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Annett M. Wien

Demenz

Kinder haften für ihre Eltern


Für Kurt, Mechthildis und Paula


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Hinweis

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alle mitwirkenden Personen stammen von Genesis, der Mutter all meiner Gedanken! Die Handlung des Buches entstand nach einer Laune gepaart mit Selbsterkenntnissen und Bekenntnissen anderer sowie Lebenserfahrungen. Sollte sich dennoch ein Mensch darin wiedererkennen, darf er das ruhig tun und daran wachsen. Nach dem Motto: Selbstkenntnis ist der beste Weg zur Besserung, wünsche ich demjenigen „Gute Besserung!“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2013, Neuauflage 2018 Annett M. Wien

Alle Rechte vorbehalten.

Layout und Satz: Janet Nanina Wien

 

Vorwort

 

 

 

Vorwort

 

Eigentlich sagt man ja am Ende eines Buches danken! Ich möchte das aber als Erstes loswerden und Ihnen, dem Leser zuerst meinen Dank aussprechen, - danke dass Sie dieses Buch lesen wollen! Ich werde Sie nicht enttäuschen, auf Sie wartet eine spannende Geschichte mit zeitweise recht lustigen Eingebungen!

 

Mein weiterer Dank geht an meine Tochter Janet, die sich mit dem Cover so viel Mühe gemacht hat. Beim nächsten Mal – ich verspreche es, darfst Du ein Foto-Cover erstellen! Janet Photography

 

Da es recht schwierig ist, gerade als noch unbekannter Autor ein günstiges Lektorat zu bekommen, bin ich einer Person ganz besonders dankbar. Als Autor übersieht man nicht selten seine Fehler. Das ist normal! Denn der Autor liest, was da stehen müsste, nicht was da wirklich steht - deshalb! Einige Dialoge sind im Übrigen im Mainzer Dialekt verfasst, deshalb sehen die so fehlerhaft aus, das ist beabsichtigt.

Danke für Dein Lektorat Heidi Dahlsen!

http://autorin-heidi-dahlsen.jimdo.com/

Danke auch Britta Wisniewski vom:

http://www.traumstunden-verlag.de/

 

*

 

Wie geht man mit einem Demenzerkrankten um, ohne selbst dabei den Verstand zu verlieren!

 

 

Für Kurt, Mechthildis und Paula

 

 

So, genug geschwafelt, jetzt geht´s los!

 

 

Aus der Not heraus geboren

 

Wenn die Arbeitslosigkeit droht, wird so manch einer erfinderisch, sucht nach einem Strohhalm, der ihn rettet, oder übernimmt einfach einen Teil der Firma, in der er bislang gearbeitet hat und macht sich selbstständig. So war es zumindest bei meinem Mann. Aus dem Konkurs seiner ehemaligen Elektronikfirma heraus eröffnete er sein eigenes Unternehmen, kaufte auf, was er brauchte, um zu bestehen und suchte jetzt nur noch einen Ort, an dem er sein Gewerbe ausführen konnte. Allem Unkenrufen zum Trotz und entgegen aller Häme seiner Arbeitskollegen, die wir einheimsten,

   „Wer braucht schon Elektroniker?“ Die gibt es doch wie Sand am Meer! So was rentiert sich doch nur als großes Unternehmen, mit Großaufträgen und siehste ja, die jetzige Firma ist dennoch pleite gegangen“,

   „Verbrenn dir nicht die Finger“

   „Das geht eh schief ...“, sprangen wir tollkühn ins kalte Wasser. Unsere gemeinsame Tochter Jana war gerade sieben Monate alt, als mein Mann mich mit dieser Idee konfrontierte und animierte.

   „Schatz, bevor ich mich arbeitslos melde, zieh ich das durch.“ Der Gedanke, dass diese Not einmal eintreten würde, schwebte schon längere Zeit wie ein Damoklesschwert über uns und beflügelte dennoch unsere Gedanken, die zwar noch nicht so recht ausgereift waren, trotzdem ein solides Grundgerüst vorweisen konnten.

   „Klar Liebster, ich kümmre mich um den Rest.“

Als Hausfrau und Mutter habe ich ja Zeit, mich um den „Rest“ zu kümmern.

Nach meiner Ausbildung zur Friseuse erlernte ich schon vor 1994 das Bilanzieren der Buchhaltung und machte 1995 den Abschluss zur Bürokauffrau mit dem Schwerpunkt Steuerfach. („Jetzt kann ich Bilanzen frisieren“ – kleiner Scherz am Rande.) Mein Talent liegt desweiteren auch im Organisieren und Managen unseres kleinen Familienunternehmens, das es galt, zum Erfolg zu führen. Allerdings fehlte hierzu, wie schon gesagt, der Standort unserer Unternehmung.

Hier kamen dann Michas Eltern, meine Schwiegereltern, ins Spiel. Der Anbau des schnuckeligen, dreihundert Jahre alten Elternhauses in Mainz war das Objekt unserer Begierde. Das heruntergekommene Anwesen bedurfte zwar einer größeren Investition, um es als repräsentativ zu bezeichnen, aber dieser Aufgabe wollten wir uns stellen. Der Vater Karl willigte sofort ein, auch wenn er sich von der einen oder anderen Antiquität trennen musste, die er über 50 Jahre in den mageren 30 Quadratmetern gesammelt und gestapelt hatte. Nach etlichen Stunden und Tagen, renovieren in Form von Zerstören, Staub schlucken, wieder aufbauen und ebbe im Portemonnaie, bezog die Firma Elektro Krummel Mess- und Regeltechnik ihren Sitz in Mainz. Mein Mann war mächtig stolz. Seine eigene Firma auf 30 Quadratmetern. Die Eltern als kleine Hilfe im Hintergrund, die Ehefrau als große Hilfe im anderen Hintergrund. So muss man es sich vorstellen. Die Eltern waren ab diesem Moment gegenwärtiger als ich. Die Mutter Merta freute sich, ihren Sohn wieder bei sich zu haben. Der Vater freute sich auf eine neue Einnahmequelle, die mit 500 DM im Monat steuerfrei honoriert wurde, nebst der Tatsache, dass er in einem über 60.000 DM von seinem Sohn bezahlten und renovierten Anbau mithelfen durfte. Meine Arbeit hingegen erledigte ich von Zuhause aus, neben der Erziehung von Tochter Jana, später Sohn Chris und dem Haushalt. Die Eltern waren greifbarer als ich. Mama Merta umsorgte den Sohn mit Leckerli und Papa Karl betrachtete sich als Seniorchef, der nach dem Rechten schaute.

Wir hatten uns zwischenzeitlich ein Eigenheim auf dem nahen Lande geschaffen, das auch seinen Tribut zollte, organisiert und erbaut werden musste. Wir formten ungewollt zwei Baustellen, nicht nur materiell, sondern auch emotional. Die der Eltern - somit ein Teil Vergangenheit, altern, nahendes Ende und die der Kinder – somit die Zukunft, erwachsen werden, aufbauen. Wir, mein Mann und ich, standen genau dazwischen. Auf der einen Seite das Alter und die Gebrechlichkeit, auf der anderen Seite die Jugend und der Fortschritt.

 

Der Umbau

 

Zu diesem Thema muss ich noch einige Worte loswerden, damit man sich ein Bild machen kann, von dem, was wir – mein Mann und ich nebst diversen Helfern, geleistet haben, um den Anbau bezugsfertig zu machen. Ein 85-Minuten-Film dokumentiert zudem, was wir alles schlucken mussten.

Wir bestellten einen Vier-Tonnen-Müllcontainer und stellten nach einem Tag Ausräumarbeiten fest, dass nur ein Drittel von dem, was zu entsorgen war, den Container bereits überfüllt hatte. Also orderte ich gleich zwei weitere. Es war unglaublich, was mein Schwiegervater im Laufe seines ganzen Lebens gesammelt und angehäuft hatte. Wir arbeiteten uns langsam durch den ersten Raum durch, in dem mittig ein Tisch stand, vollgestellt mit Gläsern, die wiederum mit rostigen, krummen Nägeln bestückt waren.

   „Sag mal Vadder, was machst Du denn damit?“, fragte ich ihn.

   „Ei, die wollt isch mal grade biege, die kann man noch gebrauchen“, war seine Antwort und das nicht zum letzten Mal. Im Grunde konnte er alles gebrauchen, was nicht mehr zu verwenden war. Zwischendurch erwischte mein Mann ihn hin und wieder dabei, wie er im Container stand und nach scheinbar brauchbaren Sachen suchte.

   „Sag mal, bist du irre?“, fuhr er ihn an.

   „Wir schmeißen den Kram weg und du holst alles wieder raus!“

   „Ei, des kann mer doch noch gebrauchen!“ Ob es ein alter verrotteter Tisch war, Gummireifen von seinem allerersten Kugelporsche mit Brezelfenster, Zeitschriften aus 1950 bis 1980, Putztücher in rauen Mengen aus zerrissenen, alten Vorhängen. Ja selbst, als wir die alten vergammelten Fenster abrissen, um neue moderne, isolierte einzubauen, wollte er die alten behalten, denn „man kann das ja noch mal gebrauchen“. Ein typisches Kriegs- und Notstandsdenken, das aus ihm nicht raus zu bekommen war.

   „Vadder, der Krieg ist vorbei“, ermahnte ihn sein Sohn.

   „Das, was wir hier wegwerfen, hast du in der Zwischenzeit schon wieder neu gekauft, weil du das Alte gar nicht mehr gefunden hast in deinem tonnenschweren Sammelsurium.“ Die Mutter erzählte uns ab und an, dass er spät abends, wenn wir den Hof verlassen hatten, wieder in die Container stieg, um heimlich ein paar Gegenstände in Sicherheit zu bringen. Dummerweise stellte er sie in die zweite Garage. Zu deren Entrümpelung kamen wir erst einige Tage später und entsorgten bereits Entsorgtes zum zweiten Mal. Ich dachte zu Anfang, der Vater hätte alles doppelt, bis mich mein Mann über die heimlichen Hamsterattacken des leidenschaftlichen Sammlers aufklärte. Ein Trödelhändler hätte hier seine Goldgrube gefunden. Er besaß sogar noch seinen alten Wehrmachtshelm, seine Funkstation und daneben eine fast komplette Ausrüstung der Uniform.

   „Sag mal, Du willst doch nicht etwa wieder in die Armee eintreten?“, fragte ich ihn amüsiert und holte die Teile aus einer alten Ebenholztruhe hervor.

   „Des wirst Du nitt wegwerfe“, maulte er bestimmend.

   „Nein Vadder, nicht wegwerfen, sondern verkaufen. Mit dem Geld kannste Dir dann neue Bundeswehrklamotten kaufen.“ Natürlich war das ironisch gemeint, aber dem Vater war es ernst. Er riss mir hastig die Sachen aus der Hand und verschwand damit im Haus. Na ja, dort werde ich die Dinge wohl in ein paar Jahre wieder finden, wenn mal dort geräumt werden muss. Das Haus nebst seinen beiden Kellern und doppelten Speichern, sowie die Garage, sind ideale Plätze zum horten.

Einmal kam die Mutter zu mir, sie war wohl auch am Räumen und legte mir alte Bravos aus den Jahren 1966 bis 1975 vor die Nase.

   „Da, des hab isch gefunne, vielleischt kannste des noch gebrauchen.“ Ich staunte nicht schlecht. An diesem Tag war an arbeiten nicht mehr zu denken, ich setzte mich mitten in den Müllberg und blätterte in meiner Kindheit.

   „Wow, David Cassidy, die Bay City Rollers, die Teens, Doktor Sommer“, ich kam aus dem Staunen und Betrachten nicht mehr heraus. Wenn ich die Bravo von heute sehe, müssten die sich schämen, nur noch Kommerz, Werbung und Abzocke von Jugendlichen – ach, was war das damals für eine schöne Zeit.

Natürlich verstand ich die Anhänglichkeit meines Schwiegervaters. All sein Besitz gehört zu seinen Erinnerungen. Aber mussten es denn alte, verrostete Farbkanister sein, die schon am Auslaufen waren? Musste auch verrottetes Werkzeug aufgehoben werden? Stühle ohne Sitzpolster, verfaulte Möbelstücke, Fensterrahmen mit zersplitterten Scheiben, defekte Lampen mit zerrissenem Stoff und unbrauchbare Elektrogeräte. Selbst von der alten Waschmaschine aus 1959 konnte er sich kaum trennen, denn die wäre ja noch als eine Art Truhe zu gebrauchen gewesen. Nach langer Diskussion einigten wir uns dann, dass wir den wahren Müll entsorgten und das scheinbar Brauchbare und Kostbare zur Betrachtung vorlegten, um dann zu entscheiden, ob es Müll war oder noch verwertbar. Wir waren sage und schreibe ganze fünfzehn volle Tage damit beschäftigt, zu sortieren, begutachten, entfernen und noch mal entfernen, weil sich der Vater nicht an die Abmachung hielt. Schlussendlich verlagerte sich vieles, nicht nur das Kostbare, das ich dem alten Mann sehr gerne gegönnt habe, denn jeder braucht seine Erinnerungen, sondern auch viel Ramsch, der dann in der zweiten Garage neben seinem Auto landete. Heute kann man diese Garage nicht mehr betreten, weil sie so zugestellt ist, dass es kein Durchkommen gibt. In die Autogarage passt in der Tat nur noch das Auto nebst einem schmalen Durchgang, damit er ein- und aussteigen kann. Ein Mensch mit mehr als 50 Kilo Gewicht und größer als 1,68 Metern hätte da seine Probleme.

 

Wir schafften es in drei Monaten, dreißig Quadratmeter bezugsfertig zu machen. Lächerlich, denkt nun so manch einer – 30 Quadratmeter – was ist das schon?! Aber Sie haben die Vermüllung nicht gesehen, die wir entfernen und durchschreiten mussten.

Ein heller Wahnsinn, denn die Aufträge standen bereits vor der Tür und wollten erledigt werden. Ich meine damit, dass die Kunden schon vor der Tür standen, auch wenn es Pakete waren, deren Inhalt repariert werden musste. Wir standen unter mächtigem Zeitdruck. Die Eskapaden des Vaters kosteten uns Zeit und das Gemäuer hatte auch ständig neue Überraschungen auf Lager. So mussten wir den Keller mit Eisenstangen abstützen, weil Einsturzgefahr drohte. Es musste ein Teil des Bodens neu betoniert werden, um den 500 Kilo Schaltschrank einsturzsicher platzieren zu können. Die Wände wollten wir eigentlich nur ausbessern, aber nach dem ersten Hammerschlag brach das ganze Gemäuer ein und das alte Fachwerk kam zum Vorschein. Eine neue Heizung musste installiert werden, eine Wand ganz neu gemauert, neue Türen und Zargen eingesetzt werden. Es wurde gezimmert, geklebt, ausgebessert, eingerissen, aufgebaut und hingeschmissen. Kurz und gut, wir kamen vom Hundertsten ins Tausendste.

Mitte Februar konnten wir dann endlich unserer neuen Aufgabe nachgehen. Die Eltern waren letztendlich mächtig stolz auf diesen Wandel, stolz auf ihren Sohn und stolz auf das prächtige Firmenschild „Krummel Mess- und Regeltechnik“ am Tor. Für alle begann eine neue Herausforderung.

 

Wo ist das Wir-Gefühl?

 

Die Zeit verging, jeder hatte seine Aufgabe. Micha verdiente das Geld, die Mutter versorgte den Sohn mit Nahrung und wusch hin und wieder mal die Vorhänge in der Firma. Der Vater nahm die Pakete entgegen und streifte allabendlich durch die Firma und kontrollierte, dass auch alle Lichter aus waren. Den Kopierer machte er sich zu Eigen, um seinem Hobby, Zeitungsausschnitte zu vervielfältigen, nachzugehen. Wer weiß, ob das Interessante nicht irgendwann mal zu gebrauchen war.

Das Miteinander meiner Familie beschränkte sich zusehend auf geistreiche Diskussionen über „der Eltern Taten“ und insbesondere deren Krankheiten, was deren Nachbar machte, wessen Todesanzeige in der Zeitung stand und was die Mutter zu Mittag kochte.

Tagsüber hing ich am Telefon und kommunizierte mit meinem Mann, wenn es um die Firma ging.

  „Schatz, ich fax Dir mal was durch. Kannst Du Dich darum kümmern?“ Zu diesem Zeitpunkt war ich selbst als Buchführungshelferin selbstständig und arbeitete als Steuergehilfin für einen Steuerfachverein und diverse Steuerberater. Das gab ich allerdings auf, als mein Sohn geboren wurde. Zwei Kinder, die Schwiegereltern, 250 Quadratmeter Haushalt, mein Mann samt Firma und mein eigenes Unternehmen, da bleibt unweigerlich etwas auf der Strecke. So verzichtete ich auf meine berufliche Karriere und entschied ich mich für die Familie. Es fiel mir nicht einmal schwer.

Es kamen zusehends mehr Probleme auf uns zu, nicht nur die Firma, die bekümmert und aufrechterhalten bleiben musste, auch die Eltern kosteten Tribut. Es flatterten zunehmend Vollmachten der Eltern auf meinen Schreibtisch:

   „Kannste mal – Du kennst Dich doch damit aus!“ Alle gerichtlichen und amtlichen Angelegenheiten wurden mir übertragen. Ich mache das gerne, stimmt, ja, ich kenn mich aus. Hatte meinen Liebling Schönfelder vor mir stehen, nebst diverser anderer brauchbarer Literatur, die mich auf dem Weg begleitete. Aber es hakte. Es lag an der Kommunikation zwischen den Eltern, ich meine zwischen Karl und Merta. Sie sprachen nie miteinander über die wirklichen Probleme – sie trugen es im Wechsel dem Sohn zu, der wiederum versuchte, sich um die Belange der Eltern zu kümmern. Das kann man ja mal eine Zeit lang machen, aber wenn das immer schlimmer wird und die eigene Familie darunter leidet, müssen andere Prioritäten gesetzt werden.

Tagtäglich schlich einer der beiden vom Wohnhaus über den Hof zur Firma, um meinem Gatten sein Leid zu klagen. Immer mit der Auflage:

   „De Vadder/die Mudder därfe nix devon wisse.“ Mein Gatte fing an, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen und sich dagegen zu wehren. Die Mittagspause, in der er immer von seiner Mama bekocht wurde, war stets die Gelegenheit, einmal deutlicher zu werden und den Eltern klar zu machen, dass sie mit ihren Problemen alleine fertig werden müssen, er habe schließlich auch eine Familie. Nicht zuletzt entstand dieser Druck gegen die Eltern von mir, weil ich es nicht mehr aushielt, immer nur: die Eltern haben ..., die Eltern wollen ..., die Eltern können ... u.s.w. zu hören. Mein Mann war entnervt. Wenn er früher das ein oder andere lustig fand, was den Eltern widerfahren war, so konnte er mittlerweile nicht mehr im ruhigen Ton von ihnen erzählen, war gleich auf hundertachtzig und absolut verbittert. Unsere wirtschaftliche Lage zwang uns elf Jahre nach dem Einzug zu einem weiteren großen Schritt. Wir mussten und wollten aus dem Elternhaus raus. Mein Mann bekam das unwiderstehliche Angebot, (in seinem hohen Alter von 47 Jahren), wieder fest angestellt in einer großen Firma als Techniker  arbeiten zu können. Das gab der Familie mehr Sicherheit, besonders in der jetzigen Finanzkrise, da es ohnehin so viele Arbeitslose gab. Mein Tagesablauf würde sich in der Form verändern, dass ich mehr für seine Firma tätig sein würde als bisher. Zum Glück ist unser Haus entsprechend groß gebaut, dass wir zwei Räume so umgestalten konnten, dass alle benötigten Prüfanlagen hineinpassten.

Ich freute mich riesig auf die neue Aufgabe und dass mein Mann endlich mal wieder unter seinesgleichen kam und nicht mit seinen Eltern alterte.

Das war nämlich auch so ein Punkt. Die ganzen Sorgen der Eltern lasteten so sehr auf seinen Schultern, dass er sich immer mehr in sich zurückzog. Gut, er war noch nie extrovertiert oder gar Partymensch und Halligallityp. Aber er ging ja gar nicht mehr aus dem Haus, um wenigstens etwas Vergnügen zu haben. Er wehrte sich gegen jede Geburtstagsparty. Besucher durften gerne schneller gehen, als sie gekommen waren, Spontanität war gänzlich unmöglich. Er bekam immer mehr Sorgenfalten auf der Stirn und ich hatte das Gefühl, dass er langsam mit seinen Eltern verkümmerte. Als Argument für seinen Rückzug aus dem aktiven Leben gab er immer vor, seine Ruhe haben zu wollen, jeder Augenblick nur mit mir, seinen Kindern und mit sich selbst seien zu kostbar, als sie mit anderen, ihm unwichtigen Dingen zu verkürzen.

Mir hingegen fehlte der Kontakt zur Außenwelt, so ging ich hin und wieder alleine aus. Mit der Zeit schaffte ich mir gegen das Alleinsein zwei Hunde an. Die Fische im Aquarium folgten zwar meinem Finger an der Glasscheibe, allerdings doch mehr auf Futter hoffend, als meinem Wehklagen zuzuhören. Das Saugen der niedlichen Schnuten an meinem Finger befriedigte mich ebensowenig. Bei meinen Hunden habe ich wenigsten ein bisschen das Gefühl, dass sie zuhören. Ich bilde es mir zumindest ein, wenn sie die Ohren auf Habacht stellen, mit der Rute wedeln, sich auf meinem Schoß einkuscheln oder an mir hochspringen und sich freuen, wenn ich nach dem Einkauf wieder zu Hause bin. Der Leser hat nun bestimmt gemerkt, dass es keine sehr großen Hunde sind.

Ich wehre mich allerdings vehement dagegen, wenn jemand die freche Behauptung aufstellt, Chihuahuas seien zu klein gewordene Katzen oder zu groß gewordene Ratten – aber doch keine Hunde. Das ist nur typisch für Menschen, die keine Ahnung haben.

 


 


 

Mitten im Leben und nicht dabei!

 

Genau so will ich die Situation von uns, meinem Mann und mir, bezeichnen. Der Spagat besteht darin, auf zwei absolut verschiedenen Ebenen die Balance zu halten. Die eigene Familie darf nicht verkümmern und der andere Teil will erhalten bleiben. Die Rede hier ist vom Tun und Nichttun, Helfen und Hilfe annehmen, Akzeptanz, Toleranz, Miteinander, Füreinander. Das ging auch eine Zeit lang gut, bis ich merkte, dass mein Gatte zusehends schlechtgelaunt nach Hause kam. Ich reagierte natürlich entsprechend auf seine Laune, verstand es nicht, hatte sogar zeitweise Angst, wenn er unser Haus betrat und war kurz davor ihn zu verlassen. Am Ende aller Überlegungen und Diskussionen stellte ich jedoch fest, dass er eine Art Doppelleben führte, nämlich das zwischen dem, was er gerne praktizieren würde und dem, was er zu bewältigen hatte. Der Weg aus diesem Dilemma heraus hieß miteinander reden, reden, reden. Das taten wir auch, wir redeten, schimpften, diskutierten, überlegten. Die Konsequenz daraus war der bereits erwähnte Auszug mit der Firma – somit auch des geliebten Sohnes, aus dem Elternhaus.

Nach fast elf Jahren Miteinander, Fürsorge, Umsorge, mischten wir die Karten und verteilten die Rollen neu. Dies bedeutete für meinen Mann auch das Verlassen der Mutter und des Vaters zum zweiten Mal, aber auch der Weg zurück in die eigene Eigenständigkeit und dem Loslassen von Pflichten, die er nicht allein zu erbringen hatte. Mein Mann konzentrierte sich von nun an auf seine Kinder, seine Frau und die Arbeit und ich balancierte zwischen den mittlerweile vergreisten Schwiegereltern, den Kindern, dem Mann, dem Haushalt und der Firma. Wie sich später herausstellte, eine sehr undankbare Aufgabe, die mich allerdings zu einer für mich weisen Erkenntnis gebracht hat.

 

So nehme der Leser einfach nur Teil daran, was jeden Tag, jede Stunde und jede Sekunde irgendwo auf dieser Welt passiert.

Das Drama von Liebe, Fürsorge, Ablehnung, Unverständnis, Verständnis, Willen, Kraft, Mutlosigkeit, Opfer, Aufopferung, Mut, Unmut, Angst, Depression, Glück, Verzicht, Zuversicht, Loslassen, Um- und Miteinander, Gegeneinander, Vergänglichkeit, Unvergänglichkeit, Verlust. Eine Flut von Gefühlen, die mich in den letzten Monaten begleitet und mein Leben gnadenlos bereichert haben. 

Die Schwiegermutter

 

Vor 48 Jahren verliebte sie sich in den fünfzehn Jahre älteren Bundesbahnbeamten Karl. Ein stattlicher, gut aussehender Mann, gut situiert, geregeltes Einkommen und ein Häuschen. Das versprach ein geordnetes Leben.

Sie heiratete ihn zu jener Zeit samt seiner Mutter und der Tante. Ihre Aufgabe bestand ab sofort darin, den Haushalt zu führen, die Kinder zu erziehen und sich über die „buckelige“ Verwandtschaft, die bis zu deren Tod mit im Haus lebte, zu ärgern. Da war die Mutter des Gemahls, Anke, die sich ständig in die Kindeserziehung einmischte, als alte Witwe mehr Zimmer im Haus belegte als der Sohn mit Familie zusammen und „Gott hab sie selig“ nach kurzer Krankheit sich die Radieschen von unten betrachtete und so im Hause endlich Platz schaffte. Zudem war da noch die Tante Frieda, die alte Jungfer und Schwester von Anke, die gottesfürchtig permanent zur Kirche rannte, den Pfarrer anhimmelte und schlussendlich nach ihrem Ableben alles, was sie einst ihr Eigen nannte, dem lieben Gott vermachte, um auch ja in den Himmel zu kommen. Ärgernisse, über die sich die Schwiegertochter Merta heute noch aufregen kann. Sie versucht zwar, in ihren Erzählungen nicht all zu fröhlich über deren Ableben zu berichten, aber ein klein wenig Freude darüber, die beiden Tyranninnen nicht mehr im Haus zu haben, kann man ganz klar erkennen. Merta kümmerte sich um sie bis zu deren Tod, nebenbei um den Haushalt und die beiden Kinder Anja und Micha. Während der Gatte zur Arbeit ging, war sie bemüht, allen ein wohliges Heim zu schaffen. Merta erzog Karl dermaßen zur Unselbstständigkeit, dass er heute noch nicht weiß, wo seine Unterhosen zu finden sind. Jeden Tag bekommt er seine Kleidung, wie aus dem Ei gepellt, hingelegt. Es fehlt nur noch, dass sie das Essen in mundgerechten Stücke kredenzt oder gar vorkaut.

Dafür bekam sie wiederum pünktlich eines jeden Ersten des Monats das Haushaltsgeld nebst etwas Taschengeld und zu besonderen Anlässen wertvollen Schmuck, einen Pelzmantel oder extra Geldgeschenke.

Ein klassisches Strickmuster, sie lässt die Maschen fallen, er hebt sie auf. Merta brauchte sich nie um irgendwelche Nebensächlichkeiten, wie Miete, Versicherungen, Strom, Wasser, Gas, Steuern, Krankenkasse – eben alles, was sonst noch in einer Gemeinschaft anfällt, zu kümmern, denn das machte Karl. Der Herr über alle Finanzen, das Auto, die Urlaube, eben jede Organisation, die nicht unmittelbar etwas mit Kochen, schmutziger Wäsche oder Windeln zu tun hatte. Merta besitzt bis dato nicht einmal einen Führerschein, der Gatte war und ist stets zugegen, um sie zu chauffieren.

Sie hatte Träume, verwirklichte sie allerdings nie, weil es ihr an Antrieb und Eigenständigkeit fehlt. Merta ist der Klassiker unter den Frauen, an denen die Emanzipation in jeglicher Form erfolglos vorbeigerauscht ist.

 

 

 

 

 

 

 

Der Schwiegervater

 

Als Oberbundesbahndirektor a.D. lernte ich ihn vor 24 Jahren kennen. Ein besonnener, intelligenter Mann, ich bewunderte seine Lebenserfahrung und die Erzählungen darüber. Besonders wenn er vom Krieg sprach. Er hatte gedient, war in Russland, Deutschland und Italien stationiert.

Er war stolz darauf bis zum Leutnant befördert worden zu sein und – was ihm sehr wichtig war – nie bewusst jemandem mit der Kanonenkugel eins übergebraten zu haben. Allerdings erlitt er selbst eine Schussverletzung aus den eigenen Reihen kurz vor Kriegsende. Eine ärgerliche Tatsache, die ihn heute noch aus der Ruhe bringen kann. Sein Ziel des Lebens bestand darin, ein gutes Einkommen zu erhalten, eine Familie zu haben, in den Urlaub fahren zu können und der Herr im Hause zu sein. Er schien erhaben über allem zu stehen, kümmerte sich, weil es die Regel ist, weil es seine Erziehung so vorgab, nicht sein Verstand. Er ließ sich schon gar nicht von Gefühlen leiten. Einmal beichtete er mir, dass er eigentlich nie Kinder wollte, aber es von ihm verlangt wurde, welche zu zeugen – „das war halt damals so“. Ob er eine Frau ehelichen wollte, weiß ich nicht, aber er genoss es sichtlich, von seiner Gattin umsorgt zu werden. Er mischte sich keineswegs in die Angelegenheiten außerhalb seines Grenzbereiches ein, es wäre ihm nie in den Sinn gekommen im Haushalt Hand anzulegen oder mehr für seine Kinder zu tun, als sie zu ernähren. Mein Mann bedauert heute noch, dass es nie Gemeinsamkeiten mit seinem Vater gab und viel zu oft die althergebrachte Situation entstand, dass er am Abend vom Vater noch eine Tracht Prügel dafür bezog, für das er Stunden zuvor schon von der Mutter bestraft wurde. Mit sich selbst war Karl auch sehr streng, er hatte zwar Träume, war aber so diszipliniert, dass er sie nie verwirklichte. Auch Karl ist der Klassiker unter den Männern, an denen die Emanzipation erfolglos vorbeigerauscht ist.

Die Gemeinsamkeiten

 

Einmal im Jahr fuhr die Familie, Vater Karl, Mutter Merta, Tochter Anja und Sohn Micha, in den Urlaub – man staune, immer an den gleichen Ort. Jedes Jahr nach Reit im Winkel, jedes Jahr das gleiche Hotel, jedes Jahr die gleichen Gesichter. Mein Mann sagte mal zu mir:

„Ich gaub´, ich kann dir jede Schneeflocke erläutern, die dort runtergefallen ist. Das waren jedes Jahr bestimmt auch dieselben, die sich dorthin verirrt haben.“ Nach 40 Jahren wurde der Vater sogar als Ehrenbürger ins goldene Buch der Stadt eingetragen. Als junge Menschen gingen sie noch tanzen, ich kann mich allerdings nicht erinnern, sie jemals zusammen erlebt zu haben, seit ich die beiden kenne. Unsere erste gemeinsame Feier war der fünfzigste Geburtstag von Merta. Es waren viele Bekannte eingeladen, die ich zu dem Zeitpunkt noch nicht kannte. Alle tanzten, Merta und Karl nicht. Nachdem Micha mit mir das Tanzbein schwang, bemerkte sie flüsternd und beinah neiderfüllt:

„Der meint es ernst mit dir, der tanzt sonst nie mit einem Mädel.“ Ich gebe zu, das war auch das einzige Mal, mein Gatte hasst tanzen – so ein Blender, hätte ich das nur vorher gewusst ...

Merta, ihre Schwester Alma und die lustige und rüstige Oma Dina sprachen stattdessen lieber vom Tanzen, von früher, als sie noch so jung waren. Ich fragte mich unterdessen, als damals Neunzehnjährige, ob man in der Tat mit fünfzig schon so alt ist. Keineswegs, denn die damals vierundsiebzigjährige Oma und auch die siebenundfünfzigjährige Tochter Alma tanzten, wenn auch nicht immer, mit ihren Lebenspartnern. Damals habe ich natürlich nicht darüber nachgedacht, warum die Schwiegermutter sich so verkniff, heute schon.

Das Fragezeichen, das ich vor mir sehe, kann ich jetzt lösen.

Nach vielen Gesprächen wurde mir von der Mutter offenbart, was für ein Hallodri der Ehemann gewesen sein muss. Ich erwähnte bereits, dass der Karl ein stattlicher und ansehnlicher Mann gewesen ist. Die Mutter beichtete mir im Laufe der Zeit so einige unangenehme Situationen, die sie erlebt hatte. Unter anderem, dass er bereits während der Geburt der Tochter Anja mit einer anderen in der Kiste gelegen haben soll. Merta grämte sich, weil Karl auch während der Ehe sein Junggesellenleben weiterführte, alleine in den Urlaub fuhr, die Wochenenden ohne Familie verbrachte und auch sonst sein Eigenleben führte.

„Einmal“, so schilderte sie, „einmal habe ich die Koffer gepackt und wollte gehen“, – aber sie tat es nicht. Sie fügte sich ihrem Schicksal, verkroch sich in ihre Richtung und er in seine. Sie erzählte mir von einem Kettchen, das sie fand, das jedoch für die Sekretärin bestimmt war. Es waren die Haare auf dem Kragen, der Lippenstift am Hemdkragen und die Liebesbriefe in seiner Tasche, die sie zutiefst kränkten. Sie strafte ihn dafür mit Nichtachtung, litt wohl aber selbst darunter, denn vor Jahren sagte sie mir mal im Frust:

„Der will ja schon seit Jahren nix mehr von mir wisse“, aber im gleichen Atemzug,

„Den lass isch nitt mehr rann, der soll wo annerst hingehe.“

Die beiden schliefen schon seit über zwanzig Jahren in getrennten Zimmern. Es gab im Laufe der Zeit keinerlei Berührungen mehr, keinen Körperkontakt, nicht einmal mehr einen Kuss, so erzählte sie es mir.

Nach außen hin wurde er wegen seines lauten Schnarchens aus dem Schlafzimmer verbannt. Im Inneren waren beide verkümmert und zerfraßen sich auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit. Beide flüchteten in ein Mitleid erhaschen – „schaut nur, wie krank ich bin“, dass die Mutter tatsächlich krank wurde, hat gewiss auch etwas mit ihrer verkümmerten Liebe zu tun. Die Flucht in sich selbst, sich selbst bedauern. Nicht umsonst sagt man, dass dauerhaftes unglücklich sein krank macht. Das Gleiche trifft wohl auch auf den Vater zu, der einfach aufgehört hatte, sich zu bemühen. Er bemühte sich nicht nur nicht mehr um seine Frau, sondern bemühte sich auch nicht mehr um sich selbst. Er hörte auf zu leben. Er stellte nach und nach seine, wenn auch wenigen, Aktivitäten ein. So fanden keine gemeinsamen Urlaube und Ausflüge mehr statt, die doch sonst hin und wieder unternommen wurden. Selbst gemeinsam abends spazieren oder in ein feines Restaurant gehen, wurde vor fünf Jahren eingestellt.

Vor zwei Jahren hatte ich die Idee, mit den Eltern gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Ich buchte für uns, da wir leidenschaftliche Camper sind, einen Platz ins Münstertal bei Freiburg. Nach Rücksprache mit den Eltern waren sie zuerst einverstanden, dass sie ganz in der Nähe in einer Pension verweilen könnten und ich sie sogar mit ihrem Auto dort hinfahre, während Micha unser Wohnmobil steuerte.

Ich freute mich riesig, das wäre wie früher in Reit im Winkel oder am Gardasee. Tapetenwechsel für die Eltern, das würde sie gewiss glücklich machen. Doch es kam anders.

Drei Wochen vor der Abfahrt kamen den beiden alten Herrschaften Bedenken.

„Dann muss isch mit dem Vadder in einem Zimmer schlafen, dess will isch nitt“, erklärte sie mir.

„Kein Problem, dann buchen wir eben zwei Einzelzimmer“, sagte ich euphorisch.

„Doch, dann weiß isch nitt, ob dess mit dem Hund so klappt.“

„Doch, Du kannst den Oki mitnehmen, das hab ich doch schon abgeklärt. Hast sogar einen Garten am Zimmer, damit Du ihn mal rauslassen kannst.“

„Ja, und wenn wir essen gehen?“

„Dann nimmst Du ihn mit.“

„Iss dess denn erlaubt?“

„Ja.“

Es fielen ihr tausend neue Argumente ein und ich gab auf:

„Gut, ihr wollt also nicht in den Urlaub fahren, dann storniere ich ihn eben.“

Meinem Schwiegervater fielen dazu auch noch einige Nichtigkeiten ein, um ja nicht wegfahren zu müssen. Sein Hauptargument war:

„Was iss, wenn isch einen Arzt brauche oder die Muddi?“ Auf meine Antwort, dass es überall Ärzte gibt, auch im Schwarzwald, reagierte er nicht. Er konnte einfach nicht fahren, weil er aus seinem Alltagstrott herausgerissen werden würde. Damals war uns seine, bereits fortgeschrittene Demenz, noch nicht bewusst. Wobei ich gleich das nächste Thema anschneiden muss, das unmittelbar damit zu tun hat.

 

Nur keine Veränderungen

 

Oh weh, oh weh, oh weh, es kommt jemand und macht einen Vorschlag. irgendetwas zu verbessern, zu verändern. Eine Idee wäre, vielleicht mal das Bad renovieren zu lassen?! Neue Rohre wären nicht schlecht, damit mal wieder richtig Wasser läuft und nicht nur tröpfelt. Es musste erst der Boiler seinen Geist aufgeben und ein Rohr geplatzt sein, bevor sich mein Gatte dann darum kümmerte, dass es repariert wurde. Wie gesagt, nur repariert, bis zur nächsten Rohrverstopfung – wegen Verkalkung geschlossen, könnte man auch sagen. Wie oft haben mein Mann und ich darüber diskutiert, dass es schwachsinnig ist, immer nur auszubessern und dass im Grunde das ganze Bad saniert werden müsste. Aber dann fiel ihm ein, dass die Küche und der Wohnbereich auch mal einen Neuanstrich bräuchten. Ganz zu schweigen von seinem ehemaligen Zimmer, das schon seit achtunddreißig Jahren orange Tapeten hat und immer noch mit Postern von Nicki Lauda aus seiner Glanzzeit behangen ist. Im Nebenraum seines Kinderzimmers stehen noch Urgroßmutters Bett und ein Schrank, gefüllt mit antiken Klamotten, alles komplett, unangetastet, verkommen, verstaubt. Die Wände haben schon seit mindestens 80 Jahren keinen neuen Anstrich mehr gesehen.

„Weißt Du, dass in dem Zimmer meiner Schwester noch die Poster von dem US-Star David Cassidy aus 1975 hängen?“

„Ja, ich weiß, ich kann mich noch an meinen Bravoausflug erinnern und hab auch mal reingeschaut, als die Mutter was aus ihrem „Geheimversteck“ holte.“

„Eigentlich müsste der 300 Jahre alte Kasten abgerissen und neu gebaut werden“, philosophierte mein Gatte und ich erkannte, dass er in Gedanken das Haus durchkämmte. Angefangen auf dem Speicher, dort war von Schrott bis zu wirklichen Schätzen alter Zeiten alles verborgen. Ach, wie gerne würde ich dort aufräumen. Wenn früher die Eltern im Urlaub waren und ich die Blumen gießen sollte, schnüffelte ich manchmal dort oben herum. Ein alter Kaufmannsladen von der Tochter hatte meine Gnade, ebenso die Puppenstube mit den riesigen Lichtschaltern. Ein wunderschöner, gezwirbelter Küchenschrank aus schwarzem Ebenholz, wäre nach einer Bearbeitung ein wahres Prunkstück. Das alte Metallspielzeug meines Mannes und viele, viele alte Kisten, in die ich mich nicht traute reinzuschauen, aus Angst sie könnten zu Staub zerfallen. Hier oben erkannte man auch noch das alte Fachwerk, die maroden Holzbalken, deren Zwischenraum mit Stroh und Lehm ausgestopft waren. Aus diesem doppelstöckigen Dachboden hätte man gut eine Drei-Zimmer-Maisonettewohnung machen können. Die Eltern bewohnten im Grunde nur noch drei Räume. Der Schwiegervater schlief im ehemaligen Kinderzimmer meines Mannes. Die Mutter machte aus dem Zimmer ihrer Tochter ein Geheimnis und nutzte es lediglich, um ihre „Schätze und Geheimnisse“ dort aufzubewahren, von denen der Vater nichts wissen durfte. Sie betritt es immer nur alleine und nach dem Verlassen wird es verriegelt. Ab und an hatte ich die Gelegenheit, mal einen Blick hineinzuwerfen. Eine alte Vitrine vollgestopft mit Avon Präparaten, original verpackt, und gewiss längst vom Verfallsdatum her abgelaufen. Ihre Tochter arbeitet mittlerweile schon seit acht Jahren nicht mehr für die Kosmetikfirma. Sie kaufte die Sachen auch nie für sich, sondern lediglich, um vor ihrer Tochter nicht blöd dazustehen und deren Geschäfte aus Höflichkeit anzukurbeln. Ein alter Tisch mit diversem Krimskrams sowie eine alte Klappcouch aus den Sechzigern fielen sofort in mein Blickfeld. Auch hier zeigten die dunkelgrauen Tapeten, dass sie schon länger als längst überfällig waren. Um von diesem Stockwerk aus in einen kleinen Nebenraum zu gelangen, der einst eine Küche war, musste mein Mann ein Brett quer über die Treppe legen, da der Zugang zu hoch ist. Es fehlen sozusagen zwei Stufen. Als junger Mensch ist man leicht zu dieser Empore gestiegen oder einfach gehüpft. Irgendeiner kam halt irgendwann einmal auf die Idee, die Räume umzugestalten und einfach hier eine Mauer zu setzen und dort eine wegzunehmen. Ein Architekt wurde dabei nie gefragt und die Bausubstanz auch nicht infrage gestellt. So war das früher halt. Dass der Wohnraum im Erdgeschoss nur eine Höhe von knapp 2,10 Metern hat, basiert auf der Tatsache, dass das Kellergewölbe darunter zu hoch gebaut wurde. Das störte nie wirklich einen der Vorfahren und meine Schwiegereltern, die das geerbt hatten, schon gar nicht. Aus der Not eine Tugend machen, das war hier die Devise. Der Kellereingang zum Gewölbe war so verbaut, dass er sogar in die Wohnstube hineinragte. Um den Fehler zu korrigieren, hat man den Überstand im Wohnraum dann einfach mit einem Schrank umbaut.

Bis vor nicht allzu langer Zeit stand im Hof sogar noch ein Plumpsklo, das notgedrungen entfernt werden musste, weil sich der Nachbar beschwert hatte. Schließlich sind Sickergruben in der Ortsgemeinde heute nicht mehr erlaubt. Vater weinte sehr um dieses gute Stück, das er allmorgendlich für sein Geschäft nutzte. Aber bevor er sich in den Mittelpunkt einer eventuellen Illegalität stellte, ließ er unvermeidbare Veränderung geschehen, wenn auch zähneknirschend. Allerdings tat er dies wiederum nicht um eine Sache zu verbessern, sondern nur zur vorübergehenden Heilung. So verfiel dieses Gebäude im Laufe seiner fast dreihundert Lebensjahre von einem kurzen Aufblühen in Stagnation bis zum Verfall.

Keiner der beiden käme auch nur im Geringsten auf die Idee, sich das Leben zu verschönern, vielleicht etwas Neues, Besseres zu schaffen. Es kommt mir geradezu so vor, als hätten beide panische Angst davor, auch nur einen winzigen Teil ihres Umfeldes zu verändern und dadurch zu verlieren.

Selbst als mein Mann seiner Mutter einen Wäschetrockner schenkte, wurde zuerst rumgezickt:

„So was brauch isch nett, des geht auch so.“ Als sie dann aber zum ersten Mal in ihrem Leben weiche Handtücher in den Händen hielt und merkte, dass sie die Strümpfe nicht mehr weich bügeln musste, war sie begeistert. Den Vater kann man nie begeistern, für ihn kostet alles nur Geld und das ist ihm lieber auf dem Konto als irgendwo investiert.

 

Kontogegenbuchführung

Es war für ihn von äußerster Wichtigkeit, ein klares Bankkonto zu besitzen und er führte regelmäßig eine Gegenkontobuchführung seiner Giro- und Sparverträge. Es gab sogar Zeiten, an denen er an sich selbst Schulden machte, da er kurzfristig sein Erspartes anknabbern musste. Das missfiel ihm sehr und er klagte, ach, über die Gauner auf dieser Welt, die nur sein Bestes wollten. Allerdings konnte er seine Schulden immer wieder recht schnell tilgen durch seine gut dotierte Pension. Für ihn war ein dickes Bankkonto wichtiger als alles andere. Es würde ihm nie in den Sinn kommen, sein Haus instand zu bringen, mehr als zweimal pro Jahr in den Urlaub zu fahren, sich schicke Klamotten zu kaufen oder einfach eben nur Spaß am Kaufen und Besitzen zu haben. So ließ er nur wirklich nötige Dinge und mit Zähneknirschen nach seiner Pensionierung neue Fenster einbauen und eine Gasheizung installieren. Er sah ein, dass es harte Arbeit war, im Alter die Kohle aus dem Keller zu holen und es unökologisch ist, die Außenluft zu beheizen, weil die 100 Jahre alten Fenster keinerlei Isolierung hatten. Die ganze Zeit bis zu seinem 66igsten Lebensjahr hatte das ja auch seine Frau gemacht.

 

 

Der Abstieg beginnt

 

In der Schule hat mir einst ein Lehrer erklärt, dass das Leben mit einem Kreis zu vergleichen ist. Man wird geboren, durchlebt die erste Hälfte bis zum Höhepunkt in der Mitte des Kreises, dann geht es stetig bergab, bis man das Kindesalter wieder erreicht hat. Dieses Schema basiert auf einem europäischen Durchschnittsalter von 75 Jahren. Demnach wäre meine Schwiegermutter kurz vor dem Ende und mein Schwiegervater schon wieder neu geboren, was mittlerweile durchaus schon wieder zu erkennen ist.

 

 

 

Die best´ Krankheit taugt nix

Vor sechs Jahren genau fing es an, rapide bergab zu gehen – zuerst mit den Eltern dann mit uns. Die Schwiegermutter klagte eines Tages über heftige Schmerzen im Bauch. Die Ärzte dokterten an ihr herum, ohne wirklich etwas zu finden. Zuerst waren es die Gallensteine, dann die Nierensteine, der Blinddarm hätte es aber auch sein können. Alle Untersuchungen ergaben kein eindeutiges Ergebnis. Schlussendlich hat dann ein Professor tatsächlich Steine gefunden, die waren aber in der Blase. Bei der Zertrümmerung stellte der „Gott in Weiß“ fest, dass die ganze Blase zerrissen war – die Folge der Chemotherapie aufgrund einer Krebsoperation im Unterleib vor 30 Jahren. Dies seien die Spätfolgen der Bestrahlung. Ergo, eine neue Blase musste her. Kämpferisch ertrug sie bis zu dieser niederschmetternden Diagnose die Schmerzen und Qualen.

„Die best´ Krankheit taugt nix“, flachste sie hin und wieder und ergab sich ihrem Schicksal. Nach einer mehrstündigen OP zauberten der Professor und das Ober- Mittel- Unter – und Assistenzärzteteam aus dem Dickdarm eine neue Blase mit künstlichem Ausgang unterhalb des Bauchnabels. Sie musste sich von nun an daran gewöhnen durch einen Schlauch zu pinkeln und auf die regelmäßige Entleerung achten.

„Ei, Humor iss wemmer trotzdem lacht“, sagte das tapfere Meenzer Fassenachts Mädchen. Hut ab, Respekt, wirklich tapfer, tapfer, tapfer diese Frau. Was wohl keiner richtig merkte, der fünfzehn Jahre ältere Ehemann verschwand unter, hinter und neben dieser Frau. Zuerst maulte er ständig über die zu hohen Arztrechnungen, die er als Privatversicherter zum Teil vorstrecken musste.

„Dess sinn alles Gauner...“ Sein kleines angespartes Vermögen wurde immer schmaler. Seine Frau wehrte sich mit den Argumenten:

„Soll des uffm Kondo verschimmele. Mitnemme kannste auch nix. Stell disch nett so an.“ Ich erwähnte bereits, dass mein Schwiegervater Beamter war, ein typischer Beamter, genau, gewissenhaft, langsam und schwäbisch, obgleich er als Rheinhesse zur Welt kam. Der Ehemann, fünfzehn Jahre älter als sie, mit einem Gehirn, das nicht mehr so funktionieren wollte, wie er es gerne hätte.

„Gute Konstellation“, sagte ich einmal zu ihr. „Dein Körper will nicht mehr, dafür ist der Geist noch wach und bei Papa funktioniert der Geist nicht mehr, aber der Körper ist fit. Ihr müsst euch nur zusammenraufen, dann seid ihr eins. Klappt schon ...“

Nichts klappte wirklich. Mama war genervt von Papas „Hirnlosigkeit“ und Papa beklagte sich immer öfter über seine verständnislose Ehefrau.

 

 

Götter in Weiß

 

Wenn ich von den „Göttern in Weiß“ spreche, so möchte ich nur das zum Ausdruck bringen, was meine Schwiegermutter empfindet, wenn sie von Ärzten und Professoren spricht.

„De Professor ...“, „de Oberarzt ...“ mit weniger gab sich die Mutter nicht zufrieden. Was „de Professor“ sagt, ist heilig. Wehe dem, „ER“ wurde infrage gestellt, wehe, man riet zu einer Alternative oder gar dazu, einen anderen Arzt zu konsultieren, um sich Gewissheit zu verschaffen.

„Der Mann iss Professor, der Mann iss Oberarzt, die wern schun wisse, was se mache.“ Dass auch diese Götter in Weiß schmerzhaft an ihr herumdokterten bevor sie etwas fanden, ignorierte sie – das zählte nicht. Dass diese, ach so hoch dotierten Studierten auch nur Menschen sind und Fehler machen, interessierte ebenso wenig. Erst viel später musste sie erkennen, dass auch diese Menschen fehlbar sind, was sie schlussendlich bis heute mit heftigen Dauerschmerzen ertragen muss.

 

Das neue Bett

 

Mama stöhnte ständig über die Schmerzen in der Hüfte. Vor nicht allzu langer Zeit wurde eine Fraktur in der Hüfte festgestellt, leider unheilbar und daher chronisch. Fachmännisch nennt man das eine chronische Beckenringfraktur.

Mittlerweile schlief sie schon nicht mehr im Bett, sondern auf einem Fernsehsessel mit Massagefunktion, den ihr Sohn ihr schenkte.

„Im Bett kann isch nit mehr liege´, isch muss alle Nacht aufstehen und rumlaufe, selbst das blöde Schmerzpflaster für 250 € hilft nitt wirklisch.“ In einem orthopädischen Geschäft holte ich ein Prospekt für Betten und legte es der Schwiegermutter vor.

„Hier, die Krankenkasse zahlt was dazu. Diese Betten kann man verstellen und auch in Sitzposition bringen. Das ist gewiss bequemer, als in einem Fernsehsessel zu schlafen.“

„Frag de Vadder, der muss es bezahle.“

Ich fragte den Vater.

„Ei, woher soll isch die 2000 € nehmen und wo soll ich das Bett den hinstellen?“

„Ja, im Schlafzimmer iss kein Platz mehr“, pflichtete seine Frau ihm bei.

„Naja, das Schlafzimmer ist über fünfundvierzig Jahre alt. Du wolltest doch schon immer ein neues. Außerdem kannst Du einen Antrag bei der Krankenkasse stellen und bekommst bis zu 60 % dazu. Ein Attest über die Notwenigkeit bekommst Du vom Hausarzt. Ich hab schon mit ihm gesprochen“, erläuterte ich, in der Hoffnung, ihnen damit einen Gefallen getan zu haben.

„Ach was, wie soll ich den alte Kram aus der Stubb hole´ und wohin damit?“, warf die Mutter ein.

„Wie wäre es mit einem Müllcontainer?“, sagte ich flapsig und merkte, wie sich langsam meine Nackenhaare aufstellten. Ich wusste genau, wohin mich das Gespräch führen würde.

In die Anfänge aller Diskussionen um nichts, die weniger als nichts waren und zu nichts führten.

Das war vor sechs Jahren, Mutter schläft immer noch auf dem Fernsehsessel und klagt jeden Tag mehr über ihre Schmerzen.

 

 

Oktavian

 

Hier muss ich einem ganz besonderen Lebewesen einige Zeilen widmen, denn die hat sich der Chihuahuarüde Oktavian redlich verdient.

Nachdem das Löwenköpfchen Zwergkaninchen Schorchi nach acht wundervollen, angebeteten Jahren und 4 Kilo schwer gemästet, aufhörte zu atmen, musste ein neues Tier her. Eine neue Aufgabe. Zuerst wehrte sich der Vater dagegen, er wolle nicht noch einmal erleben, wie ein geliebtes Haustier verstirbt. Mein Mann und ich stellten uns aber über diese Anordnung und kauften nur wenige Wochen später einen vierjährigen Chihuahua, bereits stubenrein und total süß und lieb. Mama war darauf vorbereitet und konnte es kaum abwarten, das neue Familienmitglied in die Arme zu schließen.

„Der gehört mir ...“ Eigentlich war Oki, wie er gerufen wurde, für beide gedacht, aber Mama hat sich als Dosenöffner, Spielgefährte, Kuschlerin und Gassiegängerin durchgesetzt und bewährt und Oki himmelte sie an. Einige Tage später kam eine Danksagung der Physiotherapeutin von Mama an uns:

„Sie hätten ihrer Mutter nichts Besseres schenken können. Jetzt bewegt sie sich wenigsten mehr. Sie muss viel laufen bei ihrer Krankheit.“

Eine neue Liebe war entflammt, allerdings mit unerwünschten Nebenwirkungen.

Zum einen für Oki selbst, denn in nur wenigen Wochen mutierte er zu einem pummeligen Wollknäuel, das seine liebe Not hatte, elegant und behände rumzuspringen und zu laufen, so wie ich das von meinen beiden kannte.

„Du gibst dem Hund zu viel Futter, lass ihn auch mal im Hof rumtoben“, ermahnte ich die Mutter hin und wieder.

„Ach was, isch geb dem doch gar nit so viel“, wehrte

sie sich stets. Schaute ich aber in die Küche zu seinem Futterschälchen, so war das immer bis zum Rand gefüllt. Oki bekam nur das Beste vom Besten und auch nur, was er mochte – besonders Tatar. Hin und wieder stellten wir Oki auf die Paketwaage in der Firma meines Mannes.

„Mensch Muddi, der Hund wiegt bald drei Kilo, das ist zu viel, der muss abspecken, sonst stirbt er schneller als dir lieb ist an Überfettung.“

„Ach was, isch geb dem doch nit viel, der lässt in seinem Schälchen ja immer alles stehen.“

„Kein Wunder, du machst es ihm ja auch immer voll. Lass den Hund auch mal ein wenig hungern und gib ihm meinetwegen nur Leckerli, aber nicht noch Hauptfutter dazu.“

„Ja, die Leckerli isst er gern, mein Schatz und außerdem iss der gar nitt zu dick, das meint man nur, weil das Fell so dicht ist.“ Was sollte ich dazu noch sagen?

Wenn auch unbewusst, vereinnahmte Mama ihren Oki so sehr, dass es sogar kleine Eifersuchtsszenen gab, wenn sich Oki aus Versehen mal auf Papas Schoß verirrte.

„Magst Du die Mama nimmer? Ja, wo isser denn, der Oki? Gehst Du beim Opa fremd?“ Oki war mittlerweile so auf sein Frauchen fixiert, dass er sich keinen Millimeter unter der Kommode im Flur hervor bewegte, bis die Tür aufging und die geliebte Hundemama wieder zu Hause war, wenn sie mal ohne ihn weg musste. Als ich letztens zu Besuch dort war, Oki sich auf meinen Schoß verirrt hatte und inbrünstig von mir gekrault wurde, sagte mein Schwiegervater in einer stillen Minute ohne Anwesenheit seiner Frau:

„Ich wollt isch wär´ der Hund.“

„Nein, das mach´ isch nischt. Isch kann den Oki ja nitt midem Vadder allein lassen, der Hund geht mir ja da ein. Der würd´ sisch tot trauern, wenn sei Frausche nitt da iss. Gell mein Süßer.“ Kuschel, kuschel......

„Ach was, isch brauch kä Kur“, wehrte sie flapsig ab. Es dauerte sehr lange, bis ich begriff, dass meine Schwiegermutter nie etwas brauchte, das sie nicht selbst bewältigen konnte. Nicht nur ihren Mann, sondern auch sie musste man wie ein kleines Kinder an der Hand nehmen und ihnen die Richtung weisen.