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Wiltrud Brächter
Bernd Reiners (Hrsg.)

Neue Wege im Sand

Systemisches Sandspiel
und Kinderorientierte
Familientherapie

2018

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Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

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Themenreihe »Kinder- und Jugendlichentherapie«

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlagmotiv: cc pixabay

Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten

Printed in the Czech Republic

Druck und Bindung: FINIDR, s.r.o.

Erste Auflage, 2018

ISBN 978-3-8497-0244-1 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8158-3 (ePUB)

© 2018 Carl-Auer-Systeme Verlag

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Inhalt

Vorwort

Teil I Einführung

1Einführung in verschiedene
Formen des Sandspiels

1.1Entstehung und heutige Praxis der Sandspieltherapie

Wiltrud Brächter

1.2Narrative systemische Sandspieltherapie

Wiltrud Brächter

1.3Kinderorientierte Familientherapie

Bernd Reiners

1.4Sandspiel mit hypnotherapeutischen Methoden

Hiltrud Bierbaum-Luttermann

Teil II Sandspieltherapie in verschiedenen Settings

2Einzelsetting

2.1Narratives Sandspiel mit Kindern in Diagnostik und Auftragsklärung

Wiltrud Brächter

2.2Kinderorientierte Familienarbeit mit Jugendlichen

Birte Tomeit

3Familien, Eltern, Paare

3.1Narratives Sandspiel mit Familien

Wiltrud Brächter

3.2Elterncoaching mit Kinderorientierter Familientherapie

Bernd Reiners

3.3Sandspieltherapie mit Paaren nach Linde von Keyserlingk

Wiltrud Brächter

3.4Ein Paar in Trauer – Ein Kind zeigt das Thema

Monika Heinzel-Junger

4Gruppen

4.1Überblick über Möglichkeiten des Gruppensandspiels

Wiltrud Brächter

4.2Sandspieltherapie mit einer Kleingruppe … Mehr als ein Experiment!

Lisa Weise

Teil III Sandspieltherapie in schwierigen Konstellationen

5Traumatherapie

Einführung

Bernd Reiners

5.1Die Methode des Spielgesprächs

Bernd Reiners

5.2Traumabearbeitung im narrativen Sandspiel

Wiltrud Brächter

6Umgang mit destruktiven Anteilen

6.1Umgang mit destruktiven Anteilen in der Kinderorientierten Familientherapie

Bernd Reiners

6.2Umgang mit nicht endenden Kämpfen und fixierten destruktiven Ich-Zuständen im narrativen Sandspiel

Wiltrud Brächter

6.3Sandspiel in der Ego-State-Therapie: Arbeit mit destruktiv wirkenden inneren Anteilen

Silvia Zanotta

7Kindeswohlgefährdung

Einführung

Bernd Reiners

7.1Möglichkeiten der Kinderorientierten Familientherapie

Bernd Reiners

7.2Möglichkeiten des narrativen Sandspiels

Wiltrud Brächter

8Autismus

8.1Sandspiel im Kontext von Autismus-Spektrum-Störungen

Jörn de Haen

Teil IV Sandspieltherapie in verschiedenen Kontexten

9Schulischer Kontext

9.1Sandspiel im Einzelsetting

Annette Giesler

9.2Bindungsorientiertes therapeutisches Gruppenspiel im Sand

Thea Korten-Giesen

10Heimkontext

10.1Kinderorientierte Familientherapie im Heimkontext

Caroline Schmidt

11Flüchtlingskinder

11.1Transgenerationale Weitergabe kriegsbedingter Traumata – Der Sandspieltherapieprozess eines Jungen mit afrikanischen Wurzeln

Christine Utecht

11.2Kinderorientierte Familientherapie mit Flüchtlingskindern

Annette Giesler im Gespräch mit Bernd Reiners

12Frauenhaus

12.1Sandspiel mit Kindern im Frauenhaus

Silvia Eberhardt

Schlusswort

Literatur

Über die Autoren

Über die Herausgeber

Vorwort

Dieses Buch handelt von der Verbindung zweier zunächst sehr unterschiedlich erscheinender therapeutischer Ansätze, von Sandspieltherapie und systemischer Therapie. Als Herausgeberin und als Herausgeber1 ist es unser beider Anliegen, diese Verfahren stärker aufeinander zu beziehen und wechselseitig nutzbar zu machen.

In unserer therapeutischen Arbeit verfolgen wir zwei unterschiedliche Wege, Sandspiel mit systemischer Therapie zu verknüpfen: narrative systemische Sandspieltherapie (Brächter 2010) und Kinderorientierte Familientherapie (KOF; Reiners 2013). Beide Ansätze haben unterschiedliche Schwerpunkte, die sich aus unserer Sicht gut ergänzen. Geht es im narrativen Sandspiel vorrangig darum, innere Bilder im Sand auszudrücken und sie in Bewegung zu bringen, macht die Kinderorientierte Familientherapie Interaktionsprozesse im Sand sichtbar und veränderbar. Wir haben etwa gleichzeitig damit begonnen, unsere Ansätze in Fachzeitschriften zu publizieren (Reiners 2006; Brächter 2009), in Lehrbüchern darzulegen und als Lehrtherapeuten zu unterrichten und weiterzugeben. Seitdem verfolgen wir interessiert gegenseitig unsere Arbeit und freuen uns über das insgesamt wachsende Interesse an systemischem Sandspiel.

Inzwischen haben viele Therapeuten und Fachkräfte aus dem psychosozialen Feld unsere Arbeit in Weiterbildungen kennengelernt, die Methoden an ihre Arbeitsbereiche angepasst und dabei auch weiterentwickelt. In unseren Seminaren sind wir immer wieder beeindruckt, wie gewinnbringend Sandspiel in verschiedenen Kontexten auch außerhalb des klassischen psychotherapeutischen Settings eingesetzt wird und welche kreativen Varianten hierbei entstehen. Beim Austausch hierüber ergab sich die Idee zu diesem Buch.

Es schien uns an der Zeit, die Früchte einzusammeln, uns bekannt gewordene neue Konzepte zum Sandspiel vorzustellen und die breit gefächerten Anwendungsmöglichkeiten systemischen Sandspiels in einer Veröffentlichung zusammenzufügen. Dabei haben wir auch Ansätze einbezogen, die sich aus der Sandspieltherapie nach Dora Kalff (1966) herleiten. Auch die klassische Sandspieltherapie öffnet sich zunehmend einem systemischen Therapieverständnis, sodass Querverbindungen entstehen können.

Sandspiel und systemische Therapie

Wir sind davon überzeugt, dass das Sandspiel und die systemische Therapie zwei hocheffektive und sinnvolle Verfahren sind, die sich hervorragend ergänzen können. Jedoch scheinen sie in der Literatur bisher weitgehend getrennt voneinander behandelt worden zu sein. Mit wenigen Ausnahmen, darunter unsere eigenen Veröffentlichungen, wurde bisher nur wenig systematisch beschrieben, wie die Verfahren ergänzend in die Praxis umgesetzt werden können. Diese Lücke will dieses Buch schließen.

Eine besondere Stärke systemischer Therapie sehen wir in der interaktionellen Perspektive, in der psychische Probleme und Symptome Einzelner im Kontext von Beziehungen und sozialer Lebenssituation erfasst werden. Beim Versuch, problemverstärkende Muster zu unterbrechen und Perspektiven zu erweitern, fokussierte sich die systemische Therapie im Verlauf ihrer methodischen Entwicklung teils stark auf die sprachliche Ebene. In jüngerer Zeit wird dies zunehmend als Begrenzung wahrgenommen. Zudem wird verstärkt versucht, die Therapiegestaltung an die Bedürfnisse von Kindern anzupassen und diese aktiver am Geschehen zu beteiligen.

Für beide genannten Aspekte stellt die Sandspieltherapie wertvolle Hilfen zu Verfügung. Sandspiel bietet einen Zugang zu Gefühlen und Lebenserfahrungen jenseits von Sprache, sodass auch unbewusste und tabuisierte Anteile des Erlebens Ausdruck finden. Bei unserer Arbeit »im Sand« haben wir erfahren, wie hilfreich dieser Zugang ist, um auch jüngere Kinder in die Therapie einzubeziehen. Zirkuläre Muster und schwierige Elemente der Beziehungsgestaltung werden im Sand sichtbar; gleichzeitig bietet der Sandkasten einen Raum zum Probehandeln, in dem neue Perspektiven entstehen können und mit neuem Verhalten experimentiert werden kann.

Zum Inhalt und Aufbau dieses Buches

In Teil I des Buches führen wir zunächst in die Geschichte und die ursprünglichen Anwendungsformen des Sandspiels ein, bevor wir hieran anschließend unsere eigenen, oben genannten Ansätze vorstellen. Ergänzt wird dies durch einen Beitrag zu Sandspiel und Hypnotherapie – einem Verfahren, dass in seiner Lösungs- und Ressourcenorientierung viele Berührungspunkte zu systemischer Therapie aufweist. Hiltrud Bierbaum-Luttermann beschreibt hier unter anderem Möglichkeiten, Sandspielprozesse durch spielbegleitende Kommentare und eingestreute Geschichten zu intensivieren, die mit verschiedenen Formen des Sandspiels verknüpft werden können.

Teil II spiegelt die Vielfalt von Settings wider, in denen Sandspiel stattfinden kann. Sandspieltherapie ist grundsätzlich für alle Altersgruppen geeignet; bezogen auf das Einzelsetting beschränken wir uns hier auf die Arbeit mit Kinder und Jugendlichen. Beim Sandspiel mit Kindern gehen wir der in der systemischen Therapie wichtigen Frage der Auftragsklärung nach und stellen dar, wie Sandspiel Kindern helfen kann, eigene Anliegen in die Therapie einzubringen. Anschließend beschreibt Birte Tomeit, wie der spielerische Ansatz der Kinderorientierten Familientherapie auch Jugendlichen zugänglich gemacht werden kann – einer Altersgruppe, die dem Medium des Spiels üblicherweise eher ablehnend gegenübersteht.

Unter systemischem Fokus legen wir in Teil II einen Schwerpunkt auf Mehrpersonensettings und stellen in verschiedenen Beiträgen die Arbeit mit Familien, Paaren, Eltern und Gruppen vor. Monika Heinzel-Junger zeigt unter anderem in einer berührenden Fallstudie, wie ein Kind durch ein Sandbild einen überfälligen Trauerprozess der Eltern anstößt. Lisa Weise beschreibt einen gruppentherapeutischen Prozess mit vier in ihrem Verhalten auffälligen Jungen, die über längere Zeit in einem Sandkasten arbeiten. Ihr Beitrag lädt dazu ein, Sandspiel im Gruppensetting zu erproben.

Teil III bezieht sich auf eine Auswahl von Fallkonstellationen, in denen uns Sandspiel besonders wertvoll erscheint. Zusammengestellt sind hier Beiträge zu den Themenfeldern Autismus (Jörn de Haen), Trauma, Kindeswohlgefährdung und Umgang mit destruktiven Impulsen in der Therapie. Teils stellen wir dabei die Arbeit mit Kinderorientierter Familientherapie und narrativem Ansatz einander gegenüber. Dabei wird deutlich, wie durch die differierenden methodischen Zugänge auch unterschiedliche Aspekte erschlossen und therapeutisch bearbeitet werden können.

Systemische Therapie bezieht sich neben der Berücksichtigung des sozialen Kontexts auch auf innere Systeme (Schmidt 2003). Neben der Arbeit mit traumatisierten Ego-States beschäftigen wir uns in diesem Zusammenhang mit dem besonders herausfordernden Umgang mit destruktiven Ich-Zuständen. Wir stellen dar, wie in Kinderorientierter Familientherapie und narrativem Sandspiel mit nicht endenden Kämpfen und aggressiven Impulsen umgegangen wird und wie sich beide Therapieformen von klassischem Sandspiel unterscheiden. Ergänzt wird dies durch ein Fallbeispiel von Silvia Zanotta zur Arbeit mit destruktiven Anteilen, das aufzeigt, wie Sandspiel in der Ego-State-Therapie genutzt werden kann.

Teil IV gibt schließlich einen Überblick über die Vielfalt von Anwendungsmöglichkeiten des Sandspiels in verschiedenen Kontexten wie Schule, Heim, der Arbeit mit Flüchtlingskindern und mit Kindern im Frauenhaus. Dabei wird noch einmal die Vielfalt methodischer Facetten des Sandspiels sichtbar: Caroline Schmidt bezieht sich beispielsweise in ihrer Arbeit im Heimkontext auf den Ansatz der Kinderorientierten Familientherapie, während Silvia Eberhardt mit Kindern im Frauenhaus orientiert am narrativen Sandspiel mit Sandbildern arbeitet. Für den Kontext Schule werden zwei Anwendungsformen des Sandspiels vorgestellt: Verbunden mit einer sehr niederschwelligen Zugangsmöglichkeit bietet Annette Giesler Kindern Sandspiel im Einzelsetting an. Thea Korten-Giesen beschreibt einen von ihr entwickelten bindungsorientierten Ansatz zur Kleingruppenarbeit, bei dem Kinder aus jeweils eigenen Sandkästen heraus in eine gemeinsame Spielhandlung finden. Giesler und Korten-Giesen verbinden beide in ihrer Arbeit Elemente aus Kinderorientierter Familientherapie und narrativem Sandspiel: Sie lassen Geschichten aus Sandbildern entstehen und nutzen gleichzeitig die in der KOF verwendete Alter-Ego-Figur, um therapeutische Anregungen ins Spiel hineinzugeben. Christine Utecht beschreibt eine an das klassische Sandspiel nach Kalff angelehnte Arbeit mit Sandbildern, die sie im Therapieverlauf mit Elementen systemischer Kindertherapie kombiniert. Der von ihr skizzierte Sandspielprozess eines aus Angola stammenden Jungen mit Fluchthintergrund bietet Zugang zur Thematik einer mehrgenerationalen Traumatisierung, welche die Familie zuvor nicht verbalisieren konnte. Annette Giesler schildert in einem Interview, wie sie Kinderorientierte Familientherapie und narratives Sandspiel in der Arbeit mit Flüchtlingskindern einsetzt und wie diese Methoden von Kindern und Eltern genutzt werden.

Ausblick und Dank

Wie die Verbindung zwischen Sandspiel und systemischer Therapie im Einzelnen gestaltet werden kann, ist Thema dieses Buches. Wir hoffen, dass sich die Atmosphäre von Spielfreude und Leichtigkeit, die sich beim Sandspiel einstellt, auch beim Lesen überträgt. Wir freuen uns, wenn dies dazu anregen kann, Sandspiel (noch stärker) in die eigene Arbeit einzubeziehen und dabei Neues zu erproben.

Wir danken allen Autoren für ihre interessanten Beiträge, die zusammen die Vielfalt des Sandspiels sichtbar machen. Wir danken auch allen Kindern und Familien, die sich mit uns auf das Sandspiel eingelassen haben. Ohne diese Erfahrungen2 hätte das vorliegende Buch nicht entstehen können.

Wiltrud Brächter & Bernd Reiners

Teil I

Einführung

Unter »Sandspieltherapie« wird in der Regel die Sandspieltherapie nach Dora Kalff verstanden, so wie sie in Weiterbildungen der Deutschen beziehungsweise der Internationalen Gesellschaft für Sandspieltherapie (DGST/ISST) unterrichtet wird (Kap. 1.1). Dieser Art des Sandspiels stellen wir unsere Ansätze der narrativen systemischen Sandspieltherapie (Kap. 1.2) und der Kinderorientierten Familientherapie (Kap. 1.3) gegenüber, die sich explizit auf systemische Konzepte beziehen. Ergänzt wird dies durch einen Beitrag zur Verbindung von Sandspiel und Hypnotherapie (Kap. 1.4).

1Auf Wunsch des Verlages wird in diesem Werk in der Folge darauf verzichtet, jeweils die männliche und die weibliche Form anzuführen. Gemeint sind jeweils alle Geschlechter, unabhängig davon, ob die männliche oder die weibliche Form benutzt wird.

2Sie werden in diesem Buch in zahlreichen Fallbeispielen dokumentiert, die im Text besonders hervorgehoben werden. Die betreffenden Namen und andere Erkennungsmerkmale sind selbstverständlich verändert worden, um ein Wiedererkennen der realen Personen auszuschließen.

1Einführung in verschiedene Formen des Sandspiels

1.1Entstehung und heutige Praxis der Sandspieltherapie

Wiltrud Brächter

Die Sandspieltherapie geht auf die britische Kinderärztin und Psychotherapeutin Margaret Lowenfeld (1890–1973) zurück, die sich als eine der ersten für die therapeutische Bedeutung des Spiels im Prozess der Selbstentwicklung von Kindern interessierte (Lowenfeld 1935, 1939, 1969). Dabei beschrieb sie eine Ebene präverbalen Erlebens, die dem Spracherwerb vorausgehe und auch im Erwachsenenleben weiter fortbestehe.3 Lowenfeld ging davon aus, dass Kinder einen großen Teil ihres Erlebens sprachlich nicht kommunizieren können. Auf der Suche nach einem Medium, das ihnen dies erleichtern könnte, entstand die Therapieform des Sandspiels.

In einer von ihr in den 1920er Jahren in London gegründeten psychologischen Kinderklinik stellte Lowenfeld Kindern Sandkästen, Wasser und Miniaturfiguren zur Verfügung, mit denen diese von ihnen selbst so genannte »Welten« errichteten. Als deutlich wurde, dass die Kinder dabei etwas für sie sehr Bedeutsames taten, wurde diese von Lowenfeld als »Welttechnik« (»worldtechnique«) bezeichnete Methode erforscht und systematisiert. Den Kindern wurde zunächst vorgeschlagen, realistische Szenen aus ihrem Alltag zu gestalten. Nachdem sich aber herausgestellt hatte, dass »etwas Neues und sehr aufregend Kreatives entstand, sobald die Therapeuten nichts Realistisches mehr erwarteten, keine Vorschläge mehr machten und nicht mehr in das Spiel der Kinder eingriffen« (Andersen 1979, S. 280; zit. nach Mitchell u. Friedman 1997, S. 36), verzichtete Lowenfeld auf einengende thematische Vorgaben und ging dazu über, die Kinder ihre Szenen in den Sandkästen frei gestalten zu lassen.

Während das Kind den Sand formt und Figuren hineinstellt, schaut die Therapeutin4 dem Prozess des Sandspiels zu. Die gemeinsame Aufmerksamkeit von Kind und Therapeutin richtet sich auf das entstehende Sandbild, sodass nach Lowenfeld die in der psychoanalytischen Therapie sonst als bedeutsam angesehene Übertragung auf die Therapeutin von einer Übertragung auf den Sandkasten abgelöst wird. Während des Bauens solle man sich »frei fühlen, die Szenen zu beobachten, so als ob das, was dort entsteht, eine direkte Kommunikation zwischen der inneren Welt des Kindes und dem Therapeuten wäre« (a. a. O., S. 37). Was das Kind im Sand gestaltet, wird fortlaufend kommentiert, um ihm sein Tun bewusst zu machen. Nachfragen helfen ihm anschließend, sein Bild zu verstehen.

Im Gegensatz zu den vorherrschenden spieltherapeutischen Konzepten ihrer Zeit5 lehnte Lowenfeld es ab, Sandbilder der Kinder anhand eines festgelegten theoretischen Rasters zu interpretieren. Als gleichberechtigt »miteinander Forschende« suchen Kind und Therapeutin vielmehr gemeinsam einen Zugang zum Verständnis der Sandbilder (a. a. O., S. 34). Hier zeigt sich eine erste Parallele zum dialogischen Therapieverständnis systemischer Therapie, mit der Lowenfeld späteren Konzepten des »Nicht-Wissens« (Anderson 1999) und einem Bewusstsein der gemeinsamen Bedeutungsgebung im therapeutischen Gespräch weit vorausgreift.

Mit »Sandspieltherapie« ist heute in der Regel der Ansatz der Schweizer Therapeutin Dora Kalff (1904–1990) gemeint, die Sandspiel in den 1950er Jahren mit der analytischen Psychologie Jungs und Elementen des Zen-Buddhismus verband (Kalff 1966). Bei Kalff tritt der meditative Charakter der Methode noch stärker in den Vordergrund. Statt spiegelnd zu kommentieren, was im Sand entsteht, werden Sandbilder bevorzugt schweigend erbaut. Stärker als Lowenfeld betont Kalff die heilsame Rückwirkung, die von den Sandbildern ausgehe. Die Therapeutin nimmt die Atmosphäre des Sandbildes auf und fühlt sich in die verwendeten Symbole ein, die in einem inneren Reflexionsprozess gemäß der Archetypenlehre Jungs gedeutet werden, ohne jedoch diese Deutung dem Kind gegenüber zu benennen.

Sowohl Kalff als auch Lowenfeld begegnen Sandbildern in einer Haltung aufnehmender Offenheit, in der alles vom Kind Gebaute akzeptiert wird. Auch schwierige Emotionen können im Sand ihren Ausdruck finden, wobei der Rahmen des Sandkastens aufgrund der überschaubaren Größe der verwendeten Kästen6 im Blickfeld des Kindes bleibt und dieses vor Überflutung schützt. Aggressiven Impulsen, die sich im Sandbild zeigen, wird nicht pädagogisch, sondern therapeutisch im Sinne eines »Containings« begegnet. Auch zerstörerische Impulse können durch die Begrenzung auf den Sandkasten therapeutisch »gehalten« werden.

Wird Kindern die Möglichkeit gegeben, in einem »freien und geschützten Raum« in Begleitung der Therapeutin frei zu gestalten, erfolgt nach Kalff eine Selbstregulation der Psyche. Ein solches Vertrauen in Selbstregulierungsprozesse des inneren Systems kann als ein weiterer Berührungspunkt mit systemischer Therapie gesehen werden, in der es (vor allem in der hypnosystemischen Ausprägung mit Bezug auf Milton Erickson) darum geht, bereits vorhandene Ressourcen wieder zu aktivieren und einen Zugang zu ihnen zu ermöglichen (Schmidt 2004).

Sandspieltherapie hat sich inzwischen weltweit verbreitet und wird psychotherapeutisch in allen möglichen klinischen Konstellationen, daneben aber auch in Beratung, Jugendhilfe und weiteren sozialpädagogischen Tätigkeitsfeldern eingesetzt.7 In abgewandelter Form bestehen Konzepte für die Anwendung in Krisen- und Katastrophengebieten, bei denen auch Laientherapeuten tätig werden können (vgl. die »expressive Sandarbeit« [Pattis Zoja 2012]).

Entstanden in der Arbeit mit Kindern, hat sich Sandspiel als nonverbaler kreativer Zugang auch in der Therapie von Jugendlichen und Erwachsenen bewährt. Noch immer steht die Anwendung im Einzelsetting im Vordergrund, es werden aber auch Sandbilder mit Familien und Gruppen gebaut (vgl. z. B. Kap. 3.4 von Monika Heinzel-Junger). Neben freiem Sandspiel werden teils auch Themen vorgegeben: So lässt Linde von Keyserlingk in ihrer Arbeit mit Paaren beispielsweise die jeweils eigene Kindheitswelt, die Zukunftsvision für das eigene Leben und ein gemeinsames Paarsandbild gestalten (von Keyserlingk 2003; vgl. Kap. 3.3).

Ein Sandbild zu bauen ist mit einer besonderen Erlebnisqualität verbunden. Den Sand zu berühren, ihn rieseln zu lassen, im Sand zu graben und ihn zu formen, Figuren hineinzustellen und das Gebaute auf sich wirken zu lassen kann Trance induzieren und zu einem veränderten Zeiterleben führen. Teilnehmerinnen in Weiterbildungsseminaren sind oft erstaunt, welch tiefe Verbindung zu den gewählten Figuren selbst im Rahmen kürzerer Sandspielphasen entsteht. Beim Gestalten im Sand können lange zurückliegende (Spiel-)Erfahrungen aktualisiert werden; es können Bereiche der Erinnerung berührt werden, die dem Alltagsbewusstsein zuvor verschlossen waren und nur im Körpergedächtnis gespeichert sind. Innere Bilder, vom Kontakt mit dem Sand angeregt, können anschließend im Sandbild einen Ausdruck finden.

Ist ein Sandbild fertiggestellt, ergibt sich ein besonderer therapeutischer Moment: Während man noch stark von der gerade geschaffenen Szene gefangen genommen ist, kann man sie an der Seite der Therapeutin von außen betrachten. In diesem Zusammentreffen von innerer Aktivierung und Außenperspektive lag für Margaret Lowenfeld die »außerordentliche Kraft« der Sandspieltherapie (Lowenfeld 1939, S. 87 f.; zit. nach Mitchell u. Friedman 1997, S. 42).

Infolge der Öffnung der Sandspieltherapie gegenüber systemischen Konzepten, für die inzwischen viele Sandspieltherapeutinnen einstehen, wird derzeit reflektiert, wie die oben beschriebene therapeutisch wertvolle Situation bei der Betrachtung von Sandbildern genutzt werden kann. Dora Kalff vertrat die Ansicht, dass »eine Besprechung oder ausführliche Interpretation der Sandspiele die Fähigkeit der Klienten hemmen kann, sich für das offenzuhalten, was noch auf einer vorverbalen Ebene nach spontanem Ausdruck verlangt« (Kalff 2005, S. 9). Nähert man sich Sandbildern mit einem systemischen Hintergrund, eröffnet die damit verbundene nicht interpretierende Haltung jedoch andere Möglichkeiten des Gesprächs über die Gestaltungen. Jenseits der Deutungsebene wird nach einem Umgang mit Sandbildern gesucht, der behutsame Anregungen zur Perspektivenerweiterung einschließt. Linde von Keyserlingk, Lehrtherapeutin für Sandspieltherapie, Familien- und Systemtherapie und langjährige Vorsitzende der Deutschen Sandspielgesellschaft, formuliert beispielsweise (von Keyserlingk 2011, S. 100):

»Zurzeit gibt es Überlegungen, dass es doch eine ganz eigene Sprache der Sandspieltherapie geben sollte, die nicht deutet, nicht diskutiert, sondern durch sparsames, amplifizierendes, vielleicht auch zirkuläres Fragen Suchverhalten anregt und neue Denk-Wege bahnt.«

1.2Narrative systemische Sandspieltherapie

Wiltrud Brächter

Narrative systemische Sandspieltherapie (Brächter 2010) schließt an die Gestaltung von Sandbildern an, wie sie in Kapitel 1.1 beschrieben ist. Als Therapeutin nähere ich mich Sandbildern dabei in einer Haltung, die der von Linde von Keyserlingk formulierten Idee einer eigenen, Denkmöglichkeiten erweiternden Sandspielsprache entspricht. In der narrativen Arbeit mit Sandbildern versuche ich einschränkende, problembehaftete innere Bilder in Bewegung zu bringen und Suchprozesse anzuregen.

Während Sandbilder im klassischen Sandspiel nach dem Aufbau stehen bleiben und gegebenenfalls noch im Gespräch reflektiert werden, rege ich dazu an, sie als Ausgangspunkt einer Geschichte zu begreifen und diese Geschichte im Sand weiterzuspielen.

Lea, acht Jahre alt, zeigt in ihrem ersten Sandbild, wie stark ihre Welt aus den Fugen geraten ist. In Schule und Familie neigt sie zu starken Wutausbrüchen oder zu verzweifeltem Weinen, bei dem sie den Verlust des vor Jahren fortgezogenen Vaters beklagt. Im Sand baut sie einen Berg, über den – entgegen den Regeln der Natur – ein Fluss führt. Auf dem Berg beginnt es zu brennen – ein Vulkan sei dort ausgebrochen. Rasch räumt Lea Flammen und Lava wieder fort, stellt eine Brücke auf den Berggipfel und gestaltet eine bedrohlich wirkende Szene: Ein Mann steht mit einer Pistole bewaffnet auf der Brücke. Er möchte, dass die Stadt, in der die Geschichte spielt, zu einer »bösen Stadt« wird. Mit der Pistole zielt er auf ein großes Ei, das er stehlen will. Er hat eine Meerjungfrau in eine Kiste gesperrt und will sie töten. Ein weiterer Mann steht auf der Brücke und filmt das Geschehen. Frauenfiguren liegen schlafend am Rand und können nicht zu Hilfe kommen. Als Lea ihr Sandbild beschreibt, ist ihre Aufregung deutlich spürbar.

Die hilflose Position der Meerjungfrau erinnert an Leas Erfahrung einer Frühgeburt mit nachfolgenden Bewegungseinschränkungen, in der sie während einer längeren Phase von ihren Eltern getrennt war. Auch das bedrohte, noch nicht geschlüpfte Wesen im Ei weckt Assoziationen an ein sehr frühes Lebensstadium. Sowohl das Ei als auch die Kiste der Meerjungfrau sind mit einem transparenten, grünen Stoff bedeckt, als gehörten sie noch einem Zwischenreich vor dem eigentlichen Eintritt ins Leben an. In den Jahren nach der Frühgeburt erlebte Lea eine konfliktreiche Trennung der Eltern, deren bedrohliche Aspekte atmosphärisch ebenfalls im Sandbild spürbar sind. Lea schaut wie gebannt auf die Szene, in der zunächst keine Hilfe in Sicht zu sein scheint (Abb. 1).

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Abb. 1: Die »böse Stadt«

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Abb. 2: Die Meerjungfrau wird befreit

Nachdem wir das Sandbild eine Weile gemeinsam betrachtet haben, frage ich Lea, wie die Geschichte weitergehen könnte. Sofort hat sie eine Idee. Entschlossen nimmt sie einen Dinosaurier aus dem Sandspielregal und beugt ihn über das Ei: Er ist der Vater des noch nicht geschlüpften, kleinen Dinosaurierkindes, das er beschützen will. Der Mann mit der Kamera ruft die Polizei herbei, ein Polizist wirft ein Netz über den gefährlichen Mann und nimmt ihn gefangen. Auch die Meerjungfrau wird gerettet: Auf ihrem Weg zur Arbeit hört eine Frau die Meerjungfrau in der Kiste schreien, holt sich ein Schwert und befreit sie (Abb. 2).

In dem ihr eigenen schnellen Tempo räumt Lea schließlich auch diese Szene zur Seite: Die Meerjungfrau verwandelt sich in ein Mädchen, das geborgen neben seinen Eltern steht.

Sandbilder, die zu Beginn einer Therapie gebaut werden, wirken oft wie in einer »Problemtrance« (Schmidt 2004) erstarrt. Aus einer Ego-State-Perspektive (Fritzsche 2013) bieten sie Zugang zu einem problemassoziierten Ich-Zustand, der das Erleben des Kindes dominiert und in dem dieses keine Möglichkeiten zur Veränderung erkennen kann; eine Verbindung zu ressourcenreicheren Teilen des Selbst ist blockiert.

Die narrative Arbeit mit Sandbildern versucht den Kontakt zu Ressourcen wiederherzustellen und Perspektiven zu erweitern. Aus dem Problemzustand heraus entsteht eine Suchbewegung zu einer Lösung hin. In der narrativen Sandspieltherapie rege ich dazu an, das Sandbild als Momentaufnahme in einer Geschichte zu verstehen und diese Geschichte im Sand weiterzuführen. Hierin liegt ein Bezug zu narrativer Therapie (White 2010).

Die systemische Therapie folgt der Grundannahme, dass Menschen ihr Bild der Realität vor dem Hintergrund subjektiver Erfahrungen und Einordnungsprozesse selbst konstruieren. Entsprechend gehe ich davon aus, dass auch den im Sandspiel verwendeten Symbolen individuell unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben werden. Sandbilder deute ich daher nicht nach bestimmten, starren Interpretationsschemata, sondern versuche – wie Lowenfeld – ihre Bedeutung im gemeinsamen Gespräch mit dem Kind zu erkunden. Dabei ist mir bewusst, dass ich aufgrund der Ko-Konstruktion von Erzählprozessen bereits durch die Ausrichtung meiner Fragen Einfluss auf die Bedeutungsgebung nehme. Mir ist es wichtig, die Sandbilder als Selbstausdruck des Kindes wertzuschätzen und die tiefe Verbundenheit des Kindes mit dem Gebauten zu berücksichtigen. Daher achte ich darauf, zunächst genügend Zeit zu geben, um das Sandbild wirken zu lassen. Das Kind soll sich mit seinem Sandbild angenommen fühlen; die für das Sandspiel bedeutsame Atmosphäre aufnehmender Offenheit soll nicht zugunsten einer vorschnellen Lösungssuche zerstört werden.

Kinder sollen sich frei fühlen, ihr Sandbild stehen zu lassen oder eigenen Veränderungsimpulsen nachzugehen.8 Es ist mir auch wichtig, die Lösungssuche nicht im Sinne einer von mir gesehenen Veränderungsmöglichkeit zu beeinflussen. Meine Aufgabe als Therapeutin sehe ich vielmehr darin, Suchprozesse anregen, durch die das Kind eigene Ideen entwickeln kann.

Um ein Kind in diesem Prozess zu unterstützen, versuche ich zunächst zu erfassen, wie es sich seinem Sandbild nähert und körperlich im Sand agiert. Ist es ihm wichtig, sich im Sand festen Boden zu bereiten? Geht es darum, die eigene Kraft zu spüren, etwas zum Halten zu bringen, sich schützende Höhlen zu bauen? Oder gestaltet es die Sandfläche kaum und stellt nur vorsichtig Figuren hinein?

Ist das Sandbild abgeschlossen, wird es von mir auf einem Foto festgehalten. Ich fordere das Kind auf, das Sandbild zunächst gemeinsam mit mir zu betrachten. Die intensive Arbeit im Sand löst Tranceprozesse aus und führt in einen emotional aktivierten Zustand, der durch die Konfrontation mit dem fertigen Sandbild noch verstärkt werden kann. An der Seite des Kindes achte ich auf mögliche Körperreaktionen und Impulse, mit denen es auf das von ihm Gebaute reagiert.

Ich achte auch auf Empfindungen und Assoziationen, die das Sandbild bei mir hervorruft. In einer inneren Hypothesenbildung versuche ich einen Bezug zur Symptomatik und zur Lebensgeschichte des Kindes herzustellen: Welche Atmosphäre vermittelt das Sandbild? Welche bedeutsamen Personen aus dem Umfeld des Kindes sind möglicherweise dargestellt? Welche Bildelemente könnten Persönlichkeitsanteile des Kindes repräsentieren? Sandbilder können die äußere Lebenssituation eines Kindes spiegeln oder auch unterschiedliche Ich-Zustände des Kindes zum Ausdruck bringen. Um die Vielfalt möglicher Aspekte zu erfassen, ist es hilfreich, Sandbilder aus beiden Perspektiven zu betrachten.

Anschließend lasse ich mir durch offene Fragen beschreiben, was im Sandbild dargestellt ist. Dabei achte ich darauf, ob sich das Kind mit einer Figur besonders identifiziert und welche Wünsche es für sie äußert. Durch hypothetische Fragen lenke ich den Blick auf Handlungsoptionen, die im Sandbild enthalten sind; zirkuläre Fragen helfen beim Erfassen von Kontext und Motiven. Im Sinne eines Reflecting Teams (Anderson 1990) kann Rat von Figuren eingeholt werden, die im Sandbild vertreten sind. Auch nicht im Sandbild vorhandene Identifikationsfiguren des Kindes können einbezogen werden: Was würde zum Beispiel Harry Potter den bedrängten Figuren raten?

Entscheidend für eine Auflösung der Problemtrance ist meist bereits die Frage, wie die im Sandbild dargestellte Geschichte weitergehen könnte – allein die Suggestion, dass dies möglich ist, bringt festgefahrene innere Bilder in Bewegung und lässt Ideen entstehen. Oft lässt sich beim Kind gut beobachten, wie die Veränderung des affektiven Zustands neue Denk- und Handlungsmöglichkeiten entstehen lässt (Ciompi 1998); aus dem Problembild heraus entstehen überraschend schnell Lösungswege zu einem gewünschten Zustand.9

Haben Kinder eine Idee zu einer Fortsetzung der Geschichte gewonnen, liegt es für sie sehr nahe, sie auch »weiterspielen« zu wollen. Im narrativen Sandspiel gestalten sie anschließend selbsttätig ihre Lösungsgeschichte. Da es bei diesem Ansatz vorrangig um eine Veränderung innerer Bilder geht, die wirkungsvoll geankert werden soll, spiele ich dabei nicht mit, sondern lasse das Kind selbst die Figuren bewegen.10 Hypnotherapeutisch ergibt sich dabei die Möglichkeit, besondere Momente im Spielverlauf hervorzuheben und Handlungen der Figuren wertschätzend zu kommentieren. Den Selbstwert stärkende Kommentare können indirekt an das Kind gerichtet werden, das sich mit den Figuren identifiziert.

Michael White (1989) umschreibt den Ausgangspunkt narrativer Therapie mit der Frage: »Welchen Geschichten erlaubst du, dein Leben zu regieren?« Neben der Externalisierung von Problemen liegt ein Fokus der Methode auf der Suche nach »unique events« – einzigartigen Ereignissen, die sich von der bisherigen Problemsicht unterscheiden. In Sandspielgeschichten treten solche besonderen Momente oft in ausdrucksstarken Bildern in Erscheinung. Um sie zu sammeln und in Erinnerung zu bewahren, werden auch die Lösungsbilder fotografiert und zusammen mit den Geschichten für das Kind festgehalten.

Oft bilden die Sandbilder auch untereinander eine Fortsetzungsgeschichte, in der Motive wiederkehren und Lösungsversuche sich wiederholen, bis ein Thema schließlich zu einem Ende kommt:

In einem späteren Sandbild baut Lea einen Vulkan, der von tief innen her ausbricht. Im mit Lava gefüllten Krater sitzt ein Mädchen und weint. Es hat auf dem Berggipfel gestanden und ein Lied gesungen, als der Vulkan plötzlich ausbricht und es in den Krater fällt (Abb. 3).

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Abb. 3: Das Mädchen auf dem Vulkan

Später steigt der Vater auf den Vulkan, um das Mädchen zu retten. Er versucht es aus dem Krater zu ziehen, aber das Mädchen bemerkt ihn nicht. Der Vater stürzt ab und kann ihm nicht mehr zur Hilfe kommen.

Lange sitzt das Mädchen im Krater, während Speere auf es herabregnen. Schließlich klettern Mutter und Schwestern hinauf, entfernen die Speere und helfen ihm hinaus. Der Vulkan wird zu einem »Berg, der nie wieder ausbricht«. Zum Schluss stehen alle Figuren im Kreis auf dem Berg und erzählen dem Mädchen, was passiert ist.

Den Abschluss der Serie bildet ein Sandbild, bei dem im Inneren eines Vulkans noch Lava zu sehen ist. Darüber ist jedoch in der Zwischenzeit viel Grünes gewachsen. Da der Vulkan älter geworden ist, werden jetzt nur noch wertvolle Dinge aus ihm herausgeschleudert.

1.2.1Grenzen der Einzeltherapie

Manche Sandbilder thematisieren auch Probleme, die vom Kind nicht lösbar sind. Narratives Sandspiel beschränkt sich daher nicht auf die Arbeit im Einzelsetting. An anderer Stelle wird in diesem Buch gezeigt, wie sich solche Bilder als Brücke zur Familientherapie nutzen lassen. Sandbilder beteiligen Kinder an der Auftragsklärung (Kap. 2.1) und bieten Anregung zur Reflexion des Elternverhaltens. Die Mitteilungsmöglichkeit jenseits von Sprache erleichtert einen Zugang zu Misshandlungserfahrungen, die in der Therapie aufgegriffen und beendet werden können (Kap. 6.2). Für die Arbeit mit Familien stehen spezifische Vorgehensweisen bereit (Kap. 3.1).

1.3Kinderorientierte Familientherapie

Bernd Reiners

In den bisher beschriebenen Formen der Sandspieltherapie baut ein Klient seine Sicht der Welt, seine Sicht auf seine Probleme etc. in einem Sandbild auf. Im klassischen Sandspiel (Kap. 1.1) bleibt dieses Bild stehen, im narrativen Sandspiel (Kap. 1.2) wird das Bild zu einer bewegten Geschichte weiterentwickelt. In der Kinderorientierten Familientherapie (KOF) ist das Aufbauen des Bildes im Vergleich dazu weniger bedeutend. Hier wird mehr auf die Interaktion im Spiel fokussiert.

Die Kinderorientierte Familientherapie wurde in den 1980er und 1990er Jahren von dem norwegischen Psychologen und Kindertherapeuten Martin Soltvedt (1931–2016) entwickelt. Wie in der Kindertherapie wird das Spiel als Ausdrucksform genutzt. Es wird als Spiegel innerer und äußerer Zusammenhänge verstanden. Wie in der systemischen Therapie wird der Fokus der Beobachtung und der Veränderung dabei jedoch weniger auf das Individuum als auf die Interaktion zwischen den Beteiligten gelenkt.

Wie in Kapitel 1.1 beschrieben, bietet Sand aus verschiedenen Gründen ein gutes Medium für die Therapie – insbesondere bei Kindern im Vorschul- und Grundschulalter, aber auch später. Zwar kann man die Kinderorientierte Familientherapie auch ohne Sand, das heißt mit anderen spieltherapeutischen Medien, anwenden (Soltvedt 2005). Es stammen aber aufgrund der besonderen sinnlichen Qualität des Sandes fast alle in der Literatur (Soltvedt 2005; Reiners 2013) und alle in diesem Buch verwendeten Beispiele aus Spielsequenzen im Sand.

Soltvedt (2005) entwickelte aufgrund seiner Experimentierfreudigkeit im Laufe der Zeit eine eigene Form der Arbeit mit Kindern. Dabei war ihm wichtig, den Kindern die Möglichkeit zu belassen, ihre eigene Sicht auf Probleme und deren Veränderung zu demonstrieren. Hierzu hielt er es für wichtig, dass die Eltern diese Sicht der Kinder selbst erleben und verstehen können. So sollen die Eltern dem kindlichen Spiel zuschauen.

Soltvedt geht von diesem Spielverhalten der Kinder aus und versucht es gemeinsam mit den Eltern zu entschlüsseln. So kann sich das Kind auf seinem gewohnten Kommunikationsweg, dem Spiel, ausdrücken, wie es in der Kindertherapie seit ihrer Entstehung genutzt wird (z. B. Freud 1927; Axline 1972; Oaklander 1981).

Soltvedt (2005) hat eine Art »klassischen« Ablauf der Kinderorientierten Familientherapie entwickelt, der hier vorgestellt werden soll. Dabei betont Soltvedt, dass das Vorgehen nicht manualisiert gedacht ist, sondern lediglich als Orientierung dienen soll.

1.3.1Idealtypischer Ablauf der Kinderorientierten Familientherapie

Günstig sind zwei bis drei Vorgespräche mit den Eltern.11 Zu Beginn steht die Auftragsklärung mit den Eltern, vom Anlass über Anliegen zu Auftrag und Kontrakt (z. B. Schlippe u. Schweitzer 2010; Hanswille 2016). Daneben ist es wichtig, eine veränderungsförderliche Beziehung zu den Eltern zu gestalten. Es ist hilfreich, wenn sie sich verstanden, mit ihrer Problemsicht, ihren Ressourcen und ihren Lösungsversuchen ernst genommen fühlen und wenn gleichzeitig Hoffnung auf Veränderung gefördert wird. Joining (Minuchin 1977) und Small Talk helfen dabei, einen sicheren Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen Veränderung entstehen kann.

Neben diesen allgemeinen Therapiestrategien wird in der Kinderorientierten Familientherapie die Bedeutung des Spiels erklärt (Kap. 1.1). Bei Bedarf wird das Spielmaterial gezeigt (Abb. 4). Es wird erklärt, dass die 15- bis 20-minütigen Spielsequenzen auf Video aufgenommen und anschließend mit den Eltern ausgewertet werden.

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Abb. 4: Spielfiguren für die Kinderorientierte Familientherapie

Der »klassische« Ablauf sieht folgende sechs Phasen vor:

1. Erste Spielsequenz (nur Kind und Therapeut) mit Videoaufzeichnung (ca. 15–20 min)

2. Video-Nachgespräch mit den Eltern (ca. 60 min)

3. Zweite Spielsequenz (Familie und Therapeut) mit Videoaufzeichnung (ca. 15 min)

4. Video-Nachgespräch mit den Eltern (ca. 60 min)

5. Wiederholungen der familiären Spielsequenz mit Nachgespräch

6. Zwischendurch Bilanzgespräch mit den Eltern

Auf diesen Ablauf wird nun näher eingegangen:

1. Erste Spielsequenz (nur Kind und Therapeut) mit Videoaufzeichnung (ca. 15–20 min):

Therapeut und Kind spielen, die Eltern schauen zu. Der Therapeut spielt mit seiner Alter-Ego-Figur (wörtlich: Zweites-Ich-Figur) mit dem Kind, während die Eltern in einigem Abstand zusehen. Zunächst baut der Therapeut ein Haus mit einem Zaun und einem Tor darum auf. In das Gelände setzt er seine Alter-Ego-Figur und deren Haustier. (Beim Verfasser sind dies Björn und sein Hund Hasso.) Währenddessen wird das Kind gefragt, ob es ebenfalls ein eigenes Gelände aufbauen möchte. Beim so entstehenden Spiel versucht der Therapeut, die Aktionen des Kindes wertschätzend zu beschreiben und ein förderliches Spiel anzuregen.

2. Video-Nachgespräch mit den Eltern (ca. 60 min):

Im Nachgespräch wird mit den Eltern diskutiert, wie das Kind Kontakt zum Therapeuten aufgenommen hat. Ist es ihm gut gelungen? War es schwierig? Durch welche Handlungen des Therapeuten fiel es dem Kind leichter etc.? Was erkennen die Eltern aus ihrem Leben mit dem Kind wieder? Was im Spiel könnte mit dem Anliegen der Therapie zusammenhängen beziehungsweise dieses spiegeln? So wird das Nachgespräch im Sinne eines Eltern-Coachings durchgeführt. Wenn der Kontakt aus Sicht der Eltern und des Therapeuten ausreichend gelungen ist, spricht der Therapeut die Möglichkeit an, gemeinsam mit Eltern und Kind zu spielen.

3. Zweite Spielsequenz (Familie und Therapeut) mit Videoaufzeichnung (ca. 15 min):

Familie und Therapeut spielen gemeinsam. Üblicherweise baut sich jedes Familienmitglied ein eigenes Zuhause. Die therapeutische Spielfigur nimmt aktiv am Spiel teil. Sie versucht, gemeinsame Handlungen in der Familie zu unterstützen oder zu ermöglichen. Dabei kann sie zu Beginn allen Mitspielern helfen, sich vorstellen, sie kann sich mit ihrer Tierfigur darüber unterhalten, was um sie herum geschieht etc.

4. Video-Nachgespräch mit den Eltern (ca. 60 min):

Welche Parallelen (diesmal auch bezüglich der Interaktion) zum Alltag der Familie können die Eltern erkennen? Welche Verhaltensweisen der Eltern oder des Therapeuten begünstigen das erwünschte Verhalten des Kindes?

Wie behandeln die Eltern ihr Kind? Wie geht es mit seinen Eltern um, wie ist die Interaktion des Paares? Gibt es Unterschiede zum ersten Spiel mit dem Therapeuten etc.? Welche neuen Verhaltensweisen möchten die Eltern im nächsten Spiel ausprobieren, wovon möchten sie mehr oder weniger machen?

5. Wiederholungen der familiären Spielsequenz mit Nachgespräch:

Nach jeder Spielsequenz findet ein Nachgespräch statt, in dem reflektiert wird, wie die veränderten Verhaltensweisen der Eltern sich im Verhalten des Kindes niederschlagen.

6. Zwischendurch Bilanzgespräch mit den Eltern:

Soll weiter gespielt werden, gilt es eher, andere Wege zu verfolgen, zeigen sich die Veränderungen im Spiel auch im familiären Alltag etc.

Insgesamt sind sechs bis zehn Spielsequenzen mit der ganzen Familie üblich.

Wie bereits beschrieben, ist dieses Vorgehen nicht als striktes »Manual« zu verstehen, sondern soll lediglich ein Gerüst liefern. Es können immer wieder Abweichungen auftreten, dass sich zum Beispiel Paarprobleme zeigen, die in einem anderen Setting bearbeitet werden sollen, dass ein weiteres Nachgespräch gewünscht wird etc.

1.3.2 Indikation

Besonders geeignet ist die Kinderorientierte Familientherapie für Familien mit einem Kind im Spielalter, also im Alter zwischen drei und zehn Jahren, beziehungsweise einem entsprechenden Entwicklungsstand. Bei folgenden Problemfeldern sollte an die Behandlung mit Kinderorientierter Familientherapie gedacht werden (Brolin-Bjurmark u. Nilsson 1996; detailliert siehe auch Reiners 2013):

Eltern verstehen ihr Kind nicht

Erziehungsfragen

Tempo- und Aktivitätsunterschiede zwischen Eltern und Kind z. B.:

schüchterne, ängstliche, zurückhaltende Kinder

Kinder, die aggressive Verhaltensweisen zeigen

hyperaktive Kinder

Kontaktprobleme (als besondere Formen: Autismus oder selektiver Mutismus)

Konzentrationsprobleme, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS)

Kinder mit unsicherer Bindung

Diagnostik der familiären Beziehungen

Anbahnung von Adoption oder Pflegefamilien, Rückführung in die Herkunftsfamilie, Umgangsanbahnung

1.3.3 Theoretischer Hintergrund

Den theoretischen Hintergrund der Kinderorientierten Familientherapie bilden psychodynamische Kindertherapie (Symbollehre, Ausdruck des Unbewussten im Spiel, Bindungstheorie, Mentalisierungstheorie etc.), systemische Therapie (Interaktionsorientierung, Allparteilichkeit, Neutralität, Auftragsklärung etc.) und Verhaltenstherapie (konkrete, detaillierte Interaktionsbeschreibungen, Einüben neuer Verhaltensweisen auf der »Probebühne« des Sandspiels etc.). Für Details siehe Reiners (2013).

Lediglich auf die Interaktionsorientierung soll hier näher eingegangen werden.

Konsequenzen der Interaktionsorientierung

Die klassische Kindertherapie (beispielhaft Freud 1927; Axline 1972; Oaklander 1981; Kalff 1979) betont das Innenleben des Kindes und dessen ungehinderten Ausdruck. Dahingegen liegt das Augenmerk bei der Kinderorientierten Familientherapie eher auf der Interaktion. Dieser Unterschied hat weitreichende Konsequenzen:

a) Der Therapeut spielt aktiv mit und steuert das Spiel mit.

b) Die Eltern spielen mit.

c) Die Eltern haben die »Deutungshoheit« über das Spiel.

Zu a) Der Therapeut spielt aktiv mit und steuert das Spiel mit

In der klassischen Kindertherapie interveniert die Therapeutin ausschließlich, um den Selbstausdruck des Kindes zu ermöglichen oder zu unterstützen. Eigene Spielideen werden als Beeinflussung dieses Selbstausdrucks verstanden (z. B. Axline 1972; Oaklander 1981). In neueren Ansätzen interveniert die Therapeutin auch im Sinne der therapeutischen Heilung (z. B. Weinberg 2005).

In der Kinderorientierten Familientherapie versucht die Therapeutin durch eine aktiv mitspielende Rolle, mit dem Kind eine gelungene, für alle Beteiligten befriedigende Interaktion herzustellen. Dazu kann sie ausschweifende Inszenierungen oder andauernde Wiederholungen ebenso unterbrechen wie Regelübertretungen.

Für ein Kind kann es heilsam sein, im Spiel Figuren zu töten, um einen inneren Konflikt symbolisch zu verarbeiten. Wird jedoch dieses Spiel als symbolisches Ausagieren eines äußeren Konflikts und somit als Spiegelung eines Interaktionsprozess im Alltag des Kindes verstanden, ist wohl eine Unterbrechung und Unterstützung zu adäquateren Lösungswegen passender. Zumeist sind Konflikte in einer systemischen Sichtweise nicht innen oder außen, sondern sowohl innen als auch