp Aragon, ausgezogen und hatte die Zwillinge in den Schoß der Familie zurückgeholt, nachdem sie neunzehn Jahre lang in einem Londoner Jugendheim aufgewachsen waren …

„Warum sträubst du dich gegen eine Rückkehr? Was willst du sonst tun?“, fragte Oliver und riss mich aus meinen Gedanken.

„Die Gründe dürften naheliegend sein, Oliver. Ich habe Phils Tod zu verantworten. Ich bin die Tochter einer verräterischen Psychopathin und …“ Ich konnte es Oliver nicht sagen. Noch nicht.

Vor nicht allzu langer Zeit hatten wir eine Affäre, die ich beendete, als die Zwillinge nach Rom kamen. Kurz darauf hatte ich ihn für eine Rettungsaktion rekrutiert.

Dabei war Vincent von Joanna Saintclair mit einem unbekannten Gift infiziert worden, das ihn in einen triebgesteuerten Vampir ohne jegliche Emotion verwandelte. Danach hatten wir die Meldung erhalten, dass Oliver ermordet worden war.

Bis vor zwei Wochen, als ich Lara van Sciver in Toronto aus ihrer Gefangenschaft befreien konnte, hatte ich nicht geahnt, dass er noch am Leben sein könnte.

„Du bist in erster Linie du selbst, Sienna.“ Seine Augen suchten meinen Blick. „Das weiß Simon und das wissen die anderen auch.“

Ich schätzte es, dass er mich aufzuheitern versuchte. „Das ist wahr. Doch du vergisst, wie ähnlich wir den Menschen sind. Wie blind wir der Wahrheit gegenüber sein können, wenn sie unbequem ist. Das weißt du ebenso gut“, entgegnete ich und lächelte gequält. Oliver betrachtete mich schweigend.

„Du bist nicht seine Tochter.“ Er sprach es aus, als sei es eine Gewissheit. Als wüsste er von den Gedanken, die mich dabei quälten. Die mir das Herz auseinanderrissen und Faser für Faser durchtrennten. Simon van Sciver, der Herrscher über den Clan in Europa, war laut Cordelia Aragons Behauptung mein biologischer Vater. Kein allzu schlechter Tausch gegenüber dem Mann, der mich großgezogen hatte: Simon war zwar keine Person, die sich in Gefühlen suhlte und zu jedem Geburtstag riesige Geschenkberge im Zimmer aufstellte, doch er verteidigte jeden, den er zu seiner Familie zählte.

„Das kannst du nicht wissen, Oliver“, sagte ich unwirsch und leerte die restlichen Nüsse mit einer Handbewegung auf den Tisch, sodass das Eichhörnchen sie nun von der Tischplatte auflesen musste. „Cordelia und Simon hatten ein Verhältnis. Das haben beide bestätigt, sogar Lucan wusste davon. Ein weiterer Beweis ist, dass ich ihr wie aus dem Gesicht geschnitten bin“, sagte ich und vermied es sorgfältig, ihn anzusehen.

„Ich bestreite nicht, dass du meiner Granny außerordentlich ähnlich siehst, aber … Simon dein Vater? Entschuldige bitte, aber dafür gibt es keinen Beweis, Si.“

Ich schluckte und sah ihn an. „Doch, den gibt es.“ Ich stand auf, vergrub die Hände tief in den Taschen und ging ein paar Schritte. Meinen Blick starr auf die Skyline Manhattans gerichtet, versuchte ich, die Tränen zurückzuhalten.

Es herrschte mehrminütiges Schweigen zwischen uns, bis Oliver erneut das Wort ergriff. „Du hast einen Test machen lassen?“

Ich nickte. „Wenige Tage nachdem ich Rom verließ, habe ich das Ergebnis erhalten: Eine Übereinstimmung von 99,89 Prozent zu Vincents und Ileanas DNA. Von vier weiteren Labors erwarte ich noch Ergebnisse. Über die Feiertage arbeitet jedoch keines von ihnen.“

Er war aufgestanden und hatte sich neben mich gestellt, seine Hand berührte meine ganz leicht. „Und … die andere Sache?“ Seine Finger schlossen sich um meine und eine Gänsehaut kroch meinen Arm hinauf. Ich wusste, was er da tat: Er setzte seine Fähigkeit ein, meine Gefühle zu lesen, indem er Hautkontakt herstellte. Verhindern konnte ich es nicht mehr, denn seine Berührung schenkte mir Trost.

„Ist das eine Frage oder nicht?“

„Seit zwei Sekunden ist es keine mehr, sondern eine Feststellung“, lautete die Antwort und sein Blick wurde strenger, sein Mund war zusammengepresst.

„Niemand weiß es. Bis auf Lara“, murmelte ich und sah ihn an.

Olivers Griff wurde fester. „Natürlich. Sie hat dich damit in der Hand. Deshalb ist sie sich sicher, dass du mit ihr kommen wirst.“

Ich starrte ihn an. „Sie benutzt es nicht als Druckmittel“, korrigierte ich ihn.

Oliver zog beide Augenbrauen hoch. „Nein, natürlich nicht. Sie ist das Clanoberhaupt. Würde ihr nie einfallen.“

Ich verdrehte die Augen. „Was willst du sagen?“

„Dass du aufpassen solltest, mehr nicht. Wer der Vater deines Babys ist, kann ich mir selbst zusammenreimen.“ Er ließ meine Hand los und wandte sich ab. Es beschäftigt ihn, dachte ich und schluckte.

„Willst du darüber reden?“ Seine Stimme klang neutral, doch die Gefühle, die ihn umgaben, verrieten mir, dass er eine Mauer um sich herum aufrechtzuerhalten versuchte.

„Das wäre dir gegenüber nicht fair“, antwortete ich deshalb und zog mein Smartphone hervor. 26 unbeantwortete Anrufe, 38 SMS und 2 Sprachnotizen hieß es auf dem Bildschirm. Ich stöberte in den Anrufprotokollen nach der einzigen unbekannten Nummer, die ich während der letzten zwei Wochen erhalten hatte, und wählte sie.

Während ich wartete, dass Lara van Sciver abnahm, beobachtete ich, wie Oliver den Pier entlangging und schließlich aus meinem Blickfeld verschwand.

„Sienna, wie schön, dass du zurückrufst“, ertönte Laras tiefe freundliche Stimme.

„Wie fühlen Sie sich?“, fragte ich diplomatisch.

„Viel besser, aber das weißt du natürlich. Oliver hat dir bestimmt mitgeteilt, dass ich heute Abend nach Rom abreisen werde.“

Ich schnaubte. „Ja, allerdings. Er sagte mir auch, dass ich an Bord sein werde.“ Am anderen Ende der Leitung war es für meinen Geschmack zu lange still, bis Lara dazu Stellung bezog. „Es ist mein Wunsch als Clanoberhaupt und als deine …“

Ich ließ sie nicht ausreden: „Als meine was? Ich bitte Sie, jetzt wird es interessant, wenn Sie tatsächlich Stiefmutter sagen wollten. Bei allem Respekt, Madam, aber Sie können mich weder zwingen, mit Ihnen nach Rom zu reisen, noch meine Ergebenheit einfordern. Die galt nur, solange Sie in Gefangenschaft waren.“

Ja, ich redete mit dem zweitmächtigsten Vampir meiner Welt, doch ich war immerhin an dritter Stelle: Hier ging es ums Prinzip. So langsam gewöhnte ich mich an die neuen Verhältnisse, zumindest was Verhandlungen anging.

„Ich bin enttäuscht, Sienna. Ich appelliere nicht an dich als Wächterin, die du nicht mehr bist. Ich bitte dich aufrichtig darum, aufgrund der Familie, die du nun hast und haben wirst, mit mir zu kommen. Etwas anderes kannst du dir als Simons älteste Tochter nicht erlauben, das weißt du.“

Na bitte, da war sie: die versteckte Drohung, von der ich geahnt hatte, dass sie irgendwann kommen würde. Ich gab es ungern zu, doch ich hatte keine andere Wahl, als mich ihr zu beugen. Vorerst. „Sie wissen genau, dass ich mich nicht um mein Image sorge. Das ist Aufgabe des Familienrats, der mir ehrlich gesagt herzlich egal ist …“

Nun war es an Lara, mich zu unterbrechen: „Ich spreche nicht nur vom Familienrat, Sienna. Ich spreche von viel mächtigeren Personen, die dich im Auge behalten und deine Schritte genauestens unter die Lupe nehmen!“ Ihre Stimme klang nun aufgeregt, beinahe hysterisch.

Ich blickte automatisch auf. „Wen meinen Sie?“

„Heute Abend am Pier. 22 Uhr. Es gibt vieles, worüber wir reden müssen.“ Sie legte auf.

Ich spürte ein Kratzen an meinem Knöchel und blickte auf das Eichhörnchen hinab, das darum bettelte, aufgenommen zu werden. Ich seufzte und streckte ihm meinen Arm hin, worauf es flink hinaufsprang und sich auf meine Schulter setzte. „Na, dann lassen wir uns mal auf diesen Deal ein, was?“, murmelte ich leise.

Als ich mein Smartphone in die Jackentasche zurücksteckte, strich meine Hand über einen weiteren Gegenstand. Ich holte ihn heraus. Es war der Spiegel meiner Mutter: rund und mit einem roten Rubin in der Mitte versehen, der die Form einer Sichel hatte. Ich wusste selbst nicht, warum ich ihn nicht einfach in den Atlantik warf oder vernichtete. Vermutlich deshalb, weil es das letzte Erinnerungsstück an die Frau war, die in mir ein Symbol ihrer krankhaften Liebe zu Simon gesehen hatte. Ich steckte ihn wieder weg und sah auf die Uhr.

Ich hatte noch fünf Stunden Zeit. Sollte es Lara gelingen, mich zu überzeugen, musste ich Vorbereitungen treffen. Ich bezahlte im Café und ging den Pier entlang. Bevor ich mich mit Lara treffen konnte, musste ich Oliver um Verzeihung bitten. Gekränkt, wie er auf mich gewirkt hatte, wollte ich ihn nicht hier zurücklassen. Nicht nach dem, was er durchgemacht hatte.

Die Vereinigten Staaten, Einflussgebiet der Saintclairs, wirkten nicht als solches. Vielmehr hatte ich den Eindruck, der Clan hätte sich hier ebenso in Luft aufgelöst wie in seinem unterirdischen Unterschlupf in Kanada. Als Werwolf spürte ich die Anwesenheit anderer Schattenwesen wie Vampire, Dämonen und meinesgleichen. Doch hier, am Knotenpunkt zur östlichen Welt, spürte ich heute Abend lediglich die Anwesenheit der von Menschen überfüllten Millionenmetropole.

Das machte es für mich umso schwerer, einen einzelnen Vampir aufzuspüren. Ich lehnte mich nach fünfzehn Minuten Fußweg entlang des Piers an die Brüstung und spähte hinüber auf die Skyline Manhattans, die von dem abschüssigen Elysian Park und dessen schneebedeckten Hügeln einen friedlichen Anblick bot. Ich atmete tief ein und konzentrierte mich stattdessen auf das, was Vampire ihr „Heiligtum“ nannten: ihr Blut, das sie zu dem machte, was sie waren. In ihm steckte ihre Unsterblichkeit, die Schnelligkeit und ihre scharfen Sinne. Seit Cordelia offenbart hatte, dass ich ihre Tochter war, hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet, was das für die Zusammensetzung meines Plasmas bedeutete. Bis jetzt.

In mir floss zu einem Anteil das Blut des Aragon-Clans, zum anderen das Blut der Van Scivers, beide von dem Fluch des Wolfes unterdrückt. Vielleicht gelang es mir, eines Tages die genauen Auswirkungen meiner Erbanlagen herauszufinden. Ich setzte meine Suche nach Oliver im Park fort.

Weder sein Geruch war bemerkbar, noch konnten meine Sinne Anzeichen seiner Anwesenheit spüren. Also zückte ich mein Smartphone erneut und wählte verärgert seine Nummer. Wenn er wirklich glaubte, ich liefe ihm bis ans Ende der Welt hinterher, lag er definitiv falsch! Als es klickte, begann ich ohne Umschweife meinen Vortrag: „Oliver, ich weiß, mein Verhalten war nicht gerade nach Lehrbuch und es tut mir leid, dass …“ Ich brach ab, als ich weder seinen Atem noch irgendwelche anderen Geräusche, die auf Verkehr oder ein Etablissement hindeuteten, vernahm.

„Danke, Sienna. Wir sollten uns unterhalten. Madison Square Garden in einer Stunde. Wenn Ihnen nicht allzu viel an dem Blondchen mit der lächerlichen Frisur liegt, folgen Sie meiner Einladung besser nicht. Wir sind gründlich im Beseitigen.“

Wer immer da am anderen Ende der Leitung sprach, hatte eine samtweiche Stimme, die mir völlig unbekannt war und doch eine Anziehungskraft in sich trug, die mich schlucken ließ. „Wer sind Sie?“, fragte ich leise und sah mich nach allen Seiten um. Wurde ich beobachtet? Ich spürte, wie das Eichhörnchen auf meiner Schulter sich streckte und an dem Smartphone schnupperte, als wolle es mithören.

„Jemand, der an Ihrer Anwesenheit hier in New York interessiert ist. Ein weiterer König der Nacht, neben dem Ihren in Europa, wenn Sie verstehen. Treffen Sie mich an der Arena Madison Square Garden in exakt einer Stunde.“

Es klickte und die Verbindung brach ab. Ich ließ mein Smartphone sinken und starrte es noch eine ganze Weile an. Natürlich hatte der Anrufer seine Nummer unterdrückt gehalten. Doch was wollten sie von mir? Und was mich noch mehr beunruhigte: Wie hatten sie Oliver in die Hände bekommen? Er war einer der besten Vampir-Kämpfer, die ich kannte. Meine Hände legten sich automatisch um meine Körpermitte. „Da wir nun zu zweit sind, kann ich unmöglich allein dorthin“, murmelte ich und seufzte schwer. Ich wählte eine Nummer.

„Mrs. van Sciver. Ich brauche Ihre Unterstützung im Madison Square Garden. In einer Stunde.“

 

2

Vincent

 

 

Philipp Samuel Aragon

14.09.1991 - 22.12.2011

 

Die goldene Inschrift auf weißem Marmor glitzerte im Licht der Sonne. Ein in zwei Metern Höhe aufgestellter Bogen, der von zwei Säulen gehalten wurde, stand im Garten der Residenz Sunset Hill.

Zwei Wochen seit Cordelias Angriff waren vergangen und das Jahr 2012 war wenige Tage alt. Über Nacht war Schnee gefallen und lediglich ein paar Fußspuren führten durch die hauchdünne Schicht zu der Gedenktafel. Vincent stand an das Geländer des Balkons gelehnt und beobachtete die junge Frau, die vor der Tafel kniete und die vereisten Rosen gegen frische austauschte. Ileana hatte seit dem Tod ihres Blutspartners jeden Kontakt zu ihrem Bruder und dem Rest der Familie vermieden. Obwohl Vincent versucht hatte, seine Zwillingsschwester durch seine Anwesenheit, aufmunternde Worte und Geschenke für ihr ungeborenes Kind aufzuheitern, ignorierte sie jede seiner Bemühungen konsequent. Hartnäckig, wie sie war, sperrte sie sogar Simon aus, der ihr Verhalten aus mehreren Gründen als kritisch ansah: Als Clanoberhaupt stand er mit seiner Familie im Fokus der anderen Familien, die die Ereignisse der letzten Wochen äußerst besorgt zur Kenntnis genommen hatten. Verwehrte sich Ileana als Simons erstgeborene Tochter weiterhin, indem sie ihren Pflichten als Repräsentantin nicht nachkam, würde der Familienrat reagieren müssen. Vincent hatte während der vergangenen zwei Wochen mit ansehen müssen, wie eine Vielzahl von Familienoberhäuptern durch die Residenz gestürmt war, um Erklärungen einzufordern, und was er mitbekommen hatte, klang ganz nach einer Absetzung seines Vaters. Doch was bedeutete das für ihn? Für die Zukunft? Die Wahrheit war, dass die drohende Entlassung Simons lediglich die metaphorische Krönung dessen war, was Cordelias Enthüllungen betraf, die aus Vincents Sicht die Familie zerstört hatten, die Ileana und er sich gerade aufbauten. Sienna war wenige Tage nach dem Angriff gegangen, ohne ein Wort darüber zu verlieren, wohin. Die Familie Aragon hatte Phils Leichnam zu sich nach Kanada einfliegen lassen und seither der ganzen Gemeinschaft mitgeteilt, dass sie mit den Van Scivers nichts mehr zu tun haben wolle. Aus Vincents Sicht ein ungebührliches Verhalten gegenüber Ileana und ihrem ungeborenen Kind.

„Du bist wieder zurück, Vincent?“, sagte eine vertraute Stimme neben ihm und riss ihn aus seinen Gedanken. Er musste den Blick leicht senken, um seiner zierlichen Tante in die Augen zu sehen. Arina hatte selbst mehrere Tage in einem Koma gelegen, das von Cordelias Giftgasangriff beendet worden war. Sie allein war der Grund, warum Vincent die Hoffnung auf einen positiven Verlauf der Konflikte nicht aufgegeben hatte. Sie schien aus unerschütterlicher Zuversicht zu bestehen, hatte Simon beigestanden, obwohl sie selbst noch nicht bei Kräften gewesen war. Nebenbei hatte sie versucht, Phils Eltern zu kontaktieren, um sie zum Einlenken zu bewegen. Vincent wusste, dass sie nichts lieber tun würde, als zurück nach Melrose zu fahren. Doch genau wie Simon lag ihr das Wohl ihrer Familie und vor allem der Zwillinge am Herzen.

„Ich wollte nach Ileana sehen. Doch das ist jeden Tag dasselbe. So scheint es zumindest“, sagte Vincent.

Arina sah nun ebenfalls zu der Gedenktafel hinab. „Gib ihr Zeit zu trauern. Einen Blutspartner zu verlieren ist das Schlimmste, was ein Vampir durchmachen muss. Gerade in ihrem Zustand, in dem das Baby und sie von dieser Verbindung abhängig sind.“

Vincent kannte das Risiko, dem sich Ileana damit aussetzte und was das Schweigen der Familie Aragon so fatal machte: Verweigerte man ihr wenigstens bis zur Geburt ihres Kindes Blutkonserven, die von Phil eingelagert worden waren, könnte Ileanas Körper das Baby abstoßen.

„Du weißt, weshalb ich versuche, mit ihr zu reden. Sie kann mich nicht ewig von sich weisen!“, erwiderte Vincent finster. „Sie bringt sich von Tag zu Tag mehr in Gefahr. Das kann sie nicht einfach ignorieren.“

Arina legte ihm ihre Hand auf den Oberarm. „Du hast Angst, sie auch zu verlieren.“ In ihren Worten lag weitaus mehr, als sie gesagt hatte: Siennas Verbleib war ungeklärt, ebenso ihre Abstammung, da sich Simon vehement weigerte, einen DNA-Test durchzuführen.

„Danke, Arina, aber meine Zuversicht schwindet Tag für Tag mehr. Ich meine, was wird aus uns? Ich habe das Gefühl, ständig nur die Scherben auflesen zu müssen, die andere aus meinem Leben machen. Nachdem du uns zu dir geholt hattest, dachte ich, wir könnten endlich in eine schöne Zukunft sehen. Stattdessen zerstören jene, die uns hassen, fremde Leben, bis sie schließlich unseres zerstören. Sie sind auf dem besten Wege dahin.“

Er sah krampfhaft auf Ileanas Hinterkopf. „Cordelias Tod bedeutet nichts, Arina. Die Verluste sind dieses Mal zu groß.“

Der Druck von Arinas Hand wurde fester. „Ich mache dir einen Vorschlag: Kümmere dich erst um deine Zwillingsschwester. Währenddessen werde ich die Aragons weiterbearbeiten, sie können Ileanas Gesundheit nicht aufs Spiel setzen wollen. Darren und Michaela sind nicht grausam, das passt einfach nicht zu ihnen.“

Vincent lächelte. „Danke. Ich bin froh, dass du da bist, Arina.“

Sie erwiderte sein Lächeln und ließ ihn los. „Ich bin immer für euch da. Vergesst das nicht.“ Sie ging wieder in das Haus zurück, das von der aufgehenden Sonne allmählich cremefarben beschienen wurde.

Vincent holte unterdessen sein Handy hervor und wählte Victor Lovetts Nummer. „Hier ist Vincent van Sciver. Ich brauche schnellstmöglich einen Termin bei Ihnen, Doc.“

Am anderen Ende herrschte kurzes Schweigen, bis Victor Lovett fragte: „Was kann ich für Sie tun, Vincent?“

Bevor dieser antwortete, vergewisserte er sich, dass Ileana ihn weder sehen noch hören konnte und ging ein paar Schritte die Veranda entlang. „Können Sie mich an den besten Gynäkologen der Gemeinschaft verweisen? Der Termin beläuft sich auf den Namen meiner Schwester.“

Als er sich nach dem Telefonat mit Dr. Lovett umwandte, sah er seine Schwester die Treppe zum Haus hinaufsteigen und ging auf sie zu. „Guten Morgen“, begrüßte er sie. Ileana sah zu ihm hinüber und blieb abrupt stehen. Ihre Augen wichen seinem Blick aus, stattdessen sah sie auf die verschlossene, acht Meter entfernte Tür.

„Du bist wieder aus der Stadt zurück, wie ich sehe. Eine weitere wilde Partynacht?“, fragte sie.

Vincent wusste, dass sie dadurch so weit wie möglich von sich ablenken wollte, doch dieses Mal hatte er nicht vor, das zuzulassen. „Du warst gestern nicht bei dem Empfang. Die Familien Robinson, Clayton und weitere Angehörige der Opfer haben ihrer Toten gedacht. Simon hat nach dir schicken lassen.“

Ileana presste die Lippen zusammen. „Du weißt, dass ich trauere, Vince. Du weißt es, Simon weiß es und die Gemeinschaft weiß es auch.“

Sie sprach das Wort mit so viel Bitterkeit in der Stimme aus, dass kein Zweifel daran blieb, dass sie das System verabscheute. Vincent wusste, dass sie noch vor Phils Tod mit ihm gemeinsam eine Vereinigung der Clans in Betracht gezogen hatte.

Doch das gehörte für sie offensichtlich der Vergangenheit an. „Das weiß ich, Schwesterherz, und ich möchte dich nicht zu etwas drängen, aber …“, fing Vincent an, doch Ileana unterbrach ihn.

„Nein, Vincent, du willst mich davon überzeugen, für diese Hyänen das große Vorbild zu spielen, das trotz eines unerträglichen Verlustes bereit ist, nach vorne zu sehen. Für dich zum Mitschreiben: Das bin ich nicht. Das kannst du allen sagen und mich gefälligst in Ruhe lassen, klar?“ Die letzten Worte hatte sie direkt an die geschlossene Tür gerichtet.

Als sie bereits davonstürmen wollte, hielt Vincent sie jedoch an beiden Oberarmen fest. „Nein, das kann ich nicht, hörst du? Es geht hier nicht nur um dich, sondern auch um unseren Vater. Er wird sein Amt verlieren, wenn wir ihm keine Rückendeckung geben. Was wird dann aus uns?“

Ileanas Gesichtsausdruck verfinsterte sich und sie riss sich los. Vincent spürte die Woge des Zorns, die sich um sie herum wie eine heiße Druckwelle bildete. „Was weißt du denn schon von dem, was er hier aufgeben muss? Du hast ihn nicht erlebt, als Arina im Koma lag. Ich habe ihn noch nie so leer und verlassen gesehen. Genauso fühle ich mich jetzt, Vince. Ich bin mir nicht sicher, ob er tatsächlich in diesem Amt bleiben möchte. Hast du ihn mal danach gefragt?“

Vincent zögerte und Ileana fuhr unbeirrt fort.
„Siehst du? Finde erst einmal heraus, wovon du redest. Vielleicht kann dir unsere andere Schwester dabei helfen, die es sich irgendwo bequem gemacht hat!“

Eine Ohrfeige hätte nicht wirkungsvoller sein können. Ileana ließ ihren Bruder stehen und Vincent war, als sei sein Herz von einem auf den anderen Moment zu Eis erstarrt. Trauer hatte Ileana in ein kaltes Wesen verwandelt, kälter als sie es als Vampir jemals gewesen war.

Sienna war für sie beide ein Thema, das ihnen schmerzvolle Erinnerungen bescherte. Sowohl der Tod von Phil, den sie in Kauf hatte nehmen müssen, als sie Cordelia ausgeschaltet hatte, als auch ihre Verwandtschaft mit den Zwillingen war etwas, mit dem sie beide hart zu kämpfen hatten. Besonders nachdem es für Vincent und Sienna endlich nach einer gemeinsamen Zukunft ausgesehen hatte, war diese Form der Trennung für Vincent kaum erträglich, sodass er jegliche Gedanken und Gefühle zu diesem Thema aussperrte.

Stattdessen kanalisierte er diese in das körperliche Training. Gemeinsam mit dem ältesten Wächter der Familie, Nathanael, verbrachte er viele Stunden im Kraftraum. Solange Sienna Sunset Hill den Rücken kehrte, musste jemand ihren Posten übernehmen, und Vincent war fest entschlossen, diesen zu übernehmen, bis sie zurückkehrte. Wann auch immer dies geschehen mochte …

„Ileana scheint nicht bereit zu sein, in naher Zukunft von ihrer Haltung abzuweichen“, berichtete Vincent Simon, als er in dessen Arbeitszimmer trat.

Der Clanführer wirkte mit seinem jungen Gesicht lediglich ein paar Jahre älter als sein Sohn, der ihm mit seinem kohlrabenschwarzen Haar und den dunkelblauen Augen zum Verwechseln ähnlich sah. Simon war einer der ältesten Vampire der Welt und herrschte mit mehreren Unterbrechungen über die Länder zwischen Spanien und Griechenland. In allen Ländern lebten Vampir-Familien, die sich seinem Clan zugehörig fühlten und ihm Loyalität versprochen hatten. Nur in wenigen Ländern hatten andere Schattenwesen die Oberhand, zum Beispiel in Deutschland der Katzen-Clan und in der Schweiz und Rumänien der Wolfs-Clan.

In den vergangenen Wochen hatte Vincent viel Wissen über die geheime Schattenwelt angesammelt, hatte über die Familie recherchiert und mit verschiedenen Familienoberhäuptern gesprochen. Als drittgeborenes Kind Simons war es ebenfalls seine Aufgabe, Anteil am Leben der vielen Familien zu nehmen, wenn auch in geringerem Maße als Ileana. Diese Anteilnahme war in den vergangenen Tagen und Wochen bitter nötig, denn aufgrund der vielen Angriffe des Clans Saintclair hatten einige Familienmitglieder ihr Leben verloren. Und das, weil sie versucht hatten, die Zwillinge und die Herrscherfamilie zu beschützen.

Simon, der sich bisher souverän in seiner Position gehalten hatte, wirkte angeschlagen. Er saß am Fenster und ließ sein Gesicht von der Sonne bescheinen. Vampire hatten im Laufe der Evolution gelernt, ein wirkungsvolles Serum herzustellen, das sie vor den schädlichen UV-Strahlen schützte.
Dieses wurde intravenös in die Blutbahn gespritzt, sodass der Wirkstoff sich dort verteilen konnte.

Simon öffnete die Augen und sah seinen Sohn an. „Es war zu erwarten, dass Ileana Zeit braucht. Doch diese Zeit haben wir leider nicht. Der Familienrat hat mir während der vergangenen Nacht mitgeteilt, dass er über meine weitere Position in der Gemeinschaft beraten und im Anschluss eine Entscheidung fällen wird.“

Vincent setzte sich ihm gegenüber. „Das hat doch nicht nur mit Ileanas Haltung zu tun, habe ich recht?“

Simon nickte. „Lass es mich so formulieren: Andere Familien bringen weitaus stabilere Voraussetzungen mit als wir – eine Blutspartnerschaft, die Bestand hat, gesunde Nachkommen, die ebenfalls feste Bündnisse eingegangen sind und keine Skandale mit sich ziehen.“

Vincent verdrehte die Augen. „Fehler, die du vor Jahrhunderten begangen hast, machen dich noch lange nicht zu einem schlechten Clanführer. Selbst die Auswirkungen sind …“, Vincent suchte nach dem passenden Wort, „… überschaubar.“

Simon lachte leise und freudlos. „Du meinst, überschaubar vielfältig. Eine Affäre mit der Blutspartnerin des besten Freundes, aus der eine Tochter hervorging, die in einen Werwolf verwandelt wurde. Das ist wohl der schwerwiegendste von all diesen Fehlern. Die restlichen sind dir bekannt.“

Er stand auf und ging ein paar Schritte auf und ab. Vincent beobachtete ihn. Da war keine Resignation zu sehen, keine Verzweiflung mehr, die Simon trug.

„Wie stehst du dazu, Vincent?“, fragte er plötzlich.

Von der Frage überrumpelt, räusperte sich der junge Vampir zunächst, um Zeit zu schinden. „Du müsstest dich klarer ausdrücken, wenn ich dir darauf eine Antwort geben soll, Simon.“

Dieser stützte sich mit den Handflächen auf dem Tisch ab und sah Vincent ernst in die Augen, sodass er sich unwillkürlich nach hinten lehnte. „Cordelias Behauptungen haben uns alle getroffen. Doch sie werden vom Familienrat für bare Münze genommen, darauf stützen sie ihre Entscheidung, meine Position infrage zu stellen. Wann und wo ihre erste Sitzung stattfindet, wird mir im Laufe der nächsten Tage mitgeteilt. Du füllst den leeren Posten des Wächters gut aus, und wenn du bereit bist, bitte ich dich offiziell, Cordelias Behauptungen nachzugehen. Mit jedweder Unterstützung der Familie.“

Vincent stand auf. „Das wollte ich, seit wir in den Kerkern Phil verloren haben. Ja, ich bin bereit dazu, Dad.“

Simon lächelte und in seinen Augen leuchtete ein Funken Stolz auf. „Ich wusste, dass du das sagen würdest.“ In diesem Moment klingelte Simons Handy und er nahm ab. „Hier ist Simon. Was gibt es?“

Er lauschte, dann fiel ihm plötzlich das Gerät aus der Hand. Es krachte auf die Tischplatte, von wo es Vincent aufhob und seinem Vater hinhielt. Simon nahm es entgegen und sprach mit deutlich rauchiger Stimme weiter: „Danke für Ihre Mitteilung. Sie sind sich sicher, dass sie es ist? Verstehe. Nein, wir kümmern uns selbst darum. Die Familie behält das selbst in der Hand. Gracias, Pedro.“ Simon legte auf und starrte einen Moment lang ins Leere.

„Was ist passiert?“, fragte Vincent.
Simon schwieg weiterhin. Erst als sich die Türen öffneten und Arina eintrat, regte er sich. Als Arina seinen Gesichtsausdruck sah, schien auch sie zu realisieren, dass etwas nicht stimmte. „Was ist passiert? Ist etwas mit Ileana?“, fragte sie und trat an Vincents Seite.

Simon schüttelte den Kopf. „Sie hat ihr Versprechen gehalten. Nach all den Jahren hätte ich nicht damit gerechnet, sie wiederzusehen“, murmelte Simon und ein breites Lächeln trat auf sein Gesicht, wie es Vincent noch nie zuvor gesehen hatte. Simons nächste Worte vergaß er nie wieder, es war, als stoße jemand eine lange verschlossen geglaubte Tür auf.

„Sienna hat Lara gefunden. Sie kehrt zurück zu uns. Wir werden wieder eine Familie sein.“