Cover

Kurzbeschreibung:

Böhmen 1572. In einem halb zerstörten Kloster wird der achtjährige Andrej Zeuge eines schrecklichen Blutbads. Zehn Menschen, darunter seine Eltern, werden brutal ermordet. Andrej kann fliehen und nimmt eines der am besten gehüteten Geheimnisse der Kirche mit sich: das Wissen um die Existenz des Codex Gigas - der Teufelsbibel. Ein Dokument, das drei Päpste das Leben kosten und die Macht haben soll, das Ende der Welt einzuläuten. Sieben schwarz gekleidete Mönche haben geschworen, das Geheimnis der gefährlichen Handschrift zu behüten. Wer zu viel darüber weiß, muss sterben. Denn der Codex, so heißt es, stammt aus der Feder des Teufels ...

Über den Autor:

Richard Dübell ist als Autor historischer Romane bekannt. Neben seinen schriftstellerischen Aktivitäten leitet er eine Schreibwerkstatt, die er sowohl in Abendkursen als auch als Wochenendseminare und Urlaubsreisen anbietet, und arbeitet als Cartoonist und Grafiker.
Dübells Roman „Der Tuchhändler“ wird derzeit in ein Drehbuch adaptiert, an dem der Autor selbst mitarbeitet. Sein Roman „Der Jahrtausendkaiser“ nimmt die These des Erfundenen Mittelalters auf. In „Die Teufelsbibel“ widmet er sich einem der rätselhaftesten Artefakte der mittelalterlichen Kirchengeschichte, dem Codex Gigas. Die gesamte Teufelsbibel-Trilogie, „Die Teufelsbibel“, „Die Wächter der Teufelsbibel“ und „Die Erbin der Teufelsbibel“ sind in 14 Sprachen weltweit übersetzt worden, es gibt Ideen für eine Umsetzung in ein Brettspiel und eine Verfilmung.


Weitere Titel des Autors bei Edel Elements 

Die Wächter der Teufelsbibel (Teufelsbibel-Trilogie Band 2)
Die Erbin der Teufelsbibel (Teufelsbibel-Trilogie Band 3)
Der Jahrtausendkaiser
Der Tuchhändler
Eine Messe für die Medici

Richard Dübell

Die Teufelsbibel


Historischer Roman


Edel Elements

„Der Preis deiner Liebe bist du selbst.“

Augustinus

1572: Die Saat des Sturms

„Wenn der Wind weht, löscht er die Kerze aus und facht das Feuer an.“
ARABISCHES SPRICHWORT

Historische Persönlichkeiten

Rudolf II. von Habsburg

Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, Alchimist, Kunstsammler und der falsche Mann am falschen Platz

Melchior Khlesl

Bischof von Wiener Neustadt, danach Bischof von Wien, ab 1616 Kardinal, leidenschaftlicher Patriot und Beschützer der Einheit der katholischen Kirche

Martin Korýtko

Abt des Klosters Braunau von 1575 bis 1602; seine Erlaubnis, in Braunau eine neue protestantische Kirche bauen zu dürfen, löst die Ereignisse aus, die letztlich zum Dreißigjährigen Krieg führen werden

Hernando Nino de Guevara

Dominikanerpater, später Kardinal und Großinquisitor

Kardinal Cervantes de Gaete

Erzbischof von Tarragona

Kardinal Ludwig von Madruzzo

Kurienkardinal, Papstkandidat 1590, 1591und 1592

Papst Urban VII

Eigentlich Giovanni Battista Castagna, Papst vom 15.09.1590 bis zum 27.09.1590, zuvor Großinquisitor; als einzige Handlung aus seiner Amtszeit stammt die Einführung der Bezeichnung „Eminenz“ für Kardinäle

Papst Gregor XIV

Eigentlich Niccolò Sfondrati, Papst vom 05.12.1590 bis zum 15.10.1591; führte ein Verbot auf Wetten bezüglich der Wahl eines Papstes, der Dauer eines Pontifikats und der Kreation neuer Kardinäle ein

Papst Innozenz IX

Eigentlich Giovanni Antonio Facchinetti, Papst vom 29.10.1591 bis zum 30.12.1591; bekannt als sittenstreng und asketisch, reformierte das päpstliche Staatssekretariat

Papst Clemens VIII

Eigentlich Ippolito Aldobrandini, Papst vom 30.01.1592 bis zum 03.03.1605; veranlasste eine Neuausgabe des Index der von der Kirche ausdrücklich verbotenen Bücher, verkündete1600 einen Jubiläumsablass, ließ im gleichen Jahr den als Ketzer verurteilten Giordano Bruno bei lebendigem Leib verbrennen und beschäftigte als erster Papst Kastraten.

Giovanni Scoto (John Scott, Hieronymus Scotus)

Hat Anfang der neunziger Jahre des 16. Jahrhunderts eine kurze, glücklose Karriere in Prag als Alchimist und Ehebrecher

John Dee, Edward Kelley

Englische Alchimisten und Sterndeuter am Hof Kaiser Rudolf

Doktor Bartolomeo Guarinoni

Leibarzt für Kaiser Maximilian II und Kaiser Rudolf II

Die Teufelsbibel

Die größte mittelalterliche Handschrift der Welt, geschrieben in einer einzigen Nacht vom Teufel selbst (sagt man)

Dramatis personae

Charaktere

Agnes Wiegant

Die Tochter von Niklas Wiegant sieht ihre Zukunft an der Seite von Cyprian Khlesl und ihre Vergangenheit als dunkle Tragödie

Yolanta Melnika

Sie würde ihre Seele dem Teufel verschreiben, um ihr Kind wiederzubekommen, und stellt fest, dass genau das von ihr verlangt wird

Jarmila Andel

Das Schicksal ihrer Familie ist mit dem von Andrej von Langenfels ebenso unlösbar verknüpft wie ihr Herz

Cyprian Wiegant

Verstoßener Sohn eines Bäckermeisters, Agent eines Bischofs und Agnes Wiegants große Liebe

Andrej von Langenfels

Er kennt eine Geschichte, die dem Kaiser gefällt, nur dass diese Geschichte immer wieder sein Herz bricht

Pater Xavier Espinosa

Der richtige Mann am richtigen Platz. Perfekt.

Bruder Pavel, Bruder Buh

Benediktinermönche mit dem Auftrag, die Welt zu retten

Theresia und Niklas Wiegant

Agnes’ Eltern haben wegen eines Akts der Liebe zu Liebe zueinander vergessen

Sebastian Wilfing senior und junior

Freund und Geschäftspartner Niklas Wiegants (Wilfing senior) und Wunschkandidat aller prospektiven Schwiegermütter (Wilfing junior)

Bruder Tomás

Benediktinermönch mit dem festen Willen, die Welt vor ihren Rettern zu beschützen

Als die Archäologen auf die Skelette stießen, waren sie zuerst überrascht. Ihre Überraschung wandelte sich in Entsetzen, als sie weitergruben. Was sie für die sterblichen Überreste von Mönchen gehalten hatten, waren tatsächlich die Gebeine von Frauen – von Frauen und … Kindern. Irgendwann vor Hunderten von Jahren musste in dem Benediktinerkloster in Südböhmen, an dessen ehemaligem Standort sie gruben, eine Katastrophe geschehen sein. Eine Katastrophe, die die Mönche veranlasst hatte, gegen alle benediktinischen Regeln die Leichen von Frauen und Kindern am Rand ihres Mönchsfriedhofs in einem unbezeichneten Massengrab zu verscharren und das Geheimnis ihres Todes zu bewahren, bis das Schicksal das Kloster selbst von der Erdoberfläche tilgte.

Vielleicht wäre diese Geschichte nur eine von den vielen ungeklärten, unbekannten Tragödien der Historie, wenn sich ihr Rätsel nicht mit einem anderen verbinden würde, das noch weiter in die Vergangenheit zurückreicht. Es ist das Rätsel um ein Buch, das noch heute als eine der geheimnisvollsten Handschriften der Kirchengeschichte gilt: der Codex Gigas. Die Teufelsbibel. Das größte Manuskript der Welt wurde im dreizehnten Jahrhundert geschrieben. Schon um seine Entstehung rankten sich Legenden, Männer der Kirche und Alchimisten gleichermaßen suchten darin die Erleuchtung – oder den Weg in die Finsternis.

Das Kloster, in dem das Massengrab gefunden wurde, ist der Ort, an dem die Teufelsbibel entstand.

Diese Geschichte erzählt, was möglicherweise passiert ist …

Nachwort

Eigentlich hatte ich ja vor, die Geschichte von Kaiser Rudolf von Habsburg zu erzählen, dem Alchimisten auf dem Kaiserthron, dem Kunstsammler und Neurotiker im Herzen des Deutschen Reichs, dessen krasse Fehlbesetzung den Weg für das unsagbare Elend des Dreißigjährigen Krieges ebnete. Die Teufelsbibel sollte lediglich einen Handlungsstrang dieser Geschichte bilden.

Wer sich lange genug mit dem Schreiben befasst hat, macht die Erfahrung, dass Geschichten es selbst am besten wissen, wie sie erzählt werden wollen. In dieser Hinsicht haben sie die gleiche Macht, wie ich sie der Teufelsbibel in meinem Roman unterstellt habe: Sie versuchen nach Kräften, unter die Leute zu kommen. Meine Story erlebte daher eine Veränderung, eine Transmutation, wenn man so will, was zwar einen Bezug zur Alchimie herstellt, die Figur des Oberalchimisten Kaiser Rudolf aber zu einer – wenn auch nicht ganz unwichtigen – Vignette reduzierte.

Geblieben ist ein ganzes Bündel von historischen Persönlichkeiten, die weiterhin darauf bestanden, in meiner Geschichte eine Rolle zu spielen.

Den größten Raum nimmt sicher Melchior Khlesl ein, Kardinal, Bischof von Wiener Neustadt und Kaisermacher. Nicht zuletzt seinen Bemühungen verdankte es das Deutsche Reich, dass Kaiser Rudolf 1612 abgesetzt und durch Erzherzog Matthias ersetzt wurde. Leider war Matthias genauso fehl am Platz wie sein großer Bruder, aber wir wollen annehmen, dass Melchior Khlesl daran nicht schuld ist. In Franz Grillparzers „Ein Bruderzwist im Hause Habsburg“ hat der Bischof eine eindeutig mephistophelische Rolle; ich habe mir die Freiheit genommen, ihn positiver zu zeichnen. Während seine persönliche Geschichte, sein Übertritt zum katholischen Glauben, die Bekehrung seiner Familie und sein Kampf gegen den Hofstaat Kaiser Rudolfs historisch verbürgt sind, habe ich mir bei seiner Verwicklung in die Suche nach der Teufelsbibel natürlich viel dramaturgische Freiheit genommen.

Die Kardinäle de Gaete und Madruzzo haben zwar gelebt, aber nicht wirklich eine Verschwörung geplant- jedenfalls nicht so, dass ich davon erfahren hätte – und schon gar nicht zwei Päpste umbringen lassen, was nicht zuletzt daran liegt, dass der echte Kardinal de Gaete zum Zeitpunkt der Romanhandlung schon etliche Jahre tot war. Hernando de Guevara, dessen hagere Gestalt und recht modern anmutende Rundbrille von El Greco im Jahr 1600 gemalt wurde (das Bild hängt im Metropolitan Museum of Art in New York, und ich habe keine Ahnung, ob man es käuflich erwerben kann), hat ebenfalls keine zwei Päpste auf dem Gewissen, war aber einige Zeit der Assistent des Großinquisitors Kardinal de Quiroga und folgte ihm später im Amt nach. Meinen Recherchen zufolge hieß der gute Mann tatsächlich Hernando, nicht Fernando, obwohl das Gemälde mit diesem Vornamen betitelt ist. Kardinal de Quiroga wiederum, der Großinquisitor, blieb auch in Wirklichkeit den im Buch geschilderten Konklaven fern, weil die Ketzer in Spanien einfach nicht weniger werden wollten.

Bei der Schilderung des Autodafés in Toledo habe ich mich von der Historikerin Jacqueline Dauxois leiten lassen. Die politische Situation, die dazu führte, dass Generalvikar Loayasa (eine weitere historische Person, kompett mit Töchtern) den Erzbischof vertrat, habe ich bei der Beschreibung der Szene unterschlagen, weil sie einigermaßen kompliziert ist – sagen wir auch hier nur so viel, dass ein weiterer Bruder von Kaiser Rudolf, nämlich Albrecht von Habsburg, seinerzeit der Erzbischof von Toledo war und den schauerlichen Schauspielen der Ketzerverbrennung ausnahmslos fern blieb.

Falls Sie geglaubt haben, dass ich die dramatische Situation mit drei toten Päpsten innerhalb weniger Monate nur erfunden habe, muss ich Sie enttäuschen; diese letale Fluktuation auf dem Heiligen Stuhl entspricht der historischen Realität (nur der Grund dafür nicht – siehe oben). Und wenn Sie sich fragen, aus welchem dramaturgischen Grund der Kommandant der Schweizergarde und sein Stellvertreter ausgerechnet Vater und Sohn sein mussten, dann lassen Sie sich auch hier verraten, dass das ganz einfach der historischen Tatsache entspricht. Wenn wir nur alle die Geschichten erfinden könnten, die das Leben so ganz nebenher schreibt …!

Am Hof Kaiser Rudolfs sticht neben ihm selbst und seinen der Wahrheit entsprechenden Neurosen das Zwiegespann aus Reichsbaron Rozmberka und Oberstlandrichter Lobkowicz hervor. Mit den beiden habe ich mir größte Freiheiten herausgenommen. Ich will doch annehmen, dass sie in der Realität mehr professionelles Format hatten. Es ist auch nicht verbürgt, dass Giovanni Scoto die Frau des Oberstlandrichters verführte, wenngleich sie dann wahrscheinlich die einzige in ganz Prag gewesen wäre, die ihm nicht erlag. An dieser Stelle kann ich auch das Geheimnis lüften, wohin Meister Scoto verschwunden ist, nachdem die Herren Dee und Kelley ihm das Leben in Prag vermiesten: er nistete sich am Hof von Herzog Johann von Coburg ein, wo er wenig später die Herzogin verführte und eine tragische Geschichte auslöste.

Die Kustoden habe ich erfunden, nicht jedoch Abt Martin Korýtko, den sehr umstrittenen Abt von Braunau (Broumov). Es heisst, seine Toleranz gegenüber den Protestanten hätte zum Bau der Wenzelskirche am Braunauer Niedertor geführt, wegen deren beabsichtigtem Abriss im Jahr 1618 der Prager Fenstersturz und damit der Dreißigjährige Krieg ausgelöst wurde. Einer Gestalt, die auf welche Art auch immer ursächlich an diesem entsetzlichen Krieg schuld war, musste ich ganz einfach im Roman den gebührenden Platz geben.

Auch Doktor Guarinoni hat es wirklich gegeben, den Leibarzt Kaiser Rudolfs. Offensichtlich habe ich vom ganzen Hofstaat des Kaisers nur den Zwerg erfunden, der Andrej bei seiner ersten Begegnung mit dem Kaiser so indifferent verabschiedet. Wahrscheinlich hat es einen wie ihn aber auch gegeben, und die historischen Quellen verschweigen wieder einmal die wirklich interessanten Leute.

Pater Xavier ist eine erfundene Gestalt; sein Werdegang würde aber durchaus zu einer echten historischen Persönlichkeit im Orden der Dominikaner der damaligen Zeit passen.

Es gibt ein Stückchen Landschaft, das mich bei meinen Recherchen vor Ort so faszinierte, dass ich es im Roman unterbrachte, obwohl es von den Protagonisten auf ihrer Reise von Prag nach Braunau eigentlich nicht hätte durchquert werden können, ohne einen völlig unnötigen Umweg zu machen: die Felsenstädte von Teplitz und Adersbach. Sie liegen nordwestlich von Braunau und bilden ein fantastisches Areal aus Felstürmen, Sagengestalten, versteinerten Riesen und was noch allem. Wanderwege führen hindurch, Kletterrouten hinauf und hinab. In vergangenen Zeiten waren sie Unterschlupf für Schmuggler, Gesetzlose und Wegelagerer, was ich in der Geschichte kurz thematisiert habe. Heute ist dort nur noch der Versuch, inmitten einer Horde kreischender Teenager ein Souvenir für die Kinder zu erstehen, lebensgefährlich.

Der Kampf zwischen Reformation und Gegenreformation war zur Zeit der Romanhandlung in voller Fahrt, und obwohl viele Zeitgenossen erkannten, dass diese Fahrt mit einem entsetzlichen Unfall enden würde, scheint niemand in der Lage gewesen zu sein, sie aufzuhalten, erst recht nicht die Wagenlenker (der jeweilige Papst und der jeweilige Kaiser). Große politsche Geister wie Bischof Melchior Khlesl versuchten, den Lenkern in die Zügel zu fallen; die damals wie heute üblichen – und weit verbreiteten – politschen Kleingeister waren derweil damit beschäftigt, ihre eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Der gewaltige Unfall, den sie nicht verhinderten und der sich zwischen 1618 und 1648 in Europa ereignete, verschlang die einen wie die anderen. Doch das ist schon wieder eine andere Geschichte.

Die Zustände in Wien, vom Ärger der einheimischen Kaufleute wegen der fremdländischen Konkurrenz, von den Überschwemmungskatastrophen bis hin zu den nicht abgehaltenen katholischen Prozessionen, habe ich hauptsächlich der wunderbar akribischen mehrbändigen Geschichte Wiens von Peter Csendes und Ferdinand Opll entnommen; die Zustände im Findelhaus der Karmelitinnen in Prag finden Sie auch heute noch in Waisenhäusern, wenn Sie sich weit genug aus den polierten Ecken der menschlichen Zivilisation hinausbegeben (was nicht zwangsläufig bedeutet, dass Sie eine sehr lange Reise antreten müssen). Braunau – oder heute: Broumov – wurde tatsächlich Ende des 16. Jahrhunderts mehrfach Opfer von Pestepidemien und Überflutungen, was mich zu der Spekulation verleitete, dass jeder Ort, an dem sich die Teufelsbibel über längere Zeit hinweg befand, vom Zorn Gottes ereilt wurde. Repliken von Votivtafeln in Broumov geben darüber Auskunft.

Die Geschichte des unheimlichen Sees unter der Heiligenstädter Kirche gehört in etwas veränderter Form zum Sagenschatz der österreichischen Hauptstadt, ebenso wie die Legende von der Spinnerin am Kreuz, die Cyprian seiner geliebten Agnes erzählt.

Und die Teufelsbibel?

Tja … bevor wir über sie reden: besuchen Sie sie doch mal! Je nachdem, wann Sie dieses Nachwort lesen, befindet sie sich entweder in Prag in einer ganz Tschechien bewegenden Sonderausstellung (September bis Dezember 2007) oder in der Königlichen Bibliothek in Stockholm. Glauben Sie mir, sie werden beeindruckt sein.

Die Teufelsbibel oder Codex Gigas (aus dem Griechischen gigas für „riesig“) ist das größte mittelalterliche Manuskript der Welt. Zwei erwachsene Männer sind nötig, um es zu heben, es misst knapp 100 x 50 cm und enthält über 600 Seiten handgeschriebenen Text auf Eselshautpergament, für dessen Herstellung angeblich 160 Eseln ein vorgezogener Eintritt in eine bessere Welt ermöglicht wurde. Geschaffen wurde der Codex im frühen 13. Jahrhundert im Benediktinerkloster von Podlažice in Südböhmen Die Bezeichnung „Teufelsbibel“ stammt von einer ganzseitigen Zeichnung des Herrn mit dem Bocksbein auf einer der 600 Seiten; hat aber auch mit der Tatsache zu tun, dass der Autor versuchte, das Wissen der Welt in seinem Werk festzuhalten – und das Wissen der Welt erlangen zu wollen ist seit der Affäre mit der Schlange und der Kernfrucht aus der Gattung Malus domestica eine Absicht, hinter der die Einflüsterungen des Teufels stecken.

Das Exemplar der Teufelsbibel, das zu besuchen ich Sie weiter oben eingeladen habe – ich wähle diese Umschreibung deshalb, weil Sie und ich nach der Lektüre meines Romans nun wissen, dass es sich dabei nicht um das Original handeln kann, nicht wahr? – dieses Exemplar also befand sich nacheinander in der Obhut der Benediktiner von Podlažice, der Zisterzienser von Sedlec, der Benediktiner von Břevnov, der Benediktiner von Broumov, des Kaisers Rudolfs II und zuletzt, ab 1648, in schwedischem Gewahrsam. Schwedische Truppen raubten es gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges aus dem Hradschin. Heute ist es – nicht ganz unumstritten, aber das ist eben der Lauf der Zeit – im Besitz der Königlichen Bibliothek von Stockholm, die nach langem Ringen mit sich selbst die Erlaubnis zu der dreimonatigen Ausstellung in Prag gegeben hat.

Das sind die Fakten. Die Legende ist noch interessanter.

Es heisst, ein Mönch habe eine schwere Sünde auf sich geladen. Um dafür zu büßen, ließ er sich einnmauern und gelobte, während seines langsamen Verschmachtens ein Buch zu schreiben, das die Weisheit der Welt enthielt. Mitten in diesem Projekt wurde ihm klar, dass er es nicht würde fertig stellen können, und bat den Teufel um Hilfe. Im Gegenzug versprach der Mönch diesem seine Seele. Luzifer, der bereits bei einigen ähnlichen Transaktionen über den Tisch gezogen worden war (denken Sie nur mal an die Steinerne Brücke von Regensburg), konnte nicht erkennen, wie ein eingemauerter Mönch ihn würde betrügen können, und machte sich an die Arbeit. Nach etwa der Hälfte, so scheint es, wurde er von der üblichen Eitelkeit des Autors überwältigt und fertigte ein Selbstportrait an, um die Nachwelt über die Urheberschaft des Werks aufzuklären, aber das ist schon meine eigene Auslegung der Dinge. Auf welche Weise ich diese Legende sonst noch ausgelegt habe, haben Sie soeben in der Romanhandlung erfahren.

Historische Tatsache ist wiederum, dass drei Seiten der Teufelsbibel fehlen und wir nur spekulieren können, was sich darauf befand oder wohin sie verschwunden sind …

1.

ANDREJ BEOBACHTETE DAS Unwetter, wie es in der erdrückenden Finsternis heranschwamm, ein indigofarbener Schatten über dem welligen, welken braunen Land, der den Himmel einhüllte. Es schickte Böen aus Kälte und den Geruch von Schnee voraus, bis es schließlich über der weiten Schüssel hing, an deren Rand das zerfallende Kloster und das jämmerliche Kaff lagen, als seien Hütten und Kirche den Abhang herunter gerollt und dort liegen geblieben, für niemanden mehr von Interesse als für die Geister von Toten, die vor Jahrhunderten gestorben waren.

Andrej drückte sich hinter der Ruine des Torbaus an die Mauer und versuchte die Gruppe aus Frauen und Kindern im Auge zu behalten, die sich frierend zusammendrängte und die von einem Augenblick zum anderen zu vagen Umrissen wurde im Flirren eines Graupelschauers, der im frühen November bereits den Winter vorwegnahm. Mit seinen sieben Jahren wusste Andrej nicht, wo sie sich befanden, und selbst wenn sein Vater oder seine Mutter es ihm mitgeteilt hätten, hätte ihm der Name des Ortes doch nichts gesagt. Von jeher schleppte sein Vater die kleine Familie kreuz und quer durch das Land, und sämtliche Ortsnamen und geografischen Begriffe waren hoffnungslos durcheinander geraten in Andrejs Hirn. Das einzige Faktum, das sich in seiner Seele eingebrannt hatte, war das Jahr, in dem sie sich befanden, und dies auch nur, weil jeder zweite, den sie trafen und den sein Vater eines Gesprächs für würdig befand, versucht hatte, das Omen dieses Jahres auszurechnen, seit die Neuigkeit von der Bluthochzeit in Frankreich bis hierher in diesen entlegenen Zipfel des Reichs gedrungen war.

„Die Katholiken und die Protestanten schlachten sich gegenseitig ab“, hatte sein Vater halblaut gesagt, so dass nur Andrej und seine Mutter es hören konnten, dabei aber herausfordernd in die Runde gegrinst, die in der Herberge gehockt war und der Erzählung eines Reisenden über die Massaker an den französischen Protestanten schockiert zugehört hatte. „Zeit ist es geworden. Da lassen sie uns wenigstens in Ruhe unserer Wissenschaft nachgehen, die abergläubischen Bastarde.“

„Ist die Achimilie eine Wissenschaft?“, hatte Andrej gefragt.

„Nicht nur eine Wissenschaft, mein Sohn“, hatte sein Vater gesagt. „Alchimie ist die einzig wahre Wissenschaft, die es gibt!“

Die einzig wahre Wissenschaft hatte sie nun hierher geführt, in diese Klosterruine, die nicht einmal eine vollständige Mauer besaß, in der die meisten Gebäude wenig mehr waren als Steinhaufen, aus denen das faulende Gebälk ragte wie Knochen aus einem Kadaver, und deren Kirche nur noch mühsam aufrecht stand. Zwischen den leeren Dachsparren über dem Kirchenschiff ballte der Himmel die Fäuste und sandte seine Graupelschauer herab, dass das Prasseln bis zu Andrejs Versteck drang. Die vierschrötige Gestalt seiner Mutter war völlig verschmolzen mit den anderen Frauen, die vor dem einzigen intakten Gebäude standen. War sie vorhin durch ihre gedrungene Figur deutlich von den schlanken, hoch gewachsenen Frauen zu unterscheiden gewesen, unter die sie sich auf Geheiß des Vaters gemischt hatte, konnte Andrej sie nun nicht mehr ausmachen. Er hatte gesehen, wie sie sich von einer zur anderen bewegt hatte, mit Händen und Füßen redend, weil die Frauen eine andere Sprache als sie sprachen, dem einen oder anderen Kind über den Kopf streichend, und wie sie schließlich bei der jungen Frau mit dem kugelrund vorgewölbten Bauch stehen geblieben war. Deren Schultern hingen herab und sie schien so erschöpft, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Dann war der Schauer gekommen, und es drängelten sich nur noch Schatten zusammen.

Andrej bewegte sich unruhig, plötzlich ängstlich geworden. Unvermittelt überkam ihn das Gefühl einer sich nähernden Katastrophe, als sei etwas ins Rollen geraten, das niemand würde aufhalten können. Vielleicht ahnte er zu diesem Zeitpunkt, dass, was immer heranrollte, sich auch über die kleine Familie Langenfels wälzen und sie auslöschen würde.

Über das Prasseln des Graupelschauers hörte Andrej plötzlich ein dumpfes Röhren. Es kam aus dem Inneren des intakten Klosterbaus. Es war das Brüllen eines angreifenden Stiers, das Fauchen eines Luchses, das Heulen eines Wolfs; aber Andrej wusste im gleichen Moment, dass es von einem Menschen stammte – wenngleich nichts Menschliches darin zu sein schien. Die Kehle des kleinen Jungen in seinem Versteck an der Klostermauer schnürte sich zu. Er wollte seiner Mutter eine Warnung zuschreien, doch er blieb stumm; er wollte aufspringen und in den Bau stürmen, um nach seinem Vater zu sehen, doch seine Beine waren taub. Die durchnässten Schattengestalten weiter vorn erstarrten und lauschten.

Das unmenschliche Gebrüll hörte nie auf, selbst als die ersten Schreie aus der Gruppe der Frauen ertönten. Andrej sah nur undeutlich, was sich abspielte. Wäre er älter gewesen, hätten die Erfahrungen, die jeder Mensch in einer Zeit wie dieser zu machen hatte, die richtigen Bilder geliefert. So war es seine Fantasie, die in Bilder übersetzte, was seine Augen sich weigerten zu sehen; die Realität wurde dadurch um nichts weniger grässlich.

Die Schattengestalten flüchteten in alle Richtungen auseinander. Ein größerer Schatten war zwischen ihnen. Dieser schwang etwas, holte aus und traf eine der schlanken, fliehenden Gestalten, die sich krümmte und zu Boden fiel. Das Flirren, das Prasseln und die Düsternis verzerrten alle Wahrnehmung. Vielleicht war es nur ein Trugbild, dass die gestürzte Gestalt mit erhobenen Armen um Gnade flehte

– pitiè, pitiè, fait rien de mauvais …!

Und womöglich war es nur eine Täuschung, dass der große Schatten noch einmal zuschlug und die flehenden Arme leblos nach unten sanken, und wahrscheinlich war das Geräusch, das über die Kakophonie von Gebrüll, Gekreisch und Geprassel zu Andrej drang, das Geräusch von einer scharfen Klinge, die sich in Fleisch und Knochen gräbt und dann auf dem Boden darunter auftrifft, auch nur Einbildung. Der Schatten riss sein Mordwerkzeug heraus und lief weiter. Die Frauen rannten panisch im Klosterhof durcheinander, stießen zusammen, zerrten ihre Kinder mit sich, ein Aufprall, jemand ging zu Boden und bewegte sich nicht mehr, ein Ausholen, und eine kleine Gestalt flog beiseite und verschwand

– ayez la pitié, épargnez mon enfant …!

Die Frauen fielen eine nach der anderen, niedergehackt in der Flucht, auf den Knien erschlagen, während sie um Gnade flehten, im Versuch davonzukriechen auf den Boden genagelt. Wo Andrejs Mutter in all der Panik war, ließ sich nicht erkennen. Andrej wusste nicht, dass er die Hände an die Ohren gepresst hatte und wie ein Wahnsinniger ihren Namen kreischte, seit er den ersten Mord mit angesehen hatte. Der große Schatten bewegte sich zwischen seinen Opfern wie ein riesiger, dunkler Wolf, verschwamm vor Andrejs Augen und wurde zu einer Gestalt mit Kutte und Sense, die erbarmungslos durch das menschliche Korn zwischen ihren Füßen mähte, verlief wieder zurück zu dem finsteren Schatten, der eine Beute an den Haaren gepackt hatte und niederrang, die Waffe erhob …

Jemand sprang dem Schatten auf den Rücken und drosch auf ihn ein, und er fasste nach hinten und zerrte den Angreifer herunter, warf ihn auf den Boden, hielt ihn mit dem Fuß fest, schlug mit seiner Waffe immer und immer wieder zu. Das Geräusch der Schläge, das Zerschmettern, das Zerbersten, das Röhren, die Schmerzensschreie …Andrejs Hände auf seinen Ohren nützten gar nichts.

Mit einem weiten Schwung fuhr die Waffe nach oben – Andrej glaubte die Spur wie einen rot schimmernden Bogen durch das Geflimmer zu sehen – und zuckte auf die erste Beute herab, die der Schatten niemals losgelassen hatte und deren Schreien und Winden vergeblich waren…

Andrej merkte erst, dass er aus seinem Versteck geklettert war und vor der Mauer im Freien stand, als die Graupel ihn wie tausend Nadelstiche im Gesicht trafen. Er schrie mit seiner grellen Jungenstimme und weinte und ballte die Fäuste, dass das Blut aus den Handflächen trat. Der mörderische Schatten vorne wirbelte herum. Außer ihm stand kein anderer mehr aufrecht auf dem Schlachtfeld. Er riss seine Waffe aus dem Körper des letzten Opfers und rannte ohne zu zögern auf Andrej los. Wenn er sein tierisches Brüllen weiterhin ausstieß, konnte Andrej es wegen seines eigenen Kreischens nicht hören. Andrej stand da, als hätte der Akt des Herauskrabbelns aus seinem Versteck endgültig all seine Kräfte gekostet. Der Schatten stürmte durch den Schauer, und mit jedem Schritt schmolz er zusammen und verwandelte sich von einem amorphen Monster in einen Menschen mit wehender Kutte und von einem Menschen in einen Mönch … die vermeintliche Sense wurde zu einer Axt … die riesige Gestalt zu einer hageren Figur, um deren Körper die von Blut durchnässte und von den Eispartikeln verkrustete Kutte schlotterte. Der Sensenmann wurde zu einem jungen Klosterbruder, der von einigen der Frauen, die er soeben zerstückelt hatte, der Sohn hätte sein können. Andrejs Blicke fielen in das Gesicht des heranstürmenden Mönchs, und mit der Weitsicht des Todgeweihten erkannte er, dass es zwar der Körper eines jungen Benediktiners war, den er ansah, aber dass die Seele, die sich darin befunden hatte, nicht mehr vorhanden war. Was in dem Körper steckte und ihn vorantrieb, war ein Dämon, und der Dämon hieß Wahnsinn.

Der Mönch war fast heran, eine blutbesudelte Figur, aus deren Mund Geifer spritzte und aus deren Augen Tränen liefen; die Axt war hocherhoben. Andrej wusste, dass er im nächsten Moment sterben würde. Seine Blase entleerte sich. Er schloss die Augen und ergab sich.

2.

„Wir machen es wie immer“, hatte Andrejs Vater am Vorabend in der Herberge gesagt. „Ich gehe vor und rede mit den Mönchen. Ich bin sicher, dass ich sie bequatschen kann, mich in die Bibliothek zu führen. Wenn ich den Codex finde, schnappe ich ihn mir; wenn ich an seiner Stelle was anderes finde und wir es zu Geld machen können, schnappe ich es mir auch. Dann renne ich raus und stoße draußen mit deiner Mutter zusammen. Sie wird so tun, als versteckte sie was. Währenddessen … was passiert währenddessen, mein Junge?“

„Sie rennen an meinem Versteck vorbei und werfen mir die Beute zu“, leierte Andrej herunter. „Dann laufen Sie zum Tor hinaus und tun so, als würden Sie hinfallen. Während die Leute Sie und die Frau Mutter durchsuchen und nichts finden, schleiche ich mich mit der Beute zu unserem Quartier.“

„Der Kleine ist ein Naturtalent.“ Andrejs Vater strahlte.

„Du bringst deinem eigenen Kind das Stehlen bei“, sagte Andrejs Mutter. „Stehlen ist eine Sünde und hat nichts mit der Wissenschaft zu tun.“

„Dass man Forscher wie unsereinen zwingt zu stehlen, um an das Wissen zu kommen, das man braucht – das ist eine Sünde!“, erwiderte Andrejs Vater. „Wenn man ein Unrecht mit einem anderen vergilt, hebt es sich auf. Das ist ein wissenschaftliches Faktum!“

„Gegensätze heben sich auf“, sagte Andrejs Mutter. „Wasser löscht Feuer. Eine volle Schüssel füllt einen leeren Magen. Recht besiegt Unrecht.“

„Du verstehst nichts von den Geheimnissen der Wissenschaft“, sagte Andrejs Vater und begann auszurechnen, ob die Sterne seinem Vorhaben günstig gestimmt wären. Andrej, der ihm dabei zusah, hörte ihn leise vor sich hinmurmeln: „Wenn der Codex hier wäre … das wäre was … wenn ich ihn morgen finde … alles Wissen der Welt … alle Weisheit des Teufels …“

„Herr Vater?“

„… die Geheimnisse, die Moses vom Berg Sinai mitbrachte und nicht verriet …“

„Herr Vater?“

„Hm?“

„Was ist ein Codex?“

Andrejs Vater war kein schlechter Mensch. Wenn er einer gewesen wäre, hätte er seine Frau und sein Kind schon vor Jahren ihrem Schicksal überlassen und wäre seinem Traum alleine nachgejagt. Er mochte ein Dieb sein, wenn man ihm nicht freiwillig gab, was er zu benötigen meinte, und er mochte ein Betrüger sein, wenn die Leute leichtgläubig genug waren, sich von ihm betrügen zu lassen – doch was er tat, tat er um eines hehren Zieles willen: der Wissenschaft.

Er schaute auf, musterte seinen Sohn und war wie stets nicht imstande, sich seinen Stolz auf ihn nicht anmerken zu lassen.

„Ein Codex … das sind viele Blätter, die man zusammengebunden hat, so dass man sie umschlagen und hintereinander lesen kann. Etwas, das man mitnehmen kann, ohne dass man eine ganze Truhe voller Schriftrollen mit sich führt.“

„Warum ist dieser Codex so wichtig für uns?“

Der alte Langenfels grinste plötzlich. Er rubbelte seinem Sohn durch die Haare. Dann lehnte er sich zurück und holte Atem.

„Es ist die Geschichte eines Mönchs, der den Glauben verlor. Und der eine schreckliche Sünde auf sich geladen hatte.“

Andrej starrte ihn an.

„Das war vor vierhundert Jahren. Vierhundert Jahre sind eine lange Zeit, mein Sohn, und wer damals lebte, von dem ist heute nur noch Staub übrig – Staub, eine Geschichte und ein Buch. Das mächtigste Buch der Welt.“ Der alte Langenfels beugte sich nach vorn, damit seine Frau ihn nicht hören konnte. „Was verleiht den Menschen die größte Macht?“

Andrej wusste, was seine Mutter geantwortet hätte, wenn sie dem Gespräch gefolgt wäre: der Glaube. Er wusste auch, was sein Vater hören wollte. „Wissen“, flüsterte er.

Andrejs Vater nickte. „Der Mönch war bereit, Buße zu tun. Eine Buße, die ebenso schrecklich war wie seine Schuld.“

„Was hatte er getan?“, flüsterte Andrej mit weit aufgerissenen Augen.

„Die Gemeinschaft, in der dieser Mönch diente, lebte in einem Kloster, das weit und breit berühmt war für seine Bibliothek. Viele der Werke dort waren so alt, dass niemand wusste, woher sie kamen oder wer sie geschrieben hatte; und nur die wenigsten hatten auch nur eine vage Ahnung von ihrem Inhalt. Die Traktate der ersten Päpste, die Briefe der Apostel, die römischen und griechischen Philosophen, die ägyptischen Priester, die Schriftrollen der Israeliten, die in der Bundeslade verwahrt waren … Von all dem gab es Abschriften in dieser Bibliothek. Und der Mönch, von dem wir sprechen, war der einzige Mensch, der sie alle kannte.“

„Er hat sie alle gelesen?“

„Er konnte sie alle auswendig, so intensiv hatte er sie studiert! Aber weißt du, mein Sohn, das Wissen verträgt sich nicht mit jedem Geist. Man muss ein Wissenschaftler sein, um nicht vor den Geheimnissen zu erschrecken, die hinter den Dingen liegen, und manches Wissen sollte nur solchen Leuten zuteil werden, die damit auch umgehen können. Der Mönch jedoch war ein einfacher Mann. Als er alles studiert hatte, was sich in der Bibliothek befand, machte er sich auf die Suche nach neuem Wissen. Es heißt, dass er schließlich ein Buch fand, versteckt in einer Höhle, eingemauert in einer Nische, verborgen vor der Welt … und es wäre besser für ihn gewesen, wenn er es nie gefunden hätte. Besser für ihn – aber sein Verderben und das der anderen machte der Welt das größte Geschenk.“

„Sein Verderben?“

„Um dieses einen Buches willen ermordete er zehn seiner Mitbrüder.“

Das rauchige Licht in der Schankstube schien sich zu verdunkeln, die Schatten traten plötzlich deutlicher hervor. Andrejs Blicke saugten sich an einer Gestalt fest, die eine Kapuze über den Kopf gezogen hatte wie ein Mönch und allein für sich an einem Tisch saß. Die Schatten schienen sich um sie herum zusammenzuballen. Andrejs Mund wurde trocken. Dann trat eine weitere Gestalt hinzu. Die Kapuze wandte sich um und offenbarte das Gesicht einer jungen Frau, die den Neuankömmling anlächelte und seine Hand nahm, als er sich neben sie setzte.

„Ein Wissenschaftler, mein Sohn“, sagte der alte Langenfels, „betrachtet jede Erkenntnis, die ihm zuteil wird, als ein neues Licht in der Dunkelheit der Ignoranz. Der Mönch jedoch … Nachdem er dieses letzte Buch gelesen hatte, verstand er plötzlich, was in all den anderen gestanden hatte. Er sah das letzte kleine Licht verlöschen, das in der Dunkelheit seiner eigenen Welt brannte, das Licht des Glaubens. Als es aus war, umgab ihn Finsternis.“

„Aber es war doch nur ein Buch …“

„Es war eben nicht ‚nur’ ein Buch! Wer weiß, was in diesem Traktat stand, das jemand vor der Welt versteckt hatte? Vielleicht war es das, was Gott Moses verboten hatte zu schreiben? Vielleicht waren es die Erkenntnisse, die Adam festhielt, als er vom verbotenen Baum gegessen hatte? Unterschätz nie die Macht von Büchern, mein Sohn!“

„Warum hat der Mönch seine Mitbrüder getötet?“

„Ihnen war seine Verwandlung aufgefallen. Sie stellten ihn zur Rede, und als er schwieg, machten sie sich auf den Weg in die Bibliothek, um nachzusehen, weshalb ihn seine Studien dort so verändert hatten. Aber der Mönch wollte nicht, dass jemand das Wissen, das er erworben hatte, mit ihm teilte, und versuchte sie aufzuhalten …“

„Vielleicht wollte er die anderen nur beschützen, damit sie nicht ebenfalls ihren Glauben verloren, Vater?“

„Ja, Söhnchen, wer weiß? Aus guter Absicht entsteht ebensoviel Böses wie aus schlechter. Jedenfalls … es gab einen Kampf, eine Fackel fiel zu Boden, eine Ölschale wurde umgestoßen, was weiß ich … Die Bibliothek fing Feuer. Alles brannte auf einmal lichterloh. Als der Mönch sah, dass er die Bücher nicht retten konnte, floh er, verschloss die Tür hinter sich und überließ seine Mitbrüder den Flammen. Sie kamen elend darin um.“

Andrej schluckte und schüttelte sich.

„Der größte Teil des Klosters konnte gerettet werden, aber die Bibliothek brannte völlig nieder. Der Mönch ging zu seinem Abt und gestand alles. Als Buße bat er sich aus, seine Erkenntnisse niederzuschreiben und so all das Wissen, das er aus der Bibliothek gewonnen hatte und das im Feuer verloren gegangen war, zu erhalten. Als der Vater Abt ihn fragte, worin in dieser Tat die Buße bestand, sagte der Mönch, er wolle dazu eingemauert werden. Während seines langsamen Verschmachtens wollte er das Werk schreiben, und mit seinem letzten Seufzer wollte er das letzte Wort festhalten. Dann mochten sie seine Zelle wieder aufbrechen, seinen Leichnam begraben und das Buch aufbewahren.“

„Das ist aber schlimm“, flüsterte Andrej.

„Ja“, sagte sein Vater. „Das war die grässlichste Buße für eine Sünde wie die seine, die man sich ausdenken konnte. Der Abt willigte ein. Doch schon am Abend des ersten Tages wusste der Mönch, dass er mit seinem Werk nie zu Ende kommen würde, bevor er starb, und er verzweifelte.“

„Hat ihn der Abt wieder herausgelassen?“

„Nein.“

„Oder ihm wenigstens Essen und Trinken gegeben, damit er länger durchhielt?“

„Andrej, der Mann war eingemauert worden. Was er drinnen tat oder was immer er rief, konnte draußen niemand hören. Sie würden die Zelle erst wieder aufbrechen, wenn soviel Zeit vergangen war, dass er mit Sicherheit tot war.“

„Aber was konnte er denn tun, der arme Mönch?“

Andrejs Vater lächelte kaum merklich. „Er betete.“

„Aber …“

„Genau. Wie konnte er beten, wenn er doch den Glauben verloren hatte? Weißt du, um sich die Zuversicht an das Gute zu bewahren, braucht man den Glauben. Um sich klarzumachen, dass es auch das Böse gibt, braucht man ihn nicht – das weiß man, wenn man auch nur ein Zipfelchen der Welt kennt.“

„Heißt das …“

„Ja. Der Mönch betete zum Teufel.“

„Heilige Maria Mutter Gottes, beschütze uns vor allen bösen Geistern“, stieß Andrej hervor und klang dabei wie seine Mutter. Sein Vater verdrehte die Augen.

„Es heißt“, sagte er schließlich, „dass der Teufel zu dem Mönch in die Zelle kam. Aber das Böse kommt ja immer schneller zu einem als das Gute, also halte ich das nicht für unwahrscheinlich. Der Teufel erbot sich, dem Mönch zu helfen und das Werk für ihn zu schreiben. Dafür wollte er noch nicht mal eine Belohnung; die Seele des Mönchs gehörte ihm ohnehin, und dass die meisten, die das Werk lesen würden, ebenfalls vom Glauben an Gott abfallen und sich ihm zuwenden würden, war ihm Lohn genug. Der Mönch offenbarte dem Teufel sein Wissen, und der Fürst der Hölle machte sich an die Arbeit. Als der Mönch am nächsten Morgen aus einem unruhigen Schlaf erwachte, lag das Buch fertig geschrieben auf dem Pult.“

Andrej schwieg.

„Aber …“, sagte sein Vater.

„Aber was?“

„Der Mönch hatte den Teufel hereingelegt.“

Andrej keuchte überrascht.

„Der Mönch wusste, dass der Teufel alles verdrehen würde, was er ihm offenbarte, und dass es dem Teufel nur darum ging, mit der Verbreitung des Wissens Verderben zu säen. Also setzte sich der Mönch hin und versteckte auf drei Seiten in dem Buch den Schlüssel zu all den verdrehten, verderbten Worten, die der Teufel niedergeschrieben hatte; er lieferte die Aufklärung dazu, wie man dieses Testament des Satans verstehen musste. Dann zeichnete er in die Mitte des Buches ein Bild des Teufels, um alle zu warnen, die sich damit abgaben, legte sich hin und starb. Als nach vielen weiteren Tagen die anderen Mönche die Mauer durchbrachen, waren sie entsetzt. Das Buch lag dort wie versprochen, aber der Leichnam ihres Mitbruders war so verbrannt, wie es die anderen gewesen waren, die er zum Tod in den Flammen verdammt hatte.“

Andrej gab einen erschreckten Laut von sich. Die Augen seines Vaters glitzerten im Schein der wenigen Talglichter, die in der Herberge flackerten und ihren Teil zu dem Geruch von verbranntem Essen beitrugen, der unter der Decke hing. Die meisten anderen Herbergsbesucher hatten sich in den Schlafraum zurückgezogen oder schnarchten, über die Tische hingestreckt, in der Schankstube.

„Wer besonders würdig oder besonders weise war, durfte in dem Buch studieren“, flüsterte Andrejs Vater. „Was glaubst du, woher all die Fortschritte kamen, all die neuen Ideen, die immer wieder im Dunkel der Zeit aufblitzten? Was glaubst du, woher das erste alchimistische Wissen kam?“

„Aus dem Buch …?“

„Und woher all die schrecklichen Gedanken kamen, die Kriege, die Intoleranz, die Verfolgungen, die Morde, die schlechten Päpste und die bösen Herrscher? Schließlich wurde es immer schwieriger, Zugang zu dem Buch zu erhalten, und das Wissen darüber ging verloren.“

„Und woher wissen Sie das alles, Herr Vater?“

„Bevor ich deine Mutter kannte und bevor du geboren wurdest, traf ich einen alten Alchimisten.“ Andrejs Vater zögerte einen winzigen Augenblick. „Ich traf ihn im Gefängnis in Wien, wenn du es genau wissen willst, wohin mich die Missgunst schlechter Menschen gebracht hatte. Der Alte war noch schlimmer dran als ich – man hatte ihn zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. In der Nacht vor seiner Hinrichtung erzählte er mir diese Geschichte.“

„Und haben Sie sie ihm geglaubt?“

„Natürlich habe ich sie ihm geglaubt. Wissenschaftler belügen sich nicht, und der Unglückliche stand bereits mit einem Fuß im Grab.“ Andrejs Vater lächelte verzerrt, aber seine Augen funkelten. „Ich habe ihm schwören müssen, es niemals jemandem zu verraten. Ich werde meinen Schwur halten. Aber sobald das Buch mir gehört, wird all das Wissen, werden all die Geheimnisse der Schöpfung mir gehören, mir, einem Wissenschaftler, und ich werde nicht nur ein kleines Licht in der Dunkelheit entzünden, ich werde einen Flächenbrand entfachen, und es wird eine neue Ära beginnen, in der alles Unwissen und aller Aberglaube verbrennen und die Menschen im Licht der Wissenschaft leben! Mein Werk wird das sein, mein Werk!“

„Wissen Sie denn, wo dieser Codex ist, Herr Vater?“

„Er ist immer noch in dem Kloster versteckt, in dem er geschrieben wurde.“

„Und haben Sie herausgefunden, welches Kloster das ist?“

„Erinnerst du dich an das Dorf oben im Norden, das am Rand der Felsenstadt im Wald?“

„Das, wo wir mitten in der Nacht aus der Herberge geflohen sind, ohne die Rechnung zu bezahlen?“

„Nun, mein Junge, ich wollte den guten Wirtsleuten ersparen, mit mir am nächsten Morgen um das Geld streiten zu müssen.“

„Sie haben aber auch den Schinken und den kleinen Mehlsack aus der Vorratskammer mitgenommen.“

„Darüber zu streiten wollte ich ihnen auch ersparen.“

„Mutter sagt, wir haben die Leute betrogen.“

„Willst du nun wissen, wo das Kloster ist, oder nicht?“

„Ist es in der Nähe dieses Dorfes?“

Andrejs Vater schnaubte und schüttelte den Kopf. „Da war doch dieser Dorfpriester …“

„Der grässlich betrunkene Kerl!“

„Ich weiß ja nicht viel über das Leben eines Dorfpriesters, besonders nicht dort oben, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen … Aber ich kann mir vorstellen, dass man da gern zum Wein greift, wenn er einem angeboten wird.“

„Sie haben ihm eine ganze Menge Wein angeboten, Vater.“

„Ja … der Bursche war nicht gerade schüchtern.“

„Über das Geld für den Wein zu streiten haben Sie den Wirtsleuten auch …“

„… aber das alte Weinfass war jeden Schluck wert, den ich in es hineingeschüttet habe.“

„Er hat Ihnen verraten, wo das Kloster ist?“

Das Gesicht des Vaters verzog sich zu einem Grinsen.

„Und wo ist es, Herr Vater?“

Andrejs Vater deutete in die Finsternis der bitterkalten Novembernacht außerhalb der Fensteröffnungen. Seine Augen waren jetzt Spiegel der kleinen Feuer, die in den Transchalen brannten. Er grinste immer breiter. Das Schattenspiel verzerrte sein Gesicht zu dem eines Mannes, den Andrej nicht kannte. „Morgen wirst du dich wie verabredet bei seinem Tor verstecken und darauf warten, dass ich dir die Teufelsbibel zuwerfe.“

3.

PRIOR MARTIN WÄRE der Erste gewesen, der den Klosterhof erreichte, wenn er nicht bei dem toten Mönch vor dem Ausgang angehalten hätte. Während er sich nach dem schwarzen Kuttenbündel auf dem Steinboden bückte, rannten die beiden Novizen, die er aus Braunau mitgebracht hatte, an ihm vorbei und in den Hof hinaus. Martin fasste die zusammengekrümmte Gestalt bei der Schulter und drehte sie herum. Er zuckte zurück. Wo ein Gesicht gewesen war, klaffte eine Wunde, die den halben Schädel auseinandergehauen hatte. Der Prior unterdrückte ein Ächzen und fühlte, wie sich sein Magen hob. Der Kopf des Leichnams rollte herum und kam halb auf Martins Fuß zu liegen, bevor dieser ihn zurückziehen konnte, und für Momente stand er wie festgenagelt. Der mörderische Lärm von draußen war fast verstummt; es hatte eine Weile gedauert, bis sie ihn über das Prasseln des Unwetters und ihre hitzig geführte Diskussion im Kapitelsaal gehört hatten. Weitere Augenblicke waren verstrichen, in denen sie sich alle fassungslos angestarrt hatten, bis Martin sich herumgeworfen hatte und aus dem Saal geeilt war, gefolgt von den Novizen. Stöhnend zog Martin den Fuß unter dem Kopf des Toten hervor, erschauerte, als dieser weiter herumrollte und die Bewegung einen Schwall Blut, Knochensplitter und Zähne auf den Boden schwemmte. Er drückte sich an der Wand entlang um den Toten herum und bemerkte kaum, dass er die Lippen wie im Gebet bewegte. Als er an dem Leichnam vorbei war, raffte er die Kutte und rannte weiter.

Draußen prallte er auf eine Mauer aus schwarzen Mönchskutten. Hände hielten ihn fest; er kämpfte sich durch die Männer hindurch. Es waren fünf; der Tote im Gang war der sechste, und der siebte Kustode …

Der Anblick des großen, dicken Novizen, der von allen Buh genannt wurde und der jetzt auf den Knien lag und sich erbrach, während der magere Novize namens Pavel neben ihm stand, das Gesicht eine Maske des Horrors, verzerrte sich vor Martins Augen, ebenso wie das Schlachtfeld aus zerschlagenen, zerstückelten Körpern, als ihm klar wurde, dass der siebte Kustode derjenige war, der das Blutbad angerichtet hatte. Ihm war zumute, als fiele er in einen Abgrund. Der Graupelschauer peitschte in sein Gesicht. Er wischte sich das Wasser aus den Augen. Der siebte Kustode war fast am anderen Ende des Klosterhofs und riss seine Axt aus einem Körper zu seinen Füßen, hob sie über seinen Kopf und rannte brüllend in Richtung Klosterpforte. Martin war sicher, dass er versuchte ins Freie zu fliehen … und wenn er das Freie erreichte und das Dorf jenseits der Felder, dann würde das Massaker erst beginnen. Er fuhr herum.

Die übrig gebliebenen Kustoden standen eng beisammen. Wo die Kapuzen von den Köpfen geglitten waren, waren die Gesichter über den schwarzen Kutten Spiegelbilder des Schocks, der auch den jungen Pavel bannte. Derjenige der Kustoden, der für die Armbrust verantwortlich war, hatte sie gehoben und zielte, und die Spitze folgte dem dahinstürmenden Verrückten mit seiner Axt. Martin verstand innerhalb eines Herzschlags, dass die Spitze auf den Wahnsinnigen gerichtet war, seit die Kustoden bei seiner Verfolgung im Hof angekommen waren, und dass der Gedanke an die eigene Unberührbarkeit, die den Kustoden eingehämmert worden war, verhindert hatte, dass die Armbrust ausgelöst worden war und dem Schlachten ein Ende gemacht hatte. Martin stöhnte vor Entsetzen. Wie hatte das passieren können, nach all den Jahren, in denen die Kustoden ihren Wert als Wächter der Christenheit bewiesen hatten? Aber er wusste genau, wie es hatte passieren können – noch niemals in all der Zeit hatte jemand den Kustoden den Befehl gegeben, einen Menschen zu töten. Er, Prior Martin, war der Erste. Die Augen des Schützen über der Rinne der Armbrust waren weit aufgerissen. Der Hagel prasselte in sein Gesicht.

„Drück ab!“, schrie Martin.

Die Augen des Schützen zuckten, und seine Blicke klammerten sich an ihn. Ihr Ausdruck traf Martin wie ein Schlag. Er wusste, dass er eine weitere Seele zerstörte, und er wusste, dass er keine Wahl hatte. Der Rasende hatte das Tor fast erreicht und wirbelte die Axt.

„Drück ab!“