Das Buch

Hinter den Bergen bei den sieben Zwergen da beginnt das wundersame Märchenland. Wo aus hässlichen Fröschen schöne Prinzen werden, junge Königstöchter aus einem hundertjährigen Schlaf erwachen und unscheinbare Esel Gold spucken.

Diese besondere Anthologie vereint die 30 schönsten Märchen von den Brüdern Grimm, Wilhelm Hauff, Ludwig Bechstein und Hans Christian Andersen. Liebevoll nacherzählt und zeitgemäß illustriert entführen sie kleine Märchenliebhaber ins Land der verwunschenen Prinzessinnen, geheimnisvollen Knusperhäuschen und verzauberten Schlösser.

Ein Märchenschatz für die ganze Familie!

Der Illustrator

Günther Jakobs

© Günther Jakobs

Günther Jakobs, Jahrgang 1978, studierte Illustration an der FH Münster. Er arbeitet seit seinem Abschluss erfolgreich als Illustrator für verschiedene Verlage im Bereich Kinderbuch, Sachbuch und Geschenkbuch. Er ist Münster treu geblieben und lebt dort mit seiner Familie.

Mehr über Günther Jakobs: www.guentherjakobs.de

Günther Jakobs auf Facebook: www.facebook.com/guentherjakobs/

Der Verlag

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Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autoren und Übersetzern, gestalten sie gemeinsam mit Illustratoren und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

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Viel Spaß beim Lesen!

Titelbild

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Der Froschkönig

15788.jpg n den alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, lebte einmal eine Königstochter. Sie besaß eine goldene Kugel, die ihr allerliebstes Spielzeug war. An heißen Tagen lief die Königstochter zum Wald, denn dort stand ein alter Brunnen. Das Mädchen setzte sich an den Rand des Brunnens und warf die goldene Kugel hoch in die Luft, um sie anschließend wieder aufzufangen.

Einmal allerdings geschah es, dass die Königstochter die Kugel zu hoch warf, sie nicht wieder auffangen konnte, und die goldene Kugel in den Brunnen fiel. Erschrocken sah die Königstochter hinein, aber die Kugel war verschwunden und der Brunnen so tief, dass kein Boden zu erkennen war. Da begann die Königstochter laut zu jammern und zu weinen.

Plötzlich hörte sie eine Stimme, die fragte: „Königstochter, was jammerst und klagst du so laut?“

Die Königstochter schaute sich um, woher die Stimme kam, und entdeckte einen Frosch, der seinen dicken, hässlichen Kopf aus dem Wasser streckte.

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„Ach, du bist es, alter Wasserpatscher“, schluchzte die Königstochter. „Meine goldene Kugel ist in den Brunnen gefallen.“

„Hör auf zu weinen“, antwortete der Frosch. „Ich kann dir helfen. Aber was gibst du mir, wenn ich dir dein Spielzeug wiederbringe?“

Da antwortete die Königstochter: „Alles würde ich hergeben, meine Perlen, meine Ringe, meine Kleider, selbst meine Krone, wenn ich nur meine goldene Kugel wiederbekäme.“

„Deine Perlen, deine Ringe, deine Kleider und deine Krone will ich nicht“, erwiderte der Frosch. „Aber wenn du mir versprichst, mich zum Freund und Spielkameraden zu nehmen, und ich mit dir am Tisch sitzen, von deinem goldenen Tellerchen essen und in deinem Bettchen schlafen darf, dann will ich dir gerne helfen“, schlug der Frosch dem unglücklichen Mädchen vor.

„Ich verspreche dir alles, was du willst“, sagte die Königstochter, die unbedingt ihr Lieblingsspielzeug wiederhaben wollte.

Da tauchte der Frosch tief in den Brunnen hinab und kam wenig später mit der Kugel wieder an die Wasseroberfläche. Die Königstochter nahm ihr Spielzeug hocherfreut in beide Hände und sprang sogleich davon.

„Warte auf mich!“, rief der Frosch ihr hinterher, aber die Königstochter war schon verschwunden und hatte den armen Frosch bereits vergessen.

Am nächsten Tag saß sie mit dem König und allen Hofleuten am Tisch, da hörte sie – plitsch, platsch, plitsch, platsch – wie jemand die Schlosstreppe hochgeplatscht kam und an die Tür klopfte.

„Königstochter, Königstochter, mach mir auf!“

Die Königstochter öffnete die Tür und erblickte niemand anderen als den Frosch aus dem Brunnen. Sie erschrak und warf die Tür vor seiner Nase wieder zu.

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„Wer war denn das, mein Kind?“, wollte der König wissen.

„Ach, das war nur ein schrecklicher Frosch“, antwortete die Königstochter. „Gestern ist mir meine goldene Kugel in den Brunnen gefallen, und der Frosch hat sie herausgeholt. Und ich habe ihm dafür versprochen, dass er mein Freund werden, mit mir bei Tische sitzen und in meinem Bettchen schlafen darf.“

Da klopfte es erneut, und eine Stimme rief: „Königstochter, mach mir auf, ich habe dein Wort!“

„Was du versprochen hast, das musst du auch halten“, sagte der König, und da musste die Königstochter dem Frosch öffnen und ein Kissen auf einen Stuhl legen, damit er neben ihr am Tisch sitzen konnte.

Voller Verdruss musste sie mit ihm vom gleichen goldenen Tellerchen essen, und als die Mahlzeit beendet war, sagte der Frosch: „Nun bring mich hoch in dein Bettchen. Ich bin müde und will schlafen!“

Die Königstochter weigerte sich, aber der König erinnerte sie an ihr Versprechen, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als den Frosch in ihr Schlafzimmer zu tragen.

Als sie im Bett lag, hüpfte der Frosch heran und sagte: „Ich will in deinem Bett schlafen. Heb mich herein, oder ich sag es deinem Vater.“

Da wurde die Königstochter so wütend, dass sie den Frosch packte und mit voller Wucht gegen die Wand warf. „Nun wirst du Ruhe geben, du garstiger Frosch!“, schrie sie.

Wie staunte aber die Königstochter, als nicht der garstige Frosch von der Wand fiel, sondern ein lebendiger, schöner Königssohn!

Er erzählte ihr, dass er von einer bösen Hexe verwandelt worden war und nur hatte erlöst werden können, wenn ihn eine Prinzessin zum Freund erwählen würde. Und als die beiden sich in die Augen blickten, da gefielen sie sich so gut, dass sie beschlossen, zu heiraten.

Am nächsten Morgen fuhr eine große Kutsche mit acht weißen Pferden vor, die weiße Straußenfedern auf dem Kopf trugen und in goldenen Ketten liefen. Hinten auf dem Wagen stand der treue Heinrich, das war der Diener des jungen Königssohnes.

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Der treue Heinrich war so betrübt über die Verwandlung seines Herrn gewesen, dass er sich drei Bande um das Herz hatte legen lassen, damit es vor Kummer nicht zerspringen würde.

Als das junge Paar nun mit der Kutsche zum Reich des Königssohnes fuhr, hörten sie einen lauten Krach, als ob etwas zerbrochen sei.

„Heinrich, der Wagen bricht!“, rief der Königssohn, aber der treue Heinrich antwortete: „Nein, mein Herr, es sind nur die Bande von meinem Herzen, das da lag in großen Schmerzen!“

Noch zweimal krachte es, aber nun wusste der Königssohn, dass es nur die Bande waren, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil er nun erlöst und glücklich war.

Tischlein deck dich

15782.jpg or langer, langer Zeit lebte einmal ein Schneider, der hatte drei Söhne und eine Ziege. Weil die Ziege sie alle mit ihrer Milch versorgte, brauchte das Tier gutes Futter und musste jeden Tag auf die Wiese geführt werden. Die Jungen teilten sich diese Aufgabe, mal war der eine dran, dann der andere.

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Eines Tages brachte der älteste Sohn die Ziege auf den Kirchhof, wo die besten Kräuter wuchsen. Dort durfte sie fressen und herumspringen.

Abends fragte er die Ziege: „Na, Ziege, bist du satt?“ Darauf antwortete die Ziege: „Ich bin so satt, ich mag kein Blatt! Mäh, mäh!“ Da nahm der Junge den Strick und führte die Ziege nach Hause in den Stall.

„Hat die Ziege heute gutes Futter bekommen?“, fragte der alte Schneider, als sein Sohn in die Hütte trat.

„Oh ja“, antwortete der Sohn, „die ist so satt, die mag kein Blatt.“

Aber der Vater wollte sich selbst davon überzeugen. Er ging in den Stall und fragte die Ziege: „Na, Ziege, bist du denn satt?“ Da antwortete die Ziege: „Wovon soll ich satt sein? Sprang nur über Stock und Stein, fand kein einzig Blättelein! Mäh, mäh!“

Wütend lief der Schneider hinüber zu seinem Sohn und schimpfte: „Du elender Lügner! Du behauptest, die Ziege sei satt, dabei hast du sie hungern lassen!“ Und in seiner Wut jagte er den Jungen aus dem Haus.

Am nächsten Tag führte der zweite Sohn die Ziege hinaus. Er suchte einen guten Platz an der Hecke aus, wo viele gute Kräuter wuchsen, und ließ die Ziege fressen.

Am Abend fragte er die Ziege: „Na, Ziege, bist du satt?“ Die Ziege antwortete: „Ich bin so satt, ich mag kein Blatt! Mäh, mäh!“ Da führte der Junge die Ziege nach Hause in den Stall.

„Hat die Ziege heute gutes Futter bekommen?“, fragte der alte Schneider, als sein Sohn in die Hütte trat.

„Oh ja“, antwortete der Junge, „die ist so satt, die mag kein Blatt.“

Aber der Vater wollte sich darauf nicht verlassen und ging in den Stall, um die Ziege zu fragen: „Na, Ziege, bist du denn satt?“ Wieder antwortete die Ziege: „Wovon soll ich satt sein? Sprang nur über Stock und Stein, fand kein einzig Blättelein! Mäh, mäh!“

„Du nichtsnutziger Bösewicht! So ein gutes Tier hungern zu lassen!“, schrie der Schneider und jagte auch seinen zweiten Sohn aus dem Haus.

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Am Tag darauf musste der jüngste Sohn die Ziege versorgen. Er hatte gesehen, was passiert war und wollte seine Sache gut machen. Darum suchte er einen Strauch mit den schönsten Blättern aus und ließ die Ziege daran fressen.

Abends, als er nach Hause gehen wollte, fragte er die Ziege: „Na, Ziege, bist du auch wirklich satt?“ Die Ziege antwortete: „Ich bin so satt, ich mag kein Blatt! Mäh, mäh!“ Da nahm der Junge den Strick und machte sich mit der Ziege auf den Heimweg.

„Hat die Ziege heute gutes Futter bekommen?“, fragte der alte Schneider, als sein jüngster Sohn in die Hütte trat.

„Oh ja“, antwortete der Junge, „die ist so satt, die mag kein Blatt.“

Aber der Vater erinnerte sich nur zu gut an die Lügen seiner anderen beiden Söhne und ging zu der Ziege in den Stall.

„Na, Ziege, bist du denn satt?“, fragte er sie. Und wieder antwortete das boshafte Tier: „Wovon soll ich satt sein? Sprang nur über Stock und Stein, fand kein einzig Blättelein! Mäh, mäh!“

„Oh ihr Lügenbande! Einer so hinterhältig und verlogen wie der andere!“, wütete der Schneider und jagte auch seinen jüngsten Sohn aus dem Haus.

Nun war der alte Schneider mit der Ziege allein, und so musste er sie am nächsten Morgen selbst zur Weide bringen. Er führte das Tier zu einer saftigen Wiese, wo all das wuchs, was Ziegen gerne fressen.

„Hier kannst du dir endlich einmal nach Herzenslust den Bauch vollschlagen“, sagte er zu der Ziege und ließ sie bis zum Abend fressen. Dann fragte er sie: „Na, Ziege, bist du satt?“ Und die Ziege antwortete: „Ich bin so satt, ich mag kein Blatt! Mäh, mäh!“

„Dann gehen wir nach Hause“, sagte der Schneider und führte die Ziege an ihren Platz im Stall.

Ehe er sie allein ließ, drehte er sich noch einmal um und sagte zufrieden: „Nun bist du endlich einmal satt.“ Aber was musste er da hören?! Die Ziege rief: „Wovon soll ich satt sein? Sprang nur über Stock und Stein, fand kein einzig Blättelein! Mäh, mäh!“

Da merkte der Schneider, dass er seine drei Söhne zu Unrecht fortgejagt hatte.

„Oh, du undankbares Tier!“, schrie er. Voller Wut holte er sein Rasiermesser, seifte der Ziege den Kopf ein und schor sie ganz glatt, sodass kein einziges Haar übrig blieb.

„So, du falsches Biest, nun kannst du dich unter ehrbaren Leuten nicht mehr sehen lassen“, brüllte er und griff nach seiner Peitsche. Das Tier, das jetzt eine Glatze hatte, sprang mit großen Sprüngen davon.

Als der Schneider nun so einsam war, wurde er sehr traurig. Er hätte seine Söhne gerne wiedergehabt, aber niemand wusste, wo sie hingegangen waren.

Der Älteste war Lehrling bei einem Schreiner geworden. Er war fleißig und geschickt, und als seine Lehrzeit um war, schenkte ihm der Schreiner als Lohn ein kleines Tischlein. Es war aus gewöhnlichem Holz und nicht schöner als andere, aber es hatte doch etwas Besonderes: Wenn man es hinstellte und die Worte „Tischlein, deck dich!“ sprach, dann erschienen wie aus dem Nichts ein sauberes Tischtuch, Teller, Besteck und vor allem Schüsseln mit den herrlichsten Gerichten, die man sich nur vorstellen konnte!

Der junge Schreiner war froh, denn so würde er sich bis an sein Lebensende nicht mehr um Essen sorgen müssen. Egal ob im Wald oder auf einer Wiese, überall konnte er sein Tischlein aufstellen und es versorgte ihn mit allen Speisen, die sein Herz begehrte.

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Frohen Mutes beschloss er, zu seinem Vater zurückzukehren, in der Hoffnung, dass der nicht mehr wütend auf ihn war und sich mit ihm an dem wundersamen Tischlein erfreuen würde.

Unterwegs kam er eines Abends an einem Wirtshaus vorbei. Es war voller Gäste, die fröhlich zusammen aßen. Sie luden ihn ein, sich zu ihnen zu setzen und sich an ihrem Essen zu bedienen, aber der junge Schreiner lehnte dankend ab. „Ich will euch nichts wegessen, lieber sollt ihr meine Gäste sein.“ Er stellte sein Tischlein auf, sprach „Tischlein, deck dich!“, und im Nu war das Tischlein voll mit leckeren Speisen, die der junge Schreiner großzügig an die anderen Gäste verteilte. Diese sahen verwundert zu, wie sich eine Schüssel wie durch Zauberhand wieder füllte, sobald sie leer geworden war.Auch der Wirt hatte das Spektakel mitbekommen, und dachte bei sich: ‚Nun, so ein Tischlein könnte ich auch gebrauchen, das ist ja besser als der tollste Koch!‘

Als sich alle satt gegessen hatten, legte sich der junge Schreiner schlafen. Der Wirt aber schlich in die Abstellkammer, wo er ein ganz ähnliches Tischlein aufbewahrte, und vertauschte es gegen das Wundertischlein. Am Morgen zahlte der Schreiner für seine Übernachtung, packte das Tischlein ein, ohne zu merken, dass es das falsche war, und zog vergnügt seines Weges.

Noch am selben Tag erreichte er das Haus seines Vaters, der überglücklich war, seinen ältesten Sohn wiederzusehen. „Mein Sohn, was hast du gelernt?“, fragte der Vater.

„Ich bin ein Schreiner geworden“, antwortete der Sohn.

„Das ist ein guter Beruf, aber das Tischlein dort ist nicht gerade ein Meisterstück“, lächelte der Vater.

„Es ist etwas viel Besseres“, erklärte der junge Schreiner. „Dieses Tischlein kann zaubern! Ich zeige es dir.“ Er stellte das Tischlein ab und sprach: „Tischlein, deck dich!“

Aber das Tischlein regte sich nicht und blieb so leer, wie ein ganz gewöhnliches Tischlein. Da merkte der junge Schreiner, dass das Tischlein vertauscht worden war. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Essen wieder mühsam zu verdienen, und er nahm eine Stelle als Schreiner an.

Der zweite Sohn war unterdessen zu einem Müller gekommen und dort ausgebildet worden. Als seine Lehrzeit vorbei war, sagte sein Meister: „Du hast mir gute Arbeit geleistet, daher will ich dich mit etwas ganz Besonderem belohnen. Du sollst diesen Esel haben. Es ist kein gewöhnliches Tier, denn er wird dir keine Säcke tragen und lässt sich auch nicht vor einen Wagen spannen. Aber wenn du ihn auf ein Tuch stellst und das Wort ‚Bricklebrit‘ sprichst, so spuckt er Goldstücke aus seinem Maul.“

Solch einen Esel nahm der Müllerlehrling natürlich nur zu gerne, und so zog er mit ihm in die Welt hinaus. Wenn er Gold brauchte, sagte er zu ihm „Bricklebrit“, schon regnete es Goldstücke, und der junge Müller musste nichts weiter tun, als sie aufzusammeln.

Als er eine Weile durch die Welt gereist war, beschloss er, zu seinem Vater zurückzukehren. ‚Wenn er den Goldesel sieht, wird er mich sicher wieder aufnehmen‘, dachte er.

Nun kehrte er auf dem Heimweg aber zufällig in dem gleichen Wirtshaus ein, in dem seinem älteren Bruder das Tischlein vertauscht worden war. Er ließ sich das beste Essen bringen und trank den teuersten Wein. Als es ans Bezahlen ging, merkte er, dass seine Goldstücke aufgebraucht waren.

„Einen Moment“, sprach er daher zum Wirt, „ich gehe kurz Gold holen.“ Er stand auf, nahm das Tischtuch vom Tisch und ging zu seinem Esel in den Stall.

Der Wirt wunderte sich sehr darüber, und neugierig wie er war, schlich er ihm hinterher. Durch ein Loch in der Stalltür konnte er zusehen, wie der junge Geselle das Tischtuch unter seinem Esel ausbreitete, „Bricklebrit“ sprach und die vielen Goldstücke, die der Esel spuckte, aufsammelte.

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‚Ei der Daus!‘, dachte der Wirt. ‚So einen Esel könnte ich auch gut gebrauchen.‘

In der Nacht schlich der Wirt in den Stall und tauschte den Goldesel gegen seinen ganz gewöhnlichen Esel aus. Als der junge Müller am nächsten Morgen aufbrach, nahm er den gewöhnlichen Esel mit, in der Annahme, es sei sein Goldesel.

Der Vater freute sich, nun auch seinen zweiten Sohn wiederzuhaben. „Was ist aus dir geworden, mein Sohn?“, fragte er.

„Ich bin ein Müller geworden und habe diesen Esel mitgebracht“, antwortete der Sohn.

„Esel gibt’s hier genug, da wäre uns eine gute Ziege mehr Wert“, meinte der Vater, doch der Sohn erwiderte: „Aber dies ist kein gewöhnlicher Esel, sondern ein Goldesel. Wenn ich es ihm befehle, so spuckt das Tier echte Goldstücke. Schau nur zu.“ Schnell breitete der junge Müller ein Tuch auf dem Boden aus, führte den Esel darauf und rief: „Bricklebrit!“

Doch nichts geschah! Da merkte er, dass der Wirt ihn betrogen haben musste, und er schämte sich, vor seinem Vater als Lügner dazustehen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Geld bei einem Müller zu verdienen.

Der jüngste Bruder war bei einem Drechsler in die Lehre gegangen. Es ist kein leichtes Handwerk, aber der Junge war geschickt und fleißig, sodass sein Meister sehr zufrieden mit ihm war. Als er seine Lehrzeit beendet hatte, schenkte ihm der Meister einen Sack mit einem Knüppel darin.

„Ein Knüppel? Den brauche ich nicht, er macht den Sack nur schwer“, antwortete der Junge. Aber der Meister erklärte ihm: „Nein, nein, es ist kein gewöhnlicher Knüppel. Wenn dir jemand etwas getan hat, so sprich nur die Worte ‚Knüppel aus dem Sack‘, und schon springt der Knüppel heraus und verprügelt den Bösewicht. Er hört nicht eher auf bis du sagst ‚Knüppel in den Sack.‘ “ Der Junge dankte ihm, hing sich den Sack mit dem Knüppel über die Schulter und machte sich auf den Weg.

Wie zuvor seine beiden älteren Brüder kam auch er bei dem Gasthaus vorbei, in dem seine Brüder betrogen worden waren. Sie hatten ihren jüngeren Bruder in Briefen vor dem Wirt gewarnt, aber der Junge machte sich keine Sorgen, dass der Wirt auch ihn betrügen würde.

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Als er in dem Gasthaus zu Abend aß, erzählte er: „Es gibt schon wunderliche Dinge in der Welt! Hier ein Tischlein-deck-dich, dort einen Goldesel, aber das ist alles nichts gegen den Schatz, den ich bekommen habe, und den ich in diesem Sack herumtrage.“

Natürlich war der Wirt fürchterlich neugierig, und als der junge Drechsler sich schlafen gelegt hatte, schlich er herbei und wollte den Sack stehlen. Darauf hatte der Junge nur gewartet! Er sprang auf und rief: „Knüppel aus dem Sack!“ Schon fuhr der Knüppel aus dem Sack und schlug den Wirt grün und blau. Der Wirt schrie und flehte um Gnade. Da sprach der Junge: „Du hast meinen Brüdern ihr Tischlein-deck-dich und ihren Goldesel gestohlen. Rück sie wieder heraus, oder der Knüppel prügelt dich windelweich.“

„Nein, nein“, jammerte der Wirt, „du sollst alles kriegen, wenn nur dieser Kobold mit seinen Schlägen aufhört.“ Da schickte der Junge den Knüppel wieder in den Sack.

Am nächsten Morgen zog er mit dem Tischlein-deck-dich, dem Goldesel und seinem Sack weiter zum Haus seines Vaters. Der strahlte über das ganze Gesicht, als er seinen jüngsten Sohn sah, und fragte ihn, was er in den letzten Jahren so getrieben habe.

„Ich bin ein Drechsler geworden“, antwortete der Jüngste, „und habe einen Knüppel mitgebracht.“

„Einen Knüppel?“, wunderte sich der Vater. „Aber den kannst du doch von jedem Baum brechen.“

„Nicht so einen!“, erwiderte der Sohn. „Es ist ein Knüppel-aus-dem-Sack. Wenn ich es ihm befehle, so verprügelt er alle, die mir etwas Böses tun wollen. Mit ihm habe ich auch das Tischlein-deck-dich und den Goldesel meiner Brüder von dem hinterhältigen Wirt zurückbekommen.“

Er holte seine beiden Brüder herbei und reichte dem Ältesten das Tischlein. Dieser stellte es hin, sprach „Tischlein, deck dich“, und im Nu war es mit den schönsten Speisen gedeckt.

Seinem anderen Bruder gab der junge Drechsler den Esel. Der führte ihn auf ein Tuch, sprach „Bricklebrit“, und schon spuckte der Esel Goldstücke.

Was war das für ein Fest! Fröhlich feierten die Brüder mit ihrem Vater, der ab nun Nadel und Faden weglegen und ein gutes Leben führen konnte.

Aber was ist mit der bösen Ziege passiert? Nun, die schämte sich so für ihren kahlen Kopf, dass sie sich in einem Fuchsbau verkroch. Als der Fuchs zurückkam und in seinen Bau wollte, funkelten ihm ein Paar böse Augen aus der Dunkelheit entgegen, sodass er sich nicht hinein traute.

Er lief zum Bären und klagte ihm sein Leid. „Bär, du bist doch stark, kannst du mir helfen? In meiner Höhle sitzt ein grimmiges Tier mit feurigen Augen.“

„Das will ich mir mal ansehen“, meinte der Bär und trottete zum Fuchsbau. Aber als er hineinschaute, bekam auch er es mit der Angst zu tun und flüchtete.

Das hatte eine Biene beobachtet, die nun zum Bären flog und fragte: „Bär, was ist dir denn passiert, du siehst ja aus, als hättest du ein Gespenst gesehen!“

„Ach“, antwortete der Bär, „in der Höhle vom Fuchs sitzt ein grimmiges Tier mit Glotzaugen und wir können es nicht verjagen.“ Die Biene lachte. „Aber Bär, du bist doch groß und stark! Na, da wollen wir doch mal sehen, ob nicht so ein kleines Tier wie ich helfen kann.“ Sie flog in die Höhle, setzte sich auf die Ziege und stach sie mitten auf den kahl rasierten Kopf. Die Ziege sprang auf, schrie „Mäh, mäh!“ und rannte voller Panik in die Welt hinaus. Seitdem hat sie niemand mehr gesehen.

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Die Prinzessin auf der Erbse

15769.jpg s war einmal ein Prinz, der wollte gerne heiraten, aber nur eine richtige Prinzessin. So reiste er in der ganzen Welt herum, um eine passende Braut zu finden, aber jedes Mal störte ihn etwas. Oft war er nicht ganz sicher, ob es wirklich richtige Prinzessinnen waren, und so kam er nach einiger Zeit unverrichteter Dinge wieder in sein Schloss zurück.

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Eines Abends, als draußen gerade ein furchtbarer Sturm tobte und es wie aus Kübeln vom Himmel goss, klopfte es an das Schlosstor.

Der alte König ging, um aufzumachen, und als sich das Tor öffnete, stand da eine Prinzessin.

Aber wie sah sie nur aus: klatschnass von Kopf bis Fuß, das Haar zerzaust, die Kleider klebten am Körper, und das Wasser lief in die Schuhspitzen hinein und an den Hacken heraus. Und das sollte eine richtige Prinzessin sein?

‚Das werden wir noch sehen!‘, dachte die Königin, die sehr klug war.

Als sie das Bett für die Prinzessin richtete, legte sie ganz zuunterst eine kleine Erbse und obendrauf zwanzig Matratzen und dann noch zwanzig Federbetten.

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Als die Prinzessin am nächsten Morgen in den Speisesaal zum Frühstück kam, fragte die Königin freundlich, wie sie denn geschlafen habe.

„Oh, ganz schlecht, ganz entsetzlich schlecht“, jammerte die Prinzessin, „die ganze Nacht konnte ich kein Auge zutun! Ich habe auf etwas schrecklich Hartem gelegen und bin ganz grün und blau am Rücken.“

Da sagte die Königin zum Prinzen: „So empfindlich ist nur eine richtige Prinzessin. Sie hat durch zwanzig Matratzen und zwanzig Federbetten eine einzige kleine Erbse gespürt!“

Der Prinz nahm das Mädchen zur Frau, denn nun konnte er sicher sein, eine richtige Prinzessin gefunden zu haben, und die beiden wurden sehr glücklich miteinander.

Die Erbse aber bekam einen Ehrenplatz in einer Kristallschale, und wenn sie keiner weggenommen hat, liegt sie dort immer noch.

Rumpelstilzchen

15765.jpg s war einmal ein armer Müller, der hatte eine schöne Tochter. Als er eines Tages den König traf, wollte er prahlen und behauptete, dass seine Tochter Stroh zu Gold spinnen könne. Daraufhin sagte der König: „Das ist eine Kunst, die mir gefällt! Bring deine Tochter morgen auf mein Schloss, ich will sie auf die Probe stellen!“

Als das Mädchen am nächsten Tag in das Schloss kam, wurde sie in eine Kammer geführt, die ganz voll mit Stroh war. Der König gab ihr ein Spinnrad und befahl ihr: „Dieses Stroh sollst du bis morgen früh zu Gold spinnen. Schaffst du es nicht, so musst du sterben!“ Dann verschloss er die Tür und ließ das Mädchen allein.

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Als der König gegangen war, fing die Müllerstochter bitterlich an zu weinen, denn sie verstand gar nichts davon, wie man Stroh zu Gold sponn.

Da trat auf einmal ein kleines, buckeliges Männlein in die Kammer und fragte: „Warum weinst du denn so sehr?“

„Ich soll Stroh zu Gold spinnen und kann es nicht!“, schluchzte das Mädchen.

„Was gibst du mir, wenn ich es für dich tue?“, fragte das Männlein.

„Mein goldenes Halsband“, antwortete die Müllerstochter.

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Da setzte das Männlein sich an das Spinnrad, und schnurr, schnurr, schnurr, surrte das Rädchen, und am anderen Morgen war alles Stroh zu Gold gesponnen.

Dem König lachte das Herz beim Anblick der Goldkammer. Da er aber sehr habgierig war, führte er das Mädchen in eine noch größere Kammer voller Stroh und befahl ihr, auch dieses Stroh über Nacht zu Gold zu spinnen, sonst müsse sie sterben.

Wieder weinte das Mädchen. Da ging erneut die Tür auf, und das Männchen trat herein. „Was gibst du mir, wenn ich auch dieses Stroh für dich zu Gold spinne?“, wollte es wissen.

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„Meinen goldenen Fingerring“, antwortete die arme Müllerstochter.

Schnurr, schnurr, schnurr, surrte das Rädchen, und am nächsten Morgen war die Kammer voller Gold.

Doch der König hatte immer noch nicht genug. „Hier ist noch mehr Stroh“, sprach er zu dem Mädchen und führte es in eine noch größere Kammer. „Gelingt es dir abermals, dies alles in einer Nacht zu Gold zu spinnen, sollst du meine Gemahlin werden.“

Als das Mädchen allein war, trat wieder das Männlein in die Kammer, aber diesmal hatte das arme Mädchen nichts mehr, was es ihm geben könnte.