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Neue Schweizer
Standpunkte

Dorothee Elmiger

Pascale Kramer

Catherine Lovey

Adolf Muschg

Fabio Pusterla

Daniel de Roulet

Monique Schwitter

Tommaso Soldini

Im Dialog
mit Carl Spitteler

Aus dem Französischen und Italienischen
von Yla M. von Dach, Yves Raeber,
Barbara Sauser und Andrea Spingler

Herausgegeben von Camille Luscher

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Das Buch erscheint mit finanzieller Unterstützung von

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Der Verlag bedankt sich hierfür.

Übersetzungen und Lektorat in diesem Buch wurden von der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia gefördert.

Der Verlag und die Übersetzerinnen und Übersetzer bedanken sich hierfür.

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Der Rotpunktverlag wird vom Schweizer Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.

© Rotpunktverlag, Zürich

www.rotpunktverlag.ch

Bild Seite 71: Ferdinand Hodler, Bildnis Carl Spitteler, 1915, Öl auf Leinwand, 65 × 80 cm, Inv. Nr. G 777x, Kunstmuseum Luzern, Depositum der Stadt Luzern / Foto: © Andri Stadler, Luzern

Umschlag: Silvia Francia

ISBN E-Book: 978-3-85869-833-9

1. Auflage 2019

Inhalt

Vorwort

Schweizerisches Gleichgewicht

Carl Spitteler

Unser Schweizer Standpunkt

Adolf Muschg

Bescheidenheit als Noblesse

Dorothee Elmiger

Die Anrufung des Wildschweins

Pascale Kramer

Eine ewig Fremde in Frankreich

Monique Schwitter

Europas Zwergfell

Daniel de Roulet

Parteinahme für die Nichtparteinahme. Lob des Molotowcocktails

Fabio Pusterla

Victor will reden. Eine Begegnung. (Eine Reise?)

Catherine Lovey

Selber Barbaren!

Tommaso Soldini

Klassengesetz

Vorwort

Schweizerisches Gleichgewicht

O tempora, o mores! Was für Zeiten (erleben wir)! Was für Sitten!, soll Cicero im Jahr 63 v. u. Z. ausgerufen haben.1 Was für Zeiten, ja, was für Zeiten (erleben wir), hört man sich auch heute ausrufen. Alles geht schnell, eine Flut von Informationen bricht über uns herein, über Kanäle, die uns nicht selten überschwemmen. Unterdessen sterben Menschen beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, sterben durch Waffen, die von Drittländern verkauft wurden; die Gräben vertiefen sich, die Wirtschaft verliert den Kopf in den höheren Sphären.

Angesichts der Geschwindigkeit und des Übermaßes empfindet man vielleicht das Bedürfnis, auf die Pausentaste zu drücken. Anhalten, Distanz gewinnen, Atem schöpfen. Die Grundlagen der Kräfteverhältnisse überdenken, der Frage nachgehen, welchen Platz jeder Mensch auf der Welt, auf der Erde einnimmt. Die Literatur ermöglicht dies. Denn sie gibt uns Gelegenheit, dem anderen zuzuhören. Dem alter, dem Mitmenschen, der anders ist.

Und da man nun einmal von irgendwo ausgehen muss, warum sich nicht die Mühe nehmen, in unserem Maßstab zu denken. Den Maßstab eines Landes, der Schweiz, als Ausgangspunkt zu nehmen, um über seinen Platz in der Welt und in Europa nachzudenken. Auf dieser politischen Bühne.

Unter anderen, sehr verschiedenen Umständen, aber im selben Himmelsstrich, hat ein Schriftsteller dies getan. Er heisst Carl Spitteler, ist Mitte des 19. Jahrhunderts in der Gegend von Basel zur Welt gekommen und hat seit einigen Jahren anspruchsvolle Bücher geschrieben in einem Stil, den er selbst als »epische Poesie« bezeichnet und der bei Nietzsche Beachtung und Unterstützung fand. Ab und zu hat er sich öffentlich zu diesem oder jenem Thema geäußert, das ihm bedeutsam schien, obwohl er das Image eines kratzbürstigen aristokratischen Menschenfeindes kultivierte. Nun brach aber der Erste Weltkrieg aus, und die Schweiz, deren Föderalismus schon seit einiger Zeit wankte, geriet zwischen zwei gegnerische Feuer, ins Sturmtief von Winden, die in entgegengesetzter Richtung bliesen und sie, so fürchtete man, einer allmählichen Aufspaltung entgegentrieben. Von Sorge erfüllte Männer (keine Frauen, wohlgemerkt) gründeten die Neue Helvetische Gesellschaft2 mit dem Ziel, sich für Mehrsprachigkeit, nationalen Zusammenhalt und regionale Eigenarten einzusetzen. Werte, die man teilen kann, wobei man sehr wohl spürt, dass man sich vor ihnen auch hüten muss. Es wurde also beschlossen, jemanden zu finden, der imstande war, eine versöhnliche Rede zu halten. Einen Schriftsteller. Denn wer wäre besser geeignet als ein Schriftsteller, um in unruhigen Zeiten das Wort zu ergreifen. Im Gegensatz zu einem Politiker zum Beispiel hat er die Möglichkeit, Fragen zu stellen, ohne Antworten liefern zu müssen, er spricht nicht in Phrasen, sondern in Bildern, die das Denken in Bewegung setzen.

Carl Spitteler nimmt den Auftrag an und positioniert sich als einer, »der seine Bürgerpflicht erfüllt«, als «bescheidener Privatmann«, der angesichts der Dringlichkeit der Situation das Wort ergreift, »um einem unerquicklichen und nicht unbedenklichen Zustand entgegenzuwirken«. Doch er geht seine Rede in erster Linie als Schriftsteller an und behandelt die Frage des nationalen Zusammenhalts mit literarischen Mitteln, benützt starke Symbole, Metaphern, Elemente der Mythologie. Dieser literarische Aspekt ist es sicher, der seinen Worten eine universelle Dimension verleiht, von der wir uns noch heute angesprochen fühlen. Die Werte, auf die er sich beruft, befremden uns nicht, sie erscheinen uns noch immer wesentlich, selbstverständlich zur Schweiz gehörend, und die Formulierungen sind offen genug, damit alle auf ihre Rechnung kommen. Ein effizienter Konsens, alles in allem, durch und durch schweizerisch. So sehr, dass man sich wundert, welch heftige Reaktionen er hervorgerufen hat.

Es gab in der Tat Wirbel, im besten wie im schlechtesten Sinn. Manche schreiben dieser Rede eine entscheidende Bedeutung für die Rezeption des Dichters Carl Spitteler zu. Sie soll ihm, mehr als die offiziell gerühmten Epen, den Nobelpreis für Literatur eingetragen haben (nichts Geringeres als das!), den Spitteler für das Jahr 1919 erhielt. Der Anekdote zufolge soll Romain Rolland, Literaturnobelpreisträger von 1915, sich für die Anerkennung Spittelers eingesetzt haben, mit dem er den Willen teilte, sich aus dem Kampfgetümmel herauszuhalten.3

Tatsächlich hat »Unser Schweizer Standpunkt« das Jahrhundert unbeschadet überstanden, während Spittelers Werk – für den Geschmack unserer Zeit wohl zu sehr mit Symbolismus und Allegorien beladen – heute zu einem großen Teil vergessen ist. Zum Symbol erhoben, wurde die Rede in verschiedenen Phasen der Geschichte des Landes wiederaufgenommen (zuweilen vereinnahmt), jedes Mal, wenn die Schweizer »das Bedürfnis hatten, über sich nachzudenken«4. Man hat sich davon zu Betrachtungen über die Vielsprachigkeit, den Föderalismus, die Neutralität anregen lassen, als es darum ging, sich auf die gemeinsamen Werte zu besinnen, den nationalen Zusammenhalt wachzurufen. Mitten in abstrakten Bildern und eher allgemeinen Betrachtungen macht Spitteler einen sehr konkreten Vorschlag, um das Verständnis zwischen den verschiedenen Sprachgebieten zu stärken: Man sollte sich gegenseitig zuhören, namentlich, indem man die Leitartikel der Tageszeitungen in Übersetzung zugänglich machte.

Drei Verlage, die Editions Zoé in Genf, der Rotpunktverlag in Zürich und die Edizioni Casagrande in Bellinzona, haben Spitteler heute beim Wort genommen. Gemeinsam haben sie acht Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus den drei Sprachregionen eingeladen, auf diese Rede zu reagieren. Sie waren frei, den einen oder den anderen Aspekt davon aufzugreifen. Darauf zu antworten, ihn weiterzuentwickeln. Ihn in seinem Kontext zu behandeln oder in den unseren herüberzuholen.

Was bleibt, hundert Jahre danach, von diesem »Besten in idealistischer Richtung«, das Alfred Nobel mit seinem Preis belohnte? Kann Spittelers Rede, die im ganz speziellen Kontext des Ersten Weltkriegs gehalten wurde, in der Perspektive der Gegenwart noch aussagekräftig sein?

Als Einstieg in die Textsammlung, gleich nach der Rede von Carl Spitteler, geht Adolf Muschg für uns den Bedingungen der Niederschrift und der Rezeption dieser Rede im Laufe des 20. Jahrhunderts nach. Er greift die Begriffe »eidgenössischer Zusammenhalt« sowie »Bescheidenheit und Anstand« heraus, die Spitteler teuer waren, und sieht in der Rede von 1914 nicht weniger als ein Friedensprojekt. Ihm folgend, richtet Dorothee Elmiger ihr Augenmerk auf die verwendeten Metaphern, insbesondere auf die von Spitteler gemachte Unterscheidung zwischen Nachbarländern einerseits und Brüdern andererseits. Dank einer subtilen mehrstimmigen Komposition wirft die Autorin auf die von Spitteler angeschnittenen Fragen ein Echo aus der Gegenwart zurück, bei dem sie alle vorgefertigten Antworten vermeidet. Wovor hat man Angst, lautet die unterschwellige Frage, welcher Art ist die Bedrohung?

Als Symbol der schweizerischen Identität steht die Neutralität im Zentrum verschiedener Texte, die ihre Dimensionen, aber auch ihre Widersprüche ausloten. Vom Gestus des mitfühlenden Zuschauers, den Spitteler in ihr sah, bewegt sie sich in Richtung mehr Engagement. Wenn es heute noch darum geht, »den Hut abzunehmen«, dann um besser einen kühlen Kopf zu bewahren angesichts der nationalistischen, chauvinistischen oder islamophoben Leidenschaften, die Pascale Kramer nach dem Attentat auf Charlie Hebdo in Frankreich beobachtet, wo sie seit mehr als dreißig Jahren lebt. Das ist die große Lehre, die sie aus dem berühmten »Schweizer Standpunkt« zieht: eine gewisse Distanz, durch die man die nötige Ruhe gewinnt, um dem anderen richtig Gehör zu schenken. Und genau weil die Schweiz seit über einem Jahrhundert diese Anstrengung auf sich nimmt, weil ihre Identität komplex und unmöglich auf einen primären Nationalismus reduzierbar ist, könnte sie, wenn man Monique Schwitters Sichtweise folgen will, nicht als Beispiel, aber vielleicht als Vorläuferin für das aktuelle Europa dienen, dem es an gemeinsamen Werten und kulturellen Ambitionen fehlt. Das war bereits in den Fünfzigerjahren die These eines Denis de Rougemont, dessen Vorbild Daniel de Roulet erwähnt, neben anderen Schweizern mit emblematischem Werdegang – Hodler, Cendrars, Le Corbusier, Louis Chevrolet. Indem er seine Familiengeschichte mit der großen Geschichte des 20. Jahrhunderts verflicht, gelingt es de Roulet, eine ganz persönliche Sicht des Widerstands durch Nichtparteinahme zum Ausdruck zu bringen, in der etwas von dem anklingt, was Pascale Kramer mit »richtig Gehör schenken« meint. Daniel de Roulet erkennt darin die Haltung des Schriftstellers selbst, der an und mit der Sprache, mit dem Gewicht und dem Wert der Worte arbeitet und so einen klaren Blick bewahrt.

Als Dichter platziert sich Fabio Pusterla in dieser Randzone. Ausgehend von einer Begegnung mit einem nigerianischen Immigranten und von der Erfahrung einer in einem gewissen Sinne gescheiterten Kommunikation, untersucht er die Frage unserer Verantwortung angesichts der Andersartigkeit innerhalb von Grenzen, die wir, wie er plädiert, neu definieren sollten.

Auf humoristische, ja parodistische Art nimmt Catherine Lovey die Struktur von Spittelers Rede und die wichtigsten von ihm verwendeten Begriffe auf, um ihre Schwächen herauszustreichen. Vergangenheit und Gegenwart vermischend, wirft sie einen konzessionslosen Blick auf den Opportunismus der Schweiz und der Politiker weltweit – während sie sich mit der Nobelpreis-Akademie zugleich via Twitter austauscht.

Tommaso Soldini schließlich spricht von der Herausforderung, die es für die Schweiz bedeutet, über die »Brüder« desselben Landes hinaus in die Vielfalt auch jene andere Minderheit aufzunehmen, die von Ausländern der zweiten oder der dritten Generation gebildet wird. Der in Schwierigkeiten geratene Schüler aus seiner Erzählung trägt den Namen eines berühmten Fußballspielers.

Von einem Text zum andern ergibt sich ein Wechselspiel der Ideen, sie verbinden sich miteinander, während sie zugleich den je eigenen Standpunkt der Autorinnen und Autoren zum Ausdruck bringen. Vor hundert Jahren sprach Spitteler in seinem Titel mit Nachdruck in der Einzahl: »Unser Schweizer Standpunkt«, da es galt, gegenüber dem sich entzweienden Europa eine Einheit zu bekräftigen. Durch ihre Form bekräftigt diese Textsammlung jedoch eine Vielzahl, in der Überzeugung, dass genau sie die Antwort unserer Zeit ist. Die Vielfalt der Schweiz ist unsere Chance, da sie uns von Anfang an zwingt, das andere in unser Denken miteinzubeziehen; uns als Einheit mit vielfältigen Facetten zu begreifen. »Wir sollten einig fühlen, ohne einheitlich zu sein«, sagte Spitteler. Zuspitzend fügt Adolf Muschg die Notwendigkeit hinzu, »dass man gemeinschaftlich dafür kämpfen muss, verschieden zu bleiben«. Dieses Buch möchte die richtigen Fragen stellen, nicht um darauf eine einheitliche Antwort zu geben, sondern um einen Dialog in Gang zu bringen, der uns zum Nachdenken anregt und dazu, Stellung zu beziehen, um in der Komplexität des Denkens ein Gleichgewicht zu finden. Ein Gleichgewicht, das fortwährend in Bewegung bleibt. Ein schweizerisches Perpetuum mobile.

Camille Luscher

Aus dem Französischen von Yla M. von Dach

Camille Luscher, 1987 in Genf geboren, freie Literaturvermittlerin und -übersetzerin. Als Mitarbeiterin des Centre de traduction littéraire in Lausanne, Vorstandsmitglied des AdS und Vorsitzende der Bieler Gespräche engagiert sie sich für ein besseres Verständnis zwischen den Landesteilen und über die Sprachgrenzen hinweg.

1Cicero, In Catilinam, 1. Rede gegen Catilina.

2Die Neue Helvetische Gesellschaft konstituierte sich am 1.2.1914 in Bern als überparteiliche freundschaftliche Vereinigung. Mehrsprachigkeit, nationales Erbe und Eigenart der Landesteile verbanden als hauptsächliche Werte Literaten, Journalisten und Akademiker vorwiegend aus der Romandie mit Deutschschweizer Unternehmern und Politikern. Von ihnen erging an Carl Spitteler der Auftrag zu der Rede, die er am 14. Dezember 1914 gehalten hat. (Quelle: HLS, Historisches Lexikon der Schweiz)

3Romain Rolland, Au-dessus de la mêlée, als Buch erschienene Artikelserie von 1915, in der der Autor die Kriegsparteien scharf für ihre jede Verhandlung ausschließende Haltung kritisierte. Deutsch: Über den Schlachten, von P. Amman (1950).

4Claude Reichler, Vorwort zu Carl Spitteler, Notre point de vue suisse, MiniZoé, 1995.

Carl Spitteler

Unser Schweizer Standpunkt

Rede, gehalten vor der Neuen
Helvetischen Gesellschaft, Gruppe
Zürich, am 14. Dezember 1914

Meine Herren und Damen

So ungern als möglich trete ich aus meiner Einsamkeit in die Öffentlichkeit, um vor Ihnen über ein Thema zu sprechen, das mich scheinbar nichts angeht. Es würde mich auch in der Tat nichts angehen, wenn alles so wäre, wie es sein sollte. Da es aber nicht der Fall ist, erfülle ich meine Bürgerpflicht, indem ich versuche, ob vielleicht das Wort eines bescheidenen Privatmannes dazu beitragen kann, einem unerquicklichen und nicht unbedenklichen Zustand entgegenzuwirken. Wir haben es dazu kommen lassen, dass anlässlich des Krieges zwischen dem deutschsprechenden und dem französischsprechenden Landesteil ein Stimmungsgegensatz entstanden ist. Diesen Gegensatz leicht zu nehmen, gelingt mir nicht. Es tröstet mich nicht, dass man mir sagt: »Im Kriegsfall würden wir trotzdem wie ein Mann zusammenstehen.« Das Wörtchen »trotzdem« ist ein schlechtes Bindewort. Sollen wir vielleicht einen Krieg herbeiwünschen, um unserer Zusammengehörigkeit deutlicher bewusst zu werden? Das wäre ein etwas teures Lehrgeld. Wir können es billiger haben. Und schöner und schmerzloser. Ich kann jedenfalls in einer Entfremdung nichts Ersprießliches erblicken, vielmehr das Gegenteil. Oder wollen wir, wie das etwa Ausländer tun, die Stimmungsäußerungen unserer anderssprachigen Eidgenossen einfach außer acht lassen, weil sie in der Minorität sind? »Abgesehen von dem Bruchteil der französischen Schweiz, die ganz in französischem Fahrwasser schwimmt …« In der Schweiz sehen wir von niemandem ab. Wäre die Minorität noch zehnmal minder, so würde sie uns dennoch wichtig wägen. Es gibt in der Schweiz auch keine Bruchteile. Dass aber die französische Schweiz »ganz in französischem Fahrwasser« schwimme, ist ein unverdienter Vorwurf. Sie schwimmt so gut wie die deutsche Schweiz in helvetischem Fahrwasser. Das hat sie oft genug mit aller Deutlichkeit bewiesen. Verbittet sie sich doch sogar den Namen »französische« Schweiz. Also, ich glaube, wir sollen uns um das Verhältnis zu unsern französischsprechenden Eidgenossen freilich kümmern, und das Missverhältnis soll uns bekümmern.

»Ja, was ist denn eigentlich vorgefallen?«

Nichts ist vorgefallen. Man hat sich einfach gehen lassen. Wenn aber zwei nach verschiedener Richtung sich gehen lassen, so kommen sie eben auseinander. Entschuldigung liegt vor. Sie heißt: Überraschung. Wie auf den übrigen Gebieten, so hat auch in unserm Gemüts- und Geistesleben die Plötzlichkeit des Kriegsausbruches gleich einer Bombe eingeschlagen. Die Vernunft verlor die Zügel, Sympathie und Antipathie gingen durch und liefen mit einem davon. Und der nachkeuchende Verstand mit seiner schwachen Stimme vermochte das Gefährt nicht aufzuhalten. Beobachte ich übrigens richtig, so ist der Verstand schließlich doch angekommen. Wir sind jetzt, wie ich glaube und hoffe, in der Stimmung der Umkehr und Einkehr. Damit ist die Hauptsache gewonnen, das Schlimmste verhütet. Allein eine gewisse Meinungsverwirrung, eine gewisse Ratlosigkeit und Richtungsverlegenheit ist noch vorhanden. Da hinein ein bisschen Ordnung zu stiften, ist die Aufgabe der Stunde, mithin auch meine Aufgabe.